KingKalli AprilMai 2021

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Spezial

Ein Jahr Corona

Ein Jahr Corona: Herausforderung für ein Kinderheim Homeschooling mit zehn Kindern in den Wohngruppen, notdürftige Ausstattung mit digitalen Endgeräten, Betreuungspersonal, das plötzlich nicht mehr mit den Kindern gemeinsam essen darf, dazu noch Sorgen um die Gesundheit – wir haben bei Denis Thielen, Leiter von Maria im Tann, dem Zentrum für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, nachgefragt, was Corona und die entsprechenden Maßnahmen für die Kinder, Jugendlichen und Mitarbeitenden bedeuten. Text: Birgit Franchy ⁄ Fotos: BF und privat

Zwischen Organisation und fehlendem Gesundheitsschutz Die gute Nachricht vorab: Bei Maria im Tann hat es noch keine Krankheitsfälle gegeben und Quarantänemaßnahmen haben nur einzelne Kinder und Jugendliche erwischt, jedoch nicht ganze Gruppen. Das sei ein sehr großes Glück, so Einrichtungsleiter Denis Thielen, der seinen Job 2020 genau zu Beginn der Pandemie übernommen hat. Thielen trägt Sorge dafür, dass die Kinder, die auf dem Heimgelände in Wohngruppen à zehn Kindern leben, immer gut betreut sind. So hatte er auch die Regelung der Pendelquarantäne begrüßt, die es für systemrelevante Gruppen gab. Würde eine Gruppe und das betreuende Personal in Quarantäne geschickt, so könnte sich dieses zwischen dem Kinderheim und dem Wohnort mit eigenem Pkw bewegen. Auch im Worst Case wären die Gruppen also gut betreut. Alles sollte für die Kinder möglichst normal laufen, Masken mussten nicht getragen werden, Abstände wurden gehandhabt wie in normalen Familien. Mehr durch Zufall erfuhr Thielen im zweiten Lockdown ab Dezember, dass das Quarantänependeln für Einrichtungen wie Maria im Tann nun nicht mehr gelten sollte. Das hätte im Ernstfall bedeutet: Betreuerinnen und Betreuer in Quarantäne hätten nicht mehr zum Job kommen dürfen. Sollte dann Personal fehlen, wäre es den Einrichtungen seitens des Landesjugendamtes erlaubt, vom Fachkräftegebot abzuweichen. Unmöglich, in Zeiten von Homeschooling und der psychischen Belastung von Kindern und Jugendlichen durch den Lockdown auf ungeschultes und den Kindern unbekanntes Personal zuzugreifen, ist Denis Thielens Meinung dazu. Also mussten ab diesem Zeitpunkt alle Mitarbeitenden FFP2-Masken bei der Arbeit tragen, um im Falle einer Positivtestung oder Erkrankung unter Kindern oder im Kollegium nicht in Quarantäne zu müssen. Das Essen durfte nicht mehr mit den Kindern gemeinsam eingenommen werden, und man sollte möglichst Abstand zu den Kindern und Jugendlichen halten. Gerade für Neuankömmlinge eine verstörende Situation. Im Garten einer Gruppe wurde beispielsweise ein Pavillon aufgestellt, wo man sich an der

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frischen Luft auch einmal ohne Maske mit den Kindern unterhalten kann. Hygienemaßnahmen wie der Kauf von mehreren Tausend FFP2-Masken und Desinfektionsmitteln haben für 2020 mit einem fünfstelligen Betrag zu Buche geschlagen – zu bezahlen aus der Kasse der Einrichtung, denn für diesen Sonderposten war im Vorfeld der Pandemie natürlich kein Geld beantragt worden. Die Beschäftigten in der Jugendhilfe fühlten sich nicht nur deshalb im letzten Jahr zunehmend nicht berücksichtigt und von der Politik ausgeschlossen. In der Teststrategie wurden sie – anders als Erzieher im Kindergarten, Lehrer oder Pflegepersonal in Altenheimen und Behinderteneinrichtungen – nicht bedacht, obwohl sie mit vielen verschiedenen Personen zusammenarbeiten und zum Beispiel auch zu Familien gehen. Dabei ist es schon vorgekommen, dass Familien erst

erklärt bekommen mussten, was die Post des Gesundheitsamtes bedeutet und dass sie sich in Quarantäne begeben müssen. Das Risiko, sich irgendwo anzustecken, wird als erhöht wahrgenommen. Aus diesem Grund haben Mitarbeitende der Jugendhilfe eine Petition gestartet, mit Lehrkräften sowie Erzieherinnen und Erziehern gleichgestellt zu werden.

Homeschooling: „Wir sind doch keine Lehrer“ Im Arbeitsalltag wurden die Lockdowns als sehr anstrengend empfunden, denn anders als zu Schulzeiten waren alle Kinder und Jugendlichen rund um die Uhr in den Gruppen. Morgens hieß das: Homeschooling mit zehn Kindern, die alle unterschiedliche Schulen besuchen, die Nutzung unterschiedlicher digitaler Plattformen, Grundschulkindern, für die Material bei den Schulen abgeholt werden muss, Kinder mit


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