Leseprobe: Hamburg. Krieg und Nachkrieg

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Herausgegeben von Jan Zimmermann

Hamburg Krieg und Nachkrieg

Fotogr afien 1939–1949 Erich Andres | Willi Beutler | Walter Lüden | Alice O’Swald-Ruperti Theodor Scheerer | Hugo Schmidt-Luchs | Joseph Schorer



vorwort

Hamburg 1939–1949 1939 bis 1949 – lässt sich dieses Jahrzehnt der Geschichte Hamburgs in Fotografien erzählen? Schließlich handelt es sich nicht um irgendein Jahrzehnt, sondern um eine Dekade ohne Vergleich in der Geschichte der Stadt. Und dürfen diese Bilder für sich sprechen? Dieses Buch macht den Versuch, den Bildern Raum zu geben, ohne auf die notwendige Einordnung zu verzichten – mit Aufnahmen von sechs Fotografen und einer Fotografin. Es schlägt einen weiten Bogen von der Begeisterung, die in den Gesichtern der Hamburger und Hamburgerinnen beim Stapellauf des Schlachtschiffs Bismarck 1939 zu sehen ist, über die Luftangriffe und den Alltag der ersten Kriegsjahre bis in die Nachkriegszeit mit dem „Hungerwinter“ 1946/47 und dem mühseligen Neuanfang. Eingebettet in diese Themen ist ein Kapitel über die „Operation Gomorrha“, die alliierten Luftangriffe vom Sommer 1943, die den Kulminationspunkt des Zweiten Weltkriegs in Hamburg darstellen und von mehreren Fotografen dokumentiert wurden. In diesem Buch sind nicht alle wichtigen Fotografen vertreten, die während des Kriegs und in der frühen Nachkriegszeit in Hamburg gearbeitet haben; Germin und Heinrich Hamann zum Beispiel sind nicht Bestandteil der Auswahl, und auch die Aufnahmen von Hans Brunswig, der als Abteilungsleiter bei der Feuerwehr immer

Hamburg 1939: Touristen vor der obligatorischen Hafenrundfahrt. Die KdFDampfer Robert Ley und Wilhelm Gustloff sowie das im Bau befindliche Schlachtschiff Bismarck sind zu dieser Zeit die herausragenden Symbole für die Leistungsfähigkeit der Stadt (unbekannter Fotograf).

dicht am Geschehen war, werden nicht gezeigt. Das Gleiche gilt für die abgebildeten Themen – aber aus anderen Gründen. Bilder vom privaten Leben der Millionenstadt fehlen weitgehend und Aufnahmen von der Deportation des jüdischen Teils ihrer Bevölkerung ganz. Sie wurde nicht fotografiert, doch spiegeln sich die von Hamburgern mitgetragenen Verbrechen in den Fotografien von zerstörtem jüdischen Eigentum – Hausrat, eine Schule, ein Friedhof. Auch das Foto auf dem Einband dieses Buchs enthält neben der Dokumentation eines Bombenschadens einen Hinweis auf die Auslöschung jüdischen Lebens: Auf ihm ist links das ursprünglich jüdische und dann „arisierte“ Modegeschäft „Eichmeyer“ zu sehen. Zwangsarbeit und Räumungsarbeiten durch KZ-Häftlinge wurden dagegen unmittelbar dokumentiert und können deshalb auf einigen Fotos in diesem Buch gezeigt werden. Sie belegen beispielhaft, wie auch die vom nationalsozialistischen Regime Verfolgten vom Luftkrieg und der Beseitigung seiner Folgen betroffen waren. Die Moorweide, wo im Herbst 1941 die Deportation der jüdi­ schen Hamburger begann – u. a. um „arischen“ ausgebombten Ham­ burgern Wohnraum zu verschaffen –, ist einer von mehreren Orten, die in diesem Buch an verschiedener Stelle eine Rolle spielen. Andere zentrale Schauplätze sind der Rathausmarkt, der Jungfern-

Hamburg 1939: Jüdische Bürger verlassen Deutschland. Das Foto zeigt die jüdische Familie Arndt aus Eisleben beim Besteigen des HAPAGDampfers St. Louis am 13. Mai 1939. Die Familie überlebte den Zweiten Weltkrieg in Großbritannien (unbekannter Fotograf).

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stieg, die Reeperbahn und die Landungsbrücken: Geschichtsorte, an denen sich das Geschehen konzentriert und zu denen die Fotografen dieses Buches immer wieder zurückgekehrt sind. Ersetzen kann ein fotografischer Bildband die geschriebene Geschichte mit ihrer komplexen Fülle an Informationen nicht; allein Friederike Littmanns Buch über die ausländischen Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft umfasst über 650 Seiten. Aber zusammen mit der umfangreichen Literatur über „Hamburg im Dritten Reich“ (so der Titel des maßgeblichen Sammelbandes von 2005) bietet ein Fotobuch eine ergänzende Form des geschichtlichen Erzählens. Die Aufnahmen – genau datiert und verortet – erhalten hier mehr Kraft und zeigen nicht zuletzt durch die Abbildungsgröße mehr, als wenn sie nur in kleinen Formaten den Text begleiten. Eine oft kolportierte Behauptung lautet, das Fotografieren von Bombenschäden sei während des Krieges „bei Todesstrafe“ verboten gewesen. Aber einen reichsweit gültigen Erlass dazu hat es nicht gegeben, Verbote wurden immer nur auf lokaler oder regionaler Ebene ausgesprochen. Das galt auch für Hamburg. Nach zwei größeren Angriffen im März erließ der Polizeipräsident am 7. April 1941 das „Verbot des Photographierens der durch Feindeinwirkung entstandenen Schadensstellen“. Bei Zuwiderhandlung drohte eine Geld- oder Haftstrafe, aber nicht die Todesstrafe. 1943 kam ein für den ganzen Wehrkreis X geltendes Verbot des Fotografierens von Schäden und Räumungsarbeiten hinzu. Ausnahmen von diesen Verboten gab es für Fotografen im Auftrag staatlicher Stellen und für Pressefotografen. Eine größere Zahl erhaltener Amateurfotos aber belegt, dass solche Verbote nur begrenzt Wirkung zeigten. ↗ Hamburg noch unversehrt: Aufnahme vom 3. August 1940. Als Pressefoto verbreitet, um die Erfolglosigkeit der britischen Luftangriffe zu demonstrieren: „Die dümmste Lüge Englands: So sieht es im angeblich zerstörten Hamburg aus.“ (Pressetext auf der Rückseite, Aufnahme: Bildberichterstatter G. Haine/PressebildZentrale, Berlin) → Hamburg 1941: Der Vater des Herausgebers als Kind in Hamburg, mit seiner Mutter und seinem Onkel, der eine Uniform der Luftwaffe trägt (unbekannter Fotograf)

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Eine persönliche Bemerkung des Herausgebers darf in diesem Buch nicht fehlen: Mein Vater, Jahrgang 1934 und getauft im Michel, kam zwischen dem 22. und dem 24. Juli 1943 von seinem zweiten Aufenthalt im Rahmen der Kinderlandverschickung, die Schulkinder vor den Luftangriffen sichern sollte, aus Bayern zurück (auf einem Foto von Joseph Schorer trägt ein anderer Junge eine Lederhose, siehe Seite 119). Aber schon in der ersten Nacht der „Operation Gomorrha“ vom 24. auf den 25. Juli wurde er mit seiner Mutter in einer kleinen Seitenstraße des Stubbenhuk ausgebombt. Bis zu seinem Tod las mein Vater nur Bücher militärischen Inhalts, ohne selbst je Soldat gewesen zu sein – offensichtlich ein erfolgloser Versuch der Traumabewältigung. Sein Vater, mein Großvater, war 1943 seemännischer Angehöriger einer Hafenflottille an der französischen Atlantikküste. Aber, und das habe ich erst während der Arbeit an diesem Buch festgestellt, vor dem Westfeldzug war er 1939/40 als Polizist mit dem Hamburger Reserve-Polizeibataillon 102 nach Polen einmarschiert. Wie das Reserve-Polizeibataillon 101, dessen Verbrechen Christopher Browning in seinem Buch Ganz normale Männer rekonstruiert hat, ging auch sein Bataillon schon in den ersten Kriegsmonaten in Polen gewalttätig gegen die Zivilbevölkerung vor. So gehören in dieser einfachen Hamburger Familienbiografie Opfer- und Tätersein zusammen. Für ganz Hamburg bedeutet dies nicht weniger als im Privaten, dass ein Gedenken an die Toten des Luftkriegs nie ohne ein Gedenken an die Opfer des von Deutschen und damit auch Hamburgern begonnenen Eroberungskriegs und ihrer Verbrechen möglich ist. Jan Zimmermann


Die Fotografen und die Fotografin dieses Buches

joseph schorer Der gebürtige Bayer Joseph Schorer (1894–1947?) arbeitete seit Mitte der 1920er Jahre als Pressefotograf in Hamburg; während der Jahre, die dieses Buch dokumentiert, lagen seine Geschäftsräume in den Colonnaden. Unter den Fotos Schorers findet sich die ganze Vielfalt dieses Metiers – Unterhaltung und Sport, Politik und Prominenz, Arbeit und Freizeit. In diesem Buch sind vornehmlich Fotos von Veranstaltungen und Luftangriffen zu sehen, die seine große Nähe zum Geschehen zeigen – exemplarisch dafür steht die Aufnahme von Hitler auf dem Rathausbalkon, die zugleich dessen Haus- und Hoffotografen Heinrich Hoffmann zeigt (Seite 13). Zeitlich reichen die hier gezeigten Motive bis in die Tage nach dem „Feuersturm“, als der Fotograf die Notversorgung auf der Moorweide im Bild festhielt. Schorer war „Bildberichterstatter“ – wie auch die Fotografen Andres und Schmidt-Luchs in diesem Buch; nur diese durften, als Mitglieder im „Reichsverband Deutscher Bildberichterstatter e.V.“, Pressefotos veröffentlichen. Das Signet des Verbands (ein Fotograf mit Adlerkopf) findet sich als Stempel auf der Rückseite zahlreicher Bildabzüge und kennzeichnete diese als „deutsche“ Arbeit (im Gegensatz zum Bildmaterial ausländischer Agenturen). In den 1990er Jahren wurde der Negativ-Nachlass Schorers der Stadt Hamburg zum Kauf angeboten, die es leider versäumte, den einzigen umfassenden Bestand an Hamburger Pressefotografie aus der Zeit der Weimarer Republik und des „Dritten Reichs“ zu erwerben (zugleich gingen Nachlässe von bedeutenden Hafenfotografen an das Deutsche Schiffahrtsmuseum nach Bremerhaven – ein merkwürdiges Desinteresse, das sich in der stiefmütterlichen Behandlung des fotografischen Bestands der ehemaligen Landesbildstelle bis heute fortgesetzt hat). Der Nachlass Schorer liegt nunmehr im Bildarchiv des Deutschen Historischen Museums (ein großer Teil der Negative) und im Folkwang Museum in Essen (Abzüge); durch diese Verteilung auf zwei Archive außerhalb Hamburgs ist es zu einer detaillierten Erschließung des Nachlasses bislang nicht gekommen; eine digitale Zusammenführung der Bestände wäre wünschenswert. Das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg besitzt mehrere Hundert Abzüge mit Fotografien der Luftangriffe. Negative zu Schorers Aufnahmen von der „Operation Gomorrha“ sind jedoch in keiner der drei Sammlungen enthalten. Bildarchiv Preußischer KulturbeFotograf und Adlerkopf: Stempel mit dem sitz (Hrsg.): Als Hamburg unter Signet des „Reichsverbandes Deutscher Bild­ berichterstatter e.V.“, zwischen 1933 und 1945 den Nazis lebte. 152 wiederent-

deckte Fotos eines Zeitzeugen, Hamburg/Zürich 1986. (Das in diesem Buch genannte Sterbedatum 1946 passt nicht zusammen mit einigen Negativen im Berliner Nachlassteil, die erst 1947 aufgenommen wurden.)

willi beutler Geboren im niederschlesischen Langenöls, kam Willi Beutler (1903– 1978) Ende der 1920er Jahre in Hamburg als Amateur zur Fotografie und wurde über die erfolgreiche Teilnahme an Fotowettbewerben bekannt. Die Stadt Hamburg und ihre Bewohner waren lebenslang seine wichtigsten Motive. 1936 stellte ihn die Landesbildstelle als Fotografen ein. Beutler leitete deren fotografische Abteilung bis zu seiner Pensionierung 1968 und drehte zudem eine Reihe von Lehrfilmen. Sein privater Negativbestand, der bis zum Jahr 1943 etwa 30 000 Aufnahmen umfasste, wurde während der „Operation Gomorrha“ vernichtet. (Beutler wohnte in der Fichtestraße in Eilbek.) Seine Arbeiten für die Landesbildstelle gingen nach deren Auflösung zusammen mit den Arbeiten anderer Fotografen an das Denkmalschutzamt und von dort 2015 an das Staatsarchiv Hamburg. 1939 erschien als Publikation der Landesbildstelle das Buch Der Hamburger Hafen mit Aufnahmen von Beutler und einem Vorwort von Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann. 1941 wurde Beutler, der Mitglied der NSDAP war, nach Bayern gesandt, um Film- und Fotoaufnahmen von jungen Hamburgern in der Kinderlandverschickung zu machen. Als offizieller Fotograf der Stadt dokumentierte er nahezu täglich das Stadtgeschehen und hatte praktisch überall Zugang; davon zeugen in diesem Buch zum Beispiel auch die Aufnahmen von Zwangsarbeitern. Aufnahmen von Beutler erscheinen bis heute in vielen Hamburg-Büchern. Sein Name wird allerdings oft nicht genannt und verschwindet hinter den Quellenangaben „Landesbildstelle“ oder „Staatsarchiv Hamburg“. Christian Hanke, Joachim Paschen, Bernhard Jungwirth: Hamburg im Bombenkrieg 1940–1945. Das Schicksal einer Stadt, Hamburg 1993. (Der Band enthält eine größere Anzahl an Farbdias von Beutler aus den Jahren 1943/44.)

erich andres Erich Andres (1905–1992) beschäftigte sich schon während seiner Lehre zum Schriftsetzer mit der Fotografie und fertigte 1929/30 – als selbst von Erwerbslosigkeit Betroffener – Fotoreportagen über die Not der Arbeitslosen an. Daneben verkaufte er Reisefotos an Zeitschriften. Ein geplantes Buch über Albanien konnte nicht erscheinen. Seit 1931 hauptberuflicher Pressefotograf, hatte er vor allem mit seinen Fotos aus dem Hamburger Arbeitsleben Erfolg – und Arbeit gab es nach der Wirtschaftskrise wieder mehr. Andres’ Aufnahmen sind dynamisch und sympathisch und kommen ohne 7


er noch die Auseinandersetzung um die „Rote Flora“ im Schanzenviertel – und baute ein immenses Archiv auf, das heute auf das Staatsarchiv Hamburg und das Stadtmuseum Dresden aufgeteilt ist. Erich Andres. Der Mann mit der Leiter. 50 Jahre unterwegs mit dem Hamburger Fotoreporter. Text Ulli Müller, Hamburg 1993.

Perspektive der Alliierten: Aufnahme aus einem US-amerikanischen Bomber über dem Köhlbrand. Tagesangriff auf den Hafen während der „Operation Gomorrha“, 25. Juli 1943. Oben Altona und Ottensen, links Waltershof (Fotograf der U.S. Air Force)

heroische Überhöhung aus. Die Fotos aus den Jahren nach 1933 zeigen das Eindringen des Nationalsozialismus in den Alltag. 1936 wurde Andres für die olympischen Spiele in Berlin akkreditiert, anschließend durfte er nach Spanien reisen, wo er auf der Seite der Putschisten unter Franco den Bürgerkrieg fotografierte. Wie bei anderen Aufnahmen, die er seit 1939 als Fotograf einer PropagandaKompanie der Marine in Nordfrankreich machte, zeigte Andres oft die Auswirkung des Krieges auf die Zivilbevölkerung – hier zieht sich eine thematische Linie von Spanien über Frankreich bis nach Hamburg 1943. Die „Operation G ­ omorrha“ erlebte Andres im Heimaturlaub. Noch von seiner Wohnung in Hammerbrook aus machte der frisch Verheiratete ohne Auftrag Fotos von den Folgen der ersten Angriffe, in der „Feuersturm“-Nacht wurde auch seine Wohnung zerstört. Den größten Teil seines Archivs hatte Andres’ Verlobte schon 1942 aus der Stadt gebracht, der in Hamburg verbliebene Rest verbrannte in der Campestraße. Am letzten Julitag 1943 kehrte Andres mit „Bombenurlaub für Bildberichterstatter“ (so seine Notiz auf den Kontaktbogen) und offizieller Genehmigung in die Stadt zurück, um die Zerstörungen durch den „Feuersturm“ und den Angriff auf Barmbek zu dokumentieren. Dabei entstanden auch Aufnahmen der in Feuer und Hitze Gestorbenen. Nach dem Krieg arbeitete An­ dres weiter als freier Fotograf – Ende der 1980er Jahre fotografierte 8

hugo schmidt-luchs Nach einer kaufmännischen Ausbildung erwarb Hugo Schmidt (1890–1975) eine Leica und machte sich als Pressefotograf in Hamburg selbständig. Mit dem Motiv eines stürzenden Turnierreiters wurde er in der Presseszene bekannt, viele Aufnahmen des „Rasenden Hugo“, der stets mit dem Motorrad unterwegs war, erschienen im Hamburger Fremdenblatt, aber auch in anderen Zeitungen und Zeitschriften bis hin zur Berliner Illustrierten. Wie Schorer und Andres war Schmidt „Bildberichterstatter“ – der offizielle Namenszusatz „-Luchs“ stammt erst aus der Nachkriegszeit und diente der Unterscheidung von einem zweiten Pressefotografen mit dem Namen Schmidt. Die Aufnahmen, die Schmidt nach zahlreichen Angriffen auf Hamburg machte, zeugen von der Geschwindigkeit, mit der er die Schadensstellen häufig aufsuchte. Den brennenden Alsterpavillon etwa nahm er 1942 noch nachts auf, und seine Aufnahmen der Angriffe von 1944 und 1945, mit Rauch, Trümmerwüsten, sind dramatische und kraftvolle Bildinszenierungen vom Sterben

� Verbotener Schnappschuss von Bombenschäden beim Angriff am 26./27. Juli 1942. Seit April 1941 war in Hamburg das Fotografieren von Schadensstellen strafbar (unbekannter Fotograf). ↗ Ende des Martyriums: befreite französische Zwangsarbeiter in Altona, 3. Mai 1945 (unbekannter Fotograf)


einer Stadt – die damals natürlich nicht gezeigt werden konnten. Bei seiner Arbeit wurde Schmidt mehrfach verhaftet; da er die Angriffe aber auch im Auftrag der Landesbildstelle fotografierte, kam er jedes Mal wieder frei. Bereits bei einem der frühen Angriffe in seiner Wohnung in der Ferdinandstraße ausgebombt (wobei auch sein Archiv verloren ging), wohnte der Fotograf mit seiner Familie bei dem Rechtsanwalt Oscar Bosselmann in der Eppendorfer Landstraße, dessen Frau Ursula als „Halbjüdin“ noch im Februar 1945 deportiert wurde, den Krieg aber überlebte. Bis in den April 1945 fotografierte Schmidt auf den Hamburger Straßen, und schon im Juni 1945 erhielt er eine neue Zulassung als Berufsfotograf. Bevor es wieder genügend Kunden für den Pressefotografen gab, musste er sich aber zunächst als Passbildfotograf durchschlagen. Zusammen mit seinem Sohn Carl Werner, der ebenfalls Fotograf wurde, gab er 1967 ein Buch heraus, das Fotos der Zerstörungen und der Wiederaufbauten gegenüberstellte. Hugo Schmidt-Luchs, Carl Werner Schmidt-Luchs: Hamburg – Phönix aus der Asche. Ein dokumentarischer Bildband. Mit Texten von Werner ­Sillescu, Hamburg 1967.

walter lüden Schon als Schüler fotografierte der gebürtige Hamburger Walter Lüden (1914–1996) in den 1920er Jahren, professioneller „Bildberichter“ wurde er bald nach Kriegsende. Vor seiner Zeit als Soldat hatte er am Flughafen Hamburg in der Bodenfunkstelle gearbeitet, und 1939 fotografierte er – wie Schorer, Beutler und Andres – als Amateur den Besuch Hitlers zum Stapellauf der Bismarck. 1947 reiste Lüden im Auftrag einer amerikanischen Freikirche von Hamburg bis München, um zerstörte deutsche Großstädte zu fotografieren. Bis 1965 arbeitete er in Hamburg als Presse- und Werbefotograf, danach lebte er auf Föhr. Für dieses Buch sind vor allem seine Aufnahmen aus dem Jahr 1949 von Bedeutung, als er den Straßenhandel, die neue Pressevielfalt und den Verkehr im letzten Jahr der vom Krieg geprägten Dekade in größeren Serien dokumentierte. Lüdens Nachlass befindet sich zum Teil noch im Familienbesitz, den Großteil seiner Hafenaufnahmen hat das Deutsche Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven übernommen. Walter Lüden: Fotografien 1947–1965. Hrsg. und mit einem Vorwort von Jan Zimmermann, Hamburg 2014.

alice o’swald-ruperti Der Doppelname von Alice O’Swald-Ruperti (1904–1989) rührt von den bekannten Hamburger Kaufmannsfamilien O’Swald und Ruperti her, denen die Eltern der Fotografin entstammten. Diese besaßen ein Gut in Pommern, wo Alice O’Swald-Ruperti sich

seit den 1930er Jahren der Fotografie widmete. 1944 erschien ein erstes Buch mit Fotografien aus Wien; in den letzten Kriegsmonaten fertigte sie Porträts von Angehörigen der Wlassow-Armee, bevor diese auf deutscher Seite gegen die Rote Armee zum Einsatz kam. Nach Kriegsende gelangte sie nach Hamburg, wo sie in Blankenese ansässig wurde. O’Swald-Ruperti arbeitete als Fotografin und gründete einen eigenen Verlag. Besonders eindringlich sind ihre Porträts von Flüchtlingen, die sie im Hungerwinter 1946/47 in Hamburger Notunterkünften machte. Ihr Nachlass befindet sich im Familienbesitz.

theodor scheerer Wie Erich Andres gehörte auch Theodor Scheerer (1911–1961) während des Zweiten Weltkriegs als Fotograf einer Propaganda-Kompanie an. Vor dem Zweiten Weltkrieg war er jedoch kein Berufsfotograf gewesen, sondern als ausgebildeter Pädagoge Erzieher der drei Söhne des Hamburger Tabakindustriellen Philipp Reemtsma. 1940 zur Wehrmacht eingezogen, kam Scheerer nach einer Sonderausbildung zum „Bildberichter“ 1941 in einer Propaganda-Kompanie mit Stationen in Griechenland, an der Ostfront und zuletzt im Rheinland zum Einsatz. Seit 1947 arbeitete er als freier Fotograf für die Lübecker Nachrichten sowie viele Zeitschriften, ohne sich auf ein fotografisches Thema festzulegen. Von 1957 bis zu seinem Tod 1961 war er Leiter des Vortragsdienstes von Agfa und publizierte in diesem Zusammenhang mehrere fotografische Lehrbücher. Auf den Straßen von Hamburg machte Scheerer vor allem 1947 Aufnahmen, in der Zeit des Hungerwinters. Sein Nachlass befindet sich im Familienbesitz. Theodor Scheerer: Jahre des Aufbruchs. Hrsg. von Janos Frecot, Berlin 2014. 9


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1939—1940

Hochstimmung Hamburg 1939: Das war eine Großstadt mit 1,7 Millionen Einwohnern, nach Berlin die zweitgrößte Stadt des Deutschen Reiches. Erheblich gewachsen durch die Eingliederung der preußischen Städte Altona, Wandsbek und Wilhelmsburg im Jahr 1938, war Hamburg nicht nur die „Hauptstadt der deutschen Schiffahrt“, sondern auch eines der Zentren der deutschen Rüstungsindustrie. Ganz offensichtlich war das beim Bau von Kriegsschiffen auf den verschiedenen Werften von Steinwerder bis Finkenwerder. Als im Februar 1939 das Schlachtschiff Bismarck bei Blohm & Voss vom Stapel lief, war neben Hitler viel weitere NS-Prominenz dabei; Joseph Schorer hat die vielen in dieser Form nur selten gemeinsam auftretenden NS-Größen im Bild festgehalten (Seite 14). Weniger augenfällig im Stadtbild war die Bedeutung Hamburgs im Flugzeugbau, vor allem bei den über die Stadt verteilten Zulieferbetrieben wie der Klöckner Flugmotorenbau GmbH. Hinzu kamen zahlreiche Maschinenbaufirmen, feinmechanische und chemische Betriebe, die mit ihren Produkten in die Aufrüstung eingebunden waren. Auch die zivilen Kraft-durch-Freude-Dampfer Wilhelm Gustloff und Robert Ley – 1937 bzw. 1938 bei Blohm & Voss vom Stapel gelaufen – erhielten 1939 noch vor Kriegsbeginn militärische Bedeutung: Sie holten im Frühjahr 1939 mehrere Tausend Soldaten der deutschen Legion Condor aus dem soeben beendeten Spanischen Bürgerkrieg zurück nach Hamburg. Der Stapellauf der Bismarck und der triumphal inszenierte Empfang der Legion Condor wurden von vielen Fotografen festgehalten, auch von Schorer, Beutler und Andres. Kein Gegenstand ihres fotografischen Interesses waren dagegen die Ausgrenzung und Vertreibung der jüdischen Hamburger, die nach dem Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 kaum noch im Bild dokumentiert worden war. Die nach dem Novemberpogrom 1938 verschärft betriebene Enteignung jüdischer Firmen war im Frühjahr 1939 weitgehend abgeschlossen. Ende März 1939 musste die jüdische Gemeinde dem Abbruch der am 9. November 1938 verwüsteten Synagoge am Bornplatz im Grindelviertel zustimmen – Themen, die für die Hamburger Pressefotografen keine Rolle spielten. Von einem unbekannten Bordfotografen des HAPAG-Dampfers St. Louis stammen hingegen die heute über internationale Archive verstreuten Aufnahmen, die deutsche Juden beim Besteigen des Schiffes zeigen (Seite 5). Poststempel belegen, dass die Fotos noch an Bord entwickelt wurden. Üblich waren solche Aufnahmen bei der HAPAG sonst nicht. Die St. Louis durfte ihr Ziel Kuba schließlich nicht anlaufen. Am 17. Juni 1939 konnte sie in Antwerpen anlegen; Belgien, die Niederlande, Frankreich und Großbritannien nahmen die über 900 jüdischen Passagiere auf. Über 250 von ihnen wurden später in deutsche Konzentrationslager verschleppt und ermordet. Mit diesem heutigen Wissen erzählt ein Foto von Joseph Schorer, das Hamburger vor einer Karte des deutschen Vormarschs nach Westen im Mai und Juni 1940 zeigt (Seite 25), von mehr als nur dem „Blitzkrieg“. Auch Schorers Aufnahmen von der Rückkehr siegreicher Soldaten aus dem Westfeldzug, im Juli 1940 von Hamburgern jedes Alters begeistert empfangen (Seite 22–24), enthalten eine zweite Bedeutung: Verteilt über die Stadt lagen zahlreiche Kasernen, von denen aus Soldaten und Polizisten Teil des deutschen Eroberungskriegs wurden. 11


1 940

„ B LI T Z K R IE G “

Die Straßenbahn wirbt für ein deutsches Qualitätsprodukt – und Hamburger triumphieren auf dem Rathausmarkt mit dem Hitlergruß: Am 17. Juni 1940 bietet die französische Regierung Verhandlungen über einen Waffenstillstand an. schorer 20



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ER ST E A NG R I F F E

↑ Zerstörte Garagen am Winterhuder Marktplatz nach dem Angriff vom 8./9.9. 1940 schorer 32

→ Aus einem Haus am Wiesendamm in Winterhude wird nach demselben Angriff durch den Sicherheits- und Hilfsdienst Hausrat geborgen. schorer


1 94 0

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1 940

K riegsalltag

↑ Große Gaudi trotz Krieg: Blasmusik sorgt für Stimmung im Zillertal auf der Reeperbahn. schorer → 1943 mit Hans Albers im Film Grosse Freiheit Nr. 7 verewigt: die biertrinkenden Pferde im Hippodrom schorer 46


Kriegsalltag

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Angriffe

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← „Wenn die Sirenen ertönen, eilen die Bewohner, meistens Frauen und Kinder, durch die Ruinen zum nächsten Luftschutzbunker.“ (Originaltext von Hugo Schmidt-Luchs, 1944) schmidt-luchs ↑ Warten in der Nähe des Bunkers oberhalb der Landungs­brücken nach dem Tagesangriff vom 18.6. 1944 schmidt-luchs → Die Ruhe weg: zwei behütete Damen inmitten der Zerstörungen vom 18.6. 1944 schmidt-luchs 157


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Angriffe

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Beide Fotos vom 18.6. 1944 ← Die Hamburger suchen sich ihren Weg durch die Trümmer. Blick vom Gertrudenkirchhof zur Binnenalster schmidt-luchs

↑ 1944 wird nach den bereits zerstörten Kirchen St. Nikolai und St. Katharinen auch noch St. Jacobi zerstört – die Feuerwehr kann sie nicht retten. schmidt-luchs 165


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K riegsA lltag

←↓ Bus- und Straßenbahnersatzverkehr mit dem Lkw, Sommer 1944. Der Lkw mit der Aufschrift AKE gehörte zum „Amt für kriegswichtigen Einsatz“, das der Bau­ verwaltung unterstand. schmidt-luchs → Im Herbst 1944 werden Frauen zur Straßenbahnfahrerin ausgebildet. Am Wagen warnt ein Schild „pst!“ – der Feind hört mit. schmidt-luchs

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1 944

Hitler Ju gen d

↑ Der NS-Staat opfert die Jugend: Appell von Kriegsfreiwilligen der HJ vor dem Rathaus Altona, 12.8. 1944 schmidt-luchs ← Hitlerjugend auf einem Wohnschiff der Kriegsmarine im Hafen, September 1944 schmidt-luchs → Mit Pauken und Trompeten – HJ-Appell auf dem LübeckerTor-Feld (Hohenfelde) im Februar 1944 schmidt-luchs 170


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Prov isorien

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←← Herrenfriseur im Rest eines Hauses, 1947 scheerer ↙ Alter Lkw als Geschäft für Lederwaren, 1947 beutler ← Tempo-Dreirad mit Holzgastank, 1945 schmidt-luchs ↓ Neubau einer Tankstelle, 1946/47 schorer

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1 946

K u lt u r

↑ Bühne wieder frei: Aufführung der Drei­ groschenoper von Bertolt Brecht im Saal der „Hamburger Sparcasse von 1827“, 1946 andres → Helmut Käutner bei den Dreharbeiten zu In jenen Tagen, November 1946 andres

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→→ Jahrmarkt auf der Reeper­bahn, 1946/47 startet dann der Sommerdom auf dem Hei­ ligengeistfeld (zunächst als „Hummelfest“). o ’ swald-ruperti


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1 946/47

Hu nger w inter

↑ Zwei ehemalige Offiziere der Wehrmacht im Bunker auf der Reeperbahn, der jetzt als Not­ unterkunft diente (siehe Seite 106 –108) o ’ swald-ruperti 230

→ Fünf von acht Kindern einer Flüchtlingsfamilie im Notquartier. Die Eltern sind krank, die anderen drei Kinder zum Aufwärmen in einer Bäckerei. o ’ swald-ruperti


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Hunger winter

← Alltag in der Schlange: Warten vor einem ausgebombten Kontorhaus o ’ swald-ruperti

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↑ Nach dem Hungerwinter: Schlange vor einer Konditorei im Blankeneser Treppenviertel o ’ swald-ruperti 241


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F r ü hling

↖ Hof auf St. Pauli scheerer ↑ Spielen mit einem Bündel alter Banknoten scheerer ← Kindergartengruppe auf einem Ausflug mit der Straßenbahn scheerer → Rot-Kreuz-Kindergarten unterwegs scheerer 246


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unten

unten

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St. Pauli

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← Frühjahr 1947: St. Pauli putzt sich heraus. scheerer ↑ Man vergnügt sich wieder. Aber auch im Nachtfalter in der Großen Freiheit gilt „Out of bounds“ für Alliierte. scheerer ↗→ Prostitution in der Herbertstraße scheerer 251


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K riegsversehrte

↑ Seit dem Krieg ein alltägliches Bild – versehrte Männer, wie hier auf dem Jungfernstieg scheerer ← Kriegsblinder in der Innenstadt scheerer → Mann mit Fußprothesen am Mönckebergbrunnen – und Max Schmeling boxt wieder. scheerer 252


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Handel

↖↑ Kohlenhof und Farbenhandlung in St. Pauli scheerer ← Fensterputz an einem Delika­ tessengeschäft mit noch schmalem Angebot scheerer → Neuer Glanz zwischen alten Trümmern: Schuhputzer in der Innenstadt scheerer 256


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S u c h dienst


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← 1945 begann in Flensburg der Aufbau einer Kartei, die Flüchtlinge und Vermisste verzeichnete. Bald darauf zog die Einrichtung als „Suchdienst“ des Deutschen Roten Kreuzes nach Hamburg um (und 1950 nach München). Viele durch Krieg und Flucht zerrissene Familien konnten durch den Suchdienst wieder zusammengeführt werden – oder Sterbeumstände und -orte von Angehörigen geklärt werden. scheerer → Der Posteingang eines Tages scheerer ↓ Bearbeitung von Suchanfragen scheerer

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K neipen

↑→ Kneipen im Frühjahr 1949 – mit heimischen Bieren im Ausschank: Gaststätte Bunte Kuh an der Ecke Reeperbahn/Silbersackstraße und an der später neu bebauten Ecke Dovenfleet/Gerckenstwiete lüden →→ Bier geht immer – und gibt es immer: Bierkutscher der HolstenBrauerei, 1947. scheerer 276


1 94 9

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F l u ghafen

Ein sonniger Tag, auf der Terrasse des Flughafen-Restaurants sind alle Tische besetzt: Nicht zuletzt 체ber seinen Flughafen ist Hamburg wieder mit der Welt verbunden. 1947/48 wurden die Landebahnen ausgebaut, 1948/49 war der Flughafen Teil der Berliner Luftbr체cke. Den zivilen Luftverkehr betrieben bis 1955 nur ausl채ndische Gesellschaften wie die British European Airways (BEA) und die Scandinavian Airlines System (SAS). Die Lufthansa nahm den Betrieb erst 1955 wieder auf. l체den 286



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