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kämpfung zahlt, ist hoch“ und geistig beeinträchtigtem Kind durch den Lockdown Ein Jahr Corona: Herausforderung für ein Kinderheim
Ein Jahr Corona: Herausforderung für ein Kinderheim
Homeschooling mit zehn Kindern in den Wohngruppen, notdürftige Ausstattung mit digitalen Endgeräten, Betreuungspersonal, das plötzlich nicht mehr mit den Kindern gemeinsam essen darf, dazu noch Sorgen um die Gesundheit – wir haben bei Denis Thielen, Leiter von Maria im Tann, dem Zentrum für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, nachgefragt, was Corona und die entsprechenden Maßnahmen für die Kinder, Jugendlichen und Mitarbeitenden bedeuten.
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Zwischen Organisation und fehlendem Gesundheitsschutz
Die gute Nachricht vorab: Bei Maria im Tann hat es noch keine Krankheitsfälle gegeben und Quarantänemaßnahmen haben nur einzelne Kinder und Jugendliche erwischt, jedoch nicht ganze Gruppen. Das sei ein sehr großes Glück, so Einrichtungsleiter Denis Thielen, der seinen Job 2020 genau zu Beginn der Pandemie übernommen hat. Thielen trägt Sorge dafür, dass die Kinder, die auf dem Heimgelände in Wohngruppen à zehn Kindern leben, immer gut betreut sind. So hatte er auch die Regelung der Pendelquarantäne begrüßt, die es für systemrelevante Gruppen gab. Würde eine Gruppe und das betreuende Personal in Quarantäne geschickt, so könnte sich dieses zwischen dem Kinderheim und dem Wohnort mit eigenem Pkw bewegen. Auch im Worst Case wären die Gruppen also gut betreut. Alles sollte für die Kinder möglichst normal laufen, Masken mussten nicht getragen werden, Abstände wurden gehandhabt wie in normalen Familien.
Mehr durch Zufall erfuhr Thielen im zweiten Lockdown ab Dezember, dass das Quarantänependeln für Einrichtungen wie Maria im Tann nun nicht mehr gelten sollte. Das hätte im Ernstfall bedeutet: Betreuerinnen und Betreuer in Quarantäne hätten nicht mehr zum Job kommen dürfen. Sollte dann Personal fehlen, wäre es den Einrichtungen seitens des Landesjugendamtes erlaubt, vom Fachkräftegebot abzuweichen. Unmöglich, in Zeiten von Homeschooling und der psychischen Belastung von Kindern und Jugendlichen durch den Lockdown auf ungeschultes und den Kindern unbekanntes Personal zuzugreifen, ist Denis Thielens Meinung dazu. Also mussten ab diesem Zeitpunkt alle Mitarbeitenden FFP2-Masken bei der Arbeit tragen, um im Falle einer Positivtestung oder Erkrankung unter Kindern oder im Kollegium nicht in Quarantäne zu müssen. Das Essen durfte nicht mehr mit den Kindern gemeinsam eingenommen werden, und man sollte möglichst Abstand zu den Kindern und Jugendlichen halten. Gerade für Neuankömmlinge eine verstörende Situation. Im Garten einer Gruppe wurde beispielsweise ein Pavillon aufgestellt, wo man sich an der 22
Text: Birgit Franchy ⁄ Fotos: BF und privat
frischen Luft auch einmal ohne Maske mit den Kindern unterhalten kann. Hygienemaßnahmen wie der Kauf von mehreren Tausend FFP2-Masken und Desinfektionsmitteln haben für 2020 mit einem fünfstelligen Betrag zu Buche geschlagen – zu bezahlen aus der Kasse der Einrichtung, denn für diesen Sonderposten war im Vorfeld der Pandemie natürlich kein Geld beantragt worden.
Die Beschäftigten in der Jugendhilfe fühlten sich nicht nur deshalb im letzten Jahr zunehmend nicht berücksichtigt und von der Politik ausgeschlossen. In der Teststrategie wurden sie – anders als Erzieher im Kindergarten, Lehrer oder Pflegepersonal in Altenheimen und Behinderteneinrichtungen – nicht bedacht, obwohl sie mit vielen verschiedenen Personen zusammenarbeiten und zum Beispiel auch zu Familien gehen. Dabei ist es schon vorgekommen, dass Familien erst erklärt bekommen mussten, was die Post des Gesundheitsamtes bedeutet und dass sie sich in Quarantäne begeben müssen. Das Risiko, sich irgendwo anzustecken, wird als erhöht wahrgenommen. Aus diesem Grund haben Mitarbeitende der Jugendhilfe eine Petition gestartet, mit Lehrkräften sowie Erzieherinnen und Erziehern gleichgestellt zu werden.
Homeschooling: „Wir sind doch keine Lehrer“
Im Arbeitsalltag wurden die Lockdowns als sehr anstrengend empfunden, denn anders als zu Schulzeiten waren alle Kinder und Jugendlichen rund um die Uhr in den Gruppen. Morgens hieß das: Homeschooling mit zehn Kindern, die alle unterschiedliche Schulen besuchen, die Nutzung unterschiedlicher digitaler Plattformen, Grundschulkindern, für die Material bei den Schulen abgeholt werden muss, Kinder mit
Förderbedarf und Kinder, die noch nicht richtig Deutsch sprechen. Auch die technische Ausstattung war zunächst nicht vorhanden. Inzwischen teilen sich jeweils zehn Kinder vier Tablets oder Laptops, die aus Spendenmitteln kommen. Die Firma T-Systems hat dafür gebrauchte Geräte zur Verfügung gestellt. Zudem unterstützen Angestellte der Firma die Kinder und Jugendlichen nachmittags ehrenamtlich in Form von Nachhilfe. Die Stadt Aachen hat im Februar 2021 ebenfalls Geld aus dem Bildungspaket für die digitale Ausstattung zugesagt – 1.850 Euro insgesamt für 87 Kinder und Jugendliche.
Um das Homeschooling leisten zu können, fallen pro Gruppe wöchentlich etwa 20 Überstunden an. Ende Februar liegen laut Denis Thielen beim Team die Nerven blank. Durch die Bank wird die Situation als „megaanstrengend“ beschrieben. „Wir sind doch keine Lehrer“, geben die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zu Protokoll, die sich parallel in verschiedenste Unterrichtsstoffe und Softwarelösungen einarbeiten müssen. Am Nachmittag stehen dann Angebote wie Sport an der frischen Luft oder in der Mehrzweckhalle an, um die ganzen Freizeitangebote und Hobbys zu kompensieren, die seit Monaten ausfallen.
Zusammenhalt weicht Hoffnungslosigkeit und Ungewissheit
Hinzu komme laut Thielen, dass die Stimmung unter den Kindern und Jugendlichen im Laufe der Zeit immer mehr leide. Gerade die Jugendlichen fühlen sich zunehmend „kaserniert“, dürfen nie auf Tour, Geburtstagspartys fallen aus.
Im ersten Lockdown habe es, wie auch im Rest der Gesellschaft, einen riesigen Zusammenhalt gegeben. Draußen sei es sonnig gewesen und es habe eine positive Stimmung geherrscht, obwohl während dieser Phase nicht mal die Eltern besucht werden durften. Im zweiten Lockdown dann habe sich die Stimmung, passend zum dunklen Wetter draußen, deutlich verdüstert. Die Stimmung sei gereizter, alle seien genervt, bei einigen Jugendliche entwickle sich Hoffnungslosigkeit angesichts der Ungewissheit, Zukunftsperspektiven gingen verloren, da Praktika ausfallen, depressive Verstimmungen stellten sich ein. Immerhin durften diesmal die Kontakte zu den Herkunftsfamilien aufrechterhalten bleiben. In den Corona-Verordnungen wurden Umgangskontakte ausdrücklich von den Hygiene- und Abstandsregeln ausgenommen. Aber auch in der Fachdebatte war man sich einig, dass das Recht des Kindes auf Familie höher zu bewerten ist als die Gefahr einer Infektion mit Corona.
Maria im Tann betreibt nicht nur Wohngruppen, in denen Kinder leben, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht in ihren Herkunftsfamilien betreut werden können, sondern bietet auch die ambulante Familienhilfe an. Hierbei gehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Familien und unterstützen diese, wenn das Jugendamt Unterstützungsbedarf festgestellt hat. Während Corona spitzen sich die Konflikte mangels der Möglichkeit, sich auszuweichen, regelmäßig zu. In einigen Fällen kann es angezeigt sein, dass Kinder oder Jugendliche doch in die Wohngruppen auf dem Heimgelände umziehen. Und dennoch ist das Kinderheim in einer Situation, in der es noch nie gewesen ist: Es gab 2020 erstmals über einen längeren Zeitraum viele freie Plätze. Das resultiert aus der Tatsache, dass während der Lockdowns die Meldungen zu Kindeswohlgefährdungen in Aachen um ca. 50 Prozent zurückgegangen sind. Für den Kinderschutz sei dies fatal, so Denis Thielen, der für die Zeit nach dem Lockdown damit rechnet, dass die Zahlen wieder nach oben schnellen. „Wollen wieder ins Leben“
Wenn man Denis Thielen fragt, wie es weitergehen soll, fallen ihm mehrere Aspekte ein. Zunächst wird ständig daran gearbeitet, den Kindern und Jugendlichen Perspektiven zu aufzuzeigen. In jedem einzelnen Arbeitsbereich ist dies eine Herausforderung, die kreative Lösungen und immer neue Ideen erfordert, sei es in den Wohngruppen auf dem Heimgelände, beim Homeschooling, im Freizeitbereich oder dabei, in der Jugendwerkstatt AMOTIMA betreute Jugendliche zu erreichen, denen dann schon mal auf der Straße Arbeitspakete zur Beschäftigung übergeben werden.
Bei den Wohngruppen fällt gerade jetzt auf, dass die Wohnverhältnisse teils etwas beengt sind. Nicht jedes Kind hat ein eigenes Zimmer, was heute eigentlich Standard ist. Hier freut man sich auf den Umbau, der 2022 beginnen soll. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hoffen auf einen besseren Arbeitsschutz und eine Gleichstellung mit Erziehungs- und Lehrpersonal. Es ist ihnen völlig unverständlich, dass Lehrkräften in Schulen, täglich zwei FFP2-Masken, wöchentlich zwei CoronaTests und nun baldmöglichst Impfungen zugutekommen, während Beschäftigte in der Jugendhilfe seitens des Landes NRW bisher gar nicht bedacht werden. Gemäß Impferlass vom 01.03.2021 wird nun ab dem 08.03.2021 auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der stationären Wohngruppen (§ 34, SGB VIII) in NRW ein Impfangebot gemacht, sodass immerhin ein Teil zeitnah gegen das CoronaVirus geimpft werden kann.
Wenn man die Kinder und Jugendlichen befrage, was sie sich wünschen, seien es die normalen Dinge, die alle Kinder und Jugendlichen umtreibe: Freunde treffen, Kino, gemeinsames Chillen, Party. Einige erkundigen sich nach den Ferien und der großen gemeinsamen Fahrradtour, die Maria im Tann eigentlich jährlich anbietet. Letztes Jahr musste sie in letzter Sekunde abgesagt werden, als das Beherbergungsverbot in Niedersachsen angeordnet wurde. Als es gekippt wurde, hatte man den Jugendherbergen gerade abgesagt. „Da sind viele Tränen geflossen“, so Thielen, „die Kinder und Jugendlichen wollen wieder ins Leben.“ Jetzt wird allen Unabwägbarkeiten zum Trotz wieder geplant in der Hoffnung, den Kindern im Sommer eine Tour anbieten zu können.