Kinki Magazine - #11

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kinki

nr. 11 mär/apr 2009 chf 6.– ˆ 4.–

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‹ editorial› Live only for the weekend. Liebe Leser. Wo soll es dieses Mal hingehen? Wie immer? Diese bei­ den Fragen stellt mir der Taxifahrer, als ich ihn am ­Samstagabend gegen 22.00 Uhr vor meine Haustür bestel­ le. Er kennt mich schon, ich wähle meistens seine Nummer. Wie immer, antworte ich und steige wortlos ein. Ob die Nacht ‹wie immer› beginnt und endet, also mit einer Bar und einem Rausch, mit vielen interessanten und noch viel mehr oberflächlichen Gesprächen, einem Pfeifen in den Ohren und durchtanzten Füssen, oder ob heute Nacht endlich das passiert, weswegen ich ‹wie immer› an den Wochenenden das Haus verlasse, wage ich kaum zu prognostizieren. Wahrscheinlich werde ich ­denken, dass ich eigentlich schon längst einmal die heisses­ te Party gefeiert habe, die coolsten Leute getroffen und mit den besten DJs backstage gewesen bin. Und trotzdem werde ich wieder mit der Erwartung in die Dunkelheit ­abtauchen, dass heute Nacht ganz besonders sein wird. Ich spüre die Aspirintablette, die ich mir ‹wie immer› schon in der Jackentasche zurechtgelegt habe, ich werde sie mit dem letzten Schluck Bier hinunterspülen, noch bevor ich mich in den frühen Morgenstunden – vermutlich alleine – ins Bett legen werde. Und ich werde dann denken, dass ich nie wieder so viel trinken werde. Oh Mann, wie ich mich auf diese Nacht freue! Komm gib mir deine Hand! Dein dich verzehrendes kinki magazine. kinki

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Š 09 Vans, Inc. Photo: Ane Jens




‹content› Standard

03 10 12 12 14 16 18 20 112 108 114

Editorial Content Gossip Agenda Gossip Figaro: Die Flechtfrisur Klagemauer Was läuft… Abo / Impressum Media Versammelt

34 60 Fastnacht für The Whip

Nicht jeder, der sich verkleidet, hat etwas zu verbergen! Das beweisen die vier Elektrorocker aus Manchester im Gespräch mit unseren beiden Funkenmariechen Christina Fix und Rahel Zoller allemal. Und wo liesse sich dieser Anlass mit The Whip auch besser feiern als in einem Backstageraum? Fotograf David Spaeth dokumentierte mit seiner Kamera das bunte Treiben der rockenden Narren.

Report 34 40 42 44 46 52 56 58

Send in the Clowns Querschläger: Antoinette Devasree Bärtsch Matt Riddlehoover: Der Mann mit der Gummipuppe Sonnenbrille für den Himmel Damit man sie richtig fühlt, die Angst Mein Freund und seine Freundin Heillsuche im Himalaja Zehn Minuten mit Joey Goebel

Sound 60 64 66 68 70 72

Interview: The Whip Interview: Kitty, Daisy & Lewis Playlist: DJ RX Interview: Dark Captain Light Captain Album des Monats: Dear Reader Soundcheck

Fashion 74 78 80 82 92 94 98

Lob und Glanz für Schwarz Vive la Fragrance Oh Dear: Kunst am Hals ‹Sang du Soleil› von Giuliano di Marco Vertreter: Reebok Freestyle Kimandra: Vintage en Vogue ‹Silently yours› von Jolijn Snijders

Art & Co 22 110 113

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‹Smashing a Rainbow› von Anne de Vries The Return of the Real Life Tetris… Top Notch Gallery: Camp Barbossa

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Send in the Clowns

Bewaffnet mit Wasserpistolen und bunt verkleidet, erklärt die Clown Army militärischen Aktionen den Krieg. In Christoph Dublers Artikel kommen sowohl die Armee als auch ‹Oberspassmacher› Schämdi Smid zu Wort.

46 Damit man sie richtig spürt, die Angst

Manfred Gorn hat sich als Grosswildjäger und Präparator einen Namen gemacht. Zusammen mit der Fotografin Annett Bourquin besuchte unser Reporter Asmus Hess den Deutschen in seiner Werkstätte in Namibia und unterhielt sich mit ihm über Tiere, das Töten und das Gefühl danach.

68 Jealousy in Harmony

Die britische Akustik-Band ‹Dark Captain Light Captain› kennt keine Eifersucht. Harmonie wird bei ihnen ganz gross geschrieben – und das nicht nur auf zwischenmenschlicher Basis, sondern vor allem musikalisch!


82 Sang du Soleil

Wer die kinki Ausgabe # 7 besitzt, weiss bereits, dass Giuliano Di Marco und sein Team von 47 Nord+ mit ihren Fotos gerne Geschichten erzählen und ein Auge für aussergewöhnliche Locations haben. Diesmal durfte auch die Sonne bei der Arbeit des Zürcher Kreativ-Teams zusehen…

110 The Return of the Real Life Tetris…

Was passiert, wenn ein Computerspiel dem Bildschirm entflieht? Das australische Künstlertrio um Ella Barclay, Adrianne Tasker und Ben Backhose lässt mit seinem Projekt ‹One More Go One More Go› Jugenderinnerungen aufblühen und sorgt für jede Menge geduckter Köpfe in Sydneys Gassen. Im Gespräch mit kinki sprach Ella Barclay über ihren Lieblingsstein und erklärt, wie man Pacman mit zugedröhnten Raver Kids inszenieren könnte.

‹contributors›

22 98 Anne de Vries Jolijn Snijders

‹Meistens arbeite ich mit simplen Materialien wie Leim, Klebeband, Papier und anderen Dingen, die man in der Haushaltabteilung der Warenhäuser findet›, erklärt Anne de Vries seine Leidenschaft für das Spiel mit einfachsten Materialien. Was der Holländer mit diesen Materialien anstellt, ist dafür umso spezieller. Egal ob in Fotos, Installationen oder Videoarbeiten– seit über sechs Jahren verwundert der junge Künstler immer wieder durch aussergewöhnliche Sichtweisen und kulissenartige Settings. Die Arbeiten des selbständigen Fotografen wurden weltweit in vielen Museen ausgestellt und erschienen in Magazinen wie ‹Livraison› oder ‹Picnic›. Ausserdem war Anne Gast-Kurator des ‹Arnhem Fashion Biennial›.

Geprägt von Punkrockbands und -fans, fühlte sich die Holländerin Jolijn seit jeher angezogen von der dunklen Romantik und dem nonchalanten Flair, das diese Szene umgibt, und liess sich immer wieder von den etlichen Fanzines der Szene inspirieren: ‹Alles ist so independent und bröckelig, man gelangt durch die Leute und Stimmungen immer wieder zu neuen Ideen.› So gründete die Fotografin Jolijn schon bald ihr eigenes Fanzine, ‹I Love Fake›, das sich in den letzten Jahren zu einem der innovativsten Fashion-, Kunst- und Kulturmagazine Europas gemausert hat. Als Fotografin blickt Jolijn auf eine lange Liste eindrücklicher Kunden wie Karl Lagerfeld, das Indie Magazine und Celeste zurück und ist somit ständig auf Achse. Die Geschichte ‹Silently yours› für diese Ausgabe schoss das multitalentierte Punkgirl in Paris.

52 Natalie

Gyöngyösi ‹Auf das Thema mit den Dreiecksbeziehungen bin ich gekommen, weil ich in letzter Zeit vermehrt Geschichten dieser Art aus meinem Umfeld vernommen habe›, erklärt Natalie Gyöngyösi die Inspiration zu ihrem Artikel ‹Mein Freund und seine Freundin›. Wenn die neunundzwanzigjährige Zürcherin mit ungarischen Wurzeln für ihre journalistischen Arbeiten nicht gerade in die Gefilde der menschlichen Psyche vordringt, arbeitet sie als HR-Assistentin und wird diesen Herbst ihr Philosophie- und Germanistikstudium an der Uni Zürich beginnen. kinki

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‹gossip›

trittliebe

professionell bewertet werden. Dieses Konzept hat sich bereits bewährt: verschiedene Ausstellungen mit den besten Designs sind schon im letzten Jahr erfolgreich über die europäischen Bühnen gelau-­­ fen. Der letzte Termin war im Rahmen der ‹Vandalized Tour› von dem Münchner Trendlabel ‹Nat-2› auf der Bread & Butter Tradeshow in Barcelona. Mit dabei war natürlich auch die ‹We Love Kicks› Künst­ Der Favorit in jedem urbanen Schuh- lercombo. Und die nächste Runde schrank ist sicherlich der Sneaker. steht schon an: Im Frühjahr wer­Den Kunstfreunden unter den Turn- den Sneaker-Süchtige mit weiteren schuhträgern wird nun mit einem Designs und Ausstellungen be­ neuen Streetartprojekt Respekt ge- friedigt. Watch out! (cf) www.welovekicks.ch zollt. ‹We Love Kicks› bietet Künstlern aller Couleurs die Möglichkeit, die Prints und Designs ihrer hübschen Treter zu verschönern. Die Entwürfe können eingereicht und

comischer spirit

Nein, nicht Zorro. Ein neuer Held betritt die Kinoleinwand und sorgt im Comic Movie ‹The Spirit› für Gerechtigkeit.

Sie begleiteten uns durch unsere Jugend und vertreiben uns noch heute die Langeweile am stillen Örtchen: unsere heiss geliebten Comichefte! Seit geraumer Zeit spuken ihre Helden ausserdem über die Leinwände der Kinos, nun hat es noch ein legendärer Comic-Epos von der Toilette in die Lichtspielsäle geschafft: The Spirit. Der Film verbindet Actionkino mit Fantasy und natürlich orientiert er sich so gut wie möglich an der Story des gezeichneten Originals: Eine Stadt am Abgrund wartet auf ihren Retter, einen tollkühnen Helden im Ge­wand der Gerechtigkeit! Damit ihr euch dieses Abenteuer auch sicher nicht entgehen lasst, verlost kinki 5 × 2 Tickets für den Grossstadt-Comic, der seit dem 05.02.09. im Kino läuft. Einfach ‹The Spirit› an info@kinkimag.com schicken, und mit ein bisschen Glück sorgt Mister Spirit auch bei euch zu Hause für Gerechtigkeit und schickt euch ein gratis Ticket! (rb) www.thespirit.ch

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‹agenda›

02 6.2.–8.3.

ausstellung von lina müller und luca schenardi

Künstlerhaus S11 Solothurn 31.1–28.3.

ausstellung ‹born to be punk› Gallery Daeppen Basel 20.2. Fr

max tundra (uk) Mariaberg Rorschach 20.–21.02.

theater ‹genossenschaft jetzt› Reiterhalle Basel 21.02. Sa

the lombego surfers

Schwarzer Engel St.Gallen 25.02. Mi

the gaslight anthem (usa) Mascotte Zürich 25.–26.02.

theater ‹amerika› Reiterhalle Basel 27.02. Fr

moulinex (d), caravan disco Palace St.Gallen

lovebugs

Eintracht Kirchberg 28.02. Sa

the script (irl)

03 Volkshaus Zürich

01.03. So

oasis (uk), glasvegas (uk) Hallenstadion Zürich 02.03. Mo

sky larkin (uk)

Mascotte Zürich 03.03. Di

the black box revelation (bel)

Mascotte Zürich 06.03. Fr

the spinto band (usa), stahlberger und band Mariaberg Rorschach 07.03. Sa

navel, killed by 9V batteries (a) USL Ruum Amriswil 08.03. So

junior boys (can) Stall 6 Zürich 10.03. Di.

polarkreis 18 Abart Zürich


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günstig für jüngere künstler

mode vom model Jung, aufstrebend und ohne Zeugnis. Zwischen 18 und 23 Jahre sind die hier vorgestellten Kreativen und kommen aus Deutschland und England. Rob, Hughes und James stehen nicht nur hinter ihren Kol­ lektionen, sondern auch vor der Kamera. Die braven Jungs, die ihr Label nach dem Glückshormon ‹Dopamin› benannt haben, sind keine ausge­bildeten Designer. Doch sie be­weisen mit ihrem eigenständigen Stil, dass sie es auch ohne theoretischen Background können. Die Jung-Designer folgen ihrer Intuition und ihrem persönlichen Modegeschmack. Im Mittelpunkt ihres Projekts stehen Schlüsselteile wie T-Shirts, Poloshirts, Hemden und Pullover. Die T-Shirts sind zwar ganz nett, doch wirklich überzeugend sind die Pullover, die mit leuchtenden Farben und engen Schnitten bestechen. (cf) www.dopaminmodels.com

Deine unterschätzten Werke auf einer echten Kunst­messe? Einreichen und bewerben!

Kreative braucht das Land. 2008

zeigte das zwei Jahre alte Konzept wieder mal grossen Erfolg. Auch in diesem Jahr dürfen Künstler aus verschiedenen Stilrichtungen ihre Werke präsen­tieren: Skulpturen, Malerei, Foto-

Dieser hübsche Junge weiss, dass seine Zeit gekommen ist: er hat seinen Pulli nämlich selbst gemacht.

grafie, Collagen, Streetart, Mixed Media und Zeichnungen.

Es werden keine Montagsmaler gesucht, sondern junge Künstler bis 35 Jahre aus der Schweiz, die aus-

stellungs-, kauf- und verkaufs­ fähige Werke schaffen.

Ab sofort ist es möglich seine Dossiers an info@jungkunst.ch zu senden. Das Verfahren besteht aus zwei Schritten, zum einen werden die eingesendeten Kunst­werke geprüft und bewertet. Der zweite Schritt ist ein Besuch im Atelier der Künstler und Künstlerinnen. Wichtig ist für die Einsendung: Angaben zur Person, ‹Jahrgang›, Übersicht zum aktuellen Schaffen, Rückblick auf das bisherige künst­ lerische Werk, was soll an der jungkunst gezeigt werden. Einsendeschluss für die Dossiers ist Ende Mai 2009! Die Ausstellung wird durch die drei Initianten der jungkunst kuriert: Martin Landolt, Andreas Schmucki und Tom Stierli. Nicht einschüchtern lassen. Ran an Farbe und Papier und Gas geben! (cf) www.jungkunst.ch

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zombielicious Ich träume selten. Aber wenn, dann richtig. Heute Morgen bin ich auf­ gewacht und versuchte, meinen schrägen Albtraum zu verstehen. Die ganze Nacht wurde ich verfolgt. Nur von was? Ich denke es waren Zombies. Sie bewegten sich unkoordiniert auf mich zu und mir wurde klar, dass ich ihnen nicht mehr entkommen kann. Also musste ein Plan her. Vor Tagen habe ich die neue Platte ‹Zombielicious› von Zombie Nation gehört. Ich versuchte mir diesen organischen und bassgewal­ tigen Sound, der sich irgendwo zwischen Electro und House befindet, ins Gedächtnis zu rufen. Zu dem Track ‹Mystery Meat Affair› hüpfte ich dann auf und ab und bewegte

mich zum Takt. So tanzte ich durch die Menge, um anschliessend das Weite zu suchen. Es funktionierte, ich konnte die Meute in die Flucht schlagen. Das verdanke ich allein Florian Senfter, der mit dem vier­ten Album von Zombie Nation eine eigenständige Klangära schafft. Mit analogem Studioequipment und Vintage-Synthesizern verwandelt er das Grundrauschen und das bizarre Eigenleben seiner Instrumente in handfeste Musik. Der Münchner Produzent hat Energie und ver­ bindet nicht nur bei seinen Live-Acts massive Drums und dreckige Bass­ lines. (rz) www.zombienation.com


die zweite haut sitzt Flecken, verkühlte Füsse und womöglich noch Stoppeln an den Bei­nen: allesamt Dinge, die der Winter so mit sich bringt. Aber auf den Minirock komplett verzichten? Auf keinen Fall! Lieber eine Leggins von De La Sade tragen. Das Label aus L.A. überzeugt mit einer unschlagbaren zweiten Haut. Die Muster reichen von wegweisenden Pfeilen bis hin zu beinschmeichelndem Glanz. Seit September 2008 schmücken die zwei Schwestern Amanda und Gia Le Sade mit ihrem Label nicht nur Frauenbeine. Inspi­ ration holen sie sich aus der Musik und dem Nachtleben, der Party-Szene, von Freunden und interessanten Menschen, die ihnen im Leben begegnen. Auch wenn einige Muster etwas kitschig und überdreht wirken, wer Mut zur winterlichen Beinfreiheit hat, sollte sich so schnell wie möglich ein Paar ordern. (rz)

Wenn das Universum mal wieder implodiert, wird es Zeit für neue Leggins.

foto flach mann

Es gibt ein SchokoriegelformatNatel zu ergattern! Sony Ericssons Walkman-Handy W902 hat eine 5-Megapixel-Kamera, die allzeit bereit ist: ob Frau Hilton gerade mal wieder ohne Schlüpfer aus dem Wagen steigt oder ob Britney sich noch mal eine Glatze schneidet, ihr könnt mit eurem Natel alle auf­ regenden Begegnungen aufzeichnen und fotografieren. Denn für eure Fotos ist auf der 8-Gigabyte-Speicherkarte genug Platz. Wer der stolze Besitzer dieses Flachmanns sein möchte, sollte sich bis zum 15.03.09 mit Namen und Adresse unter wettbewerb@kinkimag.com melden – wir drücken die Daumen! (cf)

this month on the web

www.delasade.com

Wie hat das Internet doch unseren Alltag verändert: Ständige Erreichbarkeit, Kreditkartenbetrug und SpamMails sitzen uns mit jedem Maus­klick im Nacken! Doch niemand von uns wird leugnen, dass die virtu­elle Welt durchaus ihre positiven Seiten birgt, zum Beispiel www.kinkimag.com! Dort findet ihr auch diesen Monat wieder exklusive Berichte, zum Beispiel über die legendären ‹FullmoonPartys› auf Kho Pang Ngan, ge­spickt mit zahlreichen Foto-Eindrücken der feiernden Backpacker-Schar. All jene, bei denen die 80er auch nach dem Millennium noch nicht aufge­hört haben, werden sich sicherlich über David Spaeths Fotostrecke ‹Flashdance› freuen, denn dort wird dem ‹Maniac-Style› aus Stulpen, Stirnund Schweissbändern Tribut gezollt, als hätte es das Millennium nie ge­ geben. Als Zusatzartikel zu unserem ‹Angst in Namibia›-Artikel in So schön sollte es urbane Kunst immer haben: ausge- dieser Ausgabe erwarten euch auf stellt in netten Räumen für www.kinkimag.com ein Interview mit nette Menschen in einer netten Stadt. dem Schweizer Tierpräparator Lorenzo Vinciguerra sowie optische Eindrücke aus seiner Arbeitsstätte 3D-Installationen von 14 Künstlern. in Grub. Des Weiteren gibt’s auch dieDarunter Anna-Lina Balke, Haus­ sen Monat etliche neue Videos zu grafik, Pixelfarm, SMASH 137, WES sehen, unter anderem von Kitty, Daisy and Lewis und Dark Captain 21 und ViaGrafik als Gäste aus Light Captain, die uns in diesem Heft Deutschland. Abgerundet wird das Rede und Antwort standen. Und dreitägige Happening mit Künstlerdas alles ganz safe, ohne Angst vor Liveperformances und einer fetten Spam-Mails und sonstigen virtu­Vernissage-Party! (rb) Vernissage: Freitag, 27.03. ab 18 Uhr ellen Gemeinheiten. So angenehm Imprimerie, Basel, www.artstuebli.ch kann Internet sein… (rb)

zum vierten mal abartig

Alle Artgenossen flüchten demnächst wieder aus ihren Schweizer Kreativ-Stüblis: Die vom GrafikKollektiv ‹Artstübli› organisierte ‹ARTig 09› Ausstellung naht! Vom 27.–29.03. trifft sich die junge urbane Schweizer Grafikszene zum vierten Mal in der ‹Imprimerie› in Basel. Gezeigt wird eine artige Kombination aus Grafikdesign, Illustration, Urban Art bis hin zu

www.kinkimag.com

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‹figaro›

die flechtfrisur Herkunft ca. 15. Jahrhundert Mindset (Hefe)-Zopf-Liebhaber Geschlecht weiblich Passt gut zu Dirndl, Romantik und Kampf gegen die Autorität

B

eim Schunkeln auf den oktoberfest­ lichen Wiesn oder Auf- und Abspringen auf sommerlichen Festivals gerät so manche Frisur nach einiger Zeit aus den Fugen. Abhilfe kann mit di­versen Zopf- und Flechttechniken geschaffen werden. Was für ein Glück! Liebe Frauen, lasst euch den Zopf noch mal um den Kopf gehen – obwohl diese Frisier-Technik zu Unrecht als Milchmädchenhaartracht, Wiesenkranz, Bauernzopf und Blumenlook beschimpft wird. Auch wenn beim Anblick dieser Frisur schlagartig die ‹Heidi, Heidi, deine Welt sind die Berge›Melodie in unseren Köpfen erscheint. Jawoll. Denn wenn man die Augen offen hält, entdeckt man sie: die mutigen Heldinnen, die sich zum Flechten bekennen. Wie zum Beispiel Prinzessin Leia von Alderaan. Die Zopfpracht der weib­ lichen Hauptdarstellerin in Star Wars ist ein unver­ gessliches Markenzeichen. Ob zu seitlichen Hörnern oder zu einem Haarkranz ge­ bunden, diese praktische Frisier-Technik ermöglicht der tapferen Frau überhaupt erst den Kampf gegen das Böse.

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Nicht nur Heidis und Hel­ dinnen lassen sich vom Hefezopf für den Kopf ins­ pirieren, auch Stars wie Angelina Jolie, Sienna Miller und Penélope Cruz tragen das Flechtgewebe auf dem roten Teppich und in ihrer Freizeit. Selbst die ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko lässt sich von Vorurteilen nicht beirren und zeigt sich sicher und selbstbewusst im Heidi-Look im Staatshaus. Wer angetan ist, sollte diese Frisur mit Hilfe einer talentierten Freundin oder Coiffeurin aus­pro­ bieren. So funktioniert es: Das Haar wird im Mittelscheitel geteilt. Die beiden abgeteilten Be­reiche werden nun im holländischen oder auch französischen Stil von Ohr zu Ohr geflochten. Die Enden werden

mit Spangen befestigt und fertig. Es gibt natürlich verschiedene Varianten: um die Ohren, um die Stirn, zur Schnecke hochgewölbt – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Und das Beste ist: man bekommt auf einmal wieder Appetit auf Mamas Hefezopf. Oder Lust auf eine DVD-Session mit alten Heidi-Folgen… Text: Christina Fix Illustration: Lina Müller



klagemauer Dein Meerschweinchen hat dich heute gebissen? Deine Freundin steht auf DJ Bobo? Die Welt ist böse? Zürich geht dir auf den Sack? Dein Lover hat deinen Geburtstag vergessen? Egal was dich gerade stresst oder nervt: auf kinkimag.com unter ‹Klagemauer› kannst du Dampf ablassen. Die besten Einträge werden hier veröffentlicht.

Ich hasse es, dass ich noch bis zwei hier sitzen muss obwohl nix zum tun ist. Will weg!!!! stella | Bücher die zu Ende sind obwohl es noch viel mehr zu erzählen gäbe. Anonymous | Wieso bin ich eigentlich die einzige, welche andere in ihre Überlegungen miteinbezieht. Und warum kann ich nicht einfach lieben. Es wäre so viel besser. pelicanhunter | Dass ich in meinem Kopf eine doppelt so gute Songwriterin abgebe, als auf Papier. Anonymous | Mich nerven Männer die in einer Beziehung sind und beispielsweise solche Comments wie folgenden abgebgen: ‹das meine Nachbarin geiler aussieht wie meine freundin... kann die nicht woanders wohnen von sowiso am 22.1.2009 16:59› zum Kotzen ist das! Sinacica | Was mich nervt?!? FACEBOOK! Claudie | Warum gibt es so huere umekomandierende Milchbubies? Fresse polieren sollte man denen! Seimen | Im Büro sitzen während die Sonne scheint. So’n Scheiss! Stella | Ich hasse es, wenn jemand auf wiedersehen sagt, obwohl ich sie gar nie mehr sehen will. Und bastel-do-it-yourself-kits für absolut banales zeug, für das man sicher nicht ein bastel-do-it-yourselfkit kaufen muss! stefan | Ich hasse es krank zu sein! Anonymous | ich hasse es immer alleine zu sein! sue | Ich hasse diese neue idiotische-chrüppel-polaroid-DIGITAL-kamera! Anstatt die alten, wunderbaren polaroidfilme zu produzieren, tun die lieber soo nen MÜLL herstellen?!?!?! sara | Dass The Voilàs beim restorm.com Contest für’s Hive da nicht gewonnen haben. Fukken Fail. Die hätten da jetzt gewinnen sollen, verdammt. honolulufleisch | Mein Wecker ist ein verdammtes Arschloch! billie0jean | Ich hasse beherrschung, disziplin und all diesen mist!!!! so was nutzloses, ehrlich!!! So ist das leben LANGWEILIG! ella | Seit wann ist es modern geworden Marken von Skateboard-firmen zutragen? nun denken alle ich laufe mit der masse mit… dash | Es bruucht meh schnee. es BRUCHT meh schnee! Es git nie gnueg SCHNEE, verdammt. Scheiss Föhn! skamian | Lieber dorfgrenze überschrietä, als dorfgrietä überschrenze!!! tante | Ich hasse den Spruch: ‹Du bist wie eine Schwester für mich›. peter | Mich kotzt es an, so krasse graphische Arbeiten zu sehen und zu wissen dass ich noch weit entfernt davon bin! Anonym | Ich hasse Mathematik. isa | Leute die einen im Stich lassen! donky 18

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‹was läuft›

basel

luzern

Korrespondent: Philipp Bibbo Brogli Alter: 29 Beruf/Berufung: Waggis Lieblingsbar: Lälli-Clique-Keller Lieblingsclub: Morgenstraich Hotspot des ­M onats: Basler Fasnacht – die drey scheenschte Dääg!

Korrespondent: KackmusikK Alter: 26 Beruf/Berufung: Inkasso Moskau Lieblingsbar: Bargeld Lieblingsclub: 10000 Miles Club Hotspot des Monats: Caffè Scusi

stadtstrand

abgangsserie – volume II

Die Nachrichten aus der Kaserne reissen nicht ab: Die MusikproBasel hat einen 2500m2 Beach, im grammatorin Laurence Desarzens Winter! Da sich in der alten Marktverlässt die Kaserne Basel per halle der Bau des Allreal-Einkaufs­ 1.03.09, um sich einer neuen Hercenters bis in den Spätsommer ausforderung zu stellen. Sie verzögert, wird im Betonkuppelbau wird in Paris als Cultural-Marketingnun ‹sommerlich› eingeheizt (im­ Managerin für Red Bull France merhin um die 23 Grad, durch imarbeiten. Zudem werden Stimmen mense Energie von Ölheizungen). laut, die Kaserne stehe wieder Versprochen werden 400 Tonnen finanziell vor dem Abgrund. Die KaQuarzsand, Swimming- und Whirlsernendirektorin Carena Schlewitt pool, Lounges und Himmelbetten, ist nicht zu beneiden, die drei gleichein Beachvolleyfeld, zwei Bars, berechtigten Sparten Theater, täglich Yogakurse, Massagen und Tanz und Musik funktionieren noch sportliche Aktivitäten inklusive. nicht wie gewünscht. Nun steigt Inspiriert wurde Citybeach-Initiant die Befürchtung, dass die MusikplaThomas Merian vom Stadtstrand nung durch den Abgang Desarzens im Hamburger Hafen. Unterstützung weiter geschwächt wird. Heinz erhielt er von Michael Achermann, Darr (Konzertveranstalter im Volksder während der Euro 2008 für den haus) und Nic Plésel (freier PartyorCitybeach-Erfolg in Luzern verantganisator mit flamingofarm.ch), wortlich war. Die VIP-Eröffnung war welche vor einem Jahr die Kündigung gut besucht. Szenies und Cüpli­ als Musikverantwortliche der Ka­ trinker, dem Anlass entsprechend serne bekamen, behaupten sich heuein wenig freizügiger gekleidet, te für tausend Musikbegeisterte feierten unter der violett beleuchteauch ausserhalb des Kasernenareten Kuppel. Bikini-Girls und Shortals. So wartet die Basler Partyszene Boys wurden jedoch nicht gesichtet. mal hoffungsvoll ab und diskutiert Dies auch da der Pool eher einen wild in Underground-Blogs, ob die dekorativen Teil einnimmt, da das ‹gute Zeiten, schlechte Zeiten›-Serie Wasser nicht geheizt wird. Störend des Basler Nachtlebens doch noch wird hingegen auch in Zukunft sein, ein ‹Happy-End› erfährt. dass der Kuppelbau keine anständi- www.kaserne-basel.ch ge Soundakustik zulässt. Pro Tag rechnen die Veranstalter mit bis zu 1000 Be­suchern, welche den Beach aktiv nutzen sollen. Ob dieses ‹Beachfee­ling› dem Basler Publikum unter Beton statt blauem Himmel bis im März Spass und Erholung bereitet, wird sich zeigen. Falls der Stadtstrand ein Erfolg wird, könnte das Projekt durchaus auch im Sommer wiederholt werden. ‹Der beste Ort wäre am Rhein bei der Kaserne›, schwärmt Thomas Merian. Man wisse allerdings selbst, dass ein weiterer Publikums-Event an diesem Standort kaum realistisch sei. Deshalb orientiere man sich eher Richtung Rheinhafen. www.city-beach.ch / Offen von Do–Sa / Freier Eintritt

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caffè scusi (ex stromboli)

Also ganz eigentlich gehört dieses Goldstück ja sowieso generell im Michelin-Guide verewigt, da es meiner Meinung nach das mit Abstand beste Café/Bistro in der ganzen Leuchtenstadt ist. Ihr kennt das: Als leidenschaftlicher Samstag-Mittag-Kaffeetrinker sucht man sich jenes Plätzchen aus, bei welchem es sich am besten der Koffeinsucht frönen lässt. In meinem Fall habe ich mir nun eben dieses Bijou ausgesucht und bin seither ein äusserst zufriedener Kunde! Es wird geraucht und diskutiert, die Bedienung lächelt und der Sega­ fredo bedankt meine Wahl mit einem perfekt inszenierten Schaumbouquet auf Mokkawasser. Herrlich! Falls ein jemand von euch aus purer Unzufriedenheit oder Penisneid bei mir persönlich Dampf ablassen will, so findet er mich jeden Samstag hier: (Auf dem Vorplatz gibt’s genug Platz für Boxereien!)

‹Splatter›, ‹Sex-Sells› oder gar ‹Trash›Fliks aufgeteilt. Als zusätzlicher Köder wird an jeder einzelnen Veranstaltung die Arbeit eines bestim­mten Künstlers näher vorgestellt und mit haufenweise Videomaterial unterlegt. Als Host wurde der HoodRegulators-DJ Kackmusikk ver­ pflichtet, welcher die diversen Vids mit jeder Menge Fachsimpelei klugschnackt (es macht mich ja traurig, dass sich diese Famehure für jede ‹Hundsverlochete› hingibt). DJMoves gibt’s jeweils nach Mitternacht auch, für Hüftschwingmusik ist also ebenfalls gesorgt. Diese Serie findet ab Ende Januar jeden letzten Donnerstag in der Gewerbehalle Luzern statt. Mehr Infos gibt’s hier: www.elektro-lux.net

massiv im fröschkönig

Am 23.01.09 machte ich mich nun also auf den Weg in den Frösch­ könig, leider konnte der ursprünglich veranstaltende Club Nautilus mit dermassen viel Street-Credibillity nicht umgehen, weshalb der Gig nach Kriens verlegt wurde, ich war mit Notenskala und Kugelschreiber be­ waffnet und bereit zu berichten. Dass Tränengas in den Augen schmerzt, Caffè Scusi, Kauffmannweg 20 ist mir bekannt, allerdings ist das der reinste Kindergeburtstag im Vergleich zum Haarlack, welche sich diese Tektonik-Rapfans auf die Haare sprayen. Einer dieser Abgebrochenen In Zeiten, wo das gute alte Musikvideo gab mir dann auch zu verstehen, an Kreativitätsfäule leidet und in­ dass ich rein visuell mit meinem Banovatie Künstler noch rarer sind als tik-Shirt irgendwie nicht recht in die Chance, einen Scheinwerfer diese Szene passe. Für diesen KomScheine werfen zu sehen, haben ein mentar rundete ich die Partycrowdpaar findige Luzerner Künstler Note ab auf eine 4 (gerade noch beeinen Antivirus kreiert, welcher dem standen wegen der tollen ‹de drohenden MTV-/VIVA-Super-GAU Puta-Madre-Shirts›). Dem Konzert in Form des neuen Formats ‹Korsett von Massiv gab ich übrigens eine TV› entgegenwirken soll. Bekann­ 5, da er zwar etwa so viel geflucht termassen kann auch mit dieser Event- hat wie Papst Benedikt mit MaulReihe das Rad nicht neu erfunden sperre, mir allerdings durch seinen werden, eher soll die komplette Auf- Einsatz in Palästina einigermassen merksamkeit auf die wirklich ideen­ sympathisch ist. Mehr Infos gibt’s reichen und teilweise technisch auf: hochstehenden Videos gelenkt wer- www.derfroschkoenig.ch den. Die Genres werden feinsäuberlich unterschieden und mitunter in

k.tv


bern Korrespondent: Xymna Engel Alter: 23 Beruf/Berufung: lesend Lieblingsbar: Café Kairo Lieblingsclub: Dachstock Reitschule Hotspot des monats: Mein Teekocher

jetzt erst recht

Schon ganze 13 Jahre kräht Radio RaBe in den verrücktesten Klängen durch Bern. Das einzig nicht-kommerzielle Lokalradio in Bern und Umgebung spielt sich jeden Tag quer durch die Musiklandschaft und würde wohl nicht mal vor russischem Mambo Halt machen. Vom 26. bis 28. Februar wird deshalb genau so abgefahren im Gaskessel Geburtstag gefeiert. A Human aus England, die Sexinvaders aus Berlin, Patent Ochsner und Saalschutz sind einige unter vielen, die mit von der Party sind und musizieren bis die Äste wackeln.

auf immerwiedersehen

Ha, haben wir’s uns doch gedacht, das war kein Abschied für immer. Nach einem allerletzten fulminanten Wochenende im Wasserwerk haben die Betreiber keine Minute ihren Hintern geplättet, sondern schon was Neues ausgeheckt. Zusammen mit Rolf Bähler wird der stillgelegte ‹Pure Club› an der Aarbergergasse 35 zum ‹Bonsoir› und das sogar noch bevor unser Hintern platt ist, weil’s keinen anständigen Club mehr gibt–schon Mitte März wird eröffnet!

born to ride

Wände sind da, um sie anzustarren? Iwo! Sie sind dazu da, um sie zu besprayen. So geschehen im neu eröffneten Sale Out Shop von KSG in der Aarbergergasse. Doppelt so

st.gallen gross wie die Basis nebenan, wird noch bis Juni alles Rund ums Skaten, Boarden und Gut-Aussehen für wenig Batzen verkauft, danach werden Wände durchbrochen und der KSG hat dann endlich Platz für einen Berg inkl. Skilift – naja, fast.

pro progr

Mit Noten wurde nicht geknausert. Im ehemaligen Progymnasium, dem heutigen Zentrum für Kulturpro­ duktion PROGR, ist das Geld für den Erwerb des zentralen Gebäudes durch die Künstler selber nun gesichert. Da im Juli der Vertrag aus­läuft, wurde ein Gesundheitszentrum geplant, dem mit dieser Initiative jedoch ein Bein gestellt wurde. Ob der PROGR und seine Ateliers jedoch in dieser Form erhalten bleiben, ist noch nicht entschieden, es bleibt zu hoffen, dass bei der definitiven Abstimmung genug Stimmen entschieden dafür sind!

Korrespondent: Herr und Herr Gallus Alter: Einer ein Jahr älter Beruf/Berufung: Barkeeper/ Journalist Lieblingsbar: Sawadee Bar Lieblingsclub: Teleclub Hotspot des monats: Sauna

filou

Wie lang hält eigentlich das Filou? Man hört, es soll abgebrochen werden. Wegen unübersehbarer Altersschwäche. In den oberen Stockwerken darf man bereits nicht mehr laufen. Trifft sich gut. Die Besucher der Bar, die um fünf Uhr Morgens öffnet, können meist auch gar nicht mehr laufen. Das Filou ist deshalb so ein guter Ort für soziologische Feldforschung am Vis-à-vis des Baracca stand einst eine frühen Morgen. Wer die noch Garage, die ist jetzt leer. Da habe ein letztes Mal durchführen will, muss DJ Manuel Moreno scheint’s einen sich also möglicherweise sputen, Club drin machen wollen, das bevor auch hier Ende Feuer ist. klappt jetzt nicht. Aber es zeigt eines: Verzweifelt sucht man neue Orte für coole Sachen, während andere wieder verschwinden. Hinter dem Ende Feuer soll auch mit der CalatraBahnhof gehen schon wieder zwei va-Halle sein. Die teuerste Bus­ verloren: Abstellgleis und Rarbar haltestelle der Welt (unbestätigt) soll feierten am 17.01. ein letztes Fest, bevor die alten Häuser abgebrochen mit der Neugestaltung des Marktplatzes abgebrochen werden. Das werden. Alle waren da, und im Abstellgleis übte man sich schon mal gefällt nicht allen, die Stadt ist gespalten. Die Gallus Brothers auch. präventiv im Abbruch. Pyros brannten und stanken, die Einrichtung wur- Dass man den Marktplatz schöner machen könnte, da sind wir allerde zerdeppert, während Mitsutek seelenruhig dazu auflegte. Auch Christ- dings sehr damit einverstanden. Allenfalls könnte man sie ja umpla­ bäume wurden abgebrannt, grad zwei Mal kam die Feuerwehr. Sie zog zieren und einen ganz kleinen Club aber jedes Mal wieder ab. So fehlen im Stadtpark draus machen. Apropos, doch noch ein VeranstalSt.Gallen wieder zwei Räume für tungshinweis. Woollynecks und Sausen neben den viel­befahrenen Louis Laroche spielen am 27.02. im Gleisen. Palace. Hingehen.

tschüss abstellgleis

calatrava

hallo raucher­ aquarium

Bald wieder Rauch soll es im KUGL geben. Ein Aquarium neben der Bar soll zum Raucherabteil werden, gesponsert von British-AmericanTobacco. Dafür gibt’s im Zigiautomaten danach nur noch BAT-Brands. Das sind zum Glück für KUGLChef Dani Weder nicht nur Parisienne. Seine geliebten Marocaine gibt’s also auch weiterhin in seinem Automaten. Ob es das KUGL schafft, bis zur Veröffentlichung dieses kinki das Ding aufzustellen, ist natürlich nicht sicher. Aber es soll bald geschehen. kinki

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ANNE DE VRIES: SMASHING A RAINBOW

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Send in the Clowns! Mit Wasserpistolen und bunten Perücken bewaffnet, ziehen die Mitglieder der Clown Army durch die ­Strassen dieser Welt und sorgen damit für mehr als nur fröhliches Kinderlachen. Anstatt sich mit Pflastersteinen und Farb­­­beuteln auszurüsten und gegen das Militärsystem zu protestieren, halten sie den strammen Kämpfern lieber einen verzerrten Spiegel ihrer selbst vor Augen. Und das scheint zu wirken!

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A

m Samstag des 24. November 2007, ziemlich genau 149 Jahre nach Ausrufung des Schweizer Bundesstaates, passierte das schier Unfassbare. Während sich auf der von Kastanienbäumen gesäumten Quaistrasse Luganos, die sich an die grasbewachsene Uferanlage des Lago di Lugano schmiegt, das donnernde Grollen marschierender Soldaten nähert, kommt es am Rande der Schweizer Armee-Show 2007 zu wüsten Auseinandersetzungen. Stationierte Sicherheitskräfte greifen eine als Clowns verkleidete Gruppe von Armeegegnern an und verletzen dabei mehrere Pierrots. Für einmal tragen sie keine roten Papp-Nasen, sondern blutverschmierte. Ein Chaos bricht aus. Die scheinbar willkürliche Überreaktion fordert sechs verletzte Clowns und eine französische Fotografin, die im allgemeinen Tumult zu Schaden kommt. Insgesamt 16 Personen werden vorübergehend festgenommen und abgeführt. Danach verlagert sich das Kampfgeschehen vor das Polizei-Hauptquartier Lugano, wo die restlichen Clown-Army-Aktivisten und linke Gruppierungen die Freilassung der Genossen fordern. Dazu stellen sie sich in einer Reihe auf und strecken den angewiderten Sicherheitskräften ihre entblössten Hintern hin. Die Polizei – in ihrem machoiden Stolz verletzt – antwortet mit Schlagstöcken und Tränengas. So endet ein lauer Tag im Spätherbst mit einem blutorangenen Sonnenuntergang.

The Great Dictator Lugano ist der erste publizierte Auftritt einer

Schweizer Sektion der sogenannten Clown Army. Eine Gruppierung, die sich zum Ziel setzt, durch ihre Auftritte gegen Faschismus, Rassismus, Ausbeutung und Militär anzukämpfen. Ihr Mittel: Ironie. Ihre Forderung: ‹Der Gewaltverherrlichung der Armee ein befreiendes Gelächter entgegenzuhalten.› Konkret: Die Abschaffung der Schweizer Armee. Der Clown wird zum entzerrten Spiegelbild autoritärer Systeme. So clownesk verhaltet ihr euch, wenn ihr blind den Dogmen eurer Führer folgt. Wacht auf! Denkt nach! So ähnlich könnte die Botschaft der Clown Army lauten. Der Clown, der sich verkleidet, schminkt und eine rote Nase überzieht, um in einen Krieg zu ziehen, den er nur mit Hilfe der öffentlichen Meinung gewinnen kann. Er schlüpft dabei in die Rolle seines Feindes und demontiert ihn mit Hilfe der Übertreibung. Spätestens seit Charly Chaplins ‹The Great Dictator› gilt diese Technik als adäquates Mittel, um autoritäre Systeme auf die Schippe zu nehmen. Ist die Clown Army bloss ein Club gelangweilter Jugendlicher, die sich auf der Suche nach Streit als Clowns verkleiden oder ein ernst zu nehmender Gegner im Diskurs um die Rechtfertigung der Schweizer Armee? Die Gesellschaft für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), auf deren Homepage ein Bericht über die Vorkommnisse an der Olma 2008 verfasst ist, hält sich bedeckt, wenn es um Informationen über die Clown Army geht. Der zuständige GSoA-Aktivist weilt auf Nachfrage in den Ferien und ist darum nicht erreichbar. ‹Du musst nächstes Mal halt früher anrufen›, heisst es am Telefon wenig kooperativ. Ins selbe Horn bläst die Schweizer Armee. ‹Wir können zu den Vorkommnissen keine Stel-

lung beziehen. Wir leben in einer Demokratie. Da kann sich halt jeder eine eigene Meinung bilden. Der Armeeumzug war mit den Behörden abgesprochen und legitim. Mehr haben wir dazu nicht zu sagen›, heisst es von Seiten des VBS auf unsere Nachfrage. Ein Name bleibt jedoch hängen: Schämdi Smid, Vorsteher Departement für Volksverarschung, Blödsinn und Spass Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz uns Sport (VBS). Im Internet sind seine Parolen nachzulesen: ‹Verblüfft nahmen die Clowns zur Kenntnis wie das VBS mit seiner Propagandamaschinerie versucht, Militär und Kriegsmaterial zu verharmlosen und seine Verschleuderung von Steuergeldern schönzureden. Die Forderungen der Clown Army sind hingegen klar und deutlich: Weg mit der Schweizer Armee! Weg frei für die Clown Army! Weg mit Kriegsmaterialexporten! Weg frei für Seifenblasenexport!›

Internationale Vernetzung

Der nächste Schritt führt ins Ausland. Die Deutsche Fraktion nennt sich CCC. Die Celebrating Clown Company, die Neugierige kämpferisch zur Teilnahme an Aktionen auffordert: ‹Und habt ihr auch die Schnauze voll, zu Hause zu sitzen, während draussen die Kacke am Dampfen ist?› Klingt ambitioniert und aktionistisch, die Clown Armee ist jedoch lose organisiert. Obschon ihre Terminologie dem Militär entlehnt ist, haben sie mit derer strengen Struktur nichts am Hut. In England, Schottland, Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland und Holland haben sich bislang offizielle Splittergruppen gebildet. Den Beitritt regelt jede Gruppe selbst. Es gibt kein offizielles ‹Clown Army Büchlein›, in dem etwa die Anforderungen und Pflichten eins Clowns im Krieg geregelt wären. Die Bewegung breitet sich aus wie die Grippe. Kommt es zu einem internationalen Treffen der ‹imperialistischen Grossmächte› wie zum Beispiel am G8-Gipfel in Heiligendamm 2007, bricht sie aus. Mediale Kommunikationsmittel – insbesondere das Internet – haben zur Popularität der Clown Army beigetragen. Spektakel und Protest vermischen sich. Zurück zu den Wurzeln: 2003 wird in England, im Zuge von Präsident George W. Bushs Britannien-Besuch im Angesicht des Irak-Kriegs, die erste Zelle mit Namen Clandestine Insurgent Rebel Clown Army, kurz CIRCA gegründet. Es ist die wütende Antwort auf Bushs und Blairs Irak-Politik. Ihrem Vorbild schliessen sich andere Länder an und gründen ihre eigenen Gruppierungen. Der Schlüssel zum Erfolg durch Auflehnung und Rebellion ist Improvisation, nicht der perfekte Plan. ‹Wir werden uns immer gegen jene auflehnen, die die Macht akkumulieren oder missbrauchen. In jedem von uns schlummert ein rebellischer Clown, der ausbrechen will. Nichts untergräbt Autorität mehr als der leise Protest des entzerrten Spiegelbilds›, lässt die CIRCA verlauten.

Pappnase versus Panzer

Die Forderungen der Clown Army Schweiz decken sich in hohem Masse mit den Forderungen der Gesellschaft für eine Schweiz ohne Armee (GSoA). Die Armee hat ihren Dienst getan. Sie ist

überflüssig und kostet viel Geld, das für sinnvollere Projekte ausgegeben werden könnte. Das Fass zum Überlaufen bringen die narzisstischen Militärparaden, die nicht nur die Armee für sich feiert, sondern die gleichzeitig auch einen Haufen Geld verschlingen. An der Olma in St. Gallen beispielsweise wurden dafür 700 000 Franken verbraten. Auch dort war die Clown Army anwesend, um ihr fröhliches Unwesen, ihre augenzwinkernde Ironie und ihre aktive Unzufriedenheit zur Schau zu tragen. Und nicht immer verläuft der pazifistische Protest so glimpflich wie an der grössten Ostschweizer Viehschau. Dario Fo, der italienische Literatur-Nobelpreisträger und selbsternannte ‹Verrückte›, sprach einst von Clowns als den unpolitischen, tollpatschigen, lustigen und zuweilen leicht melancholischen Erdenbewohnern, die Kinder zum Lachen und sich selbst zum Weinen bringen. Er schrieb: ‹Clowns sprechen immer über das Gleiche: Hunger. Hunger nach Essen, Hunger auf Sex, aber auch Hunger nach Würde und Erhabenheit, nach Identität und nach Macht. Eigentlich sind sie diejenigen, die danach fragen, wer regiert und wer protestiert.› In diesem Sinne fällt den Clowns vielmehr die Rolle der Beobachter zu. Ihre Ironie ist reiner Kommentar auf das, was sie sehen. Ein Clown äfft eine Person nach, überzeichnet sie, um seinem Anschauungsobjekt aufzuzeigen, wie es sich verhält. Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Erst wenn Bäume rote Nasen kriegen, wird ersichtlich, wo er sich befindet. So marschiert die Clown Army – 2007 in Lugano – im strammen Stech-Schritt und in einer mit dem Lineal gezogenen Zweierkolonne Richtung PanzerEnfilade, um auch einen Platz beim Umzug der Armee einzunehmen. Verunsicherung herrscht. Zuschauer sind sich plötzlich uneinig, ob und inwieweit die Clowns zur Veranstaltung gehören. Soldaten lachen, Sicherheitskräfte rasseln mit ihren Handschellen und präsentieren die Schlagstöcke. Der Kampf kann beginnen!

Armeen, ergebt euch!

Die Chance, die Armee tatsächlich abzuschaffen, ist klein. Vielmehr könnte es die Aufgabe der melancholischen und plattfüssigen Zirkusbewohner sein, eine aktive Diskussion allgegenwärtig zu halten. Im Gegensatz zur GSoA, die ein 80er-JahreProdukt aus dem Kalten Krieg ist, könnte es den Clowns mit ihrer selbstironischen Attitüde und ihrer internationalen Verwurzelung gelingen, Sand in die Mühlen der Militaristas zu streuen. Wenn nämlich plötzlich die Menschen in verschiedenen Ländern gleichzeitig und mit den selben Motiven mit roten Nasen, weissem Gesicht und schwarzen Augenringen auf die Strasse treten, um gegen das Militär zu demonstrieren, erwachen vielleicht auch diejenigen, die hinter der Abschaffung der Armee einen einseitigen und gefährlichen Deal erkennen. Auch sie werden Mühe haben, ihren Kindern zu erklären, wieso dort drüben ein Clown zusammengeschlagen wird. Kleine Erfolge lassen sich vorerst an einer Hand abzählen: Im Fahrwasser des aussergewöhnlichen Strassenprotests erhielten die Armeetage 2007 in Lugano nicht nur ein juristisches, sondern auch ein politisches Nachspiel. Linke Kreise waren empört, dass Jugendliche dazu eingeladen wurden, mit einem Simulator das Schies­ kinki 35


‹Aktive und rebellische Geister finden zu uns – auch ohne Planangaben. Alles, was du brauchst, ist eine rote Pappnase. Als Zeichen deiner unbändigen Wut.›

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sen auf Zielscheiben mit menschlicher Form zu üben. Die SP hatte deswegen eine parlamentarische Anfrage an die Tessiner Regierung eingereicht, wie sie mitteilte. Der Zuger Nationalrat und GSoA-Vorstand Josef Lang lancierte einen ähnlichen Vorstoss auf Bundesebene. Die Clown Army hat somit jenen Stein wieder ins Rollen gebracht, der nach der Abstimmung über das Existenzrecht der Schweizer Armee 1991 stehen blieb.

‹Die Clown Army wollte insbe­sondere versuchen, wieder grund­sätzliche Fragen über Machtstrukturen, Machtverteilung, Globalisierung usw. aufzugreifen und einem friedlichen und mehrheits­fähigen Protest ein buntes Gesicht zu verleihen. Gelächter statt Waffen. Der Clown schien ideal.›

‹Ironie statt Gewalt›: Interview mit Schämdi Smid Unter dem Decknamen Schämdi Smid verbirgt sich der freundliche Repräsentant der Schweizer Clown Army. Er unterhielt sich mit unserem Autor Christoph Dubler über rote Nasen und seine unbändige Wut. kinki magazine: Guten Tag Herr Smid. Sie möchten ungenannt und anonym bleiben. Werden Sie bedroht?

Wie werde ich Mitglied der Clown Army? Wie viel bezahlt ihr?

Die Clown Army der ersten Stunde... Wie war das damals?

Text und Interview: Christoph Dubler Fotos: Florent Quenault, Pixiduc

2003 lassen sich die USA, England und ihre Verbündeten auf einen Krieg ein, der vielen Menschen als ungerechtfertigt und sinnlos erschien. Linke politische Kräfte wollten eine neue Form von Protest entwickeln, welche nichts mit den gewaltbereiten Flügeln zu tun hatte. 2005 beim G8-Gipfel in Gleneagles (Schottland) gibt es dann bereits internationale Vorbereitungsworkshops, wo über Vorgehen und Inhalt diskutiert wird. Neue Form von Protest?

Die Clown Army wollte insbesondere versuchen, wieder grundsätzliche Fragen über Machtstrukturen, Machtverteilung, Globa­ lisierung usw. aufzugreifen und einem friedlichen und mehrheitsfähigen Protest ein buntes Gesicht zu verleihen. Ironie statt Gewalt. Gelächter statt Waffen. Der Clown schien ideal. Grundsätzlich decken sich diese mit dem Unbehagen anderer Globalisierungskritiker und Armeegegner, welche hinter den Institutionen dieser Bewegungen und Entwicklungen die gierige und machthungrige Fratze einiger Artgenossen sehen. Der Mensch ist des Menschen Wolf?

Genau. Diesem Wolf gilt es zu zeigen, dass er auch Mensch sein könnte. Der Polizist beispielsweise soll wieder erkennen, dass er ein Mensch und nicht reiner Befehlsempfänger ist. Würden mehr Menschen bestehende Befehlsketten und Strukturen hinterfragen, wäre die Welt eine andere.

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Nein. Schon ein einziger Polizist, der über einen unserer Auftritte lachen muss – und daher auch seine eigene Rolle hinterfragt – ist alle Mühe wert. Ein Rekrut, der sich angesichts unserer Auftritte Gedanken über seine Position und die Zukunft der Armee macht, ist ein Gewinn. Veränderungen brauchen Zeit.

Schämdi Schmid: Nein, auf keinen Fall. Das Namenlose geht auf eine Abmachung der Clown Army der ersten Stunde zurück. Alle bleiben der Presse gegenüber anonym, damit es nicht zu einem allfälligen Personenkult kommt. Ausserdem ist es ein gewisser Schutz für unsere Aktivisten. Hinter der Clown Army stecken keine Gesichter, sondern eine Idee. Normalerweise geben wir keine Interviews. Die Presse soll sich selbst ein Bild machen. Nachdenken statt Nach­plappern.

Und die Forderungen des Protests?

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Sind dies nicht alles weltfremde Utopien aus den späten 60er-Jahren?

Geld verdienen? Du spinnst wohl (lacht). Eine eigentliche Mitgliedschaft gibt es nicht. Wir haben keine Identitätskarten, machen keine Sonntagsausflüge und betrinken uns nicht ein Mal pro Jahr am Weihnachtsessen. Aktive und rebellische Geister finden zu uns – auch ohne Planangaben. Alles, was du brauchst, ist eine rote Pappnase. Als Zeichen deiner unbändigen Wut.


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THE 51-30 GUNMETAL THE MONEY SHOT


‹querschläger› Alles, ausser angepasst. Antoinette Devasree Bärtsch: ‹Sie sind ein Engelskind.›

Sie sagten, dass Sie die Aura eines Menschen auch ohne Ihre Kamera erkennen. Sieht das denn genauso gelb aus um meinen Kopf, wenn Sie da hinsehen?

Man muss zwischen dem Gerät und dem, was ich sehe, schon differ­ enzieren: Das Gerät ist eine feinstoffliche Kirlian-Kamera, die kommt ursprünglich aus Russland. Man bemerkte, dass mit dieser Kamera ein halbiertes Blatt im Magnetfeld immer noch als Ganzes erscheint. Man experimentierte später auch mit Tieren, das Ziel war schon früh, das Aura-Bild farbig zu machen, das schafften dann allerdings erst die Amerikaner. Meine Kamera – für welche ich 24000 Franken be­zahlte – hat 3000 Farben gespeichert und selektiert dann, welche Farbe welcher Schwingung entspricht. Ich selbst bin allerdings keine Ma­schine und betrachte die Menschen ja auch über eine längere Zeit­ spanne als das Kameraobjektiv. Die Grundfarben entsprechen aller­dings schon ziemlich genau jenen, die man auch auf dem Foto sieht. Wer kam auf diese Einteilung?

Es gibt sehr viele Farbenlehren, ich selbst beziehe mich allerdings vor allem auf jene von Goethe, ich finde seinen Zugang sehr mu­sisch und schön, ausserdem auch auf die Aura-Soma-Lehre. Sie fotografieren viele Kinder, wie ich sehe…

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in wenig aufgeregt bin ich schon, als ich mich in die dunkle Ecke von Frau Bärtschs Praxis setze, meine Hände auf die zwei metallischen Kästen lege und in ihre Aura-Kamera lächle. Seit über dreissig Jahren betätigt sich die ge­ bürtige Luzernerin als Lebensberaterin, Aura-Soma-, Cranio-, Reikiund Kryon-Therapeutin. Sie selbst bezeichnet sich als ‹Kanal›, und bietet als solcher in Einzel- und Gruppentherapien den Menschen die Möglichkeit, mehr über sich selbst zu erfahren, ‹dient den Menschen in Demut›. Ihr Ladenlokal in der Rapperswiler Altstadt ist in Weiss und Blassrosa gehalten. Wer den Raum 40

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Ja, viele Eltern kommen mit ihren Kindern hierher. Das hier ist bei­ spielsweise ein sogenanntes IndigoKind. Das ist sozusagen die neue Generation. Leider ist unser Schwingungsfeld nicht ganz bereit für sie, sie werden leider oft von Eltern und Lehrern miss­ verstanden und mit Ritalin und dergleichen ruhig gestellt. Davor gab es die Engelskinder – wozu auch Sie gehören – ausserdem gibt betritt, wird erst einmal von einer es Kristall-Kinder und neu auch Ster‹Farbdusche gewaschen›, welche nenkinder, sie alle kommen mit in Form eines riesigen Leucht­ Friedensbotschaften. Hier zum Beikastens die Besucher in Empfang spiel sehen Sie das Aura-Bild nimmt. Sowohl Dani, der Foto­eines schwerstbehinderten Kindes, graf, als auch ich sind äusserst gewelches allerdings über eine spannt auf unsere Aura, als wir wundervolle Aura verfügt, mit welcher unsere Schuhe ausziehen und Frau es trotz körperlicher Handicaps Bärtsch in die oberen (ebenfalls auf seine Umwelt wirkt… Hier die Aura weissen) Räume folgen, wo bunte eines Neugeborenen, das, wie Fläschchen mit Öl und gefärb­es scheint, noch gar nicht richtig auf tem Wasser fein säuberlich sortiert unserer Welt angekommen ist. in einem Regal stehen. Wir unter­ Seine Aura ist noch sehr schwach, halten uns über unsere Aurafotos und sehr filigran. Auch Tiere, Steine, das Licht im Allgemeinen. Das Kunstwerke und dergleichen verfüGespräch wird von Delphingesängen gen übrigens über eine Energie, untermalt, während die Engels­ die man fotografisch festhalten statuen auf dem Fenstersims uns kann. schmunzelnd zusehen.

Was genau sind denn eigentlich diese Energien und Schwingungen, von denen da immer die Rede ist?

Alles verfügt über eine Schwingung – Menschen, Tiere und Dinge. Damit meine ich also die physikalische Schwingung. Dies lässt sich in Farben erkennbar machen, Rot ist beispielsweise die dichteste Farbe, Weiss entspricht der Summe aller Farben. Die Farbenlehre hat das schon lange erkannt. Alles was hier unten über eine Schwingung verfügt, hat auch dort oben (zeigt zur Decke) eine Resonanz. Eine göttliche Resonanz?

Für mich ist alles göttlich, sogar das kleinste Atom. Alles entspricht dem göttlichen Willen. Das ist allerdings meine persönliche Mei­nung, die ich niemandem aufdrängen möchte. Was die Farben und deren Wirkung angeht, hat sogar die Wissenschaft erkannt, dass es sich dabei nicht um etwas Esoterisches oder Spirituelles handelt. Die Wirkung der Farben wird auch in vielen Spitälern zu Behandlungs­ zwecken eingesetzt. Wie sieht denn Ihre eigene Aura aus?

Ich verfüge über das ganze Farbspektrum und die Farbe Weiss. Wir alle verfügen über feinstoffliche Fähigkeiten, ich nutze sie einfach mehr als andere Menschen. Warum dominieren in esoterischen Buchhandlungen und dergleichen eigentlich immer Pastelltöne und Weiss?

Pastelltöne verfügen über eine leichte Energie. Das sind aufgehellte Farben, sie lassen mehr Energie zu, deshalb werden sie auch gerne in der Inneneinrichtung verwendet. Haben Sie ihren Partner nach seiner Aura ausgewählt?

Möglicherweise tun wir das alle. Allerdings gibt es ja verschiedene Partnerschaften in einem Leben, ich würde also sagen, dass wir ein­fach die Energien integrieren sollten, die unsere Seele gerne integrieren möchte. Antoinette Devasree Bärtsch, 59, ist dreifache Grossmutter, lebt und arbeitet in Rapperswil. Da wir Menschen ei­ gentlich keine physische Nahrung benötigen, isst sie nicht täglich, sondern nur, wenn sie Lust dazu hat. Sie mag alle Farben, wenn sie sich für eine ent­ scheiden müsste, wäre es allerdings Rosa – die Farbe der bedingungslosen Liebe. Text und Interview: Rainer Brenner Foto: Daniel Tischler


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Der Mann mit der Gummipuppe

MySpace und seine Kinder: Dass der Amerikaner Matt Riddlehoover die Hauptrolle in der Sexgroteske ‹Watch Out› spielt, hat mehr mit der Social-Networking-Website zu tun als mit jahrelangem Training an Schauspielschulen. Wer in nächster Zeit selbst eine Hollywood-Karriere plant, sollte hier tunlichst weiterlesen.

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arf ich vorstellen: Matt Riddlehoover – Schauspieler, Regisseur, Drehbuchschreiber, Model und schwuler als eine Versace-Frühjahrskollektion. Und eine veritable MySpace-Sensation ist er obendrein. Will heissen: 4 000 Kommentare, 20 000 Leute in der Freundesliste und mehr als eine Million ProfileViews. Jetzt lachst du verächtlich und denkst: ‹Get a life, loser› – aber selbst das hat Riddlehoover schon. Und auch hier half das Internet. Das kam so: Ende April 2006 veröffentlichte der heute 22-Jährige auf MySpace den Trailer zu seinem Film ‹To a Tee›. Das Ding wurde für einen ‹MySpace Film User’s Choice Award› nominiert und ein paar Wochen später hatte Riddlehoover (ja, er heisst wirklich so – ‹It’s pronounced like it’s written: «Riddle-Hoover»›) den Preis im Sack. Das ‹Filmmaker Magazine› rief an, weil die Geschichte perfekt zum geplanten Artikel übers Filmemachen in Zeiten des Internets passte. Kurze Zeit darauf war Steve Balderson in der Leitung. Der hatte eben den halbkitschigen Gaukler-Thriller ‹Firecracker› abgedreht und suchte einen Hauptdarsteller für sein neues Projekt ‹Watch Out›. Der attraktive Riddlehoover war die Idealbesetzung. ‹«Watch Out» handelt von einem Mann, der in sich selbst verliebt ist – im wahrsten Sinn des Wortes›, lacht Riddlehoover, der sich im Interview nicht als der erwartete Grosskotz erweist, sondern als überaus höflicher Zeitgenosse. ‹Das geht so weit, dass er sich eine Gummipuppe kauft, die ihm ähnlich sieht, und fortan mit niemand anderem als dieser Puppe Sex hat.› – Beginn einer autoerotischen Abwärtsspirale, die in der Ermordung der berühmtesten Pop-Diva der Welt gipfelt. ‹Es ist ein ziemlich lächerlicher Film, aber lächerlich auf eine sehr gute Weise.› kinki magazine: Kannst du dich in irgend­ einer Form mit Jonathan Barrows, deiner Rolle in ‹Watch Out›, identifizieren?

Matt: Es fällt mir schwer nachzuvollziehen, wie sich jemand in so übersteigerter Form in sich selbst verlieben kann. Aber die Vorstellung ist eine wunderbare Metapher für die Gesellschaft, in der wir leben – zumindest für die in den USA. Ist es dir schwer gefallen, die expliziten Sex-Szenen zu drehen?

Zuerst war das wirklich gewöhnungsbedürftig, 42

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aber im Lauf des Films habe ich mich in meinem Körper immer wohler gefühlt. Das war eine befreiende Erfahrung, die ich jedem nur wünschen kann. Warst du denn zuvor mit deinem Körper unzufrieden? Wenn ich mir deine Pressefotos anschaue, gäbe es wenig Grund dazu…

Ich war unsicher, wie mein Körper von anderen wahrgenommen wird. Schliesslich war ich zuvor noch nie nackt fotografiert worden. Und dann hast du auf Drehbeginn hin versucht, abzunehmen oder dir Muskeln anzutrainieren?

Um wirklich ‹in Character› zu sein, musste ich ohne Selbstzweifel in den Spiegel schauen können. Darum habe ich sehr gezielt an meinen Problemzonen gearbeitet – ich habe jeden Tag Bauch-Crunches gemacht wie ein Wahnsinniger. Zum Glück bin ich mit einem guten Stoffwechsel gesegnet und muss wenig Sport treiben, um schlank zu bleiben.

Mein Film-Charakter hat kaum die Art von Sexualleben, von der man sich etwas abschauen möchte.

In ‹Watch Out› geht es, wie erwähnt, sehr explizit zur Sache. Konntest du dank dem Film dein eigenes Sexualleben aufpeppen?

Das nun wirklich nicht! Mein Film-Charakter hat kaum die Art von Sexualleben, von der man sich etwas abschauen möchte. Woran der Spass hat, sind bloss seine Hand und seine Gummipuppe… (Kichere). Wie geht es weiter? Wirst du Schauspieler bleiben oder selbst wieder Filme drehen?

Mein aktuelles Projekt heisst ‹The Vampire Bride›. Ich habe zusammen mit Steve Balderson das Drehbuch geschrieben, er hat wieder Regie geführt und ich war als Schauspieler dabei. ‹The Vimpire Bride› ist eine dunkle Komödie, eine Mischung aus ‹The Birdcage› und ‹Dracula›: Es geht um einen Jungen, der sich in ein Mädchen verliebt. Bloss hat sie ziemlich konser­ vative Eltern, die nicht erfahren sollten, dass die Eltern des Jungen Vampire sind (lacht). Letzte Frage: Der Wikipedia-Eintrag zu deiner Person ist auffallend positiv geraten. Hast du den selbst geschrieben?

Nein, das war ich nicht! Ganz ehrlich. ‹Watch Out› lief gerade erst durch die Postproduktion und wird wohl dieses Jahr ins Kino kommen. Wer jetzt schon einen Filmtrailer sehen will, findet ihn – natürlich! – auf Matt Riddlehoovers MySpace-Seite: www.my space.com/riddlehoover Interview und Text: Jürg Tschirren Foto: Promo

Ihr habt ‹Watch Out› in nur 20 Tagen in einem Kaff in Kansas gedreht, alles sehr improvisiert und ohne euch um Drehgenehmigungen und anderen formellen Kram zu kümmern. Wie hast du die Dreharbeiten erlebt?

Es gehörte zu den Eigenheiten des Drehbuchs, dass ich oft der einzige Schauspieler am Set war. Den Rest des Casts bekam ich immer nur kurz zu Gesicht – einmal schaute Peter Stickles (‹Shortbus›) kurz vorbei, am nächsten Tag drehte ich eine Szene mit dem B-Movie-Nachwuchsstar Jeff Dylan Graham und dann war schon wieder jemand neues dran. Richtig angefreundet habe ich mich deshalb nur mit den Tonleuten, den Kameramännern und der restlichen Crew (lacht).

Mit skurrilem Künstlernamen und einer grossen Portion Selbstbewusstein aus dem Internet ins Kino.


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Sonnenbrille für den Himmel

Und die Klimaapokalypse fällt doch aus. Mit kühnen Ideen arbeiten Wissenschaftler an Megaprojekten, um die Erderwärmung zu stoppen: Sie wollen das Sonnenlicht dimmen oder Ozeane düngen. Doch die Risiken sind nahezu unerforscht.

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as, wenn ausnahmsweise 95 Prozent der Wissenschaftler Recht behalten? Wenn die Temperaturen unaufhaltsam steigen, wenn Polkappen und Gletscher schmelzen wie die Eiswürfel in unserem Longdrinkglas? Wenn der Meeresspiegel anschwillt, Inseln versinken, Küsten überflutet werden, wenn Tornados und Flutkata-­ strophen zunehmen? Die Politik verordnet CO2-Diäten, Abgeordnete jetten von Klimagipfel zu Klimagipfel, Appell folgt Appell. Ein paar Prozent weniger Klimagase sollen die Erderwärmung bremsen, aber der 239PS-SUV ist heilig und darf weiterfahren, die Chinesen tauschen ihre Velos gegen Mofas oder Kleinwagen, und wer will es den Menschen in Indien, Nigeria oder Venezuela verleiden, sich einen modernen Air Conditioner an die Wand zu schrauben? So werden Klimaforscher mahnen, Politiker ihre Besorgnis ausdrücken und vielleicht appelliert auch der Papst zu einem entschlossenen Handeln der Staatengemeinschaft: Der Treibhauseffekt beschleunigt sich trotzdem. Je unfähiger sich die Menschen anstellen, den Ausstoss von Klimagasen zu reduzieren, desto lauter werden die Rufe nach den Klimaklempnern. Geo-Engineering nennt sich ihr Fachgebiet. Technische Eingriffe in den Wetterkreislauf sollen die Erderwärmung bremsen.

Wettermanipulation als Kriegsführung

Mitte der 1940er Jahre war es das US-Militär, das mit der Manipulation des Wetters Schlachten gewinnen und die Ernten des Feindes vernichten wollte. Diese Forschungen führen die Klimaexperten von heute fort – mit dem Ziel, nichts Geringeres als die Welt zu retten. Ein Nobelpreisträger zählt zu den Pionieren des modernen Geo-Engineering. Paul Crutzen, Deutsch-Niederländer, Erforscher des Ozonlochs, Chemiker und Meteorologe, ist wohl der bekannteste Klimaklempner. Seine Pläne taugen für einen mässigen Science-FictionFilm mit Kevin Costner: Mehrere Tonnen Schwefeldioxid will Crutzen in die Stratosphäre befördern. Das Gas soll sich dort in winzige Reflektoren verwandeln, die einen Teil des Sonnenlichts abhalten. Eine Sonnenbrille für den Himmel. Werden etwa zwei Prozent des Sonnenlichts gedimmt, so rechnen Experten vor, lässt sich die vom Menschen verursachte Erderwärmung ausgleichen. Die Verdunklung sei kaum wahrnehmbar. Ideengeber für die Pläne Crutzens waren grössere Vulkanausbrüche wie der des indonesischen Krakatau im Jahr 1883. Eine gewaltige Eruption schleuderte damals feine Asche in die Stratosphäre. Binnen Tagen verteilte sie sich weltweit. Der Ausbruch senkte so die Durchschnittstemperatur auf der Erde um etwa ein Grad Celsius. Drei Jahre dauerte es, ehe der Grossteil der Partikel wieder abgesunken war. Die Kühlung der Erde hielt lange an.

glaubt, Militärflugzeuge seien ein geeignetes und vor allem günstiges Transportmittel. Wesentlich günstiger jedenfalls als die von Crutzen favorisierte Variante. Der Nobelpreisträger möchte Schwefel mithilfe von Ballonen von den Tropen aus in 20 Kilometer Höhe in den Himmel schicken. Die veranschlagten Kosten scheinen horrende. Doch angesichts der Rekordsummen, die weltweit die Banken in der Finanzkrise verzockten, tönen die geschätzten Ausgaben zwischen zwei und 70 Milliarden Franken pro Jahr – je nach Transportmittel – für die Klima-Kur läppisch. Freilich lässt sich die Erderwärmung so nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen stoppen. In einem Aufsatz für die Wissenschaftszeitschrift ‹Science› hat sich Simone Tilmes zusammen mit einem Forscherteam mit den Folgen der Pläne Crutzens beschäftigt. Würden seine Ideen umgesetzt, so befürchtet Tilmes, reduziere sich die Ozonschicht über der Arktis um ein Drittel. Wie dutzende andere Wissenschaftler sieht das Team um Tilmes noch viele weitere, unkalkulierbare Risiken für das Ökosystem. Man stehe noch am Anfang der Forschung, räumen die Klimaklempner ein. Und auch wenn die Risiken irgendwann einmal beherrschbar erscheinen, gelte: Ein Freibrief, weiter hemmungslos CO2 in die Atmosphäre zu pusten, ist GeoEngineering nicht, allenfalls eine Ergänzung zum Klimaschutz – oder eine Notbremse für den Fall der Fälle.

Wissenschaftler fordern faire Debatte

Sei es nun Gigantismus oder Grössenwahn: Die Forscher verlangen vor allem eine sachliche Debatte. Ohne Hysterie und Denkverbote. Und noch ist nicht entschieden, wer unter den Klimaklempnern den Masterplan für die Rettung des Weltklimas liefern könnte. Denn andere Megaprojekte, die in Laboren oder Simulationen ausgetüftelt werden, sind kaum weniger verwegen als die Pläne Crutzens. Statt Schwefel will etwa der US-Astronom Roger Angel kleine Siliziumspiegel in den Himmel schiessen, die – bei einem Durchmesser von je 60 Zentimetern – das Sonnenlicht zurück ins All reflektieren. Nicht weniger als 16 Billionen dieser kleinen Scheiben sollen in die Stratosphäre befördert werden. Auf die Spezial-Kanonen, die den Transport übernehmen sollen, käme eine Menge Arbeit zu. Zehn Jahre lang müssten sie im Abstand von wenigen Minuten Container mit mehreren hunderttausend Scheiben ins All befördern.

Kohlendioxid aus der Luft filtern und gleich mit Pipelines unter die Erde pumpen, wo es gelagert wird. Gegen die geschätzten Kosten hierfür – von mehr als 100 Billionen Franken, um den CO2Spiegel auf vorindustrielles Niveau zu senken – sind jedoch selbst die von den Banken verbrannten Vermögen Peanuts. Nicht nur die Erderwärmung sondern auch einen drohenden Energienotstand wollen andere Forscher mit riesigen Plantagen in den Griff bekommen. Ihre Überlegung: Bäume, die der Atmosphäre in der Wachstumsphase das Kohlendioxid entzogen haben, werden verbrannt. So lässt sich Energie gewinnen, das CO2 wird dabei absorbiert und unterirdisch gespeichert. Umweltschützer sehen jedoch – wie beim Atommüll – eine ungeklärte Sicherheitsfrage bei der Lagerung auf die Menschheit zukommen.

Düngung der Meere

Geradezu bescheiden muten die Pläne an, Meeresalgen als Klimaretter einzusetzen. Werden diese mit Eisensulfat gedüngt, entziehen sie der Atmosphäre deutlich mehr Kohlendioxid. Sinken die Algen auf den Meeresboden, reduziert sich der CO2-Gehalt. Das Konzept hat nur einen Schönheitsfehler: Bei sämtlichen Versuchsreihen sank der Grossteil des Eisensulfats auf den Meeresboden, ohne dass es die Organismen vorher zur CO2-Aufnahme anregen konnte. Und die Folgen für den Mikrokosmos Ozean sind nicht absehbar. Noch rufen die Umweltschützer lauter ‹Halt, Gefahr› als die Wissenschaftler ‹anpacken›. Das dürfte noch eine Zeit lang so bleiben. Aber nach immer mehr Wirbelstürmen, nach immer mehr Flutkatastrophen, nach immer mehr wirkungslosen Appellen an die Vernunft und nach immer neuen Studien, die eine beschleunigte Erderwärmung feststellen, werden die Klimaklempner gefragt sein: ‹Machen Sie einen Kostenvoranschlag.› Text: Jens Dierolf Illustration: Raffinerie

Plastikplanen in der Wüste

Andere Wissenschaftler sehen schwimmende Kunststoffteile in den Ozeanen oder riesige Plastikplanen in den Wüsten als Alternative. Es genüge, die Sonnenstrahlen von der Erde ins All zurückzuwerfen und nicht bereits am Himmel. Auch wie sich dieser Eingriff in den Wetterkreislauf auf Pflanzen oder Tiere auswirkt, lässt sich kaum vorhersagen. Genaue Untersuchungen fehlen. Unklar ist noch, welche Technik gigantische MenEinige Institute für Klimaforschung halten es gen Schwefel in die Stratosphäre befördern könnte. für technisch machbar, den Treibhauseffekt mit Alan Robock von der American Geophysical Union riesigen Türmen zu bremsen, die das Klimagas

Raketen zur Klimarettung

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Damit man sie richtig fühlt, die Angst Jagdland Namibia: Herr Gorn ist Grosswildjäger und Tierausstopfer. Dass es so leicht geworden ist, den Elefanten, das Kudu, die Giraffe oder den Leoparden totzuschiessen, findet er nicht gut. Ein Besuch bei einem, der gern die Angst beim Jagen fühlt.

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err Gorn geht gerne jagen. Er mag es dann aber eher gross. ‹Nachdem ich sechs Gnus geschossen hatte›, erzählt er, ‹hatte ich keinen Respekt mehr vor ihnen. Das Gnu riecht schlecht.› Herr Gorn schiesst lieber auf Elefanten. Oder er steht daneben und lässt einen Jagdtouristen schiessen. Der Elefant, weiss Gorn, ‹ist ein kluges Tier›. Und er hat ein grosses Herz. ‹Sooooooo gross›: Gorn breitet die Arme aus. ‹Da ist es schwer, nicht zu treffen.› Trotzdem laufe dem Jäger, Auge in Auge mit dem Opfer, das Adrenalin in die Adern: ‹Vom Elefanten träume ich.› Herr Gorn verdient seinen Lebensunterhalt mit toten Tieren. Er arbeitet auch ab und an als Jagdbegleiter, aber eigentlich kommt er erst ins Spiel, wenn das Tier schon länger tot ist. Gorn stopft es dann aus. So wie er die Geschichte erzählt, war er der erste echte professionelle Präparator in Namibia. Inzwischen hat er über ein Dutzend Konkurrenten im Land, doch das macht ihm nichts, denn er fühlt sich als Vater aller namibischen Ausstopfer: ‹Viele meiner Konkurrenten sind bei mir ausgebildet worden, und wenn nicht, dann wurden sie bei jemanden ausgebildet, der hier ausgebildet wurde.› Gorn selbst ‹produziert› rund 3 500 Trophäen im Jahr, meist sogenannte ‹Schultermontagen›, das heisst, dass das Tier nicht ganz ausgestopft wird, sondern nur der Kopf und die Halspartie, so dass man es leicht an jede Wand hängen kann. Einige von Herrn Gorns Konkurrenten haben, wie dieser selbst berichtet, noch mehr Aufträge, so dass jedes Jahr etliche Tausend tote Tiere per Flugzeug oder Schiff das Land verlassen, um bald anderswo auf der Welt im Wohnzimmer oder im Hobbykeller spitze Zähne oder Hörner zu präsentieren.

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Wer nach Namibia fliegt, kommt an Herrn Gorn nicht vorbei. Es führt nur eine einzige Strasse vom Flughafen zur Hauptstadt Windhoek und irgendwann taucht der Gornsche Betrieb auf der rechten Seite auf: Trophäendienste. Am Strassenrand stehen viele bunt bemalte einheimische Wildtiere aus Holz – Gnu und Antilope, Löwe, oben ein Strauss, immer vier übereinander: die Bremer Stadtmusikanten, einnamibischt. Man darf sich als Deutscher hier gleich zu Hause fühlen, und Gorn – Lederlatschen, eckige Brille, olivgrünes T-Shirt – führt gern durch seine Produktionshallen, rund 70 Mitarbeiter, alle würden ordentlich bezahlt, betont Herr Gorn, hier wird gegerbt, dort Fell über eine Kunststoff-Form gezogen und im Hof liegen, zur Freude vieler Fliegen, zwei Giraffenbeine und ein vermoderter Elefantenfuss herum. Gorn kam 1969 nach Namibia, ‹am 19. Juli aus Kassel›. Deutschland war ihm zu klein geworden. Gorn, Jäger in der dritten Generation, hatte sich ein Land ausgesucht, in dem überall und gern auf Tiere geschossen wurde, ‹die wilden Tiere waren eine Belastung, haben das Gras gefressen, das die Rinder fressen sollten, Wild kostete nichts›. Der junge Mann, eigentlich Landschaftsgärtner, begann quasi nebenbei Trophäen zu präparieren, und jedes Mal, wenn er auf die Farmen gerufen wurde, um dort die Gärten zu pflegen, hiess es, ‹bring dein Gewehr mit, du musst was schiessen›. Doch dann, so berichtet er, erschienen in Deutschland einige ‹farbige Schilderungen› über die Lust am Anschleichen und Abdrücken in der fernen Ex-Kolonie ‹und die Jagd wurde in den 70ern populär›. Touristen kamen jetzt mit Gewehr, und ‹die Farmen brauchten plötzlich Deko› − was war da schöner und naheliegender, als ein paar


Der Elefant, weiss Gorn, ‹ist ein kluges Tier›. Und er hat ein grosses Herz. ‹Da ist es schwer, nicht zu treffen.›

Von der Wildnis direkt ins Ersatzteillager.

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Wiedergeburt als Trophäe, ewiges Leben garantiert.

tote Tiere in die Gästezimmer zu hängen, über die man sich dann abends mit den Touristen ausführlich am Kamin unterhalten konnte? Herrn Gorn ereilte eine Anfrage nach der anderen und deswegen verabschiedete er sich von Blumen, Sträuchern und Bäumen und spezialisierte sich aufs Ausstopfen.

Der Jäger und die Moral: In einer Jagd­zeitung ist zu lesen, dass ein Gewissen fehl am Plaz ist.

Inzwischen ist das Jagen in Namibia ein gutes Geschäft und Hobby für Menschen, auf deren Bankkonto Spielraum für Extras ist. Das Kudu darf man laut Preisliste eines Jagdveranstalters für 1100 Euro über den Haufen knallen, die Giraffe für 1000 (muss aber vorbestellt werden), der Leopard kostet 2 800 Euro. Der Schakal ist hingegen billig und kann für 50 Euro ermordet werden. Was fühlt man dabei? Aufschluss über das Seelenleben der Jäger bietet die Zeitschrift ‹Huntinamibia›, die bei Herrn Gorn im Büro herumliegt. ‹Huntinamibia› ist so etwas wie das offizielle Sprachrohr des namibischen Jagdverbands und schildert jede Menge erregende Pirsch-Erlebnisse, die dem leidenschaftlichen Büchsenspanner Lust auf mehr machen sollen: ‹Die stolze Antilope macht einen Schritt nach vorne, die Haltung fast trotzend. Ich sehe die Laufmündung der alten Holland & Holland langsam nach vorne wandern. Dann kommt sie zum Stillstand und verharrt einen Augenblick. Gleich wird sich diese Mündung aufbäumen, ein scharfer Knall die Stille des Nachmittags zerreissen, um dann schliesslich in der unendlichen Weite zu verhallen. Für einen kurzen Moment habe ich den Pulvergeruch in der Nase, dann frischt eine leichte Brise von Süden her auf und streicht über die weite Steppe.› Interessant an den Schilderungen ist vor allem, dass die in Pulvergeruch und Erinnerungen schwelgenden Jäger niemals eine Antwort auf die eine, die drängendste, die eigentliche, die interessanteste Frage geben: Warum der Giraffe das Lebenslicht ausblasen? Warum den Elefanten fällen? Warum das Kudu töten? Warum die Antilope nicht einfach durchs Fernglas betrachten und sich freuen, dass sie auch morgen noch erhobenen Hauptes durch die Steppe schreitet? Und zwar gerade deswegen, weil es sich hier doch um ‹majestätisches, edles Wild› handelt, wie einer der Jäger meint, dem ‹tiefer Respekt› gebühre: ‹Was für ein herrlicher Anblick! Das Haupt hoch erhoben zu uns zurück gewendet; die grossen Lichter auf uns gerichtet; die riesigen Lauscher gespitzt; aufrechte Nackenmähne; breiter Stich und sich ein leicht im Wind bewegender Kehlbart. Ein wuchtiger Wildkörper mit weissen Streifen − und dieses herrliche perfekt symmetrische Gehörn − der König des Buschlandes.› Man ahnt: Das geht nicht gut aus für das Tier. Da hat das Kudu Pech gehabt, dass es den Jäger innerlich so aufwühlt – denn schiessen kann der genau 48

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Streichelt nur tote Tiere: Manfred Gorn auf Tuchfühl­ ung mit seiner Beute.


Innerhalb von zwei Tagen kann man sich ein Souve­ nir schiessen.

Das Innenleben des Zebras landet im Abfall, das Fell wird gegerbt und wieder aufge­ spannt. Jagen in Namibia ist und bleibt ein gutes Geschäft.

Restposten: halbes ­Nashorn an der Lager­ halle. kinki 49


so gut wie schwärmen: ‹Ich nahm dies alles in einem einzigen Augenblick wahr. Dann krümmte ich den Finger und der Kudu brach im Knall zusammen. Ich hatte meinen Kudu!› Glückwunsch? Da glänzt das Fell in der Abendsonne, das kräftige Gehörn wird in den Himmel gereckt: Jäger schwärmen von stolzen Tieren, um sie dann mit Gewalt und doch recht unromantisch ins Jenseits zu befördern. Da kommt man als Nichtjäger nur schwer mit. Sicher, es gibt auch den versuchsweise reflektierenden Tiertöter. Allerdings: Dessen Bemühungen, über ‹die Gefühle danach› nachzudenken, bleiben genauso wie seine Kugeln im Elefanten stecken – man könnte auch sagen, sie sind so ungelenk, dass der Jäger von Glück sagen kann, sich beim Nachdenken nicht selbst erschossen zu haben. Nun, dieser spezielle Jagdtyp weiss, dass es genug Männer gegeben hat, die ‹nur schwer mit ihren Gefühlen zurecht kamen›, nachdem sie einen Elefanten von den Beinen geholt hatten. Ihm selbst bleibt das, neben dem toten Dickhäuter stehend, rätselhaft: ‹Ich fühle mich richtig gut. Diese ganze Sache über bestimmte Gefühle nach der Erlegung eines Elefanten ist nicht mein Ding.›

Ein Leben vom Tod? Gorn garantiert faire Arbeitsbedin­ gungen.

Wildlife haut­nah: Je geringer die Distanz, desto grösser die Gefühle.

Herr Gorn verschränkt die Arme. So würde er das nicht formulieren, so viel ist klar. Wirklich zufrieden ist er nicht, wie sich die Jagd in Namibia entwickelt hat: ‹Früher war der Aufwand riesig und die Jagd billig, heute ist es andersherum. Innerhalb von zwei Tagen kann man eine Trophäe schiessen.› Für einen echten Jäger wie Herrn Gorn heisst das, dass das Wild einem quasi vor die Flinte gestellt wird. Man muss nur noch abdrücken. Herr Gorn berichtet, dass jetzt vor allem die ‹Leute mit den Gucci-Handtaschen› zum Jagen nach Namibia kommen – die Zimmer auf den exklusiven Jagdfarmen, weit draussen in der wilden Natur, kosten tausend Dollar die Nacht, das Gemüse wird eingeflogen. Herr Gorn sagt lieber nicht so deutlich, was er davon hält. Die Jagd, das ist für ihn noch der Kampf Mann gegen wildes Tier, und ohne diesem zumindest eine kleine, theoretische Chance einzuräumen, sich zu wehren oder wegzulaufen, ist für ihn die ganze Sache sinnlos. Wenn er als Jagdbegleiter mit einem Touristen im Busch ist, geht er deswegen auch so nah an das Opfer heran wie irgend möglich: ‹Wenn’s geht, dann lass’ ich unter zehn Metern schiessen – damit man sie richtig fühlt, die Angst.› Text: Asmus Hess Fotos: Annett Bourquin Auf www.kinkimag.com findet ihr ein Interview mit dem Schweizer Tierpräparator Lorenzo B. Vinciguerra und Bilder aus seiner Werkstätte.

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Ein Kudu gibt’s es schon ab 1100 Euro.


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‹Sie haben das Recht zu schweigen – alles kann gegen Sie verwendet werden.›

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Mein Freund und ­seine Freundin

Unsere Autorin Natalie Gyöngyösi versucht sich als Privat­­­detek­tivin im Auftrag der ewigen Treue. Fazit ihrer Arbeit als süsse Versuchung: ­Männer sind triebgesteuert und untreu, doch die ­Damen der Schöpfung verhalten sich keinen Deut ­sittlicher!

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or kurzem wurde ich angesprochen, ob ich Interesse hätte, als Lockvogel für eine Detektivfirma zu arbeiten. Diese sei spezialisiert auf das Entlarven von untreuen Beziehungspartnern. Alles was man bei diesem Nebenjob tun müsse, sei ein bisschen Köder spielen. Inzwischen hält sich zwar jeder zweite einen Fuckbuddy und Hotels werben mit der Vermietung von Seitensprungzimmern – trotzdem haute mich die Geradlinigkeit dieses Angebots aus den Socken. Ist Treue irgendwie out? Frauen gehen fast gleich oft fremd wie Männer. Die Psychotherapeutin Julia Onken hat zu dem Thema ein Buch namens ‹Die Kirschen in Nachbars Garten› geschrieben und führte in diesem eine Umfrage durch. Sie katapultiert ernüchternde Zahlen auf den Tisch: Von 500 befragten Männern und 500 Frauen gaben insgesamt 64 Prozent an, nicht monogam zu leben. 21 Prozent der Männer bezeichneten sich gar als notorische Fremdgänger. 60 Prozent der Männer und 75 Prozent der Frauen geben an, von ihren Partnern Treue zu verlangen. Aber jeder dritte Mann und jede fünfte Frau behauptete, sich schon mal eine Aussenbeziehung geleistet zu haben. In diversen Wissenschaftsartikeln wird behauptet, dass gemessen an der zivilisatorischen Entwicklung des menschlichen Geistes die biologische Anpassung hinten nachhinke. Unsere gesellschaftliche Moral verlangt ein monogames Paarverhalten, doch die männlichen Hoden haben sich verhältnismässig nicht stark genug zurückgebildet. So gesehen könnte man als Mann also der Evolution die Schuld an der eigenen Untreue in die Schuhe schieben.

Der besudelte Engel

Marc ist 37, ‹ein Aufgestellter› mit einer poppigen Frisur, einem Job im sozialen Bereich und einer Schwäche für sadomasochistische Sexualpraktiken. Marc war fünf Jahre mit Karin zusammen, zwei davon waren sie verheiratet. Sie (er nannte sie Prinzessin) war ein Jahr älter, blond, 1,82 m, smart und sexy. Der Haken: Die Karrierefrau war verklemmt im Bett. Sie über seine Fantasien aufzuklären, darüber dachte Marc nicht im Traum nach. Stattdessen ging er lieber fremd. ‹Ich finde das gar kein rühmliches Verhalten›, meint er heute. Aber er habe sich dazu gezwungen gefühlt: ‹Wenn ich sie mit meinen sexuellen Vorlieben konfrontiert hätte, hätte ich sie verloren.› Und das wollte er auf keinen Fall: ‹Sie schien mir perfekt! Ich konnte sie

überallhin mitnehmen und – blöd gesagt – mit ihr angeben.› Dass es bei ihnen auf der tiefgründigeren Kommunikationsebene haperte, war für ihn ein Detail. In einer Beziehung müsse man nicht jedes schmutzige Geheimnis des Anderen kennen: ‹Ich hatte das Gefühl, meine Gedanken seien zu schmuddelig, um meine Freundin mit ihnen zu beflecken.› Als Karin, um ihre E-Mails zu checken, an seinen Computer ging, flog er auf: kaum hatte sie die Maus bewegt, verwandelte sich der Bildschirmschoner mit Palmenstrandmotiv in gefesselte, in Latex-Teile gehüllte Frauenkörper. Marks Prinzessin blieb die Spucke weg. Sie forschte nach und fand heraus, dass ihr Mann sich regelmässig mit Frauen traf, die er über Sexchats kontaktierte. Sie schickte ihr entgleistes Herzblatt kurzerhand in psychologische Behandlung, denn sie war überzeugt, er kämpfe mit einem BurnoutSyndrom und versuche mit Seitensprüngen Stress abzubauen. Würde er noch ein einziges Mal fremdgehen, sei ihre Beziehung definitiv beendet – das absolute Horrorszenario für Marc! Er meldete sich bei einer Selbsthilfegruppe für betrügende Ehemänner an, ging brav in die Psychotherapiestunden – und bald schon wieder mit anderen Frauen auf Tuchfühlung. Auch wenn ihn danach das schlechte Gewissen quälte, konnte er es nicht lassen: ‹Mir dämmerte, dass ich nicht psychisch gestört, sondern sexuell ausgehungert und von meiner Beziehung frustriert war›, erklärt er. Zwei Monate später fand Karin eine Rechnung für die Nutzung von Sex-Onlineforen in der Höhe von mehreren tausend Franken. Sie reichte sofort die Scheidung ein. Marc sagt im Nachhinein: ‹Es tat höllisch weh, war aber gleichzeitig wie ein Befreiungsschlag für uns beide.› Hat er sie geliebt? ‹Ich liebte ihren schönen Schein und hasste sie dafür, dass sie damit meine Schattenseiten nicht zu verdrängen vermochte.› Marc beschreibt sein Fremdgehen als Aufbegehren und Trotzreaktion. Er fühlte sich Karin gegenüber in beruflichen und finanziellen Fragen unterlegen und begegnete seinem mangelhaften Selbstbewusstsein mit dem Machtgefühl, welches ihm das Betrügen vermittelte. Obwohl es auf der Hand lag, dass die Basis der Beziehung zerstört war. Er hatte sich nicht eingestehen wollen, dass er sie doch noch nicht gefunden hatte, die wahre grosse Liebe. Seine Rastlosigkeit und das ewige Versteckspiel zerschmetterten nach und nach die Illusion von der Erfüllbarkeit seiner funktionierenden Vorzeigebeziehung. Er habe sich auch schon selbst gefragt, ob er die verräterischen Internet-

seiten unbewusst offen stehen gelassen hätte, damit sie sein inneres Zerwürfnis endlich erkenne. Was Marc sich heute wünscht: ‹Die Schutzschilder fallen lassen können – eine Frau, die eine Hure im Bett, eine Hausfrau am Herd und mein bester Kumpel im Alltag ist.› Besser miteinander reden können schade vielleicht doch nicht.

‹Es ist Quatsch mit dir›

Delfine (19) hat etwas von Cate Blanchett, wenn sie so traurig dasitzt und von ihrer Verliererrolle in ihrer Dreiecksbeziehung erzählt. Die Situation habe sich für sie unerwartet um 180 Grad gewendet und seither durchlebe sie einen wahren Alptraum. Der Typ, auf den sie steht, ist ihr Arbeitskollege. Er ist seit Jahren fest mit seiner Freundin zusammen, die zwei leben im gleichen Haushalt. ‹Anfangs suchte ich nur den Kick und wollte seine Grenzen ausloten›, meint sie. Es sei wie ein Spiel gewesen. Sie hat mit ihm geflirtet, ihn provoziert und er hat irgendwann nachgegeben und sich auf sie eingelassen. Delfine fühlte sich bestätigt und gleichzeitig auch als Gewinnerin. Doch dann hat sie sich richtig in ihn verknallt: ‹Ab dann war es gar nicht mehr witzig.› Eigentlich sei er eine feige Sau, findet das Reh­ augenmädchen jetzt. Wenn eine der beiden Frauen Fragen oder Forderungen an ihn stellt, kneift er. Trotzdem kämpfen die beiden Frauen um ihn, jede hofft, dass er sich doch noch für sie allein entscheidet. Das letzte Mal, als er mit Delfine etwas gehabt hätte, habe er unter heissen Küssen eingeworfen: ‹Was mach ich hier eigentlich wieder für einen Quatsch?!› In dem Moment sei ihr bewusst geworden, was sie ihm ungefähr bedeuten musste. Ihre Affäre zu beenden schafft sie dennoch nicht. Oder gelingt es ihr genau deswegen nicht aufzuhören, weil sie sich angestachelt fühlt, ihren Stellenwert bei ihm zu erhöhen? ‹Seine Unerreichbarkeit ist sexy›, sagt sie. Sie gibt nicht auf, auch wenn sie, falls sie sein Herz doch noch erobern würde, wahrscheinlich gar keine richtige Beziehung mit ihm eingehen wollen würde: ‹Ich sehe ja, wie er ist – ich könnte ihm niemals vertrauen. So einen Freund will ich gar nicht.› Schuldgefühle gegenüber seiner Freundin hat sie keine: ‹Offenbar ist ihre Beziehung morsch, sonst hätte jemand wie ich gar keine Chance, zwischen sie zu treten.› Ein weiteres Beispiel für Frauen, die auf Männer in Beziehungen abfahren, ist Anja. Sie geht auf die 40 zu und meint zu ihrer Vorliebe: ‹Bei mir ist kinki 53


das chronisch.› Ihr Lachen stösst sie dabei eine Spur forciert aus. Sie ist Apothekerin, perfekt gestylt. Anja findet Anzüge schick, aber einen Banker will sie nicht, weil ‹die eh nur Geld im Kopf haben›. Sie sagt, sie würde im Ausgang nie von Männern angesprochen. ‹Den ersten Schritt muss zwar immer ich wagen. Aber meist klappt es dann›, sagt sie und lächelt verlegen, ‹zumindest bis ins Bett.› Anja verfügt über eine vielfältige Kollektion unglücklicher Liebschaften: Ihre langjährige Sexaffäre mit ihrem besten, nur leider verheirateten Freund; ein Geschäftsmann, der seinen Ehering zu ihren Hotelzimmertreffen jeweils anbehielt; ein Sekundarlehrer, dessen schwangere Frau zuhause keine Lust auf Körperlichkeiten hatte; ein fünfzehn Jahre jüngerer, der eine Freundin im gleichen Alter hatte und sich von Anjas Erfahrungsschatz Lektionen in Sachen Liebe holte. Irgendwie ergab es sich nie, dass einer blieb.

Wenn Spatzen und Tauben kompliziert tun

Weil es mit dem Angesprochenwerden nicht so gut klappt, sucht sich Anja ihre Kontakte auf ­Online-Portalen. Einmal hat sie ein Inserat auf swissflirt.ch geschaltet. Sie schrieb folgenden Kurztext: ‹Gesucht: Gentleman, der mit einer Lady umzugehen weiss.› Sie erhielt 85 Zuschriften, darunter sympathische, seriös wirkende und viele sehr anzüglich gehaltene. Einer schrieb, er suche eine ‹Affäre über die Bettkante hinaus›. Anja versprach sich davon eine gewisse Ausbaufähigkeit der Sache und antwortete. Er meldete sich dann aber doch nur, wenn er mit ihr ins Bett wollte. Anja fragte nach, ob er in einer Beziehung sei, aber er beruhigte sie und meinte, sie solle doch nicht immer alles hinterfragen und so kompliziert tun. Als Beweis machte er mit ihr einen Ausflug in eine andere Stadt und hielt mit ihr öffentlich Händchen. Da glaubte Anja ihm. Sie war glücklich, es machte ihr nichts aus, dass er ihre SMS nie beantwortete: ‹Er braucht eben seine Freiheiten, dachte ich.› Obwohl er ihr verboten hatte, ihn anzurufen, weil er sich sonst eingeengt fühlen würde, wählte Anja schliesslich seine Nummer – seine Frau nahm den Hörer ab. ‹Daraufhin fühlte ich mich wie ein dummes Flittchen›, sagt Anja, ‹der wollte beides: den Spatz in der Hand und die Taube auf dem Dach.› Wenn sie einen guten Tag hat, bezeichnet Anja sich als gutgläubigen Pechvogel. Wenn nicht, als sträflich naiv. Nina, Geschichtsstudentin, hatte eine dreijährige Beziehung und wurde durchgehend von ihrem Freund betrogen. ‹Ich war misstrauisch, aber zu fragen getraute ich mich nicht.› Sie schreckte davor zurück, etwas zu hören, was sie nicht hören wollte. Als ihr Freund eines Nachts aufstand und im Bad verschwand, schnappte sie sein Handy und stöberte darin herum. Sie fand verschiedene Nachrichten von ihr unbekannten Frauen. In einer SMS hatte eine Jennifer geantwortet, sie ‹erröte vor Scham›. Nina wollte unter den gesendeten Nachrichten nachsehen, was ihr Freund dieser Frau geschrieben hatte, dass diese rot anlief, aber der Ordner war gelöscht. In der nächsten SMS schrieb eine Sandra, sie vermisse ihn und hätte es ‹kaum ausgehalten die letzte Nacht ohne ihn›. Beim Frühstück fragte sie ihren Freund, wer Jennifer 54

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sei. Er konterte, ob sie wieder unter Paranoiaschüben litte, sie begannen zu streiten und irgendwann erklärte er ihr, da sie ja nicht ‹auf einer Insel› lebten, sei es nur logisch, wenn er andere Frauen kennen lerne. Sollte sie wirklich die Richtige für ihn sein, dann könnten so gelegentliche Treffen mit Anderen ihrer Beziehung nichts anhaben. Und wenn sie ihn liebe, dann würde sie es ihm auch gönnen, wenn er eine treffen würde, die besser zu ihm passt als sie. Nina versuchte es so zu sehen, dass sie momentan immerhin die beste Option für ihn zu sein schien. Sie machte erst Schluss, als sie in seinem Abfalleimer ein gebrauchtes Kondom fand. Er sagte dazu, er wisse nicht, wie das dahin gekommen sei – wahrscheinlich sei sein Mitbewoh­ ner in seinem Zimmer aktiv gewesen. Nina frag­te seinen Mitbewohner, ob er am Tag vorher zuhause gewesen sei, aber dieser war gerade am Morgen erst aus einem Skiwochenende zurückgekehrt. Nina traf sich, etwa ein halbes Jahr nach dem sie ihre Beziehung beendet hatten, mit ihrem Ex. Er rechtfertigte seine Untreue damit, dass es aufgrund ihrer ewigen Eifersucht gar nicht darauf angekommen sei, ob er fremd ging oder nicht: sie dachte das ja so oder so.

Eine Frage der Ehrlichkeit. Und des Nachschrumpfens.

Liebe macht Betrogene wohl nicht blind, dafür aber strapazierfähig. Es ist eine sehr persönliche Sache, wie viel Toleranz oder Verständnis jemand einem fremdgehenden Partner entgegenbringen kann oder will. Wann lohnt es sich, trotzdem um eine Liebe zu kämpfen und wann zeigt Untreue lediglich den kaputten Zustand einer Beziehung auf? Ehrlichkeit, vor allem gegenüber sich selbst, und eine offene Kommunikation sind sicher nicht die schlechtesten Ratgeber. Treue soll auch keine Disziplinarübung sein – sollte es dem einen wirklich so schwer fallen, seinen Partner nicht zu betrügen, lohnt es sich, die Beziehung gründlich zu hinterfragen. Oder werden wir mit dem Treueanspruch einfach noch so lange warten müssen, bis die eingangs geschilderten männlichen Organe ­genügend für eine monogame Lebensweise nachgeschrumpft sind? Sieht so aus. Text: Natalie Gyöngyösi Foto: Raffinerie

Verliebt, verlobt, verlogen? Indizien für Nebenbuhler finden sich überall.


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Heilssuche im Himalaja

Bhutan erinnert in Vielem an die Schweiz. Die Grösse ist ähnlich, mächtige Berge ragen in den Himmel, die Flüsse schimmern silbern und die Wiesen sind saftig grün wie im Engadin. Warum also dorthin reisen? Wegen der freundlichen Menschen mit ihrem zufriedenen Lächeln etwa. Oder um zu erfahren, wie es ist, wenn das Staatsziel darin besteht, glücklich zu sein.

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ach der Grenze zwischen dem indischen Bundesstaat Sikkim und Bhutan im Himalaja ist alles gleich und doch alles anders. In den Schlaglöchern der Strassen könnten sich Ziegen verstecken, Rinder verlangsamen das Vorankommen auf Schrittgeschwindigkeit und besser man denkt gar nicht daran, der Fahrer könnte bei den Überholmanövern von der Schotterpiste abkommen. Und doch beginnt im Königreich Bhutan eine andere Welt, eine weniger hektische. Mit jedem Kilometer nach der Grenze wird das auffälliger. Die riesigen Werbetafeln für Kinofilme oder Waschpulver verschwinden und mit ihnen die kokelnden Müllberge und Plastiktüten am Wegesrand oder die Kinder, die den Reisenden am Ärmel zupfen und ihm ihr ‹Some Rupee, Sir, please!› ins Ohr rufen. Weniger werden auch die Rucksackreisenden, die in Indien für ein paar Franken am Tag die günstigen Preise eines Entwicklungslandes geniessen. Bhutan wirkt dagegen wie eine Art riesiges Freilichtmuseum – mit einem satten Eintrittspreis. Das Land auf eigene Faust zu bereisen, ist kaum möglich. Der Staat steuert den Tourismus und begrenzt die Zahl der Besucher. 250 US-Dollar kostet das Standardpaket pro Tag inklusive Fahrer, Reiseführer, Unterkunft und Verpflegung. Mit inbegriffen ist auch eine Zeitreise in die Vergangenheit, bei der ein drittklassiger Filmemacher Regie geführt zu haben scheint: Jemand hat vergessen, die Requisiten der Neuzeit zu entfernen. Zwischen gemächlichen Eselskarren bahnen sich japanische Laster ihren Weg. Statt Ampeln regeln Verkehrspolizisten das Durcheinander auf der Strasse. Büffel ziehen träge Pflüge über die Felder, Gebetsfahnen wehen im Wind. Nur in den Wohnstuben der eleganten, holzverzierten Häuser regiert die Neuzeit. Fernseher flimmern, aus den Radios rauscht Folklore.

Freudentänze der Bogenschützen

Für die Reisenden stellt die Tourismusbehörde zwei Programme zur Auswahl: Trekking oder Kultur. Zu Letzterem gehören der Nationalsport Bogenschiessen und allerlei prächtige Tänze. Wobei die Leidenschaft der Bhutaner beides verbindet. Denn nach erfolgreichen Treffern auf der Zielscheibe 56

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führen die Bogenschützen gerne – wie in Zeitlupe – kurze Freudentänze auf und grummeln dazu zufrieden ein Liedchen. Die traditionellen Aufführungen nennen sich ‹Tanz des Schwarzhutmagiers›, ‹Tanz der vier Hirsche›, ‹Tanz der Jagdhunde› oder ‹Tanz der furchterregenden Gottheiten›. Der schaurigschöne Lärm von Zimbeln, Flöten, Alphörnern, Trommeln, Rasseln lullt die Zuhörer ein. In farbenfrohen Gewändern turnen die Künstler über die Dorfplätze, viele tragen Tier- oder Dämonenmasken. Geduldig erklären die Reiseführer die Bedeutung. Vom Zuschauer wird einiges an Stehvermögen erwartet, viele Aufführungen dauern vom frühen Morgen bis in den späten Nachmittag.

Seit 1999 sind Fernseher erlaubt

Bhutan legt Wert auf den Erhalt seiner Tradition. Niemand trägt Jeans. Frauen sind in Kiras, knöchellange bunte Kleider, gehüllt, der Modeklassiker für Männer bleibt der Gho, eine lange Jacke, die entfernt an einen Bademantel erinnert. Bis vor wenigen Jahren noch zählte das Land zu den abgeschiedensten Flecken der Erde. Der König höchstpersönlich legt nun Wert auf die Öffnung und hat vor kurzem sogar die Demokratie eingeführt. Die Öffnungspolitik allerdings soll langsam vonstatten gehen. Fernsehen etwa ist seit 1999 erlaubt, ausländische Filme aber bleiben unerwünscht. Also steht die staatliche Folklore im Mittelpunkt, zum Erhalt der eigenen Kultur – Zensur für die Volksharmonie. Spirituellen statt materiellen Wohlstand liess König Jigme Singye Wangchuck vor Jahren zum Staatsziel ausrufen. Gesundheit, Bildung und eine intakte Umwelt haben Vorrang vor den scheinbaren Errungenschaften der modernen Zivilisation. Als der König die Losung vom ‹Bruttosozialglück› mehrmals öffentlichkeitswirksam kundgab, sind die Heilssuchenden der Erde ausgezogen, um in Bhutan ein Stück vom Glück zu finden. Stolz erzählen die Reiseführer die Geschichten von der intakten Natur, der niedrigen Kriminalitätsrate, der Ausgeglichenheit der Einwohner. Oder dass die gigantischen Marihuanaknospen, die wild am Wegesrand wachsen, nicht von den Menschen, sondern von den Schweinen konsumiert werden. An der unberührten Natur soll sich

nichts ändern. Gesetze verbieten den Raubbau. Schüler lernen Werte statt Wirtschaftsdenken. Doch wenn Bhutan das Paradies ist, dann hat auch das Paradies seine Schattenseiten. Rund ein Fünftel der Bevölkerung lebt in Armut, die Korruption wächst und gerade der Tourismus ist es, der Spiritualität und Materialismus aufeinanderprallen lässt und vor allem bei vielen jungen Menschen Begehrlichkeiten weckt. Vieles wirkt authentischer als anderswo im Himalaja. Aber irgendwie scheint es, als nähmen die Glückssuchenden dem Land mit ihrem Besuch ein Stück genau dieser Unschuld, die den Reiz von Bhutan ausmacht. Wir können also auch ruhigen Gewissens in der Schweiz bleiben. Text: Jens Dierolf Illustration: Raffinerie


Über den Wolken im Königreich Bhutan regieren Unschuld und Glück. Und zwar mit eiserner Hand.

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‹ zehn minuten mit› Zeitgenossen und Weltbürgern. Joey Goebel: ‹Gott lasse mir mein Schreibtalent.›

dies. Und es beginnt mit der Geburt. Ist dir zum Beispiel schon mal auf­gefallen, dass gerade immer die schwanger werden, die eigentlich gar kein Kind haben wollen? Ich fange schon gar nicht an, irgend­etwas verstehen zu wollen. Was die korrupte Natur und Falschheit vom Mensch betrifft: Ich würde das unterschreiben. Alle die uns füh­ren oder vertreten, sie alle sind a priori falsch und korrupt. Vergiss nicht: Alle meine Bücher schrieb ich während der Bush-Administration. Aber ja, alle sind irgendwie falsch, meine Wenigkeit eingeschlossen. Leiden führt zu grosser Kunst. Dieses Paradigma ist nicht neu. Wie sieht das Leiden von Joey Goebel aus? Ist die US-Mittel­ mässigkeit der einzige Stachel oder gibt’s noch andere?

Ich passe nirgendwo hin, egal wo ich hingehe oder was ich mache. Sogar unter Aussenseitern fühle ich mich an den Rand gedrückt. Ich weiss natürlich, dies alles tönt jetzt nach totaler Scheisse, weil ich sehr erfolgreich bin und es auch wirklich hasse, mich zu beklagen, aber auch als etablierter Autor finde ich nicht, dass ich in die Riege der Schriftsteller und Intellektuellen reinpasse. Ich unterhalte mich lieber über Musik als über Bücher. Ich glaube nicht mehr zu wissen als alle anderen.

Puppe, die überzeugt war, Gott bei seiner Arbeit zu entlasten. Er war grundsätzlich ein Instrument, das von der US-Geschäftswelt ge­ steuert wurde. Wir sollten das System hassen, das einem einzigen Mann derartiges erlaubte. Du hast in einem Interview gesagt, dass die Recherchearbeit für ‹Heartland› ziemlich aufwendig war. Welches Wissen musstest du dir aneignen?

Das Buch handelt vom Klassenkampf in Amerika, deshalb habe ich möglichst viele Romane gelesen, welche die ‹Klasse› als zentrales Thema behandelten. Alles von ‹An American Tragedy› über ‹Howards End› bis zur erneuten Lektüre von ‹The Great Gatsby›. Ich habe Leuten erzählt, dass ‹Heartland› der umgekehrte ‹Gatsby› sei. Ich habe aber auch einige Sachbücher über die amerikanische Geschichte und politische Bücher gelesen. Das Böse ist in deinen Romanen meistens in einer der vier Staatsgewalten verkörpert. Ein Medienmogul in Vincent, ein Tabakriese in ‹Heartland›. Wärst du Gott, welches Übel würdest du zuerst aus der Welt schaffen: die Geldherrschaft oder die Macht der öffent­ lichen Meinung?

Definitiv Geld. Je älter ich werde, desto eher realisiere ich, dass alles auf Geld zurückzuführen ist. Entziehe In deinem neuen Buch ‹Heartland› mit einem Zauberspruch die Bedeuquält eine milliardenschwere tung des Geldes und schon sind wir Familie aus der Tabakindustrie den dem Himmel ein Stück näher.

Irgendwo zwischen Bühne und Buchmesse: Erfolgsautor Joey Goebel.

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er US-Jungautor Joey Goebel (Jahrgang 1980) tourte vor seinem Durch­ bruch mit seiner PunkRockband ‹The Mullets› durch den Westen der USA. Eines Tages beobachtete er entzückt, wie eine ca. 80-jährige Frau und ein jugend­licher Freak gemeinsam ein Café eintraten. Daraufhin schrieb er seinen ersten Roman ‹Freaks›. Hollywood mochte den ungewöhn­lichen Plot über die grotesk unterschiedlichen Mitglieder einer Rockband. Sein Folgeroman ‹Vincent›, in 14 Sprachen übersetzt, machte Joey über Nacht zum Star. Die Satire besticht durch ein hochoriginelles, einfaches Erzählgerüst: Ein von der TrashKultur angebiederter Musikjournalist 58

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erfährt von der speziellen Kunstschule ‹New Renessaince›, die junge Künstler leiden lässt, damit diese bessere Kunst produzieren. Über­zeugt vom gesellschaftlichen Nutzen, erwählt der Musikjourna­list den unschuldigen Vincent und macht ihm seine Jugend auf per­fide Art zur Hölle. Joeys neues Buch ‹Heartland›, ein tragikomisches Familienepos, erscheint im März.

ausgestossenen Sohn und Erb­ verweigerer Blue Gene. Eine klare Anspielung auf die Machenschaften der Familiendynastie Bush, oder?

Ich sag es mal so: Wenn die Bushs nicht existierten, wäre das Buch nie geschrieben worden. Blue Gene, die Hauptfigur, ist ein armer Kerl. Er ist selbstgefällig, hat aber eigentlich ein gutes Herz. Was seine machthungrige Familie allerdings ausnutzt, um Gene für die eigenen Zwecke zu missbrauchen. Seit ich dein neustes Buch ‹Heartland› gelesen habe, steht mir George Bush um einiges näher.

Nein, ich wollte sicherlich nie George W. ins gute Licht rücken, aber Jeder deiner drei bisherigen Rojetzt wo du es sagst… Ich glaube es mane bestärkte mein Gefühl, dass ist wichtig zu erwähnen, dass W. das Leben süss-sinnlos und die bloss eine Galionsfigur, ein Symbol meisten Menschen korrupt und oder eine Personifizierung einer unecht sind. Entspricht dies auch viel grösseren Gruppe war. Er wurde deinem persönlichen Weltbild? auserlesen und von einer schma­Definitiv, das Leben macht keinen len Elite an die Macht verpflanzt, nur Sinn. Alles rund um mich bestätigt seines Namens wegen. Er war eine

Du hast Zürich bereits besucht. Gefällt dir die Stadt? Welche Eindrücke hast du von der Schweiz und von Schweizern?

Ich liebe sie. Ich war schon zweimal da. Was ich am meisten schätzte war die Gastfreundlichkeit der Schweizer. Natürlich, ich war oft in der sozialen Situation, dass ich im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, folglich wird meine Wahrnehmung etwas verzerrt sein. Aber ich will nicht zynisch sein und nehme das Wohlwollen der Schweizer für bare Münze. Joey Goebels Lieblingsband ist ‹The Pogues›, sein Lieblingsbuch ‹The Cat’s Cradle› von Kurt Vonnegut. An seiner Beerdigung möchte er, dass ‹Bootylicious› von Destiny’s Child gespielt wird. Sterben dürfte Joey Goebel an einer Vergiftung, wenn er per Zufall die MTV-Show ‹The Real World› einschaltet, die ihm im Nu die Galle hochtreiben lässt. Das Interview in voller Länge findet ihr auf www.kinkimag.com Text: Valerio Bonadei Foto: Regine Mossiman



Kalte Tage, lange Nächte. Da kommt uns die Fastnacht gerade recht. Mit der jungen Elektro-RockBand ‹The Whip› aus Manchester starten wir ein Experiment: sie sollen sich für uns verkleiden.

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he Whip bezeichnen ihren Sound als ‹halb Mensch, halb Maschine›. Ihr Debütalbum ‹X Marks Destination› wurde letzten März veröffentlicht und vibriert seither auf allen wichtigen Turntables. Danny Saville, Lil’ Fee, Nathan Sudders und Bruce Carter sind mit ihrem Hit ‹Trash› zunächst in der britischen Heimat und danach auf der restlichen Welt in die Herzen der Elektro-Fans eingedrungen. Seit 2006 überzeugen The Whip mit einer unwiderstehlichen Mischung aus Rave, Grunge, Electro und Pop. Sie haben es geschafft nach einem Jahr aus dem spukenden Keller zu kommen und endlich bei uns zu landen. Bei einem ihrer letzten Konzerte im Januar in Deutschland können wir mit The Whip unsere

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ganz persönliche Faschingsfeier starten. Spot an und her mit den Faschingsbräuchen. In der bunten Kostümkiste muss gekramt und gewühlt werden. Lil’ Fee, die Schlagzeugerin, greift erst mal nach Luftschlangen und Konfetti, bevor sie von ihren Jungs zur Zauberfee gekrönt wird. Bruce, die Stimme von The Whip, weiss von Anfang an, dass er der Schurke des Abends sein wird. Der Mann am Bass ist Nathan. Mit seinem original irischen Look bräuchte er eigentlich keine Verkleidung, da er ohne weiteres als verrückter Troll durchgehen würde. Trotz allem stöbert er sich durch alle Kostüme und lacht dabei mehr über sich selbst als über die anderen. Danny am Keyboard stürzt sich auf die Süssigkeiten und analysiert alle Geschmacksrichtungen. Als die rote Nase sitzt, schüttelt der sonst so ruhige Danny einen Joke nach dem anderen aus dem Ärmel. Nachdem sich alle mit Konfetti-, Luftballon- und Luftschlangen-Schlachten ausgetobt haben, waren sie schwer zu bändigen. Doch wie von selbst starteten sie dann aus dem BandNähkästchen zu plaudern.

kinki magazine: Habt ihr jemals was von Fasching gehört?

Bruce: Nein, aber es hört sich verdammt witzig an. Klingt wie ein Mix aus ‹Fashion› und ‹Machine›. Scheint auch echt Spass zu machen! Wann habt ihr euch zum letzten Mal verkleidet?

Lil’ Fee: Das war bei den Arbeiten zu unserem unveröffentlichten DemoBand. Wir sind als Affen getarnt zu dem Song ‹Trash› wie verrückt durch die Strassen gerannt. Nicht zu vergessen die Neonröhren, mit denen wir wild um uns schlugen. Das war echt abge­­fahren. Bruce: Es hat schon seinen guten Grund, warum es nicht veröffentlicht wurde. Zu viel Spinnerei… Nathan: Aber es hat tierisch viel Spass gemacht, sich zu verkleiden.


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Lil’ Fee

Ihr habt ja viel Spass miteinander. Wie kam es eigentlich zu der Band?

Danny: Bruce und ich haben die Band vor einigen Jahren gegründet. Zuvor waren wir in mehreren Bands unterwegs, zuletzt bei Nylon Pylon. In der Anfangsphase hatten wir einen Proberaum in einem Keller unter einem Pub. Unser Sound brachte den Putz zum Bröckeln. Ein guter und schäbiger Platz für unsere Musik! Ein ganzes Jahr lang sind wir jeden Tag in den Keller gegangen, um die Songs aufzunehmen. Niemand hat uns gestört, weil es da unten angeblich spukte. Dann kam Nathan dazu und unterstützte uns am Bass. Für den SchlagzeugPart war ganz klar Fee die perfekte Ergänzung. Bruce

Lil’ Fee ist ein schöner Name. Ist das dein Künstlername oder heisst du wirklich so? Weisst du eigentlich, dass dein Name bei uns für eine typische Fastnachtskostümierung steht?

Lil’ Fee: Das klingt ja spannend was denn für eine Figur? Fee kommt von Fiona. Im Englischen ist es kein vorteilhafter Name. Aber dass es auf Deutsch eine so tolle Bezeichnung hat, finde ich klasse. Yeah, ich bin eine Fee und werde euch alle verzaubern! Nathan: Zauberfee ist echt gut. Denn sie ist ja auch für uns die Fee der Band.

‹Groupies gibt es einige. Doch die schlimmsten hab’ ich schon vertrieben.›

Wie ist es eigentlich mit so vielen Typen in einer Band zu sein? Gibt’s da manchmal Stress?

Bruce: Nee, ich find es grossartig. Wir verstehen uns alle blendend (alle lachen). Lil’ Fee: Wenn ich mal weibliche Unterstützung brauch, zieh ich einfach unsere Managerin zur Seite. Zu zweit können wir die Männerdomäne brechen.

Nathan

Lil’ Fee und Nathan, ihr wart ja mal ein Paar. Wie ist es eigentlich mit dem Ex in einer Band zu sein?

Nathan: Das ist für uns beide gar kein Problem. Wir kommen gut aus und lieben es, zusammen Musik zu machen. Lil’ Fee: Nathan ist für mich wie ein Bruder. Wie sieht es aus mit Groupies? Gibt es Girls die euch Jungs zu Füssen liegen und was ist mit dir, Lil’ Fee? Danny

Lil’ Fee: Oh ja, da gibt es einige. Doch die schlimmsten hab’ ich schon vertrieben. Nathan: Ja genau, da gab es doch die zwei Profigroupies, die bei jedem Gig dabei waren und alle unsere Getränke weggebechert haben. Und nicht mal Sex gab es dafür. Bruce: Fee hat auch Groupies, aber die sind alle super scheusslich. Mit was überrascht ihr uns in der nächsten Zeit?

The Whip haben es geschafft aus dem spukenden Keller zu kommen, um endlich bei uns zu landen.

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Bruce: Mit einem durchtrainierten neuen Album. Wir haben hart daran gearbeitet und es ist, als hätten wir im Fitnessstudio trainiert. Es ist kraftvoller, trashiger und lauter als alles zuvor! Weitere Infos auf www.myspace.com/thewhipmanchester Interview und Text: Christina Fix und Rahel Zoller Fotos: David Spaeth


Schwedisches Spezialkommando auf dem Weg zur Kasse.

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Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Die drei Londoner Geschwister Kitty, Daisy & Lewis leben in der falschen Zeit, denn wahrscheinlich hätte sich die schwer pomadisierte Rockabilly-Sippe in den Fünfzigern wohler gefühlt. Nichtsdestotrotz schaffen sie es auch sechzig Jahre zu spät, ihr Publikum Abend für Abend in eine swingende Meute zu verwandeln.

Drei Zeitenbummler auf Besuch in der Gegenwart: Kitty, Daisy and Lewis.

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kann man der Dekade nicht machen, vielmehr soll­ te der gerade entstehende Rock’n’Roll eine neue Ära einleiten. Den vielseitigen Sound kurz vor dem Big Bang der Musikgeschichte lassen aber der­ zeit drei Londoner Teenager aufleben – blutjung zwischen 16 und 19 Jahren. Zusammen bilden sie das schwer angesagte Geschwistertrio Kitty, Dai­ sy & Lewis. Der mitreissende frühe Rockabilly Sound vereint Country, Rhythm and Blues aus den Vierzigern oder auch den Jump Blues. Kurz­ um: Stile, die bereits heftig rockten, bevor der Terminus Rock’n’Roll überhaupt auftauchte. Die drei ‹falschen Fuffziger› spielen dabei ihre Stücke auf durchweg analogem Equipment ein, das von Bändchenmikrofonen, Ampex-Mehrspurtechnik bis hin zur hauseigenen Plattenpressmaschine reicht. Auch optisch werden keine Kompromisse ge­ macht. Der Dresscode der Geschwister ist wie die Musik lückenlos an die Fifties angelehnt. Die Schwestern meist mit knielangen Kleidern und hochgebundenen Pferdeschwänzen, der Bruder stets mit Hemd, Anzughose und einer Hand voll Pomade im Haar. Was man bei anderen Bands als perfektes Retro-Abziehbild verbuchen könnte, hat hier seine Wurzeln aber in einer leidenschaftlichen Liebe zur Musik. Daraus ergibt sich der Anspruch an die mitunter überbordende Authentizität. Das Ergebnis überzeugt dann auch zu vorderst musi­ kalisch und würde im Bild einer Familienaufstel­ lung in einer immerwährenden Umarmung der drei Geschwister enden. Denn das stimmige Zusam­ menspiel ist schon jetzt kaum noch ausbaufähig und die Liste der selbstgespielten Instrumente be­ ängstigend lang. Noch länger sind nur noch die Gesichter, der oftmals nicht mehr ganz so juveni­ len Musiker anderer Rockabilly Bands angesichts der energetischen Live-Auftritte – egal ob auf di­ versen Festivals in der U.K. wie zum Beispiel dem Glastonbury Festival oder als Support für Bands wie Razorlight, The Pipettes oder The Concretes. Mit kinki sprach Kitty, das 16-jährige Nesthäkchen ie 1950er Jahre sind in der Rückschau der Band, über die erste Platte und das benei­ ein wenig einladendes Jahrzehnt. In denswerte Problem, wie man gegen zu coole Eltern Europa herrschte vollendetes Spies­ rebellieren soll. sertum, während in den USA derweil kinki magazine: Eure ersten Singles habt ihr McCarthy gegen vermeintliche Commies Amok noch mit der eigenen Plattenpressmaschine lief. Die Tatsache, dass ein Barack Obama noch produziert. Bei aktuell etwa 50 000 verkaufaus den meisten Restaurants in Washington raus­ ten Stück vom neuen Album sind diese Zeigeflogen wäre, macht die Sache nur schlimmer. ten wohl vorbei? Doch zumindest den Vorwurf schlechter Musik

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Kitty: Ja klar, doch wir sind auch so sehr stolz auf die Schellack-Veröffentlichung der Platten, auch wenn sie nun nicht mehr selbst gepresst sind… Ein solches Album auf fünf Platten im klassischen Format 10 Zoll herauszubringen, wobei sich auf jeder Seite ein Stück befindet, dass gab es schon lange nicht mehr. Natürlich erscheint das Album aber auch auf CD und wenn es denn sein muss, dann können es sich die Leute auch als Down­ load besorgen. Aufgenommen haben wir das Album aber wieder im eigenen Studio bei uns Zuhause, in dem wir nur originales Equip­ ment aus der Zeit stehen haben. Dabei ging es uns aber nicht um Nostalgie; die coole Energie der Musik und dieser spezielle Beat lassen sich einfach nur so herstellen.

Nicht nur bei den Aufnahmen wird klassisches Format bevorzugt.

‹Dann muss Mama Kontrabass spielen und Dad wiederum ­RhythmusGitarre.›

Auf der erschienenen Platte ‹Kitty, Daisy & Lewis› sind vor allem Coverversionen vertreten, unter anderem Muddy Waters ‹I Got My Mojo Working› oder der CharlieRich-Song ‹Mohair Sam›. Nach welchen Kriterien habt ihr sie ausgewählt und warum gibt es so wenige eigene Stücke?

Die Covers sind jetzt nicht unbedingt nur Lieb­ lingsstücke von uns, aber es sind all die Songs, mit denen wir als Band begonnen haben. Wir ha­ ben sie auf der Bühne immer und immer wieder gespielt und deshalb wollten wir sie auf der Platte haben. Dass es nun letztendlich mehr Covers auf der Platte geworden sind, war nicht Absicht, sondern hat sich einfach so ergeben.

In der Presse werdet ihr bereits als Speerspitze eines neuen Trends gesehen. Gibt es aktuell eine wachsende Neo-SwingSzene in London?

Einer bestimmten Szene wollen wir eigentlich gar nicht zugerechnet werden. Die meisten Szenen sind so auch einfach nicht anzutreffen, es sind reine Pressephänomene. Man macht ein paar Bands dann zur neuen RockabillyFraktion oder nennt sie Neo-Swing-Kids. Zwar hören momentan immer mehr Leute die Musik und es gibt dafür auch mittlerweile jede Menge Clubs, doch für ein Revival reicht es noch nicht aus.

Wahrscheinlich ist es schwer gegen die eigenen Eltern zu rebellieren, wenn die Mutter eine Postpunk-Musikerin ist und der Vater ein eigenes Tonstudio besitzt, in dem sich die aktuelle Elektronikszene die Klinke in die Hand gibt. Ist eure Musik vielleicht auch ein Versuch, sich gegen die Eltern abzugrenzen?

Rebellion ist da erstmal wirklich schwierig, deshalb kann die Vermutung schon richtig sein, aber zumindest nicht bewusst. Ich bin vielmehr froh darüber, dass unsere Eltern, diesen eigenen Musikbackground haben. So haben wir schon sehr früh Musik kennen und lieben gelernt. Zumindest unser Vater teilt ja auch unseren Hang zur Musik aus den Fifties. Als wir noch jünger waren, hat er uns zum Beispiel oft Songs von Muddy Waters vorgesungen. Später haben wir uns dann durch seine alte Plattensammlung durchgehört, in der unglaublich viele Fifties-Sachen waren. Mittler­ weile engagieren wir unsere Eltern ja auch hin und wieder bei Live-Auftritten, dann muss Mama Kontrabass spielen und Dad wiederum Rhythmus-Gitarre.

‹Die Atmosphäre damals stelle ich mir anstrengend vor.›

Wie nervig kann es sein, mit den eigenen Geschwistern in einer Band zu spielen?

Auf einer Skala nach oben gibt es da eigentlich kein Ende… Weil wir nun mal Geschwister sind, entstehen eben auch leichter Streitereien in der Band. Wir sind uns gefühlsmässig sehr nah und deshalb schmeissen wir uns auch schnell mal die Dinge an den Kopf, die uns nicht passen. Doch irgendwelche ‹Ich-möchte-

ein-Einzelkind-sein-Phantasien› dauern nicht lang an. Denn unter Geschwistern ist es auch einfacher, sich wieder zusammenzuraufen. Ausserdem ist die Musik eine sehr starke Ver­ bindung zwischen uns. Geht die Liebe zur Musik der Fifties und der Mode soweit, dass du auch gern in der Zeit gelebt hättest?

Nein, also von mir aus für einen Tag, aber nicht länger. Die Atmosphäre damals stelle ich mir einfach sehr anstrengend und konservativ vor. Wir lieben zwar den damaligen Sound, mehr aber auch nicht. Doch es wäre bestimmt aufregend gewesen, mal mit Leuten wie Louis Jordan oder Louis Prima zusammen zu spielen. Das Jahr hat ja gerade erst begonnen, was wünschst du dir für die Band in 2009?

Der Erfolg im letzten Jahr war so gigantisch, dass ich eigentlich froh wäre, wenn es einfach so weitergeht. Wir erwarten aber erstmal nichts, wir freuen uns nur darauf, vielleicht mal richtig zu touren. Länder wie Italien oder Spanien stehen dabei ganz oben auf der Wunschliste. Das Problem ist nur, dass ich dieses Jahr noch meinen Schulabschluss machen muss… Interview und Text: Mathias Bartsch Foto: Beats International Weitere Info unter: www.myspace.com/kittydaisyandlewis, www.sundaybest.net Ein aktuelles Video der Band findet ihr auf www.kinkimag.com

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‹playlist› Die besten DJs der Schweiz stellen ihre All Time Favourites vor. DJ RX

02:07

Django Reinhardt: Minor Swing

Die wohl pädagogisch wertvollste Entscheidung meiner Eltern war es, mir zum siebten Geburtstag zwei Beatles Kassetten mit dem roten und dem blauen Beatles Album drauf zu schenken (bzw. 1962–1966 und 1967–1970). Diese begleiteten mich wie ein roter Faden durch meine Kindheit und während meine Gschpänli sich mit den drei Fragezeichen oder Kinderliedern zufrieden gaben, waren John, Paul, George und Ringo meine erste wichtige musikalische Begegnung und, neben Lucky Luke, ganz grosse Helden für mich. Ausser Lucky Luke hat sich an dieser Tatsache auch nicht viel verändert in den letzten 23 Jahren. Nie mehr wurden bessere Pop Songs geschrieben und dies wird sich wohl so schnell auch nicht mehr ändern.

Und weiter geht's mit trauriger Musik, wie’s der Titel ja bereits sagt! Während meines Studiums an der Academy of Contemporary Music habe ich mich unter anderem intensiv mit Jazz ausei­ nandergesetzt. Mit selbstverliebter Free Jazz Dudelei und Jazz Rock wurde ich allerdings nicht wahnsinnig warm, war mir das doch alles viel zu kopflastig. Mit einem jedoch schon: Mr. Django Reinhardt.

04:20 Portishead: Undenied

Eins vornweg: Ich empfinde einen riesigen Respekt für Bands, die mal eben 10 Jahre keinen Mucks von sich geben können und komplett, bis auf gelegentliche Reunionsgerüchte, von der Bildfläche verschwinden, zurückkehren und immer noch ist die ganze Welt heiss auf sie. Drehen wir die Uhr aber um 10 Jahre zurück und Portishead haben grad einen düsteren, süsssauern Depro-Brocken von einem Meilenstein veröffentlicht. Der perfekte Soundtrack irgendwo zwischen Tee­n­ age-Angst und ‹keiner-mag-mich-Ge­ fühlen›, welche einen 20-Jährigen von damals beschäftigten. Undenied jagt mir immer noch kalte Schauer über den Rücken und ich verliere (und verliebe) mich immer wieder in Beths gottesgleiches Organ.

02:41

Slayer: Reign in Blood

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X steht seit 1999 aktiv hin­ ter den Plattentellern. Als Sohn eines Musikers ist ihm der Rhythmus und die Liebe zur Musik in die Wiege gelegt worden. Schon im zarten Alter von drei Jahren unternahm er die ersten musikalischen Gehver­ suche auf selbst gebastelten Instru­ menten und mit sieben begann er mit klassischem Klavierunterricht. Einige Jahre später folgte der Wechsel auf die Gitarre und mit 17 begann er sein 5-jähriges Gitarren-Studium an der Academy of Con­ temporary Music. Im Jahr 2000 gründete er mit Freunden das Label Bitboutique Records, wel­ches seither mit qualitativ hochstehenden Releases auch ausserhalb der Landesgrenzen für Aufsehen sorgte. Als ehemaliger Teil von ‹Cycle Repair›, die im Dezember 2002 die Dancefloorknaller ‹Merry Xmas› und ‹Husband› mit den Vocals des ehemaligen Freakpower Sängers Ashley Slater auf Bitboutique veröf­ 66

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fentlichten, präsentierte sich RX als Live-Act an di­versen Parties und Events. Es folgten mehrere Resi­­dents u.a. im Rohstoff­lager, UG Club und der Tonimol­kerei sowie Boo­kings in allen angesagten Clubs der Stadt Zürich und in anderen Städ­ten der Schweiz. Seit Anfang 2006 zeichnet er sich für das Partylabel ‹Rakete› verantwortlich, das monatlich den Hive Club bis unter die Decke füllt. Mit seinem DJ-Partner Adrian Flavor (Animal Trainer) bestritt er, eben­ falls im Hive Club, seine ganz eigene Clubnacht, die ‹Ani­mal Farm›, und seit 2007 den ‹Nacht­express 2007›. Nebst seinen DJ-Aktivitäten spielte RX Gitarre in der HC/ Screamo Band ‹Dying in Motion›, mit der er be­reits ganz Europa be­reiste und auf verschiedenen Labels releaste.

03:17

The Beatles: Eleanor Rigby

Hell Yeah! Es war 1986. Unbestritten DAS Jahr, welches den Metal nach­ haltig und für immer verändern und beeinflussen wird. Neben Master of Puppets von Metallica erschien im selben Jahr Reign in Blood von Slayer und sie erschufen damit schlichtweg DAS Meisterwerk des Trash Metals, knappe 30 Minuten lang und ehe man realisiert hat, dass es angefangen hat, ist’s auch schon wieder vorbei und hinterlässt ein Gefühl, von einem Lastwagen überfahren worden zu sein, und man möchte sein Haupthaar schütteln und böse Grimassen schneiden dazu!

03:27

A Tribe Called Quest: Oh my God Wenn man heutzutage den Fernseher einschaltet und man von all diesen komplett Talent-amputierten und FakeBlingBling-Plastik-Wohlstands-Markenklamotten-Homies berieselt wird, könnt einem ja schon irgendwie die Lust auf guten Rap vergehen. Nicht das es keinen guten Hip Hop mehr gibt, aber die ‹Golden Era› wird wohl, für mich, die beste Zeit des Hip Hops bleiben. 1993 erschien auch Midnight Marauders von A Tribe Called Quest. Das ganze Album wird getragen von gekonnt arrangierten Beats mit vielen Jazz Samples, so richtig dicken Beats, coolen Interluds und dem einzigartigen Flow von Q-Tipp und Phive Dawg!

04:03 Acid Jesus: Radiation EP

Mit genau dieser Platte lernte ich, dass Techno auch cool sein kann und verliebte mich unsterblich in den 4⁄4 four to the floor. Diese Platte erschien lange bevor Minimal zum Unwort wurde, ich denke, es muss 1994 gewesen sein, und zeichnet sich durch düstere und sehr monotone Grooves, coole Acid Lines und gaaanz viel Hall Perkussion aus. Hinter Acid Jesus steckten übrigens keine geringeren als Roman Flügel und Jörn Elling Wuttke, heute wohl besser bekannt als ‹Alter Ego›.

03:29 NOFX: Lori Meyers

Obwohl ich weder Skateboarden noch Snowboarden zu meinen Freizeitbeschäftigungen zählte, war dies der Soundtrack zu einem Sommer voller Flausen, inklusive ersten Bekanntschaften mit Alkohol-Abstürzen, Haschpfeifen und Fummeln hinter dem Schulhaus. Allerdings nicht mit dem Nach­bars­ mädchen Lori, wie in jenem Song beschrieben, aber für NOFX gilt ganz klar: oft kopiert, nie erreicht, (fast) immer gut und macht einfach Laune. Immer noch.

04:59

Nine inch Nails: Hurt Wohl einer der ganz wenigen Songs, der von Johnny Cash neu interpretiert nicht besser wurde (Cash Fans mögen mich steinigen). So schnell wird in Bezug auf Schauerästhetik und Pathos Trent Reznor keiner das Wasser reichen können. Für mich war’s der postpubertäre Sountrack schlechthin und die Kombination von harten Gitarren mit Industrial und Synthie Klängen hat nie besser geklungen: ‹I hurt myself today, to see if I still feel›

03:09

Duke Ellington: It don’t mean a thing if it ain't got that swing Ja, ganz klare Ansage. It’s all about the groove baby! Ein zeitloses Motto einer unvergesslichen musikalischen Ära, welche mich immer wieder berührt, mir ein Lächeln auf die Lippen zaubert und mich zum energischen Mitschnippen und Wippen animiert. Ob­ schon man hier noch zig andere Swing Klassiker berücksichtigen müsste, ist dies doch einer meiner persönlichen Highlights und Duke Ellington einer der ganz grossen Komponisten des letzten Jahrhunderts. Text: Samy Gmür Foto: Promo


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Jealousy in Harmony

Trotz der Erfolge mit ihrem Debütalbum haben sich ‹Dark Captain Light Captain› ihren Ruf als Geheimtipp bewahrt. kinki-Redaktor Rainer Brenner sprach mit Frontmann Dan Carney über Stimmharmonien, Entstehungsgeschichte und Zukunftspläne der sechsköpfigen Londoner Band.

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s gibt Bands, die sind Geschmacksache: Sei es die Stimme des Sängers, der Musikstil, die Melodien oder was auch immer, die meisten Bands müssen im Zeitalter unendlicher Auswahl damit rechnen, mit ihren Songs (sei es aus persönlichen Gründen oder einfach nur aus purer Missgunst) ebenso viel Lob wie Kritik zu ernten. Glaubte ich. Denn als ich neulich im Netz auf die wunderbaren Songs der britischen Band mit dem sperrigen Namen ‹Dark Captain Light Captain› stiess, war ich davon überzeugt, dass dieser Fund restlos alle Menschen begeistern würde, die ich an diesem musikalischen Schatz teilhaben lassen würde!

Natürliches Wachstum

Mit der Single ‹Jealous Enemies› schafften es die Londoner vom Geheimtipp zur Single der Woche auf I-Tunes USA, ihr Debütalbum ‹Miracle Kicker› erntete sowohl dies- als auch jenseits des Teichs sagenhafte Kritiken bei Musikmagazinen und Radiostationen. Es scheint also, als dürften wir es bei Dark Captain Light Captain wirklich mit einer Band zu tun haben, die die Menschen nur durch ihre wunderbaren Songs und ihre Affinität für herzschmelzende Harmonien in ihren Bann zieht, denn so unscheinbar wie die sechs Bandmitglieder, so genügsam zeigt sich auch ihre Beziehung zum eigenen Erfolg. ‹Da wir bei einem ziemlich kleinen Label (Loaf) unter Vertrag sind, können wir uns keine ausschweifenden Touren rund um den Erdball leisten›, erklärt der bärtige Sänger Dan Carney. ‹Trotzdem waren wir innerhalb Grossbritanniens schon ziemlich viel unterwegs, und für März ist ein Auftritt in Texas, vielleicht auch einige Shows in Frankreich und Deutschland geplant. Wir verfügen über keinen konkreten Tourplan oder so was in der Art, genau deshalb macht uns das Ganze auch so viel Spass.› Dan steckt mitten in seiner Doktorarbeit in Psychologie und ist Vater eines zweijährigen Mädchens (das auf seinem Mobiltelefon öfter mal die Redial-Taste drückt, und ihrem Vater somit ein paar kostspielige Anrufe in die Schweiz bescherte), ‹und auch alle anderen Mitglieder unserer Band haben interessante Jobs und private Verpflichtungen›, auf welche sie nicht verzichten wollen. Angefangen hatte dieses Projekt nämlich alles andere als spektakulär: Dan und Neil trafen sich gelegentlich zu kleinen Sessions und spielten ein paar Gitarrensongs in ihren Laptop, ‹alles entwickelte sich irgendwie ganz von al68

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leine. Irgendwann wurden wir für einen Gig angefragt und erweiterten die Band, sodass wir auch live auftreten konnten. Wir sind jetzt fast schon zu einer Akustik-Band geworden, allerdings nur deshalb, weil wir von Konzert zu Konzert mit dem Zug reisten und keine Lust hatten, irgendwelche Verstärker mit uns rumzuschleppen›, erklärt Dan. Mittlerweile ist die Zwei-Mann-Band zu einer richtigen kleinen Kapelle mit Einfüssen aus verschiedensten Musikstilen angewachsen: Neil Kleiner, verantwortlich für die Elektronika, spielte früher Jazz im Steve Reid Ensemble, Chin Of Britain, der Drummer, spielte bei einer Band namens Quickstep und der Bassist Mike Cranny und die Dame am Flügelhorn, Laura Copsey, lernten sich in einer Country/Folk-Band kennen. Genau diese undefinierbare Stilmischung und die fast schon meditative Instrumentierung ist es, die den Teppich unter Dark Captain Light Captains mehrstimmige Lieder legt. Bei jeder anderen Band ertappt sich der Zuhörer nämlich sicherlich immer wieder beim Summen von ergänzenden Harmonien, bei DCLCs Songs ist das aufgrund der unglaublichen Dichte an Vocals gar nicht möglich: ‹Es ist schwierig, eine Harmonie nicht aufzunehmen, wenn man sie erst einmal gefunden hat! Ausserdem bin ich ein grosser Fan von Elliot Smiths gedoppelten Vocals und alle in der Band singen gerne. Deshalb sind unsere Songs fast immer mehrstimmig, was ihnen einen choralen Charakter verleiht. Aber das Singen und Erstellen von Harmonien mit den Anderen bedeutet mir sehr viel. Mehr als die Gitarrenarbeit sogar.›

das Cover-Artwork – welches Drummer Chin gestaltete und auf welchem Vögel apokalyptischen, brennenden Landschaften entfliehen – als auch durch den Albumtitel zeigt sich jedoch, dass DCLC nicht einfach nur rumjammern, sondern sich über Dinge Gedanken machen, die ihren Alltag prägen: ‹Der Titel bezieht sich darauf, dass wir unseren Mitmenschen ihr Glück nicht vollends zu gönnen scheinen. Zwar freut man sich, wenn es dem anderen nicht zu schlecht geht, doch zu grosses Glück – so scheint es mir – bleibt unvergönnt.›

Eifersüchtige Feinde

Ich hoffe, dass man dieser Band ihren wohlverdienten Erfolg auch weiterhin gönnen wird und wir von ihnen viele weitere Alben erwarten dürfen, denn die zeitlose Mischung aus Folk, Pop und Instrumental kann nicht anders, als ihre Hörer zu überzeugen. Auch der umständliche Name (‹Ich gebe zu, er ist ein wenig «wordy», und ich komme mir wie ein Volltrottel vor, wenn ich das sage, aber wir mochten die Symmetrie der Worte›) bildet in Zeiten der Kürzel und Initialen eine willkommene Ausnahme und widerspiegelt auf sehr passende Weise die Ruhe, die ihren Tracks zugrunde liegt. Natürlich werden sich auch hier böse Zungen finden, die den Sound von Dark Captain Light Captain als eintönig und einschläfernd empfinden werden, doch Dan Carney und seinen Bandkollegen dürfte das ziemlich egal sein: ‹Mir ist egal, was die Leute tun, während sie unsere Musik hören. Solange sie unsere Musik dazu hören, dürfen sie dazu tun und lassen, was sie wollen›, kontert er. Und ganz ehrlich: Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen als zu den Klängen von ‹Jealous So wechseln sich auf ‹Miracle Kicker› ruhige ge- Enemies› oder ‹Circles› einzuschlafen! zupfte Saiteninstrumente mit wenigen elektroniRainer Brenner schen Einflüssen und dem für die Band charakte- Text: Foto: Loaf Recordings ristischen Flügelhorn ab und unterstreichen so Dans nachdenklichen Texte: ‹Ich neige dazu, Dark Captain Light Captain: ‹Miracle Kicker› (Loaf), über Dinge zu schreiben, die mich ankotzen, aber www.myspace.com/darkcaptain das kann sich sicherlich auch irgendwann einmal ungekürzte Fassung des ändern›, scherzt Carney. ‹Ich fühle mir ziemlich Die Interviews mit Dan Carney findet schnell auf die Füsse getreten, wenn jemand ihr auf www.kinkimag.com falsch reagiert, und das verarbeite ich dann in meinen Songs. Keine Ahnung, ob das gesund ist, aber es scheint zu funktionieren. Dieses Album hat schon einen ziemlich negativen Touch, doch ich denke, das wird nicht ewig so bleiben.› Dan Carney scheint nämlich weder unglücklich mit sich und seinem Umfeld noch verbittert zu sein. Durch

Apokalypse und Alltag


Lob fĂźr Londons leise TĂśne: DCLC erleuchten mit ihren Melodien selbst die dunkelsten Seiten des Lebens.

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‹album des monats› Von der Redaktion gekürt. Dear Reader: Replace Why With Funny

1.

Way of the World:

Während der Aufnahmen entschieden wir uns, diesen Song ganz einfach eigentlich fast schon wie live einge­ spielt aufzunehmen. Brent hatte die Idee, um die Rauheit und Einfachheit des Songs zu unterstützen, das Ge­ räusch einer Tür einzubauen, welche sich öffnet. Es sollte sich anhören, als trete man in einen Raum, wo gerade eine Bigband jamt. Wir rannten also alle wie wild von Instrument zu In­ strument und legten am Schluss dann mehrere Schichten dieser Geräusche übereinander. Das war definitiv einer der lustigsten Momente im Studio!

Die Musik zu diesem Track stammt von Darryl, darum ist der Track auch etwas leichter und funkyer als jene, die ich alleine komponiert habe. Ich lernte die Gitarrenlinie und steuerte danach Melodie und Text dazu bei. Der Song handelt von einem dieser Tage, an denen man einfach nicht aus dem Bett steigen will, weil sich das ganze Leben grau und monoton anfühlt. Die Inspiration dazu war mein eigener Le­ bensweg: Ich bin Mitte zwanzig, habe keine Ahnung, was die Zukunft für mich bereithält.

2.

Dearheart: Die meisten Songs auf diesem Album handeln vom Jungen, der mir damals als erster mein Herz gebrochen hat. Irgendwie scheint Herzschmerz mich mehr zu inspirieren als fröhliche The­ men. ‹Dearheart› ist das einzige Lie­ beslied auf diesem Album, ich schrieb es als Geschenk zu seinem Geburts­ tag, in den besten Zeiten unserer Be­ ziehung. Eigentlich war der Song ur­ sprünglich viel unbeschwerter, doch Brent Knopf, unser Produzent, brachte diesen schleppenden Beat ins Spiel, den ich interessant finde, weil er mit dem ewigen Zwiespalt zwischen Licht und Dunkel spielt und somit dem Song eine neue Perspektive verleiht.

3.

Great White Bear:

M

itten in der überbevöl­ kerten, von Rassismus und Kriminalität ver­ unstalteten Hauptstadt Südafrikas findet sich ein zartes Pflänzchen, wie es schwieriger zu be­ schreiben kaum sein könnte: Dear Reader blühen der Welt auf ih­ rem Debüt mit einer unvergleich­ lichen musikalischen Mischung aus sanften Popmelodien, gewaltigen Streicherensembles und einer Stim­ me, wie man sie lange nicht mehr gehört hat, entgegen. Die Band setzt sich aus der 24-jährigen Cherilyn McNeill, die sich schon im Teenager­ alter ihr Taschengeld mit Piano­ lektionen verdiente und zudem mit oben beschriebener Stimme ge­ segnet ist, sowie Darryl Torr zusam­ men. Der gelernte Tonmeister und Studioingenieur hat sich in- und aus­ serhalb Afrikas schon als Produ­zent einen Namen gemacht und als solcher sogar bereits seinen ers­ten Grammy im Regal stehen. Be­ einflusst wurde das talentierte Duo nach eigenen Angaben vor al­ lem von der amerikanischen Art-

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Rock-Band ‹Menomena›, deren Kopf, Brent Knopf, deshalb auch bei den Aufnahmen zu ‹Replace Why With Funny› an den Reglern sass. So verschanzte sich das damals noch unter dem Namen ‹Harris Tweed› musizierende Duo über zwei Wochen hinweg in einem der hässlichen, Hochsicherheitstrakt-mässigen Be­ tonbunker, die in Johannesburg das Stadtbild prägen, und trat mit neuem Bandnamen und einem Album in der Tasche, das dieses Jahr sicherlich für viel Furore sorgen dürfte, ans Tageslicht. Zwischen er­ digen Pianoklängen und orches­ tralen Ausfallschritten finden sich nämlich Melodien, die trotz aller Experimentalität nichts an Eingän­ gigkeit verlieren, persönliche und politische Texte sowie die StimmEntdeckung 2009 schlechthin! Cherilyn kommentiert im Folgenden die Tracks ihres Debütalbums für euch. Live zu hören gibt’s Dear Rea­ der übrigens noch diesen Frühling, denn im Vorprogramm von Sophia werden die Südafrikaner im März auch die Schweiz besuchen!

6.

Release Me:

Zu diesem Song inspirierte mich das Songwriting unserer schwedischen Kollegen ‹Marching Band›, die zu je­ ner Zeit nach Südafrika gekommen waren, um mit uns zu touren. Woher genau ich die Idee hatte, mich in ei­ nem grossen weissen Bären zu ver­ stecken, kann ich leider auch nicht erklären. Es fühlte sich einfach gut an, meine Gefühle in einer fiktiven Geschichte auszudrücken, das Bild des Bären ging mir einfach immer wieder über die Lippen, also baute ich es ein.

4.

Never Goes: Wir pushten das melodramatische Feeling dieses Songs bis ans Limit, als wir damit ins Studio gingen! Trotzdem gibt es auch immer wieder fast schon komische Stellen in diesem Track, zum Beispiel wenn der Chor ‹She’s alone› singt, in Kombination mit dieser Violi­ ne. Der Song scheint sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen und ich finde, genau das sollten auch wir manchmal tun. Wir sind uns übrigens alle einig, dass der mittlere Teil sehr an einen James-Bond-Soundtrack erinnert!

5.

Out Out Out: Ich hatte eine Menge Spass beim Schreiben dieses Songs und wir alle spielen ihn auch sehr gerne live! Wenn wir ‹Out Out Out› spielen, können wir auf der Bühne endlich ein bisschen abrocken, es fühlt sich manchmal an, als verwandle ich mich beim Spielen dieses Lieds in jemand anders, wenn ich singe. Brent und ich spielten die abfallende Pianoline vierhändig ein, jeder auf seiner Hälfte der Tastatur, denn das war einfach viel zu schwie­ rig, um es alleine einzuspielen.

7.

Bend: Ich schrieb diesen Song am Tag, nach dem mein Freund mit mir Schluss ge­ macht hatte. Das Schreiben war wohl eine Art Therapie für mich, was erklä­ ren könnte, warum sich die musika­ lische Phrase immer und immer wie­ der wiederholt. Die repetitive Melodie war einfach der simple Teppich, fast schon eine Art ‹Vehikel› für die vielen Worte, die ich ihm noch zu sagen hat­ te, als er mich schon verlassen hatte. ‹Bend› ist einer meiner absoluten Fa­ voriten auf diesem Album.

8.

The Same: Dieser Song unterscheidet sich ziem­ lich von den anderen Tracks auf ‹Re­ place Why With Funny›. Ich wollte in den Lyrics meine Frustration über das Leben hier in Südafrika zum Ausdruck bringen. Ich wollte das grosse Durch­ einander verschiedenster Gefühle be­ schreiben, die ich für dieses Land empfinde: Liebe, Hass, Hoffnung und Frustration, die vielen Gegensätze in meiner Empfindung für dieses Land.

9.

What We Wanted: Ich hatte diesen Song auf der Gitarre geschrieben und kann mich noch ge­ nau daran erinnern, wie Darryl mein­ te, das Intro töne zu sehr nach ‹Hey There Delilah›, also setzte ich mich ans Piano. Wir haben im Studio nicht viel an diesem Track verändert, wir fanden, die Stärke dieses Songs spre­ che für sich selbst. Brent missver­ stand die Zeile ‹till the girl dutifully› als ‹tell that girl Judith she›, das wur­ de dann zu so einer Art Running Gag während unserer Studiozeit.

10.

I Don’t Want It: Dieser Song wurde ursprünglich im­ mer nur ‹The Sad One› genannt. Ei­ gentlich nennen wir ihn unterein­ ander immer noch so, auch wenn er mittlerweile einen richtigen Titel ge­ kriegt hat. Die Idee, einen Hidden Track aufzunehmen, der auf dersel­ ben Melodie beruht wie das letzte Lied, kam von Brent, wir nennen ihn ‹The Sad One Rock›, haben aber lei­ der noch nicht rausgekriegt, wie wir ihn live spielen könnten. Dear Reader: ‹Replace Why With Funny› (tba) erscheint Ende Februar. Text: Rainer Brenner Interview: Cityslang Records Foto: Marcus Maschwitz



‹soundcheck› Nach diesen Scheiben wirst du süchtig. Ihr fragt euch sicherlich, wie unser Musikredaktor Florian Hennefarth es schafft, sich jeden Monat durch die unzähligen Neuerscheinungen durchzuhören. Hat er mehr Ohren als wir? Verändert er das Raum-ZeitKontinuum? Oder schläft er einfach nie? Wir kennen sein Geheimnis leider auch nicht, werden bei Gelegenheit aber einen genaueren Blick auf seine Ohren werfen…

Pop mit künstlerischer Grösse

es auch auf den Punkt. Nicht nur der Name ist nämlich schwer zu umschreiben, sondern auch die Musik. Intelligenter Indierock trifft es wohl ganz gut, wegweisendes Song­ writing auch ein wenig, ein Mikro­ kosmos musikalischer Kreativität haut den Nagel aber voll auf den Kopf. Auch in ihrem neuesten Werk ‹Vom Feuer Der Gaben› unter­ mauern die deutschen Hauptstädter einmal mehr ihre Ausnahmestel­lung in der deutschsprachigen Musik­landschaft–nämlich die perfekte Melange aus eingängigem Pop, künstlerischer Grösse und SongtexKlez.e: ten, die vor herzerweichender Poesie Vom Feuer und Magie regelrecht triefen–als Der Gaben Hörer saugt man sich voller Impres‹Klez.e› – sionen und entschwindet so in was soll das Welten voller Liebe, Melancholie und denn sein? Wärme. Ein gengezüchtetes Kraut, dass sich Mit ihrem bereits dritten Album ganz wunder­bar auf Pizza oder in der liefern Klez.e nichts weiter als Wasserpfeife macht, oder viel­ein Kunstwerk der Gesamtheit ab und leicht doch die deutsche Antwort auf beweisen einmal mehr, dass Bloc Party und Konsorten? Ob die Mainstreamtauglichkeit und progresBerliner Buben nun gerne an der Was- sives Liedermachertum sehr wohl serpfeife ziehen, weiss man nicht zusammenpassen. Oder wenn man so genau, über ihren recht kon­fusen die Buben einfach selbst zitieren Band­namen haben sie sich je­doch möchte: ‹Wir ziehen an der Zeit. Ein Gedanken gemacht: ‹Er gibt Augenblick wird zur Ewigkeit› Raum für eigene Interpretationen. Wir – und das ist nichts als die Wahrwollen keinen Namen, der die heit! Sache sofort beschreibt›, erklärt Bandkopf Tobias Siebert, und das trifft

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Röhrenjeans und Karohemdchen

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Morrissey: Years of Refusal

Es gibt Genres, in denen kann es eigentlich nie genug Nachschub an neuem, frischen Blut geben, und es gibt Sparten, in denen man der natürlichen Aus­lese dringend und mit aller Gewalt auf die Sprünge helfen sollte. Zur letz­ teren Kategorie gehört mit Sicherheit der Indie dieser Tage. Monotone Bands bevölkern die Charts, alle wollen sägen wie Franz Ferdinand oder Mando Diao und oftmals scheinen die Bands nicht nur die Kla­ motten untereinander zu tauschen, sondern sogar denselben Styl­isten zu besuchen. Morrissey ist anders! Warum? Nun ja, er hat’s schliesslich er­funden. Seit seiner Zeit


bei den Britpop-Rebellen ‹The Smiths› schreibt der Gentleman unter den Musikern düstere, miese­ petrige und an­prangernde Musik, die aufweckt und nachdenklich stimmt. Auch auf seinem neuen Album ‹Years of Refusal› ist dies nicht anders. Da ha­gelt es einmal mehr Midtempo-Hymnen voller Liebe, Sex und Gewalt, Politik, Nihilismus und Religion, sprüht es vor sägenden Riffs und dunkel-poetischen Lyrics. Oder drücken wir es kurz und knapp aus: So würde Indierock heute klingen, wenn die Bands auch nur ansatzweise genug Eier in der Hose hätten, kreative Stilbrüche einzugehen und exzellentes Songwriting einem Chart-Entry vorzuziehen. Morrissey beweist einmal mehr, dass einen Künstler eben doch mehr ausmacht als eine super hippe Frisur, hautenge Karohemdchen und fies aussehende Röhrenjeans. Nämlich Charme, Intelligenz und Cha­rakter. Dieses Werk könnte daher nicht nur seiner Anhängerschaft gefal­len und diese inspirieren, sondern genauso gut auch bei Alt und Jung, Melancholikern und Erlebnis­süchtigen punkten. Das hier ist ein Album für die Massen!

Was die Leute wollen

Timbaland–und so ging es auch Kevin Rudolf. LL Cool J oder die Black Eyed Peas campierten schon in seinem Tonstudio in Miami und verdanken ihm nicht zuletzt auch ein Stück weit ihren Erfolg. Diesen möchte Herr Rudolf aber nun gerne selbst einsacken und zwar mit seinem ersten eigenen Langspieler ‹In The City›. Und wenn man sich durch diesen modern klingenden Silberling so durchhört, fällt auch eins gleich ins Ohr: der Kerl weiss, was die Leue wollen. Rock trifft auf R’n’B, Elektrosounds auf poppi­ge Melodien und Gitarrenriffs, und so ganz nebenbei hat Kevin auch noch ein ganz süsses Stimmchen. ‹In The City› ist jedoch eine Scheibe, die wohl­gemerkt von Rudolf komplett alleine produziert, geschrieben und ein­gespielt wurde, und das hebt sie auch von ähnlich klingenden Scheiben ab. Denn, sind wir mal ehrlich, Elektropop bekommt man heute doch schon an jedem Tankstellen-CD-Regal zwischen Ku­ schelhits und Sil­bermond, doch ‹In The City› ist anders – nämlich laut, treibend und ein­gängig. ‹In The City› ist ein Album das Spass macht und Lust auf mehr. Man kann nur hoffen, dass uns Kevin Rudolf auch in Zukunft mit diesem fluffigen Mix aus Elektropop und Blackrock versor­gen wird und somit für die ein oder andere durchtanzte Nacht garan­tieren kann. Wir garantieren zumindest mal, dass dies Scheibchen hier noch voll durchstarten wird.

WildwestSzenarien im Kopf

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Statt in einen Kessel mit Zaubertrank ist Florian Hennefarth aka Henne aka The Reviewnator als Kind in eine 3000-Watt-Box gefallen. Seitdem kann er ohne Musik nicht mehr leben und durchlauscht für uns alle relevanten Neuerscheinungen. Bewertungsskala 1–10 (1 = voll beschissen, 10 = megacool)

Kevin Rudof: In The City

Kevin Rudolf ist schon ein ganz gewitzter: Während andere New­ comer sich den Podex wundspielen müssen, um überhaupt ein wenig Beachtung geschenkt zu bekommen, ist Herr Rudolf eigentlich schon seit Jahren ein ganz grosser–ihn kennt nur noch keiner. Es kommt eigentlich nicht selten vor, dass erfolgreiche Produzenten irgendwann nach mehr lechzen, als nur hinter den Reglern zu sitzen und ihren Schützlingen zu erklären, wie der Sound letztendlich zu klingen hat, so dass man ihn von Schaffhausen bis New York City richtig dufte findet–das beste Beispiel: Hip-Hop-Kuschelbärchen

Stimme. Und nun reiht sich auch William Elliott Whitmore in die Reihe legal produzierender Hobbyphar­ mazeuten ein und liefert mit seinem neuen Album ‹Animals in the dark› einen grossen Topf voller Balsam für die Seele. William Elliott Whitmore lädt ein zu einer Reise hinein in eine Stimmung, welche Sorgen vergessen lässt, in der man sich ein­fach mal gehen lassen kann–und auch zu neuen Gedanken findet. Songs wie ‹Mutiny› stimmen zwar gemütlich, aber auch nachdenk­­lich. Es ist dieser seltsame Nachgeschmack seiner politischen Botschaften à la ‹Let the motherfucker burn›, der das Urlaubsflair ein wenig trübt. Dennoch: trotz aller politischen Attitudes, die man einem gebildeten, engagierten Amerikaner nicht verübeln kann (es gab ja auch Zeiten vor Obama), auch die Lagerfeuerromantik kommt nicht zu kurz. ‹Johnny Law› lässt zu Boots und Cowboyhut greifen und tut im Kopf Wildwest-Szenarien auf–lebhaft, staubig und dennoch typisch Country im mitschaukeltauglichen Viervierteltakt. William Elliott Whitmore liefert mit seinem neuen Album keine Genre-Neuerfindung ab und zelebriert ‹Country at its roots›, dennoch ist diese Scheibe für alle die ein wahrer Leckerbissen, die momentan keine Ruhe finden. Diesen sei einfach nur gesagt: anhören, kurz sacken lassen und dann spielt das Album einfach noch ein zweites Mal. Ich habe es mittlerweile im DauerRepeat!

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William Elliott Whitmore: Animals in the dark

‹Einfach mal ruhig angehen lassen›–mit Verlaub, Folkmusiker haben es einfach raus! Man kann sich zu Country und Folk fallen lassen, die Zeit vergessen und dem hektischen Alltag entkommen–au­ ditives Valium ohne verschreib­ pflichtiges Rezept sozusagen. Und das alles dank einer Western­gitarre und einer kratzig-verrauchten kinki

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Lob und Glanz für Schwarz

Glam rockt den Laden. Schwarze Glanzstoffe, Lack und Leder tummeln sich auf den Laufstegen. Wollen wir verrucht wirken oder sehnen wir uns nach einer Mode mit mehr Futurismus?

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eit gut 500 Jahren ist ‹noir› die Modefarbe par excellence. Wer individuell, besonders, auffallend oder einfach nur ‹sein› will, trägt black. Schwarze Kleidung ist was für Leute, die sich jenseits der Masse und jenseits der Werte der Anpassung sehen. Eben was für Rocker, Punker, falsche Püppchen – bei denen sich die Namen ändern, aber die Lieblingsfarbe bleibt. Der Stoff und sein Glanz erzählen uns seine eigene Geschichte. Samt hat das tiefste Schwarz, Seide die höchste Geschmeidigkeit. In Latex können wir uns spiegeln, in Leder unsere animalischen Ursprünge riechen. Schwarz verzichtet auf Schnörkel, überflüssige Muster und Farbe. Dabei gewinnt es unsere volle Aufmerksamkeit. Für Christian Dior stand Schwarz für Eleganz, für eine Mischung aus Vornehmheit, Natürlichkeit, Sorgfalt und Einfachheit. Doch dass Schwarz viel mehr sein kann, zeigen uns die Kollektionen der Designer von heute und morgen:

Bo van Melskens Das Fashion-Label ‹Bo van Melskens› kreiert Ge-

schichten. Jede Kollektion erzählt eine andere. Diese handelt von der schönen Bo: Die Nacht war voll von Spass, Emotionen und fremden Küssen. Doch am nächsten Morgen verschwand sie in ihrem Abendkleid auf dem Rücksitz eines Motorrades. Voller Wehmut vermissten die Zurückgebliebenen ihre Muse und hofften, dass Bo in ihrem wilden Leben Liebe, Hoffnung und Harmonie finden würde. Im Sommer 2009 steht die Kollektion im Zeichen von ‹Love, Hope & Harmony…›. Die geheimnisvolle Bo hat dabei nur ein Kleid hinterlassen, das an die 60er-Jahre mit der zauberhaften Jeanne Moreau und der jungen Audrey Hepburn erinnert. So schön überrascht Sarah Elbo, die Kreativdirektorin des dänischen Labels, die Modewelt. Das Kleid gibt es in fünf Stoffen von edler schwarzer Seide bis hin zu 100% weisser Baumwolle. Eingearbeitete Patchwork-Streifen machen jedes Stück zum Unikat. www.bovanmelskens.com

Gail Sorronda Weltoffene Erfahrungen und ein dynamischer Hin-

Liebe, Hoffnung, Harmonie: Das dänische Label Bo van Melkskens liess sich von den Ikonen der 60er inspirieren.

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tergrund sind die Inspiration von Gail Reid. Nach ihrem Studium in Mode-Design an der Queensland University of Technology präsentierte sie 2005 ihr eigenes Label ‹Gail Sorronda›. Mit der einzigartigen Kollektion ‹Angel at the table› wurde sie noch im selben Jahr mit dem Mercedes-BenzStart-Up-Award ausgezeichnet. Damit war die junge Designerin in der Modewelt angekommen. Die Kleider wurden über Nacht zum ‹must-have›. In


Latex goes Fashion und raus aus der S/M-Ecke.

In Gail Sorrondas aktueller Kollektion verschmelzen Silhouetten und Materialien.

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Nicht alles, was glänzt, hat Farbe. Schimmerndes Schwarz aus dem Hause Margiela.

Wie eine Reptilienhaut: extravaganter Stilmix à la Margiela.

In Latex können wir uns spiegeln, in Leder unsere animalischen Ursprünge riechen. Schwarz verzichtet auf Schnörkel, überflüssige Muster und Farbe. 76

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Rozalb de Mura präsentiert Oberfläche mit Tiefgang.

Australien, London und L.A. ist Gail ein nicht mehr wegzudenkender Bestandteil der Fashion-Weeks. Zum zweiten Mal präsentierte sie ihre Solo-Fashion-Show 2008 in Australien. Mit ihrer Vorliebe für Struktur und Perspektive zeigt sie immer wieder aufs Neue eine atemberaubende Kollektion. Das Vermeiden von Farben und Mustern stört keinesfalls ihre Kreationen. Im grossen Spektrum der Kollektionen entdecken wir in jedem Kleidungsstück die Liebe zum Detail. Die Mode-Linie ‹bird of prey› zeigt die Verschmelzung von Silhouetten und Material. Die Innovation liegt im verspielten Design und der klaren Stofflichkeit. In der ‹white knight›-Kollektion sind Materialkontraste stärker eingebunden. Hier entdecken wir matte sowie auch glänzende Stoffe. Selbst Latex-Optik ist in dieser Kollektion zu sehen. Die Oberbekleidung erweist sich hier als absoluter ‹Hingucker›. Die Vielzahl an Stoffen und Verarbeitungs-Methoden lässt ein Gleichgewicht in all ihren Kreationen feststellen. Gails Design ist faszinierend! www.gailsorronda.com

Rozalb de Mura Ungewöhnliche Kollektionen entstehen durch aus­

sergewöhnliche Konzepte. Dies zeigt das renommierte Label ‹Rozalb de Mura› aus Rumänien. Es bot von Beginn an professionellen Designern eine Spielwiese. ‹Rozalb de Mura› schafft eine multidisziplinäre Plattform und unterstützt unerwartete Kooperationen zwischen Mode-Designern, bildenden Künstlern, Musikern und Schriftstellern wie Tobias Stenberg, Olivia Plender, Constantin Luser oder der Gruppe ‹Liste Noire›. Mit der ‹The Thing›Kollektion erschafft der Meister Olah Gyárfás aus glatten und glänzenden Materialien hügelige schwarze Gebilde und lässt sich somit bei der Materialverwendung von mehr als nur der reinen Oberfläche inspirieren. Voller Freude zum Detail

zeigt der Designer Kurvenschnitte, versteckte Taschen, Two-in-Ones, falsche Falten und andere geheime Merkmale. Das Fehlen der Farbe ermöglicht einen raffinierten Wechsel von Matt und Glanz. Durch die Farbe Schwarz werden die Materialien veredelt. Wer hat da gesagt, Gestepptes sei nicht glamourös? Olah Gyárfás Projekt gelingt mit simplem Polyamid ein aggressiver Leder-Look. Die bemerkenswerte Two-in-One-Jacke mit abnehmbarer Weste, die sich jeweils einzeln getragen atemberaubend verbinden lässt: Komfort mit einem unglaublichen Retro-Hard-Rock-Gefühl. Die ‹Rozalb de Mura›-Kollektion zeigt eine per­ fekte Mischung aus Outdoor-Rock-Sport- und Abendkleidern. www.rozalbdemura.ro

Maison Martin Margiela

Das rumänische Label Rozalb de Mura zeigt sich hügelig, kurvenreich, gesteppt und erfrischend innovativ.

Seit 20 Jahren gilt Martin Margiela als Mann ohne Gesicht. Ohne grosse Worte kreierte er Mode mit revolutionärer Aussage. Der alte Hase weiss, wo es lang geht, und lässt Männer in seiner Kollektion glänzen. Dabei zeigt er uns, wie man sich als ‹mirror ball› am besten bewegt. Der belgische Designer legt in seiner neuen Kollektion zum 20. Geburtstag Wert auf den unvermittelten Zusammenstoss unterschiedlicher Materialien und Stile. So trifft ein scharf geschnittenes Sakko auf glänzende, eng anliegende Schuppenhaut. Trotz femininer Verspieltheit gibt Martin Margiela dem Mann seine Eigenständigkeit zurück, die sich durch Mut zur Individualität ausdrückt. Er zeigt sich für alles offen und dies mit extravagantem Geschmack. www.maisonmartinmargiela.com Text: Rahel Zoller und Christina Fix

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‹vive la fragrance › Wohlgerüche für Fortgeschrittene. Irène Schäppi verfällt dem zwielichtigen Charme der Vampire und entführt euch ins düstere Reich der bissigsten Düfte. Für schöpferische Höhenflüge empfiehlt sich das Wermutströpfchen ‹A Taste Of Heaven›.

Ein Garant für leidenschaftliche Bisswunden: ‹Dans Tes Bras› bezirzt sogar die Wesen aus der Zwischenwelt.

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pätestens seit dem Kino­ start von Twilight – zu Deutsch: Bis(s) zum Mor­ gengrauen – stehen Mil­ lionen von Teeniespacken jetzt definitiv auf Vampire. Und das obwohl uns bereits Brad Pitt oder Gary Oldman Anfang der 90er so richtig schön das Fürchten gelehrt haben. Trotzdem scheint es für die neugeborene Fangemeinschaft von Bisswunden, flüssiger Rohkost und Melancholie im tragischen Zeitalter der Boybands unabdingbar, Vampirismus mit einer schmalzigen Liebesgeschichte à la ‹how deep is your love?› zu verbinden. Sowie mit einem jugend­ lichen ‹knight in shining armor›. In diesem Fall ist’s die Roman­ bzw. Filmfigur Edward Cullen und wird vom Briten Robert Pattinson – besser bekannt als Cedric Diggory aus Harry Potter – verkörpert. Nun gebe ich entgegen jeder Kritik gerne zu, dass dieser junge Herr (er zählt doch tatsächlich 22 zarte Lenze!) auch in mir den einen oder anderen sündi­ gen Tagtraum losgetreten hat. So geschehen während des Presseter­ mins im Münchner ‹Bayerischen Hof›, wo ich gedanklich allerlei Pläne geschmiedet habe, wie ich den vor mir sitzenden – äusserst männlich an­ mutenden – Wuschelkopf umgeh­ end ins Bett bekommen könnte. Zu meinem Leidwesen war ich mit der Vorstellung, mich von ihm beissen zu lassen, nicht alleine. Bon, auch diese Idee ist nicht gänzlich abwe­ gig, aber der um ihn ausgelöste Hype zieht leider allerlei zusätzliche, schlicht grässliche Folgen nach sich, denn was des einen Freud (Au­ torin Stephenie Meyer reibt sich bestimmt schon ihre Finger wund), ist bekanntlich des anderen Leid. So musste ich mit Entsetzen feststellen, dass es unterdessen ein so ge­ nanntes Twilight­Parfum (nicht zu ver­ wechseln mit dem gleichnamigen Eau de Toilette von SATC­Darstelle­ rin Sarah Jessica Parker) zu kaufen gibt. Nun erinnert der Twilight­Flacon sehr an ‹Nina› von Nina Ricci und der Duft selbst, bestehend aus La­ vendelextrakt und Freesien, dürfte die jeweilige Trägerin der Süsse voll einnebeln oder schlicht in die Ohn­ macht treiben. Zum Glück ist dieses Wässerchen noch nicht bis nach Europa hinüber geschwappt, weshalb ich die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und mich auf die Suche nach Düften gemacht habe, die Vampir­ Bohos würdig sind. So zum Beispiel das exklusive Parfum ‹A Taste of Heaven› by Kilian (Eau de Parfum, 50ml um CHF 314.−), welches die grüne Fee olfaktorisch ganz wun­ derbar interpretiert. Mit der grünen Fee ist nun aber nicht Tinkerbell ge­

meint, sondern die aus dem schwei­ zerischen Val de Travers stammende Wermutspirituose, welche Berühmt­ heiten wie Charles Baudelaire oder Oscar Wilde zu literarischen Hö­ henflügen inspiriert haben sowie über magische Kräfte verfügen soll. Zu­ dem galt Absinth Ende des 19. Jahr­ hunderts auch als wunderbares Aphrodisiakum, wie man in Francis Ford Coppolas Verfilmung ‹Bram Stoker’s Dracula› sehr schön erken­ nen kann. Darin gibt sich Winona Rider nämlich als Draculas Geliebte Mina dem vermeintlichen Prinz Vlad alias Dracula (fantastisch von Gary Oldman gespielt) inmitten eines Kerzenmeers hin und geniesst wäh­ renddessen das eine oder andere Glas der berühmt­berüchtigten ‹fée verte›. Nicht minder verführerisch kommt nun auch oben erwähntes Par­ fum ‹A Taste of Heaven› daher, das mittels Bergamotte, Absinth­No­ ten und Amber die Frauenwelt in himmlische Sphären geleitet und so­ mit hoffentlich um das eine oder andere amouröse Abenteuer berei­ chert. Hierfür verantwortlich ist übrigens die famose Nase Calice Becker, die schon den einen oder anderen duften Beitrag zum ‹L’oeuvre noire› geleistet hat. Ein weiterer Liebling der Kinder der Nacht dürfte ferner ‹Dans tes bras› (Eau de Par­ fum, 50 ml um CHF 174.−) von Edi­ tions de Parfums Frédéric Malle werden. Denn dieser einzigartige Duft – kreiert von Meisterparfumeur Maurice Roucel – verkörpert den sinnlichen Geruch von samtiger Haut par excellence und lässt mittels Sandelholz, Moschus sowie Veilchen­ Akkorden die Sonne aufgehen, ohne dass man dabei gleich zu Asche zerfällt. Schon als kleines Kind bewies Irène Schäppi, unsere Kolumnistin und Duft-Fetschistin, einen guten Riecher. So zum Beispiel, als sie mit vier Jahren den elterlichen Schlafzimmerteppich mit dem damals angesagten Eau de Parfum (!) von Valentino tränkte. Illustration: Raffinerie


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Kunst am Hals

Tote Bambis mit kleinen Ledersäckchen um den Kopf? Silikon- und Silberknochen an filigranen Metallkettchen? Die Zürcher Schmuckdesignerin Beatrice Nydegger hat mit ‹Oh Dear› viel mehr als ‹nur› ein Jewellery-Label geschaffen. Denn hinter dem speziellen Namen verbirgt sich nicht ein Brand, sondern ein Pseudonym. Der modische Aspekt ist dabei nur ein Nebeneffekt.

Von links: Innereien mal anders: ‹You&Me›-Necklace aus Silber mit Latexknöchelchen. Für naturalistische Liebeserklärungen: ‹Heart›-Kette aus eloxiertem Silber. Jäger und Sammler: ‹Bambi›-Kette mit Anhänger aus Silber, geknebelt im Ledersäckchen. Unter der Lupe gehäkelt: Die ‹Cones›-Tannzapfen hängen an einer feinen Silberkette.

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mos, in welchem kein Detail dem Zufall oder der Marketingabteilung überlassen wird. ‹Mir ist es sehr wichtig, dass die Leute «Oh Dear» nicht als Modelabel verstehen, denn was ich mache ist nicht in Kollektionen unterteilt, erscheint zweimal jährlich oder orientiert sich an Trendfarben und Hypes der Saison. Ich würde es als SchmuckKunst bezeichnen, denn jedes der Stücke hat eine Aussage, beinhaltet ein Thema, mit welchem ich mich auseinandergesetzt habe. Deshalb habe ich mich auch dafür entschieden, die Schmuckstücke nicht in Kleiderläden zu verkaufen, sondern nur in ausgewählten Shops, an Ausstellungen und auf Anfrage.› Natürlich darf man sich die kleinen Sil Silberknochen auch einfach nur in die Ohren ste stecken, weil sie einem gefallen, doch Bea überlegt sich einiges mehr, als nur welcher Ohrring zu wel welcher Bluse dieser Saison passen könnte. Das wird vor allem dann deutlich, wenn sie über ihre Inspiration und den Entstehungsprozess der klei kleinen Kunstwerke spricht.

Zwischen Schleifmaschine und Kunstbuch

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igentlich hatte ich mich auf ein kurzes Schwätzchen über Schmuck eingestellt, doch schon bald entpuppte sich der Schnittpunkt zwischen Kunst und Mode als wahrer Schwerpunkt unseres Gesprächs. ‹Ich sehe meine Arbeit irgendwo zwischen Kunst und Design›, erklärt Bea ihr Schaffen und zerkleinert elegant ein Stück des Kuchens auf ihrem Teller. ‹Design muss funktionieren, Kunst nicht. Somit könnte man sagen, dass ich den designerischen Aspekt gelernt habe, die künstlerische Auseinandersetzung dagegen war eher ein persönlicher Vorgang.› Gelernt hat die 31-Jährige ihr Handwerk sowohl an der Designschule in Mailand als auch in verschiedensten Praktika bei Goldschmieden und in einem Praktikumsjahr bei Fendi. ‹Für mich war von Anfang an klar, dass ich gerne Schmuck machen möchte. Allerdings näherte ich mich dem Beruf eher von der gestalterischen Seite her.› Das dürfte erklären, warum die Arbeiten der gelernten Grafikerin und Produktdesignerin stets als Gesamtkunstwerk erscheinen: Von der Hintergrundidee bis zum fertigen Produkt samt Verpackung, Internetauftritt und Ausstellungen organisiert Bea unter dem Namen ‹Oh Dear› seit vergangenem September nicht einfach ein Schmucklabel, sondern sie kreiert einen eigenen kleinen Mikrokos-

In einem kuppelartigen Raum hinter dem Wohn Wohnzimmer hat sie sich ein Atelier eingerichtet, das auf den ersten Blick eher wie eine Zahnarztpraxis anmutet: Schwere Schleif- und Poliermaschinen und etliche kleine Werkzeuge prägen das Bild auf der rechten Seite des Raums. Linkerhand hinge hingegen springen einem Beas Inspirationsquellen in Form von ausgeschnittenen Bildern, an die Wand geklebten Materialproben und Fotos entgegen. ‹Das Thema Natur interessiert mich schon sehr. Ausserdem verfüge ich über eine ziemlich morbi morbide und düstere Seite, welche in meinem Arbeiten sicherlich mehr zum Ausdruck kommt als im All Alltag›, meint Bea und lächelt verschmitzt. Abgese Abgesehen von der ausgesprochen intensiven Auseinan Auseinandersetzung mit den einzelnen Stücken ist es aber auch der ausgefallene Materialgebrauch und die ungewöhnliche Formensprache, die ‹Oh Dear› von einem gewöhnlichen Schmucklabel unter unterscheidet. Eigentlich kann man sich die zierliche Frau nur schwer am Schmiedeblock vorstellen, der in ihrem Arbeitszimmer steht. Aber auch wenn der grösste Teil ihrer handwerklichen Tagesarbeit aus sehr feinem Handwerk besteht, verlangt dieser Job doch einiges mehr als nur ein bisschen Schleifen und Polieren. ‹Vor ein paar Wochen holte ich mir in Saas Fee neun abgetrennte Gemsköpfe. Um an die Zähne zu kommen, welche ich für meine nächsten Arbeiten verwenden möchte, musste ich das Fleisch abkochen und die Zähne aus dem Kiefer brechen›, meint Bea und rümpft die Nase. Die morbide Seite dürfte ihrer Arbeit also auch in Zukunft erhalten bleiben.

deinem Namen dafür eintreten, meinte zum Beispiel ein Freund von mir, als wir meinen ersten Pressetext verfassten.› Nicht die Person, sondern das Werk soll bei ihrer Arbeit im Vordergrund stehen, verbesserte Bea ihren Kollegen. Trotzdem dürfte der Begriff der Schmuck-Kunst für viele Leute immer noch schwer zu begreifen zu sein. ‹Ich wusste eigentlich auch nicht, dass so etwas existiert, bis ich selbst damit angefangen habe. Allerdings sind es wirklich nur eine Hand voll Leute, die das machen›, meint Bea und zuckt mit den Achseln. Natürlich war diese anfängliche Arbeit auch mit viel Organisation und Experimenten verbunden: ‹Ich musste mir viele der Techniken selber aneignen. Natürlich kriege ich noch heute zum Teil Unterstützung und hilfreiche Tipps von diversen befreundeten Goldschmieden und dergleichen, aber vieles lernt man halt auch einfach, indem man es einfach mal ausprobiert.› Bei ihren Porzellanohrringen, welche sie in einer wattierten Dose lagert, half ihr beispielsweise eine Puppenbauerin, den Umgang mit neuen Materialien erlernt sie allerdings weitgehend autodidaktisch. ‹Die Materialien sind eigentlich alle aus der Schweiz, ich lege Wert darauf, zu wissen, woher die Rohstoffe kommen. Ausser bei den Steinen, da muss ich auch auf ausländische Importeure zurückgreifen, denn ein Grossteil der Steine wächst bei uns ja nicht› − Bea stockt und sieht mich mit grossen Augen an: ‹Wachsen Steine eigentlich? Kann man das überhaupt so sagen?› diese Frage wird sie bis zum Ende meines Besuchs nicht mehr loslassen und ich bin mir sicher, dass sie bei unserem nächsten Treffen eine passende Antwort dazu bereithalten wird. Denn Bea macht sich zu wirklich allen Aspekten ihrer Arbeit auch ihre Gedanken. Weitere Infos auf: www.ohdear.cc Text: Rainer Brenner Fotos: Gian Paul Lozza

Wachsen Steine? Doch was für eine Geschichte verbirgt sich ei-

gentlich hinter dem Namen ‹Oh Dear›? ‹Willst du die ehrliche oder eine erlogene Geschichte hören?› fragt Bea und lässt damit vermuten, dass die Geschichte schnell erzählt sein dürfte (‹betrunkene Eingebung›). ‹Viele Leute verwirrt die Tatsache, dass ich meinen Namen hinter einem Pseudonym verberge nochmals zusätzlich. Wenn das schon Kunst ist und kein Label, dann solltest du auch mit kinki

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Sang du Soleil Photography: Giuliano Di Marco Art Direction: 47NORD+™ Model: Anita H. @ Fotogen / Alvaro L. @ Scout Model Styling: Ed @ 47NORD+™ Hair&Make Up: Flash @ 47NORD+™

Sie: Levi’s Bohemian Tie Strap Dress Er: Levi’s Working Hero Shirt / Levi’s Blue Tank / Levi’s 506

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Levi’s Bohemian Evening Shirt / Levi’s Heritage Gathered Knit

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Levi’s Engineered Jeans Double Layer Tee / Levi’s 501

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Levi’s DNA Side Graded

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Levi’s Vintage 1930’s 501 Jeans / Bay Meadows T-Shirt

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Levi’s Heritage Trapeeze Dress

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Levi’s Evening Ruffle Shirt / Levi’s 473 Superskinny

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Sie: Levi’s Darted Waist Blouse / Levi’s 501 Er: Levi’s Vintage 1930’s 501 Jeans / Bay Meadows T-Shirt

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Levi’s Blue Tank

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‹vertreter› Über die wichtigsten Schuhe von 1900 bis heute. heute Name: Freestyle Geburtsjahr: 1982 Typ: Sneaker Hersteller: Reebok

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it monotonem Gebell werden Frau und Mann von ihren hochbezahlten Fitnesstrainern angetrieben, die nicht mehr so knackigen Körper beim Schwitzen zu halten. ‹Und eins und zwei und drei und vier…› tönt es aus den verschwitzten Turnhallen, stets untermalt vom unregelmässigen Quietschen der Gummisohlen. Seit Eric Prydz’ ‹Call on me› werden wir beim AerobicTraining wieder in die 80er-Jahre zurückgebeamt. Nicht nur die Outfits mit zwick-enger Leggins und einem Body in Kontrastfarbe sind wieder da – auch der passende Revival-Sneaker ist back in the future. Der Reebok ‹Freestyle› war einer der ersten Frauensportschuhe, speziell für den Aerobic-Boom Anfang der 80er-Jahre entworfen, und hatte massgeblichen Anteil an der Akzeptanz von Sneakern als Alltagsschuhwerk. Das Original war der so genannte ‹Freestyle-Low-Top-Oxford›-Schuh aus Leder mit gelber Gummisohle. Der erste Reebok wiederum war weiss mit hellblauem Schriftzug und dem britischen Union-Jack auf der Seite. Mitte der 80er-Jahre entwickelt Reebok den High-Top-Freestyle,

der schnell viel populärer als die Low-Top-Version wurde. Der Freestyle-High-Top-Knöchel ist hoch geschnitten und besitzt zwei Klettverschlüsse. Die Sneaker wurden im Laufe der Jahre in weisse, schwarze, rote, gelbe, blaue, rosa, orange und grüne Farbe getaucht.

Welcome to the Present: Wenn ein Classic Geburtstag feiert, lässt sich das die High-Society nicht entgehen!

Mrs. Olympia Cory Everson trug Freestyle-High-Tops häufig im Wettbewerb und auf ESPNs Bodyshaping Programm. Reebok versorgte marketingstrategisch günstig auch die Los Angeles Laker Girls mit weissen Freestyle Hi-Tops in den späten 80er-Jahren. Seitdem haben oder hatten fast alle andere professionellen Cheerleader und Tanzteams Freestyles an den Füssen. Auch bei High-School- und College-Cheerleading-Teams bleiben die Freestyles allererste Wahl. 2007 wurde dann die Special Edition zum 25-jährigen Jubiläum des Reebok Freestyle aus Verkaufssicht ein voller Erfolg. Das hatte auch mit dem Designkonzept zu tun. Die grossen Metropolen Tokyo, New Delhi, London, Paris, Madrid und New York standen dafür als Design-Inspiration Pate. Und natürlich konnten auch die obligatorischen Celebreties als Botschafter der Freestyles gewonnen werden: Tänzer, Sänger und Schauspieler treten in Freestyles in die Öffentlichkeit – wie die französische Pop-Sängerin Yelle, die sich schon längst selbst in einen Aerobic-Schuh verwandelt hat. Text: Christina Fix Illustration: Raffinerie

Dank exzellenter Bodenhaftung und Farben ‹from outter space› scheint dem Reebok Freestyle die Zeitreise geglückt zu sein!

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rider: peter gergely | photo: ruedi fl端ck | design: philippe moesch


Vintage En Vogue

Kimandra. Ein schönes Wort. So nennt sich das Internetprojekt zweier Damen aus Zürich und Stockholm, das seit seiner Lancierung die virtuelle Kundschaft mit schöner Fotografie und ausgesuchter Vintage-Mode beglückt. 94

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Wer bei Kimandra ein Kleidungs­ stücke erwirbt, bekommt nicht nur eine ­Styling-Idee, sondern auch eine ­bestimmte Stimmung oder ein ­Gefühl mit dazu.

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as als kleines Projekt begann, erfreut sich mittlerweile eines grossen Medienechos, der Blog vereint Styling mit Kunst und sticht unter den zahlreichen Vintage-Shops durch besondere Liebe zur Präsentation hervor. Im Frühling 2008 verwirklichten zwei Mädels ihren ambitionierten Mode-Traum: Kim, 22, aus Stockholm, und die gleich­ altrige Andrea aus Zürich gründeten ihr eigenes Fashion-Label. In ihrem Internet-Shop bieten sie unter dem Label Kimandra erlesene Stücke aus zweiter Hand feil. Wer eines der raren Lieblingsteile sein Eigen nennen möchte, schreibt eine Email mit der Artikelnummer und nach erfolgter Bezahlung wird das Kleidungsstück flugs seinem neuen Besitzer zugesandt. Bei Kaffee und Kuchen erzählen Kim und Andrea über ihre Ideen und Ziele. kinki magazine: Worum geht es bei Kimandra?

Kim und Andrea: Wir wollen uns auf unsre Art ausdrücken und möchten den leblosen, unscheinbaren Kleidern neues Leben einhauchen. Die Teile, die wir in unserem Vintage-Shop verkaufen, waren alle einmal Lieblingsstücke von jemandem. Wir möchten durch unsere Präsentation den Anfang einer neuen Geschichte schreiben und die Leute inspirieren. Wer eines der Kleidungsstücke kauft, bekommt nicht nur eine Styling-Idee, sondern auch eine bestimmte Stimmung oder ein Gefühl mit dazu. Wir wollen ausgesuchte und hochwertige Kleidung auf eine spezielle Weise an die Leute bringen. All unsere Stücke sind Einzelexemplare, wir verhökern keine billige Massenware, sondern wollen dem Kunden mit unserer Idee auch den Wert guter Kleidung wieder näher bringen. In einer Zeit, in der einem von Konsum gerich­ teten, kommerzialisierten Modeläden kurzlebige, dem Modediktat unterworfene Massenteile nachgeworfen werden, sind sich die meisten Menschen des Werts guter Kleidung nicht mehr bewusst. Wir achten bei unseren Sachen auf beste Qualität und schöne, zeitlose Schnitte, die auch nach über dreissig Jahren ihre Form und Farbe behalten haben. Labels sind für uns von geringer Beutung. Wie ist Kimandra entstanden?

Mode, Fotografie und Kunst waren seit jeher eine Passion von uns beiden. Das Konzept kam ganz nebenbei an einem gewöhnlichen Nachmittag, nach unzähligen Espressi zustande. Wir hatten nur eine vage Idee und stürzten uns am nächsten Tag, euphorisiert und beflügelt, in ein improvisiertes Shooting: Kim vor der Linse, Andrea am Auslöser. Die Bilder publizierten wir wenige Tage später auf MySpace und die ersten Kinderschritte unseres Projekt waren vollbracht, auf das darauf folgende Medienecho waren wir nicht im geringsten vorbereitet. Warum habt ihr mit Männerbekleidung begonnen?

Vintage und Männermode sind etwa so verschieden wie Martha Stewart und James Bond – was könnte einen mehr motivieren? Nein, im Ernst, unsere Absicht ist es, dem Mann die Angst vor Vintage zu nehmen und diesen

Berührungsängsten mit durchdachten Vorschlägen entgegenzuwirken. Die durchaus positive Resonanz auf unsere Männerlinie bestärkte und ermutigte uns in ­dieser Vorstellung. Wir wollen zeigen, dass Vintage nicht immer trashig aussehen muss, sondern richtig kombiniert durchaus en vogue sein kann. Dieses Statement setzt schon seit längerem Standards in der Frauenmode und könnte eine Erklärung für den momentanen Hype um Vintage sein. Es kann problemlos auch für Männermode angewandt werden.

‹Die Teile, die wir in unserem VintageShop verkaufen, waren alle einmal Lieblingsstücke von jemandem.› Wie entsteht ein typisches Kimandra-Bild?

Generell lassen wir uns von einzelnen Kleidungsstücken inspirieren. In Kombination mit dem richtigen Model und einer besonderen Location ergibt sich das Ganze dann irgendwie von selbst. Das Model ist für uns immer sehr entscheidend, da unsere Fotos von der Persönlichkeit und Ausstrahlung einer Person leben. Das Zusammenspiel von Model und Kleidungsstück beginnt bereits bei der Auswahl: Einerseits schliessen wir vom Stück auf das Model, andererseits gehen wir mit dem Model im Kopf auf die Suche nach Kleidung. Wir inszenieren unsere Kleider nicht steril vor weissen Wänden und an Puppen, sondern an leben­ digen und geheimnisvollen Menschen, an denen uns spezielle Züge besonders gefallen. Man könnte die Fotos als die Konstruktion eines Portraits verstehen. Ansonsten inspiriert uns auch die Strasse. So ist es immer wieder faszinierend, mit welcher Sorgfalt sich ältere Damen ankleiden, die Haare hochstecken und durch die Stadt tingeln, als hätten sie sich stundenlang zurechtgemacht. Diese Haltung der Erscheinung gegenüber ist für uns auch eine Art Inspiration. Wir möchten dieses Gefühl in der heutige Zeit wieder aufleben lassen. In unseren Kleidern steckt auch immer ein Teil der Philosophie, dass es sich lohnt, lieber einen schönen Pullover aus gutem Stoff zu kaufen, statt drei schlechter, die nach einer Wäsche schon an Farbe einbüssen. So wagen wir auch ein kleines politisches Statement und rufen zu einer bewussteren Lebensweise auf. Man könnte auch sagen, wir recyceln Mode, die zu schön ist, um in Vergessenheit zu geraten und inszenieren sie auf unsere besondere Art. Unsere Fotos sollen eine gewisse Haltung, ein besonderes Gefühl vermitteln. Sie sind ­Momentaufnahmen, die suggerieren, wo und wie diese Kleider getragen werden könnten. Text und Interview: Helen Miokoy Fotos: Nina Stiller Weitere Info unter www.kimandra.blogspot.com

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Silently yours photography Jolijn Snijders @ Eric 足Elenbaas Agency styling Jordy Huinder make up & hair Carlijn Beukers @ B Creatives models Nikki Hock @ Success Marthe @ Sps Models

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Seite 98 White jacket: Sjaak Hullekes Shirt: Filippa K SEITE 99 Top: Catta Donkersloot Trousers: Jil Sander SEITE 100 Patent leather dress: Iris van Herpen Lace panty: H&M Leg warmers: Der Kommissar Patent leather shoes: Hugo Boss SEITE 101 Vintage jacket: stylist own Shirt: Ha-Ru-Co-Vert Denim: Blue Blood SEITE 102/103 Jacket: Lee SEITE 104 Vintage top hat: Laura Dols Shawl/Top: American Vintage Trousers: Jil Sander Shoes: Prada SEITE 105 Suspenders: Fred Perry Trousers: Tiger of Sweden Vintage leather shoes: Hugo Boss SEITE 106/107 Leather strap top: Catta Donkersloot Trousers: Dolce & Gabbana

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‹media› Vom Umschlag bis zum Abspann. Keine Lust mehr auf Real Life Soaps und Sportübertragungen? Dann kommt der Augenblick dem TVWahn zu entfliehen und sich stattdessen wieder einmal einen richtigen Film anzusehen – und zwar ganz ohne Werbepause. Danach bleibt sogar noch genug Zeit für ein gutes Buch.

BUCH Gesucht

nigs schöner und exzentrischer Tochter Romy. Der Roman verspricht Charme, Witz und Tempo. Seine Stärke besitzt er in der scharfen Zeichnung der Personen und ihrer nicht vorhersehbaren Handlungs­ weisen. Jakob Arjouni: Der heilige Eddy, Diogenes Verlag, CHF 33.90 (gebunden)

Gewonnen

Bündchen und Pamela Anderson sind legendär. Mit dem Journalist Phil Jarratt wandert der neunfache Surfweltmeister mit und ohne Brett durch seine Welt und vermittelt in Wort und Bild einen interessanten Einblick in sein Innerstes. Kelly Slater gibt authentisch Auskunft über seine sportliche Leidenschaft und es wird anschaulich, was sich unter seiner Glatze abspielt. In seinen poetischen Liedtexten öffnen sich wei­ tere Facetten unseres Helden. So lag es nahe, dass sein treuer Weg­ gefährte Jack Johnson das Vorwort schrieb. K. Slater, P. Jarrat: Kelly Slater: For the Love, Chronicle Books, CHF 50.−

Jakob Arjouni: Der heilige Eddy Der Autor Jakob Arjouni hält sein Brennglas über Berlin und beleuchtet ein zunächst gängiges, gesell­ schaftliches Klischee. Der Imbissbu­ den-Millionär und Heuschrecken­ kapitalist Horst König trifft auf den Kleinganoven Eddy, der sich mit dem Ausnehmen betuchter Leute ein Leben als Musiker samt bür­ gerlicher Fassade im linksalternativen Kreuzberg finanziert. Die Geschich­te handelt zunächst vom mysteriösen Verschwinden des Berliner Gross­ unternehmers vor Eddys Tür. Bald ge­ rät die Stadt, angeheizt von den Klatschjournalisten, ausser Rand und Band. Eddy plagt jedoch das schlechte Gewissen und gerne wür­ de er die ganzen Missverständ­nisse aufklären, vor allem wegen Kö­ 108 kinki

K. Slater, P. Jarrat: Kelly Slater – For the Love Götter und Helden finden wir nicht nur in den griechischen Sagen. Mit dem Körper eines Herkules aus­ gestattet, erzählt uns Kelly Slater seine Heldentaten, die er mit und ohne Surfbrett erlebte. Er steht wie kaum ein zweiter seit Jahren für die internationale Surfszene und sorgt dafür, dass Fernsehstationen und Lifestylemagazine auf der ganzen Welt sich für diesen Sport interessieren. In unserem mo­dernen Olymp der Stars und Stern­ chen hat er einen festen Platz und seine Liebschaften mit Gisele

Gereist

Hilar Stadler, Martino Stierli: Las Vegas Studio. Wir reisen in die Vergangenheit. Mit selbst geschmiertem Toastbrot und einer Vorfreude, die sich nicht beschreiben lässt, kommen wir im Jahr 1968 an und landen in der

Stadt der Illusionen: Las Vegas. Be­gleitet werden wir von den Architekten Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour sowie einer Studentengruppe aus Yale. Zusammen geht es in der Stadt auf spannende Forschungsex­kursion. Im Zentrum des Interesses steht die kulissenhafte Bauweise, die zusammen mit Neon-Werbung und Strassenraum eine neue Ästhetik schafft. Dabei wird gefilmt, fotografiert und flaniert. Erste Erkennt­nisse wurden bereits 1972 im Buch ‹Learning from Las Vegas› prä­sentiert und gelten seither als postmodernes Schlüsselbeispiel für die Wahrnehmung und Darstellung der kommerzialisierten Stadt. In dem Buch ‹Las Vegas Studio› mit bisher unveröffentlichtem Ma­terial entsteht ein Gespräch zwischen Hans-Ulrich Obrist, Rem Koolhaas und Peter Fischli. Es handelt von Architektur, Lifestyle, Designgeschich­te und Liebschaften, die dem Seminar entsprangen. Das Buch erinnert wehmütig an die Zeit der Klassenfahrten und vermittelt den archi­tektonischen Aufbruch der 60er-Jahre. Hilar Stadler, Martino Stierli: Las Vegas Studio. Images from the archives of Robert Venturi and Denise Scott Brown, Verlag Scheidegger & Spiess, CHF 49.90


Geliebt

FILM Unter Brüdern

Hiromi Kawakami: Herr Nakano und die Frauen Wenn man sammelt, dann alles und richtig. Herr Nakano ist ein Samm­ler, wie er im Buche steht, und dazu ein Herr der alten Schule. Neben wunderschönen alten Dingen verliebt er sich in noch schönere junge Frauen. Das macht die richtige Mi­ schung für einen Antiquitäten­ händler aus. Er handelt in seinem kleinen Trödelladen mit Briefbe­ schwerern bis hin zu Breughel-Kopien. Damit lassen sich gute Geschäfte machen. Gleichzeitig ist der kleine Laden ein Treffpunkt für skurrile Kunden, Freunde und Anverwandte. Allesamt sind sie auf der Suche nach der grossen Liebe, fliehen jedoch gleichzeitig vor ihr. Da gibt es die Geliebte von Herrn Nakano, die ero­ tische Romane schreibt, seine Schwester, eine Puppenmacherin, die ihren Gefühlen nicht traut, und einen alten Kunstlehrer, der mit Nacktfotos aus seiner Jugend um Bewunde­rung buhlt. In dem Roman begeistert Hiromi Kawakami mit seiner prägnanten Sprache, die temporeich von Einsam­ keit und der produktiven Kraft des Zufalls erzählt. Hiromi Kawakami: Herr Nakano und die Frauen, Hanser Verlag, CHF 32.90 (gebunden) Rahel Zoller ist ein bekennender Medienfreak: Sie liebt Filme, DVDs, Platten, CDs, Zeitschriften und am meisten Bücher jeder Art. Zu den Buchbesprechungen in der Rubrik ‹Media› musste man sie nicht lange überreden.

Defiance Weissrussland 1941. Nach der Er­ mordung ihrer Familien durch deutsche Besatzungstruppen leisten die jüdischen Brüder Bielski auf unterschiedliche Weise Widerstand. Zus Bielski schliesst sich russ­ischen Partisanen im Kampf an, sein Bruder Tuvia errichtet in den Wäldern eine Zuflucht für verfolgte Juden, die Schutz geben, aber auch Hoffnung, Glauben und Mensch­ lichkeit bewahren soll. Nach ‹Blood Diamond› kämpft Regisseur Edward Zwick auch in ‹Defiance› für selbstlosen Einsatz unter Lebens­ gefahr. Es gelingt ihm durchge­hend, eine wahre Heldengeschichte in ein packendes Drama umzu­ setzen. Der Bruderkonflikt von Daniel Craig und Liev Schreiber wie auch vereinzelte Actionszenen sorgen für grosse Intensität und Dramatik.

‹Der Vorleser› von Regisseur Stephen Daldry (‹The Hours›, ‹Billy Elliot – I will dance›) und den Produzenten Scott Rudin (‹No Country For Old Men›) und Harvey Weinstein (‹Der Herr der Ringe – Die Ge­ fährten›) ist als Kinoadaption des er­ folgreichsten deutschen Romans mit internationaler Reichweite mehr als gelungen, was mit 5 Oscar Nominationen zu Recht quittiert wur­ de. Der Film brilliert mit der ent­ sprechend prominenten Besetzung, darunter Kate Winslet und Ralph Fiennes. Ein Stoff, der sich mit der immer aktuellen Verarbeitung von Schuld und Vergebung auseinander­ setzt. Kinostart: 5. März 2009

DVD Auf Abwegen

Der bunte Schleier Hauptsächlich um dem dummen Ge­ plapper ihrer Frau Mama zu ent­ gehen, heiratet in den frühen 20ern des 19. Jahrhunderts die aufmüp­fige britische Bürgertochter Kitty den nach China strebenden Arzt und Bakteriologen Walter. Als sich der stocksteife Walter im Bett und auf dem Tanzflur als Enttäuschung entpuppt, lässt sich Kitty mit ei­nem Diplomaten ein, was wiederum Walter nicht auf sich sitzen lässt. Schmutzige Scheidung oder CholeraFronteinsatz in der Provinz lautet Der Vorleser die Wahl, vor die er Kitty stellt. Der 15-jährige Schüler Michael lernt Edward Norton (‹American auf seinem Nachhauseweg die History X›) und ‹King-Kong›-Scream20 Jahre ältere Schaffnerin Hanna Queen Naomi Watts heiraten ei­ kennen. Sie pflegt ihn, als es ihm nander, als sie sich egal sind, hassen im Tram übel wird. Nach seiner Ge­ einander, als sie zusammenleben, nesung besucht er sie und es und lieben einander, als es beinahe entwickelt sich eine ritualisierte, ero­ zu spät ist. Ein mit prachtvollen tische Beziehung: Vor dem Akt chinesischen Landschaftskulissen muss Michael ihr immer vorlesen. Ei­ getäfeltes und Lang Langs Inter­ nes Tages verschwindet Hanna pretationen klassischer Klaviermusik spurlos und Michael begegnet ihr als durchtränktes Kostüm-Beziehungs­ Jurist viele Jahre später auf der melodram frei nach Somerset Maug­ Anklagebank wieder. Die Wahrheit ham. Episches Ausstattungskino über Hannas Vergangenheit tritt für Freunde des gefühligen Dramas zu Tage: Sie muss sich als ehemalige oder eines der teilnehmenden Stars. Ab 19. Februar 2009 im DVD-Handel KZ-Aufseherin verantworten. Kinostart: 26. Februar 2009

Zwischen den Zeilen

Gegen alles

Skin Holland in den späten 70ern. Der ju­ gendliche Frankie Epstein versteht sich schlecht mit seinem Vater, einem introvertierten Holocaust-Überle­ bendem, und treibt sich lieber mit sei­ ner aus Punks und Skins rekrutier­ten Kifferclique herum. Als die Mutter schwer erkrankt im Spital landet, hält Frank nur noch wenig zu Hause und er beginnt, sich an hartgesot­ tenen Nazi-Skins ein Beispiel zu neh­ men. Als er nach einem Streit einen Farbigen ersticht, landet Frankie im Knast. Dort trifft er auf seinen farbigen Jugendfreund. Das Skinheadtum wurde tatsäch­ lich mal von Jamaikanern in Ost­ london losgetreten und später von Neonazis gekapert. Dieses um authentische Typenzeichnung bemüh­ te Jugendbandendrama vor den Kulissen des Hollands der Hausbe­ setzer- und Frühpunkära weiss um solche Wurzeln und verleiht seiner traurigen Geschichte eine beson­ dere Brisanz, indem es seinen Anti­ helden mit jüdischer Herkunft ver­ sieht. Kein neuer ‹Romper Stomper›, sondern eine einfach gestrickte, düstere Milieustudie ohne sonderli­ che Hoffnungsschimmer oder Action-Zierat. Ab 19. Februar 2009 im DVD-Handel Der gelernte Politologe Valerio Bonadei arbeitet als stellvertretender CEO bei einem Schweizer Filmverleih. Er schreibt fürs kinki regelmässig Artikel zum Thema Politik und verfasst Film­rezensionen.

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The Return Of The Real Life Tetris…

Tetris in den Gassen von Sydney? Konnte Alexey Pajitnov ahnen, als er das Spiel 1985 in Moskau entwickelte, welche Wege seine fallenden Formen gehen würden?

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Achtung Steinschlag! Zum Glück halten die Künstler die ‹Break›Taste in Sydneys Gassen gedrückt.

age einen Selbstversuch, setze dich an den Rechner oder krame den alten Gameboy heraus und spiele das Spiel der Spiele. Aus Verbundenheit zu deinen ganzen Kindheitserinnerungen zocke einfach wieder einmal Tetris. Ehe du dich versiehst, ist sicher schon eine halbe Stunde vergangen und du wirst gar nicht bemerkt haben, wie schnell das Spiel dich wieder in seinen Bann gezogen hat. Sich wieder davon zu trennen scheint in manchen Momenten fast unmöglich. Game over. Wenn man das Spiel zu lange und zu intensiv spielt, kann es schon einmal vorkommen, dass man im Alltag verfolgt wird. Ausser Haus entdeckt man zum Beispiel eine verstopfte Strasse mit Autos. Das Gehirn schaltet um – man möchte am liebsten ‹shift + klick + klick + nach rechts ziehen +…› drücken. Da liegt es natürlich nicht weit entfernt, dass man in den Gassen von Sydney seit kurzem die Überreste einer Real Life Tetris Attacke findet. Überdimensionierte Tetris-Steine scheinen zwischen den Häusern stecken geblieben zu sein. Sie schweben über den Köpfen der Passanten und leuchten in den Grundfarben.

‹Wir brauchen ’nen Langen.›

Unverhofft findet man sich in einer virtuellen Welt wieder, die von abstrakten Formen beherrscht wird. Reizvolle Lichteffekte verfremden die grauen Häuserfassaden. Durch die labile Lage der geometrischen Körper fühlt man sich bedroht, aber durch ihre dekorative Schönheit gleichfalls hingezogen. Das Projekt ‹One More Go One More Go› entstand anlässlich des Kunst-Festivals ‹Live Lanes – By George!› im Winter 2008. Die Idee und die Umsetzung stammen von den drei australischen Künstlern Ella Barclay, Adrianne Tasker und Ben Backhouse, die von der Kuratorin Kelly Robson und der Gaffa Gallery unterstützt wurden. Sie realisierten das Projekt in der Abacombie Lane im Norden von Sydney als Beitrag zur Kategorie ‹Street Art›. Die Installation entstand aus dem Wunsch heraus, sich mit dem Freiraum der Stadt zu duellieren. Sydney ist eine typische moderne Stadt, die am Tag hauptsächlich aus Bürogebäuden besteht und nachts zu einer Art Geisterstadt mutiert. Die Tetris-Steine sollen wie eine Art defekter Hochspannungsleitungen wirken. Als würde man unter kaputten Lampen stehen, die wegen zu niedriger Wattleistung summen. Bewusst wenden sich die Künstler an den Passanten und fordern ihn mit ihrem Werk auf, seine Rolle als Spieler im öffentlichen Raum zu finden. Versteht sich der Betrachter als Tetris-Stein, der brav seine Rolle in der Schlange vor dem Bratwurststand einnimmt? Oder über110 kinki

nimmt er den aktiven Teil und nimmt Einfluss auf seine Umwelt? Ein Spiel ist ein Spiel und mehr. Zum Schluss noch drei Fragen an die Künstler, die von Ella Barclay beantwortet wurden. kinki magazine: Habt ihr einen LieblingsTetris-Stein?

Ella: Der ‹T›-förmige würde ich sagen. Er findet fast überall einen Platz. Aber der grosse, lange kann dir auch mal den Tag retten. Wir waren drauf und dran unser Projekt ‹Wir brauchen ’nen Langen› zu nennen, fanden aber, dass es ein bisschen zu ordinär klingt. In welcher Situation im echten Leben wünscht ihr euch das Tetris ‹Gameover› Geräusch zu hören?

Es zu hören wäre toll gewesen, als George Bush das Weisse Haus am 20. Januar 2009 verliess.

Steht schon ein neues Projekt in den Startlöchern? Wie wäre es mit Pacman?

Naja, da gibt es diese kleine Phantasie über Pacman und die Raver Kids, in der schleichen wir in dunklen Korridoren umher und mampfen laut Pillen, während wir im Hintergrund immer wieder die gleiche Musik hören. Doch jeder von uns hat für die Zukunft seine eigenen Pläne. Die neuen Ideen könnt ihr euch in unserem neuen Buch anschauen. Text: Rahel Zoller Foto: Gaffa Gallery Mehr Infos findet ihr auf www.gaffa.com.au


www.iriedaily.de • info@iriedaily.de • IRIEDAILY is a trademark of W.A.R.D. GmbH. Styled in Berlin


‹abonnement› kinki

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Februar / März 2009 Cover: Anne de Vries Herausgeber Aurum Communication AG, c/o kinki magazine, Zürcherstr. 204f, CH 9014 St. Gallen, www.aurum.ag T +41 71 277 48 00, F +41 71 277 48 02 Geschäftsführung: Mark Mirutz | mark.mirutz@kinkimag.ch Projektleitung: Melania Fernandez | melania.fernandez@kinkimag.ch Redaktion: kinki magazine, Hardturmstrasse 68, 8005 Zürich, www.kinkimag.com T +41 44 271 09 00, F +41 44 271 09 02 Chefredaktion: Matthias Straub (ms) | matthias.straub@kinkimag.ch Stv. Chefredaktion: Rainer Brenner (rb) | rainer.brenner@kinkimag.ch Redaktion: Florian Hennefarth (fl) | florian.hennefarth@kinkimag.ch Christina Fix (cf) | christina.fix@kinkimag.ch Florence Ritter (fr) | florence.ritter@kinkimag.ch Rahel Zoller (rz) | rahel.zoller@kinkimag.ch Art Direction: Raffinerie AG für Gestaltung, www.raffinerie.com Fotografie: Annett Bourquin, Jeremy Gibbs, Gian-Paul Lozza, Marcus Maschwitz, Giuliano Di Marco, Anne de Vries, Regine Mossiman, Pixiduc, Florent Quenault, Jolijn Snijders, David Spaeth, Nina Stiller, Daniel Tischler, Marvin Zilm

Als kinki Jahresabo Geschenk wähle ich:

Illustration: Raffinerie AG für Gestaltung, Lina Müller, Anne de Vries Bildbearbeitung und Grafische Gestaltung: Cyrill Frick | cyrill.frick@kinkimag.ch

casio retro modell* (Wert CHF 59.–)

gutschein für urban onlineshop www.dialogshop.com* (Wert CHF 80.–)

Lektorat: Peter Rösch | peter.roesch@kinkimag.ch Marketing International: Jiri Katter | jiri.katter@kinkimag .ch Events: Sarah Taylor | sarah.taylor@kinkimag.ch Promotion: Denise Bülow | denise.buelow@kinkimag.ch Franziska Bischof | franziska.bischof@kinkimag.ch

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(Wert CHF 169.–)

E-Mail

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Online: Orange8 Interactive AG, www.orange8.com Projektleitung Online: Samuel Hauser | samuel.hauser@kinkimag.ch Online-Redaktion : Rita Greulich | rita.greulich@kinkimag.ch Miriam Suter | miriam.suter@kinkimga.ch

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Werbung: Aurum Communication AG | werbung@kinkimag.ch Aboservice: www.kinkimag.com/abo | abo@kinkimag.com

unter allen eingehenden Abo-Bestellungen verlosen wir dieses Mal ein Sony Ericsson W595 (inkl. Wireless Portable Speaker) im Wert von CHF 528.–

Strasse, Nr.

Freie Mitarbeit: Mathias Bartsch, Valerio Bonadei, Philipp Brogli, Jens Dierolf, Christoph Dubler, Xymna Engel, Gallus Brothers, Samy Gmür, Natalie Gyöngyösi, Asmus Hess, Helen Miokoy, Irène Schäppi, Raphael Spiess, Jürg Tschirren

Auflage: 40000 Ausschneiden und ab damit an: Aurum Communication AG c/o kinki magazine Zürcherstr. 204f 9014 St. Gallen *so lange Vorrat reicht – first come, first serve!

Druck: AVD Goldach, www.avd.ch Einzelverkauf/Abonnement: CHF 6/ˆ 4 (pro Ausgabe)/CHF 58/ˆ 50 (11 Ausgaben) Vertrieb Schweiz: VALORA AG, www.valora.com Vertrieb International: Axel Springer Verlag Vertriebs GmbH, www.asv-vertrieb.de Die nächste Ausgabe des kinki magazine liegt ab 16. März 09 am Kiosk!


‹ top notch gallery › Europas wichtigste Galerien für junge Kunst. Camp Barbossa London

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iraten sind für ihre bösen und schrecklichen Untaten bekannt. Sie sind in Sachen Eroberung nicht ganz fair und werden trotz allem als Könige der Meere betitelt. Seit dem Fluch der Karibik wissen wir, dass es auch nette Piraten gibt, die sich mit Heldentaten beweisen. Momentan ist das allerdings nur im Hollywood-Kino der Fall. Wenn man die aktuellen Beu­ te­fänger vor Somalia oder Ost-Asien betrachtet, wird man eher von der Vergan­genheit eingeholt: Barba­ros­sa war sicherlich einer der berühm­tes­ten Seeräuber mit Augenklappe. Doch mit all dem hat die ‹Gallery Camp Barbossa› in London nichts am Hut. Hier wird keine Piratenbeu­te

ausgestellt, sondern wertvolle Arbeiten von jungen und schon international renommierten Künstlern. Das Camp Barbossa kämpft an der Front für künstlerische Freiheit in der Street-Art-Bewegung und kann auch mit Stolz behaupten, eine der wichtigsten europäischen Ga­lerien in diesem Bereich zu sein. Nationale und internationale Künstler stellen ihre Arbeiten zur Schau, Presse und Publikum danken es ihnen – mit grosser Medienpräsenz und Beifallstürmen.

Eins der begehrtesten Stücke ist ein halbnacktes Mädel, das ihr Hasenkos­tüm zum Trocknen aufhängt.

Mit der ‹Dirty Laundry›-Ausstellung durfte das deutsche Künstler-Duo ‹Herakut› sein Können unter Beweis stellen. Auch diese Ausstellung wur­de in den Kunst-Blogs und UrbanArt-Publikationen hoch gelobt. Herakut präsentieren NymphenMädels mit Hasenohren. Eins der begehrtesten Stücke ist ein halb nacktes Mädel, das ihr Hasenkostüm zum Trocknen aufhängt. Nicht nur für Herakut schlägt das Herz der Ga­le­risten, zu diesem erlesenen Kreis gehören auch ‹Case› und ‹Labrona›, die allesamt von Camp Barbossa vertreten werden. In Zukunft stehen Projekte mit dem legendären Kunstmagazin ‹Juxtapoz› an. Ausserdem ist eine Aus­ stellung in Kooperation mit Herakut und Phillip de Pury im Zeichen des ‹War Child› geplant. Text: Christina Fix Fotos: Jeremy Gibbs, Herakut Camp Barbossa Gallery 22 Wellington Street Covent Garden London, WC2E 7DD www.campbarbossa.com

Auch das Künstlerduo Herakut aus Deutschland wird von Camp Barbossa vertreten. Im Bild oben ist der weib­liche Part von Herakut bei Arbeiten zur Ausstellung ‹Permission To Paint› in Aktion zu sehen. Rechts: ‹Porky Prayer› von Case, 2008.

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‹versammelt › Mit Anspruch auf Vollständigkeit. Name, Vorname

Gerwer, Adrian Wohnort

Birmenstorf AG Beginn der Sammel­tätigkeit

Mit 16 Jahren, im ersten Lehrjahr als Maschinenschlosser. Erstes Stück

Ein LKW der Marke Saurer, Typ M8 (8×8), Jahrgang 1945 Letztes Stück

Ein Luftlandepanzer Typ WeaselMC29; dieser wurde von Las­ tenseglern während der Invasion am 6. Juni 1944 über der Nor­ mandie abgeworfen. Teuerstes Stück

Mein Dodge CC (Command Car) Jahrgang 1942, ebenfalls ein Invasionsfahrzeug der Alliierten, das zur Beförderung der hohen Kommandanten (ab General) diente. Mein Liebling. Beste Fundorte

In ganz Europa, überall wo der 2. Weltkrieg ausgetragen wurde. Gesamtzahl

Ca. 20 Stück Andere Sammelgewohnheiten

Als leidenschaftlicher Sammler und Liebhaber dieser Fahrzeuge organisiere ich auch das grösste Militäroldtimertreffen der Schweiz, der Convoy to Remember. Hier treffen sich alle drei Jahre über 600 Militäroldtimer, Panzer, die ehemalige Kavallerie, Fallschirmspringer etc. aus ganz Europa.

Bist du auch Sammler? Oder kennst du jemanden, der Kakteen, Autorückspiegel oder mundgeblasene Glasfiguren aus der vorderen Mongolei sammelt? Dann schick uns eine Mail an: info@kinkimag.com, Stichwort ‹versammelt›. Wir schicken dir einen Fotografen und schon im nächsten Heft wird dein Sammeltrieb verewigt. Foto: Marvin Zilm

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Illustration by purple haze studio


Š 2009 adidas AG. adidas, the Trefoil, and the 3-Stripes mark are registered trademarks of the adidas Group.

adidas.com/originals


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