Zeitungen: Aktuelle Einblicke

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Uni&Job DEFGH

| Wissen, wie man weiterkommt | 17. Oktober 2009

Kakteenfächer Warum Mediziner und Juristen keinen Bachelor wollen Packeis und Pinguin Uli belauscht in der Antarktis Atomversuche Tradition verpflichtet In Princeton studiert der Club der groĂ&#x;en Lichter Der kleine Unterschied Wie man seine Bewerbung gekonnt aufpeppt Wir bleiben treu Welche Unternehmen trotz Krise junge Talente einstellen


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denken Warum in Deutschland vor allem Kinder von Akademikern studieren und welche langfristigen Konsequenzen das für die Wirtschaft hat.

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Kakteenfächer. Noch immer fahren Juristen, Mediziner, Lehrer und Theologen die Stacheln aus, wenn es um Bachelor und Master geht.

Tiger und Nobelpreisträger. Ein Heidelberger Student hat in Princeton gelernt, worüber die Elite spricht und was Arbeiten heißt.

Fotos: ddp, oh (2), dpa (2); Illu: Dimitrov

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Was gehört in den Lebenslauf? Wie erweckt ein Anschreiben Interesse? Ein Seminar will zeigen, wie Bewerber überzeugend auftreten.

Gestern riss man sich um gute Absolventen. Heute müssen Bewerber selbst aktiv werden – aber die Chancen stehen nicht schlecht.

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16 reisen

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Freiheitsstatue: Uni-Präsident John Witherspoon unterschrieb 1776 die Unabhängigkeitserklärung der USA. Der neugotische Spitzbogen gehört zum Rockefeller College, einst Filmset für „A Beautiful Mind“. Daneben steht Jan Thomas Otte vor seinem Studentenwohnheim. Ist das unten in der Mitte Hogwarts? Nein: Es ist die Dining Hall des Rockefeller Colleges, in dem man sich zum Essen trifft und Schwedisch oder Lateinisch spricht. Der Tiger ist das Maskottchen der Uni. Fotos: privat

Der Club der großen Lichter Jan Thomas Otte ging letztes Jahr nach Princeton, um Wirtschaftsethik zu studieren. Er traf dort einen Nobelpreisträger, erlebte die Obama-Wahl und sonnte sich in dem Gefühl, zur Elite zu gehören. Und er lernte, lernte, lernte. Sein Tagebuch 28. August. Das Stipendium ist bewilligt, das Visum ist da. Es kann losgehen. Ich sitze im Flieger nach Princeton, auf dem Weg zu einer der angesehensten Unis der Welt. Ich habe schon sechs Semester Theologie an der Heidelberger Uni hinter mir und zwei Semester BWL im Fernstudium. Dazu passend will ich jetzt mit Wirtschaftsethik weitermachen. Wie die Studenten und die Professoren wohl sein werden? Ich bin ein bisschen nervös. 2. September. Der Princeton-Campus ist so, wie ich ihn aus amerikanischen Collegefilmen kenne: neugotische Gebäude mit Treppchen und Türmchen. Beeindruckend. Auf dem Green flanieren Studenten, mit orangefarbenem Princeton-Logo auf dem Poloshirt. 10. September. Die erste Uni-Woche hat begonnen. Ich surfe im „Blackboard“, dem hochschulinternen Netz, wo die Professoren unzählige Arbeits-

Princeton. Die kleine Stadt an der Ostküste der USA ist die Heimat der viertältesten amerikanischen Universität. Die Princeton University, 1746 gegründet, steht unter privater Verwaltung und galt – zumindest bis zum Börsencrash – mit einem Kapitalstock von mehr als zehn Milliarden Dollar als eine der reichsten Unis der Welt. Thomas Mann hat hier doziert, Michelle Obama hat hier studiert – Superlative über Superlative.

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materialien und Literaturhinweise hinterlegt haben. Das alles sollen wir lesen! Ein bisschen „too much“, stöhnt Kommilitone Jeremy auf dem Flur unseres „Dorms“. Hier im Studentenwohnheim habe ich ein Zimmer mit Gemeinschaftsbad. Die Küche ist spartanisch eingerich-

Um mein Pensum zu schaffen, stehe ich schon um vier oder fünf Uhr auf tet. Gegessen wird aber ohnehin nur in der Mensa. Kostet zusammen etwa 1500 Dollar pro Monat. Eigentlich ist es einfach, Leute kennenzulernen. Denn es wird viel vom „Campus & Life“-Komitee dafür getan. Nur hocken viele Studis schon zu Semesterbeginn mehr hinterm Schreibtisch als mit Freunden zusammen. Getroffen habe ich trotzdem einige – zum Beispiel in der Mensa beim Schwedisch-Stammtisch. Denn in Princeton

Shanghai-Ranking 1

Harvard University

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Stanford University

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Univ. of California, Berkeley

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University of Cambridge

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Massachusetts Inst. of Techn.

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California Inst. of Technology

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Columbia University

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Princeton University

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University of Chicago

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University of Oxford SZ-Graphik: Kapitany; Quelle: Jiaotong Universität-Shanghai

wird wirklich jede Minute in Lernen umgesetzt. Auch beim Essen. In der Freizeit, beim Biertrinken in einer der Kneipen am Campus, wird über alles und nichts geredet, locker, oberflächlich. Besonders beliebte Themen: Rudern in der „Ivy-League“, Elite-Rankings oder die besten „Eating-Clubs“, eine Art studentische Verbindungen. Persönliches spielt kaum eine Rolle. 25. September. Das erste Heimweh ist verflogen. Ich belege vier Seminare pro Semester. Das sind zehn Stunden pro Woche. Hört sich wenig an, aber für die paar Seminare muss ich ungewohnt viel büffeln. Die Klassen in Princeton sind klein, aber der Anspruch ist groß. Keiner will sich vor den zehn, zwölf Mitstudenten und seinem Dozenten blamieren. Im Unterschied zu Heidelberg sind die Profs zwar viel lockerer und immer freundlich. Zugleich fordern sie aber auch mehr Engagement, Extra-Referate zum Beispiel. Pro Semester schreiben

Top Ten. Die Princeton University belegt im weltweiten Shanghai-Hochschulranking Platz acht. Das Ranking berücksichtigt etwa, wie viele Nobelpreisträger an einer Uni lehren. Unter den besten 20 finden sich nur drei nicht-amerikanische Unis: neben Cambridge (Platz 4) und Oxford (Platz 10) noch Tokio (Platz 19). Die beste deutsche Hochschule belegt Platz 55 – die Ludwig-Maximilians-Universität München, gefolgt von der Technischen Universität München.

Geisteswissenschaftler hier etwa 150 Seiten Essays. Die Themen dürfen gerne interdisziplinär sein. Super! Zum Glück kann ich bis Mitternacht in der Bibliothek arbeiten, in einem der schicken Ledersessel. Um mein Pensum zu schaffen, stehe ich schon um vier oder fünf wieder auf. Und schreibe über den Sinn von Managergehältern nach John Rawls Gerechtigkeitstheorie. Oder über „Die glaubensfreundliche Firma. Berufung christlicher Unternehmer in der Wirtschaft“. 13. Oktober. Aufruhr auf dem Campus. Star-Ökonom Paul Krugmann lädt zum Sektempfang. Der Wirtschaftsdenker hat den Nobelpreis bekommen. Ich lasse meine Vorlesung sausen, um wie die anderen Gäste im überfüllten Auditorium Maximum zu applaudieren. 4. November. Heute gehen meine Kommilitonen zur Wahl. Abends klopft jemand an meine Tür: „Obama hat jetzt 53 Prozent der Stimmen“. Die Mehrheit

Ivy League. In der Efeuliga spielen Sportmannschaften der acht ältesten amerikanischen Ostküsten-Unis. Der Ausdruck wird allerdings meist synonym verwendet für die Elite-Unis selbst: Harvard, Yale, Columbia, Princeton, Brown, Cornell, Pennsylvania und Dartmouth. Wenn die Upperclassies nicht sporteln, essen sie: in Eating Clubs. Das sind exklusive Vereinigungen, die in sehr schönen, alten Häusern dinieren, parlieren und Netzwerke fürs Leben knüpfen.

Türöffner. Wer in Princeton studieren will, muss gute Noten und Geld haben und einen harten Auswahlprozess überstehen – mit Tests, Essays, Nachweisen von sozialem Engagement, Empfehlungen von Lehrern. Die Studienkosten belaufen sich auf fast 50 000 Dollar im Jahr. Allerdings kann man Stipendien bekommen – für sportlich herausragende Leistungen gibt es jedoch keine finanzielle Unterstützung, wie das an anderen amerikanischen Unis üblich ist.


Uni&Job auf dem Campus in Princeton war fĂźr Obama. Dabei ist Princeton die konservativste unter den Ivy League-Unis. Harvard und Yale haben liberaler gewählt. 15. November. Es braucht wirklich Zeit, bis man sich an die Lerngepflogenheiten hier gewĂśhnt. Alles muss hyperschnell gehen: Lernen, Denken, Schreiben, Reden. Ohne RĂźcksicht auf die Gesundheit? Fast. Meine ersten Kilos zu viel stehen auf der Waage, weil ich zu wenig Zeit habe, um Sport zu treiben. Wenigstens halten sich die vielen EichhĂśrnchen, die ich von meinem Schreibtisch aus beobachte, ausreichend in Form. Sie hĂźpfen stundenlang vergnĂźgt um die Wette. Die Bäume haben schon ihre rotgelben Blätter des Indian Summers abgeworfen. Zu viel Natur? Nun ja. Princeton ist eben keine GroĂ&#x;stadt. Wer hier herkommt, will lernen. Da kommt Ablenkung nicht so gut an. Nach New York werde ich trotzdem noch fahren.

reisen 17 Es folgt der Marsch der Absolventen durch die mit 2000 Menschen besetzte Fest-Kathedrale. Die Orgelpfeifen drĂśhnen. „Sie sind etwas ganz Besonderes“, versichern die Redner den stolzen Absolventen. Ein erhebendes GefĂźhl am Ende der Strapazen. In Robe und Hut schreiten sie zwischen blĂźhenden Magnolien ein letztes Mal Ăźber den Campus. Mein Examen in Heidelberg wird schlichter ausfallen. Morgen fliege ich nach Hause. Schade. Aber ich bin auch froh, wieder herunterzukommen von der Geschwindigkeit, die hier herrscht.

Indian Summer vor dem Eingang zur Campus-Kapelle – mit Ottes Lieblingsbank.

6. Dezember. Bin mit der „Dinky“, die Bahn, die eine Stunde und 15 Minuten bis Penn Station braucht, nach New York gefahren. SchĂśn finde ich den „Big Apple“ nicht. Eher laut und stinkig. Im Gedächtnis geblieben sind mir die Chagall-Bilder im Metropolitan Museum und Break-Dancer im Central Park.

Schwitzen im T-Shirt, frieren im Pullover – die Klimaanlage ist wohl so alt wie die Uni 9. Februar. Der Februar ist auch in New Jersey ziemlich ätzend. Grauer Himmel und immer wieder Temperaturen um minus 20 Grad. Im Wohnheim schwitze ich trotz Minimalbekleidung oder friere, obwohl ich meinen dicksten Pulli anhabe. Die Klimaanlage scheint so alt zu sein wie Princeton selbst. Irritiert bin ich auch Ăźber die 24-Stunden-Beleuchtung auf dem Weg zum Bad. Wenn ich mit meinen Kommilitonen darĂźber spreche, bin ich schnell der Ă–ko-Mann aus Deutschland. FĂźr sie gilt: „Security first“. 15. März. Nun sind sechs von neun Monaten vorbei. Ich habe in dieser Zeit so viel gelesen und geschrieben wie in meinem gesamten Heidelberger Studium, immer mit UnterstĂźtzung eines Professors. Diesen „Advisor“ konnte ich mir aussuchen. Er trifft sich regelmäĂ&#x;ig mit mir in der Mensa, um Ăźber Gott und die Welt zu reden. Mir fehlt es an Schlaf, mehr als vier Stunden Bettruhe pro Nacht sind weiterhin nicht drin. 20. Mai. Heute findet das Commencement statt, die Abschlussfeier. Wir Studenten sind total aufgedreht, groĂ&#x;er Promi-Auflauf: Ob UN-Generalsekretär oder Präsidenten-Gattin, in Princeton gehen sie ein und aus. „Keine DonaldDuck-Uni eben“, scherzt ein Besucher.

Lacrosse. Wer sich die MĂźhe macht und die Spielerfotos der Princeton Tigers anschaut, wird weiĂ&#x; sehen: Lacrosse ist der Sport der WASPS, der White-Anglo-Saxon-Protestanten-Elite. Ein lustiger Sport, bei dem zwei Mannschaften lächelnder All-American-Boys mit Hilfe seltsamer Schmetterlingsnetze (FĂźĂ&#x;e, wer tritt schon mit FĂźĂ&#x;en?) einen kleinen Ball ins gegnerische Tor befĂśrdern wollen. Dabei lächeln sie nicht mehr, erst hinterher wieder, beim Trinkgelage. (gĂśri)

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Lebensabend fern von Anatolien (Politreport, NZZ Online)

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http://www.nzz.ch/nachrichten/politreport/lebensabend_fern_von_anato...

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Donnerstag, 05. November 2009, 14:48:04 Uhr, NZZ Online

Nachrichten › Politreport 4. November 2009, 17:09, NZZ Online

Lebensabend fern von Anatolien Altenpflege von Migranten Sie kamen vor 40 Jahren als Gastarbeiter nach Europa. Jetzt sind sie alt geworden. Wenn Politiker über Migranten reden, dann geht es meist darum, sie in die Gesellschaft einzugliedern. Doch an ältere Menschen mit Migrationshintergrund denkt kaum jemand. Dabei wird die Gruppe älterer Migranten immer größer werden. Ein Besuch in einem der ersten Pflegeheime für türkische Rentner in Berlin-Kreuzberg.

Es ist bei zahlreichen Türken ein Tabu, im Altenheim zu leben. Zyia Bircan sieht das anders. Er hat den Schritt gewagt. (Bild: Jan Thomas Otte)

Jan Thomas Otte (politReport) Gemeinsam mit anderen Bewohnern sitzt Ziya Bircan im Wohnzimmer und schaut fern. Der Mann, Mitte sechzig, kam vor gut zwei Jahren in das Haus. Das war nach seinem Herzinfarkt. Seitdem gehört er zu den rund achtzig Menschen, die hier nach türkischen Bräuchen und Sitten im Alter leben. Er ist einer der ehemaligen Gastarbeiter, die in den Sechzigern aus der Türkei nach Europa gekommen sind, auf eigenen Wunsch, um hier gut bezahlte Arbeit zu bekommen. Über seine Erinnerungen an früher kann Ziya Bircan mit Yildiz Akgün sprechen. Sie ist Sozialarbeiterin im „Türk Bakim Evi“ und weiß, was die alten Menschen brauchen. Akgün erlebt, dass viele Familien mit ihren pflegebedürftigen Eltern überfordert sind. Doch es falle Angehörigen immer noch schwer, einen pflegebedürftigen Menschen ins Heim zu bringen, sagt sie. In Europa, so bestätigen die türkischen Verbände, ist das ein Tabu. Die Hälfte der Betten im Türkischen Pflegeheim ist noch frei. Deshalb geht Yildiz Akgün hinaus in die Moscheen, auch in der Schweiz. Sie zeigt ihre Powerpoint-Präsentation, spricht mit türkischen Familien über Probleme der heimischen Pflege. Die Hürde der Scham sei hier nicht leicht zu umgehen, sagt Akgün. Um Spannungen in der Familie zu vermeiden, würden viele Frauen die Pflege der Eltern meist doch komplett übernehmen. Frauen würden meist erst durch die Hochzeit nach Europa kommen: „Ein ganz normales Opfer“, sagt Akgün. Zuhause zwischen den Kulturen Weil das Leben in der Türkei dann lange zurückliegt, ist es den wenigsten möglich, später wieder zurück in die alte Heimat zu gehen. Viele sind irgendwo zwischen den Kulturen zuhause. Einen Sozialhilfeanspruch haben sie auch nicht. Die anfänglichen Vorbehalte in der Türkischen Gemeinde gegenüber dem Pflegeheim sind leiser geworden. Und im Heim arbeiten nur zweisprachige Mitarbeiter, alle von ihnen haben selbst türkische Verwandte. Neijla Kaba-Retzlaff, die Leiterin des Pflegeheims, überraschen die Vorurteile der rund 270.000 in Berlin lebenden Türken nicht. „Es liegt daran, dass wir die erste Einrichtung dieser Art sind. Deshalb wissen viele türkische Menschen von diesem Angebot nichts“, sagt die zierliche Frau im Hosenanzug und akkurat geschnittener Frisur. Ein weiterer Grund: Pflegebedürftige Menschen gibt es in den türkischen Familien zum ersten Mal. ihre Bewohner gehören zur ersten Generation türkischer Einwanderer: „Sie sind die Ersten von uns, die alt werden. Wir haben in Europa kaum Vorbilder“, sagt Kaba-Retzlaff. Harald Berghoff, Geschäftsführer des Pflegeheims, ist mir ihr ganz einer Meinung. „Man muss sehen, dass unsere Bewohner seit vierzig Jahren in Deutschland leben“, sagt er. In dieser Situation mit neuen Integrationskonzepten zu beginnen, das bringe nichts. Damit meint er auch die deutsche Innenpolitik. Eine Expansion dieses Modells ins Ausland halten sich die Betreiber des Pflegeheims offen. Deutschland komme bei der Integration der Zuwanderer voran, im Nachhinein. Die Integrationsministerin Maria Böhmer nennt es so: „Wenn sich 69 Prozent der Migranten in unserem Land wohl fühlen, ist das ein positives und mutmachendes Signal.“ Mit diesen Worten reagierte sie auf das Ergebnis einer repräsentativen Studie des Allensbach-

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Lebensabend fern von Anatolien (Politreport, NZZ Online)

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Instituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Trotzdem wurden die Themen Integration und Migration im Wahlkampf aller großen Parteien vernachlässigt. Ganz anders im türkischen Pflegeheim Berlin, an der Basis. Ein türkischer Koch bereitet das Essen zu, er verzichtet auf Schweinefleisch und Schweinefett, alle Lebensmittel sind koscher zubereitet. Und im Fastenmonat Ramadan werden die Mahlzeiten, so der Einzelne es wünscht, nach Sonnenuntergang serviert. „Aber selbstverständlich ist auch das Nutellabrötchen auf Wunsch realisierbar“, ergänzt Berghoff. Das Türk Bakim Evi wirkt weit in die türkische Gemeinschaft Europas hinein. Berghoff sieht Parallelen zu den Studentenprotesten vor vierzig Jahren: „Seitdem ist das nichts Schlimmes mehr, seine eigenen Eltern in professionelle Pflege zu geben“, sagt er. Kaum Kenntnis Über Sozialleistungen In Deutschland leben derzeit 1,764 Millionen Türken, davon haben bereits 95.000 das Rentenalter erreicht. Die Zahl der deutschen Staatsbürger türkischer Abstammung liegt bei rund 840 000. Insgesamt gibt es in der Bundesrepublik derzeit etwa 2,6 Millionen Menschen türkischer Abstammung. Der Bedarf an Pflegeeinrichtungen für türkische Senioren wird stark wachsen. Der Anteil der Türken im Alter über 60 Jahre hat sich in den zurückliegenden zehn Jahren von 52 200 auf 192 500 Personen fast vervierfacht. Sie sind mit 26 Prozent die größte Gruppe von Ausländern in Deutschland. Der Trend zur Auflösung der typisch türkischen Großfamilie ist erkennbar. Die meisten Familienmitglieder sind mittlerweile berufstätig und können ihre Angehörigen nicht mehr pflegen. Nach einer Prognose des Senators für Stadtentwicklung in Berlin über die Bevölkerungsentwicklung vom Jahr 2002 bis zum Jahr 2020 wird die Zahl der in Berlin lebenden Ausländer um etwa 75 000 wachsen. Wie viele Türken hierzulande in Pflegeeinrichtungen leben, darüber liegen keine Zahlen vor. Bezogen auf die Kommune Berlin gibt es folgende Zahlen: In 270 Berliner Pflegeeinrichtungen wurden 2003 nur 40 Türken betreut (ergänzende Zusatzerhebung der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales). Türkische Senioren und deren Angehörige sind über die eigenen rechtlich gesicherten Ansprüche an das deutsche Pflegeund Sozialversicherungssystem und über das Pflegeangebot wenig informiert. Zugangsbarrieren sind Verständigungsprobleme, aber auch Hemmungen vor deutschen Institutionen und Unsicherheiten über rechtliche Konsequenzen bezüglich der Sozialleistungen. Die Migranten nehmen die deutsche Regelversorgung nicht voll in Anspruch. Es zeichnet sich jedoch eine Zunahme bei der Nutzung von ambulanten türkischen Pflegediensten ab. Deutsche Anbieter haben bislang kein individuelles Angebot für Türken geschaffen und den Bedarf dieser potenziellen Klientel nicht berücksichtigt. Außer dem „Türk Bakim“ gibt es in Deutschland bislang keine rein türkischen Pflegeeinrichtungen und Pflegekonzepte. Seit dem Jahr 2000 arbeiten politische Gremien mit Altenpflege-Institutionen und Pflegeverbänden im Arbeitskreis „Charta für eine kultursensible Altenpflege“ und seit 2002 in der „Kampagne für kultursensible Altenhilfe“ zusammen. Hier wurde von den Beteiligten die Forderung nach einer „interkulturellen Öffnung“ der deutschen Pflegeeinrichtungen erhoben. Greifbare Ergebnisse bezogen auf die Integrationsbemühungen der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung sind jedoch bislang noch nicht erreicht worden.

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NETZEITUNG NZ NETZEITUNG | : Zur Komplet ins Internet

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Zur Komplet ins Internet 09. Nov 12:21

Aus Second Life haben sich viele Nutzer verabschiedet. Zu denen, die geblieben sind, gehört das katholische Erzbistum Freiburg mit seiner virtuellen St.-Georgs-Kirche. Sonntagsabends treffen sich hier die Gläubigen. Nicht zum Gottesdienst am Morgen, sondern zur Komplet um 22 Uhr, dem kirchlichen Abendgebet, treffen sie sich am Sonntag - und zwar im Internet. Kirchenglocken läuten keine, auch die Orgel spielt nicht. Aber es gibt eine Kirche mit Bänken und Altar. St.Georgs-Kirche in Second Life Screenshot: nz/kirche-in-virtuellenwelten.de

Ein Dutzend Menschen sprechen miteinander über Kopfhörer und Mikrofon. Manche hören nur zu, tippen auf der Computertastatur ihre Gebetsanliegen, bekreuzigen sich am Schreibtisch zu Hause. Seit einem Jahr lädt das katholische Erzbistum Freiburg in der zuletzt nicht mehr besonders gut besuchten Internetwelt von «Second Life» in die virtuelle St.-Georgs-Kirche ein. Die Betreiber der Online-Kirche bieten Seelsorge, Bibelarbeiten und Gebetsgemeinschaften an. Die Kirche St. Georg gibt es wirklich, und zwar auf der Insel Reichenau im Bodensee. Und dort haben sich die Internetchristen in diesem Herbst getroffen, zum ersten Mal im realen Leben und nicht virtuell. Angereist sind Menschen zwischen 30 und 50 Jahren. «Wir sind eine echte Kerngemeinde, eine Community», sagt Norbert Kebekus.

Acht bis 14 Nutzer an jedem Abend Zusammen mit sechs Ehrenamtlichen betreut er das Internetprojekt seit dem Start Anfang November 2008. Zwischen acht und 14 Nutzer loggen sich in den Abendstunden ein und besuchen St. Georg. Als Avatare, selbst gestaltete menschliche Computerfiguren, bewegen sie sich durch die virtuelle dreidimensionale Welt des «Second Life», die seit 2003 verfügbar ist. «Viele kommen aus der Region. Aber auch die Schweiz und Nordfriesland sind mit dabei», sagt Kebekus. Auch habe es schon manche US-Amerikaner in die Online-Kirche verschlagen, die «einfach mal neugierig» gewesen seien. Behinderte, die es körperlich nicht in die nächste Kirche schaffen, kämen ebenfalls gerne. Sakralbauten gibt es viele im Netz, so ist etwa die evangelische Berliner Marienkirche im Second Life nachgebaut. Im August 2008 war dort zwei Wochen lang ein Vikar als Avatar online. «Für eine längerfristige Arbeit fehlten uns einfach Geld und die nötigen Mitarbeiter», sagt Ralf Peter Reimann, damals Internet-Beauftragter für die Evangelische Kirche in Deutschland. Eine Kirche in virtuellen Welten hält er aber für sinnvoll und zeitgemäß: «Wir haben so Menschen erreicht, die sonst nicht den Weg zum Pfarrer in ihrer Offline-Welt gefunden hätten.» Keine Sakramente, keine Taufe Ein regelmäßiges Angebot wie das der virtuellen St.-Georgs-Kirche aber gab es noch nie im deutschsprachigen Raum. Der Bibelkreis trifft sich zweimal im Monat mittwochs, zweimal die Woche gibt es ein gemeinsames Abendgebet. «Wir wollen keine Konkurrenz zum Gottesdienst im echten Leben sein», sagt Kebekus. Der Seelsorger und sein Team sehen ihre Aufgabe darin, Angebote der Ortsgemeinden zu ergänzen. «Wir spenden keine Sakramente, auch kann ich keinen Avatar taufen». In der Online-Kirche treffen sich Gläubige und Suchende zwischen 20 und 72 Jahren. «Wir teilen unseren Glauben mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen», sagt der 50-jährige Kebekus. Er selbst hätte seinen Avatar gerne etwas älter gestaltet, aber «im Second Life gibt es leider keine Falten». Theologische Themenabende Ende 2010 will der Betreiber des Pilotprojekts «Kirche in virtuellen Welten», die Erzdiözese Freiburg, über ein längerfristiges Engagement entscheiden. Bis dahin möchte Kebekus das Grundstück im «Second Life» ausbauen, mit anderen Portalen vernetzen und manche technische Hürde seiner Besucher noch meistern. «Und wir sind offen für Ökumene», sagt er mit Blick auf das zentrale evangelische Internetportal «evangelisch.de» und das Profil der Evangelischen Landeskirche in Württemberg in «StudiVZ». Die virtuelle St.-Georgs-Kirche bietet auch theologische Themenabende an. Kürzlich ging es um «Himmel und Hölle». Über das Fegefeuer zu reden, das widerspreche doch dem Vorurteil, im Netz könne man nur seichtere Fragen beantworten, urteilt Kebekus. Er will dem Nächsten dienen, Zeugnis für Jesus Christus sein und die frohe Botschaft verkünden: «Wir sind nicht irgendein Kuschelklub im Netz.» (Jan Thomas Otte/epd)

MEHR IN DER NETZEITUNG Buch der Bücher nun als Buch nach Twitter-Art http://www.netzeitung.de/kultur/1492139.html Evangelisch.de ist online

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Dienstag, 17. Juni 2008

18 ■ Berlin *

Nachrichten Kinderschänder hatten noch mehr Opfer (dpa). Die mutmaßlichen Kinderschänder aus einer Kreuzberger Kneipe haben möglicherweise mehr Minderjährige missbraucht oder an Freier vermittelt als bislang angenommen. »Es haben sich weitere Jungen gemeldet«, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft, ohne Zahlen zu nennen. Ihre Aussagen würden nun geprüft. Zunächst waren die Ermittler von sieben bis acht Opfern ausgegangen. Ein 40-jähriger Kneipenbesitzer und ein 42 Jahre alter Komplize sollen die Jungen im Alter von 12 bis 17 in mehr als 50 Fällen missbraucht oder Freiern ausgeliefert haben. Auch diese Zahl könnte nun steigen. Die beiden inhaftierten Verdächtigen wollten sich bislang nicht zu den Vorwürfen äußern.

Erstes Windrad geht in Pankow in Betrieb (dpa). Berlins erstes Windrad wird an diesem Donnerstag seine Flügel in Pankow-Nord in den Wind drehen. Dazu kommt sogar Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD). Zusammen mit Umweltsenatorin Katrin Lompscher (LINKE) und Bezirksbürgermeister Matthias Köhne wird Gabriel die Windkraftanlage in Betrieb nehmen. Lompscher bezeichnete diese Premiere in Berlin als erfreuliches Signal. »Wenn auch in einer dicht besiedelten Metropole die Windkraft nur sehr bedingt nutzbar ist, so kann auch Berlin auf Wind als klimafreundlichen Energielieferanten nicht völlig verzichten«, betonte die Senatorin. Mit einer Leistung von 2000 Kilowattstunden wird die Anlage Strom für maximal 800 Haushalte jährlich produzieren. Bauherr der Windkraftanlage ist die Firma Neue Energie Berlin GmbH. Der Naturschutzbund (NABU) hatte das Bauvorhaben versucht zu verhindern.

Polizei-Nachrichten Zeugen gesucht Nach dem tödlichen Streit eines betrunkenen Jugendlichen mit einem Autofahrer in Pankow sucht die Polizei Zeugen des Vorfalls. Noch sei völlig unklar, wie es zu der Auseinandersetzung und zum Tod des 17-Jährigen kam, sagte eine Sprecherin gestern. Nach bisheriger Kenntnis standen am Freitagabend sechs betrunkene Jugendliche – darunter auch der 17Jährige – auf dem Angerweg und hinderten den 52-jährigen Autofahrer daran, weiterzufahren. Der 17-Jährige sprang auf das Trittbrett an der Fahrertür, hielt sich an der offenen Fensterscheibe fest und versuchte mehrmals, den Fahrer zu schlagen. Der 52-Jährige fuhr mit seinem Pritschenwagen einige Male an und bremste wieder, bis der Jugendliche absprang. Dabei erlitt dieser schwere Verletzungen, denen er in der Nacht zum Samstag im Krankenhaus erlag.

Kinder bei Unfall verletzt Zwei sieben Jahre alte Kinder sind am Sonntagabend beim Zusammenprall mit einem Auto in Schöneberg verletzt worden. Ein 58 Jahre alter Autofahrer hatte die beiden Kinder beim Abbiegen in der Yorckstraße übersehen und sie mit seinem Auto erfasst. Ein sieben Jahre alter Junge konnte nach ambulanter Behandlung aus dem Krankenhaus entlassen werden, das gleichaltrige Mädchen blieb dort zur stationären Behandlung.

Betrunkener strandete Ein betrunkener Motorbootfahrer ist am Sonntagnachmittag mit seinem Boot auf einer Sandbank im Tegeler See gestrandet. Als ihn die Wasserschutzpolizei aus seiner misslichen Situation rettete, lief der Motor des Bootes noch auf vollen Touren. Der 24-Jährige wies einen Alkoholgehalt im Blut von 1,68 Promille auf.

Park für den Wannsee des Nordens

Bezirksumschau KREUZBERG

Grünanlage zwischen Ober- und Orankesee in Alt-Hohenschönhausen wird van der Rohe gewidmet Von Steffi Bey Das idyllische Viertel zwischen Ober- und Orankesee in Alt-Hohenschönhausen soll eine neue Identität bekommen. Geplant ist die Umgestaltung der Grünanlage zum »Mies van der Rohe Park« und der Bau des »Mies Forum Berlin«. Der Förderverein Ober- und Orankesee erarbeitete dazu ein Konzept. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Menschen für ihren Kiez stark machen. Dass sie aber zehn Millionen Euro für ihr Viertel zusammenbekommen wollen und auch im Ausland nach Sponsoren suchen, ist schon etwas Besonderes. Genau das hat der vor zweieinhalb Jahren gegründete Förderverein vor. »Wir wollen einen Anziehungspunkt für uns und Berlin-Besucher schaffen«, sagt Karin Düngel vom Vorstand. Der Philosophie des bekannten Architekten Ludwig Mies van der Rohe entsprechend, wollen sie »Natur, Häuser und Menschen in einer höheren Einheit zusammenbringen«. Entstanden ist das Einfamilienhaus-Viertel nördlich der KonradWolf-Straße zwischen 1870 und 1925. Als »Wannsee des Nordens« wurde das Areal in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts auch gern bezeichnet. »Doch das Gelände kam nie zur Ruhe, konnte sich deshalb auch nicht auf der Grundlage eines längerfristigen Konzeptes entwickeln«, erklärt die Vereinssprecherin. Historisch diente es laut Verein unter anderem als »Bulgarenlager«, »Militär-

(ND). Seit dem Wochenende ist eine Grünfläche am Rand des Mariannenplatzes besetzt. Die Besetzer wollen laut einer Erklärung den Platz »zum Leben, als interkulturellen Garten, als Ort politischer und sozialer Veranstaltungen sowie nichtkommerzieller Kultur allen Nachbarn und interessierten Menschen« zugänglich machen. Die Aktivisten wehren sich gegen Planungen des Bezirks, Büsche, Sträucher und Wiese zu beseitigen und einen offenen Baumhain anzulegen.

LICHTERFELDE-SÜD Am Ufer das Mies-van-der Rohe-Haus städtchen« und »Stasi-Quartier«. Ab 2005 beginne die Aufbauphase, so Karin Düngel. Waren es anfangs gerade einmal zehn Mitglieder, gehören inzwischen 80 Interessierte dazu. Auch Prominente sind dabei, wie Lothar de Maiziére, letzter Ministerpräsident der DDR. Ziel ist es, die grüne Landschaft rund um die beiden Seen zu einem gemeinsamen Park zu entwickeln. Dazu wurde 2007 ein studentischer Wettbewerb durchgeführt. Daran beteiligten sich neun deutsche Universitäten und Hochschulen. Den ersten Preis gewann ein Team der TU Dresden. Geplant sind neue Uferwege, ein Naturlehrpfad, eine stufenförmige Panorama-Plattform und ein Info-Zentrum. Am Südufer des Obersees

Grafik: Thomas Hillig wird es einen »Mies-Zeiger« geben: Einen Steg, der direkt auf das Miesvan-der-Rohe-Haus am gegenüberliegenden Ufer gerichtet ist. Der Stararchitekt hatte das »Landhaus Lemke« als letztes Wohngebäude in Deutschland errichtet, bevor er in die USA emigrierte. Das »Mies Forum Berlin« orientiert sich architektonisch an Mies van der Rohe. Es soll ein Flachbau entstehen, mit flexibel einsetzbaren Veranstaltungs- und Ausstellungssälen. Erlebnisgastronomie sowie Unterkünfte für Studenten sind vorgesehen. »Wir planen außerdem den Bau von Eigentumswohnungen und wollen durch den Verkauf das Veranstaltungszentrum finanzieren«, sagt Karin Düngel. Gespräche mit Grund-

stückseigentümern seien bereits im Gange. Bis 2012 sollen Park und Seen umgestaltet sein, kündigen die Vereinsmitglieder an. Bereits im nächsten Jahr beginnt die Sanierung von Ober- und Orankesee im Auftrag des Bezirksamtes Lichtenberg. Beide Gewässer werden miteinander verbunden, damit sie sich über Pumpen wechselseitig mit Wasser versorgen können. Mit EU-Fördergeldern wird die Maßnahme realisiert. Zurzeit laufen die Vorbereitungen für das 3. Alt-Hohenschönhausener Seenfest am 12. Juli im Strandbad Orankesee. Ab 16 Uhr gibt es unter anderem Musik, Kleinkunst, ein Kinderfest und eine Lichtershow. www.obersee-orankesee.de

Alt werden in der neuen Heimat Von Jan Thomas Otte

Noch Platz am Spieltisch im Türk Bakim Evi

Foto: epd/Jan Thomas Otte

Fensterstürze: Kind und Frau schwer verletzt Zweieinhalbjähriger Junge kletterte aufs Fensterbrett und fiel zwei Etagen tief (dpa). Erneut ist in Berlin ein Kleinkind aus einem Fenster gestürzt. Der zweieinhalb Jahre alte Junge fiel am Sonntag aus dem vierten Stock eines Hauses im Wedding und schlug auf einen Balkon zwei Etagen tiefer auf. Nach Polizeiangaben vom Montag erlitt der Junge schwere Kopfverletzungen bei dem Sturz aus dem Haus an der Gottschedstraße, Lebensgefahr bestehe jedoch nicht. Während der Junge im Wohnzimmer

aufs Fensterbrett geklettert war, waren der 43 Jahre alte Vater im Bad und die 40 Jahre alte Mutter in der Küche beschäftigt. Das Landeskriminalamt ermittelt nun wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. Ebenfalls am Sonntag stürzte in Neukölln eine 37 Jahre alte Frau in Neukölln aus dem dritten Stock, fiel auf den Gehweg an der Delbrückstraße und verletzte sich schwer. Zuvor hatte sie nach Poli-

zeiangaben Streit mit ihrem 41-jährigen Partner gehabt. Die Ermittler gehen inzwischen aber von einem Unfall aus. Der Sturz des Kleinkinds im Wedding war der bisherige Höhepunkt eine Reihe von Vorfällen der vergangenen Wochen, bei denen die Unachtsamkeit von Eltern bei offenen Fenstern Kinder in tödliche Gefahr gebracht hatte. Erst in der Nacht zu Sonntag holte die Feuerwehr im Wedding einen

Restaurant für bedürftige Kinder (epd). Die »Berliner Tafel« hat gemeinsam mit dem Steglitzer Stadtteilzentrum in LichterfeldeSüd ihr drittes Kinderrestaurant eröffnet. Nach dem Beispiel der beiden anderen Einrichtungen in Kreuzberg und Reinickendorf werde auch in der Osdorfer Straße ein Drei-Gänge-Menü mit Getränk zum Preis von einem Euro angeboten, teilten die beiden Träger mit. Selbst im Bezirk Steglitz-Zehlendorf sei ein tägliches, warmes Essen für jedes Kind keine Selbstverständlichkeit mehr, hieß es. Die Küche des neuen Kinderrestaurant, das den Namen »KiReLi« trägt, verwende vorzugsweise BioProdukte und verzichte generell auf Geschmacksverstärker. Zudem sollen Esskultur und Tischsitten vermittelt werden.

LICHTENBERG

Das erste Pflegeheim für türkischstämmige Rentner in Kreuzberg erst zu einem Drittel besetzt

Das Türk Bakim Evi hat Furore gemacht: Das Haus in Kreuzberg ist das erste und bisher einzige Pflegeheim Deutschlands ausschließlich für türkische Senioren. Doch anderthalb Jahre nach der Eröffnung Ende 2006 sind nur rund ein Drittel der 150 Betten belegt. Es falle den Angehörigen schwer, einen pflegebedürftigen Menschen ins Heim zu bringen, sagt Yildiz Akgün. Sie ist Sozialarbeiterin im Türk Bakim Evi, auf Deutsch: türkisches Pflegehaus. Auch wenn viele türkischstämmige Familien mit ihren pflegebedürftigen Eltern in Deutschland überfordert sind, ist der Gedanke, die Eltern ins Pflegeheim zu geben, noch ein Tabu. Hinzu kommt: Türkische Senioren und ihre Angehörigen sind über die rechtlich gesicherten Ansprüche an das deutsche Pflege- und Sozialversicherungssystem und über das Pflegeangebot wenig informiert. Verständigungsprobleme und Hemmungen vor deutschen Institutionen sind weitere Barrieren. Gerade wenn Menschen älter werden, sind ihnen die Sprache, Kultur und Religion wichtig, mit denen sie groß geworden sind, sagt Leiterin Nejla Kaba-Retzlaff. Im Heim, das zur Marseille-Kliniken AG gehört, arbeiten daher nur zweisprachige Mitarbeiter. Alle haben türkische Verwandte. Sich an ein deutsches Heim anzugliedern kann Kaba-Retzlaff sich nicht vorstellen – schon wegen der gleichgeschlechtlichen Pflege, die

Grünfläche besetzt am Mariannenplatz

der Islam vorschreibt. »Unsere Bewohner leben seit 30, 40 Jahren in Deutschland. Jetzt mit neuen Integrationskonzepten anzufangen, bringt nichts«, urteilt Harald Berghoff, Geschäftsführer des Pflegeheims. Hier gibt es keine Kapelle, sondern einen Gebetsraum, in dem ein Mufti Gottesdienste hält. Pflegebedürftigkeit wird in türkischen Zuwandererfamilien erst langsam ein Thema. In Deutschland hat sich die Zahl der Türken über 60 Jahre in den vergangenen zehn Jahren von 52 200 auf 192 500 fast vervierfacht. Infolge der schweren körperlichen Arbeit, die viele Zuwanderer der ersten Generation verrichtet haben, ist ihr Gesundheitszustand oft schlecht. Viele leiden unter psychischen Problemen, da sie sich isoliert fühlen, zwischen der Türkei und Deutschland hin- und hergerissen sind und ihnen die Auflösung traditioneller Familienbande zu schaffen macht. Die meisten Familienmitglieder sind mittlerweile berufstätig und können ihre Angehörigen nicht mehr pflegen. Auch die ältere Generation will Kindern und Enkeln nicht zur Last fallen. Harald Berghoff legt Wert darauf, auf jeden Bewohner mit seiner individuellen Geschichte einzugehen. »Man muss sehen, wo der Mensch herkommt.« Anderthalb Jahre brauche es wohl noch, bis das Heim voll ausgelastet sei, urteilt er. Das neue Angebot finde aber Resonanz in ganz Deutschland: »Wir haben Bewohner aus Kiel, aus Bielefeld, aus Fulda und München.« epd

Fünfjährigen mit einer Drehleiter aus einer Wohnung im zweiten Stock. Die Eltern hatten den Jungen dort allein gelassen. Am vorherigen Wochenende alarmierten Passanten in Lichtenberg und Marzahn die Polizei, weil Kinder auf Fensterbänken herumbalancierten, darunter ein zweijähriges Mädchen im neunten Stock. Aufsehen erregte Anfang Mai auch der Sturz eines Säuglings von einem Balkon in Schöneberg. Die Mutter soll das Kind aus der dritten Etage geworfen haben. Es erlitt ein schweres Schädel-HirnTrauma. Die Mutter wurde in eine Psychiatrie eingewiesen.

Bürgerzentrum im Bahnhof (ND). Der Bahnhof Lichtenberg verwandelt sich heute zu einem Nachbarschafts- und Bürgerzentrum. Zwischen 10 und 19 Uhr können Besucher auf der Empore im Empfangsgebäude in einem extra eingerichteten Büro kommunale und private Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Wohnungsunternehmen sind ebenso vor Ort vertreten wie die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Das einstige Mitropa-Restaurant wird zum Fitnessraum. Mehr als 30 Partner und Einrichtungen Lichtenbergs beteiligen sich.

Service Notruf Polizei: 110 Feuerwehr:112 Polizei-Bürgertelefon: 4664-4664 Ärztliche Bereitschaft: 31 00 31 Zahnärztl. Notfall: 89 00 43 33 Tierärztl. Notdienst: 83 22 90 00 Gift-Notruf: 19240 Kinder-Notdienst: 61 00 61 Jugend-Notdienst: 34 99 934 Wasserbetriebe: 86 440/0-5 GASAG: 78 72 72 Vattenfall: 0180 211 25 25

Unterwegs BVG-Callcenter:19449 S-Bahn-Kundentel.: 29 74 33 33 Verkehrsänderungen S-Bahn: In den Nächten bis bis 18./19. Juni besteht auf der Linie S 2 jeweils zwischen 21.45 und 1.30 Uhr zwischen Marienfelde und Lichtenrade Pendelverkehr alle 20 Minuten. Straßenbahn: Bis zum 25. Juni, Betriebsbeginn, gibt es wegen Bauarbeiten für die Linien M 5, M 6 und M 8 zwischen Landsberger Allee/Petersburger Straße und Mollstraße/Otto-Braun-Straße Ersatzverkehr mit Bussen. Bis 23. Juni, Betriebsbeginn, fahren wegen Bauarbeiten in der Edisonstraße für die Linien M 17, 21, 27 und 37 zwischen Treskowallee/Ehrlichstraße und S-Bahnhof Schöneweide Busse als Ersatz.


Journal

Filmwelt: Melman, Alex, Marty und Gloria sind zurück im Kino V

Kinder: In Rothenburg steht das ganze Jahr über ein Tannenbaum

Seite 92

V

Nr. 286 · 49 Samstag/Sonntag, 6./7. Dezember 2008

Seite 93

Mindener Tageblatt · Seite 87

New Yorker shoppen weiter Trotz Finanzkrise: Einkaufsmeilen brummen, so lange die Kreditkarten mitmachen

Von Jan Thomas Otte

New York City/USA. Dicht gedrängt drücken Schaulustige ihre Nase am Fenster platt. So wie sie im Big Apple tun es gerade viele in den USA. Doch die Verkäufer wollen keine Windows-Shopper. In einem Laden an der Fifth Avenue posieren halbnackte Models, der Bass der Rock-’n’-Roll-Musik dröhnt ins Ohr, das neue Parfüm betäubt den Geruchsinn. Neue Käufer werden fürs Objekt der Begierde umworben. Hat man es, wird alles besser, heißt es. Die Kunden im Laden wollen von der Finanzkrise scheinbar nichts wissen. Noch sei es ja nicht soweit, sagt Melissa Rusert, eine junge Dame im Pelzmantel. Ist die Kreditkrise bei den Menschen der Metropole noch nicht angekommen? Nebenan steht das Rockefeller Center, ein Konsumtempel aus Marmor mit 70 Stockwerken. In den 30er-Jahren wurde er zum Trotz der damaligen Weltwirtschaftskrise gebaut. Die Christbaumkugeln des riesigen Weihnachtsbaums spiegeln sich im verregneten Eis der Schlittschuhbahn.

Die Einkaufsmeilen und Shopping-Center sind auch weiterhin belebt. Die Krise lässt hier noch auf sich warten.

Wenigstens noch in diesem Jahr etwas gönnen

Keiner weiß Rat, aber „es gehe schon irgendwie“ „Das ist eine Show“, sagt ein älteres Ehepaar aus Ohio. Man würde dieses Jahr auf allzu teure Geschenke verzichten wollen. Immerhin sei die jetzige Krise fast so schlimm wie 1929. Die letzte große Rezession hatten sie damals als Kinder miterlebt. Aus dem Westen der USA berichten die Fernsehsender von Menschen, die jetzt vor den Hypothekenbergen ihrer Häusern stehen. Beide hoffen auf den neuen Präsidenten Barack Obama, der „alles wieder in Ordnung bringt“, wünschen sie sich. Melissa Rusert schaut auf die Wall Street am Ende der Konsummeile Fifth Avenue. Auch sie weiß aus den Nachrichten, dass im neuen Jahr viele Leute ihre Jobs verlieren werden. Im Freundeskreis seien einige, die sich bereits mit ihrer Kreditkarte haushoch verschuldet hätten. Niemand wisse wirklich, wie man das lösen soll. Aber es gehe schon irgendwie. Die Amerikaner bemühen sich in

der Krise um Leichtigkeit, wollen sich nicht verrückt machen lassen. Die Princeton-Studenten Matthew und Katherine, sagen es so: „Wenn wir alle weitermachen wie bisher, eben kaufen, kaufen; dann ist das doch gar kein großes Problem“. Den Konsum weiter ankurbeln. So habe es auch schon Noch-Präsident George W. Bush nach dem 11. September 2001 geraten: Die Wirtschaft lebe eben vom Ausgeben. Sicherheitshalber sind die umsichtigen Studenten auf EC-Karte umgestiegen, um nach dem Christmas-Shopping kein dickes Minus auf dem Konto zu haben. In den USA läuft fast jedes Geschäft über 20 US-Dollar auf Pump über Kreditkarte. Sogar ganze Häuser würden hier damit abbezahlt.

Der Times Square schläft nie, genausowenig wie die Werbeplakate kein Ende nehmen.

Häuser stehen in den USA gerade sprichwörtlich an jeder Straßenecke zum Verkauf. Fotos: Jan Thomas Otte

Ob die Wohnung, der Job oder der Konsum. Die Menschen auf den Straßen New Yorks geben sich gelassen. Man wechselt eh spätestens alle fünf Jahre seinen Arbeitgeber, sagt ein Passant. Die University of Michigan fand per Umfrage heraus, dass mehr denn je ein Drittel der US-Verbraucher um ihren Job bangen. Doch es sei ebenso gut möglich, dass der Konsum dadurch noch stärker werde, „um sich wenigstens noch dieses Jahr das tolle Parfüm zu gönnen“, sagt die Verkäuferin im Modegeschäft. Gegenüber beim Edel-Laden Tiffanys. Hier machte bereits die Schauspielerin Audrey Hepburn große Augen. Analysten hoffen auf den gehobenen Mittelstand, Leute wie Melissa Rusert, die sich teuren Schmuck zwischen 2000 und 15 000 US-Dollar leisten können. Der Zusammenbruch der großen Banken und WallStreet-Unternehmen wird die Luxus-Verkäufer New Yorks am härtesten treffen. Die Luxus-Geschäfte hatten von den Millionen-Dollar-Bonussen der Banker bisher gut kassiert. Zwischen Glitzer-Designern wie Guchi, Versace und Bulgari verdienen Obdachlose auf den Treppenstufen der St. Patricks Kathedrale ihr Geld fürs Butterbrot. Unten und ganz oben in den Schichten werde die Finanzkrise am stärksten sichtbar, weiß der Pfarrer Mark Hostetter an der First Presbyterian Church. In seiner Seelsorge-Sprechstunde geben sich gekündigte Meryll-Lynch-Consultants, die viele Millionen Dollar verloren haben, als auch Obdachlose, die noch nie viel hatten, die Klinke in die Hand. Im Massengeschäft auf dem Land sieht es anders aus. Der

weltweit größte Einzelhändler Wal-Mart Stores beginnt eine Woche eher mit seinem Weihnachtsgeschäft. Besondere Mengenrabatte gebe es beim Spielzeug und Urlaubsreisen, die im Internet gebucht werden. Spiel und Spaß sollen nicht vergehen, wünscht sich ein Händler an der Autobahn nach New York. Mit ihren Blechlawinen, protzigen Allrad-Pickups und spritfressenden Limousinen ist sie so verstopft wie jeden Tag. Dabei

ist der Benzin-Preis in den USA so hoch wie noch nie. Und ein Parkplatz kostet 10 US-Dollar pro Stunde. Der Konsum rollt trotzdem weiter. Nach einer Emnid-Umfrage für „Bild am Sonntag“ wollen ein Drittel der Deutschen in diesem Jahr weniger Geld für Weihnachtsgeschenke ausgeben. Der meistgenannte Hinderungsgrund ist die Finanzkrise, deren Folgen noch nicht absehbar seien. Eine repräsentative Umfrage des Quelle-Versands sagt es nochmal anders. Ähnlich wie in den USA gehen auch in Deutschland zwei Drittel davon aus, dass sich die Wirtschaftsprognosen auf den Privathaushalt erst nach Weihnachten auswirken werden. Gespart wird dieses Jahr Weihnachten am Kudamm wohl trotzdem mehr als an der Fifth Avenue.

Kitsch am Hudson River: Puppen aus Rothenburg o. d. Tauber


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SCHREBERGARTEN

Paradies für Zaunkönige Er gilt als typisch deutsch und spießig. Dabei begeistern sich immer mehr Ausländer hierzulande für die eigene grüne Insel in der Stadt. Vom Kampf der Kulturen ist zwischen den Rabatten bislang wenig zu spüren. VON JAN THOMAS OTTE UND RAOUL LÖBBERT

Behutsam schiebt Max Damaschke, 81 Jahre alt, seine Schubkarre durch den Schatten eines Kastanienbaums. Ein paar verfaulte Kartoffeln müssen auf den Komposthaufen. Zwischen Tomatenstauden, Kartoffelbeeten und Gänseblümchen geht einer der ältesten Kleingärtner Heidelbergs seinem liebsten Hobby nach: „Ich lebe von meinem Garten, ich atme hier im Garten. Und der Umgang mit den Leuten ist mir sehr wichtig.“ Wenn er sich einmal einsam fühlt, schaut er bei seinem Nachbarn vorbei oder in der Gastwirtschaft gegenüber. Zwischen diesen beiden Enden, zwischen Zaun und Zapfhahn, spielt sich ein Großteil des Lebens von Max Damaschke ab. Rund 2300 Kleingärtner besitzen im Einzugsgebiet Heidelberg eine der jeweils rund 300 Quadratmeter großen Parzellen, denn „Schrebergärtnern ist viel mehr als nur das BEGRENZTES GLÜCK: Während der Herstellen von Nahrungsmitteln und Urbanisierung erholte sich der Arbeiter am liebsten in seinem Schrebergarten. Steckenbleiben im eigenen Quadrat“, sagt Foto: Achencach Pacini/Visum Damaschke. Bundesweit sind es nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Gartenfreunde rund eine Million Parzellen in 15 200 Kleingartenanlagen, die in letzter Zeit vor allem an jüngere Familien verpachtet werden. Im Freizeitbereich gelte Weltoffenheit, was Nationalitäten, Sprachen und Religion angeht. „Für uns ist jeder Mensch wertvoll – vom Arbeitslosen bis zum Akademiker“, sagt Eugen Dammert, Vorsitzender der Kleingartenkolonie. Deshalb wehen überall Flaggen aus aller Herren Länder, schwarz-rotgoldene, weiß-blaue aus Bayern, kräftige Rottöne aus Österreich, Russland und der Türkei.

„Das Image des Laubenpiepers oder Eigenbrötlers ist schon lange überholt“, sagt Dammert. Manche jungen Leute würden über das vermeintlich spießige Hobby des Kleingärtners noch lächeln. Diese Klischees seien von gestern: „Wir sind nicht superkonservativ, grantig oder knorrig.“ So sei das Durchschnittsalter der Hobbygärtner vor zehn Jahren noch über 60 gewesen, heute liege es bundesweit zwischen 40 und 50

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Jahren. Nein, hier wird nicht mit Nagelschere der Rasen gestutzt. Und die Stilsünde Gartenzwerg findet sich auch nur noch vereinzelt auf den mit Hecken voneinander abgeteilten Parzellen; dafür Esel aus Ton oder pinkfarbene Plastikschweine. „Der alte Zopf muss abgeschnitten werden“, beschwört Dammert den Aufbruch in die neue Zeit. Nicht verändert hat sich das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme, seit 1865 – damals noch als reiner Spielplatz für Kinder – der erste „Schreberplatz“ eingeweiht wurde. Manchmal dauere es jedoch etwas, bis man das verinnerlicht habe, erzählt Dammerts Freund Helmut Rudolph. Der ehemalige Bundeswehrangestellte hat früher seine Stangenbohnen noch mit dem Luftgewehr abgeschossen. Eine martialische Technik, die bei den anderen eher pazifistisch gesinnten Schrebergärtnern nur wenig Anklang fand. Da habe er es eben gelassen – um des lieben Friedens willen. Denn Schrebergärten sind Oasen der Ruhe für den gestressten Städter, deswegen ist Lärmbelästigung auch die größte Sünde, der man sich schuldig machen kann. Schon so mancher zu laute Rasenmäher hat eine schwer zu behebende diplomatische Krise vom Zaun gebrochen. Trotz des demografischen Wandels ist die allgemeine Verjüngung der Kleingartenanlage noch nicht in der Führungsebene angekommen. Das Durchschnittsalter der ehrenamtlichen Vorsitzenden des Gartenfreunde-Vereins ähnelt dem der DFBFührungsriege: um die 70. Grau wie die Haare sind die Socken in den Sandalen. Und unter dem modischen Muss des Holzfällerhemds wölben sich weithin sichtbar die Bierbäuche. Dennoch: Zunehmend schätzen auch junge Akademikerfamilien die Freuden des frischen Vorstadtgrüns – raus aus der hektischen Metropole ins Landleben, ist ihre Devise. Eine eingebildete Flucht, ist doch der Schrebergarten als Produkt der Industrialisierung und Urbanisierung Teil der Stadt – und das von je her. Er ähnelt als Zufluchtsort der Eckkneipe, in der sich der Arbeiter nach der harten Maloche noch ein Pils gönnt. Das klassische Arbeitermilieu, das sich einen Umzug ins Grüne nicht leisten kann, gibt es im Zeitalter der Globalisierung allerdings kaum noch. Es stirbt aus. Der Schrebergarten jedoch wächst und gedeiht, wie überhaupt alles in ihm wächst und gedeiht, denn eine andere Bevölkerungsschicht hat ihn für sich entdeckt: Deutsche mit Migrationshintergrund. Die allerdings würden sich nicht so sehr in die ehrenamtliche Verwaltung einbringen, sagt Max Damaschke. Außerdem kämen manche nur in die Siedlung, um den horrenden Preisen für Lebensmittel zumindest teilweise auszuweichen. Sie ziehen Obst und Gemüse, während ihre deutschen Nachbarn sich lieber an hübschen Zierpflanzen erfreuen. „All die Gemüsebeete erinnern mich an die Situation nach dem Krieg“, sagt Max Damaschke und kippt seine verfaulten Kartoffeln auf den Kompost. Dann schaut er über die Holunderhecke nach nebenan. Dort riecht es nach gegrillten Würstchen. Eine Familie feiert gerade in ihrer Laube Geburtstag. Walerie, das Familienoberhaupt, kommt aus Kasachstan, was er anhand einer gehissten Flagge stolz der Welt kund tut. Seine Beete sind nicht ganz so akkurat gepflegt und abgezirkelt wie bei Gartenfreund Damaschke. Dennoch: Das gemeinsame Hobby verbindet. Sie fachsimpeln über das Obstbaumschneiden, das schöne Maiwetter, über die Vorschriften, die auch das gesellige Beisammensein reglementieren. Nachbar Walerie findet das typisch deutsch: „Es ist nicht so einfach, wie man denkt. Heute habe ich erfahren, dass diese Zierpflanzen 50 Zentimeter vom Zaun weg sein müssen“, sagt er. Vorschriften seien halt Vorschriften. Wo komme man denn hin, wenn jeder machen könne, was er wolle. Ein gewisses Maß an nachbarschaftlicher Überwachung gelte es da in Kauf zu nehmen. „Schlechter Rasen“, das darf nicht sein, findet auch Peter Stadler. Er sitzt einige Parzellen weiter im Vereinshaus mit Kneipe nebenan. Der 65-jährige Hochschullehrer ist der Vorsitzende des Heidelberger Bezirksverbandes der Gartenfreunde. Er trägt eine MeckiFrisur und Vollbart. In seiner Freizeit buddelt Stadler im Garten. Stolz präsentiert er Freunden seine neue Teichanlage mit japanischer Anmutung. Er erklärt, wie die Ablaufpumpe funktioniert, wie er das Wasser reinigt und warum Goldfische gefräßige Mäuler haben. Und dann ist da noch die Sache mit dem Unkraut in Nachbars Garten, die

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„Spontanvegetation“, wie er es nennt, die das Kleingartenglück mindere. Manche würden da schnell zum Gifteimer greifen. Nicht jeder scheinbare Öko-Gärtner halte sich auch ans Bundeskleingartengesetz oder kaufe regelmäßig im Bioladen. Der Schrebergarten ist halt eine Welt im Kleinen, mit denselben Problemen wie in der großen: Integration und Umweltschutz. Beim kühlen Bier im Vereinshaus sichtet Stadler mit Gartenfreund Helmut Rudolph Papiere zu Erdproben, die ans Umweltamt müssen. Eine Düngetabelle mit Nitratangaben liegt auf dem Tisch. Rudolph hat dafür eigens eine Ausbildung gemacht. Nun berät er neben der Arbeit im Labor für Bodenschutz die Kleingärtner beim Düngen ihres Rasens. Wie viel Mist vertragen etwa Tomaten? Antwort: weniger als die meisten Schrebergärtner denken. Rund 70 Prozent der Böden sind mit Stickstoff verseucht.

Die Umweltvorschriften gelten für alle gleichermaßen und alle sind oft gleichermaßen ahnungslos. Jeder dritte Schrebergärtner in der Anlage kommt aus der Türkei, Russland oder Rumänien. Auch ein Iraker pflanzt hier mittlerweile Bohnen an. Die Kleingärtner sind sich einig, was die Integration zwischen Rotkohl und Rosenstauden angeht: „Wir schreiben eine gewisse Höhe der Hecke des Gartens vor, damit die Leute reinschauen können, weil wir ja offene Anlagen wollen“, sagt Peter Stadler. Integration bedeute nämlich, auch ohne Zaun die Grenzen des anderen tolerieren zu können. Deshalb habe er vor einiger Zeit mit seinem Nachbarn den gemeinsamen Grenzzaun abgerissen. Was zusammengehört, soll zusammen wachsen. Zusätzlich wolle er im Verein jeden Monat Kurse zu den Themen Umwelt, Bodenpflege und Obstbaumschnitt anbieten. Aber auch soziale Themen wie Familie, Ausländer und Senioren sind so wichtig, dass es schön wäre, wenn alle mal miteinander darüber geredet hätten. Natürlich werde die Abrüstung, so Max Damaschke, manchmal durch Phasen des „kalten Kleingartenkriegs“ unterbrochen. Das ist die Kehrseite des nachbarschaftlichen Überwachungsstaats im Staat. Große Enge erzeugt halt auch Spannungen. Die werden, wenn nicht gütlich, gerichtlich geklärt, auch wenn sie danach nie ganz aus der Welt sind. Wie ein Beben hinterlassen sie Risse und Verwerfungen, die neue Beben zur Folge haben können, weil sich hier jeder an jedem wie Erdkrusten reibt. Auch Max Damaschke bebt gerade. Er gestikuliert wild, während er erzählt, dass sein Nachbar vor 20 Jahren illegal und „ohne zu fragen“ Bambus auf seine Wiese gekippt hat. Für Max Damaschke ein unglaublicher Giftmüllskandal. Der Bambus ist mittlerweile längst auf dem Kompost verrottet, und doch sitzt sein Splitter noch tief. Er hat eine Wunde in Max Damaschke gerissen, die sich auch in Jahrzehnten nicht geschlossen hat, sie blutet, blutet, blutet. Aber auf der Insel Schrebergarten spielt Zeit eh nur eine untergeordnete Rolle, sie wird am Fruchtwechsel und an den Jahreszeiten gemessen. Ansonsten bleibt, selbst wenn sich einmal etwas ändern sollte, alles auf geheimnisvolle Weise beim Alten. Aber das macht ja gerade die Faszination des Schrebergartens aus. Internet: www.kleingartenvereine.de

© Rheinischer Merkur Nr. 23, 05.06.2008

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STEINKOHLE

Rein in den weißen Kittel Dem Bergbau an der Saar droht das vorzeitige Aus. Mehr als 3000 Kumpel könnten bald einen neuen Job suchen. Manche haben ihn schon gefunden. VON JAN THOMAS OTTE

Früher schippte Lars Laval im Bergwerk Steinkohle aufs Fließband, rund 1700 Meter unter Tage in Dunkelheit und Hitze. Seine Arbeitsbereiche waren der Flözvortrieb, Kohleabbau und der Förderkorb. Doch für ihn ist mit dem Schuften in finsteren Schächten schon länger Schluss. Lars Laval arbeitet heute am Klinikum Saarbrücken – als Krankenpfleger auf der Station für Innere Medizin. Viele Kumpel könnten es ihm bald UMGESCHULT: Früher hat Ortwin Schwinn unter Tage geschuftet. Jetzt arbeitet er als Krankenpfleger. nachtun. Nach dem schweren Grubenbeben, das Ende Februar mit Foto: Jan Thomas Otte der Stärke 4 auf der Richterskala die saarländische Primsmulde erschütterte, steht die Kohleförderung in dem kleinen Bundesland möglicherweise vor dem baldigen Aus. Mehr als 3000 Bergleute bangen um ihre Jobs, die spätestens Ende 2018, wenn die staatliche Kohleförderung ausläuft, in jedem Fall verlieren werden. Wie die meisten von ihnen ist auch Laval in der Montanregion mit der Steinkohle groß geworden. Bereits sein Vater war Bergmann. „Da lag die Grube natürlich nahe“, sagt Laval über seine Berufswahl. Nun arbeitet er schon seit elf Jahren im Saarbrücker Klinikum als Krankenpfleger, ein Jahr länger als er im Schacht geschuftet hat. Seinem alten Job weint er keine Träne nach. „Ich habe geschippt und malocht, aber nach acht Stunden Schicht reichte das meinem Geist nicht mehr.“ Die Umschulung zum Krankenpfleger ist eines von vielen Projekten, das ehemaligen Bergleuten den Weg in neue Berufe erleichtern soll. Organisiert hat dies in Saarbrücken Theo Bilsdorfer, Jobvermittler von der RAG Deutsche Steinkohle AG, gemeinsam mit dem Saarbrücker Klinikum. Dass es mit Kohlekratzen, Abraumschaufeln und kilometerlangem Bohren unter Tage spätestens 2018 bundesweit endgültig vorbei sein wird, ist seit dem Kohlegipfel vor einem Jahr bekannt. Doch durch das heftige Erdbeben vor rund zwei Wochen hat sich die Lage für die Bergleute im saarländischen Ens- dorf nochmals verschärft. Politiker und Gewerkschaften beraten über einen sozialverträglichen Personalabbau, Umschichtungen und Subventionen in Milliardenhöhe. Unter der Erde in Hitze, Staub und Schmutz sind die Bergleute dagegen schon oft weiter als oben am sauberen Tisch.

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Viele haben damit begonnen, sich aktiv um ihre berufliche Zukunft im Tageslicht zu kümmern. Bernhard Hoffmann, ein schlanker Mann Anfang 40, machte in den Jahren auf der Grube und in der Zeit danach gleich mehrere Karrieren. Er, der als Mechaniker angefangen hatte, avancierte im Bergbau zum Ingenieur. Und bei einem Kunststoffhersteller brachte er es mit viel Fleiß zum Bereichsleiter. Nach einem Auslandsaufenthalt in den USA, wo Kohle wesentlich billiger im Tagebau gefördert wird, arbeitet Hoffmann heute als technischer Leiter bei einem Großkonzern im Saarland. Sein Erfolgsrezept? „Man muss einfach seinen Hosenboden hochkriegen, dann packt man das“, sagt der ehemalige Bergmann mit ehrgeizigen Zielen ganz pragmatisch. Sein älterer Bruder Gerold Hoffmann arbeitet noch als Steiger, unten in der Grube. Momentan muss er, nach dem vergangenen Erdbeben, Bereitschaftsdienst leisten, um die Sicherheit trotz Maschinenstopp zu gewähren. Spätestens nach dem endgültigen Kohleausstieg will er sich als Heilpraktiker selbstständig machen. Die Ausbildung dafür hat er berufsbegleitend schon in der Tasche: „Man muss kreativ sein, auch unter Tage“, sagt Hoffmann. Seine Affinität zu Bodenschätzen wird er dabei nicht verlieren: Nebenbei arbeitet er hobbymäßig als Goldschmied. Qualmende Schornsteine, surrende Fördertürme und krachende Vortriebsmaschinen sind momentan nicht zu sehen. Trotzdem wird hier gearbeitet. Jörg Himbert schiebt Notdienst zwischen Nordschacht und Saarlouis. Der kräftige Mann mit dem Schnurbart ist Mitte 40, hat breite Arbeiterschultern und große Hände, die anpacken können. Er gehört zu den rund 250 Beschäftigten, die wie Gerold Hoffmann derzeit für die Sicherheit unter Tage sorgen. Unter der Erde sei das Betriebsklima rauer geworden. Die Kameradschaft und der innere Zusammenhalt sei heute nicht mehr so wie früher, als man 1997 mit Zehntausenden Kollegen in Bonn gegen längst vollzogene Zechenschließungen protestiert habe, berichtet der Bergmann. „Das mit der letzten Erschütterung war einfach nur Mist. Wir dachten eigentlich, auf dem richtigen Weg zu sein. Dann kam dieser Genickbruch“, sagt Gerold Hoffmann. „Klar hat auch unser Betrieb Fehler gemacht, aber nicht die Bergleute an der Front. Die machen einfach nur ihre Arbeit“, erklärt der Steiger mit ernster Miene. Die Zeiten ändern sich, doch manches bleibt wie es früher war. Angekommen im neuen Job, sei die alte Kameradschaft aus der Grube aber geblieben, findet Ex-Bergmann Ortwin Schwinn: „Bloß der schwarze Dreck ist weg aus dem Gesicht, der Weg zur Arbeit ist länger geworden und ich habe jeden Tag neue Menschen um mich rum.“ Er hat wie Laval die Umschulung zum Krankenpfleger absolviert und ist mit seinem Beruf zufrieden. „Der Job fordert mich, man muss täglich offen für neue Patienten sein“, beschreibt der 42-Jährige den Unterschied zum Kohlefördern. Wie es konkret mit der Saargrube weitergeht, ist für die meisten Beschäftigten noch unklar. Ein klares Programm zum Stellenabbau der unter Tage noch rund 4000 Beschäftigten fehlt bislang. „Wir warten auf einen Plan vom Bund, der Klarheit über den beschlossenen Subventionsabbau verschafft“, sagt Jobagent Bilsdorfer. Die Arbeiter seien im Durchschnitt 43 Jahre alt, mitten im Berufsleben und mit Familie. Die älteren Bergleute versuchten noch in die Rente zu kommen. Unter Tage können Kumpel bereits mit 50 in den Ruhestand gehen, wegen der harten körperlichen Arbeit. Junge Bergmänner gibt es dagegen schon lange nicht mehr. Frisch ausgebildet arbeiten in der Saargrube nur noch Mechatroniker, einem im Jahre 2000 neu geschaffenen Zukunftsberuf an der Schnittstelle von Mechanik und Elektronik. „Wir bilden nur noch aus, was auch nach 2018 ein gefragter Job sein wird”, sagt Bilsdorfer. Der Mechatroniker könne auch nach dem Kohlenbergbau vermittelt werden – ohne Umschulung. Die RAG Bildung unterstützt die Umschulungen früherer Grubenarbeiter, deren erste Ausbildung heute keinem marktfähigen Beruf mehr entspreche. Weitere Gelder kommen dafür aus dem Europäischen Sozialfonds.

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20.12.2008


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Vermittler wie Theo Bilsdorfer akquirieren neue Jobs und laden potenzielle Arbeitgeber und Mitarbeiter zu Gesprächen ein, um den Umschülern unter die Arme zu greifen. Für Umschulungen hat die DSK Saar vom kleinen Zerspanungsbetrieb bis zum chemischen Großkonzern ein Netzwerk mit über 300 Unternehmen in der Region aufgebaut. Die Palette an Jobangeboten reicht dabei vom Altenpfleger, Landschaftsgärtner und Gabelstapler-Fahrer bis hin zum Wirtschaftsberater in einer Führungsposition. Es werden auch Seminare zur Existenzgründung angeboten, um den Personalabbau sozialverträglicher zu machen. Die Erfolgsquote in der Vermittlung liege bei rund 80 Prozent, sagt Bilsdorfer. Doch eine Beschäftigungsgarantie für die Noch-Beschäftigten in der Saargrube kann er nicht geben. 2007 habe er rund 100 ehemalige Bergleute erfolgreich in einen neuen Beruf vermitteln können. Seit 1990 seien es insgesamt mehr als 5000 Menschen gewesen, die mit seiner Unterstützung ihr Berufsleben umgekrempelt hätten. Kritische Stimmen halten dagegen, dass der Weg aus der Grube für viele Kameraden auf lange Sicht trotzdem in die Arbeitslosigkeit führte. So wurden im Ruhrgebiet im Wirtschaftsboom viele Mitarbeiter von Unternehmen wie Siemens in Kamp-Lintfort übernommen – und bald darauf bei schwächelnder Konjunktur wieder entlassen. „Die Entscheidung für den neuen Beruf muss deswegen gut überlegt sein, denn eine Rückkehr zur Deutschen Steinkohle ist ausgeschlossen“, sagt Grubenarbeiter Hilbert. Das passende Angebot für neue Berufe bekommt er über die Jobbörse „Jobexplorer“, eine Datenbank, die Profile aller DSK-Beschäftigten sammelt – auch außerberufliche Qualifikationen, Hobbys und soziales Engagement fehlen dabei nicht. Schon bei einigen Kameraden seien diese Fähigkeiten der entscheidende Faktor gewesen, um einen neuen Job zu bekommen, sagt Hilbert. „Wir liefern den Unternehmen auf Anfrage bereits die passenden Leute”, sagt Bilsdorfer. Das Erfolgsgeheimnis der Vermittlung sei einfach. Intensive Telefongespräche und Kaffeetrinken mit den Arbeitgebern. Er hofft, noch mehr ehemaligen Kumpels einen neuen Job zu vermitteln. Die Geschichten von Lars Laval, Ortwin Schwinn und den Kohlebrüdern Bernhard und Gerold Hoffmann sind nur einige mutmachende Beispiele, die zeigen, dass es ein Arbeitsleben nach der Steinkohle gibt.

© Rheinischer Merkur Nr. 10, 06.03.2008

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20.12.2008


Land und Welt - (2009-10-02 00:00:00) - Banker finden zum Glauben

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Banker finden zum Glauben Nie sind die Kirchen an der Wall Street so voll wie in Zeiten der Krise

Hilferuf vor der Federal Hall an der Wall Street: "Gib mir einen Job." Foto: Actionpress "Manche Banker machen weiter wie bisher", sagt ein ehemaliger Kollege von der Wall Street, den die Krise den Job gekostet hat. Doch viele schöpfen Vertrauen im Glauben und in den Kirchen im Finanzdistrikt. JAN THOMAS OTTE, EPD An der Wall Street bimmeln die Glocken im Boom wie auch in Krisenzeiten. Aber es sind nicht die bei der Börseneröffnung am Morgen. Es schallt von der Trinity Kirche, direkt gegenüber der Wall Street, zwischen hupenden Taxen und brummenden Klimaanlagen der Wolkenkratzer. Der Schwüle am größten Handelsplatz der USA entkommen christliche Manager ins kühlere Kirchenschiff und drücken sich mit der gleichen Hast in die Kirchenbank, die sie vom Börsenparkett gewohnt sind. "Keine Zeit, aber Pünktlichkeit ist alles", sagt ein gestresster Anzugträger an der Fußgängerampel und kramt in der Aktentasche nach dem Blackberry. Verglichen mit dem Vorjahr, kommen im Schnitt dreimal mehr Besucher zum Beten, sagt Jim Cooper, Pfarrer an der Trinity Church. Sie schöpften Vertrauen im Glauben und wollten für die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter und Kunden sensibler sein. Matthew Jinkins fällt das Runterkommen sichtlich schwer: "Ich bin froh, dass es da drüben nichts zum Spekulieren gibt", sagt er. Das Thema Gier ist für den Banker momentan ein Tabu, denn Jinkins wurde bereits Weihnachten gekündigt. Seit dem Beginn der Krise haben nach Schätzungen des US-Magazins Fortune 200 000 Menschen im Börsengeschäft in den USA ihre Arbeit verloren, 52 000 allein bei der Universalbank Citigroup. Mit der Kampagne "Entdecke! Kirche für diese Zeiten" wollen New Yorker Kirchen ins Bewusstsein rufen, dass Gott Trost schenken könne - nicht nur in Krisenzeiten. "Manche Banker machen so weiter wie bisher, denken nur an sich", sagt Jinkins. Mit ihm in der Kirche sitzt einer seiner einstigen Kollegen. Ob im Job oder beim Suchen neuer Werte: Beide Investment-Banker brauchen neue Sicherheiten, suchen Trost. Andere wollen einfach nur spontan ihre Ratlosigkeit im Gebet vor Gott äußern. Einige Manager zeigten Reue, andere wiederum seien bloß Mitläufer, sagt Jinkins: "Das ist nicht erst seit der Krise so." Vor allem im mittleren Management sei der Konkurrenzkampf um Beförderungen und Boni am größten: "Wenn es dann nicht klappt, ist man gegenüber Gottes Willen offener", erklärt der 29-Jährige das "up and down" im Glaubensleben wie an der Börse. Ob Andachten, Glaubenskurse oder Seelsorge - Wirtschaftsblätter wie das Wall Street Journal berichten gern über Pfarrer, die sich um gescholtene Manager kümmern. Seelsorge und der Blick auf den Einzelnen seien für die New Yorker Kirchen im Moment wichtiger als Predigten. "Auch Manager sind Menschen", sagt Pfarrer Cooper. Man teile aber die sachliche Kritik an den Wall-StreetBankern. Fehler zu beschönigen, sei nicht Sache der Kirche. Sie stehe traditionell auf der Seite der Schwachen. "Manche Kollegen werden sich ihrer Schuld, der Verantwortung, erst jetzt bewusst", pflichtet Ex-Banker Jinkins bei. Nach der Mittagsandacht managen die Banker weiter das ihnen anvertraute Geld. Beim größten Verwalter von Privatvermögen weltweit, im Hause

07.10.2009 21:15


Land und Welt - (2009-10-02 00:00:00) - Banker finden zum Glauben

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Blackrock, sind das rund drei Billionen Dollar Kundenvermögen. Investment-Chef Robert Doll ist ein überzeugter Christ. Trotz heftiger Kurseinbrüche und Stellenabbau hat er die Krise ohne staatliche Hilfe gemeistert. Dolls Appelle in der Krise lauteten immer wieder: "Mehr Demut! Nicht auf Luftschlösser spekulieren! Ganz Manager und ganz Christ!" Das habe er seinen Mitarbeitern auch nach der letzten Krise um den 11. September 2001 geraten, sagt er. Doll will seinen Worten Taten folgen lassen, den Bedenken seiner Mitarbeiter und Kunden im Investmentbanking besser zuzuhören. "Das Lesen der Bibel, besonders Jesu Bergpredigt, macht mich einfühlsamer", sagt Doll. Privat leitet er den Chor seiner Kirchengemeinde und unterstützt deren Neubau. Nach eigenen Angaben hat er seine Bonuszahlungen zum größten Teil dafür investiert. Im Jahr 2008 waren das laut dem US-Magazin Forbes noch 20 Millionen Dollar. Für ihn stehe der Glaube über dem Geld, sagt Doll. Doch seine Mitarbeiter müssten jeder für sich entscheiden.

Erscheinungsdatum: Freitag 02.10.2009 Quelle: http://www.suedwest-aktiv.de/ SÜDWEST AKTIV - Copyright 2002-2009 Südwest Presse Online-Dienste GmbH Alle Rechte vorbehalten! zurück zum Artikel zurück zur Ressort-Übersicht

07.10.2009 21:15


Die Tagespost - Krise lässt Glaubenskredit steigen

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KRISE LÄSST GLAUBENSKREDIT STEIGEN Von Jan Thomas Otte

Mittagsandacht für gestresste Manager, Katechesen für Banker: Der New Yorker Finanzdistrikt wird nicht nur von Geiz und Gier beherrscht – Gott ist wieder mehr gefragt – Ein Ortstermin

Haus Gottes zwischen den Kathedralen des Geldes: Die Trinity-Church an der New Yorker Wall Street. Foto: Otte

Christliche Manager sind nicht besser als andere, aber krisenfester und sensibler, meint Jan Thomas Otte. Selbst Ökonomie und Theologie studiert, hat sich der Journalist auf die Suche nach Frommen in New York gemacht. Die Wolkenkratzer der Bank of America, der Deutschen Bank oder der schweizerischen UBS stellen die kleineren Kirchengebäude im Finanzdistrikt in den Schatten. Doch Kirchen wie die Trinity Church an der Wall Street, einst höchstes Gebäude der Stadt, sind nicht nur älter, sondern ganz offenbar beständiger als der Markt. Statt hektisch um Optionsscheine zu buhlen, langweilen sich die verbliebenen Mitarbeiter im Büroturm der Ex-Bank Bear Stearns. Auf ihre Pleite folgte der Zusammenbruch von Lehmann, der die ganze Welt 2008 in den Strudel der Finanzkrise hineinzog. Über 1 000 Besucher zählt die St. Bartholomeus-Gemeinde am Sonntag, darunter viele Manager. Pfarrer Tully ist einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Das Wirtschaftsmagazin Fortune hat bereits über den Managerpfarrer geschrieben. Für seine Mission ist er besonders gut gerüstet: Neben Theologie hat Tully Betriebswirtschaft studiert. Das breche das Eis zu manchen seiner neuen Besucher, sagt er. Gerade im mittleren Management sind in New York zahllose Stellen gestrichen worden. Andere sind weiterhin gut im Geschäft, Berufseinsteiger sind ebenfalls gekommen. Doch auch sie fühlen sich von der Kampagne „Entdecke. Kirche für diese Zeiten“ der St. Bartholomeus-Gemeinde angezogen. Das Angebot, dass Glaube gerade in Krisenzeiten Trost schenken kann, stößt auf großes Interesse. Für Pfarrer William Tully ist die Krise nur ein Aufhänger. Er ist stets dabei, Menschen in die Kirche zu holen, warum nicht auch jetzt in diesen Zeiten? Bei der Katechese geht es darum, was christlicher Glaube bedeutet, wie er sich auf das Leben des Einzelnen auswirkt. Tully spricht über das Schuldigwerden an den Mitmenschen, an sich selbst und an Gott. Und er redet über die Versöhnung, die Jesus gewährt. Moralpredigten hält der Geistliche nicht, das tut er nie. Auch nicht in seinen vier Gottesdiensten, die er jede Woche hält. Zweimal die Woche geht Banker Matthew Vivek in die Kirche, um Antworten auf seine drängenden Fragen zu bekommen. Hier fühlt er sich angenommen. Die abendlichen Gespräche in Kleingruppen empfindet er, der sonst ständig mit Zahlen und Millionenbeträgen hantieren muss, als ansprechend. Matthew hält nichts von sozialromantischen Appellen. Dass häufig der Barmherzige Samariter in den Mittelpunkt der christlichen Botschaft gerückt werde, stört ihn massiv. Ihm gehe es stattdessen vor allem darum, „dass ich mich selbst in Jesus Christus finde“. So werde er frei zum Handeln, so komme seine Sinnsuche zum Ziel und das „ohne moralinsaure Kanzelrede“. Auch in der Trinity Church gegenüber der Börse gibt es Mittagsandachten und Kirchenmusik für gestresste Manager. Pfarrer James Cooper will den Besuchern ermöglichen, „einfach zur Ruhe zu kommen“. Gläubige Manager suchten keinen christlichen Kuschelklub oder einen Verband von Weltverbesserern. Die Zahlen geben ihm recht: Seit dem Zusammenbruch der New Yorker Börse im September 2008 gehen dreimal so viele Börsenmakler durch die Kirchenportale Manhattans. Es gibt im Finanzviertel von New York nicht nur Geschichten von Verlust, Verzweiflung und Niederlage. Manche Banken haben trotz kräftigem Stellenabbau und Kurseinbrüchen die Krise gemeistert. Blackrock ist eines dieser VorzeigeUnternehmen. Der Investment-Chef der Bank ist ein überzeugter Christ. Robert Doll managt Privatvermögen in Höhe der Schulden der Bundesrepublik Deutschland, über zwei Billionen US-Dollar. Sein Appell gegen die Krise heißt: mehr Demut! Selbst kritische Moderatoren vom CNN-Börsenteil mögen Dolls einnehmendes Lächeln, er habe „keine Spur von arrogantem Managergetue“ heißt es über ihn. Im Frühjahr hatte der Vater von zwei Kindern sein Vorstandsmandat abgegeben, ist jetzt wieder ein Banker unter vielen. Um sich mehr um seine Familie zu kümmern, seine Kirchengemeinde

12.12.2009 15:32


Die Tagespost - Krise lässt Glaubenskredit steigen

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beim Neubau zu unterstützen, zwei Chöre zu leiten. Das ist seine persönliche Konsequenz aus der Bankenkrise. Für sein auch finanziell großes Engagement hat er zum erheblichen Teil die Bonuszahlungen, die ihm zustanden, herangezogen. Im Jahr 2008 waren das, so schreibt es das US-Magazin „Forbes“, rund 15 Millionen Euro. Auch ein Krankenhaus ist unter den Nutznießern. Das Engagement will Doll nicht an die große Glocke hängen. Auch möchte der Spitzenbanker keinesfalls mit dem Investmentbanking aufhören. Doch so viel ist sicher: Doll hat vor, mit seinen Mitarbeitern unter anderen Vorzeichen weiterzuarbeiten. Die Krise, sagt er, habe ihn gelehrt, sich auf das Wichtigste im Leben zu beschränken. Doch für ihn ist auch klar: „Ein gläubiger Manager ist nicht bloß ein Gutmensch. Auch wenn das konsequenterweise dazugehört“, so Doll. Christen seien nicht „die besseren Manager“, aber sie seien anders und jagten weniger dem Prestige hinterher. In der Finanzbranche müsse ein Christ wie jeder andere auch zuerst ein guter Manager sein. Es gehe darum, Gewinne zu erwirtschaften. Doll nennt das „Verantwortung gegenüber den Aktionären“. Doch er spricht auch vom Maßhalten sich selbst gegenüber. Bonuszahlungen bezeichnet Doll heute als „notwendiges Übel“. Wie sollte er sonst seine Mitarbeiter motivieren? In der Kirchengemeinde sehe das natürlich anders aus. Da helfe jeder jedem, einfach so. Kaum einer der Mitglieder weiß dort von Dolls Beruf. In der Gemeinde sei das entscheidende Element, auf Gott zu hoffen. Was er unter der Woche macht, darüber schweigt der Spitzenmanager sonntags lieber. Dass Kirche für alle da sein muss und nicht nur ein „Verbund für Arme und Schwache“ ist, sieht auch David Miller so. Er ist Professor für christliche Sozialethik an der Princeton University, wo sich schon die Nobelpreisträger Albert Einstein und Thomas Mann mit religiösen Fragen beschäftigten. Mit seinem Forschungsprojekt „Faith-at-Work“ will Miller belegen, dass Top-Manager in den USA häufiger praktizierende Christen sind als bislang angenommen. Die Gründe liegen für ihn im oft gnadenlosen Wettbewerb der Wall Street und nicht etwa in der ohnehin weitverbreiteten Religiosität der Amerikaner. So seien Banker normalerweise vor allem Einzelkämpfer zwischen überzogenem Leistungsdruck und Karrieredenken. Angetrieben würden sie von einer Existenzangst um Geld und Geltung, die für Außenstehende oft nur schwer nachvollziehbar sei. Der Glaube scheine vielen da eine andere, aber gerade deshalb reizvolle Welt darzustellen. Dass dem christlichen Glauben in der Krise mehr Kredit geschenkt werde, ist nicht nur Millers frommer Wunsch. Langzeitbeobachtungen von Sozialpsychologen aus der Ivy-League, einem Verband anerkannter US-Hochschulen, bestätigen seine These. An der Oxford University hat Miller ein Buch über gläubige Manager und die Geschichte des Glaubensbekenntnisses am Arbeitsplatz veröffentlicht. Dafür ist er auch wie kein zweiter geeignet: Miller hat selbst 16 Jahre für das Versicherungsgeschäft der Großbank HSBC gearbeitet. Deren Chef ist übrigens auch bekennender Christ. Und nebenbei Laienprediger der anglikanischen Kirche. Die seelischen wie finanziellen Sorgen der Manager kann er nur allzu gut verstehen.

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12.12.2009 15:32


13.11.09 16:25:54

?*?

[Seite 'Reli_091113_ann' - Parzeller | Parzeller | Tageszeitung | Journal | Religion im Leben] von hartmut.zimmermann (Color Bogen)

RELIGION IM LEBEN

Mittwoch, 11. November 2009

Kunst und Kirche treten in Dialog TREFFEN mit dem Papst Papst Benedikt XVI. will den Dialog zwischen Kunst und Kirche erneuern. Bei einer für 21. November geplanten Begegnung in der Sixtinischen Kapelle werden 500 Künstler erwartet. Bei der Auswahl der Kunstschaffenden aus den Sparten Malerei, Skulptur, Architektur, Literatur, Musik, Film, Theater, Tanz und Fotografie kam es nach Angaben aus dem Vatikan auf künstlerische Qualität, nicht aber auf religiöse Überzeugungen an. Zu den Teilnehmern gehören der italienische Tenor Andrea Bocelli, der FilmmusikKomponist Ennio Morricone sowie der Film- und Opernregisseur Franco Zeffirelli. Die Architekten Daniel Libeskind, Santiago Calatrava und Paolo Portoghesi werden ebenso bei der geplanten Papstrede anwesend sein wie der Schriftsteller Claudio Magris, der mit dem diesjährigen Friedens-

preis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde. Aus dem Bereich Film lud der Kulturrat unter anderem den Schauspieler Terence Hill ein. Katholische Künstler riefen den Papst im Vorfeld des Treffens dazu auf, eine „wahrhaft und zutiefst katholische Kunst“ zu fördern. Zu den deutschen Unterzeichnern des Appells gehört der für seine Unterstützung der alten Messe nach lateinischem Ritus bekannte Schriftsteller Martin Mosebach. Nach Auffassung der Unterzeichner der Erklärung ist es Aufgabe der katholischen Kirche, angesichts „irrationaler und verderblicher Barbarei“ über die Kunst zu wachen. Der Präsident des Päpstlichen Kulturrates, Erzbischof Gianfranco Ravasi, hob hervor, dass das Ziel des Treffens nicht die Schaffung einer neuen sakralen Kunst sei. Die Begegnung solle vielmehr dem Dialog dienen, um Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszuloten. epd

46-Jähriger wird Bischof Die am 6. und 7. November in Mannheim versammelte außerordentliche Synode der Alt-Katholiken in Deutschland hat den Regensburger Pfarrer Dr. Matthias Ring (46) zum neuen Bischof des Katholischen Bistums der Alt-

NEUES BUCH kritisiert These

Die heraufbeschworene „Wiederkehr der Götter“ lasse sich nicht belegen, schreibt er in seinem neuen Buch „Rückkehr des Religiösen?“. Dagegen sei empirisch gut belegt, dass der Stellenwert von Religion und Kirche in modernen Gesellschaften abnehme. So gebe es in Westeuropa immer mehr Konfessionslose und immer weniger regelmäßige Kirchgänger. Der Wissenschaftler wandte sich gegen Religionssoziologen, Historiker und Theologen, die die Gesellschaft voller Religion sehen und bei denen sich die-

Per Klick zum Gebet VIRTUELLE KIRCHE: Angebot bei Second Life

Katholiken in Deutschland gewählt. Sein Vorgänger, der noch bis März 2010 amtierende Bischof Joachim Vobbe, hatte im Sommer angekündigt, aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand treten zu wollen.

Keine „Wiederkehr der Götter“ merkbar Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack sieht gegenwärtig kein Wiederaufleben der Religion.

Altar, Bänke, ein Betender – in der virtuellen St.-Georgs-Kirche mangelt es an nichts. Ein Ersatz für den realen Gottesdienstbesuch soll das Internet-Angebot aber nicht sein. Fotos: Second Life

se Religiosität nicht mehr nur in Kirchen manifestiere. Dieser „ReligiositätsRausch“ führe dazu, Religion in Popsongs, Werbung, TV-Serien, meditativen Techniken, Fußballbegeisterung, Extremsport, Gruppentherapie oder der „Selbsttranszendierung in der Sexualität“ zu sehen. Dieser „inflationäre Gebrauch des Religionsbegriffs“ erwecke den Eindruck, dass „sich alles, was manche Theologen und Religionssoziologen anfassen, wie von Zauberhand in Religion zu verwandeln mag“. KNA Detlef Pollack: Rückkehr des Religiösen? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland und Europa II. 367 Seiten. 34 Euro. Verlag Mohr Siebeck.

Von Jan Thomas Otte

Nicht zum Gottesdienst am Morgen, sondern zur Komplet um 22 Uhr, dem kirchlichen Abendgebet, treffen sie sich am Sonntag – und zwar im Internet. Glocken läuten keine, auch die Orgel spielt nicht. Aber es gibt eine Kirche mit Bänken und Altar. Ein Dutzend Menschen sprechen miteinander über Kopfhörer und Mikrofon. Manche hören nur zu, tippen auf der Tastatur ihre Gebetsanliegen, bekreuzigen sich am Schreibtisch zu Hause. Seit einem Jahr lädt das katholische Erzbistum Freiburg in der Internet-Welt von Second Life in die virtuelle St.Georgs-Kirche ein. Die Betreiber der OnlineKirche bieten Seelsorge, Bibelarbeiten und Gebetsgemeinschaften an. Die Kirche St. Georg gibt es wirklich, und zwar auf der Insel Reichenau im Bodensee. Und dort haben sich die Internetchristen in diesem Herbst getroffen – zum ersten Mal im realen Leben. Angereist sind Menschen zwischen 30 und 50 Jahren. „Wir sind eine echte Kerngemeinde, eine Community“, sagt Norbert Kebekus. Zusammen mit sechs Ehrenamtlichen betreut er das Internetprojekt seit dem Start Anfang November 2008. Zwischen acht und 14 Nutzer loggen

sich in den Abendstunden ein und besuchen St. Georg. Als Avatare, selbst gestaltete menschliche Computerfiguren, bewegen sie sich durch die virtuelle dreidimensionale Welt des Second Life, die seit 2003 verfügbar ist. „Viele kommen aus der Region. Aber auch die Schweiz und Nordfriesland sind mit dabei“, sagt Kebekus. Auch habe es schon manche USAmerikaner in die Online-Kirche verschlagen, die „einfach mal neugierig“ gewesen seien. Behinderte, die es körperlich nicht in die nächste Kirche schaffen, kämen ebenfalls. Sakralbauten gibt es viele im Netz, so ist etwa die evan-

gelische Berliner Marienkirche im Second Life nachgebaut. Im August 2008 war dort zwei Wochen lang ein Vikar als Avatar online. „Für eine längerfristige Arbeit fehlten uns einfach Geld und die nötigen Mitarbeiter“, sagt Ralf Peter Reimann, damals Internet-Beauftragter für die Evangelische Kirche in Deutschland. Eine Kirche in virtuellen Welten hält er aber für sinnvoll und zeitgemäß: „Wir haben so Menschen erreicht, die sonst nicht den Weg zum Pfarrer in ihrer Offline-Welt gefunden hätten.“ Ein regelmäßiges Angebot wie das der virtuellen St.Georgs-Kirche aber gab es

So monumental präsentiert sich die Kirche im Internet.

noch nie im deutschsprachigen Raum: Der Bibelkreis trifft sich zweimal im Monat, zweimal die Woche gibt es ein gemeinsames Abendgebet. „Wir wollen keine Konkurrenz zum Gottesdienst im echten Leben sein“, sagt Kebekus. Der Seelsorger und sein Team sehen ihre Aufgabe darin, Angebote der Ortsgemeinden zu ergänzen. „Wir spenden keine Sakramente, auch kann ich keinen Avatar taufen“. In der Online-Kirche treffen sich Gläubige und Suchende zwischen 20 und 72 Jahren. „Wir teilen unseren Glauben mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen“, sagt der 50-jährige Kebekus. Er selbst hätte seinen Avatar gerne etwas älter gestaltet, aber „im Second Life gibt es leider keine Falten“. Ende 2010 will der Betreiber des Pilotprojekts „Kirche in virtuellen Welten“, die Erzdiözese Freiburg, über ein längerfristiges Engagement entscheiden. Bis dahin möchte Kebekus das Grundstück im „Second Life“ ausbauen, mit anderen Portalen vernetzen und manche technische Hürde seiner Besucher noch meistern. „Und wir sind offen für Ökumene“, sagt er mit Blick auf das zentrale evangelische Internetportal „evangelisch.de“ und das Profil der Evangelischen Landeskirche in Württemberg in „StudiVZ“. epd www.kirche-in-virtuellen-welten.de

SONNTAGSGEDANKEN

Hoffnung durch das Wort I

ch bin ein Gast auf Erden und hab hier keinen Stand.“ So beginnt ein Lied im Evangelischen Gesangbuch. Was der Pfarrer und Liederdichter Paul Gerhardt hier ausspricht, wissen wir ja alle; aber sind wir uns dessen immer bewusst? Damit meine ich: Ist diese Wahrheit so sehr in unserem Denken und in unserem Herzen angekommen, dass sie sich auswirkt in unserem Verhalten? Oder verdrängen wir lieber die Gedanken an die Vergänglichkeit unseres Lebens?

Von Karl Hupfeld Zu keiner Zeit des Jahres werden wir so sehr an unsere Sterblichkeit erinnert wie im Monat November. Er beginnt mit Allerheiligen und Allerseelen und beschert uns in der zweiten Monatshälfte

den Volkstrauertag, den Bußund Bettag und den Totenund Ewigkeitssonntag. So bietet er reichlich Anlass, über das Ziel unseres Lebens nachzudenken. Nur auf bildhafte Weise lässt sich dieses Ziel umschreiben. Paul Gerhardt sagt es in dem genannten Liedvers so: „Der Himmel soll mir werden, da ist mein Vaterland. Hier reis ich bis zum Grabe; dort in der ewgen Ruh ist Gottes Gnadengabe, die schließt all Arbeit zu.“ Woher nimmt der Lieder-

dichter seine Glaubens-Gewissheit? Er nimmt sie aus der Botschaft der Bibel. In ihr erfahren wir, was Jesu Sterben und Auferweckung für uns bedeutet. So schreibt der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an die christliche Gemeinde in Thessalonich: „Wir wollen euch, liebe Schwestern und Brüder, nicht im Ungewissen lassen über die, die entschlafen sind, damit ihr nicht traurig seid wie die andern, die keine Hoffnung haben.“ Wie behutsam, wie ein-

fühlsam und seelsorgerlich spricht Paulus seine Mitchristen an! Wo Leid und Trauer das Herz schwer machen, wo Angst und Beklemmung sich lähmend auswirken, da spricht der Apostel vom Glauben an den auferstandenen Christus und von der Hoffnung auf die unvergängliche Gemeinschaft mit ihm. Diesen Glauben und diese Hoffnung fasst er in dem Satz zusammen: „Wir werden bei dem Herrn sein allezeit.“ Was für eine wunderbare Zusage steckt in diesen weni-

gen Worten! Es ist eine Zusage, die immer wieder ausgesprochen und angenommen sein will. Darum schließt der Apostel die Ermahnung an: „So tröstet euch mit diesen Worten untereinander.“ Karl Hupfeld war viele Jahre Pfarrer der evangelischen Versöhnungskirche auf dem Fuldaer Aschenberg und vier Jahre Klinikpfarrer. Er ist jetzt im Ruhestand und wohnt in FuldaBronnzell.


Evangelischer Kirchenbote 16/2007

Das Thema

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s ist Sonntagnachmittag gegen 15.25 Uhr auf dem Hauptbahnhof Kaiserslautern. „Auf Gleis vier erhält Einfahrt der Intercity-Express 776. Bitte Vorsicht bei der Einfahrt!“, ertönt es aus dem Lautsprecher am Bahnsteig. Das ist für Johanna L. und Frank N. (Namen von der Redaktion geändert) das Signal zum Abschied. Während Johanna gegen halb zehn abends in Berlin ankommt, beginnt mit dem Schlusslicht des Zuges für Frank bereits der normale Arbeitsalltag. Johanna und Frank führen eine Wochenendbeziehung. Ob Manager, Soldat, Fernfahrer, Politiker oder Student: Fernbeziehungen nehmen zu, sind bei vielen Paaren längst Realität. Die Tendenz ist nach Angaben von Professor Norbert Schneider von der JohannesGutenberg-Universität Mainz steigend. Fast zehn Prozent der Deutschen zwischen 20 und 60 Jahren leben nach einer aktuellen Studie des Mainzer Soziologen zum Thema „Mobilität und Lebensform“ in getrennten Haushalten, sie pendeln wie Frank und Johanna. Dies geschieht nicht immer freiwillig. So fordern immer mehr Unternehmen mobile Mitarbeiter. Billigflieger und Bahnschnäppchen sorgen dafür, dass das Pendeln finanzierbar bleibt. Ob Paare an einem Ort wohnen oder zwischen zwei Städten pendeln: Das Wochenende ist die hohe Zeit der Liebe.

Hohe Zeit der Liebe am Wochenende

Partner im Internet gefunden

Signal zum Abschied: Mit der Abfahrt des Zuges beginnt für ein Wochenendpärchen wieder der Alltag als Single.

Der 24-jährige Frank freut sich schon auf seinen Gegenbesuch in Berlin – nächstes Wochenende. Dort macht seine Freundin an der Humboldt-Universität ihren Magister in Geschichte. Er selbst studiert an der Technischen Universität Kaiserslautern Maschinenbau. Statt im Japanischen Garten Kaiserslauterns oder dem nahe gelegenen Pfälzerwald spaziert das Pärchen dann am kommenden Wochenende in Berlin durch den Tiergarten oder den Grunewald. Seit knapp einem Jahr führt der Maschinenbau-Student mit Johanna nun eine Fernbeziehung. Kennengelernt haben sich die beiden per Zufall in einer Partnerbörse im Internet. Via e-mails und Anrufen hatte es dann gefunkt. Spätestens in zwei Jahren wollen sie zusammenziehen. Zuerst möchte Frank in Kaiserslautern sein Diplom zum Maschinenbauingenieur machen, denn die Uni bietet ihm Konditionen, die er in Berlin nicht hat. Der Boom des Internets fördert die Beziehung in der Ferne. Das trifft besonders Akademiker, die oft erst spät nach Hause kommen und für Partnersuche kaum Zeit haben: „Abends bin ich müde. Da bleibt nur der Blick in die Glotze“, sagt eine Doktorandin aus Mainz, die im Internet nach ihrem Traumtyp sucht. Für Soziologen wie Norbert Schneider ist eine Fernbeziehung eine von vielen Formen gemeinsamen Lebens. Neben dem Jobwechsel und der digitalen Medienwelt ist für Schneider vor allem die Veränderung des Partnerschaftsideals Grund für eine Beziehung am Wochenende.

Schneider unterteilt Fernbeziehungen in drei Kategorien. Mehr als die Hälfte der Paare, die an verschiedenen Orten wohnen und arbeiten, möchten möglichst bald zusammenziehen. Berufliche Verpflichtungen hindern sie daran. Weitere 30 Prozent leben oft in der gleichen Stadt, wollen aber getrennt wohnen. „Das sind häufig Menschen aus Scheidungen“, sagt der Soziologe. Rund zehn Prozent haben sich mit der Distanzliebe arrangiert. Eine Wochenendbeziehung biete Paaren auch Vorteile, erläutert Schneider. Der zunehmend individuelle Lebensstil habe das romantische Ideal entzaubert: Anstatt sich in einem gemeinsamen „Wir“ aufzulösen, verstünden sich die beiden Partner als selbstständige „Ichs“. Die eigene Unabhängigkeit spiele dabei eine große Rolle. Frank aus Kaiserslautern sagt dies so: „Ich brauche Johanna eigentlich nicht. Deshalb liebe ich sie umso mehr.“ Seine Freundin genießt es, bei ihrem Partner Gast zu sein: „Wir brauchen uns nicht darüber zu streiten, wer die Küche putzt und warum der Kühlschrank schon wieder so leer ist“, sagt Johanna. Ihre Wochenenden gleichen oft einem Ausnahmezustand. Das studentische Pärchen taucht ein in eine andere Welt – in die des Partners. „Blöd ist aber, dass wir auf Partys am Samstagabend meinen Freundeskreis treffen, der eben doch nicht uns gemeinsam gehört. Gemeinsame Freunde wären ein Vorteil“, erklärt Frank. Eigentlich lebt Frank als Single und managt seinen Alltag komplett selbst. Manchmal würde er sich wünschen,

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Fernbeziehungen nehmen zu – Bei Partnerschaften verstärkt Mobilität gefordert • von Jan Thomas Otte

näher bei seiner Freundin zu sein – besonders, wenn etwas schiefgelaufen ist. „Aber am Freitag überlege ich mir zur Feier des Tages, was ich anziehe und was wir am Wochenende Schönes zusammen machen können“, sagt Frank. Häufig wird das Wiedersehen mit großen Erwartungen überfrachtet, die im Prinzip gar nicht erfüllbar sind. „Die Enttäuschung ist schon am Bahnsteig programmiert, wenn der Partner nicht mit strahlendem Sonntagslächeln empfangen wird“, sagt Diplom-Sozialpädagogin Angelika Bandlitz aus Wachenheim. Sie arbeitet pfalzweit als Paartherapeutin. Gleiches gelte für den Abschied, wenn es am Wochenende gekracht hat: Bei vielen Paaren bleibe ein mulmiges Gefühl zurück: „So werden Konflikte nicht angesprochen, um die sonntägliche Eintracht nicht kaputt zu machen.“ Ein Patentrezept für Partnerschaft hat sie jedoch nicht. Pfarrerin Heiderose Gärtner begegnen in Gesprächen bei der Ludwigshafener Eheberatungsstelle der Diakonie auch Paare, in denen ein Partner für den anderen seinen Job gekündigt hat und in die Stadt des Partners zieht. Häufig bedeute das Einsamkeit für den Partner, der sich im neuen Lebensumfeld erst zurechtfinden müsse. „Das ist vor allem dann problematisch, wenn noch Kinder mit im Spiel sind“, sagt Gärtner. Die Fernbeziehung scheitere, wenn das Paar seine beiden Welten zusammenziehe und sich dabei ein Teil für das gemeinsame Glück opfere. Schon mancher Partner sei dabei enttäuscht worden, wenn das Gegenüber dieses Opfer nicht ausreichend würdige.

(Foto: view)

Daher ist Kommunikation für Therapeuten wie Angelika Bandlitz das Zauberwort in jeder Beziehung. Es ist wichtig, dass sich Paare so viel wie möglich über ihre Erwartungen des Zusammenlebens austauschen. Die größte Herausforderung an eine Fernbeziehung ist für Bandlitz ein gesunder Umgang mit Vertrauen, Selbstständigkeit und Erwartungsdruck. Für Frank und Johanna stehen die Chancen für eine gemeinsame Zukunft gar nicht so schlecht: Nach Ergebnissen der Mainzer Studie von Norbert Schneider hält jede vierte Fernbeziehung länger als sechs Jahre. Demgegenüber wurde nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2005 jede dritte Ehe geschieden. „Für uns ist diese Wochendendbeziehung nur ein Übergangsphänomen. Die Liebe bleibt nicht auf Dauer im Koffer“, erklärt Johanna.

Rat und Hilfe Ehe-, Familien- und Lebensberatung der Diakonie, Falkenstraße 19, 67063 Ludwigshafen, Telefon 06 21/51 06 05 Ehe-, Familien- und Lebensberatung der Diakonie, Lauterstraße 12, 67657 Kaiserslautern, Telefon 06 31/7 22 09 Diplom-Sozialpädagogin Angela Bandlitz, Mühlgasse 10 a, 67157 Wachenheim, Telefon 0 63 22/98 79 15


06.01.2010 Anzeige

Gott per Mausklick (Politreport, NZZ O…

Mittwoch, 06. Ja nua r 2010, 23:15:19 Uhr, NZZ O nline

Nachrichten › Politreport 5. Janua r 2010, 15:25, NZZ O nline

Gott per Mausklick Kirche wächst im Web 2.0 gegen den Trend Die Renaissance der Religionen findet vor allem außerhalb der etablierten Kirchen in Europa statt. Daher brechen einige Ortsgemeinden dorthin auf, wo sie noch unerreichte Zielgruppen vermuten. Im Internet-Simulator Second Life zum Beispiel. Dort geht es um die Traditionen des Abendlandes: Gebet, Bibel-Lese und Beichte.

Die virtuelle Kirche von St. Georg in Second Life. (Bild: PD)

Die Kirche St. Georg steht auf der Insel Reichenau im Bodensee, nahe Konstanz. Dort haben sich Internet-C hristen im Oktober getroffen. Zum ersten Mal im realen Leben, sonst tun sie das virtuell. Angereist sind Menschen zwischen 30 und 50 Jahren. «Wir sind eine echte Kerngemeinde, eine C ommunity», sagt Dr. Norbert Kebekus von der Erzdiozöse Freiburg. Zusammen mit sechs Ehrenamtlichen betreut er das Internetprojekt seit dem Start Anfang November 2008. Kirchgang als Avatar Zwischen acht und 14 Nutzer loggen sich in den Abendstunden ein und besuchen St. Georg. Als Avatare, selbst gestaltete menschliche C omputerfiguren, bewegen sie sich durch die virtuelle dreidimensionale Welt des «Second Life» (zweites Leben), die seit 2003 verfügbar ist. «Viele kommen aus der Region. Aber auch die Schweiz und Nordfriesland sind mit dabei», sagt Kebekus. Auch habe es schon manche USAmerikaner in die Online-Kirche verschlagen, die «einfach mal neugierig» gewesen seien. Behinderte, die es körperlich nicht in die nächste Kirche schaffen, kämen ebenfalls gerne. Ein regelmäßiges Angebot wie das der virtuellen St.-Georgs-Kirche aber gab es noch nie im deutschsprachigen Raum. Der Bibelkreis trifft sich zweimal im Monat mittwochs, zweimal die Woche gibt es ein gemeinsames Abendgebet. «Wir wollen keine Konkurrenz zum Gottesdienst im echten Leben sein», sagt Kebekus. Der Seelsorger und sein Team sehen ihre Aufgabe darin, Angebote der Ortsgemeinden zu ergänzen. «Wir spenden keine Sakramente, auch kann ich keinen Avatar taufen». Online-Gemeinde soll 2010 wachsen In der Online-Kirche treffen sich Gläubige und Suchende zwischen 20 und 72 Jahren. «Wir teilen unseren Glauben mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen», sagt der 50-jährige Kebekus. Er selbst hätte seinen Avatar gerne etwas älter gestaltet, aber «im Second Life gibt es leider keine Falten». Ende 2010 will der Betreiber des Pilotprojekts «Kirche in virtuellen Welten», die Erzdiözese Freiburg, über ein längerfristiges Engagement entscheiden. Bis dahin möchte Kebekus das Grundstück im «Second Life» ausbauen, mit anderen Portalen vernetzen und manche technische Hürde seiner Besucher noch meistern. « Die virtuelle St.-Georgs-Kirche bietet auch theologische Themenabende an. Kürzlich ging es um «Himmel und Hölle». Über das Fegefeuer zu reden, das widerspreche doch dem Vorurteil, im Netz könne man nur seichtere Fragen beantworten, urteilt Kebekus. Er will dem Nächsten dienen, Zeugnis für Jesus C hristus sein und die frohe Botschaft verkünden: «Wir sind nicht irgendein Kuschelklub im Netz.» Jan Thomas Otte (politReport)

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Weihnachts-Shopping: Krise? In New York geht man lieber einkaufen -...

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Weihnachts-Shopping

Krise? In New York geht man lieber einkaufen Von Jan Thomas Otte 28. November 2008, 15:01 Uhr Von der Wirtschaftskrise ist in New York City derzeit nicht viel zu sehen: Wie immer in der Vorweihnachtszeit haben sich Kaufhäuser und Luxusboutiquen in ein funkelndes Gewand gehüllt. Sie hoffen auf den Umsatz des Jahres. Wohl nicht ganz umsonst: Die New Yorker zeigen sich konsumfreudig wie eh und je.

Foto: Bildagentur Huber Auch in diesem Jahr wieder im funkelnden Weihnachtsgewand: das New Yorker Kaufhaus Macy's. Überhaupt ist in der amerikanischen Metropole von der Finanzkrise derzeit nicht viel zu spüren. Die Vorweihnachtszeit ist dort traditionell dem Shopping gewidmet.

Die Christbaumkugeln am riesigen Weihnachtsbaum neben dem Rockefeller Center spiegeln sich im verregneten Eis

02.12.2008 20:54


Weihnachts-Shopping: Krise? In New York geht man lieber einkaufen -...

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der Schlittschuhbahn. Der Konsumtempel mit 70 Stockwerken wurde in den 30er-Jahren gebaut, ein trotziges Symbol gegen die damalige Weltwirtschaftskrise. Die heutige Finanzkrise sei fast so schlimm wie 1929, sagen die beiden Rentner Alexander Clayton und Joy Bollinger, die aus Ohio zum traditionellen "Christmas Shopping" nach New York gekommen sind. In diesem Jahr wollen sie auf allzu teure Geschenke verzichten. Beide hoffen auf den neuen Präsidenten Obama, der "alles wieder in Ordnung“ bringen soll, wie sie sagen. Auf der luxuriösen Fifth Avenue sieht es derweil aus wie jedes Jahr zur Vorweihnachtszeit, wenn sich die Shoppingmeile in einen kilometerlangen Glitzerboulevard verwandelt. Juweliere wie Tiffany und Harry Winston haben die teuersten Stücke in ihren Auslagen dekoriert; das Kaufhaus Bergdorf Goodman hat seine riesigen Schaufenster in ein Winter-Wunderland verwandelt. Und das Luxus-Kaufhaus Sak's Fifth Avenue hat sich mit dem Kristallhersteller Swarovski zusammengetan, um seine berühmten "Holiday Displays", wie die geschmückten Schaufenster genannt werden, auch in diesem Jahr für New Yorker Kunden und Touristen zum Funkeln zu bringen. "In diesen schweren Zeiten ist es besonders wichtig, die Vorweihnachtszeit zum Ereignis zu machen", kommentiert eine Sprecherin von Bergdorf Goodman die aufwändigen Dekorationen, über deren Budget sich die Kaufhäuser in Schweigen hüllen. In diesem Jahr will jeder dritte US-Amerikaner weniger Geld für Weihnachtsgeschenke ausgeben, hat das Meinungsforschungsinstitut Gallup errechnet. Da kann ein wenig mehr Glitzer als sonst sicher nicht schaden. Einige wenige Amerikaner zeigen sich von der Finanzkrise dennoch unbeeindruckt: Knapp zehn Prozent der US-Bürger haben vor, in den umsatzstärksten Wochen des Jahres sogar mehr Geld in den Geschäften zu lassen als im vergangenen Jahr. Schließlich sei die Krise ja noch nicht wirklich angekommen, meint Melissa Rusert, eine Mittvierzigerin im Pelzmantel in einem Laden an der Fifth Avenue. Hier posieren halbnackte Models, der Bass der Musik dröhnt ins Ohr, und Schwaden eines gerade beworbenen Parfums betäuben die Nase. Hat die Krise die New Yorker etwa noch nicht erreicht? Melissa Rusert schaut in Richtung Wall Street. Sie weiß aus den Nachrichten, dass auch im neuen Jahr viele Menschen ihre Jobs verlieren werden. Im Freundeskreis gebe es auch einige, die sich mit ihren Kreditkarten haushoch verschuldet hätten. Aber es gehe schon irgendwie, sagt sie. Viele Amerikaner bemühen sich in der Krise um Gelassenheit; sie wollen sich nicht verrückt machen lassen. Die beiden Princeton-Studenten Matthew Pigman und Katherine Klingman formulieren es so: "Wenn wir alle weitermachen wie bisher und kaufen, kaufen, kaufen – dann ist das doch gar kein großes Problem.“ Den Konsum weiter ankurbeln – das hatte der scheidende Präsident George W. Bush den Amerikanern auch nach dem 11. September 2001 geraten: Die Wirtschaft lebe eben vom Konsum des Einzelnen. Die beiden Studenten wollen sich mit ihren Kreditkarten aber trotzdem zurückhalten, um nach Weihnachten kein dickes Minus auf dem Konto zu haben. Allgemein ist auf den Straßen der gebeutelten Finanzmetropole aber viel Gelassenheit zu spüren. Und das, obwohl eine Umfrage der University of Michigan gerade ergab, dass ein Drittel der amerikanischen Verbraucher stärker denn je um ihren Arbeitsplatz bangt. Ein Passant findet das alles nicht so schlimm: Man wechsle hier doch sowieso alle fünf Jahre den Arbeitgeber. Eine Verkäuferin auf der Fifth Avenue hält es es ebenso gut für möglich, dass der Konsum im Dezember noch steige, weil viele Menschen sich "wenigstens in diesem Jahr noch das tolle neue Parfum gönnen" wollten. Auf der anderen Straßenseite leuchten die Schaufenster des Luxus-Juweliers Tiffany. Analysten hoffen jetzt auf den gehobenen Mittelstand, Menschen wie Melissa Rusert, die sich teuren Schmuck ab 2 000 Dollar aufwärts leisten können. Sie wissen, dass der Zusammenbruch der großen Banken und Wall-Street-Unternehmen die New Yorker Luxusbranche besonders hart trifft. Die Unternehmen hatten an den Millionen-Bonuszahlungen der Banker bislang prächtig verdient. Zwischen den Boutiquen von Designermarken wie Gucci und Versace und dem Juwelier Bulgari betteln Obdachlose auf den Treppenstufen der St. Patrick's Cathedral. Am unteren und am oberen Ende der Gesellschaft werde die Finanzkrise am stärksten sichtbar, sagt der New Yorker Pfarrer Mark Hostetter. In seiner Seelsorge-Sprechstunde

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Weihnachts-Shopping: Krise? In New York geht man lieber einkaufen -...

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in der First Presbyterian Church geben sich entlassene Manager und Obdachlose zurzeit die Klinke in die Hand. Im New Yorker Umland hat der Einzelhandels-Gigant Wal-Mart unterdessen eine Woche früher mit dem Weihnachtsgeschäft begonnen. Wal-Mart wirbt mit Mengenrabatten auf Spielzeug und Urlaubsreisen, buchbar im Internet. Mit Spiel und Spaß soll es trotz der Krise nicht vorbei sein, wünscht sich ein Händler auf einem Werbeplakat am Highway nach New York City. Die Autobahn ist verstopft wie immer. Der Konsum rollt weiter. EPD/lha

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Mauern im Land und in den Köpfen Israelis und Palästinenser: Koexistenz ohne Berührungspunkte Von Jan-Thomas Otte, Jerusalem

„Ich bin hier geboren worden und aufgewachsen. Das hier ist mein „Wie kannst du bloß nach Israel Land. Ich liebe es!“ sind die Worte wollen?“ Ein Land, welches von vieler israelischer und palästinenHass, Gewalt und Terroranschlägen sischer Studenten. „Nur mit den geprägt ist – so wird es zumindest anderen kommen wir kaum klar. in den Medien vermittelt. Fast Wir sprechen nicht ihre Sprache, täglich gibt es Nachrichten von haben zwei vollkommen untererneuter Eskalation. schiedliche Kulturen. Da bleibt Sicherheit ist ein heißes Thema. jeder unter seinen Leuten“, teilt Aber auch wenn gewaltsame AusSivan mit, die bald ihren Wehrschreitungen an der Tagesordnung dienst beenden wird. „Am meisten sind, ist es sinnlos, bei jeder schmerzt uns der Mangel einer Busfahrt über den eventuellen eigenen Identität.“ Ähnliche IdenAttentäter in der letzten Reihe titätsprobleme haben auch die nachzudenken oder auf dem Markt Palästinenser. „Noch viel mehr zwischen Melonen und Mülleials die Israelis“, ist sich Rhada mern eine Bombe zu vermuten. sicher. Immerhin seien ihre GrundFoto : jto Der Alltag ist nach außen hin rechte massiv eingeschränkt und friedlich, doch es brodelt allerorts. Die Mauer „Abu Dis“ grenzt das Jerusalemer Stadtgebiet von den östlich gelegenen palästinensischen Gebieten ab sie kämen „nicht raus“, um zum Geballte Fäuste in den HosentaBeispiel Verwandte in einem andezusammen Kaffee getrunken“ erin- ren Teil der „Westbank“ zu besuschen, kleine Giftigkeiten zwischen palästinensischen Kommilitonen. Gibt es denn Kontakte zwischen nert sich Avital. den Zeilen und nicht zuletzt eine „Gerne hätte ich die gleichen Sorgen Israelis und Palästinensern, Juden chen. „Viele von uns sind seit Jahren und Arabern? So etwas wie NachRhada berichtet sogar von gegen- nicht mehr in Jerusalem gewesen“ latente Aggressivität. und Probleme wie Jugendliche Zugegebenermaßen gibt es weit- in Europa“, wünscht sich Rhada, barschaft, zumindest in „gemisch- seitigen Besuchen mit einer jüdi- erklärt ihre Freundin. Nun stehe ten“ israelischen Städten, wo schen Familie. „Aber das war die von den Israelis gebaute Mauer aus beliebtere Reiseziele als Israel die an der Universität Ramallah und Palästina. Aber es gibt nur studiert. Aber „Israel und die paläs- immerhin Israelis und Araber einmal.“ Kontakt zum Gegenüber davor. Über die Hälfte der palästinebeneinander leben. „Nein“ lautet zu bekommen sei in der „voll verfah- nensischen Bevölkerung sei arbeitswenige Orte, an denen es so viel tinensischen Gebiete sind nicht auf beiden Seiten die nüchterne renen“ Situation Kultur und Geschichte zu entde- Europa“, stellen Idit und Avital los. „Wenige nicht in Sicht, cken gibt. haben das Privifest, ein Studentenpärchen an der Antwort; ein Miteinander gäbe es „keiner von uns fühlt sich hier nicht, zumindest nicht im Moment. sind sich die Eine Herausforderung, die Welt- Uni Haifa. Sie seien mit einem leg, studieren zu wirklich sicher...“ Jedoch erwähnen sowohl Rhada Studenten beider religionen besser verstehen zu Konflikt konfrontiert, den Leute können.“ lernen und Einblicke in den verwir- aus Deutschland eben nur schwer als auch Idit, dass ihre Eltern gute Unis sicher. „In Dennoch ist Kontakte zu Nachbarn hatten. Es Haifa haben wir rund zwanzig Pro- Frieden im K leinen ein Anfang, renden Konflikt zwischen Juden verstehen könnten. zent Araber mit israelischem Pass, denn „die Hoffnung stirbt zuletzt“. und Moslems, Israelis und Arabern Trotz offizieller Erlaubnis hat wäre sogar einmal von Freundschaft zu bekommen. Beide Seiten wollen ein Israel, in Rhada Angst, ihre Familie in Jeru- die Rede gewesen. „Mein Vater und selbst hier haben wir kaum hat unser Auto in der Westbank Berührungspunkte“ erklärt Idit. „Es „Jerusalem prays, Tel Aviv plays dem friedliche Koexistenz von Arasalem zu besuchen. Es hänge und Haifa pays“: ist nicht so, dass wir gemeinsam bern und Israelis ohne Fanatismus, meist von der reparieren lassen, meine Mutter hat irgendwas machen würden.“ Tel Aviv steht für geballte Fäuste in den Hosenta- Laune der Sol- mit ihren arabischen Bekannten Terror und Gewalt möglich ist. lockeres Partyledaten ab, ob sie ben und Szene- schen und latente Agressivität an den Check- Der Hauptcheckpoint „Qualandia“ befindet sich zwischen Jerusalem und Ramallah. kultur, in Haifa, points durchgemit seinem großen Hafen werden lassen werde. Abwertende Blicke die Auslandsgeschäfte abgewickelt. und dumme Sprüche inbegriffen. In Jerusalem treffen jeden Tag Razzien an der Universität habe Gläubige der drei großen Weltreligi- es schon einige Male gegeben, voronen zusammen. Durch die engen übergehende Inhaftierungen von Gassen der A ltstadt quetschen Studenten seien keine Seltenheit. sich Moslems, Juden, Christen und „Keiner von uns fühlt sich hier Pilgerströme aus aller Welt. wirklich sicher. Wir fühlen uns Das Militär ist überall präsent. unserer Rechte auf freie Bildung Auf offener Straße werden Waffen und Bewegung beraubt“ klagt die getragen. Das Militär besteht auch 20-jährige frustriert. aus Frauen, die für zwei statt Schockierende Erlebnisse haben drei Jahre verpf lichtet werden. aber auch die israelischen StuDa kommt es schon mal vor, dass denten gehabt. Überwiegend im eine junge Israelin ihre Uniform Militärdienst erlebten sie viel Hass mit Maschinengewehr und pinkem und Aggression. „Da bleibt einem Handtäschchen kombiniert. nur die Familie zu Hause und gute Nach dem Militärdienst führt Freunde von außerhalb, um damit der Weg an die Uni. Der Großteil klar zu kommen. Es ist wirklich der Studenten sind Israelis, die hart, das Erlebte zu verarbeiten“ Foto : jto finanziell besser gestellt sind als die resümiert Avital.



HEIDELBERGER NACHRICHTEN

Rhein-Neckar-Zeitung / Nr. 19 / Seite 6

Alle haben gewonnen „Promiwerktag“ war ein Erfolg ste. „Das war der Wahnsinn!“ So lautete der Kommentar von Lyn Schäfer zu dem Projekt „Hauptschultalente entdecken und fördern“, das sie zusammen mit Hannah Eberle organisiert hatte. Die beiden 16-jährigen Schülerinnen waren bei der kleinen Abschlussveranstaltung in den Räumen der „Werkstatt gGmbH“ schlicht begeistert, dass alles so gut geklappt hatte. Schäfer und Eberle engagieren sich bei der Heidelberger Jugendagentur und betreuen dort den „Werktag“, bei dem Schulklassen in Betrieben arbeiten, die dann wiederum den Lohn an den Jugendfonds spenden. Das Projekt peppten sie jetzt ein bisschen auf, indem sie Heidelberger Prominente mit ins Boot nahmen. Und so arbeiteten etwa Theaterintendant Peter Spuhler oder Bundes-, Landes, und Kommunalpolitiker in der vergangenen Woche an drei Tagen jeweils mit zwei Hauptschülern in verschiedenen Bäckereien. Damit sollten die Siebtklässler einen Eindruck von der Arbeitswelt bekommen.

Spaß für die Promis Der „Promiwerktag“ war ein Erfolg, auch weil die Bäckereien so gut mitgemacht hatten. Hans Breitenreiter etwa hat es nicht bereut. „Einen der Schüler würde ich vom Fleck weg einstellen, aber der will Dachdecker werden“, berichtete er. Und bei seinem Kollegen Jürgen Seip haben sich gleich vier Jugendliche für ein Praktikum angemeldet. Außerdem waren die Bäckereien Müller, Göbes und Mahlzahn am Start. Auch den Promis hat die Aktion großen Spaß gemacht. Die grüne Landtagsabgeordnete Theresia Bauer etwa fachsimpelte über die Herstellung von Brezeln und Nußzöpfen. Bei all der Arbeit, die Schäfer und Eberle mit der Organisation hatten, eins stand für die Schülerinnen fest: Den „Promiwerktag“ wird es wieder geben – noch dieses Jahr und mit anderen Berufen.

Piercings müssen draußen bleiben Beim „Check-in-day“ im Heidelberger NH-Hotel schnupperten Jugendliche in die vielseitige Welt der Hotelberufe Von Jan Thomas Otte Köchin, Kauffrau oder Kellner – für viele Jugendliche sind das immer noch Traumjobs. Am Samstag hatten Interessierte die Möglichkeit, hinter die Kulissen eines großen Vier-Sterne-Hotels zu schauen. Gekommen sind aber nur wenige, um im NH-Hotel Tipps zum Thema Berufsausbildung in der Hotellerie zu bekommen. Mieser Stimmung auf dem Arbeitsmarkt zum Trotz gibt es hier bei steigendem Umsatz vielfältige Jobperspektiven. Angefangen hat alles an Omas Herd: „Über den Kochspaß bei der Oma bin ich dazu gekommen, dass ich das auch beruflich machen will“, erzählt Bianca aus Viern- Auch die Küche lernten die Teilnehmer kennen. Auskunft gaben die Auszubildenden des Hotels. Foto: Stefan Kresin heim. Nach ihrem Reanspruchsvollen Räumlichkeiten ist un- genüber den Schülerinnen. Dreißig Bealschulabschluss möchte die 15-Jährige unbedingt Köchin ser Gerüst, den großen Rest aber macht werbungen hatte er geschrieben, sein werden. Lisa ist sich noch nicht so sicher. die Ausstrahlung unserer Mitarbeiter“, Wunschhotel fand er im Internet. Ein Die 19-jährige Mannheimerin könnte erklärt Markus Borkowski, stellvertreten- Jahr vorher bewerben muss sein: „Nach sich nach ihrem Abitur auch vorstellen, der Restaurantchef vom Heidelberger dem Vorstellungsgespräch gibt es bei uns etwas mit Grafikdesign zu machen oder NH-Hotel. eine Woche Praktikum, wo die Bewerber eben doch eine Ausbildung zur HotelfachWer im Hotel etwas werden möchte, schauen können, ob der Job zu ihnen frau. muss flexibel, einsatzbereit und selbst- passt“, und dass sich die Bewerber in das Ob Geschäftskunden oder SAP-Ta- ständig sein. Während Fremdsprachen Team des Hotels gut einfügen, spiele gung, das verliebte Pärchen am Wochen- von Vorteil sind, ist sympathisches Auf- auch eine Rolle. Die menschliche Note und praktische ende oder der Abiball: In Hotels ist im- treten ein absolutes Muss. Piercings und mer etwas los, Menschen mit verschiede- Tattoos sind tabu. Die Gastronomie sei Begabung sei wichtiger als Noten auf nem Charakter in unterschiedlichen Si- eben ein konservatives Gewerbe, schmun- dem Papier. „Wir schauen uns den Menschen an“, erläutert der stellvertretende tuationen. Jeder Gast muss auf seine Art zelt Borkowski. „Es ist wichtig, als Mensch am richti- Restaurant-Chef. Wer sich hier überzeubedient werden, denn Service wird im Hotel großgeschrieben: „Die Hardware mit gen Platz zu sein“, betont Borkowski ge- gend präsentieren konnte, kommt zum

Ausbildung mit Hindernissen Azemina Zeka wollte eine Lehre machen und durfte nicht, weil sie „nur“ geduldete Asylbewerberin ist – Jetzt hat es geklappt Von Steffen Blatt Azemina Zeka ist 17 Jahre alt, 16 davon lebt sie in Deutschland. Sie fühlt sich hier heimisch, hat ihre Freunde in Heidelberg und irgendwann will die Kosovo-Albanerin die deutsche Staatsbürgerschaft. Sie ist fast ein Musterbeispiel für eine gelungene Integration. Nur eine Ausbildung durfte sie im letzten Jahr nicht beginnen – denn sie und ihre Familie sind geduldete Asylbewerber, und die durften nicht arbeiten. Doch dank einer Änderung des Bleiberechts hat es jetzt geklappt: Seit dem 1. Januar macht Azemina eine Ausbildung zur Gebäudereinigerin. Dabei profitiert sie von einer Kooperation der Robert-Koch-Förderschule mit der Heidelberger Gebäudereinigungsfirma F. F. Sönmez. Denn seit 2003 haben jedes Jahr sechs Schüler die Möglichkeit, dort eine Ausbildung zu machen. Zusätzlich erhalten sie Unterricht in der Kirchheimer Schule, damit sie die Theorie packen. Unterstützt wird das Projekt außerdem von der Agentur für Arbeit und der Stadt Heidelberg. Auch aus Azeminas Klasse gingen im September 2006 sechs Jugendliche zu Sönmez, um Gebäudereiniger zu lernen, nur sie durfte damals (noch) nicht. „Ich wollte das auch, aber es ging nicht. Ich habe mich gefragt: ,Warum ich? Was ist an mir

St. Raphael im Fiesta-Fieber Tanzworkshop im Gymnasium doro. Das St. Raphael-Gymnasium, veranstaltet vom 26. bis 28. Januar einen Sevillanas-Workshop unter der Leitung der international renommierten Flamencolehrer Flora Albaicin und Joey Belmonte aus Barcelona. Am Sonntag, 28. Januar, schließt sich von 17 bis 20 Uhr eine spanisch-lateinamerikanische Fiesta an. Liebhaber spanischer Musik werden bei diversen Tanzdarbietungen auf ihre Kosten kommen. Auch Gästen wird die Gelegenheit gegeben, sich von den Rhythmen mitreißen zu lassen. Der Eintritt beträgt im Vorverkauf drei Euro (Eintritt und ein Getränk), bzw. sieben Euro (Eintritt, ein Getränk, ein Tapa). Die Karten sind im Vorverkauf bei Ulrike Gutmacher, Lehrerin am St. Raphael-Gymnasium, unter Telefon 0172/9455431 erhältlich. Der Erlös der Veranstaltung dient der Finanzierung der Pfingstwallfahrt nach El Rocio in Andalusien, an der die Schüler teilnehmen wollen.

Mittwoch, 24. Januar 2007

anders?’“, erzählt die 17-Jährige. Auch menchef Fuat-Faruk Sönmez war bereit, die Agentur für Arbeit konnte nicht hel- noch einen siebten Auszubildenden aufzufen, das Gesetz verbot es der Schülerin, zu nehmen. So konnte Azemina schließlich arbeiten. Sie hätte in ein berufsvorberei- ihren Vertrag unterschreiben, und seit dem 1. Januar tendes Jahr gelernt sie, profeshen können, sionell Gebäude doch sie wollte zu reinigen. Die endlich einen finanzielle FörJob. Dabei fühlt derung für die sich Azemina zusätzliche Ausschon längst als bildungsstelle Deutsche. Sie übernimmt der war gerade mal Freundeskreis ein Jahr alt, als der Robertihre Eltern vor Koch-Schule. dem BürgerDa Azemina krieg aus dem jetzt arbeitet, Kosovo flüchtehofft sie, ein dauten. Seit dem ist erhaftes Bleibesie nie mehr dort recht in Deutschgewesen. land zu erhalAls das Bleiten. berecht geänDie Praxis dert wurde, salernen die Juhen Klaus Fellin hauer und Jutta Azemina Zeka sorgt in der Robert-Koch-Schule für gendlichen RobertGuterl, die das Durchblick. Seit dem 1. Januar macht die 17-Jährige der Projekt an der eine Ausbildung zur Gebäudereinigerin bei der Firma Koch-Schule und in der beRobert-Kochvon Fuat-Faruk Sönmez (links). Foto: Dagmar Welker nachbarten GeSchule betreuen, eine Chance für Azemina. „Vor allem schwister Scholl-Grund- und Hauptschudas Ausländeramt hat sich sehr enga- le. Beide Gebäude hat die Stadt der Firgiert“, berichtet Fellhauer. Und auch Fir- ma Sönmez als Reinigungsobjekte über-

tragen. „Es ist ein schönes Gefühl, meine alte Schule sauberzumachen. Da kenne ich mich aus“, sagt Azemina. Und auch ihr Chef ist zufrieden mit ihr. Dabei ist es nicht das Ziel des Programms, dass alle Förderschüler auch später in dem erlernten Beruf arbeiten. Sie sollen vielmehr einfach eine abgeschlossene Ausbildung in der Tasche haben. „Wenn sie sich damit für eine zweite Lehre bewerben, sind ihre Chancen viel größer als nur mit dem Abgangszeugnis der Förderschule“, erklärt Lehrerin Guterl. Azemina etwa würde später gerne Verkäuferin werden. Gerade haben die ersten sechs Förderschüler ihre dreijährige Ausbildung bei Sönmez beendet, alle haben auf Anhieb bestanden. Das Projekt funktioniert also, und zwar so gut, dass Fellhauer und Guterl es jetzt noch ausbauen wollen. „Wir wollen erreichen, dass der Freundeskreis selbst ausbilden kann. Dazu müssten wir einen Meister einstellen“, so Fellhauer. Die Infrastruktur für den praktischen Teil würde Fuat-Faruk Sönmez zur Verfügung stellen. Bei anderen Gebäudereinigungsfirmen könnten die Jugendlichen dann Praktika machen. Die Handwerkskammer hat dem Modell schon zugestimmt, und so sind alle Beteiligten guter Dinge, dass bald noch mehr Schüler dem Beispiel von Azemina folgen können.

Assessment-Center, bei dem theoretische Tests und Teamaufgaben zu erledigen sind, um den begehrten Ausbildungsvertrag in der Tasche zu haben. Und die Chancen stehen nicht so schlecht: Rund ein Drittel der Teilnehmer des AssessementCenters dürfen im Hotel anfangen. Die Aufgabenbereiche dort sind vielseitig, vom Empfang über die Küche bis zur Bar, vom Konferenzzimmer über den Wellnessbereich bis zur Luxussuite. Das Hotelpersonal arbeitet Hand in Hand, der notwendige Spaß an der stressigen Arbeit kommt dabei nicht zu kurz. Nach dem Abschluss der Ausbildung stehen dem Bewerber die Wege in den freien Arbeitsmarkt offen, der mit attraktiven Angeboten lockt: Wechsel zur Filiale der Hotelkette in Übersee, Stewardess bei Lufthansa oder Bankett-Managerin auf dem Traumschiff. Svea und Sandra haben es bereits geschafft, in wenigen Wochen beenden die beiden ihre Ausbildung zur Hotelfachfrau. Svea hat hier nach ihrem Abitur angefangen, Sarah absolvierte nach der Realschule eine Ausbildung als Industriekauffrau. „Wir haben unseren Traumjob gefunden“, empfehlen beide ihren Beruf mit einem Lächeln. Es mache einfach Spaß, den ganzen Tag mit unterschiedlichsten Menschen zu tun zu haben.

Helmholtz hat drei Mathe-Asse Erfolgreich im Bundeswettbewerb ths. „Man muss die Sache einfach fanatisch betreiben“, weiß Friedrich Feuerstein aus langjähriger Erfahrung. Mittlerweile kurz vor dem Abitur, blickt der 18-Jährige auf seinen fünften (!) Bundessieg im Mathematikwettbewerb zurück, eine Serie, die deutschlandweit bislang nur vier Schüler erreichten. Und der Mathe-Einser-Abonnent will natürlich noch mehr, nämlich wie der „Übervater“ Christian Reiher aus Pfaffenhofen sechs Mal den Wettbewerb gewinnen und damit „in der Ewigkeitsliste mit ihm gleichziehen“. „Die Aufgaben sind einfach schöner geworden“, freut sich das Mathe-Ass aus dem Helmholtz-Gymnasium, zumal der Wettbewerb, der ihn 2001 zusätzlich in die Studienstiftung des deutschen Volkes führte, seiner inneren Einstellung entspricht. „Man muss intelligent sein, aber nicht fleißig!“ Feuersteins Freundin aus der Jahrgangsstufe 12, Stefanie Bachmann, belegte beim Bundeswettbewerb den dritten Platz, für sie „ein Riesenfortschritt“, weil sie im vergangenen Jahr beim erstmaligen Mitmachen nur eine Anerkennung erhalten hatte. Etwas enttäuscht war hingegen Yarsin Zähringer; für den angehenden Abiturienten reichte es „nur“ zum zweiten Platz.

Mit Gipsarm zum Zivildienst nach Bolivien Der 19-Jährige Julian Stiefel absolviert seinen „Anderen Dienst im Ausland“ in Südamerika Von Steffen Blatt „Was mache ich nach dem Abitur?“. Diese Frage stellte sich auch Julian Stiefel. Der Zivildienst stand an, aber der 19-Jährige wollte auch andere Länder kennenlernen. Also bewarb er sich für den „Anderen Dienst im Ausland“ (ADiA) und wird nun für ein Jahr in Cochabamba in Bolivien arbeiten. Morgen geht der Flieger und der Abiturient vom Kurfürst-Friedrich-Gymnasium ist jetzt richtig aufgeregt. Auch weil er und seine drei Zivi-Kollegen so etwas wie Pioniere sind. Denn sie sind die ersten, die der gemeinnützige Verein Amneta für ein ganzes Jahr in die Andenstadt schickt. Was ihn dort genau erwartet, weiß Julian darum auch noch nicht so ganz. Sicher ist, dass er in einer Einrichtung für Straßenkinder arbeiten wird, entweder direkt in der Stadt oder im Vorort Potosi. Untergebracht sind er und seine Kollegen bei Gastfamilien. Bolivien ist eines der ärmsten Länder

Südamerikas und die politische Situation ist gerade nicht die stabilste. „Es gibt gerade viele Bauernaufstände, und meine Mutter macht sich ein bisschen Sorgen“, gibt Julian zu. Er selbst macht sich auch so seine Gedanken, wirkt aber relativ abgeklärt: „Ich gehe schon davon aus, dass ich mal überfallen werde. Man muss immer ein bisschen Kleingeld dabei haben.“ Dass in Bolivien nicht alles so glatt läuft wie in Europa, merkte der 19-Jährige schon bei der Reiseplanung. Eigentlich wollte er direkt in die Hauptstadt La Paz fliegen, doch dann ging die staatliche Fluggesellschaft pleite. Jetzt muss er einen zweitägigen Zwischenstopp im Nachbarland Chile einlegen. Auch körperlich wird sich Julian nach seiner Ankunft in Cochabamba erst einmal umstellen müssen. Denn die 620 000-Einwohner-Stadt liegt 2500 Meter über dem Meer. „Bestimmt komme ich mit einer Sportlerlunge zurück“, scherzt er. Die Stadt hat er sich schon angeschaut – im Internet mit Google Earth,

einem Programm, das Satellitenbilder für jeden anbietet. Doch fast hätte das Unternehmen „Bolivien“ verschoben werden müssen. Vor zwei Wochen brach sich Julian beim Fußballspielen den Unterarm, Elle und Speiche waren glatt durch. Zum Glück musste der Bruch nicht operiert werden, jetzt trägt er einen abnehmbaren Gips. Julians Interesse an fremden Ländern und Kulturen wurde durch ein Auslandsjahr in Kanada geweckt, in der elften Klasse besuchte er eine High School in Vancouver. „Das war die beste Zeit meines Lebens“, gesteht er, in der Hoffnung, dass es in Bolivien noch besser wird. Mit einem sechswöchigen Spanischkurs hat er sich in den Sommerferien auf seinen Aufenthalt vorbereitet und er gibt zu: „Das war das erste Mal, dass ich froh war, dass ich Latein in der Schule hatte.“ Finanzieren muss er seinen Aufenthalt selbst, auch die Gastfamilie bekommt einen kleinen monatlichen Beitrag. Wer Julian bei seinem „Anderen

Morgen geht der Flieger, und Julian freut sich schon auf sein Abenteuer. Foto: Welker Dienst im Ausland“ unterstützen möchte, kann auf folgendes Konto spenden: Amneta, VR Bank Enzkreis e. G., Kto.Nr. 13871005, BLZ 66661454, Verwendungszweck: Julian Stiefel ADiA (bitte unbedingt angeben). Weitere Informationen gibt es unter julianstiefel@gmx.de.



ZEITJUNG

Rhein-Neckar-Zeitung / Nr. 84 / Seite Seite 12

HIER SPIELT DIE MUSIK Wer träumt denn nicht davon, Rockstar zu werden? Wir haben uns bei einigen Studenten der Mannheimer Popakademie umgehört – und erfahren, dass Erfolge in dem harten Bussiness trotz des prominenten Studiengangs keineswegs garantiert sind. Außerdem

durften Schüler in einem Musikprojekt der Akademie selbst mal zu den Instrumenten greifen – vielleicht entsteht daraus eine neue NewcomerBand? Einige Musik-Neulinge stehen schon jetzt im Festival-Finale in der lex Heidelberger Halle 02.

Donnerstag, 12. April 2007

ZeitJung

Das Tonstudio im Klassenzimmer

H I N T E R G R U N D

Projekt „School of Rock“ gastiert in Heidelberg Von Jan Thomas Otte Sie rocken live vor ihren Mitschülern, der Sound dröhnt satt aus den Boxen, sowohl die Zuhörer als auch die musizierenden Schüler in der Aula sind begeistert. Gekonnt spielen Schüler der elften Klasse des Technischen Gymnasiums an der Carl-Bosch-Schule fetzige Rhythmen und gängige Melodien. Andere haben im Rahmen des Projektes „School of Rock“ der Mannheimer Popakademie Beats am Computer gebastelt und präsentieren sie mit eigenem Rap. Einige spielen heute zum ersten Mal an Gitarre und Bass, Keyboard und Schlagzeug. Geübt wurde allerdings erst ab 7.35 Uhr. Nur knapp vier Stunden „Coaching“ für fünfzig Schüler, um von den Studenten der Popakademie das Handwerkszeug, Tipps und Tricks zu lernen. „Der Unterricht war locker, es hat eine Menge Spaß gemacht und man durfte sich auch verspielen“, berichtet Joshua Weikert von seinem Gitarrenunterricht. Er lernt bereits seit zwei Jahren in Mannheim an der Musikschule Gitarre und spielt in der Schulband. Die Klassenzimmer wurden spontan in Probenräume mit Tonstudio umgewandelt. Kreide und Projektor wurden durch Bühnentechnik und Instrumente ersetzt. Statt dem Pauken mathematischer Formeln gab es Gesangsworkshops, Songs wurden eingeübt, Texte geschrieben und Tracks produziert. Die Nachwuchsrocker lernten eben alles im Schnellverfahren, was man als Musiker benötigt. Für Berivan Palantöken am Schlagzeug war es das erste Mal. Sie hatte außer Topfschlagen noch keine Erfahrung mit den einzelnen Trommeln und Schellen. „Ich fand’s gut, dass wir gleich spielen durften statt langweilige Bücher zu lesen“, sagt sie und fühlt sich ermutigt, das Gelernte an der Musikschule zu vertiefen. Aber auch für Schüler mit Erfahrung war der Workshop spannend. Daniel Di Giangiacomo ist Keyboarder einer Band und hat seit fünf Jahren Unterricht. „Mit Klatschen und Stampfen haben uns unsere Dozenten gezeigt, wo’s langgeht“, berichtet er.

„Entweder du wirst Superstar im Fernsehen oder du arbeitest sehr hart an deiner Karriere“ sagt Joe Falk. Er hat den zweiten Weg gewählt, studiert an der Mannheimer Popakademie und baut sich mit seiner Band eine Fanbasis in der Region auf. Foto: zg

Und nach dem Abi wirst du Rockstar Nachwuchstalente und ihre Manager lernen an der Popakademie Mannheim das Musikbusiness von der Pike auf Von Jan Thomas Otte Deutschland sucht noch den Superstar für das Jahr 2007. Studenten der Popakademie Mannheim gehen aber davon aus, dass sich die Zeit der bekannten TV-Castings dem Ende zuneigt. Diese Instantkarrieren seien nur von kurzer Dauer und hätten keine langfristige Perspektive, sind sie überzeugt. Der Trend geht wieder zu echter, origineller Musik. „Wer hört heute noch Alexander oder kauft sich Alben von den No Angels aus der Wühlkiste“, fragt sich Silke Held. Sie hat sich mit zwei Kommilitoninnen selbstständig gemacht und die Agentur „Karakter Management“ gegründet. Hier ist sie für das Marketing einiger Künstler zuständig, die wie sie an der Popakademie studieren. Egal, ob Popmusikdesign, wo es um die eigentliche Produktion geht, oder Musikbusiness, wo die Vermarktung der Musik im Vordergrund steht: Bereits im Stu-

dium, das sechs Semester dauert, machen sich die Mannheimer Studenten neben zahlreichen Praktika und Workshops mit eigenen Projekten selbstständig und greifen sich dabei praktisch unter die Arme. Pro Jahr bewerben sich rund 800 Interessenten für die beiden angebotenen Studiengänge. Formale Voraussetzungen sind: Abitur, praktische Referenzen und eine fundierte Allgemeinbildung. In einem mehrstufigen Testverfahren werden dann die Besten ausgewählt. Man studiert in übersichtlichen Kursgrößen von 25-30 Teilnehmern. Ein erfahrenes Team an Dozenten aus der Praxis unterstützt die künftigen Rockstars mit Rat und Tat. Bekannte Musiker wie etwa Xavier Naidoo mit den Söhnen Mannheims sind ab und an darunter, bilden aber nicht die Basis der Ausbildung. Die Popakademie ist eine Bildungseinrichtung des Landes BadenWürttemberg, keine „Stars- und Sternchen-Schmiede“, sagt Silke, „man be-

kommt sein BAföG genauso wie jeder andere Student auch.“ Allerdings sollte man darauf gefasst sein, dass ein reines Studium an der Popakademie keine Erfolgsgarantie bietet, berichtet Joe Falk, ein Newcomer aus den Reihen der Mannheimer Akademiestudenten. „Hier wird das ganze Wissen vermittelt, das ich brauche, um später auf dem Markt durch eigene Leistung überzeugen zu können“, lobt Falk die Akademie. Viele Nachwuchsbands würden bitteres Lehrgeld zahlen, weil sie sich nicht ausreichend mit den Grundlagen von Recht, Finanzen, Medien und Marketing auskennen. Berühmt werden sei nicht leicht, ist Falk sicher: „Entweder du wirst Superstar im Fernsehen oder du arbeitest sehr hart an deiner Karriere.“ Bevor Falk seine erste CD aufnahm, arbeitete er zwölf Jahre in einer Fabrik in der Nähe von Darmstadt, um überhaupt Musik machen zu können. „Jetzt möchte ich davon leben“, ist sich Falk sicher.

Jetzt muss gerockt und geschwitzt werden Jetzt geht’s um die Wurst: Wer geht beim Newcomer-Festival als Sieger von der Bühne? Wer bisher nur Topfschlagen geübt hatte, durfte bei „School Of Rock“ mal so richtig auf die Pauke hauen. Foto: Dagmar Welker „Wir wollen die Schüler für Musik begeistern“, sagt Musikdozent Axel Schwarz über das Ziel des Projekts. Lehrerin Margit Veith freut sich über den Besuch aus Mannheim und erhofft sich neue Impulse für die Schulband und eine höhere Wahrnehmung ihrer Musik auch im Lehrerzimmer. Musikunterricht gibt es an der technischen Schule nicht. Veith unterrichtet Englisch, möchte aber mehr mit Musik machen. Sie hat sich bereits beim Projekt für Lehrer „Jetzt ziehen die Pauker andre Saiten auf“ angemeldet. Die Bosch-Schule hat noch keinen geeigneten Probenraum zur Verfügung stellen können. Daher üben die Jungs seit drei Jahren im Keller. Das Coaching-Projekt der Popakademie unter dem Motto „Schüler lernen rocken“ findet bereits zum zweiten Mal in der Rhein-Neckar-Region an 18 Schulen statt. Für „School of Rock“ hatten sich rund 160 Schulen aus der Region beworben. Das Gelernte präsentieren die Schüler beim Abschlusskonzert am 11. Mai im Feierabendhaus in Ludwigshafen.

Corrigendum Auf unserer letzten ZeitJung-Seite am 29. März war der Fehlerteufel am Werk. Die E-Mailadresse des „Büros Jugendaustausch“, das in den Sommerferien Sprachreisen nach England für Jugendliche anbietet, war falsch. Die richtige Adresse lautet: info@eu-jugendaustausch.de.

> Der Studiengang Popmusikdesign ist der Ausbildungsgang für kreative talentierte Songwriter, Sängerinnen und Sänger, Rapper, DJs, Instrumentalisten und Instrumentalistinnen, Arranger und zukünftige Producer aus allen Bereichen Populärer Musik (Pop, Rock, Hip-Hop, DJ-Culture, Soul, Funk, Drum & Bass, House, Jungle, R&B, Punk, Grunge, Nu-Metal). In einem zweisemestrigen Grundstudium werden alle popmusikrelevanten Themen gelehrt. In einem viersemestrigen Hauptstudium mit Praktika werden in Projekten praxisorientiert Fähigkeiten vermittelt. > Der Studiengang Musikbusiness ist richtig für alle, die Event- und Labelmanager, Marketingexperten, Künstlerentwickler und Community-Manager werden wollen. Hochkarätige Dozenten aus der Musikbranche und den angrenzenden Bereichen bilden eine neue Generation von Musikmanagern und kreativen Querdenkern aus. Vermittelt wird auch künstlerisches Know-how. Ziel ist ein praxisnahes Studium, das speziell für die besonderen Bedürfnisse des Musikmarktes im digitalen Zeitalter qualifiziert. > Der Bewerbungsschluss für das Wintersemester ist jeweils der 30. April. Weitere Infos im Internet unter: www. popakademie.de lex

Von Alex Wenisch und Steffen Blatt Sie haben gelitten, geschrien und sie haben gekämpft, um dorthin zu kommen: Endlich ins Finale des Newcomer-Festvals der Halle 02. Aus Hunderten Bands der Region hatten die Veranstalter die 20 besten eingeladen, die sich in vier Vorrunden miteinander messen mussten. Wer gefällt kommt weiter, wer langweilt, der wird noch einmal in den Probekeller geschickt. Letztlich durchsetzen und fürs große Finale qualifizieren konnten sich The Curls, The Frogs, Oido, Jimi FX und Shy Guy At The Show. Morgen müssen die fünf Combos noch einmal zeigen, was wirklich in ihnen steckt. Publikum und eine Jury werden entscheiden, wer die begehrte Session im NoisepollutionStudio bekommt. Den Anfang machten The Frogs aus Reilingen, die sich mit ihrer Musik wie so viele Bands auch an den Beatles orientieren. Das ist schwer zu überhören – und dennoch sind die Kurpfälzer Jungs alles andere als eine schnöde Coverband. Sie haben ihren eigenen Stil gefunden, der einfach Spaß macht – erst recht, wenn die beiden Frontmänner, das Zwillingspaar Dario und Marco Klein, im Takt der Musik mitwippen und einen gänsehautverdächtigen zweistimmigen Gesang hinlegen. Beim zweiten Vorentscheid waren die Nachwuchsbands so gut, dass die Jury gleich zwei Starter für das Finale nomi-

nierte. Shy Guy At The Show aus Germersheim greifen bei ihren Liedern auf die frühen Gothic-Zeiten zurück. Einflüsse von Velvet Underground, Depeche Mode oder Inter-

pol scheinen in den Arrangements der sechs Jungs um Sänger Sebastian Emling durch, doch sie liefern alles andere als einen faden Aufguss altbekannter Songstrukturen ab. Das Mannheimer Quartett Oido überzeugte Publikum und Jury sowohl mit ru-

higen Pop-Rock-Balladen als auch mit bombastischen Gitarrenepen. Musikalische Vorbilder wie Ryan Adams oder auch Led Zeppelin waren bei ihrem Auftritt in der „Halle“ deutlich zu hören. Da passt es auch, dass der spanische Bandname auf Deutsch „Ohr“ bedeutet. Beim dritten Vorentscheid trugen die Jüngsten den Sieg davon. Die vier Mitglieder von The Curls sind erst 16 und 17 Jahre alt, doch die Jungs aus Neustadt an der Weinstraße lieferten einen blitzsauberen Auftritt ab. Ihre Musik bewegt sich irgendwo zwischen Queens of the Stone Age und den Arctic Monkeys, bluesgeladene Titel wechseln sich mit abgedrehten Gitarrengewittern ab. Die Finalisten des letzten Vorentscheids waren stark umstritten. Alle vier Bands des Abends waren musikalisch auf ähnlich hohem Niveau, so bdass am Ende nur ganz knapp die Viernheimer PunkBand Jimi FX die Nase vorne hatte. Die versprechen vor allem eines: eine laute Musikshow. Es muss gerockt, es darf geschwitzt werden, wenn die vier Jungs mit ihrem selbst kreierten „DingsbumsPunk“ loslegen. Timo Kumpf, Veranstalter des ersten Newcomer-Festivals in der Heidelberger Halle 02, ist schon vor dem Finale hochzufrieden. Durchschnittlich waren zu den monatlichen Konzerten 300 musikbegeisterte Gäste gekommen und die Halle habe sich als Veranstaltungsort bestens qualifiziert, so der Student an der Mannheimer Popakademie. 嘷 i Info: Finale des Newcomer-Festivals in der Halle 02: Freitag, 13 April. Beginn: 21 Uhr. Eintritt: 4 Euro.

Für eine Studentenband, die bisher nur im Keller spielte und ein paar Auftritte in der Region hatte, bedeutet das, den klassischen Weg zu gehen: viele Konzerte spielen und sich damit eine solide Fanbasis aufbauen. Demotapes aufnehmen, möglichst im Lokalradio gespielt werden und sich ausdauernd um einen Plattenvertrag bei großen Labels wie Sony BMG und Universal bewerben. „Es ist wichtig, sich im Mainstream durch einen eigenen Stil abzuheben“, erklärt Silke. „Falk singt ausschließlich deutsche Texte, auch wenn weniger als acht Prozent deutschsprachige Musik im Radio gespielt wird. Seine Stimme ist sein Markenzeichen und irgendwo zwischen Lenny Kravitz und Herbert Grönemeyer einzuordnen." Die Reaktion der Zuhörer bei den bisherigen Konzerten sei positiv gewesen. „Harte und weiche Seiten zeigen, dass anspruchsvolles Songwriting und eingängige Melodien kein Widerspruch sind.“

LESEN! Von Franziska Hahn Alkohol, Drogen, Rauchen, Gewalt – aus all dem keinen Ausweg wissen – den Tag einfach nur irgendwie überstehen. Das ist das Leben des 15-jährigen Jim – kein normales Teenagerleben. Jims Vater ist Alkoholiker, prügelt seinen Sohn täglich – seine Mutter scheint all das zu ignorieren. Zum Glück hat Jim seine Schwester Mandy, seine Vertraute und sein Vorbild. Zusammen mit ihr und ein paar Freunden baut er sich eine Welt auf, in der er seinem hoffnungslosen Alltag für einen Moment entfliehen kann. Als Mandy sich jedoch vor den Augen ihrer Freunde vor einen Zug wirft, stürzt auch diese Welt ein. Jim haut von zu Hause ab und hängt auf der Straße rum. Er klaut, was er braucht und flüchtet in eine Scheinwelt aus Alkohol und Drogen – nur um einen kleinen Moment des Glückes empfinden zu können. Doch der Gedanke an seine tote Schwester lässt ihn nicht los. Er beginnt nachzuforschen und erfährt die schreckliche Wahrheit. Daniel Grey Marshall bietet seinen Lesern eine ganze Palette von Emotionen: Leid, Hass, Hilflosigkeit aber auch Liebe, Freundschaft und lustige Momente. Wie seine Hauptfigur lebte auch der Autor auf der Straße, war in die Drogenszene abgerutscht. Als Daniel in „No Exit“ seinen Erfahrungen aufgeschrieben hat, war er gerade mal 15 Jahre alt. 嘷 i Info: Daniel Grey Marshall: No Exit. Bertelsmann. 346 Seiten. 7,95 Euro.


GESUNDHEIT

Rhein-Neckar-Zeitung / Nr. 85 / Seite Seite 14

Damit Kinder immer ganz Ohr sein können ... ... bietet die Phoniatrie/Pädaudiologie an der HNO-Klinik viele Möglichkeiten zu Tests und Therapie – Hörscreening etabliert Eine zentrale Hör- und Sprachverarbeitungsstörung spielt auch bei LegastheWenn Kinder nicht hören, liegt das nie eine Rolle. Wenn ein Kind z.B. den Unmanchmal daran, dass sie so sehr in ihr terschied zwischen „d“ und „t“ schlecht Spiel vertieft sind, dass der elterliche Ruf hören kann, so fehlt ihm beim Diktatgar nicht ankommt oder dass sich der schreiben die Sicherheit. An der UniversiNachwuchs gerade auf einen kleinen täts-HNO-Klinik hat Dr. Monika BrunMachtkampf mit Papa und Mama vorbe- ner ein Screening entwickelt, mit dem reitet. Mindestens ebenso häufig hat Sprachverarbeitungsstörungen, die zu „nicht hören können“ aber eine organi- Legasthenie führen können, noch vor der sche Ursache, die oft erst spät erkannt Einschulung rechtzeitig erkannt werden. Auch Kinder, bei denen eine Lippenwird. Ein wichtiger Bereich der Universitäts-Hals-, Nasen- und Ohrenklinik Hei- Kiefer-Gaumenspalte operiert wurde, findelberg ist deshalb die Phoniatrie und den in der Phoniatrie/Pädaudiologie Hilfe, ebenso Kinder, die ein Hörgerät brauPädaudiologie. Zu Jahresbeginn hat Dr. Cornelia chen und lernen müssen, damit umzugehen oder Kinder, die Hornberger die Leiunter Stottern leiden. tung übernommen; Besonders die kleisie ist Fachärztin für Jedes 1 000. Baby hat nen Patienten liegen HNO-Heilkunde und eine Hörstörung Dr. Hornberger und zusätzlich Fachärztin Klinik-Direktor Profür Phoniatrie/Pädfessor Peter Plinkert audiologie sowie Ansprechpartnerin für alle Stimm-, am Herzen. Je früher eine Hörstörung erSprach-, und Hörstörungen bei Kindern kannt und behandelt werden kann, desto und Erwachsenen. Zum Team gehören au- besser ist das Ergebnis. „Wir haben festßerdem eine weitere Fachärztin, drei Lo- gestellt, dass unser pädaudiologisches Angebot von vielen Eltern sehr gut angegopädinnen und zwei Psychologinnen. In die Phoniatrie/Pädaudiologie wer- nommen wird“, erklärte Professor Plinden viele Kinder von Allgemein-, HNO- kert im Gespräch mit der RNZ. Fehlerfreies Sprechen und damit auch und Kinderärzten überwiesen, die im Kindergarten oder in der Schule auffallen. die geistige Entwicklung eines Kindes Wenn Kinder mit zwei bis drei Jahren hängen ganz wesentlich davon ab, dass es noch kaum sprechen, so muss interdiszi- richtig hören kann. Doch eines von 1000 plinär abgeklärt werden, ob eine Hörstö- Kindern in Deutschland kommt mit einer rung, ein Autismus, eine allgemeine Ent- Hörstörung zur Welt; entdeckt wird diese wicklungsverzögerung, ein spezifischer Schwerhörigkeit aber oft erst im Alter Sprachentwicklungsrückstand oder eine von zwei bis drei Jahren. Dann können Versäumnisse in der Sprachentwicklung phonologische Störung vorliegt. Von Ingeborg Salomon

Kleine graue Zellen sind ihr Spezialgebiet

Freitag, 13. April 2007

Kind normal hört. Ist der Test negativ, sind weitere Untersuchungen nötig, die dann in der Phoniatrie/Pädaudiologie durchgeführt werden können. Etwas abseits vom allgemeinen Ambulanzbetrieb hat die Klinik einen separaten Bereich sehr kindgerecht eingerichtet. „Da das Spektrum an Störungen sehr breit ist und Kinder nicht auf Knopfdruck reagieren, nehmen wir uns hier viel Zeit, eine Diagnose zu stellen“, so Dr. Hornberger. Auch bei Erwachsenen gibt es zahlreiche Störungen, die in der Phoniatrie/Pädaudiologie behandelt werden. Das reicht vom Opernsänger, der einen Tag vor der Premiere von akuter Heiserkeit befallen wird, über den Lehrer, der eine funktionelle Stimmstörung oder Knopf im Ohr: Beim Hörscreening wird schnell und schmerzlos getestet, ob das Baby gut hört. Foto: Uni-Klinikum Knötchen auf den aber nicht mehr so leicht korrigiert wer- Neugeborene gut hört. Der Test ist ein- Stimmbändern hat, bis zum frisch Opeden. In einem Gemeinschaftsprojekt der fach, für das Baby völlig schmerzlos und rierten, dem ein Teil des Kehlkopfes entfernt werden musste und der wieder neu Kliniken für HNO-Heilkunde, Frauen- dauert höchstens fünf bis zehn Minuten. Bei diesem Hörtest werden dem Kind sprechen lernen muss, oder Patienten mit heilkunde sowie Kinder- und Jugendmedizin der Universität Heidelberg wurde möglichst während des Schlafes über ei- Schluckstörungen. Auch Therapien sind in der Phoniajetzt ein generelles Hörscreening für alle nen Stöpsel Testsignale ins Ohr geschickt. Ein normales Ohr ist in der Lage, trie/Pädaudiologie möglich: TherapieNeugeborenen etabliert. Professor Plinkert hofft, dass dieses dieses Signal so zu verarbeiten, dass ein gruppenbehandlung für Tinnitus und ElHörscreening auf das gesamte Bundes- Teil des Schalls vom Innenohr wieder ak- terngruppenberatung bei Legasthenie land Baden-Württemberg ausgedehnt tiv in Richtung auf den Gehörgang zu- werden von den Patienten gut angenomwird. Andere Bundesländer haben dies rückgeworfen wird. Dieser Schall kann men. Ebenso sind logopädische Therabereits umgesetzt, beispielsweise Ham- nun mit einem Mikrofon aufgefangen pien an der Universitäts-HNO-Klinik burg oder das Saarland. Bereits auf der werden. Wenn der Schall aufgezeichnet selbst sowie auch an der Schule für LogoSäuglingsstation wird getestet, ob das wird, ist davon auszugehen, dass das pädie im selben Haus möglich.

„Natürliche Familienplanung ist so einfach wie Zähneputzen“ Studie an der Uni-Frauenklinik beweist: Mit der Symptomthermalen Methode können Frauen zuverlässig verhüten

Jan Thomas Otte „Lernen und Plastizität beim jungen und erwachsenen Gehirn“ war das Thema eines Vortrags, den Professor Hannah Monyer jetzt anlässlich der Internationalen Woche des Gehirns hielt. Organisiert wurde die Veranstaltung vom „Forum Gehirn“, einer Plattform für Veranstaltungspartner, um Themen rund um das menschliche Gehirn in die Öffentlichkeit zu bringen. Der bundesweit organisierte Ver-

Die Heidelberger Professorin Hannah Monyer ist als Neurobiologin absolut „Spitze“. F.: dpa band will mit rund zwanzig Selbsthilfegruppen, darunter eine in Heidelberg, Hilfestellungen für hirnverletzte Menschen und ihre Angehörige geben. Professor Hannah Monyer ist Ärztliche Direktorin der Abteilung Klinische Neurobiologie an der Uniklinik Heidelberg und spürt dem Geheimnis von Denken, Lernen und Erinnern nach. Winzige Querschnitte von Mäusegehirnen bilden die Grundlage der Forschung von Monyer und ihren Mitarbeitern. Im Labor erlebt Monyer nach eigenen Worten Glücksgefühle, wenn sie Neuroblasten, Nervenzellen und Netzwerke analysiert. „Für mich ist das die Schönheit der Wissenschaft“, erklärte die Professorin, die bereits mit dem Bundesverdienstkreuz und dem begehrten Leibniz-Preis ausgezeichnet wurde. Dabei bleibt sie durchaus bescheiden: „Ich bilde mir nicht ein, das ,Ich‘ zu verstehen, während ich Mikro-Schaltkreise bei Mäusen studiere.“ Professor Monyer präsentierte das menschliche Gehirn mit seinen fantastischen Möglichkeiten, thematisierte jedoch auch Verletzungen bei Unfällen und Krankheiten am zentralen Nervensystem. Monyer machte den Zuhörern Mut, das eigene Lernen nicht zu vernachlässigen und das Gehirn ständig zu trainieren: „Wir können unser Gehirn potenziell verändern, in der Forschung nennt man das Plastizität.“ Vor allem jüngere Menschen sollten ihre grauen Zellen durch Auswendiglernen von Vokabeln, Formeln und Gedichte fit halten. Die Fähigkeit zum Lernen und Erinnern vergeht mit dem Alter. „Wer nicht früh damit anfängt, hat es später sehr schwer, das zu ändern“, gab Monyer zu bedenken. Einmal erlernte Tätigkeiten wie Fahrradfahren gehören hingegen zum so genannten impliziten Lernen und werden auch nach zehn Jahren Ruhepause noch problemlos beherrscht.

schwanger, wenn kein ungeschützter VerVon Ingeborg Salomon kehr in der fruchtbaren Phase stattfand. „Natürliche Familienplanung ist so ein- Dieser Wert entspricht etwa der Sicherfach und selbstverständlich wie Zähne heit von Pille und Spirale. Wie der Name schon sagt, werden bei putzen, wenn man sich ein bisschen damit beschäftigt hat.“ Dr. Petra Frank- der Symptomthermalen Methode zwei Herrmann ist Geschäftsführerin der Sek- voneinander unabhängige Parameter austion Natürliche Fertilität an der Universi- gewertet, nämlich die Körpertemperatur täts-Frauenklinik Heidelberg und Mithe- und der Zervixschleim. Beides sind Signarausgeberin einer Studie, die gerade für le des weiblichen Körpers, die anzeigen, ob eine Frau gerade fruchtbar ist oder einigen Medienwirbel sorgt. Dass Frauen „natürlich“ verhüten, nicht. Alle Frauen, die an der Studie teilgenommen haben, haund zwar mit bestem Erben sich in einem Einfolg, hat kaum noch etführungskurs oder anwas mit der einst so verSo sicher hand des Buches „Napönten, weil enorm unsiwie die Pille türlich und sicher“ vorcheren Knaus-Oginobereitet. So haben sie Methode zu tun, vor der gelernt, ihren Körper geMütter und Frauenärzte nau zu beobachten und seine Signale zu jahrzehntelang gewarnt haben. „Die Generation der heute 20- bis deuten. Wie funktioniert die Symptomtherma40-Jährigen ist mit der Pille groß geworden, und viele sind auf der Suche nach ei- le Methode? Die Frau misst jeden Morgen ner natürlichen Verhütungsmethode“, vor dem Aufstehen ihre Körpertemperaweiß Dr. Frank-Herrmann aus zahlrei- tur; das muss nicht immer zur gleichen chen Gesprächen. Die Ergebnisse der ak- Uhrzeit sein (was für Frauen im Schichttuellen Studie sprechen für sich: Die Me- dienst auch gar nicht möglich ist). Um diziner haben 900 Frauen zwei Jahre mit die Zeit des Eisprungs steigt die morgendder „Symptomthermalen Methode“ ver- liche Körpertemperatur etwas an und hüten lassen und dabei 17 638 Monatszy- bleibt bis zur nächsten Periode erhöht. Zudem kontrolliert die Frau ihren Zerklen ausgewertet. Nur 0,6 Prozent der Frauen wurden in einem Jahr ungewollt vixschleim. „Der Gebärmutterhals ragt

Viele Paare seien so zu Experten gein die Scheide; der Schleim an seiner Spitze verflüssigt sich im Laufe des Zyklus worden, die Frauen gingen viel kompetenund lässt sich an den fruchtbaren Tagen ter und gelassener mit ihrem Körper um, am Scheideneingang beobachten“, er- so die Ärztin. Das helfe nicht nur, eine unklärt Dr. Frank-Herrmann. Beides wird gewollte Schwangerschaft zu verhüten, in ein Zyklusblatt eingetragen, ebenso Be- sondern auch beim Umgang mit Symptosonderheiten wie Medikamenteneinnah- men wie Ausfluss, unregelmäßigen Blutungen oder Schmerzen. me oder andere mögliche Störfaktoren. Wer gewohnt ist, körpereigene SignaDie Studie hat untersucht, wie sicher diese Verhütungsmethode ist, und zwar le aufmerksam zu beobachten und auch bei Frauen, die an den fruchtbaren Tagen zu deuten, wird auch für den Arzt ein besgar keinen Verkehr hatten und bei sol- serer Gesprächspartner sein. Und natürlich lässt sich mit der chen, die mit Kondom Symptomthermalen verhüteten. Die UnterMethode nicht nur schiede sind minimal: Experte werden für sehr zuverlässig verhü0,4 Prozent Schwanden eigenen Körper ten, sondern prima gerschaften pro Jahr, auch ein Wunschbaby wenn kein Verkehr in planen. der fruchtbaren Zeit stattfand und 0,6 Prozent Schwangeri Info: Malteschaften pro Jahr, wenn zusätzlich Kon- 嘷 ser Werke dome in der fruchtbaren Zeit benutzt (Hg.) „Nawurden. türlich und Von den 900 Teilnehmerinnen waren sicher“, Tri68 Prozent zwischen 19 und 29 Jahren as-Verlag, alt, zwei Drittel hatten einen mittleren Stuttgart, oder höheren Bildungsabschluss. 73 Pro2005,17. zent der Frauen waren katholisch, 62 ProAuflage, zent unverheiratet. „Die meisten Frauen 163 Seiten, haben sehr motiviert und sehr konseAbb., 12.95 quent mitgemacht“, berichtet Dr. FrankEuro. Herrmann.

Mit Testen und Tasten dem Kropf auf der Spur Jeder dritte Bundesbürger hat Probleme mit der Schilddrüse – Aktionswoche ab 23. April sal. Ist die Schilddrüse gesund, regelt das kleine Organ am Hals unbemerkt zentrale Vorgänge im Körper. Etwa jeder dritte Bundesbürger hat aber Probleme mit diesem kleinen Organ, die oft lange unbemerkt bleiben. Ein einfacher Schlucktest hilft dabei, Veränderungen an der Schilddrüse frühzeitig zu entdecken und so den ersten Schritt zur Vorsorge selbst zu tun. Vom 23. bis 27. April ist Schilddrüsenwoche, und jeder kann mit einem einfachen Schlucktest feststellen, ob er einen Arzt aufsuchen sollte. > Nehmen Sie einen Handspiegel und halten ihn so, dass Sie den Teil Ihres Halses zwischen Kehlkopf und Schlüsselbein sehen können. Die Schilddrüse sitzt unterhalb des Kehlkopfes. > Legen Sie den Kopf in den Nacken. Behalten Sie den Hals im Blick. > Nehmen Sie einen Schluck Wasser, schauen Sie weiter in den Spiegel. > Beobachten Sie während des Schluckens, ob unterhalb des Kehlkopfes Schwellungen hervortreten. Zeigen sich beim Schlucktest Schwellungen am Hals, sollte ein Arzttermin vereinbart werden; es könnte eine Veränderung der Schilddrüse vorliegen. 嘷 i Info: Mehr Informationen unter www.schilddruse.de und www.forumschilddruse.de

GESUNDHEIT KOMPAKT Ausgezeichnet geforscht Jedes Jahr kommen in Deutschland rund zehn Neugeborene mit einer erblichen Stoffwechselerkrankung, der so genannten Propionazidurie, zur Welt, die in den ersten Lebensmonaten häufig tödlich verläuft. Dabei kann der Körper Eiweiße und deren Bestandteile, die Aminosäuren, nicht vollständig abbauen; so entstehen Säuren, die den gesamten Organismus überschwemmen und schädigen. Die grundlegenden Mechanismen dieser Erkrankungen hat nun Dr. Marina A. Morath vom Stoffwechselzentrum der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin Heidelberg näher untersucht. Für ihre Forschung hat sie jetzt den mit 5000 Euro dotierten Wissenschaftspreis der Gesellschaft für Neuropädiatrie 2006 erhalten.

Selbsthilfegruppe „Schmerzen“

Schilddrüsenvergrößerungen und Knoten zeigen lange keinerlei Symptome; daher ist es besonders wichtig, den Hals regelmäßig im Auge zu behalten. Ein einfacher Schlucktest kann Klarheit bringen. Foto: Schilddrüseninitiative Papillon

Chronische Schmerzzustände bringen den Betroffenen oft bis an seine Grenzen. Die Spezialisierung der Ärzte führt oft dazu, dass die Schmerzen allein aus fachärztlicher Sicht betrachtet werden. Das hat für viele Patienten eine leidige Odyssee zur Folge. Wer Interesse hat, an einer Selbsthilfegruppe für chronische Schmerzpatienten teilzunehmen, kann sich beim Heidelberger Selbsthilfebüro, Alte Eppelheimer Str. 38, unter Telefon 06221/184290 melden. sal


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SONNTAGSBLATT FÜR DIE PFALZ

SEIT 1846

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8. April 2007

Christus ist wieder frei Auf, auf, mein Herz, mit Freuden nimm wahr, was heut geschicht; wie kommt nach großem Leiden nun so ein großes Licht! Mein Heiland war gelegt da, wo man uns hinträgt, wenn von uns unser Geist gen Himmel ist gereist. Er war ins Grab gesenket, der Feind trieb groß Geschrei; eh er’s vermeint und denket, ist Christus wieder frei und ruft Viktoria, schwingt fröhlich hier und da sein Fähnlein als ein Held, der Feld und Mut behält. Das ist mir anzuschauen ein rechtes Freudenspiel; nun soll mir nicht mehr grauen vor allem, was mir will entnehmen meinen Mut zusamt dem edlen Gut, so mir durch Jesus Christ aus Lieb erworben ist. (Paul Gerhardt, EG 112) Allen Leserinnen und Lesern wünschen Redaktion und Verlag ein frohes Osterfest.

Pensionierter Pfarrer mit Pinsel und Farbe Musik und Malerei gehören für ihn untrennbar zusammen: Der pensionierte Pfarrer Karl-Martin Hust hat eine Pfeifenorgel und zahlreiche Gemälde in seinem Wohnzim-

mer (Seite 3). Der Otterberger Künstler und Kirchenmusiker stellt seine Bilder in pfälzischen Kirchen aus. Jesus und Paulus stehen im Zentrum seines Werkes. KB/Foto: view


Evangelischer Kirchenbote 14/2007

Cherdron: Hoffnung zeichnet Christen aus Kirchenpräsident Eberhard Cherdron hat dazu aufgerufen, die christliche Auferstehungshoffnung im Dialog mit anderen Religionen deutlich zu machen. Das Christentum sei von seinem Wesen her eine Religion der Hoffnung, sagte Cherdron anlässlich des Osterfestes. Das unterscheide die christliche Religion von anderen Weltreligionen. „Diese Hoffnungskraft über den Tod hinaus begründet sich einzig und allein in der Auferstehung Jesu Christi.“ Es habe Zeiten gegeben, in denen Christen meinten, diesen Glaubensartikel vernachlässigen zu können, sagte Cherdron. Auch in den vergangenen Monaten sei die Frage wieder aufgetreten, wie viel von den christlichen Wahrheiten im Dialog mit dem Islam den Muslimen zuzumuten sei, und ob es nicht besser sei, sich im interreligiösen Gespräch auf allgemeingültige Werte zu beschränken. Demgegenüber müsse festgehalten werden, dass christlicher Glaube ohne Auferstehungshoffnung nichts sei. Dies gelte für den interreligiösen Dialog wie für den täglich gelebten Glauben. Im Unterschied zum Glauben an eine unsterbliche Seele bedeute die Auferstehungshoffnung keine Vertröstung auf eine andere Zukunft, sondern reiche in dieses Leben hinein. Nach den Worten des Kirchenpräsidenten ist es die Anfrage an heutige Christen, „ob man es uns abspürt, dass unsere Hoffnung größer ist als alle Krisen“. Es müsse zu spüren sein, dass die christliche Liebe in dieser Hoffnung begründet liege und darum nicht aufhören müsse, auch wenn die Umstände den Einzelnen bisweilen fast verzweifeln ließen. „Ostern stärkt uns darin, unsere Hoffnung zu leben.“ Eberhard Cherdron predigt am Ostersonntag, 10 Uhr, in der Gedächtniskirche Speyer, Oberkirchenrat Gottfried Müller ebenfalls am Sonntag, 10 Uhr, im nordpfälzischen Bischheim. aeb 왘 Kommentar auf Seite 4.

Nachricht und Meinung

Pfälzischer Prediger mit Pinsel und Cembalo Ölgemälde des Pfarrers und Kirchenmusikers Karl Martin Hust werden in Kirchenräumen ausgestellt

Malerei und Musik bilden für ihn eine Einheit: Der pensionierte Pfarrer Karl Martin Hust ist Künstler und Kirchenmusiker. (Foto: view)

In seiner Wohnung duftet es nach frischer Ölfarbe, unzählige Gemälde hängen an den Wänden. Die Augen des Künstlers strahlen, wenn er seine umfangreiche Sammlung betrachtet. „Die Malerei erfüllt mich durch und durch“, sagt der ehemalige Pfarrer Karl Martin Hust aus Otterberg, der bereits 300 Bilder gemalt hat. Im Keller hat er sich ein kleines Atelier eingerichtet, um in aller Ruhe zu arbeiten. Gegenüber der Staffelei steht ein Cembalo. „Wenn mir die Kreativität ausgeht, drehe ich mich einfach um und spiele Johann Sebastian Bach. So komme ich auf neue Ideen“, erklärt Hust. Malen und Musizieren sind seine Leidenschaften. Für die großen musikalischen Momente setzt er sich an den Konzertflügel im Wohnzimmer. Dort ist außerdem – wie in einer Kapelle – eine Pfeifenorgel eingebaut. Ob der 75-Jährige ein Präludium von Bach spielt, eine Predigt vorbereitet oder Bilder zur Passion malt: Sich

künstlerisch zu betätigen, hat Karl Martin Hust schon immer gereizt. Seit 13 Jahren ist er bereits im Ruhestand. Dadurch hat der Vater von vier erwachsenen Kindern Zeit für seine Hobbys. Früher war er in der Versöhnungskirche Kaiserslautern Gemeindepfarrer. Studiert hat der Pfarrer auch Kirchenmusik. Zur Malerei kam er aber erst später: „Dazu blieb einfach zu wenig Zeit“, sagt Hust. Nur im Urlaub packte er Block und Bleistift aus und zeichnete Gebäude und Landschaften. Heute malt Hust biblische Figuren. Grund für diese Ausrichtung war aber nicht seine theologische Ausbildung. Sein Lehrer Fritz Baumgartner an der Künstlerakademie Vulkaneifel in Steffeln, wo er regelmäßig Malkurse besuchte, forderte ihn auf: „Sie sind Pfarrer. Sie malen biblische Bilder.“ Zuvor hatte Hust sich der Architektur- und Aktmalerei gewidmet. So ist er doch ein Prediger mit dem Pinsel geworden und hat die Kanzel mit der Leinwand

Kritik am Tornado-Einsatz der Bundeswehr Kirchenvertreter fordern zivile Konfliktbearbeitung und sprechen sich gegen nukleare Teilhabe aus Instrumenten der zivilen Konfliktbearbeitung muss nach Ansicht von Vertretern der pfälzischen Landeskirche ein wesentlich höherer Stellenwert in der Sicherheitspolitik zugemessen werden. Das sei ein Ergebnis eines Studientags, der in Kaiserslautern Vertreter von Kirche, Friedensgruppen und Politik ins Gespräch gebracht habe, teilte der Leiter der Arbeitsstelle Frieden und Umwelt, Friedhelm Schneider, in Speyer mit. Die Studientagsteilnehmer haben nach Schneiders Worten die Forderung der zurückliegenden EKD-Synode begrüßt, den Aufbau eines Europäischen Zivilen Friedenskorps voranzubringen. Zu dem Studientag über Sicherheitskonzepte eingeladen hatte das Kuratorium zur Begleitung des Konziliaren

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Prozesses, das in der Landeskirche zu den Themen Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung berät. Professor Berthold Meyer von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung habe die Entsendung deutscher Tornados nach Afghanistan kritisiert, sagte Schneider. Nach Meyers Ansicht stelle die deutsche Regierung militärische Bündnisinteressen über den Wiederaufbau des zerstörten Landes. Statt sich auf den Schutz von Aufbaumaßnahmen zu beschränken, lasse die Bundeswehr sich mit ihrer Tornadomission in einen Anti-TerrorKampf einbeziehen, der immer neue Opfer unter der Zivilbevölkerung fordere. Dadurch werde die Bundeswehr nicht länger nur als Helfer wahrgenommen, und der Einsatz der Soldaten

werde dadurch gefährlicher. Auf Kritik der Studientagsteilnehmer ist nach Schneiders Aussage die im Verteidigungs-Weißbuch fortgeschriebene Regierungspolitik der „nuklearen Teilhabe“ gestoßen. Sie widerspreche dem von weiten Teilen der Bevölkerung geforderten Abzug aller Atomwaffen von deutschem Boden. Die Teilnehmer des Studientages seien sich einig gewesen, dass es zu den Aufgaben der Kirche gehöre, auch in sicherheitspolitischen Fragen die Bewusstseinsbildung zu fördern. Gerade im Umfeld der Air Base Ramstein müsse deutlich werden, dass der Protest gegen völkerrechtlich bedenkliche Militäraktionen nicht antiamerikanischen Vorbehalten, sondern der Sorge um den Frieden entspringe. KB

verbunden. Ob Haßloch, Frankenstein oder Kaiserslautern: Husts Bilder werden in Kirchen ausgestellt. Verkaufen will der Otterberger Künstler seine Werke aber nicht. Hust hat verschiedene Bilderserien zur Passion Christi und zur Person Paulus gemalt. Inspiration dafür war die Musik der Kompositionen Johann Sebastian Bachs und Felix Mendelssohn Bartholdys. Diese Klänge hat der Künstler in leuchtende Farben und klare Figuren verwandelt. Farbe ist für Hust ein Ausdrucksmittel ersten Ranges. Dabei liegen in seinen Bildern der Ausdruck von Freude und Melancholie ganz nah beisammen. Inspiriert fühlt sich Hust durch künstlerische Vorbilder wie Emil Nolde und Marc Chagall. Zum 50. Geburtstag schenkte ihm seine Frau einen Kasten mit Ölfarben. „Dadurch ist meine Krankheit erst richtig ausgebrochen. Ich bin verrückt nach der Malerei“, sagt Karl Martin Hust und freut sich dabei wie ein Kind. jto

Schulleiter bietet Kritikern Gespräche an Der umstrittene Schulleiter des evangelischen Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums in Schweich, Heinrich Bentemann, hat seine Kritiker zum Dialog gebeten. Er stelle sich sachlicher Kritik, sagte der 55-jährige Gymnasiallehrer. Bentemann war vor Weihnachten wegen eines gestörten Vertrauensverhältnisses vom Vorstand der DietrichBonhoeffer-Stiftung beurlaubt worden. Nachdem die Evangelische Kirche im Rheinland die Beurlaubung für unrechtmäßig erklärte, trat der Schulleiter am 22. März seinen Dienst wieder an. Seit der Rückkehr des Pädagogen reißen die Proteste und Boykottmaßnahmen von Eltern und Lehrern nicht ab. Die rheinische Landeskirche hält an ihrer Entscheidung fest, den Konflikt an der Ganztagsschule mithilfe eines Mediators zu lösen. epd


Evangelischer Kirchenbote 15/2007

L

aut tönen die Hip-Hop-Beats aus dem Gettoblaster, große Pappflächen riechen nach frischer Sprühfarbe und einige Jugendliche tanzen zur Musik. Rund 20 junge Leute probieren sich im Sprühen neuer Graffiti und texten eigene Raps – unter Anleitung von Profis aus der Hip-Hop-Szene. In Mundenheim, einem sozialen Brennpunkt in Ludwigshafen, leben viele Obdachlose und Menschen ohne Arbeit. Sozialpädagoge Stefan Gabriel will mit seinem Team besonders Schüler der Hauptschule in Mundenheim ansprechen: „Wir wollen dort ansetzen, wo es noch nicht zu spät ist, wo wir was bewirken können.“ Die Aktion „Stimme der Jugend“ des Jugendzentrums Mundenheim, einem Haus der Ökumenischen Fördergemeinschaft von Caritas und Diakonie, hat am Gründonnerstag begonnen. Seit Ostern hat der Treff wöchentlich für junge Menschen zwischen sechs und 24 Jahren geöffnet. „Bereits im Grundschulalter gibt es Kinder, die Texte von Rappern wie Eminem und Bushido vollständig auswendig können“, sagt der 19-jährige Teilnehmer Norbert Tremel aus Mundenheim. Er ist hier aufgewachsen, hat die Hauptschule besucht und arbeitet in der Abrissfirma seiner Mutter. Thomas Fischer möchte als Projektleiter von „Stimme der Jugend“ die Heranwachsenden dort abholen, wo sie sind: „Wir nehmen den Hip-Hop, um damit die Themen aufzugreifen, die unsere Jugendlichen beschäftigen“, erklärt Fischer. Die Pädagogen glauben an deren kreatives Potenzial: „Wir wollen ihnen mehr Selbstwert bieten“, sagt Gabriel. Er versucht besonders Leute ohne Perspektive zu ermutigen, etwas Eigenes zu schaffen. Viele Jugendliche hätten falsche Vorstellungen von Hip-Hop. Schnell würden die TV-Stars aus der Szene zum Idol hochgejubelt, mit Erfolg, schönen Frauen und schicken Autos verbunden. „Drogendeals und Messerstechereien gelten als ,cool‘, die Kinder checken das Menschenverachtende darin einfach nicht“, sagt Norbert. So transpor-

Zwischen Rhein und Saar

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Mit Hip-Hop und Graffiti Jugend erreichen Projekt „Stimme der Jugend“ im Jugendzentrum der Ökumenischen Fördergemeinschaft läuft seit Ostern tiert der Rapper Bushido mit seinen Texten nationalistische, rassistische und sexistische Inhalte. Gabriel will Jugendliche durch das Texten eigener Raps dazu anregen, besonders die gewaltverherrlichenden Texte kritisch zu hinterfragen. „Wenn da locker gesungen wird: ,Ich tu Deiner Mutter was an’, und die eigene Mutter beim Ferienprojekt mit dabei ist, dann sind die plötzlich schockiert“, erklärt der Sozialpädagoge. Zudem würden die Graffiti an der Fassade des Zentrums, die junge Leute im Auftrag der Sozialpädagogen gesprüht haben, auch von Älteren gewürdigt. Das Viertel um die Kropsburgstraße in Ludwigshafen ist ein sozialer Brennpunkt, der geprägt ist von Verwahrlosung einer ganzen Generation junger Menschen. Es liegt Sperrmüll herum.

„Der stammt zum Teil von der angeblichen besseren Gesellschaft, die ihn hier billig loswerden will.“ Hier gibt es keine Zentralheizungen, keine Bushaltestelle und auch keinen Supermarkt. Einziger Treffpunkt ist das Haus der Fördergemeinschaft mit dem benachbarten Kinderhort – und dem Kiosk. Ein Viertel der Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren ist ohne Arbeit, die wenigsten von ihnen haben einen Hauptschulabschluss. Die Mundenheimer Jugendlichen bezeichnen sich selbst als „Verlierer der Gesellschaft“. So geht es auch Christian Wolseffer, 24 Jahre alt. Er hat keinen Schulabschluss, ist Vater von drei Kindern und arbeitslos. „Ich war wohl zu faul“, sagt Christian. Dabei hat er schon in einer Verpackungsfirma und Gärtnerei ausgeholfen, nur

Das Selbstwertgefühl fördern: Jugendliche beim Graffiti-Sprühen im Jugendzentrum.

wenig Alkohol getrunken und noch nie geraucht. Früher hat er gern chinesischen Kampfsport gemacht, heute spielt der Muskelmann mit seiner XBox, einer Spielekonsole. Von der Sozialhilfe spart er etwas Geld, um später ein kleines Geschäft für Motorroller zu eröffnen: „Ich will meinen Kindern eine bessere Zukunft bieten als ich sie hatte“, sagt Christian. Das Jugendzentrum Mundenheim wird von der Ökumenischen Fördergemeinschaft sowie von der Stadt Ludwigshafen unterstützt. Auch ein Musikgeschäft beteiligt sich. Doch benötigt das Jugendzentrum noch dringend Spenden für geplante Projekte wie beispielsweise kostenfreie Unterrichtsstunden für Tanz und Gesang oder die Aufnahme einer CD mit eigenen Beiträgen der Jugendlichen. jto

(Foto: Kunz)

Zum Abmildern von Auflösungserscheinungen in der Stadt gegründet Gesamtkirchengemeinde Pirmasens besteht seit 50 Jahren – Festprogramm mit Gottesdienst und Rundwanderung durch alle acht Gemeinden Vor 50 Jahren ist die Gesamtkirchengemeinde Pirmasens aus acht Gemeinden gegründet worden. Damals schlossen sich die Johannes-, Luther-, Markus-, Matthäus- und Paulus-Kirchengemeinde sowie die Kirchengemeinden in Niedersimten, Erlenbrunn und Ruhbank zusammen. „Das geschah in der Überzeugung, dass es gemeinsam besser gelingen würde, professionelle Arbeit bei der Erledigung der Verwaltungs-, Kassen- und Vermögensgeschäfte, der Personal- und Bauangelegenheiten, bei diakonischen Hilfsangeboten und bei der Erziehungsarbeit in den heute sieben Kindertagesstätten und drei Horten zu leisten“, sagt Dekan Michael Diener. Dass nur acht der insgesamt 32 Kirchengemeinden des Kirchenbezirks

Mitglieder in der Gesamtkirchengemeinde sind, habe historische Gründe. „Es ging darum, eine Auflösungserscheinung in der Stadt abzumildern“, so Diener. Damals seien aufgrund des Einwohneranstiegs in Pirmasens neue Kirchengemeinden gegründet worden, für die bestehende Gemeinden geteilt und neu zugeschnitten werden mussten. Durch die Gründung habe ein Teil der Aufgaben weiter gemeinsam erledigt werden können. Durch die Entlastung, dass nicht mehr jede Gemeinde alle Aufgaben zu erledigen hatte, konnten sich nach Dieners Angaben Schwerpunkte bilden. „Die Johanneskirchengemeinde etwa engagiert sich stark in der Kirchenmusik, und die Pauluskirchengemeinde bietet vor allem in Verbindung

mit dem CVJM Jugendarbeit“, so der Dekan. Ein Nachteil der Zugehörigkeit zur Gesamtkirchengemeinde sei, dass die Gemeinden einen Teil ihrer Souveränität hätten aufgeben müssen und mehr Zeit für Gremienarbeit und Abstimmung aufzuwenden hätten. Gefeiert wird das 50-jährige Bestehen mit drei Veranstaltungen: Mit einem zentralen Gottesdienst am Sonntag, 29. April, um 10 Uhr in der Lutherkirche. Die Predigt hält Oberkirchenrat Christian Schad. Um 13 Uhr folgt in der Matthäuskirche ein Programm mit Beiträgen aus der Arbeit der Gesamtkirchengemeinde und um 15 Uhr ein Vortrag von Pfarrer Ludwig Burgdörfer, Leiter des Missionarisch Ökumenischen Dienstes, über „Chancen und Perspektiven von Kirche in der Stadt“.

Am Samstag, 30. Juni, lädt die Gesamtkirchengemeinde zu einer Gemeindewanderung ein. Sie beginnt um 9 Uhr in der Friedenskirche auf der Ruhbank und führt auf einem 20 Kilometer langen Rundweg durch alle Gemeinden der Gesamtkirchengemeinde. In jeder Kirche gibt es Informationen für die Wanderer. Am Sonntag, 16. September, bietet die Gesamtkirchengemeinde beim Stadtfest auf dem Exerzierplatz von 11 bis 13 Uhr ein Musikprogramm. Von 11.30 bis 12.15 Uhr gibt es eine zentrale ökumenische Mittagsfeier unter dem Motto „Kirche in der Stadt“. Eine Festschrift zum 50-jährigen Bestehen wird in einer Auflage von 10 000 Exemplaren an alle protestantischen Haushalte in der Stadt verteilt. dob



CAMPUS

Rhein-Neckar-Zeitung / Nr. 88 / Seite Seite 15

Dienstag, 17. April 2007

Vokabeln auf dem Klo oder doch in der Bibliothek pauken? Lernen will auch gelernt sein: Was man nicht alles macht, um den Kopf für die vielen Prüfungen frei zu bekommen? thek und Schreibtisch – müssen nicht unbedingt sein, es geht auch anders. Zu steril sollte es nicht sein, ablenken darf die Umgebung aber auch nicht. Vom eigenen Bett über das selbst gezimmerte Stehpult bis hin zur ausgedehnten Klositzung: Es gibt viele Wege, um sich kreativ zum Lernen zu bringen. Einige Studierende in Heidelberg zeigen, wie und wo das bei ihnen am besten klappt. Miriam kann auch zu Hause gut lernen. Daher arbeitet die Medizin-Studentin gerne am Schreibtisch: „Dort kann ich mich am besten konzentrieren, meinen Blick aus dem Fenster ins Grüne schweifen lassen.“ Martin lehnt sich lieber in seinem Wohnheimsessel zurück, um für seine nächste Physikprüfung zu lernen. Ist die Lektüre zu tröge, schläft er dabei schon mal ein: „Denn Seinen gibt's der Herr bekanntlich im Schlaf“, erklärt sein Mitbewohner. Auch Yannic macht es sich im Bett gemütlich: „Hier ist es warm und bequem, ich kann alle wichtigen Sachen um mich herum ausbreiten“, schwärmt der Volkswirtschaftler über seine Lernoase, bei der ein reichhaltiges Sortiment an Schokolade und Textmarkern nicht fehlen darf. Das eigene Bett bevorzugt auch Yvonne zur Vorbereitung auf ihre nächste Prüfung, nur die Uhrzeit ist ungewöhnlich: „Am besten klappt das Lernen um fünf Uhr morgens, da ist mein Kopf noch aufnahmefähig“, beschreibt die Studentin ihre effektive Lernzeit. Michael bevorzugt das gewohnte Umfeld in der Bibliothek, wo er Marten radelt kräftig gen Schriesheim, bevor er sich eine Abteilung mit wenig Publiseine Uni-Lektüre schnappt: „Mein Kopf ist wieder kumsverkehr gefunden hat: „Mit frei, es klappt einfach besser“, findet er. Ohropax ausgerüstet baue ich an Von Jan Thomas Otte

Heidelberg. Raus aus dem stickigen Hörsaal der Neuen Uni, weg vom Bücherberg auf dem Schreibtisch. Wo finde ich in Heidelberg den Ort, an dem ich besser lernen kann? Ratgeber und Rankings gibt es genügend, die einem helfen wollen und die Exzellenz der eigenen Uni bestätigen sollen. Beim Finden der richtigen Lernatmosphäre hilft das jedoch nicht, denn spontane Kreativität und Innovation sind gefragt. Der Anspruch für die persönliche Lernoase ist hoch: Praktisch muss sie sein und gleichzeitig einen hohen Wohlfühlfaktor bieten. Die Klassiker – Biblio-

Goldkehlchen an PH Heidelberg Heidelberg. (rnz) „4x4“, der Frauenchor der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, hat bei einem internationalen Chorwettbewerb in Budapest eine Goldmedaille gewonnen. Unter der Leitung von Heike Chorleiterin Heike Kiefner-Jesatko Kiefner-Jesatko. F.: zg wurde der Erfolg des vergangenen Jahres wiederholt. Damals kehrten die 16 Sängerinnen von einem internationalen Chorwettbewerb in Italien ebenfalls mit Gold zurück. In Budapest wurde das Ensemble Sieger der Kategorie „Frauenchor (unter 20 Personen) mit Pflichtchorwerk“. Gesungen wurde u.a. „Alleluja“ des Mannheimer Kirchenmusikdirektors Johannes Matthias Michel, das er für den Chor komponiert hat.

Wenn einem an diesem Örtchen Geistesblitze treffen, warum nicht auf dem Lokus lernen – sofern die WG-Bewohner mitspielen? Fotos (2): Otte meinem Fensterplatz eine Burg aus Büchern“, erklärt der Lateinstudent. Die vielen Bücher liest er nicht alle, immerhin beruhigen sie sein Gewissen und grenzen sein Territorium ab. Wie das Handtuch im Urlaub den persönlichen Bereich am Pool absichert. Alexandra geht beim Lernen hoch hinaus. Sie schreibt gerade an ihrer Magisterarbeit in Archäologie und konzentriert sich am besten am Schloss mit Blick auf die Heidelberger Altstadt: „Bei kurzen Durchhängern hebt ein Blick auf die Stadt die Laune sofort.“ Dabei kalku-

liert sie gerne den steilen Anstieg zum Schloss ein: „Die Treppen sind mein Fitnessstudio“, sagt Alexandra, „was nimmt man nicht alles für ein bisschen Prinzessin-Feeling in Kauf?“ Schreibtisch, Bett und Bibliothek sind aber nur eine Auswahl möglicher Lernoasen. Thomas studiert Theologie und kann sich seine Griechischvokabeln am besten auf der Toilette einprägen: „Ich brauche einen Ort, an dem ich absolut Ruhe habe. Das klappt auf dem Klo am besten“. Marten lernt seine Vokabeln lieber auf einer einsamen Bank bei

Schriesheim im Odenwald, nachdem er sich mit seinem Rennrad auf dem Weg dorthin sportlich betätigt hat: „Durch das Abstrampeln ist mein Kopf wieder frei, es klappt einfach besser.“ Rabea braucht zum Lernen für Geschichte frische Luft. Deshalb geht sie in den Zoo im Neuenheimer Feld, um neben ihren Skripten die Flamingos bei ihren rätselhaften Bewegungen zu beobachten. Gabriele zieht es eher in ihre eigene Küche, wo sie sich beim Espresso am besten für ihr Examen in Theologie konzentrieren kann.

Wie man den Teufelskreis der Prüfungsangst durchbricht Mit der Broschüre „Mannheimer Prüfungscoaching-Programm“ des Studentenwerks kann man es auch auf eigene Faust versuchen Von Nikola Hahn Mannheim. „So viele verschiedene Ängste es gibt, so viele Methoden gibt es auch dagegen“, sagt der Diplom-Psychologe Jürgen Messer. In seiner fast 30-jährigen Praxis in der Psychotherapeutischen Beratungsstelle (PBS) des Studentenwerks Mannheim haben Leistungsprobleme und Prüfungsängste immer wieder den Löwenanteil der Anliegen Studierender ausgemacht. Heute kommen 70 Prozent der Rat Suchenden mit Leistungsproblemen. 2006 registrierte die Mannheimer Beratungsstelle insgesamt gut 650 Studierende. Wie viele das Studium als Krisensituation erleben und nicht kommen, kann keiner sagen. „Obwohl die Hemmungen, eine Beratungsstelle aufzusuchen, abgenommen haben, gibt es Menschen, die persönliche Probleme lieber mit sich ausmachen und sich scheuen, einen Therapeuten in Anspruch zu nehmen“, so Messer.

Für die haben er und seine Kollegin, die Diplom-Psychologin Gabriele Bensberg, ihre Erfahrungen im Umgang mit Ängsten rund um Prüfungen und Leistungsanforderungen schriftlich zusammengetragen. In dem „Manual zum Coaching- und Selbsthilfegebrauch“ gehen sie Angststörungen in ihrer Entstehung und Behandlung auf den Grund. Zwischen der Diagnostik persönlicher Ängste und der Planung des Prüfungstages selbst liegen viele unterschiedliche Bausteine. Aus ihnen setzt sich eine individuelle Prüfungsstrategie wie ein eigenwilliges selbst gebautes Haus zusammen. Die Basis ist häufig ein besseres Zeitmanagement mit konkreten Arbeitsplänen. „In der Regel passen nur zwei bis drei der Bausteine zu einem Leser“, sagt Jürgen Messer. Wer also auf eigene Faust sich coachen will, braucht nicht unbedingt alle 112 Seiten des Manuals dazu, sondern kann sich seine Schwerpunkte über das In-

haltsverzeichnis zusammenstellen. „Wenn jemand Geisteswissenschaften studiert, nützt ihm vielleicht eher eine Methode zur Verarbeitung von Inhalten. Die bringt dem Medizinstudenten, der Mengen von Stoff auswendig lernen muss, nichts.“ Deshalb haben Gabriele Bensberg und Jürgen Messer ganz verschiedene Ansätze unterhaltsam hinterfragt und mit einer Aufgabe für den Test in Eigenregie versehen: Lerntechniken wie die SQ3R-Methode für die Durchdringung mühsamer Fachtexte, die Karteikastenmethode zum Pauken von Fakten, Memotechniken als Gedächtnistraining oder das Rationelle Lesen. Die „kognitive Umstrukturierung“ hingegen greift „Katastrophengedanken“ auf und an. „Ziel ist es, die pessimistischen Erwartungen und Selbstabwertungen auf realistischer Ebene abzuwägen“, sagt Messer. Die Interpretation „Ich bin dumm!“ nach einer gescheiterten Matheaufgabe wird so zu einer unzu-

Sie glauben an Allah und studieren die Tora

嘷 i Info: Das „Manual“ kann beim Studentenwerk Mannheim, Beratung und Soziale Dienste, Parkring 39, 68159 Mannheim bestellt werden.

JOBBÖRSE kate. Dienstags veröffentlicht die RNZ die neuesten Studi-Jobs von Studentenwerk und Arbeitsagentur. Bei Interesse: Nummer notieren und hingehen. Arbeitgeberdaten werden gegen Studentenausweis und telefonisch weitergegeben.

Die Tunesierinnen Amira Sliman und Imen Ben Temellist sind ein bisschen die Exoten an der Hochschule für Jüdische Studien hunderten aktive jüdische Gemeinde mit etwa 2000 Mitgliedern.“ Seit jeher werHeidelberg. Amira Sliman (25) und Imen den die Nachbarn jüdischen Glaubens als Ben Temellist (26) sind Tunesierinnen. Tunesier gesehen und sind in die GesellSie sprechen arabisch und vier weitere schaft integriert. „Das war nie anders“, Sprachen, glauben an Allah und studie- erinnert sich Imen. Hat sich durch den ren seit sechs Jahren an der Jüdischen Nahost-Konflikt das Zusammenleben verändert? „Nein, es sind einfach jüdiHochschule Heidelberg. Eigentlich kamen Imen und Amira sche Nachbarn und keine Israelis.“ Danach wollen die beiden entweder 2001 für einen Sprachkurs nach Heidelberg. Erst hier erfuhren sie von der Hoch- promovieren oder gleich in den Job. schule für jüdische Studien. Das spannen- Imens Traum wäre eine Anstellung bei einer Internationalen Organide Angebot begeisterte beisation wie der Uno. „Ich de: „Wir sind die erste Aramöchte etwas dazu beitraber, die an der jüdischen Die ersten Araber gen, den Konflikt zwischen Hochschule studieren“, erzählt Imen. Die Hochschule an der Hochschule Israelis und Palästinensern zu beenden“, meint sie. Beilegte den „Exoten“ keine de Studentinnen wollen die Steine in den Weg. „Dass zwei Araberinnen hier studieren sollten, Menschen zur Zusammenarbeit über kulist zwar schon diskutiert worden, aber turelle Grenzen hinwegbringen. Das größder damalige Rektor Michael Graetz hat te Hindernis dafür sehen die beiden Studann ziemlich schnell ‚Ja' gesagt.“ Ihre dentinnen in der aktuell vorherrschenneuen Kommilitonen überhäuften die bei- den „Islamophobie“. Diese werde gerade den in der ersten Zeit neugierig mit Fra- in Deutschland von den Medien forciert: gen und wollten wissen, wo sie herkom- „Zu oft vermitteln die nur Klischees über men und warum sie hier studieren. „Das die arabische Kultur, dass die arabische war anfangs ziemlich anstrengend, aber Welt aus Wüsten, Kamelen, Ölscheichs alle waren immer freundlich zu uns – und und verschleierten Frauen besteht. Nach dem 11. September kam noch Terrorisneugierig eben“, lächelt Imen. Imen wuchs in Djerba auf und kam mus hinzu. Aber über die reichhaltige dort früh mit der jüdischen Kultur in Be- Kultur und wie die Menschen in der ararührung. „Hier existiert eine seit Jahr- bischen Welt wirklich denken, kommt

lässigen Verallgemeinerung. Natürlich können Studierende all das auch in einem Einzelcoaching in der Beratungsstelle erfahren. „Manche kaufen auch erst das Buch und kommen dann zu uns. Zum Arbeiten mit dem Manual gehört mehr Selbstdisziplin, als wenn ein Klient sich wöchentlich mit dem Coach trifft und Hausaufgaben bekommt, die er mit jemandem besprechen kann“, stellt Messer fest. Dennoch erschien das „Mannheimer Prüfungscoaching-Programm“ jetzt in der dritten Auflage. „Wir Autoren bekommen von dem Preis des Buches übrigens nichts; das fließt in die Finanzierung der Beratungsstelle“, betont Messer angesichts der 15 Euro, die das spiralgebundene Buch kostet.

Von Reinhard Lask

Studentenwerk Heidelberg

(InfoCenter Triplex Mensa, Mo-Do: 9-16 Uhr, Fr: 9-14 Uhr; InfoCenter Zentralmensa Neuenheimer Feld, Mo-Do: 11-18 Uhr, Fr: 11-15 Uhr)

Amira Sliman und Imen Ben Temellist fühlen sich an der kleinen Hochschule wohl. Foto: Kresin fast nichts.“ Heidelberg ist da anders: „Wenn die Leute hier merken, dass wir Araberinnen sind, haben sie keine Vorbehalte“, erzählt Amira. „Man muss auch keine Angst vor dem Islam haben. Das ist genauso unbegründet, wie die Angst der Araber vor den Juden“, meint sie. Vor einigen Jahren hat sie in Israel an einer gemeinsam mit israelischen und arabischen Studenten durchgeführten Ausgrabung teilgenommen. „Das lief völlig problemlos“, berichtet Amira. Ob sie auch in Israel arbeiten könnte? „Das wäre schwierig. Nicht wegen der Menschen, sondern einer dauerhaften Arbeitserlaubnis.“ Lieber will sie den interkulturellen Dialog im Heimatland voranbringen. In ihrer Freizeit unterscheiden sie sich wenig von anderen Studenten. Sie treffen Freunde, gehen ins Kino, gehen tanzen und ab und zu mal was trinken ge-

hen – für die beiden gläubigen Muslima immer ohne Alkohol. Den Schwerpunkt im Alltag bildet das Telefonieren mit der Familie. Von der Familie getrennt zu sein, ist für die beiden das Schwerste am Studium. Daher sehen sie einen Job im Ausland nach dem Studium eher als Option denn als Wunsch. Am liebsten würden sie in der Heimat arbeiten. Amiras Traum wäre eine Dozentenstelle an der Universität von Tunis und auch Imen schließt eine Karriere in der Forschung nicht aus. Zurzeit sitzen die beiden gerade an ihrer Magisterarbeit. Imen schreibt über die Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Tunesien während der deutschen Besatzung. Amira über die Juden im spanischen Andalusien im 12. Jahrhundert. Damals stand der spanische Landstrich unter der Herrschaft der muslimischen Almahden.

> Übersetzungstätigkeit, Deutsch/ Englisch/Französisch, in Wieblingen ab sofort, Arbeitszeit und Lohn nach Vereinbarung. Stellenangebot: 62554. > Umzugshilfen in Handschuhsheim, 2 Personen, ab 23.06., Arbeitszeit 1 oder 2 Stunden, 20 Euro bei 2 Std, 25 Euro bei 1 Std. Stellenangebot: 62555. > Verteilung von Flyern in Heidelberg, Arbeitszeit und Lohn nach Vereinbarung, Stellenangebot: 62553.

Studentenservice Heidelberg

(Arbeitsagentur, Kaiserstr. 69-71, Mo-Fr: ab 7.30 Uhr, Mo bis 16, Di/Mi/Fr bis 12.30 Uhr, Do bis 18 Uhr)

> Rezeptionistin in HD-Altstadt, ab sofort, dreimal wöchentlich jeweils ab 6.30 Uhr, davon zweimal monatlich am Wochenende, 8 Euro Stundenlohn. Stellenangebot: 10000-1009859887-S. > Bürohilfe in Neuenheim, ab sofort, 10 bis 12 Stunden wöchentlich, Bezahlung gemäß Tarifvertrag, Stellenangebot: 10000-1009835169-S > Küchenhilfe in Altenheim, Heidelberg, ab sofort, 6 bis 13.45 Uhr, 7,76 Euro Stundenlohn, Stellenangebot: 10000-1009858330-S





Nachricht und Meinung

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Evangelischer Kirchenbote 13/2007

KO M M E N TA R

Das Kreuz und die vielen Kreuzchen von Jan Thomas Otte Es ist ein sperriges und provokantes Symbol: das Kreuz. Und dennoch hat es seine Anziehungskraft bis heute behalten. Das Holzkreuz der Todesstunden Christi auf Golgatha glänzt, gegossen in hochkarätigem Silber, Gold mit Brillanten im Schaufenster der Juweliere. Die Edelversion kostet aktuell 1300 Euro, 585er Weißgold mit 1,4 Karat. Aber auch ohne Glanz und Glamour liegen die beiden Balken mit den vier Kardinalpunkten kreuz und quer auf der Straße. Mitten im Alltag begegnet man ihm an Straßenkreuzungen und Fliesenkreuzen, beim Lösen des Kreuzworträtsels oder Drehen einer Kreuzschraube. Vom Schiffsanker über den Bahnübergang bis zum Berggipfel: Das Kreuz dient auch dem modernen Menschen als verbindendes Element, das Halt und Orientierung bietet. Sogar der Schmerz im Rücken ist ein Zeichen des Kreuzes, eine nachvollziehbare Metapher für Leid und Qual. Das Kreuz verkörpert für die Christen im ursprünglichen Sinne die Kreuzigung Christi. Jetzt in der Passionszeit steht es besonders im Mittelpunkt. Den Gläubigen ist es Zeichen des Trostes, der Liebe und der Versöhnung. Es verbindet in seiner vertikalen Ausrichtung Gott und Mensch. Und in der Horizontalen vereint es Menschen guten Glaubens untereinander. Angesichts der inflationären Verwendung dieses Symbols im Alltag muss daran immer wieder erinnert werden. So setzen auch Unternehmen wie der Mobilfunkanbieter E-Plus auf das Kreuz als werbewirksames und kommunikationsstarkes Symbol. Es ist ein Markenzeichen mit garantiertem

Wiedererkennungswert, denn es ist ja „das Plus, das verbindet“. Der Modehersteller „H und M“ geht mit dem Modetrend und bringt das Kreuz als angesagtes Trend-Accessoire in sein Schmucksortiment. Unter Jugendlichen wird es nicht nur zur Konfirmation getragen, der Junge von nebenan trägt es stolz über seinem Pulli in Überlänge, denn es ist schlicht und ergreifend „in“. Mit seinen klaren Linien wirkt das Kreuz weich gespülten Logos und sich ständig wandelnden Wellen der Marktwirtschaft wie ein Fels in der Brandung entgegen. Diesen bleibenden Eindruck nutzen auch Stars wie die Sängerin Madonna, die sich in ihrer Bühnenshow an ein Kreuz hängen ließ. Oder der Fußballprofi David Beckham, der seinen jüngsten Sohn ausgerechnet Cruz (Kreuz) genannt hat, und der nach dem Wunsch des Vaters das Kreuz sein Leben lang an der Brust tragen soll. Die Geschichte des Kreuzes ist jedoch alles andere als nur eine Topmarke oder ein Gag von Stars. Bereits auf Felszeichnungen findet sich das Kreuz, weit vor dem Siegeszug des Christentums. Dieses hat im Jahre 431 das Kreuz offiziell als zentrales christliches Symbol beim Konzil von Ephesus eingeführt. Theologisch betrachtet ist das Kreuz eng mit dem Thema Schuld und Sühne verbunden, seine Todessymbolik darf nicht verschwiegen werden. Dass es durch den Tod Jesu am Kreuz von Golgatha auch zum Zeichen des Sieges über den Tod wird, macht dieses Kreuz so unverwechselbar gegenüber den vielen Kreuzchen im Alltag.

Will die Veränderungen als Moderator gestalten: Peter Butz (links) mit dem Vorsitzenden der Bezirkssynode Zweibrücken, Karl Heiner, nach der Wahl. (Foto: Steinmetz)

Zweibrücken wählt neuen Dekan Peter Butz aus Waldmohr setzt sich gegen Fred Schneider-Mohr durch Peter Butz wird neuer Dekan in Zweibrücken. Die Synode des Kirchenbezirks hat den 45-jährigen Gemeindepfarrer von Waldmohr und Jägersburg bereits im dritten Wahlgang zum Nachfolger von Dieter Oberkircher gewählt, der im Januar in Ruhestand ging. Neben Butz kandidierten die Pfarrer Ulrich Kronenberg (Oberauerbach), Bernhard Schäfer (Steinwenden) und Fred Schneider-Mohr (St. Ingbert) für das höchste Amt des rund 44 000 Mitglieder zählenden Kirchenbezirks. Im dritten Wahlgang, in dem nur noch die beiden Bewerber mit den meisten Stimmen kandidieren, setzte sich Butz mit 60 Stimmen gegen Schneider-Mohr (39 Stimmen) durch. In den ersten beiden Wahlgängen entfielen auf Butz 44 und 49 auf SchneiderMohr 31 und 30 Stimmen. Kronenberg, neben Schneider-Mohr einziger Kandidat aus dem Kirchenbezirk Zweibrücken, konnte in diesen Wahlgängen 21 und 22 Stimmen auf sich vereinigen. Der Synodalausschuss hatte keine Wahlempfehlung abgegeben. Der Be-

zirkskirchenrat hatte mit sechs von elf Stimmen und das Presbyterium Zweibrücken-Mitte, wo der Dekan zugleich Gemeindepfarrer ist, mit 20 von 24 Stimmen für Peter Butz votiert. Butz ist am 9. November 1961 in Frankenthal geboren und in Ludwigshafen-Oppau aufgewachsen. Er studierte in Heidelberg und Marburg, ist verheiratet mit Pfarrerin Marlies Butz und hat zwei Söhne und eine Tochter. Seit 1991 ist er Pfarrer in Waldmohr. Es sei an der Zeit, sich einer neuen Herausforderung zu stellen, sagte Butz. Butz betonte die Bedeutung der Kirchenbezirke bei der Gestaltung des Wandels, in dem sich Kirche in der Gesellschaft befinde. Aufgrund der demografischen Entwicklung werde es künftig weniger Gemeindemitglieder, weniger Mitarbeiter und Pfarrer geben, was Kooperation und Profilierung erforderlich mache. Der Dekan müsse Moderator dieser Gestaltungsprozesse sein, und alle gemeinsam müssten Kirche als eine die Gesellschaft gestaltende Kraft wahrnehmbar machen. mez

Schulleiter nimmt Dienst wieder auf

Fast 2000 an „Autofasten“ beteiligt

Kirche: Beurlaubung rechtswidrig – Mediationsverfahren angekündigt

Cherdron: Nicht bekannt genug – Conrad kritisiert Automobilindustrie

Die Beurlaubung des Schulleiters am Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Schweich, Heinrich Bentemann, ist vom Landeskirchenamt in Düsseldorf für rechtswidrig erklärt worden. Der Pädagoge werde seine Aufgaben uneingeschränkt wieder wahrnehmen, sagte der Düsseldorfer Landeskirchenschuldirektor Jürgen Franzen in Trier. Der Vorstand der Dietrich-BonhoefferStiftung, der Bentemann vor Weihnachten wegen Vertrauensverlust und Kommunikationsstörungen beurlaubt hatte, habe mit dieser Maßnahme seine Zuständigkeit überschritten. Die Beurlaubung hatte drei Monate gedauert. Die kirchliche Schulaufsicht werde sich um die Normalisierung des Schulbetriebs bemühen, kündigte Franzen an. Zur Unterstützung sei ein systemi-

sches Mediationsverfahren mit allen an der Schule beteiligten Gruppen geplant. Das betreffe Schulleiter und Stiftungsvorstand ebenso wie Lehrpersonal und die Träger der evangelischen Privatschule. Vorrangiges Ziel müsse die Klärung vorhandener Störungen und die Verbesserung von Strukturen sein, betonte Christoph Pistorius, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Trier. „Für uns stehen die Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt des Bemühens“, betonte der Theologe. Der Kirchenkreis Trier ist einer der Träger der Dietrich-Bonhoeffer-Stiftung, eine staatlich anerkannte kirchliche Stiftung öffentlichen Rechts. Sie betreibt als Trägerin das evangelische Dietrich-BonhoefferGanztagsgymnasium in Schweich. epd

Knapp 2000 Menschen haben sich in diesem Jahr an der von den beiden großen Kirchen initiierten Aktion „Autofasten“ beteiligt und für mehrere Wochen weitgehend auf die Nutzung ihres Fahrzeugs verzichtet. Dennoch sei der Aufruf von Kirchen und Umweltverbänden noch immer nicht bekannt genug, sagte Kirchenpräsident Eberhard Cherdron in Mainz. Sinn der Aktion sei es nicht, das Auto oder die Mobilität von Menschen grundsätzlich zu verteufeln, erklärte Cherdron bei einer Jubiläumsveranstaltung zum zehnten Jahrestag der Aktion „Autofasten“. Vielmehr sei die Fastenzeit ein geeigneter Anlass, um darüber nachzudenken, wann der Gebrauch des Autos nicht sinnvoll sei. Er selbst habe dank des „Autofastens“

seine Gewohnheit abgelegt, morgens mit dem Auto zum Brötchenholen zu fahren, so der Kirchenpräsident, der nach eigenen Angaben schon seit Jahren mit dem Fahrrad zum Büro fährt. Die rheinland-pfälzische Umweltministerin Margit Conrad (SPD) würdigte den Beitrag der Kirchen bei der Sensibilisierung der Bevölkerung für Umweltfragen. Scharfe Kritik übte sie an der Automobilindustrie, der sie mangelndes Umweltbewusstsein vorwarf. Die Autohersteller hätten ihre Selbstverpflichtungen zum Klimaschutz weit verfehlt. Es sei beschämend, dass die bereits vorhandenen energieeffizienten Technologien noch immer nicht bei der Produktion berücksichtigt würden. Staatliche Vorgaben für die Industrie seien daher unvermeidlich. epd


CAMPUS

Rhein-Neckar-Zeitung / Nr. 30 / Seite Seite 13

Boykott-Prinzip heißt Hoffnung Kaum Beteiligung am Protest

Dienstag, 6. Februar 2007

Mit Mut die deutsche Sprache lernen Linda Ortolani wurde mit dem DAAD-Preis ausgezeichnet, weil die Luxemburgerin ausländischen Kindern hier in der Region hilft Von Jan Thomas Otte

Heidelberg. (mün) Offenbar setzen die studentischen Protestinitiativen auf das falsche Pferd. 4500 Studenten der Uni Heidelberg sollen bis 15. Februar ihre 500 Euro Studiengebühren für das Sommersemester auf ein Treuhandkonto überweisen. Nach drei Wochen Protestgetrommel haben sich gerade einmal 344 UniStudenten dem Protest angeschlossen. Schon an der Hochschule Mannheim (Ex-FH) und der Pädagogischen Hochschule Heidelberg war der Versuch gescheitert, dass sich möglichst viele Studenten ihr Geld sparen. So können sich die Protestler im Moment nur noch auf das Prinzip Hoffnung verlassen, um in neun Tagen doch noch die selbst festgelegte Mindestzahl an Boykotteuren zu gewinnen. Offenbar haben sich viele Studierende zähneknirschend mit der Campusmaut abgefunden und fragen sich vielmehr, wie sie eigentlich von ihrem Geld profitieren werden. Mit den 500 Euro soll ja ihre Ausbildung besser werden.

JOBBÖRSE mün. Dienstags veröffentlicht die RNZ die neuesten Studi-Jobs des Studentenwerks. Bei Interesse: Nummer notieren und hingehen. Arbeitgeberdaten werden nur gegen Studentenausweis und nie telefonisch weitergegeben.

Studentenwerk Heidelberg (InfoCenter Triplex Mensa, Mo-Do: 9-16 Uhr, Fr: 9-14 Uhr; InfoCenter Zentralmensa Neuenheimer Feld, Mo-Do: 11-18 Uhr, Fr: 11-15 Uhr)

> Aushilfe für Kinokasse in HD-Altstadt, ab sofort, flexible Zeiteinteilung, Lohn nach Vereinbarung, Stellenangebot: 62175. > Nachtbetreuer für Internat in HDNeuenheim, ab sofort, Arbeitszeit 2022 Uhr plus Bereitschaft, Lohn: 200 Euro, Erfahrung mit Jugendlichen vorausgesetzt, 2-Zimmer-Wohnung wird kostenlos gestellt, Stellenangebot: 62170. > HiWi für Büro und Projekte, in HDWeststadt, ab sofort, Arbeitszeit und Lohn nach Vereinbarung, Interesse an Public Health, Stellenangebot: 62167. > Medizinstudenten für chirurgische Praxis und gelegentliche Nachtdienste, in Heilbronn, ab sofort, Arbeitszeit und Lohn nach Vereinbarung, Stellenangebot: 62165

ne ausreichend Deutsch zu können – auf der Straße landen“, mahnt die Luxemburgerin. Das Heidelberg. Linda Ortolani fördere gar das Wachsen bestemacht sich für die Rechte von hender Subkulturen, egal woKindern stark und kämpft engaher die Kinder oder ihre Eltern giert für eine bessere Integratikommen. on von ausländischen Kindern Der jungen Mutter geht es jein der Metropolregion. Denn sie doch um mehr, als reinen findet, dass man sich auch um Sprachunterricht zu erteilen: die Not vor der eigenen Haustür „Ich möchte aktiv Vorurteile kümmern muss. Dafür wurde und Ängste abbauen, auch bei die Studentin an der Pädagogiden deutschen Kindern.“ Der schen Hochschule Heidelberg Unterricht bilde dabei die entmit einem Preis des Deutschen scheidende Brücke, denn „das Akademischen AustauschdiensPauken zwischen Genitiv und tes ausgezeichnet. Dativ transportiert eine Menge Vor sieben Jahren kam sie der jeweiligen Kultur, aus der aus Luxemburg nach Heideldie Kinder kommen.“ Dazu verberg, um hier ein Lehramtstudianstaltet Linda mit Freunden um an der Pädagogischen Hochregelmäßige Feste. Man müsse schule zu machen. Zurzeit sitzt nur aufpassen, dass die interdie 26-Jährige an ihrer Magiskulturellen Kontakte unter den terarbeit. Ein Schulpraktikum Kindern – sei es beim Salsain Kolumbien, wo ihr Partner Tanz, Orient-Musik oder LasagJuan herkommt, brachte für ihne-Kochen – nicht nur pure re Aktivitäten die InitialzünFolklore bleiben. „Das Ziel ist, dung: „Das Leiden der dortigen langfristige Freundschaften zu Kinder hat mich persönlich beschaffen“, erhofft sie sich. troffen, schockiert und sogar Linda gründete daher mit eirichtig aggressiv gemacht“, ernigen Freunden vom Campus, zählt Linda und verweist dabei die überwiegend aus Lateinmit lebhaften Handbewegunamerika und dem Nahen Osten gen auf die zahlreich aufgeklebkommen, den Verein „Interkulten Postkarten an der Wand. Portraitierte Kinder, die einen Vor sieben Jahren kam die Luxemburgerin nach Heidelberg – nach ihrem Schulpraktikum in Kolumbien beschloss Lin- turelle Freundschaft“. Es geht nicht nur um Kinder, auch die erwartungsvoll mit großen Au- da Ortolani, auch etwas für die Kinder in Not in ihrer Wahlheimat zu tun. Foto: Hentschel Eltern sollen mit den Projekten gen anschauen. mit Deutschnachhilfe, kreativen Aktio- mit diese Kinder die deutsche Sprache angesprochen werden. Zurück in Heidelberg stimmte die couragierte Studentin nicht in das nen an der Schule und der Gründung ei- lernen, Freunde finden und das Gefühl eiAls Magisterstudentin wünscht sie verbreitete Klagelied über die Ungerech- nes „Ateliers für Kinderrechte“, das an ner eigenen Identität entwickeln. „Im jun- sich, dass die Pädagogische Hochschule tigkeit der Welt ein. Auch spendete sie der Pädagogischen Hochschule Heidel- gen Alter haben wir noch große Chancen, Heidelberg eine feste Basis für den aktikein Geld an anonyme Hilfsorganisatio- berg eröffnet wird. Linda hat einen Kof- diese Kinder in ihrem Lebenslauf zu för- ven Schutz von Kinderrechten wird. Das nen, denn sie möchte lieber an Ort und fer voller Ideen und Pläne im Kopf, um dern.“ Diese Aufgabe macht Linda Orto- Konzept dazu hat sie schon in der SchubStelle helfen: „Kolumbien hat mir die Au- ausländische Kinder tatkräftig zu unter- lani glücklich, bildet einen Kontrast zur lade, das „Atelier für Kinderrechte“ wird gen geöffnet, ich habe erkannt, dass die stützen. „Es geht mir darum, dass die didaktischen Theorie an der Hochschule. gerade aufgebaut. Den Rahmen bildet daNot von Kindern bereits vor meiner eige- Sprösslinge bereits in der Grundschule „Die Kinder wollen verstanden werden“, bei die didaktische Werkstatt der Spranen Haustür beginnt“, erklärt sie die lernen, sich selbstbewusst in der Gesell- kritisiert Linda erregt die deutsche Innenchen, in der Studenten, Lehrer und ErzieNachwirkungen ihres Lateinamerika- schaft zu bewegen und mutig die deut- politik, die „mehr Symptome bekämpft, her neue Anregungen zu UnterrichtstheAufenthaltes. Akademisch nennt man sche Sprache zu lernen.“ Sie weiß nur zu anstatt deren Ursachen zu lösen.“ men finden, gerade auch im Hinblick auf Lindas Anliegen interkulturellen Dialog, gut, wie das ist, in einem Land zu leben, In der Realität sieht sich die zukünftiToleranz und Integration. „Das sind wo man im ersten Moment kein Wort ver- ge Lehrerin im Klassenzimmer mit man- zunehmend kulturell gemischte KlassenSchlagworte, deren Akzente im Alltag steht. Im flämisch-französischen Umfeld gelndem Sozialbewusstsein, Eigeninitia- verbände. Bereits im Februar wird Linda Ortolaspürbar werden müssen“, betont die Luxemburgs aufgewachsen, begegneten tive und Einsatzbereitschaft konfrondurchaus bescheiden lebende Menschen- der kontaktfreudigen Tochter eines Italie- tiert. „Die Kinder ausländischer Famili- ni wieder nach Kolumbien reisen. Trotz rechtlerin hartnäckig, die eine zwei Jahre ners bereits in der eigenen Kindheit ver- en brauchen Hilfe, werden oft zu wenig vieler Projekte in Deutschland hat sie die alte Tochter hat, Hausfrau und Magis- schiedene Sprachkulturen. in ihren individuellen Fähigkeiten unter- Not in Kolumbien nicht losgelassen und trandin zugleich ist. Egal ob Kinder von Asylbewerbern stützt.“ Das Erlernen der deutschen Spra- kann nicht anders, als diesen Kindern Sie ist glücklich darüber, hilfsbedürf- oder Spätaussiedlern: Linda engagiert che ist ein Hindernis. „Man muss kein auch dort zu helfen. Ihre kleine Tochter tigen Kindern zu helfen. Ganz praktisch sich neben der Uni an Grundschulen, da- Prophet sein, dass die Kinder später – oh- Charlotte ist natürlich mit dabei.

Dem Bachelor fehlen noch die altbekannten Gewissheiten Der Stellenwert des noch jungen Hochschulabschlusses auf dem Arbeitsmarkt bleibt unklar – Frühe Praxiserfahrungen empfohlen Gewissheiten, die man bei den alten Studiengängen hatte“, glaubt der Experte für Absolventenstudien. Derzeit gebe es noch große Unterschiede zwischen den einzelnen Hochschulen und den jeweiligen Studiengängen. Johanna Witte vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh sieht im Bachelor-Abschluss vor allem die Chance, früher als bisher in die Pra-

xis zu gehen. Es sei einer der Vorteile des neuen Abschlusses, dass Absolventen sich zwischen Master-Studium und Berufseinstieg entscheiden können. Den Bachelor-Studenten rät Witte, sich über die eigenen Ziele klar zu werden. Wer in die Praxis wolle, solle ruhig den frühen Eintritt in den Arbeitsmarkt wagen. Stellt sich dann ein weiterer Qualifizierungsbedarf heraus, lasse sich immer noch weiter studieren. Konegen-Grenier bestätigt, dass man einen Master-Studiengang später nachholen könne, oft sogar neben dem Beruf und vom Arbeitgeber unterstützt. Auch Briedis wirbt für den Bachelor und rät, so früh wie möglich Praxiserfahrungen zu machen, um ein Gespür dafür zu gewinnen, welche Qualifikationen gefordert werden. Hürden für den Berufseinstieg mit dem BA gebe es jedoch auch noch, sagt Witte, besonders bei den stark regulierten Berufen. So setzten zum Beispiel für Architekten und Psychologen bestimmte Tätigkeiten einen Master voraus. Medizin und Jura seien noch nicht auf den Bachelor umgestellt, die Lehrerausbildung komme nur langsam in Bewegung. „Die Gewohnheit wird all diese Probleme glätten“, sagt Witte. Die Umstellung auf Bachelor und Master soll bis 2010 abgeschlossen sein.

Hannover/Köln. (dpa/gms) Die Einführung von Bachelor-Studiengängen an deutschen Universitäten ist in vollem Gange. Doch während immer mehr Absolventen ihr Studium mit dem international anerkannten Titel beenden, herrscht über dessen Stellenwert auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor Unklarheit. Ungewiss ist vor allem, ob der Bachelor-Abschluss tatsächlich die Qualifikationen garantiert, die die Wirtschaft fordert. Auch über die Karriereaussichten von Bachelor-Absolventen ist wenig bekannt. Laut einer Studie des Hochschul-Informations-Systems (HIS) in Hannover entscheidet sich immer noch die Mehrheit der Studienanfänger gegen den Bachelor (BA). Bisher führt der Abschluss auch eher selten zu einem direkten Berufseinstieg. Laut Kolja Briedis vom HIS setzen bis zu 80 Prozent der Bachelor-Absolventen ihr Studium fort. Das liege nicht zuletzt an der Ungewissheit über die beruflichen Perspektiven. Christiane Konegen-Grenier, Hochschulreferentin vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, hält das mangelnde Vertrauen in den Bachelor für unbegründet: „In der Wirtschaft besteht eine hohe Akzeptanz“, sagt die Expertin. Laut Umfragen des IW seien drei Viertel der befragten Unternehmen bereit, Ba-

chelor-Absolventen zu beschäftigen. Dabei eröffne der Bachelor-Abschluss ähnlich gute Karrierechancen wie andere. Hingegen sieht Briedis auch auf Seiten der Wirtschaft eine große Unsicherheit, wie der Bachelor zu bewerten sei. Insgesamt sei der Aufklärungsbedarf auf allen Seiten noch sehr hoch. Bei Studierenden und Unternehmen, aber auch bei den Hochschulen selbst „fehlen noch die

Lieber Geld verdienen statt studieren

Wirtschaft sucht mehr Ingenieure

Praxiserfahrung für zukünftige Lehrer

Numerus Clausus ist auf dem Vormarsch

Hannover. (dpa/gms) Immer weniger Studienberechtigte in Deutschland beginnen mit einem Hochschulstudium. Nach Angaben des Hochschul-Informations-Systems (HIS) in Hannover sank die Studierquote im Jahr 2005 um zwei Punkte auf 69 Prozent. Zwei Drittel derjenigen, die auf ein Studium verzichten, begründeten dies mit dem Wunsch, möglichst bald finanziell unabhängig zu sein. Zwei von fünf Befragten begründeten ihren Verzicht mit stärkerem Interesse an einer praktischen Tätigkeit. Jeder Vierte fühlte sich für den Fall, dass Studiengebühren eingeführt werden, finanziell überfordert. Befragt worden waren Schulabgänger, die 2005 Abitur gemacht hatten.

Düsseldorf. (dpa/gms) Ingenieure waren im vergangenen Jahr auf dem Arbeitsmarkt deutlich stärker gefragt als 2005. Eine Auswertung der Stellenanzeigen für „technische Fach- und Führungskräfte“ in 52 Zeitungen ergab, dass mehr als 45 000 Ingenieursstellen ausgeschrieben wurden. Das waren rund 10 000 Stellen mehr als noch 2005. Besonders viele Ingenieure suchten der Maschinen- und Anlagenbau (6517 Stellen, plus 46 Prozent). Noch stärker war der Anstieg (57 Prozent) bei den Architektur- und Ingenieurbüros. Auf Platz 3 landete die Bildungsbranche, vor Elektrotechnik und Datenverarbeitung. Besonders viele Ingenieure wurden für Forschung und Entwicklung gesucht.

Heidelberg. (mün) Am vergangenen Donnerstag wollte das Zentrum für Lehrerbildung eine Informationsveranstaltung über das Schulpraxissemester für Lehramtsstudierende durchführen. Doch wegen der Gebührenboykott-Demonstration wurde sie um eine Woche verschoben: auf diesen Donnerstag, 8. Februar. Von 16.15 bis 18 Uhr werden angehende Lehrer im Hörsaal 4 der Neuen Universität (Grabengasse 3-5) von Vertretern des Seminars für Didaktik und Lehrerbildung Heidelberg und des Seminars in Karlsruhe über das Schulpraxissemester unterrichtet. Wichtig ist auch, ob die Studenten ihre Erfahrungen an einem Gymnasium oder einer Berufsschule machen wollen.

Köln. (dpa/gms) Mehr als jeder zweite Studiengang an deutschen Hochschulen ist mittlerweile zulassungsbeschränkt: In 57 Prozent der annähernd 9000 Studiengänge wurden die Plätze für das Wintersemester 2006/2007 über Numerus Clausus (NC) vergeben. Das geht aus Daten der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hervor, über die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln berichtet. Die meisten NC-Fächer haben Berlin und Bremen (84 Prozent). In Baden-Württemberg schreiben 70 Prozent der Studiengänge einen bestimmten Notendurchschnitt vor. Weitgehend offene Türen finden Abiturienten in Thüringen, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern.

Diese Absolventen des Touro-College in Berlin haben ihren Bachelor gepackt. Foto: dpa

CAMPUS INTERNATIONAL

Faustine Boudou

Ich bin seit Oktober hier in Heidelberg. Insgesamt bleibe ich ein ganzes Jahr. Nach Heidelberg bin ich gekommen, um mein Deutsch zu verbessern – ich studiere Germanistik und Romanistik. Jetzt bin ich im fünften Semester und werde wohl in zwei Jahren fertig sein. Deutschlehrerin würde ich gerne werden, wahrscheinlich in Frankreich. Ich könnte mir aber auch gut vorstellen, hierzubleiben. Heidelberg gefällt mir gut, es ist ein bisschen wie Montpellier. Ich wohne hier in einem ganz neuen Studenten-Wohnheim, dem „Schlierbacher Schiff“, mit einer chinesischen und einer ungarischen Studentin zusammen. Die Lage ist super: Man braucht nur zehn Minuten mit dem Bus in die Stadt und mit dem Fahrrad ist man fast genauso schnell. In Frankreich habe ich noch eine ältere Schwester. Sie ist 25 Jahre alt und steckt gerade im Prüfungsstress. Meine Mutter ist Laborantin und arbeitet in einer Apotheke und mein Vater ist Maler und arbeitet in einem kleinen Familienbetrieb. Sie helfen mir finanziell ein bisschen. Zusammen mit dem Erasmus-Stipendium kann ich so die 260 Euro Miete bezahlen. Für den Rest muss ich selbst aufkommen: Ich habe im Sommer drei Monate gearbeitet und werde mir hier einen Job suchen. Außer meinen Freunden und meiner Familie vermisse ich vor allem das französische Essen. Ich habe aber zum Beispiel auch schon Pfälzer Saumagen probiert: Der hat richtig gut geschmeckt. Ich möchte hier in meiner Zeit sowieso möglichst viel ausprobieren, alles genießen und erleben. Das sind ja schließlich auch die Dinge, die ein Auslandsjahr mit Erasmus ausmachen. Faustine Boudou wurde 1986 in Sète in Süd-Frankreich geboren. Foto/Text: phe


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Partnersuche

Christliche Heiratsportale erobern das Netz 25. Juni 2008, 12:16 Uhr Im Internet tauchen vermehrt religiöse "Heiratsportale" auf. Diese richten sich ausdrücklich an gläubige Christen, die einen Partner fürs Leben und vor allem für die Ehe suchen. Doch die Portale verkuppeln nicht nur – sie verbreiten auch geistliche Botschaften.

Foto: newscom "Für viele Christen ist es wichtig, einen christlichen Ehepartner zu finden"

Gespannt klickt Agnes R. im Internet umher. In einer christlichen Partnerbörse hat sie ein Profil von sich erstellt,

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Fotos hochgeladen, einen Fragenkatalog beantwortet. Sie hat sich hier angemeldet, um ihren Mann fürs Leben zu finden. Oder noch besser: von ihm gefunden zu werden. Und der soll auch ihren Glauben an Gott verstehen. „Für viele Christen ist es wichtig, einen christlichen Ehepartner zu finden“, sagt Monika Lebschik, Mitarbeiterin der Plattform kathtreff.org, die sich ausdrücklich als „Heiratsportal“ begreift. Das gelte gerade für Menschen, die ihren Glauben ernst nehmen. Das religiöse Leben in der Ehe sei ein gemeinsamer Nenner, so Lebschick. „Dabei geht es dann auch um mehr Toleranz und Verständnis für den anderen“. Bei Agnes hat es mit René R. gefunkt, einem niederländischen Schiffsoffizier. Sie freut sich, denn nicht alle EMail-Kontakte gehen so aus. Viele Mails und Chats seien auch in christlichen Auftritten verlorene Liebesmüh gewesen: „Im Netz sind viele Abenteurer unterwegs. Solche, die es nicht ernst meinen“, sagt Agnes. Der gemeinsame Glaube an Jesus verbindet Agnes und René. Über gemeinsame Gebete und Gottesdienste hinaus ist das für René eine „Quelle der Einheit, Liebe und Nachsicht füreinander“, auf die er nicht verzichten will. Früher habe er es anderen, nicht-christlichen Partnern recht machen wollen, sagt er. Christliche Partnerbörsen im Internet wollen neben dem klassischen Geschäft auch geistliche Botschaften und religiöse Denkanstöße vermitteln: in Newslettern, einem moderierten Chat und Predigten. Das geht auch per Video-Clip, zum Beispiel bei singlechrist.de, einer Börse, die ausschließlich von Spenden lebt. Friedhelm Hensen betreibt diese Seite, da er auch eine kostenlose Alternative bieten will – die Mitgliedschaft bei kathtreff etwa kostet 70 Euro im Jahr. Es gebe viele Menschen, die bei der Partnersuche in der Kirche vor Ort nicht weiter gekommen seien, so Hensen: „Zum Teil besitzen sie auch nicht den Mut, auf neue Menschen zuzugehen, mal über den Tellerrand zu blicken“. Bei Agnes und René ging der Blick sehr weit über den Tellerrand: Zwischen ihnen liegen 500 Kilometer Entfernung. Fernbeziehungen wie ihre sind längst Teil des modernen Lebens, weiß Norbert Schneider von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Fast zehn Prozent der Deutschen zwischen 20 und 60 Jahren leben nach einer Studie des Soziologen in getrennten Haushalten. Der zunehmend individuelle Lebensstil, auch geprägt vom Internet und Internetbekanntschaften, habe das romantische Ideal entzaubert, urteilt der Experte. Das sehen Philli und Manni, die sich auf kathtreff.org gefunden haben, anders: „Bei uns war’s Liebe auf den 1. Click! Öffnet Euch der Fügung Gottes, auch wenn ER manchmal ganz andere geographische Vorlieben zu haben scheint, als man selbst." epd/cor

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36 LEBENSART REPORT

Rheinischer Merkur · Nr. 17 / 2008

Lebensabend fern von Anatolien GASTARBEITER Sie kamen vor 30, 40 Jahren. Jetzt sind sie alt geworden. Für viele ihrer Familien stellt sich die Frage:

zu Hause pflegen oder in Einrichtungen geben? Besuch im ersten deutschen Pflegeheim für türkische Rentner

Ohne Vorbild: Neika Kaba-Retzlaff, die Heimleiterin, leistet Pionierarbeit.

Letzte Etappe: Es ist bei zahlreichen Türken ein Tabu, im Altenheim zu leben. Zyia Bircan sieht das anders. Er hat den Schritt gewagt.

Von Jan Thomas Otte s duftet nach frischem türkischem Tee. Warm und gemütlich ist es hier, der Raum ist geschmückt mit roten Polstern, orientalischen Malereien und Bildern eines türkischen Markts. Ein eher kühl wirkendes Altenheim mit langen, sterilen Fluren sieht anders aus. Das will die größte Wohngemeinschaft Deutschlands für Pflegebedürftige türkischer Herkunft auch nicht sein. Laut plärren Fernseher bis in den Flur des Berliner „Türk Bakim Evi“. Gerade läuft ein türkisches Magazin über den Islam. Trotzdem sitzen einige Rentner eher gelangweilt und leicht schläfrig auf ihren Kissen. Andere unterhalten sich bereits am frühen Morgen angeregt über Familie, Politik und die harten alten Zeiten als Gastarbeiter in der Textilfabrik. Gemeinsam mit anderen Bewohnern sitzt Ziya Bircan im Wohnzimmer und schaut ebenfalls fern. Der Mann, Mitte sechzig, kam vor knapp einem Jahr in das Haus. Das war nach seinem Herzinfarkt. Seitdem gehört er zu den rund fünfzig Menschen, die hier nach ihren türkischen Bräuchen und Sitten im Alter leben. Das bedeutet zum Beispiel, dass Männer nur von Männern und Frauen nur von Frauen gepflegt werden. Ziya Bircan ist das wichtig. Er ist einer der ehemaligen Gastarbeiter, die vor mehr als vierzig Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen sind, auf eigenen Wunsch, um hier gut bezahlte Arbeit zu bekommen. Es waren auch finanzielle Gründe, die Bircan über Umwege mit viel Glück ins Land lockten. Eine junge Liebe sorgte dafür, dass er blieb. Der zweifache Vater erinnert sich gern an die turbulenten, aufregenden Jahre.

E

ken die Altenpflege ihrer Angehörigen näherzubringen. Akgün will fürs eigene Haus Vertrauen schaffen, den Betroffenen klarmachen, dass die Pflege der Eltern auch „auf eine gesündere Art“ zu machen ist. Gesünder, als die Pflege wie üblich allein der Frau zu überlassen, sagt die freundliche Sozialarbeiterin. Besonders konservative Türken glaubten, die Eltern verlören gegenüber der Gesellschaft das Gesicht, wenn sie „ins Altenheim abgeschoben werden“. Zahlreiche Alte würden deshalb noch zu Hause gepflegt, was „nicht immer ein Vorteil ist“. Für viele der rund 270 000 lebenden Türken in Berlin ist der Gedanke, die Eltern ins Pflegeheim zu geben, ein Tabu. Deshalb geht Yildiz Akgün auch hinaus in

die Berliner Moscheen, zeigt ihre Powerpoint-Präsentationen vom Laptop und spricht anschließend mit den türkischen Familien über die Probleme mit den Eltern. Yildiz Akgün kann die meisten gut verstehen. Die Hürde der Scham sei nicht leicht zu umgehen. Um Spannungen in der Familie zu vermeiden, würden die Frauen die Pflege der Eltern meist doch komplett übernehmen. Viele Frauen würden erst durch die Hochzeit nach Deutschland kommen – ein „ganz normales Opfer“, sagt Akgün: „Die Familie geht davon aus, dass die Frau das macht.“ Die anschließenden familiären Verpflichtungen folgen ganz selbstverständlich. Bei Yildiz Akgün selbst war es ähnlich: „Natürlich ist das Thema auch bei uns zu Hause ein Tabu gewesen“, erinnert sie

Den Nachmittag im Frankfurter Tanzcafé wird er dabei nie vergessen, als er sich in die junge Frau verliebte, die er später auch heiraten sollte. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, wenn er daran zurückdenkt. Damals habe er etwas von der Welt sehen wollen. Zuerst arbeitete Ziya Bircan bei Frankfurt in einer Fabrik. Einige Jahre später zog er nach Berlin – wegen seiner Frau. Deshalb, sagt er, sei er geblieben. Bis zu einem Herzinfarkt Anfang der Neunzigerjahre hat er an der Spree gearbeitet. Die Krankheit kam plötzlich, er wurde frühverrentet. Ein Fernsehbericht habe ihn dann auf das türkische Heim aufmerksam gemacht. Über seine Ängste vor der Krankheit und die Erinnerungen an früher kann Ziya Bircan mit Yildiz Akgün sprechen. Sie ist Sozialarbeiterin im „Türk Bakim Evi“ und weiß, was die alten Menschen besonders nötig haben. Sie erlebt, dass viele Familien mit ihren pflegebedürftigen Eltern überfordert sind. Doch es falle Angehörigen schwer, einen pflegebedürftigen Menschen ins Heim zu bringen, sagt die Frau in fürsorglichem Ton. Es ist deshalb ihre Aufgabe, den jüngeren Tür- Teestunde: Mitspieler sind stets erwünscht – auch um dabei von alten Zeiten zu erzählen.

FOTOS: JAN THOMAS OTTE

sich. Lange Zeit konnte die Frau, die heute selber als Aufklärerin in Sachen Altenpflege unterwegs ist, so mit ihrem eigenen Vater nicht darüber sprechen. Doch sie hat aus ihrem Schicksal gelernt. Wenn Menschen älter werden, weiß Akgün, kommt es vor allem auf ihre Sprache, Kultur und Religion an, mit der sie groß geworden sind. Man kehrt zu seinen Ursprüngen zurück, das Langzeitgedächtnis hat größeres Gewicht. Die türkischen Männer und Frauen erinnern sich dann eher an ihre Jugend in Anatolien als an den Tag zuvor in Berlin. Weil das Leben in der Türkei lange zurückliegt, ist es den wenigsten möglich, wieder zurück in die alte Heimat zu gehen. Viele Alte haben zwar noch Verwandte in der Türkei – trotzdem sind sie

fremd und einen Sozialhilfeanspruch haben sie auch nicht. Die anfänglichen Vorbehalte in der Türkischen Gemeinde zu Berlin gegenüber dem Pflegeheim sind inzwischen leiser geworden. Sie ist Mitgesellschafter des Hauses. Seit einigen Monaten kommen mehr neue Bewohner ins Heim als zur Zeit der Eröffnung. Die Diskussion über die Zukunft der Eltern sei etwas leichter geworden, heißt es auch aus der Türkischen Gemeinde. Im Heim arbeiten nur zweisprachige Mitarbeiter, alle von ihnen haben selbst türkische Verwandte. Von den rund 150 Betten des bundesweiten Pilotprojekts ist jedoch bislang erst ein Drittel belegt. Neika Kaba-Retzlaff, die Leiterin des Pflegeheims, überrascht das nicht. „Es liegt daran, dass wir die erste Einrichtung dieser Art sind. Deshalb wissen viele türkische Menschen von diesem Angebot noch nichts“, sagt die zierliche Frau im Hosenanzug, mit akkurat geschnittener Frisur und einem ernsten Auftreten. Ein weiterer Grund: Pflegebedürftige Menschen gibt es in den türkischen Familien in Deutschland erstmals. „Unsere Bewohner gehören zur ersten Generation türkischer Einwanderer. Sie sind die Ersten von uns, die alt werden. Wir haben in Deutschland keine Vorbilder“, so KabaRetzlaff. Harald Berghoff, Geschäftsführer des Pflegeheims, ist ganz einer Meinung mit Neika

Kaba-Retzlaff. „Man muss sehen, dass unsere Bewohner seit dreißig, vierzig Jahren in Deutschland leben. In dieser Situation mit neuen Integrationskonzepten zu beginnen bringt nichts. Da ist der Zug abgefahren.“ Bei einem Menschen, der nach Jahrzehnten noch nicht integriert ist, müsse man heute nicht mehr versuchen, ihn „auf seine letzten Lebensjahre noch zu integrieren“, sagt Berghoff bestimmt. Ob Sunniten oder Schiiten, Aleviten oder Kurden – verschiedene Ausrichtungen des Islam friedlich unter einem Dach zusammenzuführen, das klappt im Berliner Altenheim bereits. „Wir sind ein Haus für Menschen aus der Türkei“, sagt Akgün. Christen seien hier ebenfalls willkommen, wenn auch nicht explizit eingeladen, so die Sozialarbeiterin. Entsprechend wohnen derzeit hier ausschließlich Männer und Frauen islamischen Glaubens – bis auf zwei Christinnen, die jede mit einem Muslim verheiratet waren. Sie

finden freilich keine Kapelle in den Räumlichkeiten wie sonst in deutschen Altenheimen üblich. Stattdessen lädt eine Moschee im Kleinformat, ein Gebetsraum, zum Innehalten ein. Regelmäßig hält ein Berliner Großmufti Gottesdienste. Das sei, betont Geschäftsführer Harald Berghoff, aber ein freies Angebot. Es komme schließlich weniger auf die Religion als auf den Menschen selber an: „Jeder Mensch, der sich bei uns wohlfühlt, ist herzlich willkommen.“ Natürlich ist auch der Speiseplan an religiösen Gesichtspunkten ausgerichtet. Ein türkischer Koch bereitet das Essen zu, er verzichtet auf Schweinefleisch und Schweinefett, alle Lebensmittel sind koscher zubereitet. Und im Fastenmonat Ramadan werden die Mahlzeiten, so der Einzelne es wünscht, nach Sonnenuntergang serviert. „Aber selbstverständlich ist auch das Nutellabrötchen auf Wunsch realisierbar“, ergänzt der Geschäftsführer. Das neue Haus wirkt indes weit in die türkische Gemeinschaft in Deutschland hinein. Für Berghoff krempelt es die Gespräche unter Türken über die Altenpflege geradezu kräftig um. Vergleichbar sei das mit der deutschen Diskussion der Achtundsechziger, seit der es „nichts Schlimmes“ mehr ist, auch seine eigenen Eltern, Opa und Oma in professionelle Pflege zu geben. „Wir haben Bewohner aus Kiel, aus Bielefeld, aus Fulda und München, aus ganz Deutschland eben“, erklärt Berghoff die bunte Mischung der Bewohner. Im Sinne der Qualitätssicherung sieht er den langsamen Aufbau des Hauses als „eine ganz hervorragende Sache“ an. Jeder Bewohner, der in die Einrichtung kommt, soll persönlich und individuell aufgenommen werden. „Wir haben es mit individuellen Biografien zu tun, müssen also sehen, wo kommt der Mensch her, was mag er, was vielleicht nicht.“ Zwei Jahre hat sich das Haus gesetzt, um das Heim voll auszulasten. Dann sollen die Erfahrungen, die in dem Pilotprojekt gesammelt werden, in weiteren deutschen Großstädten umgesetzt werden: im Ruhrgebiet, in Frankfurt oder Köln. Auch dort werden dann einmal neue Heime alten Türken Heimat geben. Kontakt: Türk Bakim Evi Pflegeeinrichtung

Berlin-Kreuzberg, Methfesselstraße 43, 10965 Berlin, Telefon 0800/474 72 07. Internet: www.bakimevi.de

KAUM KENNTNIS ÜBER SOZIALLEISTUNGEN

In Deutschland leben derzeit 1,764 Millionen Türken, davon haben bereits 95 000 das Rentenalter erreicht. Die Zahl der deutschen Staatsbürger türkischer Abstammung liegt bei rund 840 000. Insgesamt gibt es in der Bundesrepublik derzeit etwa 2,6 Millionen Menschen türkischer Abstammung. Der Bedarf an Pflegeeinrichtungen für türkische Senioren wird stark wachsen. Der Anteil der Türken im Alter über 60 Jahre hat sich in den zurückliegenden zehn Jahren von 52 200 auf 192 500 Personen fast vervierfacht. Sie sind mit 26 Prozent die größte Gruppe von Ausländern in Deutschland. Der Trend zur Auflösung der typisch türkischen Großfamilie ist erkennbar. Die meisten Familienmitglieder sind mittlerweile berufstätig und können ihre Angehörigen nicht mehr pflegen. Nach einer Prognose des Senators für Stadtentwicklung in Berlin über die Bevölkerungsentwicklung vom Jahr 2002 bis zum Jahr 2020 wird die Zahl der in Berlin lebenden Ausländer um etwa 75 000 wachsen. Wie viele Türken hierzulande in Pflegeeinrichtungen leben, darüber liegen keine Zahlen vor. Bezogen auf die Kommune Berlin gibt es folgende Zahlen: In 270 Berliner Pflegeeinrichtungen wurden 2003 nur 40 Türken betreut (ergänzende Zusatzerhebung der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales). Türkische Senioren und deren Angehörige sind über die eigenen rechtlich

gesicherten Ansprüche an das deutsche Pflege- und Sozialversicherungssystem und über das Pflegeangebot wenig informiert. Zugangsbarrieren sind Verständigungsprobleme, aber auch Hemmungen vor deutschen Institutionen und Unsicherheiten über rechtliche Konsequenzen bezüglich der Sozialleistungen. Die Migranten nehmen die deutsche Regelversorgung nicht voll in Anspruch. Es zeichnet sich jedoch eine Zunahme bei der Nutzung von ambulanten türkischen Pflegediensten ab. Deutsche Anbieter haben bislang kein individuelles Angebot für Türken geschaffen und den Bedarf dieser potenziellen Klientel nicht berücksichtigt. Außer dem „Türk Bakim“ gibt es in Deutschland bislang keine rein türkischen Pflegeeinrichtungen und Pflegekonzepte. Seit dem Jahr 2000 arbeiten politische Gremien mit Altenpflege-Institutionen und Pflegeverbänden im Arbeitskreis „Charta für eine kultursensible Altenpflege“ und seit 2002 in der „Kampagne für kultursensible Altenhilfe“ zusammen. Hier wurde von den Beteiligten die Forderung nach einer „interkulturellen Öffnung“ der deutschen Pflegeeinrichtungen erhoben. Greifbare Ergebnisse bezogen auf die Integrationsbemühungen der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung sind jedoch bislang noch nicht erreicht worden. ot


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