Johanna Binder – Einzelkatalog

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Formales Territorial

Johanna Binder



Formales Territorial . Johanna Binder


Von hier aus: Malerei Gedanken zu den Arbeiten von Johanna Binder von Hannah Bruckm端ller


Es geht heute nicht um die Wahrheit in der Malerei, sondern um die Realität der Malerei. Josef Németh*

Der monochrome Farbüberzug hat begonnen, sich abzulösen: In der rechten oberen Ecke ist die Leinwand schon sichtbar, nur ein kleiner Streifen Farbe haftet immer noch am äußersten Rand. Die gelbe Acrylfarbe hat sich einem dünnen Schleier gleich nach unten fallen lassen, wie ein zur Seite gezogener Vorhang hat sie den Blick auf ihr Dahinter freigegeben. Auch an anderen Stellen lassen kleine Löcher und feine Risse die vormals bemalte Leinwand in Erscheinung treten. Ein widerständiger Fleck erzeugt einen Faltenwurf, der Loslösungsprozess bricht ab. Die grüne Farbe allerdings ist vollkommen von der Leinwand gerutscht: Gerade so, als ob das Bild entleert worden wäre. Die Farbe scheint wie ein Stück Stoff zu Boden gefallen und dort drapiert worden zu sein. An der Wand verbleibt die beinahe unverbrämte Leinwand, auf der nur noch ein schmaler Streifen jener Acrylfarbe sichtbar ist, die den Träger vormals in monochromes Grün gehüllt hatte. Und schließlich die völlige Ablösung: Farbe, die als eigenständiges Ganzes sorgfältig an die Wand gehängt wurde. Die konkrete Form der sichtlich fragilen Haut wird ausschließlich von der Gesetzmäßigkeit der Schwerkraft bestimmt. Die Installation besteht aus insgesamt acht Teilen, die verschiedene Stadien der Beziehung von Farbe und Träger nachzeichnen und diese damit in den Blickpunkt rücken. Johanna Binder begreift Farbe als eines von drei Prinzipien der Malerei, die zu ergründen sie sich aufgemacht hat. Durch die Extraktion seiner einzelnen Bestandteile sucht die Künstlerin dem Medium Malerei auf die Spur zu kommen. Dies verlangt eine konsequente Auflösung des Abhängigkeitsverhältnisses von Farbe und Träger. Die Farbe, entbunden von ihrer Darstellungsfunktion, wird * Gerhard Dirmoser: Josef Németh. Werkanalyse als Katalogergänzung, Linz 2005, S. 23.


als Wesenszug der Malerei anerkannt und selbstständig. Die Künstlerin spricht in diesem Zusammenhang von der „Befreiung der Farbe“: Johanna Binder möchte nichts darstellen, keine Geschichten erzählen oder gar illustrieren. Ihre Werke widmen sich voll und ganz der Malerei als solcher. Thema und Darstellungsmethoden werden ineinander gefaltet und zusammengeführt. Malerei ist Gegenstand, Inhalt und Medium zugleich. Der erste Blick entdeckt ein Monochrom in Weiß- und Grautönen. Doch die haptische Struktur der Oberfläche lässt Zweifel aufkommen: Die Leinwand entpuppt sich als Gipsguss, Lufteinschlüsse ziehen kleine Kreise, die verschiedenen Farbabstufungen sind auf unterschiedliche Trocknungsphasen zurückzuführen. Die ungewöhnlich große Distanz zur Wand führt den Blick in die Schräge und erkennt immer deutlicher ein Objekt – den Abguss eines Keilrahmens. Das Werk ist Teil einer Serie, in der Johanna Binder Keilrahmen mit unterschiedlichen Stoffbespannungen abgegossen hat. Die spezifische Materialität des Gewebes prägt sich direkt in die Gipsoberfläche ein – das Tuch wird zum Abbild, der Rahmen formbestimmend. Als Grundvoraussetzung der Malerei wird der tragende Grund nun vor den Vorhang geholt: Thematisch wird das, was trägt. Johanna Binder definiert damit den Bildträger als eigenständiges Objekt, vollkommen befreit von seiner funktionalen Bestimmung. Der Malerei auf der Spur zu sein, bedeutet somit auch die stringente Hinterfragung, Auflösung und Umkehrung formaler Verbindlichkeiten: Mit dem Bildträger wird eine weitere Stütze der Malerei für autonom erklärt. Die weißen Leinwände sind versetzt übereinander gestapelt. Durch ihre unterschiedlichen Formate entstehen verschiedene Ebenen und Einblicke. Einem Nimbus gleich wird jede Leinwand von farbigem Licht umfangen, das sie offensichtlich selbst ausstrahlt. Der Begriff der Aura kommt einem in den Sinn. Mit dem Licht ist die angekündigte Trias, auf der Johanna Binder ihre Malerei konzipiert, komplett. Wieder setzt die Künstlerin beim Unbeachteten an, sie rückt das Selbstverständliche in den Mittelpunkt. Wie schon Farbe und Bildträger wird auch das Licht aus den vermeintlich starren Verbindlichkeiten der Malerei losgelöst und selbst thematisch. In diesem Fall erfolgt sogar eine sprichwörtliche Quadratur des Kreises:


Die Emanzipation des Lichts leistet die Bildrückseite, die mit Neonfarbe bemalt wurde. Deren Reflexion trifft auf den jeweiligen Hintergrund, durch die Brechung wird die unbemalte Vorderseite durch den Widerschein ihrer Rückseite umstrahlt und gleichzeitig von dem jeweils davorliegenden Bildträger wiederum in farbiges Licht getaucht. Kategorien wie vorne oder hinten werden radikal in Frage gestellt, ihre Gesetzmäßigkeit nicht nur angezweifelt, sondern sogar verkehrt. In den Arbeiten von Johanna Binder wird Malerei nicht als Gesetztes aufgefasst, sondern vielmehr als polyvalentes Faszinosum verstanden. Leger ist der verstrebte Holzrahmen an die Wand gelehnt. Ohne aufgespannte Leinwand, gewissermaßen unbekleidet – man könnte meinen, es handle sich um ein Fensterkreuz. Die Farbe, die ihren rechtmäßigen Platz wohl auf der Leinwand hätte, ist auf Wand und Boden aufgetragen, exakt den Ausmaßen des Rahmens entsprechend. Es wirkt, als wäre das Monochrom durch das Fehlen des üblichen Trägermaterials auf die Wand ausgewichen. Doch die Leinwand erweist sich als erstaunlich entbehrlich, ihr Fehlen erzeugt einen überraschenden Spiegeleffekt: Ausgerechnet das sonst verborgene, unsichtbare Grundgerüst generiert nun Sichtbares und zeichnet seinen Schatten auf die rosarote Farbfläche. Durch das Auseinanderklappen von Farbe und Holzträger sowie das Entfernen der Leinwand spannt sich das Bild in die Dreidimensionalität auf, nimmt skulpturalen Charakter an – und bleibt dabei dennoch stets der Malerei verpflichtet. Johanna Binder möchte sich als Malerin verstanden wissen: Die Malerei selbst – und nichts anderes – ist für sie stets Ausgangspunkt und Ursache. Mit Präzision und Sensibilität spürt Johanna Binder in ihren Arbeiten dem Wesen der Malerei nach. Ihr Werk zeichnet sich durch einen unbeirrten, überzeugten und doch pointierten Zugang zur Malerei aus. Johanna Binder verfolgt ein Konzept von Malerei, das sich, befreit von apokalyptischen Szenarien, wieder auf die Suche nach seinem Sein gemacht hat. Jedes Werk könnte in diesem Sinne als Versatzstück einer Ontologie der Malerei gelesen werden. Die Arbeiten von Johanna Binder sind Zeugnisse dafür, wie Malerei heute gedacht werden kann und was Malerei heute sein kann. Die Künstlerin ist unterwegs zur Malerei: Sie erkundet mit ihren Arbeiten formales Territorial, analysiert strukturelle Zusammenhänge und entdeckt mediale Spezifika. Die Malerei selbst bleibt dabei stets Ursprung und Horizont zugleich.



Ohne Titel (gelb) . 80 x 100 cm . Acryl auf Leinwand . 2013


Ohne Titel (magenta) . 50 x 10 x 5 cm . Acrylfarbe . 2013




Ohne Titel (gr端n) . 100 x 80 und 72 x 51 x 4,5 cm . Acrylfarbe, Leinwand . 2013


Installationsansicht Vienna Calling . HDLU Zagreb



5459 Punkte . 120 x 100 x 4,5 cm . Acryl auf Leinwand . 2013


21471 Punkte . 120 x 100 x 4,5 cm . Acryl auf Leinwand . 2013


1 Punkt . 35 x 30 cm . Acryl auf Leinwand . 2013


64493 Punkte . 29,7 x 21 cm . Filzstift auf Papier . 2012



Leinwand VI . 100 x 120 x 6 cm . Acrylharz, Glasfaser, Stahl . 2013



Ohne Titel . 52,5 x 46 x 9 cm . Acryl auf Leinwand . 2012


293 Striche . 29,7 x 21 cm . Filzstift auf Papier . 2012


326 Striche . 29,7 x 21 cm . Filzstift auf Papier . 2012



Hintermholz 2 . 160 x 120 x 58 cm . Acryl auf Wand und Boden, Holzrahmen . 2014


87 Minuten . 70 x 50 cm . 1 ganzer Copic Marker auf Papier . 2014


132 Minuten . 70 x 50 cm . 1 ganzer Edding auf Papier . 2014


176 Minuten . 70 x 50 cm . 1 ganzer Bleistift auf Papier . 2014


918 Minuten . 70 x 50 cm . 1 ganzer Graphit-Stift auf Papier . 2014



ABC Raum . 40 x 30 x 4,5 cm . Gips . 2014



Ohne Titel . 21 x 30 cm . Acryl auf Leinwand . 2012


Johanna Binder 1985 Geboren in Salzburg 2006–07 Studium Malerei, Klasse Ursula Hübner, Kunstuniversität Linz 2007–09 Studium Malerei, Animationsfilm und Tapisserie, Klasse Christian Attersee, Universität für angewandte Kunst Wien 2009 Studium Malerei, Animationsfilm und Tapisserie, Klasse Judith Eisler, Universität für angewandte Kunst Wien 2011 Studium Transarts, Universität für angewandte Kunst Wien 2012 Studium Freie Kunst, Klasse Suchan Kinoshita, Kunstakademie Münster 2013 Diplom Universität für angewandte Kunst Wien

Ausstellungen (Auswahl) 2014 Inter Spaces, Studio Tommaseo, Triest/Italien Papier 1, Galerie im Traklhaus, Salzburg Papier 1, Atelierhaus Salzamt, Linz 2013 Das Exponential, Ausarten, Wien Vienna Calling, HDLU, Zagreb/Kroatien Grenzüberschreitend, Künstlerforum, Bonn/Deutschland 26.930/1 Bild im CafeCult, Kunstverein, Salzburg (solo) Tragflächen, Herminengasse 1, Wien (solo) The Essence, Künstlerhaus, Wien 26.930 und unendliche viele, Universität für angewandte Kunst, Wien (solo) Aufstellung, Skulpturinstitut, Wien Animate it!, Tricky Women Festival/KRO ART contemporary, Wien #1, Landesateliers Salzburg To rank first among similar paintings, die Ausstellungssstrasse, Wien A7, Hafentor 7, Hamburg/Deutschland Jeune Création Européenne Biennal, Museu Amadeo de Souza Cardoso, Amarante/Portugal


2012 Jeune Création Européenne Biennal, Galerie im Traklhaus, Salzburg Jeune Création Européenne Biennal, Bratislava City Gallery/Slowakei The Essence, Künstlerhaus, Wien Situaktion, Krinzinger Projekte, Wien Werkschau, AUSARTEN[], Wien (solo) Jeune Création Européenne Biennal, Kunsthaus Hamburg/Deutschland Jeune Création Européenne Biennal, Klaipeda Exhibition Hall/Litauen Räumung, Artspace Palais Kabelwerk, Wien AN:Ordnungen, Liquid Loft Studios, Wien Jeune Création Européenne Biennal, M21 Gallery, Pécs/Ungarn 2011 METAmART, Künstlerhaus, Wien Young Art lounge, Zürcher Kantonalbank, Wien Jeune Création Européenne Biennal, La Fabrique, Paris/Frankreich Zum wilden Schnauzer, Showroom Generalicenter, Wien (solo) 2010 To approach, Lichthof der Universität für angewandte Kunst, Wien Fear, Galerie Hrobsky, Wien Is there a transformation? Kunstraum Praterstrasse 15, Wien Stipendien/Preise 2015 Auslandsatelierstipendium, citè des arts, Paris, Land Salzburg 2014 Anerkennungspreis roter Teppich für junge Kunst, Wien 2014 Young european artist trieste contemporanea award, Triest/Italien 2014 Auslandsatelierstipendium VCCA, Virginia, USA, Stadt Salzburg 2013 Internationaler Künstleraustausch/Künstlerforum Bonn, Kunsthilfe Salzburg 2013 Atelierprogramm, das weisse Haus, Wien Seit 2013 Atelierstipendium Landesateliers Salzurg, Land Salzburg 2012 Arbeitsstipendium Kulturfond Stadt Salzburg 2012 Auslandsatelierstipendium, Paliano bei Rom, Land Salzburg 2011 Stipendium internationale Sommerakademie Salzburg


Impressum Der Katalog erscheint anlässlich der Ausstellung Papier 1 – Salzburg/Linz in der Galerie im Traklhaus, Salzburg und im Atelierhaus Salzamt, Linz. 10.4.– 17.5.2014 Galerie im Traklhaus Waagplatz 1a 5020 Salzburg www.traklhaus.at 29.5.– 11.7.2014 Atelierhaus Salzamt Linz Obere Donaulände 15 4020 Linz www.salzamt-linz.at Herausgeber: Galerie im Traklhaus Konzept und Gestaltung: Johanna Binder, Karin Welponer Text: Hannah Bruckmüller Fotos: Johanna Binder, Uwe Hauenfels, Josef Schauer-Schmidinger, Rudolf Strobl Abbildung auf dem Einband: 1 Punkt . 35 x 30 cm . Acryl auf Leinwand . 2013 Layout: Karin Welponer . www.diekarin.com Druck: Druckerei Roser ISBN 978-3-9503727-5-5 Salzburg 2014 © bei den Autoren und Fotografen Der Druck dieser Publikation wurde gefördert durch: Galerie im Traklhaus, Salzburg und Atelierhaus Salzamt, Linz

www.johannabinder.at



ISBN 978-3-9503727-5-5


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