kinki magazin - #23

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kinki

nr. 23 mär/apr 2010 chf 6.–

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Warum eigentlich nicht mal

um drei Ecken

denken?

it! Mach m nen: n i w e G & Fragen rone.ch e l b o t . www

Einzig. Nicht artig.


‹editorial› sing, when it’s spring! Liebe Leser. Das Land der Superlative. Maximus. Primus. Das Beste vom Besten und alles im Überformat. Mann, haben wir die Faxen dicke. Warum muss denn alles immer bis zur Unkenntlichkeit ausgereizt werden? Die Kleinen sind doch längst wieder die Feinen oder wie es die Könige der Bequemlichkeit unlängst proklamierten: Quiet Is the New Loud. Je mehr uns aufgetischt wird, desto weniger Appetit haben wir. Am liebsten schleichen wir uns wieder zurück in eine Welt aus Nuancen und Zwischentönen – Neonfarbe weiche! Und starke Kontraste, pah! Sind Ballast für Herz und Auge. Pastell war zwar gestern, ist aber längst mehr als ein Motto, nein, unser Leben soll wieder Altrosa werden. Hat das was mit dem Erwachsenwerden und -sein zu tun? Oder ist es nur der Ausdruck der finalen Überforderung. Oder ist doch alles nur so laut und bunt, wie es der Tag von uns fordert? Frühling, jetzt aber mal her mit dir! Eure krokusgeschmückte und lauthals trällernde kinki Redaktion

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[ L I F E AFTER SKAT E ]


2010

WeActivists JASON LEE & PETER STORMARE SHOT BY CHERYL DUNN www.wesc.com



Loreak Mendian Switzerland ThreeLogy GmbH phone: +41 (0)43 477 88 66 e-mail: info@threelogy.ch


‹content› Standard

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Editorial Content Gossip Klagemauer Abo / Impressum Media Henry & Paul

Report 22 28 32 34 36 40

Unsere Uni Psy-Soldiers Zehn Minuten mit Yorgos Kelefis Callcenter Das Ende des EV-1 Querschläger: Daniela Baumann

Sound 42 44 50 52 54 56

Playlist: Playgroundkidz Interview: Hangman’s Chair Album des Monats: The Go Find Soundcheck Interview: Les Yeux Sans Visage Interview: Yeasayer

Fashion

58 68 70 76 80 88

Li Hui Stays In Vertreter: Loafer Stylist’s Own Chapeau! ‹Melinda› von Alice Rosati Carocora: Viele Wege führen nach Madrid

Art & Co.

90 Top Notch Gallery: Kulturni Centar, Belgrad 92 Explicit Content 96 Stacey Rozich: Homeland 108 Storyteller 112 Nachruf

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‹contributors›

Li Hui

Patric Sandri

Das Fotografieren hat sich Li Hui nach eigenen Angaben selber beigebracht, und zwar vor gar nicht allzu langer Zeit: ‹Seriös› zu fotografieren, habe sie nämlich erst im Februar des vergangenen Jahres angefangen. Und trotzdem ist es ihr gelungen, in dieser kurzen Zeit mit ihren verträumten Bildern nicht nur uns, sondern auch verschiedenste internationale Kunst- und Modeblogs zu begeistern. ‹Ich habe das Gefühl, dass meine Fotografien immer mystischer und magischer werden›, beschreibt Hui ihren eigenen Stil. Denn sie habe sich eine kindliche Neugier der eigenen Welt gegenüber bewahrt, meint die Fotografin und erfreut uns deshalb in der Strecke ‹Li Hui Stays In› mit ungewohnten Blickwinkeln und Perspektiven. – S. 58

Seit einigen Ausgaben beehrt uns der Illustrator Patric Sandri nun schon mit seinen Collagen, Illustrationen und Zeichnungen. Zur Illustration gefunden hat der 31-Jährige während seiner Zeit an der Luzerner und Zürcher Kunstschule. Nicht nur die Techniken sind in seiner Arbeit höchst unterschiedlich, sondern auch sein Wirkungsgebiet: in seinem Portfolio finden sich Illustrationen für diverse nationale und internationale Magazine, Buchillustrationen und zahlreiche eigene Projekte. Für dieses Heft illustrierte Patric, wie auch schon für die letzten zwei Ausgaben, den ‹Vertreter› und setzte sich für ‹Callcenter› mit einem kreativen Tischbombenfabrikanten auseinander. – S. 34

Stacey Rozich

André Gottschalk

Aus der genialen Feder der US-amerikanischen Künstlerin Stacey Rozich stammt diesen Monat unser Covermotiv. Entsprungen ist das verwirrt anmutende sympathische Monster ihrem breiten Werk an Illustrationen, in denen sie auf originelle Art und Weise volkstümliche Einflüsse wie Masken und Märchenwesen in skurrile Umgebungen versetzt. Und nicht nur auf dem Cover, sondern auch innerhalb der Umschlagseiten treiben ihre Gestalten ihr Unwesen und erlauben euch einen kleinen Einblick in die wunderbare Welt der Stacey Rozich. Wenn die freischaffende Illustratorin übrigens nicht gerade mit Pinsel oder Stift hantiert, so isst sie am liebsten PEZ-Bonbons und streichelt Katzen, ihre Lieblingstiere. Kein Wunder also, wirken ihre Monster so sympathisch. – S. 96

André Gottschalk ist ein Berliner Illustrator und Grafikdesigner mit klassischer akademischer Ausbildung am Bauhaus in Dessau. Seit 2007 ist er freiberuflich für verschiedene Designbüros, Verlage und Magazine tätig, unter anderem für De:Bug, Mare, Page, 11 Freunde, Peta und MetaDesign. Es gibt so gut wie keine Herausforderung, der er sich nicht stellt, was sich auch in seiner stilistischen Vielfalt widerspiegelt. Die Verbindung aus illustrativen und typografischen Elementen sind typisch für seine Arbeiten, die immer den konzeptionellen Grundgedanken im Visier haben. Für diese Ausgabe hat sich André auf grafischer Ebene mit den parapsychologischen Forschungsarbeiten der US Army auseinandergesetzt. – S. 28

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‹gossip›

tiny little chairs

‹agenda›

03 12.02. – 30.05.

global design

Museum für Gestaltung, Zürich 27.02. – 23.03.

subversion der bilder – surrealismus, fotografie und film Fotomuseum, Winterthur 06.03. – 30.05.

while bodies get mirrored – an exhibition about movement, formalism and space Vom Wohnzimmer ins Dekolleté: die Miniaturmöbel von Bruxe Design passen unter jede Bluse und fallen einiges günstiger aus als ihre berühmten Vorbilder.

So mancher Anhänger des guten Designs mag sich wohl ab und an die Haare raufen, weil ihm das nötige Kleingeld für einen MiesVan-der-Rohe-Stuhl schlichtweg nicht zur Verfügung steht oder es ihm gar nicht einmal für eine Replik reicht. All diesen verzweifelten Menschen kann nun geholfen werden: das Team von Bruxe Design aus Montreal bietet mit der neuen Schmucklinie ‹tiny little chairs› eine Kollektion originalgetreuer Miniaturen der Designklassiker an. Beispielsweise mit

dem ‹Scoop Chair› oder dem ‹Pavilion Chair› zelebriert das kanadische Label Möbel des letzten Jahrhunderts, die die Produktion und den Designprozess an sich massgeblich revolutionierten. Wer nun statt der tiny little chairs ein echtes Original bei sich zu Hause herumstehen hat, wird sicherlich dennoch grün vor Neid beim Anblick der hinreissenden winzigen Anhänger: das Original kann man schliesslich nicht jederzeit um den Hals tragen. (am) bruxedesign.com

totale überwachung

Migrosmuseum für Gegenwartskunst, Zürich 18.03.

alles im wunderland – theater

Südpol, Luzern 20.03.

global ghetto anthems: joyce muniz (man recordings, at) Südpol, Luzern 24.03.

the blue van (dk)

Abart, Zürich 25.03. – 28.03.

m4music

Schiffbau, Zürich & Atlantic, Lausanne 26.03. – 27.03.

italotech-festival Sedel, Luzern 29.03.

blood red shoes (uk) & special guests Abart, Zürich

04 02.04.

Wer bangte damals nicht mit ihm, wenn der verwirrte Zeichentrickheld Inspector Gadget mal wieder mit seinem Hightech-Wagen über eine Klippe fuhr oder vom Bösewicht aus einem Hochhaus geschubst wurde? Nur gut, konnte er sich wenigstens teilweise auf sein ausgeklügeltes Material verlassen, das ihm mehr als einmal aus der Patsche half. Und auch James Bond hätte ohne die Beihilfe seiner von X entwickelten Gerätschaften und Utensilien wohl kaum mehr als einen halben Film überlebt. Doch der umtriebige Wissenschaftler scheint seine Ent12

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wicklungen neuerdings nicht mehr nur im Namen der königlichen Krone zu entwerfen, sondern sich auf ispy.gadgets.co.uk gar seinen eigenen Webshop eingerichtet zu haben. Sei es die Videokamera in Form eines Kaugummipäckchens, Videouhren oder Sonnenbrillen und Stifte mit eingebautem Fotoapparat: diese Seite garantiert die totale Überwachung und lässt Spionenträume auch für alle Nichtagenten wahr werden. Denn irgendwie sind wir ja alle auf einer Mission, oder? (rb) ispy.gadgets.co.uk

performance: do what you see_see what you do Südpol, Luzern 11.04.

editors (uk)

Kulturfabrik Kofmehl, Solothurn 16.04.

daniel johnston and the beam orchestra (us) Fri-Son, Fribourg 17.04.

sophie hunger (ch) Kaserne, Basel 18.04.

silvert høyem (nor) Bierhübeli, Bern

dance gavin dance (us) & guests Schüür, Luzern


der könig unter den schlitten eigenKaum ein Wintersport vermag es, so viele Menschen zu begeistern wie das Schlitteln. Denn Schlitteln ist gemütlich, günstig und man kann viel schneller wieder die warme Bergbeiz aufsuchen. Natürlich sind mit dem Schlitteln auch viele Kindheitserinnerungen verbunden. Kaum ein Kind kann sich nicht dran erinnern, wie es warm eingepackt von den Eltern auf dem Davoser über die dürftige Schneedecke gezerrt wurde. Seit 80 Jahren stellt die Firma Graf nun schon die legendären Davoser Schlitten her. Die Davoser sind eine Schweizer Weiterentwicklung der leichten norwegischen Schlitten und

werden traditionell aus Eschenholz gefertigt. Ihren Namen verdanken sie dem ersten historisch belegten Schlittenrennen, das 1883 in Davos stattfand. In der firmeneigenen Biegerei Graf im ostschweizerischen Sulgen wird das vornehmlich einheimische Holz unter Dampf in die typischen Formen gebogen und zu den unverwüstlichen Holzschlitten weiterverarbeitet. Doch längst gibt es nicht mehr nur das traditionelle Modell. Die Firma Graf passt ihre Schlitten immer wieder den Bedürfnissen anspruchsvoller Wintersportler an und hat mit rund zehn unterschiedlichen Modellen für

jeden das richtige parat. Nicht zu vernachlässigen ist der Unterschied zwischen einem Schlitten und dem Rodel. Während der Schlitten eher für eine gemütliche Abfahrt und den Transport von Kindern und Sachen geeignet ist, dient der flexiblere Rodel rasanteren Abfahrten auf gut präparierten Pisten. Wer es nun kaum mehr erwarten kann, sich auf den Rodel zu schwingen, der findet auf der Website von Graf Schlitten jede Menge Informationen zu Schlittelanlagen in der Schweiz sowie den aktuellen Schneeund Wetterbericht. (mm) graf-schlitten.ch

blue suede shoes Könnt ihr euch noch an die Zeiten erinnern, als jeder Heranwachsende zwischen 12 und 18 Jahren sich als Homeboy oder Flygirl versuchte? Man kaufte sich Spraydosen im Baumarkt, schockierte die Eltern mit Hip-Hop-Platten, mit denen man heute nicht mal mehr einen Kindergärtner erschreckt, und die Wollmütze sass so lose auf dem Hinterkopf, dass die Haarwurzeln sie gerade noch zu halten vermochten. Und auch wenn viele von uns sich schon bald nach der Pubertät wieder von diesem Lifestyle verabschiedeten, so blieb doch ein wichtiges modisches Accessoires in unserem Kleiderschrank erhalten, das uns auch in unseren Zeiten als Skateboarder, Indie-Rocker oder gar als Sportskanone treue Dienste leistete. Die Rede ist vom Kultschuh Puma Suede, welcher dieser Tage in sechs neuen Farben eine weitere Generation Heranwachsender, Junggebliebener und Retrofreaks mit seiner schmalen Form und dem zeitlosen Design für sich gewinnen wird. Erhältlich sind die bunten Treter bei Pomp it up, Titolo und Cellophane. Mit fetten Schuhbändeln versteht sich, denn ein kleiner Homeboy steckt irgendwie doch noch in jedem von uns. (rb) puma.com

Classics never go out of style: der Puma Suede ist ab diesem Frühling in sechs frischen Farben erhältlich.

initiative mit holz

Am Anfang war ein Skihaus, eine 400 Meter lange Piste und ein Pistenfahrzeug im Rheintal. Doch ab dem 26. März wird der Ort Malbun für ein Wochenende in Bewegung versetzt. Dann startet das Move the Wood Projekt. Hinter diesem Namen verbergen sich Benjamin Siegenthaler alias ‹Asphaltrocketbattle›, Stefan Kaiser und Suse Heinz. Seit geraumer Zeit setzen sie zusammen einzigartige Ideen in Bilder um. Die von den Organisatoren eingeladenen Snowboarder erhalten das ‹Move the Wood Paket›, bestehend aus allen möglichen Hilfsmitteln: Werkzeuge, Stromversorgung, Materialtransportmittel, Licht, Farben, Schaufeln und natürlich jede Menge Holz. Dann ist das kreative Schöpfungspotential in der Gemeinschaft gefragt. Aus dem Nichts entstehen Objekte, Kulissen, Gebilde, Geräte zum Thema ‹Move the Wood›. Diese werden in einem zweiten Schritt durch die Snowboarder mit viel Action verspielt und kreativ in Szene gesetzt. Ziel ist es, im Werdegang der Zeit zusammen mit den Gegebenheiten der Lokalität und den gestellten Requisiten das perfekte Snowboardbild zu kreieren. Darüber hinaus wird der ganze Arbeitsprozess dokumentiert, um ihn für Aussenstehende nachvollziehbar zu machen. Im Oktober und November wird das Bündel aus Action und Kreativität in einem Kulturlokal in der Stadt Zürich gezeigt. Es folgen Ausstellungen mit grossformatigen Kollagen und riesigen Installationen und – damit sich am Ende der Kreis schliesst – auch an einem Ort im Rheintal. Weitere Informationen erhaltet ihr direkt von Suse unter suse@suseye.com. (js) kinki

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musica italiana Macht euch bereit, gelt eure Haare nach hinten, legt den fetten Goldschmuck von Mutti um und schmeisst euch in eure feinsten Dolce Gabbana Klamotten, denn jetzt kommt das Italotech-Festival in die Schweiz! Das Luzerner Veranstaltungskollektiv Göndmolchliab Productions hat sich das Ziel gesetzt, uns musikalische Klänge aus dem südlichen Nachbarland näher zu bringen. Am Wochenende des 26. und 27. März dröhnen im Sedel in Luzern allerlei Techno-Beats aus Italien und der Schweiz. Nach dem Motto ‹O musica mio!› greifen DJs und Produzenten tief in ihre Trickkiste und trumpfen gar mit international bekannten Acts wie Dandi e Ugo auf. Das Line-up ist umfangreich und lässt auf durchtanzte Abende mit viel italienischem Flair hoffen. (ak) göndmolchliab.ch

i know you know aino Wer kennt diese unglaubliche Langweile nicht, die einen jeden Morgen und jeden Abend im Zug, Bus und Tram befällt? Dieselbe Landschaft, dieselbe Gratiszeitung und möglicherweise sogar dasselbe öde Gesicht, in das man blickt, obwohl es einem schon gestern gegenüber sass. Und genau dies ist der Zeitpunkt, an dem man fast schon reflexartig in die Manteltasche greift und sein Telefon hervorkramt. Denn wer heutzutage ein Smartphone wie das neue Aino von Sony Ericsson sein Eigen nennt, der hat sein Wohnzimmer eigentlich stets mit dabei. Dank der ‹Media Go›-Funktion lassen sich schnell und kinderleicht Inhalte wie Videos, Songs und Podcasts per Mausklick vom PC aufs Handy übertragen und machen somit sogar stundenlangen Pendlerverkehr zum freudigen Ereignis. Ausserdem ist das Sony

paper goods for most occasions

Frisch gepresst in alter Manier: ‹PressaRussa› setzt auf altbewährte Handarbeit.

Schon seit langem zeichnet sich die Hinwendung zur Tradition und dem Altbewährten als unverkennbarer Trend ab. Denn was Oma schon damals am besten konnte, ist auch heute immer noch hervorragend. Alte Techniken besitzen oftmals einen unverkennbaren Charme, der mit modernen Mitteln kaum zu imitieren ist. So14

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mit beobachten wir mit Freude immer mehr Künstler und Designer, welche sich mit alten und teils vergessenen Handwerkstätigkeiten auseinandersetzten. Wie etwa Lisa A. Smith, die in North Louisiana Fine Arts unterrichtet und sich intensiv mit dem Medium der Druckpresse beschäftigt. Unter dem Namen ‹PressaRussa› erschafft sie wunderschöne Papierkreationen mit Vintage-Flair. Ihre kleine, aber feine und vor allem von Hand betriebene Druckpresse hat wohl schon einige Jahre auf dem Buckel, jedoch kaum etwas ihres verführerischen Charmes verloren. Vintage sind auch alle Text- und Bildblöcke, mit denen sie ihre Karten, Ringbücher, Visitenkarten, Geschenk-Tags oder Notizbücher einzeln bedruckt. Nicht nur durch Witz und schöne Motive, sondern auch mit Hingabe zum Detail weiss PressaRussa zu punkten. Speziell angetan haben es mir die Moleskin Journals, welche ich nur zu gerne mit guten, alten Erinnerungen vollkritzeln würde. (ak) pressarussa.etsy.com

Ericsson Aino das erste Handy, mit welchem dank Remote Play auf die heimische Playstation zugegriffen, Inhalte übernommen, und das Gerät gar gesteuert werden kann. Und wer auf all diese Funktionen pfeift und sich das Handy während der Stosszeiten doch lieber zum Telefonieren ans Ohr hält, der dürfte sich sicherlich vom schlichten Design und der bedienungsfreundlichen Nutzung beeindruckt zeigen. Wer noch nicht zum glücklichen Kreis der Besitzer dieses medialen und modischen Accessoires zählt, kann diesem nun beitreten: kinki magazine verlost nämlich 2-mal ein Sony Ericsson Aino. Schickt einfach bis zum 15.4. 2010 eine Mail mit dem Betreff ‹Aino› an wettbewerb@kinkimag.ch und mit ein bisschen Glück schaut auch ihr der nächsten ÖV-Reise freudig entgegen. (rb)

tik tok, tik tok Mode verläuft zyklisch. Dies ist zum Vorteil aller, die grosse Schränke besitzen, wo sich aus der Mode gekommene Kleider für die nächsten zehn Jahre verstauen lassen, oder diejenigen, die mit Grosis gesegnet sind, die ihre Modeschätze behutsam für ihre Enkelinnen aufbewahrt haben. Für alle anderen werden die wieder aufkeimenden Trends neu aufgelegt. Ein wundervolles Relikt aus Omas Zeiten hat es so verjüngt zurück in die Schmuck- und Uhrbranche geschafft: die Kettenuhr. Da Armbanduhren im heutigen Zeitalter geradezu dröge wirken, entzückt uns die Kettenuhr von Nixon in besonderem Masse. So kann man mit den schlichten und modernen Spree Pendants die Uhrzeit um den Hals tragen. Wessen Hals sich nach eben solch einem Schmuckstück reckt, der sollte diesen Monat achtsam unsere Website durchforsten, wir verlosen auf kinkimag.com/blog nämlich drei Spree Pendants. (fr) nixonnow.com


www.Diesel.com

SMART MAY HAVE THE BRAINS, BUT STUPID HAS THE BALLS.

BE STUPID


klagemauer Dein Meerschweinchen hat dich heute gebissen? Deine Freundin steht auf DJ Bobo? Die Welt ist böse? Zürich geht dir auf den Sack? Dein Lover hat deinen Geburtstag vergessen? Egal was dich gerade stresst oder nervt: auf kinkimag.com unter ‹Klagemauer› kannst du Dampf ablassen. Die besten Einträge werden hier veröffentlicht.

Wer zum teufel hat ‹Smalltalk› erfunden!? es könnte ja alles so einfach sein bsp: -hallo, ficken? -ja! -zu mir? -nein zu mir. -ok. und die party kann starten. bea | Wieso läuft mir den ganzen Tag die Bridget Jones-Zeile ‹Sie haben keine neue Nachricht. Nicht mal von Ihrer Mutter.› nach und wieso muss sie genau zutreffen?!! zukünftigealtejungfer | gameboy ist mein bester freund. oldschool | wer braucht ein gurkendeodorant? Anonymous | Wenn bei mir der Kater steppt und s die oberen Nachbarn nicht lassen können, fiesreizende französisch getextete Zeichentrickfilmmusik aufzudrehen. Anonymous | erst schnaufen dann stöhnen und keuchen, bewegen, auf und nieder, schenkel die aneinander reiben… ICH HASSE JOGGEN! kid | Männer, die nicht den Mumm für eine Affäre haben! Gehts noch? wärichdochbesserzuhausegeblieben | ich habe schuppen. schuppige haut! augenringe! ich bin ein dino!! (hatten die augenringe? aber schuppen hatten die doch, oder?) jedenfalls... monsterbacke | NEIN! Ich hab meinen schlüsselfinder verloren! mary | dass bücher am anfang zu lang sind, aber am ende zu kurz. wie ’ne wurst. metzgermeisterinheinza | als ich noch klein war gabs plüschtiere im happy meal und keine videogames… prickelnd | meine steuererklärung, die mir jedes jahr aufs neue meine sämtlichen nerven klaut!!!!! Anonymous | Montag ist ein Arschloch wasserglas | Ich tanzte mit dem Teufel. Doch er wollte lieber einen Engel. Ich hätte es wissen müssen… Won | verflixt und zugenäht und doch nicht zugenäht. in meinem hirn geht diese gleichung nicht auf. aber du hast mir schon gesagt, dass gleichungen nicht deine stärken sind. bam knuspermüsli | regisseure… ihr seid tückisch. verlorene schauspielerin | neiiiiiiiiin ich hab ein loch in meiner lieblingshose!!!!!! freie sicht | mich nervt, dass bei adam und eva, eva einen apfel essen musste. es hätte ja auch so gut eine birne oder eine banane oder ein randensalat sein können. ja gut, randen kannten sie dann glaub wirklich noch nicht, banane glaub auch nicht. ist ja egal! apfelbäbi | man braucht ja nur aus der tür zu treten, und schon zeigt einem das leben, dass es zu 99% aus dieser… wie nennt man das… ah realität besteht. mary | creative waves are wettening my bed. design­ erzunami | Sex mit nassen Hunden und einäugigen Enten! maryllusion | mit mutti enkaufn gehn. Anonymous | Ich weiss nicht was ich glauben soll! Bin ich ein Schmetterling oder ein Eichhörnchen? Kali | dass ich verklemmt bin; noch verklemmter als ein rostiges fahrradschloss! Anonymous | Menschen mit einem Rückgrad wie weichgekochte Spaghetti!!! bäääh, ist das eklig! turninginarounabout | Meine Motivation und ich, wir haben uns gestritten. Seitdem leben wir getrennt. printemps | 16

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Sie bezaubern mit makelloser Haut. Gelée Eclat du Jour Dieses erfrischende Creme-Gel macht IHRE HAUT MORGENS MUNTER. Seine Formel, eine Entwicklung der Clarins Labors, ist vollgepackt mit vitaminreichen Aktivstoffen, belebt die Haut und schenkt ihr neue Energie und strahlende Schönheit für den ganzen Tag. Schluss mit kleinen Unreinheiten, fahlem und müdem Teint. Ihre Haut ist makellos und gewinnt eine frische, vitale Ausstrahlung. Clarins, Europas Nr. 1 in exklusiver Pflege. Mehr über unsere Kompetenz unter www.eclatdujour.clarins.com

INNOVATION


acne makes the world go round fliegende Nachdem die Welt bisher bereits erfolgreich mit Jeans und Kleidern des schwedischen Labels Acne infiziert und durch das tonangebende Magazin Acne Paper infiltriert wurde, kann man nun sogar seinen in Acne-Jeans zur wahrhaft wunderbaren Geltung gebrachten Hintern auf Acne-Möbeln platzieren. Ende Januar launchte das schwedische Designkollektiv während der Paris Fashion Week die hauseigene Möbellinie, die seitdem für viel Furore und Applaus sorgt. Dem Kreativdirektor und AcneGründer Johnny Johansson zufolge sind die asymmetrischen und

bizarr verzerrten Stücke von Carl Malmstens ‹New Berlin Sofa› inspiriert, das ursprünglich für das Schwedische Konsulat in Berlin entworfen wurde. Acne nahm den Klassiker als Anhaltspunkt und entwickelte ihn weiter – eine Arbeitsweise, die dem Label auch schon in der Mode zum ganz grossen Erfolg verhalf. Durch das Spiel mit Proportionen, Struktur und Form kreierten die Schweden mit der Möbellinie eine gänzlich neue Form mit Reminiszenzen an das Acne-Erbe – die Sofas sind nämlich mit Denim gepolstert. (am) acne.se

musique en masse Wer zuweilen eine abergläubische Angst beim Auftauchen der Zahl 13 verspürt, darf sich eines Besseren belehren lassen. Wir verbinden diese Zahl nämlich mit einem freudigen Ereignis: Nicht weniger als zum dreizehnten Mal findet dieses Jahr das m4music statt und tischt uns vom 25. bis zum 28. März lauter musikalische Leckerbissen aus dem In- und Ausland auf. Neuerdings findet die Opening Night in Lausanne statt, aber wie gewohnt bringt das begehrte Musikfestival auch die Gegend rund um den Schiffbau zum Kochen. Das Line-up lockt mit vielversprechendem schwedischem Folk, Balkan-Beats, Elektro und natürlich jeder Menge Schweizer Acts. Auch werden wieder die besten Newcomer aus den Bereichen Pop, Rock, Electronic und Urban öffentlich gekürt und mit verlockenden Preisen überschüttet. Spannung ist garantiert, da mehr denn je junge Schweizer Künstler Kostproben ihres Könnens für diesen Event eingereicht haben. Als Geheimtipp legen wir euch nicht nur die Konferenz mit spannenden Diskussionen, die Auftritte des ehemaligen KraftwerkMitglieds Karl Bartos und des Argentino-Schweden José Gonzaléz ans Herz, sondern auch die am Sonntag im Riffraff gezeigten Best Ofs der Schweizer Musikclip18

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szene mit anschliessendem Konzert von Ian Constable in der Riffraff-Bar. Trotz oftmals kleinstem Budget wissen die Filmemacher mit Witz und Ideenreichtum den Zuschauer zu überzeugen und zeigen einen interessanten Querschnitt

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durch die Musiklandschaft der Schweiz. Wer sich also schon die begehrten Tickets mit neuerdings vergünstigender Wirkung auf alle Zugbillets sichern möchte, findet sämtliche Info auf m4music.ch. (ak) Das m4music Festival bietet auch dieses Jahr reichliche Einblicke in die hiesige und internationale Musikszene.

Was genau verbindet einen Gastronomen aus Leib und Seele, einen Koch aus Leidenschaft, eine mit tausend Talenten und Sprachen gewaschene Weltenbummlerin und einen Architekten auf geometrischen Umwegen? Ganz einfach: ihre Freundschaft und der gemeinsame Wunsch, einen eigenen Catering-Betrieb aufzubauen. Das Projekt ‹Hin & Weg Catering› fand seinen Ursprung auf einem zerknitterten Zettel, welcher ab 2007 mit Klebeband an der Eingangstüre einer 3-ZimmerWG im Zürcher Kreis 4 heftete. Diese beiläufige Notiz setzte den Grundstein für eine Unternehmung aus dem Dreigespann Catering, Comptoir und einer sogenannten ‹Cuisine Volante›. Mit diesen drei ineinander greifenden Geschäftsfeldern schloss sich bald ein erster Kreis, welcher der Devise der Gründer, ‹vor 30 ein Restaurant, vor 40 ein Hotel›, immer näher rückte. Höchste Ansprüche an Qualität und Zubereitung der Produkte, Perfektion und Liebe zum Detail bei der Anrichtung und Leidenschaft beim Servieren – diese Leitplanken formten fortan den gastronomischen Massstab von Hin & Weg Catering. Mittlerweile ist das Team mit der Eröffnung ihres Comptoirs an der Birmensdorferstrasse in Zürich und der ‹fliegenden Küche› an einem Punkt angelangt, wo die Ideen auf dem zerknitterten Zettel Realität geworden sind. (cd) hinundweg.biz


Willkommen in der Welt von Red Bull.

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‹kinkimag.com›

blaine fontana ‹Templings› heissen die charakteristischen Figuren, die sich morphologisch aus den Komponenten ‹temple› und ‹being› zusammenfügen und figürlich sperrig daherkommen. Ihre Haut ist braun und dickhäutig, als wären die Männlein aus den Tiefen des Waldes hervorgekrochen. Doch gibt es die Wesen in zahlreichen Ausführungen: mit weiss-roten Gesichtern, aus Wurzeln und Ästen erwachsend oder als Tiere verkleidet. Gemein ist allen ein Ausdruck von Weisheit und Spiritualität. Ob es nun Waldgeister, Schamanen, Götter oder Halbgötter sind, bleibt der Interpretation des Betrachters überlassen. Offensichtlich ist indes die Inspirationsquelle des Künstlers: religiöse Mythen, Folklore, aktuelle soziale Strömungen und die Natur herself. Letztere ist allgegenwärtig in Fontanas Werken: auf jedem Bild treibt sich mindestens ein Tier herum oder rankt sich eine Pflanze empor, so dass man wirklich vom Genre des ‹Urban-Organic Contemporary Surrealism› sprechen kann. Wem dies zuviel des Biologischen und Spirituellen scheint, der sollte sich besinnen und sich rein der künstlerischen Seite von Fontanas Werk zuwenden. Blaine Fontana malt mit starken Farben fantastische Welten, welche er durch filigrane grafische Elemente wie Pfeile, Muster oder abstrakte Pflanzen durchbricht. Da können hippe Illustratoren, die sich antinaturalistisch gegen jegliches Können auflehnen und dementsprechend kribbeln und krakeln, gleich einpacken. Von Blaines unanfechtbaren künstlerischen Fertigkeiten könnt ihr euch auf kinkimag.com/ art selbst überzeugen. Grüsst also Baum und Bär und wer weiss, vielleicht seid ihr gar für die vermeintliche therapeutische Wirkung empfänglich.

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one life stand

Immer schneller geben sich die verschiedenen Musikstile die Klinke in die Hand und verschwinden oft so schnell von der Tanzfläche, wie sie daraus hervorgesprossen sind. So dürfte man auch der Stilumschreibung ‹UK-Funky› kritisch bis gelangweilt gegenüber stehen, sähe sie sich nicht mit einer so genialen Band wie Hot Chip im internationalen Musikmarkt vertreten. Mit ihrem mittlerweile vierten Studioalbum ‹One Life Stand›, welches sie in nur zwei Monaten aufgenommen haben, stürmen Hot Chip einmal mehr die alternativen Hitparaden dieser Welt und scheinen ihrem Ruf als Heilsbringer der mittlerweile etwas öde gewordenen Elektropopszene ohne Mühe gerecht zu werden. Mathias Bartsch sprach mit Gitarrist Owen Clarke über die immer verwirrenderen Musikgenres, die hohen Erwartungen, die an die Band gestellt werden, Owens Illustrationstalent, Remixanfragen und ihr Verhältnis zum australischen Popsternchen Kylie Minogue, die sich ebenfalls als Fan der englischen Wunderkinder outete und ihnen sogar eine Songidee vermachte.

pughatory Dass die Grenzen zwischen Mode und Kunst nicht ganz so klar auszumachen sind, wissen alle, die sich für mehr als nur den OttoKatalog interessieren, bestimmt schon lange. Wie sehr diese beiden Bereiche aber in gewissen Momenten zu verschwimmen vermögen, wird einem vielleicht erst dann bewusst, wenn kreative Köpfe die Mauern zwischen Mode und Kunst ganz zum Einstürzen bringen. Deshalb lädt die Fotostrecke der deutschen Fotografin Madame Peripetie alias Sylwana Zybura, die wir euch diesen Monat auf kinkimag.com/magazin vorstellen, zu viel mehr als einfach nur zum Shoppen ein. ‹Pughatory› zeigt uns mit einem kreativen Styling, ungewohnten Blickwinkeln und seltsamen Materialien, dass Mode nicht unbedingt enden muss, damit die Kunst beginnt.

und susch? Nebst ergänzenden Artikeln, täglich aktualisierten Blogs, der therapeutisch wertvollen Klagemauer, Videos und Künstlerporträts bietet kinkimag.com natürlich auch darüber hinaus den Kreativen und Schöngeistigen unter euch haufenweise Anreiz zum Verweilen. So wird diesen Monat beispielsweise der Sieger der Diesel-Aktion ‹be stupid› gekürt und im Rahmen des Red Bull Storyteller-Wettbewerbs suchen wir nach begabten Schreiberlingen und VJs. Mehr dazu auf Seite 108 dieses Hefts oder auf kinkimag.com/magazin. Und auch all jene Faulen und Nimmersatten unter euch, die einfach nur absahnen wollen, haben wir selbstverständlich mit einigen zusätzlichen Wettbewerben bedacht. Ein Besuch lohnt sich also im wahrsten Sinne des Wortes!


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Unsere Uni 3

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Letzten Herbst übten die Studenten des Landes den ­Aufstand. Doch nur der kleinste Teil der geistigen Elite schien sich am Reformprotest aktiv zu beteiligen und so verschwand die leise Unruhe so schnell, wie sie gekommen war, wieder von den Titelseiten. ‹War’s das schon?›, fragten wir uns deshalb und schickten unseren Reporter Daniel Mahrer los, um einen Blick hinter die Kulissen der zurückhaltendsten aller Studentenunruhen zu werfen. 22

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s herrscht eine beinahe schon gespenstische Ruhe in den leeren Gängen im Kollegienhaus der Universität Basel, nur hin und wieder hasten ein paar vereinzelte Gestalten während der Semesterferien durch die Eingangshalle. Davon, dass hier Anfang November letzten Jahres die Welle der Studentenproteste auch an Schweizer Ufern zu branden begonnen hat, zeugen ausser der Pinwand mit den Forderungen und Zeitungsartikeln zum Thema sowie ein paar Sprayereien an der Aussenwand kaum noch Spuren. ‹Das waren keine von uns, wie man an den groben Rechtschreibfehlern erkennen kann›, sagt ein auf die Sprayereien zeigender Student, der bei der Basler Besetzung dabei war. ‹Und falls doch, hätten wir einen deutlichen Beweis dafür, wie sehr unser Bildungssystem im Argen liegt›, schmunzelt er.

er zu verkürzen. Als einheitliche Abschlüsse wurden Bachelor und Master eingeführt, die das Erreichen einer bestimmten Anzahl von Punkten für die erfolgreiche Teilnahme an Vorlesungen und Seminaren – sogenannte Credit Points – voraussetzen. Die Reform bringt Veränderungen mit sich, die vor zehn Jahren ganz klar gewollt gewesen seien, wie Antonio Loprieno, Rektor der Universität Basel und Präsident der schweizerischen Rektorenkonferenz, betont. Mehr Vorgaben und eine stärkere Strukturierung des Studiums bedeuten aber auch weniger Möglichkeiten für eine selbstständige Studiengestaltung und die kritische Reflexion der Studieninhalte, und führen insgesamt zu einer stärkeren Verschulung der Lehre. Durch den hohen zeitlichen Aufwand sind die Studenten ausserdem kaum noch in der Lage, sich über die geforderten Fachkenntnisse hinaus eine ihren Interessen entsprechende Bildung anzueignen, geschweige denn ihr Studium durch einen Nebenjob selbst zu finanzieren. Die Folgen von alldem sind offensichtlich: Der wachsende Einfluss der Privatwirtschaft führt zu einer schleichenden Privatisierung der Ausbildung und die Universität wird zunehmend zu einer Eliteinstitution, die die sozialen Unterschiede weiter reproduziert.

Schule statt Uni

Orthografie spielt bei den Protesten Ausgabe 09, Titel: ‹Unsere Uni›, aber allerhöchstens eine unbedeutende Nebenrolle. Die angesprochenen Probleme, die sich über die vergangenen Jahre hinweg zunehmend verschärft und jetzt die brodelnde Unmutssuppe zum Überkochen gebracht haben, sind vor allem sozialer und wirtschaftlicher Natur und betreffen in erster Linie die Institution der Universität und die Form ihrer Lehre selbst. Das grosse Reizwort, das die Köpfe vieler Studierender zum Glühen bringt, heisst ‹Bologna›. Es bezeichnet jene Hochschulreform, die vor zehn Jahren einen gesamteuropäischen Bildungsraum schaffen und durch eine Vereinheitlichung der Abschlüsse eine neue Mobilität und Vergleichbarkeit der akademischen Qualifikationen untereinander ermöglichen sollte. In diesem Zug wurden die Studiengänge stärker strukturiert und gestrafft, um die Effizienz zu erhöhen und die Studiendau-

Obgleich diese Probleme die hiesigen Studenten schon seit geraumer Zeit bedrücken, wurde die Schmerzgrenze erst letztes Jahr erreicht. Dies hängt sicher auch mit den Ereignissen in Österreich und Deutschland zusammen, wo schon das gesamte Jahr über gegen Studiengebühren und für bessere Bedingungen an den Hochschulen demonstriert und Anfang Herbst 2009 auch erste Universitäten besetzt wurden. Von einem importierten Protest zu sprechen, wie in der eidgenössischen Öffentlichkeit weitläufig die Rede war, greift allerdings deutlich zu kurz, denn so sehr sich die Forderungen auch ähneln: Die Studierenden legen hier gezielt den Finger in eine Wunde, die alles andere als frisch, aber trotzdem nach wie vor offen ist. Dabei handelt es sich auch entgegen der ebenfalls weit verbreiteten Meinung keinesfalls um einen Haufen linksalternativer Krawallgurken, deren Wahl bei der Suche nach einem warmen Raum zum Kiffen rein zufällig auf die Aula der Universität gefallen ist. Nach 1968 und 1989 reiht sich die ‹Unsere Uni›-Bewegung pünktlich in den 20-JahreRythmus der studentischen Unruhen ein. Doch ein Vergleich insbesondere mit der grossen Schwester von 68 erscheint allenfalls mit starker Zurückhaltung plausibel, wie unter anderem auch Ueli Mäder, Professor für Soziologie in Basel, anmerkt. Mäder weiss, wovon er spricht, ist er doch 1968 früh nach Paris in die Mitte des Geschehens gefahren und hat versucht, bei seiner Rückkehr etwas von dem revolutionären Geist in die Schweiz mitzunehmen. Die damalige Situation sei viel stärker emotionalisiert, man sei viel heftiger aufgewiegelt gewesen, ein über

Jahre hinweg gewachsener Groll auf Autoritäten und versteinerte Strukturen im Allgemeinen habe plötzlich ein Ventil gefunden und globale Ereignisse wie etwa der Krieg in Vietnam haben zusätzlich polarisiert und radikalisiert. Die Unruhen von damals konnten auf eine breite Unterstützung in der öffentlichen Gesellschaft zählen, die aktuelle Situation dagegen ist abstrakter, komplexer, diffuser und somit auch weniger greifbar, hat aber bei einer genaueren Betrachtung ebenfalls eine gesellschaftliche Relevanz, auch wenn Umwälzungen im grossen Stil wie damals kaum zu erwarten sind. Als Altdekan der Philosophisch-Histo­ rischen Fakultät gehört Mäder heute selber derjenigen Institution an, gegen die er damals aufbegehrt hat, was allerdings nicht bedeute, dass er über die Jahre die Seiten gewechselt hätte, unterstreicht Mäder. Gemeinsam mit andern Dozierenden aus der ganzen Schweiz hat er eine Unterstüt- 4 zungsbekundung unterschrieben, die den Studierenden Mut machen soll, die aktuellen Diskussionen weiterzuführen und sich nicht von etwaigem abwehrenden Verhalten der Hochschulleitungen davon abbringen zu lassen, in einer kreativen Art und Weise den Dialog zu suchen, der eine nachhaltige Verbesserung der Ausbildungssituation zum Ziel hat. Anders als vergangene Proteste richten sich die heutigen Unruhen nämlich nicht primär gegen konkrete Institutionen wie beispielsweise die Universitätsleitung an sich, sondern vor allem gegen dieses abstrakte Konstrukt der eingangs erwähnten Bolognareform, die auch in den Reihen der Dozierenden nicht nur auf Anklang gestossen ist, sowie gegen deren Folgen.

1968, 1989, 2009 Dieser Sachverhalt führt zu Überlagerungen klassischer Fronten. So zogen zum Beispiel an der Kunstakademie in Wien, wo die Proteste ihren Anfang nahmen, die Professoren zusammen mit ihren Studenten ins Audimax der Universität zur Besetzung. Aber auch eine politische Einordnung der Proteste fällt nicht ganz so leicht, wie es auf den erste Blick scheint. Selbst wenn ein grosser Teil der Besetzer verständlicherweise aus dem linken Lager stammt, ist die Sache dennoch zu komplex, um sie in ein LinksRechts-Schema zu pressen, was sich unter anderem auch daran zeigt, dass beispielsweise Altbundesrat und SVP-Poltergeist Christoph Blocher seine Sympathien für die Proteste bekundet hat, da es hier um junge Leute gehe, die echtes Interesse an der Qualität ihrer Ausbildung zeigten. Doch während die Aktionen in Deutschland und Österreich stärker politisiert sind und damit auch von den Medien und der Öffentlichkeit besser getragen werden, sind die allgemeinen kinki 23


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Reaktionen hierzulande verhaltener, kritischer und weitaus weniger wohlwollend als bei unseren deutschsprachigen Nachbarländern. Das Bild, das von der hiesigen Presse überwiegend gezeichnet worden ist, ist dasjenige eines versprengten Häufchens halbmotivierter, auf dem Boden sitzender Studenten, die in den besetzten Aulen Betttücher bemalen und wohl selber nicht so recht wissen, wofür oder wogegen sie eigentlich sind, und die sich in endlosen Plenen verzetteln. Dass gerade in der Schweiz die teilweise schwache Beteiligung an den Protesten auf mangelndes Interesse der Studierenden zurückzuführen sei, will man auf Seiten der Besetzer aber nicht gelten lassen: ‹Klar kommen wenige, die meisten haben ja aufgrund ihres Studiums kaum Zeit dafür, es ist Prüfungszeit und auch einige der aktiven Besetzer sind durch die Aktionen ganz schön ins Hintertreffen geraten›, so ein Aktivist in Basel. Blanke Ironie? Es sei seitens der Medien zu ungenau hingeschaut und vorschnell geurteilt worden, klagt ein anderer Basler Student. Kaum jemand habe sich die Zeit genommen, die Resultate der Diskussionen, die im Interesse einer freien Meinungsäusserung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden haben, festzuhalten, weshalb der Eindruck entstanden sei, es fehle an klaren Forderungen, die eine Besetzung rechtfertigen würden. Dass diese Forderungen allerdings erst demokratisch formuliert werden müssten, was nun mal seine Zeit brauche, habe man grosszügig ignoriert. Ueli Mäder sieht einen weiteren Grund für das makelhafte Image der Protestbewegung. Einerseits haben sich einige Verantwortliche der Universität mangelhaft informiert und schon früh despektierlich über die Proteste geäussert, andererseits hätten aber auch die Studenten bei der Kommunikation ihrer Forderungen sowie der Öffentlichkeitsarbeit aufgrund ihrer Unerfahrenheit in diesem Bereich Fehler begangen und seien teilweise bei den Besetzungen etwas unsensibel vorgegangen. Dies habe dazu geführt, dass sich selbst Medienschaffende, die mit den Anliegen der Studenten anfangs durchaus sympathisierten, schliesslich eher kritisch über die Bewegung äusserten. Jedoch müsse man auch die Rolle der Presse kritisch hinterfragen, die dem Thema nicht in vollem Umfang gerecht geworden sei. Tatsächlich sind die Forderungen der heutigen Bewegung ausserhalb der Hochschulen etwas schwieriger zu vermitteln als noch vier Jahrzehnte zuvor, weshalb die Gefahr gross ist, das Ganze auf den ersten Blick als ‹Jammern auf hohem Niveau› abzutun. Doch das ist Professor Mäder zu abgeschmackt: ‹Es stimmt, dass sowohl die Studierenden wie auch ganz besonders die Dozierenden ganz klar hochprivilegiert sind, weshalb Klagen aus dieser Ecke ungern gehört werden. Wenn aber Hinweise auf eine Verschlechterung der Ausbildungssituation auftauchen, so müssen diese in einem sich korrigierenden System durchaus ernst genommen und diskutiert werden.› Dass dies etwa in Deutschland um einiges heftiger geschieht, liegt auch daran, dass die Gesamtsituation dort ein wenig heikler ist als bei uns. Die Betreuungsverhältnisse sind dort beispielsweise um einiges schlechter und die 26

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Frage der Studiengebühren ist zu einem Politikum geworden, das eine breite Masse an Studenten schon das ganze letzte Jahr über auf die Strasse getrieben hat. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Tatsache, dass die Bolognareform vielerorts erst seit kurzem in vollem Umfang in Kraft getreten ist. Während in der Schweiz höchstens noch Schadensbegrenzung betrieben werden kann, entwickeln die Studenten im benachbarten Ausland angesichts der Hoffnung, die Reform doch noch abzuwenden, einen deutlich grösseren Enthusiasmus.

‹Da hängen eh nur Sozis rum.› Eine Eigenheit, die sich jedoch grenzübergreifend durch die Bewegung zieht und diese in ihrer Durchschlagskraft spürbar einschränkt, ist die Gespaltenheit der Studenten unter sich. ‹Das ist doch wieder so ein Ding von Selbstverwirklichern, die ihr Studienleben mit Inhalt füllen wollen, ich als Techniker habe aufgrund meines Studiums gar keine Zeit für derartige Aktionen›, bemerkt ein Student der TU München. Und auch sonst werden die Besetzungen von Fakultäten wie beispielsweise der wirtschaftlichen eher mit Skepsis beäugt: ‹Die Diskussionen find ich an sich richtig, aber ich geh nicht auf die Demos, da hängen doch eh nur Sozis rum›, ist teils verächtlich zu hören. Tatsächlich sind nicht alle Studiengänge von den negativen Seiten der Modularisierung im Zuge der Bolognareform gleichermassen betroffen. So fällt beispielsweise bei den technischen oder wirtschaftlichen Fakultäten die Anpassung an stärkere Strukturen bedeutend einfacher aus als in den sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächern, aus denen daher auch das Gros der Protestierenden stammt. Gerade Geisteswissenschaftler leiden nämlich besonders unter der Schwächung ihrer Eigenverantwortung, da das Ziel ihrer Ausbildung nicht primär ein bestimmtes Berufsbild ist, sondern viel mehr die Aneignung eines kritischen und unabhängigen Standpunktes gegenüber kulturellen und gesellschaftlichen Phänomenen. Die laufenden Ereignisse sind aber nicht nur Ausdruck einer Unzufriedenheit mit der aktuellen Bildungssituation, die sich im Laufe der Jahre entwickelt hat, sondern stehen generell im Zeichen einer wachsenden Polarisierung der Gesellschaft, die vor allem die sozial Benachteiligten immer mehr zur Offensive aufruft. Mit der Finanzkrise hat sich auch die wirtschaftliche Situation der Studierenden drastisch verschärft. Das hat insbesondere auch die Mittelschicht, die in den letzten Jahren zu den grössten Absteigern gehörte, zu spüren bekommen. ‹Eure Krise zahlen wir nicht!› lautet dementsprechend auch die politische Ansage deutscher Studenten, die noch stärker als in der Schweiz mit steigenden Studiengebühren und sinkenden Stipendien konfrontiert werden. Bei der Organisation und Kommunikation der Proteste spielen heute soziale Netzwerke und diverse Blogs eine immer grössere Rolle. Über Facebook oder Twitter informieren die Besetzer in Echtzeit über laufende Aktionen und

solidarisieren sich untereinander. Mit Konzerten, Partys, aber auch Podiumsdiskussionen mit international renommierten Gästen wird häufig ganz nach den Regeln des Marketings die eigene Botschaft platziert. Ob und in welcher Art und Weise die Forderungen nach einer Demokratisierung der Bildung allerdings Gehör finden werden, steht noch aus. Dass Bologna komplett gekippt wird, ist aber genauso unrealistisch wie unnötig. Auch wenn attraktive Ziele wie beispielsweise die erhöhte Mobilität der Studenten im europäischen Bildungsraum aufgrund einer noch nicht vorhandenen Vergleichbarkeit der verschiedenen Universitäten untereinander bislang mitunter krass verfehlt wurden, gilt es jetzt in erster Linie, die Kinderkrankheiten der Reform, die im Laufe einer überhasteten Umsetzung aufgetreten sind – wie etwa die erhöhte Bürokratisierung und die starke Verschulung –, auszumerzen und vor allem auch einen möglichst breiten Zugang zu den Hochschulen zu ermöglichen, um den Winkel der sozialen Schere zu verkleinern. ‹Reiche Eltern für alle!› wäre sicher ein Schritt in die richtige Richtung, realistischer wäre es allerdings, bei den Studiengebühren und im Stipendienwesen zu beginnen sowie mit weniger straffen Studienstrukturen die Möglichkeit zu schaffen, das Studium durch Nebenjobs finanzierbar zu machen.

Kater nach den Semesterferien? Die Ruhe im Basler Kollegiengebäude ist symptomatisch für die momentane Ruhe in der Bewegung. Für die Zeit nach den Semesterferien sind aber weitere Aktionen geplant. Professor Mäder rät den Studierenden, keine Energie mehr beim stoischen Ausharren in kalten Aulen zu vergeuden, sondern alle Kraft in neue, kreative Formen des Protests zu setzen und weiterhin den kritisch widerständigen Dialog zu suchen. Ob die ‹Unsere Uni›-Bewegung den Schwung über die Semesterferien hinweg retten kann oder ob danach nur noch ein paar vereinzelte Aktivisten beim Kaffee in der Uni den Kater nach der Revolte, wie ihn Tagi-Reporter Constantin Seibt bei der ‹Unitopie› 1989 in Zürich beschreibt, verspüren werden, bleibt abzuwarten. In ihrem Buch ‹Zürich, Sommer 1980› dokumentieren die Fotografin Olivia Heussler und der Autor Stefan Zweifel die Zürcher Unruhen. Heussler war zugleich Aktivistin und Beobachterin und bietet uns deshalb in ihren Bildern einen eindrücklichen Blick hinter die Kulissen der anarchistisch aus­ gerichteten Jugendrevolte. Auch an der Zürcher Uni zog man vor 30 Jahren durchaus lautstark und gewaltbereit gegen das Establishment in die Schlacht, wie die hier gezeigten Motive aus Heusslers Bildband beweisen.

‹Zürich, Sommer 1980› von Olivia Heussler erscheint diesen April bei der Edition Patrick Frey für CHF 68.–. Der Dokumentarfilm ‹Züri brännt› schildert in Wort und Bild die Zürcher Unruhen von 1980 und ist unter videoladen.ch als DVD inkl. umfassendem Zusatzma­terial erhältlich.


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1. Klare Forderungen einer verärgerten Jugend 2. Gegen Zensur und Repression: Streik an der Uni Zürich 3., 5. & 7. Aktionstag der Studenten an der Universität Zürich im Juni 1980 4. Never mind the generation gap! 6. ‹An dem Arschloch kommt keiner vorbei›: Streik an der Uni Zürich 8. Am Weihnachtstag 1980 liefern sich 8000 Demonstranten eine Strassenschlacht mit der Polizei 9. Ausschnitt aus dem von Regierungsrat Gilgen zensierten Film 10. Juni 1980: Graffiti vor dem Zürcher Café Odeon 11. Glaube, Hoffnung und Krawall 12. Vor dem Rathaus: Masken von Stapi Sigi Widmer und Emilie Lieberherr, Juni 1980 13. Tränengaseinsatz bei der Wohnungsnot-Demonstration am Bellevue 14. Zürich brannte an allen Ecken und Enden 15. Demonstration gegen Alfred Gilgen an der Bahnhofstrasse 16. Demo für ein autonomes Jugendhaus, Rathaus Juni 1980 17. Demonstration am Zürcher Bellevue 18. Die Studenten fühlten sich wie Kinder behandelt und entschlossen deshalb, die Mensa in einen Sandkasten zu verwandeln 19. Demonstration gegen Alfred Gilgen an der Zürcher Bahnhofstrasse 20. Alte Werte versus neuer Wind 21. Der Name ist Programm: Cover zum Dokumentarfilm ‹Züri brännt›

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Bilder: Olivia Heussler / clic.li Bilder 1 / 4 / 9 / 14 / 20: ‹Züri brännt› (Videoladen), BILD 11: Klaus Rosza

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Psy-Soldiers Manch einer mag über George Clooneys komödiantisches Talent staunen, wenn er als Psy-Soldat in seinem aktuellen Film ‹The Men Who Stare at Goats› mit reiner Telekinese Tiere in die Knie zwingt. Kaum jemand wird dabei aber vermuten, dass parapsychologische Kriegsführung, Hypnose und Hellseherei nicht nur im Esoterikladen, sondern auch in der Geschichte des Militärs eine wichtige Rolle spielen. Text: Florian Hennefarth, Illustration: André Gottschalk

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nde der 60er-Jahre gründete Lieutenant Jim Channon eine einzigartige Spezialeinheit. Ihre Stärke: die Bezwingung der Gegner durch parapsychologische Phänomene. Diese Supersoldaten sollten Ziele sehen, bevor sie sichtbar waren, durch Wände gehen und den Gegner mit nur einem gezielten Blick töten. Es entstand das ‹First Earth Batallion›, das nach dem Fiasko von Vietnam die amerikanische Ehre retten und endgültig die Welt erobern sollte. Jedenfalls war das der Plan. Die neue Komödie mit George Clooney und Ewan McGregor in den Hauptrollen hat sich diesem Mythos angenommen. ‹The Men Who Stare at Goats› zeigt die bizarren Geheimexperimente des US-Militärs mit dem Paranormalen: Hellseherei, Hypnose und Telekinese. Doch was geschah damals wirklich?

Militärische Tierversuche Wir schreiben das Jahr 1960. Wir befinden uns mitten im Kalten Krieg zwischen den ideologischen USA und den stolzen Russen. Unglaubliche Meldungen kursieren unter den Geheimdiensten. Angeblich soll es Nina Kulagina gelungen sein, aus der Entfernung von einem Meter den Herzschlag eines Frosches zu stop28

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pen. Dem russischen Medium sagt man zwar schon länger nach, diverse Objekte lediglich durch Gedankenkraft bewegen zu können; die Fähigkeit, ein Lebewesen durch reine Gedankenkraft ‹auszuschalten›, ist jedoch eine wahre Sensation, die bei US-Präsident Dwight D. Eisenhower und seinem Verteidigungsstab die roten Lichter angehen lässt. Eine geheime Spezialeinheit soll fortan in Fort Bragg, North Carolina, an Ziegen diese psychologische Waffe entwickeln und so den Kalten Krieg zugunsten der USA entscheiden. Das erste parapsychologische Regiment einer staatlichen Armee wird so aus der Taufe gehoben und der Mythos nimmt seinen Lauf. Grösste Aufmerksamkeit genoss diese Spezialeinheit nach dem endgültigen Scheitern des Vietnamkrieges im Jahr 1975. Auf all das sinnlose Blutvergiessen und mehr als drei Millionen Todesopfer reagierten die US-Bürger mit Hasstiraden und verwandelten sich über Nacht zu einer friedenshungrigen Nation. Die USStreitkräfte erlebten den grössten Tiefpunkt ihrer Geschichte. Nur so lässt es sich rational erklären, dass ein Vietnamveteran und bekennender Hippie namens Jim Channon vom Pentagon erhebliche finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt bekam, um auf einer fast zweijährigen Reise durch die USA esoterische Erscheinungen zu erforschen, die schliesslich die Grundlage des ‹First Earth Batallion› darstellten. Die Soldaten dieser Einheit sollten gleichzeitig zu spirituellen Mönchen wie auch zu mächtigen

Kriegern ausgebildet werden. Als Channon seinen Vorgesetzten den Ausbildungsplan der Kriegermönche vorlegte, sollen diese angeblich zu Tränen gerührt gewesen sein. Die hartgesottenen Generäle waren sich sicher, dass dieses Handbuch die US-Streitkräfte zukünftig unbezwingbar machen und ihr Ansehen wieder steigern würde.

Make Love, Not War ‹Es ist Amerikas Aufgabe, die Welt ins Paradies zu geleiten›, so lautete einer der Grundsätze von Jim Channons Mannen. Und die Ausbildungsmethoden des Armee-Gurus waren nicht weniger abstrus. Statt mit Schnellfeuergewehren und Granaten bewaffnet, sollten seine Soldaten künftig mit Kräuterbeuteln, Wünschelruten und Akupunkturnadeln ausgerüstet werden. An der Uniform sollten kleine Lautsprecher angebracht werden, die in länderspezifischer Heimatmusik die Worte des Friedens verkünden. Die Kriegermönche würden ihre Feinde nicht länger durch Waffengewalt in die Flucht schlagen, sondern durch positive Energie. Der erste gesichtete Gegner sollte zunächst mit einer liebevollen Umarmung überrascht werden, und als Zeichen des Friedens sollte ein süsses Opferlamm vor den feindlichen Gefechtsquartieren abgeladen werden. Die US-Befehlshaber fanden es klasse und sahen ein Ende der Kriegsdepression schon in greifbarer Nähe.


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Trotz intersiver Ausbildung und dem Rückhalt aus dem Pentagon wurde das ‹First Earth Batallion› offiziell nie in ein Gefecht gesandt. Auf Grundlage von Jim Channons Handbuch wurden dennoch etliche Spezialeinheiten ins Leben gerufen, deren Techniken teilweise auch noch heute propagiert werden, wie einige Militärexperten behaupten. Von dem pazifistischen Grundgedanken des Hippie-Lieutenant ist dabei allerdings wenig übrig geblieben. So sollen Inhaftierte beispielsweise durch Drogen wie LSD oder konzentriertes Cannabisöl bei Verhören geschwätziger gemacht werden. Eine Methode, die von der CIA direkt an den eigenen Leuten erprobt wurde, weshalb zu Weihnachtsfeiern stets ein Memo verfasst werden musste, dass der Eierpunsch nicht ‹gestreckt› werden dürfe. Ausserdem werden angeblich weiterhin psychologische Spione eingesetzt. So sollen laut einem Bericht aus dem Jahr 2007 die Anschläge des 11. September schon Jahre zuvor durch so genannte ‹Remote-Viewers› vorhergesagt worden sein. Von diesen Remote-Viewers glaubt man, dass sie Objekte und Vorgänge wahrnehmen könnten, zu denen die fünf gebräuchlichen Sinne nicht im Stande sind. Es gilt als wahrscheinlich, dass diese Psychospione nach den Anschlägen auf das World-TradeCenter reaktiviert wurden.

Parapsychologische Kriegsführung Obgleich Grant Heslovs Film natürlich eine Fiktion ist, muss man dem Vorspann Recht geben, demnach mehr daran wahr ist, als man glauben würde. Wahr ist beispielsweise, dass eine Einheit namens ‹Army’s Intelligence and Security Command› (INSCOM) als Nachfolger von Channons Spezialtruppe gegründet wurde. Sie entwickelte ein eigenes Remote-Viewing-Programm und wurde in asiatischen Kampftechniken wie auch in Disziplinen wie ‹Sich unsichtbar machen›, ‹Durch Wände laufen› oder im berüchtigten ‹Ziegenanstarren› unterrichtet. Entgegen dem, was der Film suggeriert, waren diese letzteren parapsychologischen Versuche jedoch vollkommen erfolglos. Nichtsdestotrotz ist (Para-)Psychologie auch heute noch ein wichtiger Bestandteil der Kriegsmaschinerie. Allein wenn der Feind nur glaubt, man könne ihn mit einem einzigen Blick töten, dann ist er bereits halb besiegt. Und wenn Mitglieder der US-Truppen auch heute noch vor Gefechten und Einsätzen gemeinsam meditieren, schärfen sie auf diese Weise nicht anders wie die Samurai vor Hunderten von Jahren ihre Konzentration und ihren Geist. Inzwischen hat die US-Armee sogar ein 4-Millionen-DollarBudget verabschiedet, um neue ‹Therapieformen› wie etwa experimentellen Tanz, chine­ sische Heilkunst oder Yoga zu testen. Der Krieger von morgen heilt sich selbst durch Handauflegen. ‹The Men Who Stare at Goats› läuft seit 11. März im Kino.

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now.

outside is in.

Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu. Fumer nuit gravement à votre santé et à celle de votre entourage. Il fumo danneggia gravemente te e chi ti sta intorno.


‹zehn minuten mit› Zeitgenossen und Weltbürgern. Yorgos Kelefis: ‹Die Schweiz ist das pure Gegenteil von Griechenland.›

kinki magazine: Wie und wann begann die Geschichte des Ozon Magazins? Yorgos Kelefis: Alles fing im Jahre 1996 an, als eine Gruppe von Freunden nach ihren Studienaufenthalten im Ausland nach Athen zurückkehrte. Wir kamen aus verschiedenen Sparten wie Kunst, Journalismus und Kommunikation. Zu dieser Zeit gab es in Griechenland kein einziges Indie-Magazin, keine alternative Presse. Wir hatten während unserer Studien in Spanien und England interessante Independent Mags gesehen und dachten uns, es wäre cool, dasselbe in Griechenland zu versuchen. Was braucht man, um ein Magazin 14 Jahre lang am Leben zu erhalten? Viel Geduld und eine Vision. Die mag zwar manchmal unklar erscheinen, aber Hauptsache sie ist da. Wie würdest du die Medienlandschaft in Griechenland beschreiben? Unterscheidet sie sich sehr von jener in anderen europäischen Ländern? Man findet schon Parallelen und ähnliche Modelle. Aber man muss sich bewusst sein, dass Griechenland verglichen mit Westeuropa ein äusserst korruptes und armes Land ist.

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ls ich Yorgos während seiner Zwischenlandung am Zürcher Hauptbahnhof treffe, erwartet mich ein müder, frierender, aber zufrieden lächelnder Mann. In vier Stunden wird er zu den Fashionshows nach Kopenhagen weiterfliegen, wo er die Trends der nächsten Saison studieren und sich Inspirationen für eigene Events holen möchte. Die Kälte behagt dem sympathischen Griechen nicht, und der Taxistreik in Griechenland zwang ihn, heute Morgen bereits um halb fünf schwer bepackt durch das Athener Verkehrschaos zu rennen. Seit mehr als 14 Jahren ist Yorgos Herausgeber des Ozon Magazins,

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einem griechischen Mode-, Kunstund Lifestyleheft, das sich längst auch über die westlichen und östlichen Landesgrenzen hinweg einen Namen gemacht hat. Glücklich schält sich der feingliedrige Mann aus seinen Kleiderschichten, als wir nach einigem Schneestapfen endlich das Café erreichen. Sein umtriebiger Lebensstil führt ihn von Event zu Event, von Party zu Fashionshow und vom Büro zum Flughafen. Nichtsdestotrotz erscheint mir Yorgos jedes Mal ruhig und entspannt, wenn wir uns begegnen. Gleich zu Beginn unseres Gesprächs zeigt er mir das PDF der kommenden Ausgabe des Ozon Magazins auf seinem Laptop. Dabei strahlt er über sein ganzes verschlafenes Gesicht.

Griechenland liegt zwischen der westlichen und der östlichen Kultur. Wie wird diese Situation im alltäglichen Leben und in eurer Tätigkeit als Herausgeber spürbar? Dieser Zwiespalt ist Teil unserer DNA, könnte man sagen. Wir leben sozusagen in einem ständigen Übergang, und Übergänge können sehr spannend, aber auch unberechenbar, chaotisch, heikel und sehr spontan sein. So ist das Leben in Athen nun mal: man hasst es oder man liebt es. Ich empfinde jedoch Hassliebe gegenüber dieser Stadt und stehe so in unangenehmer Balance zwischen Anti- und Sympathie. Durch Ozon versuchen wir, die Dinge, die wir lieben, zu fördern. Dabei werfen wir oft auch einen Blick über die Landesgrenzen hinaus. Wie würdest du die griechische Kunst- und Modeszene beschreiben? Mode existiert in Griechenland lediglich auf der Strasse. Der

ganze Rest ist Bullshit. Da gab es eine grosse Lücke im zurückliegenden Jahrzehnt, es fehlten nationale modische Talente. Allerdings ist Street Fashion hierzulande ein sehr interessantes Phänomen, denn obwohl wir nicht über viele interessante Designer verfügen, adaptiert auch hier die Jugend sehr schnell internationale Modetrends. Die Kunstszene hat ihre Höhen und Tiefen. Zwar verfügen wir über einige gute Sammlungen, eine ordentliche Zahl zeitgenössischer Galerien und viele begabte junge Künstler, aber durch die inkonsequente Kulturpolitik der griechischen Regierung scheint es, als entwickle sich nichts so, wie es eigentlich sollte. Du warst schon mehr als ein Mal hier in der Schweiz. Was für einen Eindruck hast du von unserem Land? Die Schönheit der Natur hier ist natürlich unübersehbar und die kleinen Städte bieten anscheinend viel Lebensqualität. Die Menschen sind ruhig und zurückhaltend und es scheint, als ginge es finanziell allen einigermassen gut. Stellt man all diese Dinge Griechenland gegenüber, so erscheint die Schweiz als das pure Gegenteil meiner Heimat. Allerdings hat Griechenland diese wundervollen Inseln, auf die ein Grieche für nichts in der Welt verzichten würde! Yorgos lebt und arbeitet in Athen. Seine Lieblingsmagazine sind Apartemento (Spanien), KasinoA4 (Finnland), Tank (UK), Mad About Town (UK), 032c (Deutschland) und Fanzine 137 (Spanien). Weitere Info zum Ozon Magazine findet ihr unter ozonweb.com. Text und Interview: Rainer Brenner Foto: Marios Kalamaris



‹callcenter› Der Knieschuss Kreativ und depressiv? Eine Discounthotline verspricht Abhilfe. Was niemand weiss: Sie führt direkt in ein indisches Call­ center. Dort sitzt Rajiv Ratra und hört zu. Diesmal dem Tisch­ bombenbauer Louis Vollmann, der an der Kunstgewerbeschule Zürich Rosenblätter knallen lässt und versehentlich einen Rolf Knie malt. Text: Laurence Thio und Tin Fischer

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ls Louis Vollmann am Telefon von einer Tischbombe erzählt, ist Rajiv in Neu Dehli genervt: Was verdammt nochmal soll eine Tischbombe sein? Schnell gibt der Callcenteragent das Wort ins Übersetzungsprogramm ein: ‹party bomb›. Aha. Und was soll das sein? Er gibt ‹party bomb› in die Google Bildersuche ein. Ein Bild von zerfetzten Indern erscheint. Es ist mit ‹14 killed by Pakistan wedding party bomb› überschrieben. Rajiv runzelt die Stirn, probiert es mit einem wertneutralen ‹Okay›. – Und Sie haben eine Partybombe gezündet? fragt er Vollmann. Immerhin: er hat von seinem ersten Desasteranruf gelernt, als er nicht wusste, was ein Krippenspiel ist und es versehentlich für ein Musical hielt. Das hatte ihm die evangelische Kirche, für die er im Dienst war, schwer angelastet. Er wurde versetzt und betreut jetzt die Discounthotline für depressive Kreative. – Die ganze Party habe ich gesprengt! sagt Vollmann stolz. Rajiv ist verärgert: von Terroristen war nie die Rede! Trotzdem sucht er in seinem Computerprogramm nach weiteren Fragen. Er findet zwar alle möglichen psychischen Leiden, aber nichts zu Bombenbau und Terrorismus. ‹Na super›, denkt er sich. Also die Notfallfrage: – Was ist Ihr Problem, Herr Vollmann? Die Frage wirkt offenbar. – Er ist mein Problem! 34 kinki

schreit Vollmann. – Er? fragt Rajiv. – Mein Vater! Was glaubt der eigentlich, wer er ist? Ich bau hier die Tischbombe meines Lebens und er... Vollmann ringt nach Worten. Im Hintergrund hört man Feuerwerksalven – es ist die Abschlussfeier des Studiengangs Pyrotechnik an der Zürcher Kunsthochschule. Gerade demonstrieren seine Kommilitonen die Feuerfertigkeit, die sie in viereinhalb Jahren Pyro-Studium perfektioniert haben. Aber den Knaller des Abends hatte Vollmann gelandet.

Ein Spätzünder – Zwei Meter war sie gross, haben Sie so was schon mal gesehen? Mit Rosenblättern war sie gefüllt! Roten, weissen, schwarzen! Ich weiss schon, du sagst jetzt: das ist Kitsch. Aber mein Rosenbomber war ein Fest! Eine raffinierte Bombe. Erst das Farbspiel und dann der subtile Duft von Rosenessenz, der beim Abrauchen entstanden ist. Aber nein, Rajiv denkt sich nicht, dass das Kitsch ist. Er sieht nur die Horrorbilder der Verwüstung und Vollmann faselt über einen Rosenblätterregen. Glaubt da einer, bereits aus dem Paradies anzurufen? Er findet den Gedanken zwar selbst albern, fragt aber trotzdem, weil ihm nichts anderes einfällt: – Von wo rufen Sie an, Herr Vollmann? Vollmann zögert. Dann entgegnet er knapp:

– Toilette. – Toilette? fragt Rajiv. – Ja, ich bin hier auf der Schultoilette! Uff. Rajiv ist erleichtert. – Und was war mit Ihrem Vater? – Als die Zündschnur fast abgebrannt war, schaute ich in den Raum. Und er war nirgendwo. Ich sah die Väter der anderen, die Mütter – nur mein eigener Vater war nirgends. Und dann hat’s auch schon geknallt. Er beginnt wieder zu schluchzen. – Und er sagte nur, er sei eine rauchen gewesen. Verstehen Sie? Eine rauchen, während ich die Bombe meines Lebens zünde! – Er sollte sterben? fragt Rajiv, denkt sich aber: Uff, wenigstens einer davongekommen. Das findet zwar auch Vollmann etwas übertrieben, dass der Vater gleich sterben sollte, und er hätte den Vorschlag von einem Sorgentelefon nicht erwartet. Trotzdem sagt er sehr bestimmt, weil man kann das ja mal andenken: – Ja, das wäre das Beste. Er ist sowieso schon 85. – Ihr Vater ist schon 85?! Rajiv ist erstaunt. – Lange Geschichte, sagt Vollmann darauf nur. Vollmann senior ist der grösste Tischbombenfabrikant der Schweiz, ein Feuerwerker der alten Schule. Die Pyrotechnik hat er noch während des Zweiten Weltkriegs gelernt. Aber weil eine Sprengladung am Gotthardpass seinetwegen früher zündete, als sie sollte, also bevor Hitlers Armee überhaupt einmarschiert war, wurde er aus dem Dienst entlassen. Damit endete Vollmanns Militärkarriere

und es begann der unaufhaltsame Aufstieg der Vollmann Tischbombenfabrik AG. Doch in den 80er-Jahren steht sein Unternehmen unter Druck wie sonst nur seine Tischbomben bei der Zündung. Die Chinesen machen Konkurrenz. Und Vollmann ist zu diesem Zeitpunkt bereits 60 und hat weder Frau noch Kinder, geschweige denn einen Nachfolger. Da lernt er bei einer Vernissage eine junge Künstlerin kennen. Sie hat ihr Handwerk nicht im Krieg, sondern bei Rolf Knie gelernt. Wie ihr Mentor malt sie Zirkusbilder, die aussehen, als hätte man Tiere mit Farbe beschmissen. Vollmann stellt sie sofort ein, um neue Tischbombenumschläge zu gestalten. Die Bomben sprengen bei Spielwaren Franz Carl Weber die Bestsellerliste. Doch nicht nur ökonomisch, auch familiär bedeutet die Bekanntschaft für Vollmann den Durchbruch. Vollmann junior wird geboren. ‹Eine Spätzündung›, nennt Vollmann senior das. Als Louis Vollmann zur Welt kommt, zündet der stolze Vater im Beisein der Verwandtschaft, von Freunden und Geschäftsfreunden, ja sogar Rolf Knie und Franz Carl Weber sind anwesend, eine Tischbombe. Zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte der Vollmann Tischbombenfabrik AG verändert er den Inhalt der Bombe. Er füllt sie mit Rosenblättern. Doch es passiert etwas, was weder in Vollmanns Leben noch in der Geschichte der Vollmann Tischbombenfabrik je passiert war: die Bombe zündet nicht.


Manche sagen, dass Vollmann senior nur deshalb nie bei den Zündungen der Bomben seines Sohns mit dabei ist, weil er eine solche Schmach kein zweites Mal erleben will. Aber das weiss weder Rajiv, noch durfte es Vollmann junior je von der Geschichte ­seiner Geburt erfahren. Und so schluchzt er ins Telefon: – Es ist die pure Geringschätzung. Einmal hatte ich ein Tischbomben-Theater komponiert. Die Tell-Spiele! Eigentlich liebt mein Vater sie. Aber kurz bevor der Apfel aus der einen und der Pfeil aus der zweiten Tischbombe zündete, klingelte das Telefon. Und was macht mein Vater? Er geht ran! Angeblich wichtiger! Immer tut er so, als sei es

aus Versehen! Vollmann hat sich in Rage geredet: – Aber heute Abend ist er zu weit gegangen: Er ist seit 20 Jahren Nichtraucher! schreit Vollmann.

Knie’sche Kreationen Doch wird es nach dem Geschrei plötzlich still. Rajiv hört ein Klopfen durch das Telefon. – Sohn, bist du das? ruft eine Stimme aus der Nebenkabine. Im Befehlston sagt der Vater: Mach auf! – Ich bin auf der Toilette! entgegnet Vollmann. – Mit wem redest du? Wer ist da

noch drin?! fragt der Vater. Vollmann junior fühlt sich offenbar ertappt. – Niemand, sagt er schnell. Ich telefoniere. Es hilft nichts. ‹Aufmachen!› befiehlt der Vater. Rajiv hört nur, wie der Junior gehorcht. – Mit wem telefonierst du? fragt der Vater wieder. – Mit niemand. – Gib her! – Ein Freund von mir. Von uns. Du kennst ihn! sagt der Junior und Rajiv runzelt die Stirn. Es ist Rolf, Rolf Knie! Hoffentlich hat er sich innerlich selbst geohrfeigt für dies bekloppte Antwort. Wie konnte ihm ausge­ rechnet nur dieser Name einfallen? Aber der Vater hat ihm das Telefon bereits aus der Hand gerissen.

– Rolf? meldet sich eine alte Männerstimme. Rajiv hat keine Ahnung, wer Rolf Knie ist. – Ja? sagt er, vorsichtshalber mit etwas tieferer Stimme. – Du klingst seltsam, alles in Ordnung? Aber Vollmann senior ist jemand, der sich lieber selbst reden hört, als anderen zuzuhören, und so lässt er den Sohn in seiner Kabine sitzen, geht zurück in seine eigene und setzt zu einem Monolog an: – Du hättest hier sein sollen, Rolf! Was für eine Bombe, die mein Sohn gebaut hat. Ganz der Vater, sag ich dir. Ganz der Vater! Ich habe ja immer behauptet, dass man die Pyrotechnik nur im Krieg lernen kann! Aber ich muss sagen: gar nicht mal schlecht, was der kleine Studiosus hier gebaut hat! Der Bengel hat das grossartig gelernt, sagt Vollmann und bemerkt, dass er die Spüle noch nicht betätigt hat. – Wie findest du das, Rolf? fragt er schliesslich. Tja, was soll Rajiv dazu sagen? Doch muss er sich darüber keine Gedanken mehr machen. Der Vater drückt auf die Spülung, aber statt zu rauschen, macht es: Bang! Rajiv reisst vor Schreck das Headset vom Kopf und hört es durch das Telefon dröhnen. Jemand, der etwas von seinem Handwerk versteht, hat offenbar den Spülkasten mit Farbe gefüllt und durch den Siffon umgeleitet. Wie der Zirkuskram aus der Tischbombe ist die Farbe aus der WCSchüssel geschossen, hat die ganze Toilettenkabine vollgespritzt und den Vater in Farben getaucht. Perplex schaut dieser um sich. – Rolf? sagt er schliesslich. Das sieht hier aus wie in einem Bild von dir. Wäre tatsächlich Rolf Knie am Telefon gewesen, hätte er sich wohl beleidigt gefühlt, dass man seine Bilder auch einfach aus der Toilette knallen kann. Aber es ist schon so: Vollmann senior sieht aus wie einer dieser bunten Tiger in einem Gemälde von Rolf Knie. Und Rajiv hört nur den Junior zum Senior sagen: – Jetzt hast du endlich mal zugeschaut. Illustration: Patric Sandri

Ein verängstigter Vollmann als kreativer ­Knallkopf? Rajiv übt sich als Seelsorger und Kunst­experte.

Rajiv Ratra wird euch ab dieser Ausgabe monatlich einen kleinen Einblick in seinen stressigen Alltag als Seelsorger gewähren und bald schon auch auf kinkimag.com seine Dienste anbieten.

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Das Ende des EV-1 36 kinki


Während sich am diesjährigen ­Genfer Automobilsalon die Her­steller mit den neusten Errungenschaften in Sachen energiesparender und umweltschonender Technologien zu übertrumpfen versuchten, trauert eine Gruppe ehemaliger Elektroautofahrer noch immer um den General Motors EV -1. Eine Antwort auf die Frage, weshalb das erste Elektromobil sterben musste. Text: Martina Messerli

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chwarz gekleidet steht eine Gruppe von Menschen am 24. Juli 2003 auf dem ‹Hollywood Forever›-Friedhof in Los Angeles. Sie tragen Blumensträus­ se mit sich, die Gesichter sind ernst und manch einer wischt sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel. Obwohl diese Szenen für die Öffentlichkeit inszeniert sind und an diesem Sommertag kein geliebter Mensch, sondern ein Auto zu Grabe getragen wird, lässt einen der Eindruck, dass es diese Menschen in ihrer Trauer sehr ernst meinen, nicht ganz los. Es war ja auch kein gewöhnliches Auto, von dem sich Amerika an diesem heissen Julitag vor fast sieben Jahren verabschiedete. Die Wagenkolonne, die sich über den Friedhof schlängelte, mutete seltsam futuristisch an. Zwar wichen die Fahrzeuge äusserlich kaum vom Standarddesign der 90er ab, wenn sie sich jedoch bewegten, blieb es auf dem Friedhof gespenstisch ruhig. Was hier im Schritttempo begleitet von leisem Surren durch die Grabmäler rollte, war der General Motors EV-1, das erste serienmässig hergestellte Elektroauto auf seiner letzen Fahrt.

General Motors vs. den Staat Kalifornien Doch wie konnte es soweit kommen? Im Jahr 1990 erliess der Bundesstaat Kalifornien auf Antrag des ‹Californian Air Resource Board› (CARB) das ‹Zero Emission Car Mandate›. Eine Notreaktion, denn in den Monaten zuvor war die Luftqualität im Sonnenstaat drastisch gesunken. Smogalarme häuften sich und auffällig viele Kinder und ältere Menschen litten an Lungenproblemen, Asthma und anderen Atemwegserkrankungen. Das strikte Papier verpflichtete die in Kalifornien ansässigen Autobauer deshalb teilweise zur Produktion sauberer Autos. Ab 1998 hätten 2 Prozent der produzierten Neuwagen sogenannte ‹Zero Emission Vehicles› (ZEVs) sein müssen, also Fahrzeuge, die weder mit Diesel noch mit Benzin betrieben werden. Der Anteil der emissionsfreien Autos wäre sukzessive erhöht worden, auf 5 Prozent im Jahr 2001 und 10 Prozent 2003. Die Ziele waren hoch gesteckt, aber dennoch nicht unerreichbar, allein schon da den Autobauern eine Vorlaufzeit von acht Jahren gewährt wurde. Die Verfügung sollte in dieser Form allerdings niemals in Kraft treten. Der Autobauer General Motors reichte gemeinsam mit anderen Herstellern, die um ihre Umsätze bangten, eine Klage gegen den Staat Kalifornien ein, der zuletzt vom obersten Gerichtshof recht gegeben wurde. Das Gesetz musste, so zumindest die Ansicht der Kritiker, unter grossem Druck der Autobauer und der Ölindustrie sowie ihrer Lobbyisten in der Bush-Administration zurückgenommen werden. Weshalb reagierte die Autoindustrie mit einer solchen Vehemenz auf die staatliche Verordnung? Eine Verordnung, der nicht zuletzt die Autobauer, allen voran General Motors selbst, Auftrieb verlieh, als sie 1990 erste Elektroautos vorstellte. Wäre diese Verfügung nicht der ge38 kinki

eignete Anlass gewesen, um die Entwicklung neuer Technologien voranzutreiben? Denn ganz unbestritten wusste man auch vor zwanzig Jahren schon, dass Mobilität auf Erdölbasis nicht das Modell der Zukunft sein würde.

Mobilität aus der Steckdose Zuerst deutete alles darauf hin, dass General Motors mit dem EV-1 eine echte Erfolgsgeschichte schreiben würde. Nach dem Erlass des ZEV-Mandats startete GM mit der Entwicklung des ersten serienmässig hergestellten Elektroautos, das bereits nach sechs Jahren in einer geringen Stückzahl auf den Markt gebracht wurde. Der EV-1 war die Weiterentwicklung des ‹GM Sunraycer›, mit dem der Konzern bereits 1987 das ‹World Solar Challenge Race› gewann. Die futuristische, an ein UFO erinnernde Konzeptstudie wurde ausschliesslich mit Solarstrom betrieben und lieferte die technischen Grundlagen für die batteriebetriebene Stromversorgung des EV-1, der 1996 das Werk in Südkalifornien verliess. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern bei einer Beschleunigung von 0 auf 100 in weniger als 9 Sekunden und einer maximalen Batteriereichweite von rund 200 Kilometern erfüllte der schnittige Zweisitzer problemlos die Ansprüche eines durchschnittlichen amerikanischen Autofahrers. Das Vehikel war einfach in der Garage aufzuladen, der Service beschränkte sich auf ein Minimum, und im Vergleich zu benzinbetriebenen Wagen kamen EV-1-Fahrer finanziell günstiger weg. Von den 1 117 hergestellten EV-1 wurden letztlich rund 800 an Leasingnehmer ausgeliefert. Als das engagierte Entwickler- und Verkaufsteam bei GM realisierte, dass die breite Nachfrage vorerst ausblieb und sich die Werbeaktivitäten für das Elektroauto seitens GM in Grenzen hielten, begann man die Wagen an Prominente zu verleasen, darunter Tom Hanks, Mel Gibson und Alexandra Paul. Doch egal ob Promi oder Normalbürger – was den EV-1 angeht, wissen auch heute noch alle nur Positives über das Elektromobil zu berichten. Schnell sei er gewesen, zuverlässig, einfach zu manövrieren und sogar ein portables Ladegeräte für unterwegs hätte es gegeben, erzählen etwa die beiden ehemaligen EV-1-Fahrer Ron Chestnut und Gil Dawson. Doch ab dem Sommer 2003, nachdem ein paar Modelle beim Aufladen Feuer gefangen hatten, begann General Motors die Fahrzeuge unter verschiedenen Vorwänden zurückzurufen. In der Folge wurde die Produktion gestoppt, Leasingverträge wurden gekündigt und die Besitzer sahen ihr Elektromobil nie wieder. Als Gründe für dieses Vorgehen führte General Motors nebst Sicherheitsbedenken hauptsächlich die fehlende Nachfrage an. Mit gerade mal 800 Leasingnehmern wäre das Elektroauto vom Markt einfach nicht aufgenommen worden. Die angebliche Warteliste von rund 4 000 Abnehmern habe sich bei genauerem Nachfragen auf fünfzig Interessierte reduziert. Alles in allem sei

Search and destroy: der EV-1 wurde innerhalb kürzester Zeit zurückgezogen und verschrottet.


Wer ist schuld am Tod des legendären Autos? Die Geschichte des EV-1 inspiriert Verschwörungstheoretiker.

Mitte der 90er-Jahre der falsche Zeitpunkt für die Markteinführung gewesen. Aufgrund des tiefen Benzinpreises vor dem Irakkrieg und der noch nicht allgegenwärtigen Klimaerwärmung hätten die Leute schlicht keinen Grund gehabt, auf ein Elektrofahrzeug umzusteigen, schreibt GM in einer knappen Pressemitteilung. Den Untergang des EV-1 beschreibt auch der Dokumentarfilm von Chris Paine ‹Who Killed the Electric Car?› aus dem Jahr 2006. Paine, selbst Besitzer eines EV-1, arbeitete die Geschichte des Elektromobils im Stil von Michael Moore auf und versuchte den Gründen für das Scheitern auf die Schliche zu kommen. Während der Dreharbeiten dann der Skandal: Die Filmcrew um Chris Paine entdeckte vom Helikopter aus in der abgelegenen Wüste Arizonas ein abgesperrtes Gelände, auf dem voll funktionstüchtige, teilweise sogar fabrikneue EV-1 auf ihre Verschrottung warteten, respektive zusammengepresste Häufchen Schrott von dieser bereits zeugten. Wenig später sichtete eine Gruppe von EV1-Aktivisten auf einem General Motors Testgelände in Burbank fast achtzig beschlagnahmte EV-1. Die Aktivisten legten zusammen und unterbreiteten General Motors die Summe von 2 000 000 $, um die Wagen zurückzukaufen. GM ignorierte das Angebot. Um der heimlichen und sinnlosen Verschrottung Einhalt zu gebieten, schoben die Aktivisten tagelang rund um die Uhr Wache vor dem Gelände. General Motors ignorierte sie. Schlussendlich mussten die von GM angeforderten Ordnungshüter anrücken, um den Abtransport der EV-1 sicherzustellen. In einer unschönen Polizeiaktion, deren Höhepunkt die Verhaftung der Umweltaktivistin und Ex-Baywatch-Aktrice Alexandra Paul darstellte, wurden die Elektroautos verladen und zur Verschrottung nach Mesa, Arizona, gebracht. Wut und Unverständnis gegenüber General Motors ist noch heute deutlich zu spüren im Gespräch mit dem ehemalige EV-1-Fahrer Gil Dawson aus Los Angeles. Dawson fuhr von 1999 bis 2003 einen EV-1. Die Enttäuschung war riesig, als GM das treue Gefährt im August 2003 abholte. Dawson bot GM daraufhin an, sich für die Summe von 24 761 $ aus dem Leasingvertrag zu kaufen, sämtliche Ansprüche auf Garantie und Haftbarkeit abzugeben, das Auto aber dafür behalten zu dürfen. Der Grosskonznern schleppte den Wagen trotzdem ab und erlaubte sich zudem, Dawson eine Rechnung über fast 500 $ für eine überschrittene Kilometerbegrenzung zu stellen. Ähnliches weiss auch Ron Chestnut zu berichten. Fünf Jahre lang konnte sich der Physiker auf seinen EV-1 verlassen. Interessiert an der Technik, stattete er sein Elektroauto zweimal mit einer neuen, immer leistungsstärkeren Batterie aus. Letztere garantierte ihm eine Reichweite von etwa 200 Kilometern. Auch Chestnut sah ausser den gelegentlichen, rapide abfallenden Batterieleistungen kein Problem mit dem EV-1 und hätte seinen Wagen gerne behalten. Der Physiker weist ausserdem darauf hin, dass eine leistungsstärkere Batterie bereits kurz nach der Markteinführung des EV-1 existiert hätte, General Motors aber zwei Jahre lang

auf deren Einbau verzichtete, um später 60 Prozent der GM-Batterieproduktion an den ehemaligen Ölmulti Texaco zu verkaufen. So vermischen sich persönliche Geschichten, in denen die Enttäuschung überwiegt, mit Fakten. Nicht immer gelingt es den EV-1-Fans, die Argumente des Autobauers vollends zu entkräften. Die ‹Schuldfrage› ist also nicht abschliessend geklärt. In den letzten Jahren überboten sich die verschiedenen Seiten mit Erklärungsversuchen, wie es zum Abbruch des Experiments EV-1 habe kommen können. Einige davon gehören wohl eher der Kategorie Verschwörungstheorie als Ursachenforschung an. Auch Gil Dawson hat seine ganz persönliche Auffassung zu diesem Streitpunkt: ‹Jedes Mal wenn sich ein GM-Verantwortlicher äusserte, wurde die Geschichte unklarer. Wir können selbst nur spekulieren. Die plausibelste Annahme ist, dass diese Wagen die Kapitalerträge, die an der Börse durch die Spekulation auf steigende Benzinpreise erzielt worden wären, massiv verringert hätten. General Motors wurde in der Folge gezwungen, die Fahrzeugflotte zu zerstören.› Wer genau das Unternehmen dazu gezwungen haben soll, kann aber auch er nicht sagen. Andere bezeichnen das Scheitern des ersten Elektromobils schlicht als ‹lack of corporate wisdom›, als Unfähigkeit, die Entwicklung des Marktes zu antizipieren und in neue Technologien zu investieren.

Das neue Traumauto Versucht man heute, sich umfassend über die Geschichte des EV-1 zu informieren, entsteht der Eindruck, dass die bis vor ein paar Jahren noch extrem engagierten EV-1-Aktivisten nach verlorenem Kampf zwischen David und Goliath aufgegeben haben. Die zahlreichen Webseiten, die sich mit dem EV-1 beschäftigten, wurden teilweise 2002 zuletzt aktualisiert, viele Links führen ins Leere und von den fünfzehn kontaktierten ehemaligen EV-1-Fahrern wollten sich gerade mal zwei noch zum Thema äussern. Der EV-1 ist nicht mehr zu retten, die letzten Exemplare, die der Schrottpresse entgangen sind, stehen heute in diversen Automobilmuseen auf der ganzen Welt. Der Leihvertrag mit GM verbietet allerdings strikt die Nutzung der Wagen. Ron Chestnut und Gil Dawson träumen heute von einem Tesla, einem vollständig elektrisch betriebenen Zweisitzer von Tesla Motors. Da sie sich diesen aber nicht leisten können, fahren sie einen Honda Civic respektive einen Toyota Prius Hybrid. General Motors selbst hat mit dem Chevrolet Volt ein neues Modell am Start. 2011 soll der Hybrid serienmässig auf die Strasse kommen. Zumindest Ron Chestnut würde nicht endgültig ausschliessen, jemals wieder einen Wagen von GM zu fahren, allerdings nur falls sich der grösste Autokonzern der USA öffentlich für sein Verhalten in Sachen EV-1 entschuldigen würde. Fotos: Filmstills aus ‹Who killed the electric car?› von Chris Paine (Papercut Films, 2006) Weitere Info unter ev1.org und whokilledtheelectriccar.com.

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‹querschläger› Alles, ausser angepasst. Daniela Baumann hat sich als Tänzerin, Choreografin und Gründerin diverser Tanzakademien einen Namen gemacht. Mittlerweile versucht sich die ‹Fitness-Queen› auch als Trendsetterin und zeigt der hiesigen Damenwelt, wie man nach amerikanischem Vorbild mit Pole Dancing nicht nur die Muskeln, sondern auch das Selbstvertrauen stärkt.

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is-à-vis des Zürcher Güterbahnhofs hat sich Daniela Baumann eine eigene kleine Welt aufgebaut. ‹Loft 1› nennt sich das Fitnessimperium der 42Jährigen, welches über fünf Filialen in der gesamten Schweiz verfügt. Power-Plate-Maschinen stehen dort in Reih und Glied hinter einem guten Dutzend rosaroter Eisenstangen, an welchen die zierliche Tänzerin ihre PolefitnessÜbungen vorturnt. Nebst einem prall mit Energydrinks gefüllten Kühlschrank und einem Make-up-Dispenser werben diverse Flyer für Faltenreduzierung, Haarentfernung und natürlich auch für die Wahl der ‹Miss Polefitness Switzerland›. Auf den bunten Flugblättern und Postern streckt Daniela dem Betrachter kopfüber an der Stange hängend ihre Füsse entgegen und strahlt dabei, als sei es das Einfachste der Welt. Mit demselben Lächeln auf den Lippen begrüsst uns die kleine Frau denn auch in persona und eilt schnellen Schrittes aufs breite Sofa zu, wo sie neben mir Platz nimmt. Über ihre Beziehung zum berühmten DJ, der eigentlich keiner ist, möchte Daniela lieber nicht sprechen: ‹Das ist ewig her›, meint sie freundlich, aber durchaus bestimmt. Wir unterhalten uns also über ihre Tanzkurse, Prominenz und Fitnesstrends, und wenn Daniela lächelt – was sie eigentlich fast immer tut – so blitzt einem unter ihrem braunen Pony und den schmal gezupften Augenbrauen immer wieder das filigrane Strass-

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steinchen entgegen, das ihren rechten Schneidezahn schmückt. Gleich nach unserem Gespräch wirft sich Daniela schneller in ihren Fitnessdress, als wir ihr erklären können, dass sie heute nicht an der Stange fotografiert werden wird. kinki magazine: Daniela, du bietest nebst Polefitness auch Burlesque-Kurse an. Was ist der Grund dafür, dass diese Tanzstile vom Nacht- in den Fitnessclub verlegt werden? Daniela Baumann: Ich glaube der Reiz des Polefitness liegt darin, dass es Fitness mit Akrobatik verbindet. Die Frauen sind untereinander und es steigert das Selbstbewusstsein jeder einzelnen. Früher wurde eine Frau an der Stange schon eher als Sexsymbol denn als Akrobatin wahrgenommen. Die meisten Personen, die hier zu mir kommen, machen das aber nur für sich selber, um fit zu bleiben und aus Spass an den Übungen. Wäre denn Polefitness auch etwas für mich? (Lacht) Nein, leider nicht. Wir haben zwar sehr viele Anfragen von Männern und haben auch schon Workshops für Männer ausgeschrieben. Wir haben allerdings Abstand davon genommen, da wir gemerkt haben, dass die Frauen hier einfach gerne unter sich sind. Ausserdem sind Hotpants eine Grundvoraussetzung, um an der Stange zu tanzen. Polefitness ist daher wohl schon eher ein weiblicher Sport.

Wie sieht denn das Publikum bei euern Polefitness- und Burlesque-Aufführungen aus? Viele johlende Männer? Nein, lustigerweise eher das Gegenteil. An einen Event wie den ‹Miss Polefitness›-Wettbewerb kommen viele unserer Schülerinnen, die sich das ansehen wollen. Das sind ja auch eher sportliche Anlässe, vergleichbar mit einer Fitnessmeisterschaft. Die Frauen treten nicht in HighHeels und dergleichen auf wie in einem Tabledance-Schuppen, sondern barfuss. So stehen auch der Fitness-Aspekt und die Akrobatik im Vordergrund. Du bist ziemlich präsent in der Schweizer Medienlandschaft. Würdest du dich selbst zur A-, Boder C-Prominenz zählen? Ich glaube, in der Schweiz gibt es keine A-Prominenz (lacht). Ich fühle mich eigentlich nicht anders als irgendwer sonst, ich mache meinen Beruf, und Medienoder Autogrammanfragen und dergleichen gehören mit dazu. In der Schweiz sind die Leute diesbezüglich eher zurückhaltend und schüchtern, man wird nicht gross angesprochen auf der Strasse. Du hast dich auch mal als Sängerin versucht, nicht wahr? (Lacht) Jaja, das war ganz am Anfang. Ich habe mich allerdings nie als Sängerin bezeichnet. Es kamen einfach verschiedene Leute mit Angeboten auf mich zu, und ich probierte es halt einfach mal aus. Es handelte sich damals um ein Trancestück, da musste man nicht gross singen…

Du wirkst stets perfekt durchtrainiert, zielstrebig und sehr gepflegt. Hast du nicht manchmal Lust, dich ein bisschen gehen zu lassen? Einfach mal den ganzen Tag zu Hause auf der Couch rumzuliegen, Pizza zu essen und fernzusehen… Das tue ich ja. Ich ernähre mich übrigens allgemein nicht allzu gut. Klar hält der Sport fit und jung, aber ich bin nicht jeden Tag frisch aus dem Ei gepellt, das ist bei fünf Studios und zwei Kindern gar nicht möglich. Ich mache mich einfach gerne zurecht, wenn ich ausgehe, aber ich renne zu Hause sicherlich nicht mit Stöckelschuhen durch die Gegend. Wer sich selbst als beste Pole-Dancerin der Schweiz beweisen möchte, der kann ab dem 10. April an den Castings zur ‹Miss Polefitness Switzerland› teilnehmen. Das grosse Finale findet am 29. Mai Im Radisson Airort Hotel statt, wo die fachkundige Jury um Daniela Baumann und Denise Bielmann die Königin der Stangen küren wird. Daniela wohnt mit ihren beiden Söhnen in einem Haus am Zürichsee. Text und Interview: Rainer Brenner Foto: Daniel Tischler


‚In der Schweiz gibt es keine A-Prominenz.›

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‹playlist› Unsere Lieblings-DJs stellen ihre All Time Favourites vor. Playgroundkidz

05:24

Massive Attack: Teardrop DJ Deadcool: Dieses Juwel ist auf dem wohl bekanntesten und besten Album der Trip-Hop-Vorreiter aus Bristol zu finden: ‹Mezzanine›. Im positiven Sinne düster und mit der wunderbaren Stimme von Elizabeth Fraser veredelt, wird es nun leider viel zu oft als Soundtrack für TV-Serien oder -Reportagen missbraucht. Nichtsdestotrotz ist dieses Juwel ein immer wieder gern gehörtes Stück Musik.

04:16

Chromeo: Needy Girl

05:19

Dizzee Rascal: I Luv U

04:42

Telepopmusik: Breathe

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02:25

Madvillain: Figaro DJ Deadcool: Um DOOM gleich selbst aus dem Track zu zitieren: ‹The best MC with no chain you ever heard.› Im Jahr 2006 hat der Hundert-Namen-Bösewicht im Duo mit dem Beatproduzenten Madlib ein ganzes Album voller Wunderwerke abgeliefert, welches mich bis heute fasziniert und auf die schon lange angekündigte Fortsetzung hoffen lässt.

Kid Bizzy: Spank Rock machte 2006 alles neu! Als ich zum ersten mal das Album ‹YoYoYoYoYo› des Partyrappers aus Baltimore hörte, war ich sofort ein Fan. Für mich war dies genau der innovative Sound, auf den ich schon lange gewartet hatte. Beim Konzertbesuch in Bern verliebte ich mich dann auch noch unsterblich in Amanda Blank, seinen weiblichen Co-MC, der auf diesem Track einen grossartigen Part beisteuert. Ich bedaure es sehr, dass bis auf das im Sommer 2009 erschienene Debütalbum von Amanda Blank schon lange nichts mehr aus dem Spank Rock Camp zu hören ist.

MySpace-Seite ausgehend in Umlauf gebracht werden und durch die internationale Blogosphäre kursieren. Die Playgroundkidz selbst bezeichnen ihren Sound als kompromisslos. Dabei kreieren sie eine explosive Mischung aus einzigartiger Rap-Musik mit äusserst tanzbarem Elektro, welche die volle Kraft auf den Tanzflächen entfaltet, die die Kidz bei ihren Liveauftritten als ihren Playground verwenden, um so die Massen mit ihren Tönen zu verzaubern und die Musik geradewegs in die Hüften zu bringen, bis kein T-Shirt mehr trocken bleibt und der Tanzboden einen ordentlichen Schliff bekommen hat.

DJ Deadcool: Wahrscheinlich der schönste Weg, zwei der besten MCs aller Zeiten in dieser Liste zu erwähnen und nur einen Track dafür zu gebrauchen. Was natürlich nicht heisst, dass Biggie und Jay nicht mehr als einen Platz verdient hätten. Es ist ein grossartiges Album, ein sensationeller Track mit umwerfenden Rap Lyrics, die sich um die Liebe zum Geld drehen. Was will man mehr?

Kid Bizzy: Durch diesen Song wurde ich 2005 auf das kanadische Duo aufmerksam. Die sexy Synthies und der eingängige Gesang katapultierten diesen Track sofort in meine Heavy Rotation. Genauso das Album. Dave 1, der grosse Bruder von DJ A-Trak, ist ein hervorragender Songwriter, der u.a. auch schon für Beyoncé Hits geschrieben hat. Ich liebe seine eingängigen Texte, welche von P-Thugg perfekt am Synthie begleitet werden. Für mich ging ein grosser Traum in Erfüllung, als ich 2008 in Genf im Vorprogramm spielen durfte.

Spank Rock: Bump 2006

nother killing on the dancefloor! So begrüssen Kid Bizzy und DJ Deadcool, besser bekannt als Playgroundkidz, den Besucher ihrer MySpace-Seite, die an eine riesige pink-gelbe Spielwiese im Zeichen der Plattenteller erinnert. Irgendwo zwischen und jenseits der Grenzen von Rap, Elektro und Disco ist das Line-up der beiden Thurgauer angesiedelt, die mittlerweile fester Bestandteil der Schweizer Clublandschaft geworden sind. Berühmt-berüchtigt sind ihre regelmässigen Podcast-Serien und diversen Mixtapes, die von ihrer

05:12

The Notorious B.I.G. feat. Jay-Z & Angela Winbush: I Love The Dough

Kid Bizzy: Ein unglaublich stimmungsvolles Lied. Ob im Sommer zu Sonne und nackter Haut am Wasser, oder im Winter in den Bergen: Es erzeugt immer diese einzigartige Atmosphäre. Jedes Mal wenn ich die Kopfhörer aufsetze und dieses Lied höre, lasse ich mich davon treiben, blende alles aus und geniesse den Moment. Den Track findet man auf dem Debütalbum aus dem Jahre 2001 des französischen Electro Trios. Breathe ist ein weiteres Lied, das mich wohl für den Rest meines Lebens begleiten wird.

03:03 Jaylib: Starz

Kid Bizzy: Ich habe wahrscheindlich kein anderes Rap-Album so häufig durchgehört wie dieses hier. J Dilla und Madlib, zwei absolute Meister ihres Fachs, zeigen hier, wie es geht. Und zwar so richtig nasty und smooth. Genau in der richtigen Mischung und an Genialität kaum zu übertreffen. Bei ‹Starz› ist Dilla am Beat und Madlib an den Vocals, und sie harmonieren einmal mehr perfekt. Auch nach dem 500. Mal Hören muss ich schmunzeln bei der Line: ‹Hey yo, I like the way you dress, oh yo, that’s fresh / Hey yo, I like the way you undress too, you impress ooh.› Auch hier wurde lange auf einen zweiten Teil gewartet, doch nach dem tragischen Tod von J Dilla wird es leider bei diesem einen legendären Werk bleiben.

04:05

DJ Deadcool: Gerade einmal 18 Jahre und somit im selben Alter wie ich war Dizzee Rascal 2003, als sein Track ‹I Luv U› von der Insel aus zu uns rüberschwappte. Für mich war es der erste Kontakt mit Grime und ist auch heute noch eines der absoluten Highlights der neueren englischen Musikgeschichte. So dreckig, dass wohl auch der Chris von Rohr glücklich geworden wäre.

04:53

Diplo feat. Sandra Melody, Vybz Cartel & Pantera Os Danadinhos: Diplo Rhythm DJ Deadcool: Der aus Philadelphia stammende Diplo ist einer meiner absoluten Lieblings-DJs und -produzenten. Vor Jahren habe ich ihn zum ersten Mal an einer Cool Monday Party in Zürich gesehen und seither bin ich ein grosser Fan von fast allem, was er macht. Dieser Track ist aus seinem Debütalbum ‹Florida› und war für mich der Beginn einer grossen Liebe zu Musik oberhalb der 120-BPM-Grenze.

03:40

Boys On Pills: Armageddon II Kid Bizzy: ‹U dr himmu bricht über dr zämä...›, eine düstere und schwermütige Stimmung kreieren Baze, Elwont und DJ Kermit auf diesem Track ihres zweiten Albums ‹Supersonisch›, welches 2008 veröffentlicht wurde. Hier werden ernste Themen angesprochen und Ängste formuliert, die jeder kennt. Trotzdem besitzt das Lied eine gewisse Schönheit. Mir persönlich hilft dieser Track dabei, auch wenn ich mal down bin, die Hoffnung nicht zu verlieren. Kurz gesagt: Die Boys on Pills sind textlich und beattechnisch schlicht auf einem anderen Level! Weitere Info unter myspace.com/theplaygroundkidz. Text: Julian Stoss und Playgroundkidz Foto: Playgroundkidz


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SAD BUT DRUNK

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Gitarrenriffs, Bässe, Drums, Schweiss, Verstärker, Haare, Rock’n’Roll, Alkohol, Headbanging, Tattoos und Testosteron en masse scheinen das Credo der Pariser Band Hangman’s Chair zu sein. Ein Besuch bei den Franzosen gewährt Einblicke in eine fremde Musikszene. Text und Interview: Florence Ritter, Fotos: Philipp Mueller

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enres wie Hair Metal, Trash Metal, Stoner Rock oder Doom Metal waren mir bislang fremd. Gehört? Ja. Ahnung? Nein. Ein Konzert besucht? Nie. Ich werfe die musikalischen Subgattungen unwissend alle in einen Topf und frage mich, wie ich an ihnen so lange so umfänglich vorbeileben konnte. Kam ich zu spät? Hatte ich die falschen Freunde oder Eltern, oder war ich mit meiner Melancholie und pubertären Aggressivität einfach zu gut im Grunge aufgehoben, und bin deshalb später auf elektronische Musik umgestiegen? Mit diesen Fragen im Hinterkopf treffe ich mich in Paris mit einer Band, die sich wörtlich übersetzt ‹Henkersstuhl› nennt und deren Szene und Musik für mich unbekannter nicht sein könnten.

Testosteron und Gitarren Auf die Herren aufmerksam gemacht, hat mich der in Paris ansässige Fotograf Philipp Mueller, der mit Hangman’s Chair ein Fotoshooting veranstaltete, bei dem Schweiss und Alkohol im gleichen Mass flossen. Der Output waren ästhetische Schwarz-Weiss-Bilder, auf denen sich die Band in voller Action in ihrem diaphoretischem Gitarrensound verliert. Mit den langen Haaren, den tätowierten Torsos und den scharfen Blicken erinnern sie mich visuell an eine Mischung aus Metallica und Maratrucha. Hangman’s Chair, das sind derzeit Mehdi Thepegnier am Schlagzeug, Julien Rour Chanut und Adrien Lederer an den elektrischen Gitarren, Clément Hanvic am Bass und Cédric ‹Cub› Toufouti am Mikrofon. Alle leben sie in der Pariser Agglomeration und produzieren in dieser Bandformation harten Gitarrensound mit düsteren Textpassagen. Die Songs sind finster, aber nicht frei von Melodie und klingen im relativ langsamem Spiel weniger ‹hardcore› und ‹heavy› als erwartet, sondern viel eher psychedelisch. Die Stimme des Leadsängers ist tief und ebenfalls im gegebenen Rahmen melodiös und somit auch für mich als Szeneeindringling ganz hörbar. Illustrationen auf schwarzem Hintergrund übertragen den Sound der Fünf ins Visuelle: Mutter Maria, die sich in die Venen spritzt, Todesengel, Nihilismus, Henker und lange Haare. Die ganze Symbolik der Band scheint 46 kinki

darauf hinzuweisen, dass sie den Tod nicht von seiner negativen Seite aus betrachten, sondern als Faszinosum.

Alkohol und Humor Im Pariser Bastille-Viertel treffe ich in der Bar ‹l’Industrie› Julien und Mehdi, den harten Kern von Hangman’s Chair. Sie sehen weder aus wie Gangmitglieder, noch sind sie irgendwie düster gekleidet – ich kann sie kaum den Fotos zuordnen, die in meinem Kopf von ihnen herumschwirren. Mit dabei ist ein Kollege, der mit den beiden in einer anderen Bandformation spielt, sprich als Leadsänger schreit. Alle Mitglieder spielen neben dem Projekt Hangman’s Chair nämlich noch in bis zu vier weiteren Bands. Am musikalischen Härtegrad gemessen ist Hangman’s Chair jedoch die softeste Version. Clément, der Bassist, kommt im Verlaufe des Interviews noch auf ein Bier und ein Schwätzchen vorbei. Ich befinde mich im gewohnten Umfeld der Band und schon die ersten Minuten lassen mich meine angehäuften Vorurteile verwerfen. Ständig kommen Leute vorbei, grüssen oder setzen sich hinzu, dementsprechend gestaltet sich das Interview wie ein Treffen mit vielen männlichen Kumpels am Samstagnachmittag. Es wird viel gescherzt, das Interview ist ungezwungen und die Jungs machen den Eindruck, als würden sie ihren Sound lieber spielen, als ausschweifend darüber zu diskutieren.

sitive Art, diese düsteren Dinge des Lebens auszudrücken. Julien: Es stimmt, dass wir uns von düsteren Themen inspirieren lassen. Vor allem die ­wahren Geschichten faszinieren uns. Dann inspirieren uns beispielsweise auch alte Bücher, Gravierungen und Buchmalereien. Wie nennt man eure Musikrichtung? Mehdi: Im Allgemeinen gehören wir in die Metal-Szene, da wir einen aggressiven Sound spielen. Speziell ordnet man uns häufig der Stoner- und Doom-Szene zu, aus der auch viele unserer Fans stammen. Dennoch bleibt unsere Musik gleichzeitig auch stark vom Rock geprägt. Juien: Vor allem der Rock der 70er- und 80erJahre inspiriert uns, aber wir setzen diese Einflüsse mit unserer eigenen Musik um, mit einem aktuellen Sound mit ‹grossen› Gitarren. Mehdi: Die Leute haben Mühe uns zu klas­ sifizieren, ich denke, das ist ein Vorteil. Hört ihr auch Werke anderer Musikstile? Mehdi: Ja sicher, viel Hip Hop, Rap, Country, viel Rock, ich mag auch langsame atmos­ phärische Jazz-Sachen oder elektronische Musik, ich liebe zum Beispiel Warp. Oder Sludge. Tendenziell mögen wir Extreme, die aus dem Ordinären hinausragen, independent Sachen. Dabei gibt es für uns keine Genregrenzen.

kinki magazine: Seit wann gibt es Hangman’s Chair und woher kommt der Name? Mehdi: Hangman’s Chair gibt es ungefähr seit 2005. Julien und ich spielten schon vorher ­gemeinsam in einer Band, wir machen zusammen Musik seit wir Teenager sind, Hangman’s Chair ist aber unser letztes und endgültiges gemeinsames Bandprojekt. Julien: Die anderen Musiker kommen und gehen, aber wir zwei bleiben, wir sind die solide Basis. Warum der Name? Der kam irgendwie so zu uns, er klang einfach gut.

Die Metal-Szene scheint sehr von Männern dominiert zu werden? Mehdi: Ja, das ist leider so. Es kommt immer darauf an, wo du spielst. Natürlich gibt es schon auch Frauen, aber das sind meistens die Freundinnen der Musiker (lacht). Julien: Deshalb versuchen wir ja etwas ruhigere Stücke zu machen. Jetzt ein Karohemd und enge Hosen anzuziehen sowie eine Haarsträhne im Gesicht baumeln zu lassen, um mehr Frauen anzuziehen, wäre aber natürlich überhaupt nicht unser Ding.

Was inspiriert euch? Mehdi: Häufig sind es ‹Faits divers›, also kuriose Zeitungsmeldungen etwa über Selbstmörder, Depressive oder die unterschiedlichen Arten, seine Lebenslinie zu beenden. Ich weiss, das muss sehr positiv für dich klingen (lacht). Jedoch haben wir durchaus eine po­

Wie sieht es mit den Heavy-Metal-Klischees aus? Mehdi: Sex, Drugs and Rock’n’Roll? Kann vorkommen. Als wir in Deutschland waren, gab’s eigentlich nie Probleme… Es kommt aber immer darauf an. Generell ist unsere Musik momentan gerade nicht sehr in Mode, uns blei-


Der Blick in die Vertikale: Was von oben wie eine lustige Verfolgungsjagd aussieht, ist ein lebensgefährliches Wagnis für die Fahrer.

Julien (Bild vorherige Seite) mag feingestochene Thai-­Tattoos, während Mehdi (Bild diese Seite) spontane Tattoos mag, die auch mal aus Blödsinn an einem begossenen Abend ­ ent­stehen.

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‹Das war alles nur Show!› Hangman’s Chair würden niemals ohne T-Shirts performen.

ben deshalb meistens einfach diejenigen Frauen, die sich um fünf Uhr morgens kaum mehr aufrecht halten können (lacht). Und wie sieht es mit dem Alkohol aus? Gehört der zum Metal wie das Kiffen zum Reggae oder die Pillen zum Techno? Mehdi: Wir brauchen den Rock nicht, um Alkohol zu trinken. Das Saufen ist sicherlich mit dem Rock verbunden, aber wir wären auch ohne Musik Alkoholiker geworden. Meiner Meinung nach sind übermässiger Al­kohol­konsum sowie ‹Sex, Drugs and Rock’n’ Roll› heutzutage sowieso eine Modeerscheinung in jedem Milieu. Heute nehmen die Leute Koks zu sich, als wären es Zigaretten. Empfindet ihr eure Musik selbst als emotional und anstrengend? Mehdi: Die Musik ist schon heftig und intensiv, jedoch beklagen wir nichts und fordern auch nichts. Wir erzählen Geschichten zu bestimmten Themen, da ist nichts Poli­ tisches oder Gewalttätiges dran. Allzu emotional ist es nicht, wir singen ja nicht unbedingt über unser Leben, aber es ist unumgänglich, dass dieses uns beeinflusst. Julien: Klar, wir haben alle mehr oder weniger depressive Phasen. Unser alter Sänger war aber wirklich depressiv, deshalb ist er auch abgehauen. Er und sein Leben haben uns stark beeinflusst und unsere Musik inspiriert. Da 48 kinki

wir uns Hangman’s Chair nennen, können wir jetzt nicht von Blumen und Bienen singen, dazu haben wir auch gar keine Lust. Unser Thema ist die Schattenseite des Lebens, das Düstere, wir können allerdings sehr gut etwa über Selbstmord reden, ohne selbst gleich vom Eiffelturm zu springen. Und physisch ist es nicht anstrengend mit dem ganzen Headbanging? Mehdi: Ach, das schaffen wir gerade noch (lacht). Nein, im Ernst, so physisch anstrengend ist das gar nicht, Metaller zu sein… ausser für die Leber vielleicht. Das offizielle Interview dauert 30 Minuten, aber ich bleibe noch zwei Stunden mit den Jungs sitzen, spreche über Tattoos, die an begossenen Abenden durch Wetten entstehen, das Raucherverbot in Paris und ihren Übungsraum, den sie mit anderen Bands teilen und für den sie sich auf einer Liste eintragen müssen, wie ich in meiner Waschküche. Das Faible zur düsteren Seite des Lebens scheint die Inspiration ihrer Musik und Artworks zu sein, ohne dass sie deshalb in Pessimismus und Depressionen versinken würden. Die Musik ist der wichtigste Bestandteil ihres Lebens, obgleich sie noch anderen Jobs nachgehen müssen, um sich über Wasser halten zu können. Musik bedeutet für sie Freundschaft und Passion, nicht unbedingt Erfolg. In diesen Tagen kommt ihr neues Album

raus und im März und April werden sie in Frankreich, Deutschland, Polen und Tschechien auf Tour gehen.

Galanterie und Demontage Mein Bier füllt sich indessen wie von selbst und natürlich bestehen sie am Ende darauf, mich einzuladen. Aber davor fällt auch noch die letzte Bastion meiner Klischees: Im Gespräch erfahre ich, dass die Band niemals oben ohne performen würde und dies einzig für das Shooting mit Philipp, welches für ein Tattoo-Magazin geplant war, inszeniert haben. Der Alkohol, der beim Shooting floss, sollte sie etwas enthemmen. ‹Wir haben das Spiel mitgespielt, aber es entspricht eigentlich nicht unserer Art›, meint Julien. Weitere Info unter myspace.com/hangmanschair.


GET READY TO

AARON JOHNSON

CHRISTOPHER MINTZ-PLASSE

© 2009 KA FILMS LP. ALL RIGHTS RESERVED.

MARK STRONG

CHLOË GRACE MORETZ

KINOSTART 22. APRIL

NICOLAS UND CAGE KickAssMovie.ch


‹album des monats› Von der Redaktion gekürt. The Go Find: ‹Everybody Knows It’s Gonna Happen Only Not Tonight›

1.

Everybody Knows It’s Gonna Happen Only Not Tonight: Den Auftakt macht ein melancholischer Song übers Jungsein. Als Kind musst du dich weder um schmelzende Polkappen noch um Kriege kümmern. Andererseits geht es um ein Gefühl, das, glaube ich, alle kennen. Du nimmst dir vor, nicht mehr so oft auszugehen, weniger zu trinken, aber dann ist da dieses Konzert, das du unbedingt sehen musst. Also verschiebst du deine guten Vorsätze immer und immer wieder auf den nächsten Tag.

2.

Natürlich denkt bei diesem Titel jeder gleich an Joy Division, aber ich würde mich nie mit dieser Band und deren Supersong ‹Love Will Tear Us Apart› vergleichen wollen. Dieser Song ist unser erster Versuch, mit vielschichtigen Gesangsharmonien zu arbeiten. Zur Zeit proben wir viel, da wir wissen, dass wir live nur den einen Versuch haben werden. Der Song handelt davon, unbedingt mit jemandem zusammen sein zu wollen, obwohl man genau weiss, dass es keine Chance gibt, dass er oder sie dich jemals so lieben wird, wie du es tust.

Man sagte mir, dieser Song hätte ein bisschen was von Pavement, da hab ich natürlich nichts dagegen. Ich verliebte mich schon beim ersten Album in die Band und mag heute noch alle ihre Alben. Obwohl: das letzte war nur noch mittelmässig, der Funke sprang nicht mehr über. ‹Cherry Pie› handelt von einem Typen, der immer die richtigen Worte findet und allen Leuten gefällt. Ein Typ, süss wie Kirschkuchen eben.

3.

Running Mates:

4.

Neighbourhood:

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8.

Cherry Pie:

Wir lieben Synthesizer! Diese hier klingen wie aus den späten 70ern bzw. frühen 80ern. Trotzdem sind wir keine 80iesBand. Wir nehmen Synthesizer aus dieser Zeit und benutzen sie, hoffentlich, in einer Art, die nach dem 21. Jahrhundert tönt. Der Song thematisiert das Muster meines Lebens, nämlich viele Dinge gleichzeitig zu tun und nie genug Zeit für alles zu finden, deshalb immer zu spät zu kommen und sich dann hundert Mal dafür zu entschuldigen.

immer, eigenständig und modern zu klingen. Der dritte Longplayer ‹Everybody Knows It’s Gonna Happen Only Not Tonight› ist eine wunderschön produzierte Zusammenstellung kleiner Gitarrenpop-Perlen. Einen Lieblingssong auf dem Album hat Sermeus nicht. Aktuell favorisiere er ‹Neighbourhood›, das ändere sich aber von Tag zu Tag. Dafür hat er eine sehr persönliche Empfehlung auf Lager: Am besten höre man sich das Album zwischen fünf und sieben Uhr morgens an, in der Morgendämmerung, wenn draussen die Neonlichter noch brennen. Alkohol passe gut dazu, man dürfe aber alternativ auch Kaffee oder Tee zu den Klängen trinken. Sich das Album komplett nackt anzuhören gehe übrigens in Ordnung, er habe das im Selbstversuch bereits getestet.

‹Lottery Man› ist ein klassischer Popsong. Vielleicht ist es ein politischer Song, wahrscheinlich aber nicht. Ich finde es generell schwierig, über Lyrics zu sprechen. Ich will, dass die Leute eine persönliche Bedeutung aus den Songs schöpfen, das muss nicht immer unbedingt die Bedeutung sein, die der Song für mich hat. Das ist übrigens der einzige Track, bei dem ich nicht sagen kann, worum es genau geht. Vielleicht ist es ein klassischer Protestsong. Ich sollte nochmals darüber nachdenken.

Love Will Break Us Up:

It’s Automatic:

he Go Find zelebrieren auf ihrem neuen Album vergangene Zeiten. Zeiten, in denen Frontmann Dieter Sermeus von kindlicher Neugier getrieben mit dem Fahrrad die Strassen eines Antwerpener Vororts erkundete und sich zum ersten Mal bis über beide Ohren verliebte. Zeiten, in denen Synthesizer Hochkonjunktur hatten und Roxy Music sich gerade zum zweiten Mal auflösten. The Go Find zelebrieren ihre Schwärmerei für musikalische Helden vergangener Tage hemmungslos und schwelgen in Erinnerungen an die jugendliche Unbeschwertheit der 80er-Jahre. Trotzdem sind die Belgier keine Retro-Coverband. Bewusst nimmt die Formation um Sänger Sermeus Vintage-Einflüsse auf, schafft es dabei aber trotzdem

7.

Lottery Man:

Der Song beschreibt mein Leben als 10-Jähriger, wie ich mit dem Fahrrad in der Gegend herumfahre und mich in süsse Mädchen verliebe. In ‹Neighbourhood› ist es uns besonders gut gelungen, an den grossartigen Fleetwood Mac Drum-Sound heranzukommen, den wir immer anstreben.

5.

9.

Der Instrumentalteil macht live unglaublichen Spass, alles passt wunderbar zueinander. Dieser Song dreht sich um Leute, die immer vergeblich versuchen, Erster zu sein. Bei Langstreckenläufen gibt es diese Tempomacher, die zu Beginn die Geschwindigkeit angeben, das Rennen aber nie gewinnen. Der Song handelt von Menschen, die immer ein bisschen im Schatten anderer stehen und nie die volle Aufmerksamkeit erhalten werden.

10.

Just A Common Love: Der Song handelt vom Sommer und von den ersten romantischen sexuellen Erfahrungen eines Jungen, die für immer als sehr spezielles Erlebnis im Kopf verankert werden bleiben. Es geht generell um das Gefühl, das du hast, wenn du jahrelang von was geträumt hast, es dann endlich erlebst und, ja, dann ist es eben vorbei. Ich fand, das wäre etwas sehr Poetisches, um da­ rüber ein Lied zu schreiben.

11.

One Hundred Percent:

Heart Of Gold:

Das Duett mit Karo ist einer meiner Lieblingssongs auf der Platte. Ich mag ihre fast schon träge Stimme. Der Song handelt davon, dass der Mann gerne zu hundert Prozent eine Beziehung eingehen würde, die Frau aber nicht bereit ist, alles zu geben. Meistens ist es ja anders rum. Ich träum davon, diesen Song in einer grossen TVShow zu singen. Karoline würde ein tolles Abendkleid tragen und ich einen 70er-JahreSmoking aus Las Vegas.

‹Heart Of Gold› ist kein Cover, es ist ein Neil Young Songtitel für einen Roxy-Musicmässigen Song. Wenn Leute sagen, die Stimmung in diesem Song, sei von Roxy Music gestohlen, stimmen wir dem vorbehaltlos zu. Wenn Brian Ferry mich verklagen wollte, dann wäre ich bescheiden und würde ihm alles Geld, das wir mit diesem Song einnehmen, überlassen.

6.

Stay: Meine Liebe zu Synthesizern erreicht in diesem Song ihr Maximum. Als wir den Song aufnahmen, las ich das Buch ‹Do Androids Dream of Electric Sheep?› von Philip K. Dick, das die Vorlage für den Film ‹Blade Runner› lieferte. Wenn die Synthesizer einsetzen, klingt es schon sehr nach Science Fiction.

The Go Find – ‹Everybody Knows It’s Gonna Happen Only Not Tonight› (Morr Music) ist bereits erschienen. Text: Martina Messerli Foto: Katleen Clé


All the tAlk is stAndArd fAre. WAlk the WAlk if it gets you there. sAntigold.

nixonnow.com/santigold


‹soundcheck› Nach diesen Scheiben wirst du süchtig. Vinyl oder CD? Klauen oder kaufen? Dazu tanzen oder einschlafen? Neue Musik stellt uns immer wieder vor jede Menge Entscheidungen, so dass wir froh sind, wenn unser Reviewnator uns mindestens einen Teil davon abnimmt. Hier also das Resultat von Florians einsamen Stunden, in welchen er sich unter seinen Kopfhörern verschanzt. Denn nicht nur die Guten kommen ins Köpfchen, nein, um die wahren Perlen zu küren, hört Flo sich durch alle Highund Lowlights des Monats. zum pogen in erinnerungen

BLOOD RED SHOES – FIRE LIKE THIS

Verwirrend eigenartig und einzigartig verwirrt. Wie wankende Genies am Abgrund des musikalischen Wahnsinns. Sie könnten die Kinder von Kurt Cobain sein, doch sie haben sich in die urbanen Clubs der Grossstadt verirrt. Vielleicht ist es ja auch besser so. Mit Alkohol und Discobienen flirtend lebt es sich schliesslich auch beständiger als mit Schrotflinte und Antidepressiva. In einem stehen die Blood Red Shoes ihrem vermeintlichen Ziehvater jedoch in nichts nach: beide haben mit der Vergangenheit abgeschlossen, die Vergangenheit aber nicht mit ihnen. Im Jahr 2008 konnte niemand glauben, dass der breite Sound der Band gerade mal von zwei zierlichen Menschlein gewuchtet wird. Und genau dieser Sound, der dem Hörer punkig, aber mit Gen52

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tlemen’s Behaviour auf die Fresse schlägt, ist es, der sie auch von allen anderen britischen Bands der Stunde unterscheidet. Sowieso wirkt die Brightoner Formation auf ihrem neuen Kratzwerk ‹Fire Like This› immer ein wenig impertinent. Was soll das auch, mitreissenden Indiepop mit drückenden Grungeriffs zu vermischen? Oder in einem Interview zu behaupten, alle anderen Indiebands wären zum Kotzen? Schliesslich wäre es ja viel zu einfach, das Duo mit Bands wie The Wombats, The View oder The Enemy in einen Topf zu stecken. Aber wenn man die Blood Red Shoes an ihren eigenen Aussagen misst, haben die beiden mit Indie wohl genauso viel am Hut, wie Herr Cobain mit Schmusepop. Bei aller Arroganz muss man zugeben: Der englische Zweier kann es sich erlauben. Wer das Beste aus der vergangenen Ära britischer Musik bündelt und etwas völlig Neues daraus schmiedet, der darf auch mal dicker auftragen. Schliesslich ist es ja auch hip, ‹retro› zu sein. Und noch hipper ist es, das Ganze noch mit tanzbaren Riffs, gelegentlichen ElektroSpielereien und wahrlich schmutzigen Lyrics zu untermalen. Da fühlt man sich gerne in die guten alten Zeiten der in Garagen probenden Bands zurückversetzt und erinnert sich wieder daran, wie man sein erstes Konzert im Keller

eines Schulkameraden ‹gepogt› hat. Man fragt sich aber auch eins: was zur Hölle muss den Blood Red Shoes passiert sein, dass sie in diesen Erinnerungen verharren? Was es auch ist, mögen sie es nie vergessen!

vorm spieglein an der wand

GOLDFRAPP – HEAD FIRST

In einem düsteren Märchen verriet einst ein Spieglein an der Wand einer missgünstigen Königin, wer weit und breit die schönste Frau im ganzen Land sei. Seit dieser Zeit hat sich Gott sei Dank so einiges geändert. Heute kann und darf Schönheit die verschiedensten Formen annehmen. Vom Ideal der Modeindustrie über die Rebellion der unterirdischsten Medienformate bis hin zu einfachen Objekten wie Fernsehern oder MP3Playern etikettieren wir die unmöglichsten Dinge mit dem Begriff ‹schön›. Dumm nur, dass wir

wahre Schönheit nicht erkennen, wenn sie vor einem steht. Goldfrapp, die Genre übergreifenden Musikpioniere, starten mit der Vorab-Veröffentlichung ihrer ersten Single ‹Rocket› einmal mehr eine kleine Revolte: chilliger Elektro-Pop kleidet sich in wohligen Gesang und trägt Botschaften in sich, die man so in vermeintlich oberflächlicher Musik nicht erwarten würde. Auf den ersten Blick wirkt die Formation um die wahrlich atemberaubende Frontfrau Alison nämlich alles andere als tiefgehend und scharfsinnig. Auf den zweiten Blick eröffnet sich dem Hörer jedoch eine völlig neue Perspektive. Zu den discohaften Synthie-Sounds, den überaus tanzbaren Beats und den stadiontauglichen Lyrics gesellen sich nämlich noch ganz leise Understatement und Bedachtheit hinzu. Auf den ersten Blick schön und auf den zweiten auch noch – das ist selten geworden in der heutigen Zeit. Der neue Langspieler des Londoner Kultduos bietet nicht nur Äusserlichkeiten, sondern, wie der Titel ‹Head First› bereits verrät, auch Köpfchen. Schön, dass es noch Bands wie Goldfrapp gibt, die es vermögen, unser Bild von Schönheit zu sprengen und ihr eigenes Erscheinungsbild dazu nutzen, dem Hörer ein kleines Kuckucksei unterzujubeln. Oder sagen wir vielleicht doch lieber:


einen Apfel. Nur, dass dieser dem Hörer nicht im Halse stecken bleibt. Das wäre nämlich nicht so schön.

im donnernden soundgewitter

MEN WITHOUT PANTS – NATURALLY

Männer ohne Hosen haben es schwer. Zum einen sozialpolitisch und zum anderen aus gesundheitlichen Gründen. Ob es sich bei den Men Without Pants nun um einsame Klangtüftel-Nerds oder eher um Prostata geplagte Hypochonder handelt, die sich mit dem zornig-trotzenden Sound auf ‹Naturally› nur ein wenig Luft verschaffen wollen, bleibt wohl ewig im scheppernd-donnernden Soundgewitter der britischen Gitarrenfrickler verborgen. Eines steht jedoch fest: wenn dieses Werk das Ergebnis eines unterkühlten Intimbereiches ist, werde ich künftig auch ein Kühlpad in der Hose tragen! Die Männer ohne Hosen pfeiffen auf Konventionen und liefern mit ihrem Erstling ein schockfrostendes Soundinferno, das die Zähne klappern lässt und selbst für sibirische Robbenjäger wohl eine Nummer zu ‹cool› sein dürfte. Leider sehen das aber nicht alle so. Klar, kann man bei einer Band, die nicht gerade aus Unbekannten besteht, darauf einhacken, dass man bei solch einer Besetzung mehr hätte erwarten können. Aber jetzt mal ehrlich, scheiss auf die Experten: sind da eben Mitglieder von The Yeah Yeah Yeahs, Cibo Mato und Blonde Redhead dabei. ‹Naturally› liesse auch ohne diese Inhaltsangabe die Eier in der Hose zerkochen. Und wenn es nicht die erwartete Offenbarung ist, dreckig-unterhaltsam ist dieses Werk allemal. Vor allem wenn man sich die Liste der vertretenen Gastmusiker vor Augen führt. Die Men Without Pants beginnen ihr Album mit schrammelndem Gitarrenrock und so beenden sie es auch – kratzend, fauchend und auch ein bisschen rollig. Das

soll aber nicht heissen, das ‹Naturally› damit auf Dauer so etwas wie berechenbar wäre. Viel mehr gilt es nämlich, die Feinheiten in den Details zu entdecken, die einzelnen Nuancen zu verstehen und zu akzeptieren, dass diese Musik heutzutage eben alles, nur nicht konventionell ist. Denn inmitten dieser dreckig-verzerrten Soundlandschaft tun sich auch elektronische Gebilde auf und ein Hauch von urbanen Klängen durchflutet die Szenerie. Das kann man natürlich auf Bandmitglied Dan The Automator schieben, der ja schon die Gorillaz produzierte, oder eben auf besagte ‹Beinfreiheit›. Ohne Hosen musiziert es sich nämlich ganz ungeniert.

auf dem weg nach oben

TOM LÜNEBURGER – GOOD INTENTIONS

Eigentlich könnte sich Tom Lüneburger in die Riege gefallener Musikstars einreihen, schliesslich feierte der Berliner mit seiner Ex-Band MyBalloon ein OneHit-Wonder wie aus dem Bilderbuch. Aber der Vollblutliedermacher macht alles richtig: Pause einlegen, über sich selbst nachdenken und zurückkehren mit der Stärke der Ausgeglichenheit. Wer den tiefen Fall schon einmal verkraftet hat, fürchtet schliesslich nicht den zweiten. Tom Lüneburger beherrscht die ganz hohe Schule des Liedermachens. Auf seinem ersten Langspieler ‹Good Intentions› geht es auf zehn Songs sehr feinfühlig zu, geradezu zerbrechlich. Das bedeutet mitreissend-wohlige Kompositionen in einer Fülle glanzvoller Melodien. Er packt das Häschen bei den Ohren und zaubert ein wahres Ausnahmealbum hervor. Vergleiche mit John Mayer sind daher nicht frech, sondern angebracht. Man kann sich eigentlich nur eines wünschen: dass der Hörer die Schönheit dieser Platte erkennen wird. Und Tom kann man eigentlich nur mit auf den Weg ge-

ben, dass er, falls es mit dem verwöhnten Pack der Plattenkäufer nicht klappen sollte, weich fallen soll. Denn eines ist sicher: Aufstehen wird er wieder und das mit musikalischer Grösse.

beim spannen in der mädchenumkleide

Dreier schafft es zwar nicht, uns diese unbeschwerte Zeit noch einmal zurückzubringen, aber zumindest hilft uns die frech-fröhliche Band dabei, uns daran zu erinnern. Und das unterscheidet sie tatsächlich von ihren musikalischen Konkurrenten. ‹Senza musica no va› ist nicht nur Nella Martinettis Devise, sondern auch das Lebensmotto unseres Reviewnators Florian Hennefarth. Doch dass er nicht nur in klangliche Welten abtaucht, sondern ihn auch andere sphärische Gefilde unseres Hirns interessieren, beweist der rasende Reporter unter anderem in seinem Artikel über Psy-Soldiers in diesem Heft.

TWO DOOR CINEMA CLUB – TOURIST HISTORY

Die Gitarre liegt kindisch auf der Brust, die Hose sitzt karottig eng, und die Schuhe wirken elegant abgetragen. Die Haare sind fettig, die Hemden ungebügelt. Auf dem rotbäckigen Gesicht thront eine schwarze Wayfarer-Brille (mit Stärke) und ein verschmitztes Lächeln ziert das lausbubenhafte Gesicht. Ja, Two Door Cinema Club musizieren bereits seit ihrer gemeinsamen Schulzeit im irischen Bangor. Und bei genauerem Lauschen ist der kecke Charme des Dreiers auch nicht zu überhören. Wer benutzt schliesslich schon den PC als Schlagzeugersatz? Two Door Cinema Club machen unverblümte Popmusik, die sich, ohne sich zu verbiegen, ihre Inspirationen aus Elektro und Indie sucht und in der Summe etwas auf die Beine stellt, das eine ganze Menge mehr im Sortiment hat als das blosse Etikett: ‹Die nächste grosse Indieband, die ach so neu ist, weil sie auch ein bisschen elektronisch klingt, was sie aber von den anderen 125 000 Elektroindiebands unterscheidet, weil es bei ihnen einfach cooler klingt.› Two Door Cinema Club inspirieren nämlich auch den Lausbuben in uns. Mal wieder den Mädchen nach dem Sportunterricht beim Umziehen zusehen, dem Lehrer ein paar Reissnägel in die Kreide stecken und in der grossen Pause vom Gelände schleichen, um bei McDonald’s ein paar Cheeseburger zu ergattern, die man dann unter seinen Kameraden wie eine Trophäe vorführt – wer wünscht sich das nicht? Der irische kinki 53


Mehr Hall!

In der Innerschweiz musiziert die Band ‹Les Yeux Sans Visage›, die hörbare Anleihen beim Plattenarchiv der 80s macht und gleichzeitig durch ihre Deviation vom heutigen Band- und Musikraster imponiert. Text und Interview: Florence Ritter, Foto: Daniel Tischler

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leich zu Beginn fällt im Gespräch mit der Luzerner Band ‹Les Yeux Sans Visage› das oft genannte Zitat, das jeden Musikjournalisten in seine Schranken verweist: ‹Über Musik schreiben, ist wie zu Architektur tanzen.› Dem ungeachtet haben der Schlagzeuger Dominic Deville, der Gitarrist Ismail Osman und der Sänger Remo Helfenstein zu ihrer Musik und ihren Ansichten dennoch einiges zu erzählen. Erst vor eineinhalb Jahren hat sich das Triumvirat der Legende nach für ein Konzert an einer Performanceausstellung zusammengetan und das Projekt aufgrund der positiven Reaktionen als Band fortgeführt. Obwohl es dem architektonischen Tanze gleichkommt, möchte man ihren Sound als Post-Punk bezeichnen, der sich insbesondere durch Remos tiefe Stimme auszeichnet und den Zuhörer durch die dominanten Bassgriffe zurück ins England der 80er-Jahre versetzt. Unser Reviewnator Florian Hennefarth, der weder Tanz- noch Fehltritte fürchtet, meint: ‹Sie klingen, als coverten die unglücklich verliebten Editors-Mitglieder die Beatles auf einer Ladung Acid. Morbide, glückliche Melodiebögen treffen auf britisches Understatement à la Morrissey und werden durch treibende Bassrhythmen direkt in die Schweizer Clubszene katapultiert – tanzen wie in den 80ern, nur etwas dreckiger. Mehr noch als nach Joy Division klingt das alles nach dem Sound von The Smiths, als hätten diese ihre Band erst vor ein paar Monaten gegründet.› Irgendwie mögen Les Yeux Sans Visage nicht in das typische Bandraster passen: Sie bringen keine ganzen Alben raus, sondern nur einzelne Songs, produzieren nur Vinyl-Platten, keine CDs, betreiben ausser ihrem MySpaceAuftritt keine Band-Website, singen keine Refrains, geben nur kurze Konzerte und sprechen während den Shows kein Wort. Im Interview outen sich Dominic, Ismail und Remo als Minimalisten. kinki magazine: Kommt euer Name von dem Horrorfilm aus den 60ern oder von Billy Idol? Ismail: Die Parallele zu Billy Idol ist reiner Zufall, ich kannte den Song von ihm gar nicht. Jedoch bin ich irgendwann auf den Film ‹Les Yeux Sans Visage› von Georges Franju gestossen und habe ihn bestellt, nur weil mir der Name so gut gefiel. Dominic: Der Name sieht auch als Schriftbild gut aus. Unsere T-Shirts verkaufen sich fast besser als unsere Platten (lacht).

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Ihr werdet oft mit Joy Division verglichen, was haltet ihr selbst von solchen Vergleichen? Dominic: Ich finde, Joy Division funktioniert als Vergleich nicht, die waren viel abgefahrener als wir, die haben vielleicht zwei Lieder, die man als einigermassen poppig bezeichnen kann, sonst sind sie sperrig und kühl. Ausserdem sind sie viel depressiver, wir sind, wenn man uns schon Attribute zuteilen will, eher melancholisch und irgendwo ‹in der Musik erhaben›, sage ich mal so. Der Vergleich mit Interpol, der fast genau so häufig bemüht wird, hinkt ebenfalls, die sind viel orchestraler, in der Struktur lange nicht so einfach wie wir. Die ständigen Vergleiche sind mit der Zeit schon etwas nervig, andererseits habe ich den Leuten anfangs selber gesagt: Falls euch Interpol und Joy Division gefallen, dann gefällt euch unsere Musik bestimmt. Ich wusste selbst nicht genau, wie man unser Ding beschreiben soll. Remo: Die Leute brauchen das einfach, Schubladen und Vergleiche und so was.

‹Wir versuchen es möglichst sec zu halten.› Kritiker schreiben manchmal, eure Musik sei eigentlich nichts Neues… Ismail: Was ist heutzutage überhaupt noch neu? Ich finde es besonders lustig, diesen Spruch aus der Indie-Ecke zu hören, weil IndieRock nun mal grundsätzlich nichts Neues ist. Überhaupt kann man eigentlich bei jeder Band zumindest eine Referenz oder ein Vorbild ausmachen. Wie kam es, dass ihr nur Vinyl raus bringt? Dominic: Wir geben keine CDs raus und wir machen keine ganzen Alben. Wir sind allgemein der Meinung, dass man heutzutage richtig gut sein muss, dass es überhaupt eine Berechtigung dafür gibt, eine ganze Platte zu veröffentlichen. Wenn man zwölf Songs raus bringt, dann müssen mindestens zehn Stücke richtig gut sein, ansonsten ist die Platte für mich misslungen. Deshalb bringen wir nur Singles raus, wie früher. Wenn wir drei, vier Songs haben, mit denen wir zufrieden sind, nehmen wir sie auf. Dann pressen wir lieber 500 Vinyl-Platten, die sich auch verkaufen, anstatt gleich 1000 CDs zu machen, die man dann zur Hälfte im Keller stehen hat.

Remo: Wir machen einfach, was für uns selbstverständlich ist, für unseren Musikgeschmack, so, wie wir es von den Bands kennen, die wir geil finden. Was hat es mit euren minimalistischen Bühnenshows auf sich? Dominic: Wir liefern einfach keine Show. Remo sagt nie etwas, wir haben das nie so abgesprochen, aber es gibt ja auch nichts zu sagen. Wir reihen die Songs einfach aneinander. Ismail: Das hört sich vielleicht etwas hochnäsig an, aber wenn ich an Konzerte gehe und da englisch gesungen wird, während zwischen den Songs auf Schweizerdeutsch irgendwelche Sätze dazwischen geschoben werden, dann bricht das für mich irgendeine Illusion. Wie definiert ihr euren Stil? Dominic: Alles ist extrem reduziert! Das gilt auch für das Licht auf der Bühne, für das Artwork etc., wir wissen mittlerweile genau, wie es aussehen soll: einfach minimal. Damit sind wir bisher immer sehr gut gefahren, weil der Sound auch absolut einfach ist. Wir sind alle keine Virtuosen an den Instrumenten, wir haben sie uns auch alle selber beigebracht. Remo: Das Minimale ist auch etwas Grundsätzliches, das vielen Schweizer Bands irgendwie abhanden kommt. Wir haben so angefangen und wir wollen es möglichst so belassen. Wie geht es weiter? Dominic: Bei uns muss alles sehr schnell gehen, da sind wir glücklicherweise gleicher Meinung. Wir wollen schnell viel herausgeben. Ich bin auch schon 35, ich habe auch nicht mehr ewig Zeit, in Bands zu spielen, ohne dass es seltsam wirkt. Mir war es immer wichtig, dass wir schnell Songs machen, möglichst viele Auftritte absolvieren, viel Output haben. Das ungekürzte Interview mit Les Yeux Sans Visage könnt ihr auf kinkimag.com/magazin nachlesen. Weitere Info unter myspace.com/ lesyeuxsansvisageband.


Les Yeux Sans Visage mĂśgen es reduziert und minimalistisch. Das gilt fĂźr alle Bereiche.

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Mut zur Hymne

Seit 20 Jahren schon wird das texanische Austin einmal im Jahr zur Heimstätte des Independent-Festivals ‹South by Southwest›. Diese Tribüne verhalf den vier Jungs von Yeasayer 2007 zum Karrieredurchbruch. Begeistert und selten so einstimmig feierte die sonst schwer individualisierte Indie-Gemeinde den Auftritt der Band aus Brooklyn. Text und Interview: Mathias Bartsch

Früher sangen die Jungs von Yeasayer gemeinsam im Bubenchor, mittlerweile reichen ihre Auftritte vom Guggenheim Museum bis zur Bühne von Conan O’Briens ‹Tonight Show›.

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anach erfolgte der heute übliche Gang durch die Instanzen einer immer stärker webbasierten Medienaufmerksamkeit, sprich eine wachsende Fanschar auf MySpace und der obligatorische Beifall von musikalischen Meinungsführern in der Blogosphäre. Nachdem kurze Zeit später das Debütalbum ‹All Hour Cymbals› endlich herauskam, strandeten nun auch die letzten Musikkritiker an der Musik von Yeasayer, die mit einem lässigen Stilmix aus einer weltweiten Plattensammlung daherkommt. So reichen die Referenzen ihrer Stücke von afrikanischen Tribal-Rhythmen und New-Wave-Anklängen bis hin zum Gospelgesang oder auch 60ies-Pop. Zusammengehalten wird die Musik von brillanten Melodien und dem klaren Bekenntnis zum Pop. Leider erwischte die honorige britische Musikzeitschrift ‹NME› einen eher schlechten Tag und rezensierte die Band zwar händeklatschend, doch pappte ihr gleichzeitig aufgrund der vielen Stileinflüsse kurzerhand das dröge Label ‹World Music› an. Ein Etikett, das sich von der Band nur sehr schwer löst, auch wenn die Musiker Fragen danach mittlerweile locker mit dem selbstkreierten Genre des ‹Middle-Eastern-Psych-Pop-SnapGospel› kontern. Eine Coolness, die eben auch die Songs bestimmt, denn es ist die entspannte Gleichzeitigkeit ihrer Musik, bei der sich Zeit und Raum treffen und die musikalische Vergangenheit in so vielen Facetten zum Klang der Jetztzeit wird. Wir sprachen mit Sänger und Gitarrist Anand Wilder über das neue Album ‹Odd Blood› und wissen nun, wie weit es bis zu den am besten sortierten Plattenläden der Welt ist. kinki magazine: Vor ein paar Wochen habt ihr einen Teil eures neuen Albums auf einem Konzert im New Yorker Guggenheim Museum gespielt. Wie lief es denn so? Anand Wilder: Die Reaktionen auf die neuen Sachen waren echt gut, aber das eigentlich Aufregende war der besondere Ort, ich meine, wir spielen ja ansonsten in Bars oder Clubs, und dann mal im Guggenheim Museum auftreten zu dürfen, ist sicher eine Möglichkeit, die man nur einmal im Leben erhält. Wie würdest du die neue Platte im Vergleich zum Vorgänger von 2007 einordnen? Der Unterschied zur ersten Platte ist vor allem, dass wir stärker in die Pop-Richtung gehen. Die Arrangements sind sparsamer geworden, man findet nun viel mehr Leadvocals als Chorgesänge, die auf der Debütscheibe ja noch sehr stark vertreten waren. Sie sollte auch tanzbarer werden, mehr Rhythmus haben und nicht so ausschweifend atmos­ phärisch wirken wie die erste Platte. Selbst wenn ‹All Hour Cymbals› damals natürlich auch ein Pop-Album war. Welche musikalischen Einflüsse gibt es diesmal zu entdecken? Ich würde sagen, diesmal haben wir uns ziemlich stark von den Clubhits der 80er- und 90er-Jahre inspirieren lassen, also zum ­Beispiel von Künstlern wie Chaka Khan. Ausserdem haben wir an neuen Einflüssen

auch Industrial mit eingebaut. Ich will hier jetzt aber kein Namedropping der Stile veran­ stalten. Der Anspruch an die Musik war vor allem, dass ‹Odd Blood› einfach guter Pop auf den ersten Blick sein soll, dass die Leute darin tolle Melodien erkennen, ein­ prägsame Hooks, die sie einfach nicht mehr loslassen. Habt ihr die Platte wieder in Eigenregie produziert? Ja, wir waren drei Monate in Manhattan und haben sie nur mit Hilfe eines Toningenieurs abgemixt. Wir wollten keine aussenstehende Person reinbringen, die die Produktion mit beeinflusst. So hatten wir bei allen Liedern selbst das letzte Wort beziehungsweise die letzte Note. Ausserdem waren die meisten Songs als Ideen schon lange vor der Aufnahmezeit entstanden und ziemlich ausgreift, deshalb wollten wir sie auf keinen Fall noch grossartig verändern. Trotzdem waren wir bei der Produktion dann wieder ziemlich detailverliebt, denn auch wenn die meisten Sachen standen, kam es oft genug vor, dass wir uns an einem einzigen Ton abgearbeitet haben, ihn x-mal als Sample aufnahmen oder das Tempo ständig neu variierten. Die Fans und viele Kritiker lieben euch für den Hang zu Melodien und Harmonien, ja man kann sagen, für den teilweise hymnenartigen Stil der Songs. Wie wichtig sind euch diese Elemente bei der Musik? Sie sind für uns absolut entscheidend, denn wir versuchen natürlich wie jede Band, eine möglichst einzigartige Musik zu schaffen. Das geht am besten mit einer guten Melodie, die sich sofort ins Gehirn einbrennt. Deshalb sind für uns auch die Vocals extrem wichtig, da sie die Melodie tragen und ihr Menschlichkeit verleihen. Die Stimme berührt die Menschen an der Musik einfach am stärksten.

‹Hier in Brooklyn hast du diesen ständigen musika­ lischen Input, der dich inspiriert.› Nach ein paar Jahren im Musikgeschäft ­erinnert man sich sicher an viele coole Sachen, die man erlebt hat, welches Ereignis steht dabei ganz oben auf der Liste? Der Auftritt bei der ‹Tonight Show with Conan O’Brien› war zumindest für mich das cools­te Ding. Ich habe von so etwas immer geträumt, ich meine, die Show lief schon im TV, als ich noch so klein war, dass ich beim Beginn der Sendung immer ins Bett geschickt wurde. Es war unglaublich für mich, besonders weil wir gemerkt haben, dass Conan unseren ­Auftritt wirklich gut fand. Ein anderes Highlight für mich, aber auch die Band waren die Opener-Konzerte für Beck, den wir sehr verehren.

Ich habe gelesen, dass die Hälfte von euch in ihrer Jugend in ‹Barbershop-Bands› ge­ sungen hat. Was genau versteckt sich hinter dem Begriff? Ja, das stimmt, unter ‹Barbershop› versteht man eine Art der A-cappella-Musik. Man singt einen Ton oder eine Melodie und zwar in ­mehreren Tonhöhen, also eine Art Obertonmusik, bei der es um die möglichst exakte Abstimmung von Vokalen, Tonabständen und Lautstärke unter den Stimmen geht. Meistens sind es Quartette oder Chöre, die Barbershop machen. Entstanden ist die Musik in der Zeit, als es noch kaum Radios gab und die Leute die Lieder, die sie mochten, zum Zeitvertreib improvisierten – unter anderem eben im Barbershop. Es ist also eine echte amerikanische Musiktradition, allerdings ist der Einfluss auf unsere heutige Musik gering. Ein gutes Training für die eigene Stimme war es aber allemal. Auf der letzten Platte von Natasha Khan, besser bekannt als Bat for Lashes, gab es einen Gastauftritt von euch. Können wir demnächst weitere Features erwarten? Naja, wahrscheinlich nicht, obwohl wir jetzt schon seit Ewigkeiten mit Chris Taylor von Grizzly Bear etwas zusammen machen wollen. Die Idee ist, dass es unmittelbar sein soll, wir es also schnell durchziehen: rein ins Studio, Mics einstöpseln, aufnehmen und fertig. Doch Chris ist momentan ziemlich beschäftigt mit seinem eigenen Plattenlabel Terrible Records und wir eben auch, deshalb wird es wohl noch länger dauern. Ist New York oder auch Brooklyn im Spe­ziellen als Brennspiegel vieler Kulturen der perfekte Ort für eure Musik, die sich ja zahlreicher weltweiter Musikstile bedient? Nun, zunächst einmal haben wie die besten Plattenläden der Welt. Das ist immer wieder überwältigend, du kannst hier alle Musik der Welt problemlos um die Ecke entdecken. Ausserdem hast du jeden Abend die Möglichkeit, Konzerte zu sehen, auch wenn viele lokale Bands immer erfolgreicher werden und deshalb eigentlich ständig auf Tour sind. Du hast hier diesen ständigen musikalischen Input, der dich fantastisch inspiriert. Klar ist auch in Brooklyn nicht garantiert, dass der Abend cool wird, aber die Chance, etwas Neues zu entdecken oder neue Leute kennen­zulernen, ist einfach immer da. Foto: Guy Aroch Weitere Info unter yeasayer.net.

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photograpHER Li Hui huiuh.com Model Hong 66 kinki


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‹vertreter› Über die wichtigsten Schuhe von damals bis heute. Name: Loafer Geburtsjahr: 1910 Typ: Slipper Besonderheit: keine Schnürung

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s scheint so, als sei dieser Schuh das Ticket in eine andere, uns fremde Welt voller Kro­ kodil-Poloshirts und karierter Golfer­ hosen. So leicht und frei der auch scheint, das Anziehen dieses Extraklasse­treters ist eine Schule für sich. Man nehme den Schuh­ anzieher von der Wandhalterung, bücke sich leicht nach vorne und schlüpfe mit den Zehen voran in die Öffnung. Hierbei ist ein Schuhanzieher mit einer Mindest­ länge von 70 Zentimetern zu ­empfehlen, damit das Zeremoniell keine negativen Auswirkungen auf den Rücken hat. Einmal drinnen, kann man den Loafer und all seine bequemen Vorteile geniessen. Wie etwa die vollkom­mene So­ ckenfreiheit, die wie ein Cabrio für die Füsse empfunden wird. Im allgemeinem Sprachge­ brauch kennt man den Loafer auch als Slipper. Ein Schlupfhalbschuh mit Absatz. Das Flaggschiff hierbei ist der sogenannte Pen­ nyloafer bzw. Collegeschuh, der um 1910 das erste Mal das Licht der Welt erblickte. In den 30er-

Jahren war der Amerikaner John R. Bass massgeblich für die Verbreitung des modernen Her­ renschuhs ohne Schnürung verant­wortlich. Er führte den Loafer nämlich an Universitäten ein. Die Studenten steckten einen Pen­ ny als Glücksbringer für Klausu­ ren in die Lücke der Schaftbrücke über dem Rist. Trotz exzessiver Feierei wurde nun jede Hürde mit Leichtigkeit genommen. Der ­einzige Nachteil war nur, dass jetzt alle Studenten gleich aussahen: Dufflecoat, Buttondown, Halstuch, Chino und Loafer. Es entwickelte sich der Preppy-Look, ein adrettjugendlicher Kleidungsstil.

Happy to be preppy In den 50er-Jahren wurden die Loafer auch in Italien gefertigt und fanden aufgrund der bequemen und einfachen Ausstattung reissenden Anklang. Die US-amerika­ nische Firma ‹Alden› entwickelte den sogenannten Tasselloafer. Ausschlaggebend für das Modell sind die auf dem Vorderblatt in Tasseln (Bommeln) auslaufenden Zierschnürsenkel. Im darauffol­ gendem Jahrzehnt entwickelte die Firma ‹Gucci› eine Miniaturtrense als Dekor – der Gucci-Slipper war geboren. Auch über die Bretter, die die Welt bedeuten, schlendert man bestens mit Loafern. So etwa der King of Pop, der in einem schwarzen Modell der Gattung sogar über den Mond glitt. Solche Auf­ tritte erhöhten die Beliebtheit der Treter um eine weitere Potenz, bis sie schliesslich wie auch noch heute in einem Atemzug mit Brogues, Monks, Derbies und Oxfords erwähnt werden. Dennoch bleibt der Loafer eine Klasse für sich. Text: Julian Stoss Illustration: Patric Sandri

Was im Volksmund gemeinhin gerne als ‹Schnellficker-­ schuh› über einen Kamm ge­ schoren wird, fand seinen Weg von den amerikanischen Colleges bis an die Füsse Berlusconis.

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Stylist’s Own Die Spitzensportler von heute befinden sich meist in der Obhut ihres Vereins, ihres Trainers oder Managers. Für ‹Stylist’s Own›, das Kreativprojekt von Nike, hatten nun allerdings einmal nicht die Trainer, sondern ausgewählte Stylisten das Sagen. Sie nahmen die Sportler unter ihre Fittiche und inszenierten mit ihnen in sieben verschiedenen Shootings die Frühjahrskol­lektion für Nike Sportswear. Text: Rainer Brenner

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uch wenn ihre Arbeit mindestens so viel Fingerspitzengefühl verlangt, stehen die Stylisten leider immer ein bisschen im Schatten der Fotografen. Doch mit dem Projekt ‹Stylist’s Own› dreht Nike nun den Spiess rum und stellt bei den verschiedenen Modefotos nicht die berühmten Sportler und auch nicht die Fotografen in den Vordergrund, sondern gewährt den sieben ausgewählten Stylisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz freie Hand dabei, Frühlingsmode und Sportler ins passende Licht zu rücken. So mussten sich die namhaften Fussballer, Basketballer und Tänzer einmal nicht auf richtiges Passspiel und schnelle Beinarbeit konzentrieren, sondern ihre Kondition im Scheinwerferlicht beweisen. Im Zentrum der sieben verschiedenen Outfit-Konzepte stand das N98 Jacket, welches – inspiriert vom Dress der brasilianischen Fussballmannschaft von 1998

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– nicht nur zu den Frühlingstemperaturen und den durchtrainierten Körpern der Sportler, sondern auch zum Fussballfieber passt, das einen Grossteil von uns dieses Jahr während der lauen Sommernächte an zahlreiche Übertragungsleinwände fesseln wird. Das Projekt ‹Stylist’s Own› von Nike wurde dieses Jahr zum vierten Mal verwirklicht und verbindet sportliche und modische Förderung. Schliesslich wird nicht nur den Fashion-­ Talenten, sondern auch den Sportlern eine Plattform geboten, um ihre Ausstrahlungskraft abseits von Spielfeldern und Turnhallen zu beweisen und um so auch mal von einer anderen Seite wahrgenommen zu werden. Und selbst wenn Gökhan Inler und Co. mittlerweile wieder den Worten ihrer Trainer gehorchen und die sieben Stylisten ihre Looks wieder an ‹gewöhnlichen› Models präsentieren, dürfte der Brückenschlag zwischen Mode und Sport, so wie es aussieht, doch beiden Seiten extrem viel Spass gemacht haben!


Styling & production: Jan Joswig, Berlin Photographer: Nadine Elfenbein Model: Benny Kimoto, Tänzer bei ‹Flying Steps› Jacket (worn as trousers): Nike Sportswear National 98 Suspenders, helmet & gloves: Stylist’s own Sandals: dico Copenhagen Sneakers: Nike Sportswear Dunk High Laces: Nike Red Special thanks to: Shusta

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Styling & Production: Tobias Frericks, Berlin Photographer: Stefan Heinrichs Model: Steffen Hamann, Basketballspieler der deutschen Nationalmannschaft Artwork: Stefan Heinrichs & Lily Lin Jacket: Nike Sportswear National 98 Shorts: official Nike game shorts of the German national team Long underwear: Jockey Sneakers: Nike Sportswear Dunk High Laces: Nike Red

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Styling, Hair & Grooming: Sergej Benedetter, Wien Photographer: Philipp Forstner Model: Julian Baumgartlinger, Mittelfeldspielder des FK Austria Wien Jacket: Nike Sportswear National 98 Sneakers: Nike Sportswear Air Force 1 High Premium LE Laces: Nike Red Trouser & Top: Rick Owens

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Styling & Production: Ulrike Schlüter @ Ballsaal, Hamburg Photographer: Moritz Schmid Photo Assistent: Lucas Kromm Make Up & Hair: Manuela Schwozer Model: Sami Khedira, Mittelfeldspieler beim VfB Stuttgart  und der deutschen Nationalmannschaft Postproduction: Magic Group Jacket: Nike Sportswear National 98 Shirt: Nike Sportswear Tee Trousers: Vintage Sneakers: Nike Sportswear Classic Cortez Nylon 09 SI Laces: Nike Red Football: Nike Further styles in the background: Tiger of Sweden, Markus Lupfer, Kilian Kerner, A.D.Deertz, German Garment, Starstyling, TRIWA Armbanduhren Special thanks to: Delight Rental Services Stuttgart, The Step Stuttgart, Yeahboy Department, Allike Store

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Styling, ProduCtion, Hair & Make Up: Mia Bregar, Bern Photographer: Sarah Maurer Model: Gökhan Inler, Mittelfeldspieler bei Udinese Calcio und der Schweizer Nationalmannschaft Dog: Rhodesian Ridgeback Archie Jacket: Nike Sportswear National 98 TrouserS (cut to shorts): Nike Fleece Cuffed Pant Gloves: Roeckl Leather Harness: Inskin by Simon Kernen (Ivan Collection) Laces (braided in dog collar): Nike Red Dog Collar: Stylist’s own Sneakers: Nike Sportswear Air Flytop Premium

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CHAPEAU! Den Hut gibt es wohl fast schon so lange wie den Menschen. Was ursprünglich als Schutz vor Wärme und Kälte gedacht war, bahnte sich bald seinen Weg zum modischen Accessoire. Als solches starb der Hut schon so manchen Tod und feierte mindestens ebenso oft seine Renaissance. Schliesslich betont nichts char­manter den wohl charakteristischsten Teil unseres Körpers und sorgt für mehr Aufmerksamkeit als ein ge­schmackvoller Hut. Text: Rainer Brenner und Anja Mikula 76

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100 Jahre alt und kein bisschen verstaubt: das österreichische Familienunternehmen Mühlbauer.


Fiona Bennett: ‹Ich finde das sehr schön, wenn man Kleidung und Menschen quasi lesen kann. Das hat man heutzutage so ein bisschen verlernt.›

Gern ge­ sehen auf so manchem Promi-Kopf: die Hutkreationen von Fiona Bennett.

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er Hut vereint so manchen Gegensatz unter seiner mal breiten, mal schmalen, mal nichtexistenten Krempe: einerseits bedeutet er Anpassung – man denke an die Melone oder den Soldatenhelm –, andererseits ver­körpert er die pure textilgewordene Extravaganz, die bestaunt und beraunt werden möchte. Um die ambivalente Wirkung des Hutes wusste nicht nur bereits die zuckeraffine Marie Antoinette, die auf ihrem 91,44 cm hohem Haarturm gar eine halbe Seeflotte nachempfand, sondern auch die bekannteste Hutträgerin aller Zeiten: Isabella Blow. Die Britin, die zu ihren Lebzeiten nicht minder an Pomp und Extravaganz interessiert war als die französische Königin ein paar hundert Jahre vor ihr, machte Philip Treacy zu einem der berühmtesten Hutdesigner aller Zeiten, indem sie nie ohne eine seiner Kreationen hohen Hauptes durch Front Rows und Happenings dieser Welt spazierte. Wohl bedacht hielt sich Blow ihr Leben lang die Menschen auf einer gesunden Individual­distanz. Aber nicht nur in den guten alten Zeiten, sondern vor allem hier und jetzt ist der Hut wieder gern gesehene Zierde: Lady Gaga geht nicht mehr ‹oben ohne› aus dem Haus, Louis Vuitton schickt seine Models mit Hasenohren über den Laufsteg, Walter van Beirendonck setzt in seiner Herbst- / Winterkollektion 2010 zusammen mit Stephen Jones auf helmartige

Riesenhüte, und Chanel lässt seine Mädchen für seine Spring Couture 2010 ausnahmslos mit Gaga-Rosengesteck-Haaren defilieren. Und da der Kopf nicht nur rund ist, damit das Denken die Richtung ändert, sondern auch um geschmückt zu werden, stellen wir euch an dieser Stelle eine Auswahl der aufregendsten Kopfbedeckungen vor, mit denen ihr nicht nur beim Pferderennen und im Herrenclub von euch reden machen werdet.

Mühlbauer

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or über hundert Jahren begann die Erfolgsgeschichte des österreichischen Familienunternehmens Mühlbauer in einem Wiener Vorort, wo die Firmengründerin Julianna Mühlbauer ihre Kundschaft mit qualitativ hochstehender Hutmode versorgte. Und auch wenn in den darauffolgenden Jahrzehnten Mann und Frau immer wieder mal ‹oben ohne› unterwegs waren, vermochte das Traditionshaus es dennoch, sich erfolgreich bis ins neue Jahrtausend zu erhalten. Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass das Unternehmen in all den Jahren seinen Wurzeln treu geblieben ist, ohne zu verstauben. So besinnt man sich im Hause Mühlbauer auch heute noch auf traditionelle

Handwerkstechniken, geht jedoch auch Kooperationen mit verschiedenen internationalen Labels und Designern wie Wunderkind, Ute Ploier oder Fabrics Interseason ein. Nebst dem Spagat zwischen Tradition und Trend ist dem namhaften Hutlabel übrigens auch der Sprung über die Landesgrenzen hinweg gelungen: Mühlbauer-Hüte kann man heutzutage nicht nur in Flagship-Stores in Wien und Salzburg, sondern auch in renommierten Ladenketten und Shops rund um den Globus erstehen. Kein Wunder also, dass die namhaften Kopfbedeckungen mittlerweile auch genauso namhafte Köpfe wie die von Yoko Ono, Brad Pitt oder Georgia Jagger zieren. mühlbauer.at

Fiona Bennett

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as Label der Britin Fiona Bennett bezirzt seine Träger seit nunmehr schon 20 Jahren und zählt höchste Hollywood-Prominenz zu seinen berauschten Anhängern. Bereits früh beschloss Fiona Bennett Modistin zu werden, ein damals beinah vergessenes Metier, welches sie mit ganz neuen Visionen füllte. Ihre Kreationen vertreibt sie nun exklusiv im ‹Salon Bennett› in ihrer Heimatstadt Berlin. kinki 77


Mittlerweile ist Fiona Bennett verantwortlich für mehrere Linien, darunter ‹Marry Me› für ausgefallenen Brautkopfschmuck, die Herrenlinie ‹Gentle Men› und die Strickkollektion ‹Kiss›. fionabennett.com

Suzie Smith

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igentlich hatte Suzie Smith bereits eine steile Karriere im Fernsehen hingelegt, als sie letzten Endes doch beschloss, neue Wege zu beschreiten und eine Karriere als Modistin anzustreben. Ihre Faszination für Kopfbedeckungen entdeckte sie schon während ihres Studiums des Films und des Fernsehens, als ihre Liebe für die Filme der 40er-Jahre erwachte, die Glamour und Dekadenz aus jeder Pore Zelluloid verströmen. Durch ihren Nebenjob in einer Vintageboutique begann Suzie zudem bald, sich mit Hüten aus den 50er-Jahren auseinanderzusetzen, deren andersartige Weltlichkeit und Romantik sie verzauberten. Seit ihrer Umschulung stellt die Modistin nun in ihrem Londoner Atelier ihre eigenen kleinen Zauberwelten zusammen, die oft vom grossen Charme einer Elsa Schiaparelli inspiriert sind.

suziesmithmillinery.co.uk

Little Shilpa

Für Suzie Smith sind Hüte wie eine Zeitreise durch die Modegeschichte.

Shilpa Chavan: ‹Wir Inder ­haben absolut keine Angst davor, Farben ein­ zusetzen. Deswegen benutzen wir sie auch schamlos!›

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inter dem absolut alltagsuntauglichen Label ‹Little Shilpa› verbirgt sich die indische Designerin Shilpa Chavan. Die aus Mumbai stammende Absolventin des Central St. Martin’s College hat schon für niemand geringeres als Philip Treacy gearbeitet und wird unter der Hand bereits als sein indisches Pendant gehandhabt. Nach ihrer Zeit in London entschied sich Shilpa zur Rückkehr in ihre Heimat, wo sie Farben und Eindrücke aufsaugt, um diese in ihren verspielten Kreationen zu verarbeiten. So verwandelte sie für ihre aktuelle Kollektion elektronisch betriebene Propeller durch antike Sari Epaulettes und silbernen Vintage Schmuck in eine wahre, auf dem Kopf stattfindende Explosion. Dabei stellen Chavans Entwürfe nicht nur einen optischen Hochgenuss dar, der in internationalen Stylings gerne zum Einsatz kommt, sondern scheuen gleichzeitig auch nicht die Auseinandersetzung mit Indiens kompliziertem Verhältnis zu seiner kolonialen Geschichte. Harter Tobak, doch zum Glück funktionieren die Kreationen auch als pure Fashion-Fantasie. littleshilpa.com Fotos: Ingo Folie (S. 76), Sebastian Burgold, Haar/Make-up: Betty Deluxe, Model: Sonja @ Izaio Models (S. 77), Juliet Pickering (S. 78 oben)


Distribution Schweiz: ThreeLogy GmbH, +41 (0)43 477 88 66, www.mariawesterlind.com


MELINDA

phOTOGRAphy Alice Rosati @ atomomanagement styLing Lorenzo Candioto Hair and make Up Andrea Gaetani model Melinda @ ice squared milan

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page 80: flowers stylist’s OWN page 81: gorget Valentina Sciumè, underwear Rosamosario, sunglasses stylist’s archive page 82: bra Intimissimi, body Rosamosario, gloves Sermoneta page 83: body AMERICAN APPAREL page 84: white cage worn as a headpiece A-LAB page 86: culottes Rosamosario page 87: jacket Angelos Frentzos, body American Apparel, culottes Rosamosario

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Viele Wege führen nach Madrid

Wo die Luft warm und trocken ist und die Jungdesigner-Vegetation dennoch gedeiht, kann manch ein kreativer Geist seine Ideen zum Spriessen bringen und sich viel besser entfalten als in der heimischen Landschaft. So erging es auch der deutschen Designerin Carolin Cora Kohler in Spanien. Text und Interview: Florence Ritter

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ie spanische Hauptstadt gehört zu den grössten Metropolen Europas, das Treiben ist geschäftig, die Leute sind meist freundlich und offen. Stets ihr Ziel vor Augen, sind sie ebenso bereit, dieses für einen lauten Schwatz bei Kaffee oder Caña zeitlich ein wenig zu versetzen. Wir befinden uns in der Innenstadt Madrids im Malsaña Quartier, wo sich zahlreiche Passanten durch die malerischen und doch städtischen Gassen schlängeln. In einer engen, gepflasterten Strasse treten wir durch eine Holztüre in ein mittelalterliches Mehrfamilienhaus, erklimmen eine windige, knarrige Treppe und werden im ersten Stock von einem Zimmer begrüsst, das dem Anschein nach die ein oder andere Geschichte zu erzählen hätte.

Bildschau in Rahmen Licht durchflutet das Zimmer, ein kleiner Balkon mit gusseisernem Gelände winkt einladend in den Hinterhof hinaus. Im Zimmer liegen Stoffballen, Musterteile und Skizzen in einem geordneten Chaos, an den Wänden hängen zahlreiche Zierrahmen, die mattgolden schimmern und zum Betreten ihrer Bildwelten einladen – auch sie haben eine Geschichte zu erzählen. Liebevoll eingerahmt ist immer wieder dasselbe Model zu sehen, das den Blick des Betrachters suchend in die Ferne lenkt. Ihre Haare sind lässig auf einer Schulter zusammengefasst, die braunen Augen lächeln gegenwärtig und gedankenverloren. Die Frau trägt vorwiegend starke, warme Korallenfarben, die von kalten Blau- und hellen Grautönen gezähmt werden. Rechteckige Formen wiederholen sich augenscheinlich im Design der Kleider, sind auf den Schultern platziert oder mehrfach auf Röcken oder Jacken drapiert. Die harten Kanten sind dermassen geschmeidig in den Naturfarben und den wollenen und seidenen Materialen aufgehoben, dass sie jede Strenge, aber nicht ihre Form verlieren. Nur ab und an findet sich das Rechteck in seiner formfesten Ausführung wieder, nämlich als Bilderrahmen an einer Kette, die das Dekolleté des Models ziert. ‹Die Rechtecke symbolisieren 88 kinki

Gruppenbildungen, den Zusammenschluss einer Vielzahl zu einem Ganzen, sie umgeben und umrahmen das Model, so dass es sowohl als Bestandteil wie als Individuum in der Gruppe hervorgehoben wird›, erklärt mir die Bewohnerin der Wohnung, in der wir uns befinden. Es ist die Jungdesignerin Carolin Cora Kohler und die Bil­derrahmen führen ihre Modekollektion ‹Framing› vor. ‹Die Inspiration zur Kollektion waren soziale Netzwerke, wobei der Fokus auf das jeweilige Individuum in der Gruppe gelenkt wurde. In schwierigen Zeiten besinnen wir uns auf unsere Familie und Freunde, fühlen uns geborgen im Kreis unserer Nächsten. Wir «sammeln» Freunde, scharen sie um uns und fühlen uns dadurch akzeptiert und anerkannt.› Die ausführliche gedankliche Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema gehört zur Arbeitsweise der Designerin, jede ihrer Kollektionen birgt so ein wohlüberlegtes Konzept, das sich wie ein roter Faden durch Materialität, Form- und Farbsprache spinnt. Besonderen Wert legt die Designerin auf die Individualität der Entwürfe, die Reduktion aufs Wesentliche, die Schnittführung und Formgebung sowie auf Haptik und Farbe, die gemeinsam das Thema in die stofflichen Designs übertragen.

Weg in die Modewelt ‹In Madrid ist die Jungdesignerszene nicht besonders gross, diejenigen, die ihre Sache ernst nehmen, kennen sich alle. Im Allgemeinen sind die Designs in Madrid sehr kreativ und ausgefallen und nicht so sehr auf die Vermarktbarkeit bedacht›, sagt Carolin. Dass auch sie sich schnell in die Szene einnisten und bald ihre Modekollektionen jährlich auf Nachwuchsdesignershows und -showrooms oder an der Fashion Week Madrid zeigen würde, hätte sie sich niemals träumen lassen. Carolin wuchs in Schorndorf in Deutschland auf und studierte an der Hochschule in Trier Modedesign. 2006 kam sie nach Assistenzen bei Rosa Ronstedt, Szenario und Betty Barclay auf der Suche nach Abwechslung nach Madrid. Nach einem Jahr ­Modeabstinenz kehrte sie 2007 mit der Lancierung des eigenen Labels ‹Carocora› zu ihrem

Handwerk, der Mode, zurück. In Madrid blieb sie indes hängen. In ihrer Wahlheimat hat Carolin inzwischen fünf Kollektionen kreiert; auch ‹Metal Skin›, die Frühlings- / Sommerkollektion 2010, die eine Hommage an das grösste Organ des Menschen ist, hängt schon an den Bügeln. Carolin entwirft jedes Stück von der ersten Skizze bis zum Musterteil selbst; produziert wird in kleinen spanischen Betrieben. Individuelle Kleidungsstücke aus kleinen Produktionen haben es ihr auch persönlich angetan, sie trägt die eigenen Kollektionen sowie Kleidung ihrer Designerkollegen und verfolgt so das ambitionierte Projekt, Grossindustrieprodukte aus ihrem Kleiderschrank zu verbannen. Um über die Runden zu kommen, arbeitet sie nebenher auch als Freelance Designerin oder als Stylistin für Foto- und Werbefilmproduktionen. Viele Wege führen nach Madrid und genauso viele führen auch in die Modewelt. Der vermeintliche Weg über den Laufsteg der Haute Couture ist aber nicht der einzig begehbare. Auch die Seitenwege könne mit zahlreichen erfüllenden Modeprojekten gepflastert sein: ‹High Fashion interessiert mich auf alle Fälle, schon allein wegen meiner Stylingjobs. Allerdings bin ich immer mehr der Ansicht, dass kleine Präsentationen oder auch das Beschreiten ganz anderer Wege zur Exposition der Kollektionen viel interessanter und inspirierender sind›, meint Carolin zu ihrem Verhältnis zur glanzvollen Modewelt. Genau, der Weg ist schliesslich das Ziel. Weitere Info unter carocora.com.


Fotografin: Iona Hodgson, Make up: Carmelo DĂ­az Fashion und Styling: Carocora Vasen und Lampe: Marre Moerrel, Figuren: Julieta Ă lvarez Bilderrahmen: Lujan Marcos

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‹top notch gallery› Die besten Adressen für junge Kunst. Nachdem wir bei unserer Suche nach serbischen Galerien um ein Haar schon die Flinte ins Korn geworfen hätten, tat sich letzten Endes doch noch ein strahlendes Licht irgend­wo ganz tief im Tunnel auf, als wir erschöpft, aber erleichtert auf das Kulturni Centar in Belgrad stiessen. dischen Kuratoren veranstaltet werden wird. Laut der leitenden Direktorin der beiden Kunstgalerien des Kulturzentrums eine ‹aus­ gezeichnete Gelegenheit, um internationale Künstler in eine spannende Interaktion mit ihren serbischen Kollegen treten zu lassen›. Wem das jetzt alles zu westlich zugeht hinter den Mauern des Kulturni Centar in Belgrad, dem kann eigentlich fast nur noch der ausgiebige Besuch im hauseigenen Designshop ‹Belgrade Window› ans Herz gelegt werden: die Souvenirs des serbischen Illustrators Dusan Petricic entschä­digen für alle westeuropäischen Ambitionen des Kulturzentrums. Ein Kunstkomplex der Superlative: das ­Belgrader Kulturni Centar beherbergt einen Kinosaal, zwei Galerien, einen Museumsshop und eine Konzertlocation.

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s ist nicht gerade leicht eine Galerie in Belgrad über eine OnlineRecherche aus­ findig zu machen. Über die Begriffe ‹gallery + belgrade› kommt man – wie in einem nervenaufreibenden Selbsttest erfahren – kaum auf einen grünen Zweig. Erst die ­serbischen Begriffe ‹galerija› und ‹beograd› führen zu gewünschtem Erfolg und wirken quasi als ‹Sesam öffne dich› zur Kunst­szene der serbischen Hauptstadt. Hinter der Flut an Hindernissen, die primär sprachlichen Ursprungs war, stiessen wir letzten Endes auf das Kulturzentrum Belgrads. Das

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Kulturni Centar Beograda ist ein Schwergewicht der dortigen Kunstszene: ein Ort, an dem sich die interdisziplinären Künste direkt im Herzen der Hauptstadt am ‹Platz der Republik› zusammengefunden haben. Unter einem gemeinsamen Dach und auf den rund 2 000 m² eines Baus massiver und typisch serbischer Architektur der 1950er-Jahre finden seit der Gründung im Jahre 1957 Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, Filmvorführungen, Konzerte, Lesungen und Debatten statt. Besonders hervorzuheben sind die zwei Kunstgalerien des Kulturzentrums als auch das hauseigene Kino, das eine ganze Generation von Kinoliebhabern mit Filmen

genährt hat. Die beiden Galerien zeigen neben serbischen Künstlern auch international bedeutende Maler, Fotografen und Bildhauer, und bemühen sich stets, einen Themen übergreifenden Bogen zwischen den übrigen Veranstaltungen des KBC zu spannen.

Italienischer Neorealismus in Serbien So beschäftigte sich das Zentrum zuletzt mit dem italienischen ­Neorealismus in Malerei, Fotografie als auch in Filmen. Neben diesen transmedialen Ausstellungen ist das KCB zudem seit mehreren Jahren verantwortlicher Kurator des ‹October Salon›, einer internationalen Ausstellung für visuelle Künste, die dieses Mal in Zusammenarbeit mit einem schwe-

Text: Anja Mikula Fotos: Lala Rascic und Mahailo Dobric Kulturni Centar Beograda Knez Mihailova 6 Belgrad, Serbien Dienstag bis Sonntag, 10–20 Uhr kcb.org.rs


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Explicit Content Konzert oder Ausstellung, DVD oder Buch: Kunst ist frei. Solange sie nicht mit dem Jugendschutz kollidiert. Oder mit dem Strafrecht. Oder mit dem Ego des Mäzens. Wie nackt darf Michelangelos David oder die Lady auf dem Rammstein-Cover denn nun sein? Und wer entscheidet das? Text: Petra Engelke, Illustration: Dominic Rechsteiner

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ie Freiheit des einen endet dort, wo die Freiheit eines anderen beginnt. Auf diese Faustformel schrumpfen in meinem Kopf die Ideen von Riesen wie Kant, Rousseau oder Montesqieu zusammen, als ich versuche ihre Schultern zu erklimmen, um von dort aus über Freiheit und Gerechtigkeit nachzudenken. Hätte ich mal bloss vorher bedacht, worauf ich mich da einlasse. Ich spreche mit mehreren Künstlern, ziehe Fragen an die Vorsitzende der Bundesprüfstelle aus dem Ärmel, lese Gesetzestexte, Gutachten und Gerichtsreportagen, frage mich durch Schweizer Ministerien, lasse mir meine Rechte von der Staatsanwaltschaft eines Amtsgericht erklären, diskutiere mit einem Zensurforscher, und dabei türmen sich immer mehr Thesen, Detailfragen und Fälle in meinem Kopf. Und die wollen wieder raus. Auslöser war zunächst eine Pressemitteilung der Plattenfirma Universal im November letzten Jahres: Das neue Rammstein-Album ‹Liebe ist für alle da› ist von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert worden – und wird wenige Tage später in Deutsch-

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land nur noch an Menschen verkauft, die mindestens 18 Jahre alt sind. Kurz darauf folgt die zweite Meldung: ‹Die Simpsons› werden im Schweizer Fernsehen künftig nur noch mit dem Hinweis ausgestrahlt, das Programm sei für Kinder unter 12 Jahren nicht geeignet. Hintergrund ist die Beschwerde einer Zuschauerin, die Gelbgesichter würden exzessive Gewalt und Obszönitäten zeigen – nichts für Kinderaugen. Länder wie Deutschland und die Schweiz haben in ihren Gesetzen nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch die Kunstfreiheit verankert: ‹Eine Zensur findet nicht statt› ist einer der berühmtesten Sätze aus dem Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes. Trotzdem bedeutet Kunstfreiheit nicht totale Rechtsfreiheit – und da fangen die Probleme an.

Pimmel, Axt und Hakenkreuz Wenn sich ein Aktionskünstler auf eine Autobahn setzt, wird er die Grenzen seiner Freiheit schnell zu spüren bekommen. Komplizierter wird es beim Jugendschutz, unter anderem des-

halb, weil darüber immer nur aus Erwachsenensicht entschieden wird – und das bedeutet Interpretationsspielraum. Den nutzen regelmässig die Experten einer weltweit angeblich einmaligen Einrichtung: Die deutsche Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien untersucht CDs, Bücher, Filme und Comics darauf hin, ob sie jugendgefährdend sind oder nicht. Das geschieht nur auf einen Antrag, den leitende Jugendämter und Ministerien sowie häufig auch besorgte Bürger stellen. Über das jeweilige Werk diskutiert dann ein 12-köpfiges Gremium aus Pädagogen, Kirchenbeauftragten und Vertretern des Kunst- und Kulturbetriebs – ausserdem werden die betreffenden Künstler bzw. deren Vertreter eingeladen, oft bringen beide Seiten Gutachter mit. Entscheidet das Gremium, das betreffende Werk sei jugendgefährdend, wird es in eine Liste aufgenommen und darf weder beworben noch Jugendlichen unter 18 zugänglich gemacht werden. An dieser Liste orientieren sich auch die meisten Schweizer Kantone. Scheinbar leicht lässt sich sagen, was besser nicht in Kinderhand gehört: Messer, Gabel, Schere, Licht – und Pornografie, Gewaltverherrlichung, rassistische oder demokratiefeind-


Jugendschutz oder Kulturkritik? Auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Moral regiert die Zensur mit eiserner Hand.Â

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liche Propaganda. Elke Monssen-Engberding, Vorsitzende der Bundesprüfstelle, erklärt mir die Grundzüge ihrer Entscheidungskriterien: Allgemein fasse die Bundesprüfstelle all das als jugendgefährdend zusammen, was gesellschaftlich anerkannten Werten eklatant zuwiderläuft. Was das konkret heisst, lese ich im 25-seitigen Protokoll der Indizierungsentscheidung zu Rammstein nach. Beanstandet wird unter anderem ein Bild aus dem Klappcover, auf dem eine nackte Frau übers Knie eines Mannes gelegt ist, der offenbar gerade zum Schlag ausholt. Und natürlich ein Teil der Texte. ‹Bei Jugendlichen kann aufgrund des Liedes «Ich tu dir weh» und der indizierungsrelevanten Abbildung der Eindruck entstehen, dass man andere ohne jegliche Bedenken unterdrücken und sogar malträtieren dürfe. Das Gremium sieht zudem die Gefahr, dass bei Jugendlichen die Bereitschaft des Zufügens von Verletzungen und Erniedrigungen, auch im sexuellen Kontext, steigen könnte.› Ich bitte um ein Interview mit einem der Bandmitglieder von Rammstein. Die Plattenfirma lehnt mit der Begründung ab, dass die Band auf Tour sei. Kurz darauf steht eine neue Fassung von ‹Liebe ist für alle da› in den Läden – ohne die indizierten Teile. Die ‹neue Version› schafft es auf Platz 7 der deutschen Albumcharts, die ‹Originalfassung› wird unter der Hand für eine ordentliche Stange Geld gehandelt. ‹Verbote und Indizes funktionieren praktisch nie, zumindest nicht in einer Mediengesellschaft. Weil das, was verboten werden soll, dadurch erst spannend wird›, sagt Roland Seim. Der Zensurforscher beobachtet seit Jahren, was im Namen des Jugendschutzes und des Strafrechts eingezogen wird. Rammstein standen 2007 schon einmal vor dem Gremium der Bundesprüfstelle – mit gleich fünf Alben, die allesamt durchgewunken wurden. Warum sie jetzt doch auf einmal auf dem Index landeten, weiss auch Roland Seim nicht zu beantworten. ‹Bei Rammstein hat man ja eher den Eindruck, dass die es auf eine Indizierung angelegt haben. Sie haben mit der Zeit jedes Verbot gebrochen, das geht›, sagt er. Ein Gestus, der ja schon lange zum Klischee geworden ist. Genauso notorisch ist der Reflex indizierter Musiker, mit dem nackten Finger auf uniformierte Nazibands zu zeigen. Tenor: Die sind aber doch viel schlimmer als wir. Doch mit dieser Taktik endet man beim Gegenteil von Freiheit. ‹Damit würde man eine Vorzensur, eine komplette polizeistaatliche Überprüfung fordern›, so Roland Seim. ‹Denn nur wenn alle überprüft würden, könnte man feststellen: Der ist schlimm und der ist nicht so schlimm.›

Prinzessin auf der Erbse? Ohnehin darf es für die Kunstfreiheit keine Rolle spielen, ob man einem Werk nun einen Preis oder einen Verriss verpassen würde. Schliesslich steht gewiss keine Freiheitsliebe dahinter, wenn man die Rammstein-Indizierung hämisch begrüsst, sich aber gleichzeitig Sorgen macht, die Simpsons könnten aus Jugendschutzgrün94 kinki

den aus dem Programm gestrichen werden. Die Geschmackspolizei muss draussen bleiben. Es müssen definitiv andere Kriterien ausschlaggebend sein. Hinzu kommt: Bestimmte Kunst wird nicht nur der Jugend zu ihrem eigenen Schutz vorenthalten. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz kann das Strafrecht schwerer wiegen als die Kunstfreiheit. Dass man auch im Museum nicht einfach einen Menschen umbringen darf, erscheint wohl jedem gerecht. Stellt aber ein Künstler ein paar in Formaldehyd eingelegte Tierkadaver und einen Fötuskopf aus – wie Xiao Yu 2005 in seinem Werk ‹Ruan› im Kunstmuseum Bern –, dann teilen sich die Meinungen schneller, als es die Polizei erlaubt. Im Fall ‹Ruan› konnte die Staatsanwaltschaft keine strafbaren Handlungen erkennen, die der Anzeige wegen Gewaltdarstellung, Störung des Totenfriedens und Verstosses gegen das Tierschutzgesetz Recht gegeben hätten. Aber plötzlich tun sich überall Grenzen auf. Bestimmte Formen von Pornografie (zum Beispiel Sodo-

mie oder die Verbindung von Sex und Gewalt), Gewaltverherrlichung, Störung des öffentlichen Friedens, öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Beleidigung – die Rechtssprechung für und gegen die Kunstfreiheit muss sogar mit so grossen Kalibern wie der Menschenwürde umzugehen wissen. Dabei neigt sich Justitias Waage mal auf diese, mal auf jene Seite. Weil sich zwei Menschen wiedererkannten und falsch dargestellt fühlten, darf Maxim Billers Roman ‹Esra› nicht einmal in einer zensierten Fassung veröffentlicht werden. 2008 klagt in Frankreich der Prinz de Bourbon-Parme wegen ‹Profani­ sierung seiner Ahnen› gegen die Verlängerung der Jeff-Koons-Ausstellung in Versailles – und scheitert. Obwohl er nicht vor dem Vorwurf zurückscheute, die Ausstellung ziele auf die Arglosigkeit der gegen pornografische Schädigungen schutzlosen Kinder. Manchmal, so scheint es, ist Kunst ein willkommener Anlass dazu, mit der Streubombe zu denken. Ich suche aber einen friedlichen Ansatz.


Der Zensor im Kopf ‹Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden›, soll Rosa Luxemburg gesagt haben. Darauf kann man sich doch einigen. Zum Beispiel funktioniert das bei der ‹SAW›-Reihe, wenn ich mir sage: Okay, mir wird zwar schon beim Gedanken an einen Folterfilm schlecht, und das schränkt mein Wohlergehen ganz erheblich ein. Aber anderen macht das nichts aus, und wenn das Ganze dann noch Kunstcharakter hat – bitteschön. Auch über Pornorapper lese ich Kommentare wie: ‹Niemand muss sich den Scheiss antun.› Anders ausgedrückt: Solange ich nicht gezwungen bin, diese oder jene Art von Kunst wahrzunehmen, ist alles in Butter, oder? Ist es nicht. Es war beispielsweise unwahrscheinlich, dass dänische Zeitungen in Syrien oder im Libanon ausliegen und die Menschen dort zwingen, sich Bilder anzusehen. Trotzdem haben sich dort vor einiger Zeit Fundamentalisten über Karikaturen aufgeregt, die unter an-

Das Strafrecht wiegt schwerer als künstlerische Freiheit und fungiert als kulturelles ‹Verhüterli›. Doch wer genau wird geschützt?

derem Mohammed mit einem bombenförmigen Turban inklusive Zündschnur zeigen. Danach überlegten es sich viele Zeitungen ganz genau, ob sie die Bilder zu Dokumentationszwecken nachdrucken oder lieber nicht. Weder Demonstranten noch Richter drücken dagegen die vorübergehende Absetzung der ‹Idemeneo›-Inszenierung 2006 in Berlin durch, die einen abgeschlagenen MohammedKopf serviert (Jesus, Poseidon und Buddha müssen allerdings auch dranglauben). Das erledigt die Intendantin selbst, nachdem der Berliner Innensenator und das Landeskriminalamt Bedenken angemeldet hatten – der Regieeinfall hätte ja einen Schläfer wecken können. Was eine gewisse Ironie des Schicksals gewesen wäre angesichts der Anzahl der Menschen, die im Theater tatsächlich einnicken. ‹Neu ist diese Form von Zensur natürlich nicht, aber die Angst davor ist vielleicht neu›, meint Roland Seim. Was viele Künstler zur Selbstzensur greifen lässt, ist die Angst vor Gewalt. Theoretisch ist das Kokolores, denn demokratische Staaten ahnden Rechtsverstösse nicht mit der Peitsche. Zensurterror dieser Art schliessen ihre Gesetze aus, sie können aber ihre Bürger auch nicht hundertprozentig davor schützen, dass jemand diese Gesetze bricht. So ballert Roland Emmerich in ‹2012› so gut wie alles weg – nur die Kaaba, das Heiligtum des Islams, bleibt stehen. Aus Angst vor einer Fatwa. Andere möchten wegen eines Romans keinen Besuch von der Mafia. Oder von Neonazis. Oder von militanten Kreationisten, Abtreibungsgegnern, Tierschützern. Kann ich alles nachvollziehen.

Wer schützt hier eigentlich wen? Im Gegensatz zu der Behauptung, man zensiere sich selbst ja nur aus Rücksichtnahme auf andere. Die Argumentation ist so schief, dass man darauf nur ausrutschen und böse auf die Fresse fallen kann: Man tut so, als könnten diejenigen, auf die man angeblich Rücksicht nimmt, Kunst und Satire nicht verstehen. Weil sie wahlweise gefährliche Irre oder unaufgeklärte Hinterwäldler seien. Ironischerweise sagen Zensurgegner über die Bundesprüfstelle dasselbe: Sie fordere völlig überholte gesellschaftliche Werte ein und sei unfähig, Ironie zu begreifen. Da ist es nicht weit her mit der Freiheit Andersdenkender. Diese Engstirnigkeit auf allen Seiten macht eine Lösung nahezu unmöglich. Und dann kommt auch noch der Markt ins Spiel. Man kann nämlich recht subtil versuchen, Kunst zu zensieren: indem man am Geldhahn schraubt. Dazu sollte man Mäzen sein oder die Befugnis haben, über die Verwendung von Staatsgeldern zu entscheiden. Wie zum Beispiel das Schweizer Parlament. Ihm missfällt 2004 die Ausstellung ‹Swiss-Swiss Democracy›, in der Thomas Hirschhorn unter anderem Wappen der Schweizer Urkantone unter Folterszenen aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib montiert. Die Ausstellung findet zwar in Paris statt, wird aber von der Kulturstiftung ‹Pro Helvetia› mit 180 000 Franken unterstützt. Das Parlament kürzt der Stiftung kurz darauf ihren

Etat von 34 auf 33 Millionen Franken. Daraufhin lässt ‹Pro Helvetia› verlauten, solche Entscheidungen stellten die Autonomie in Frage, die bisher garantierte, dass künstlerische Entscheide vor politischer Einflussnahme geschützt sind. Ausserdem treffe die Kürzung als Strafmassnahme die Falschen; die Gelder für die umstrittene Ausstellung seien längst gebucht. Peinlich für die Politiker. Trotzdem schwer zu entscheiden, wer der Sieger ist. Manchen Fall gewinnen diejenigen, die gegen die Kunst vor Gericht ziehen. Doch eine Blamage erleben sie meistens auch: Durch Medienberichte über den Prozess wird das, was sie unter den Teppich kehren möchten, erst recht bekannt. Hätte die Dresdner Oberbürgermeisterin Helma Orosz im Dezember 2009 nicht dagegen geklagt, ein Gemälde zu zeigen, auf dem sie in Strapsen vor der Waldschlösschenbrücke zu sehen ist: Von der Malerin Erika Lust (nicht zu verwechseln mit der schwedischen Frauenpornoproduzentin) hätten wohl so schnell nicht so viele Menschen gehört. Und Orosz bekam zwar recht, gleichzeitig bescherte ihr das Urteil aber Häme und Spott.

Die grosse Freiheit Heulsusen, Humorlose, Fanatiker, Verklemmte, Landeier, Kleingeister: Für knallharte Zensurgegner sind das praktische Feindbilder. Statt in den Klagechor einzustimmen, dreht der spanische Künstler Antoni Muntadas 1994 den Spiess um: Unter dem Titel ‹The File Rooms› entwickelt er eine Netzkunst-Website, auf der er Zensurfälle sammelt und offen zugänglich macht – und die bis heute von Nutzern erweitert wird. Lisa und Bart gehen derweil bei den ‹Simpsons› weiterhin ihren Eltern damit auf die Nerven, dass sie unbedingt ‹Itchy & Scratchy› sehen wollen. Gegen die Brutalität der Binnenserie organisiert ihre Mutter bereits in einer Folge der zweiten Staffel erfolgreich einen Protest. Am Ende scheitert Marge, weil sie Michelangelos splitternackten David gutheisst – das untergräbt ihre Glaubwürdigkeit. Und die Moral von der Geschicht: Zweierlei Mass geht nicht mal im Zeichentrick. Hier geht meine Suche nach Antworten zu Ende. Fast. Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, wie man nun die Freiheit der Kunst in gerechter Weise gegen andere Freiheiten und Rechte abwägen könnte. Und jetzt geht mir auf: Könnte ich anderen Menschen, also zum Beispiel meinen Lesern, sagen, was genau ihre Freiheit ausmacht, würd ich sie ihnen gleichzeitig rauben. Allein schon weil meine Definition alle anderen ausschlösse. Da geht sie in die Binsen, die Weisheit. Aber wie schrieb der deutsche Expressionist Ernst Barlach vor etwa einem Jahrhundert so schön? ‹Die grosse Freiheit des Künstlers ist, dass er keine hat. Versteh’s, wer kann.›

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stacey rozich – Homeland

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Foxmaiden

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Tribal Medicine

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Springtime Ritual

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Monsterfriends

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Goat Shaman

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Witch Doctor

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Gem mine spirit contemplates his new fate

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A day’s catch

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The Bird Omen

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Storyteller

Du verbringst deine Freizeit am liebsten hinter der Videokamera oder porträtierst dein Umfeld gerne in schillernden Worten? Dann nichts wie ran an Füllfeder und Kameralinse, denn Red Bull und kinki suchen das ultimative Reporterteam. away› mit Stift und Videocam bewaffnet auf die Strasse schicken und gespannt auf die besten Clips, Kurzfilme, Reportagen, Kurzgeschichten, Kolumnen und Aufsätze warten. Einzige Vorgabe ist nebst des Bezugs zum Thema die Länge des Films (maximal zwei Minuten) bzw. des Texts (nicht mehr als 3000 Zeichen). Die besten Einsendungen im Bereich VJ werden auf kinkimag.com vorgestellt und das Gewinnervideo wird einen Monat lang auf der Homepage präsent sein. Und auch der Gewinnertext wird selbstverständlich gebührend entlöhnt und im kinki magazine abgedruckt. Doch dies ist noch nicht alles, denn schliesslich lautet das Thema dieses Wettbewerbs ja ‹Up and away›, weshalb Red Bull und kinki magazine das Gewinnerteam für ihre erste gemeinsame Reportage gleich standesgemäss hoch hinaus schicken werden. Und da wir davon ausgehen, dass die Preisträger ihre Feuertaufe mit Bravour bestehen werden, bieten Red Bull und kinki magazine danach auch gleich die Plattform zur Veröffentlichung des Films und Textes aus dieser Reise. Also nichts wie ran an Füllfeder und Videokamera, und mit ein bisschen Glück sitzt ihr schon bald mit Presseausweis bewaffnet im Flieger nach… naja, soviel verraten wir euch noch nicht.

So funktioniert’s: Wort oder Bild: Red Bull und kinki suchen eure spannendsten Kurzfilme und Texte.

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hr wolltet schon immer mal wissen, wie es sich anfühlt, als rasender Reporter das Zeitgeschehen in Wort und Bild einzufangen? Ihr träumt davon, endlich mal eine Videoreportage in der Nordwand des K2 zu filmen, ein Interview mit einer spannenden Persönlichkeit zu führen oder einen Bericht über ein Thema, das euch auf der Zunge brennt, zu schreiben? Red Bull und kinki magazine bieten euch nun mit dem Storyteller-Wettbewerb die Chance, euer VJ- oder Schreibtalent unter Beweis zu stellen. Wer sich fortan als Filmer oder Schreiberling im 108 kinki

Zeichen des kleinen k und des roten Bullen versuchen möchte, braucht also nichts weiter zu tun, als am Red Bull / kinki magazine StorytellerWettbewerb teilzunehmen.

Up and away! Wie ihr bestimmt alle wisst, verleiht Red Bull nicht nur den kleinen Cartoonmännchen aus der Werbung, sondern auch dem verschlafenen Durchschnittsbürger Flügel. Was läge also näher, als dass wir euch zum Thema ‹Up and

Euer Text darf maximal 3000 Zeichen umfassen (ohne Leerzeichen), in Form und Gattung seid ihr absolut frei. Ihr könnt eure Texte als Wordoder RTF-File an storyteller@kinkimag.ch oder per Post an folgende Adresse schicken: kinki magazine Mööslistrasse 3 8038 Zürich Videodateien könnt ihr uns auf DVD entweder ebenfalls per Post schicken, oder aber direkt auf YouTube stellen und uns den Link zu euerm Film per Mail zukommen lassen. Für alle Videos gilt ein maximaler Umfang von 2 Minuten und 10 MB sowie die Formatvorgabe 16:9. Einsendeschluss für eure Texte und Videos mit Angabe eures Namens, Telefonnummer und Adresse ist der 15. April 2010. Text: Rainer Brenner Foto: Nina Hove


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‹media› Vom Umschlag bis zum Abspann. Um ein richtiger ‹Party Intellectual› zu sein, muss man nicht nur in nonchalanter Attitüde das Tanzbein schwingen, sondern natürlich auch süffisante Zitate aus aktuellen literarischen und medialen Werken parat haben, um sie der neuen Bekanntschaft ins Ohr brüllen zu können. Zu diesem Zwecke stellen euch unsere Rezensenten auch diesen Monat wieder die neusten Meilensteine unserer Zivilisation vor.

BUCH schneeweiss

schen Kollektionen. Mit Essays von Jean Paul Gaultier, Carine Roitfeld oder Vanessa Beecroft und zum Teil noch nie zuvor veröffentlichten Fotos aus Margielas Privatarchiv gespickt, stellt ‹Maison Martin Margiela› nichts anderes dar als eine 368 Seiten umfassende Gedenktafel an eines der tonangebenden Labels der High Fashion. Erschienen bei Rizzoli New York, ca. CHF 150.–

Maison Martin Margiela Das Label Maison Martin Margiela lässt auch wirklich gar nichts aus. Nach elf hauseigenen Kleiderlinien, diversen kuratorischen Tätigkeiten, innenarchitektonischen Anwandlungen in Pariser Belle Etages erster Güteklasse und zuletzt der Lancierung des hauseigenen Duftes war die Veröffentlichung des eigenen Stil-Credos wahrlich nur noch eine Frage der Zeit. Eher erstaunlich erscheint es, dass stolze 22 Jahre vergehen mussten, ehe Maison Martin Margiela seine Kunst an die lechzende Mode-Meute nun auch in zweidimensionaler Form verfüttert. Im Buch mit dem gewohnt puren Titel ‹Maison Martin Margiela› gewährt das belgische Label, das nach dem Weggang seines Namensgebers zu einer scheinbar noch grösseren unbekannten Variablen geworden ist, einen exklusiven Einblick in seine Gestaltungsprozesse und zeigt die Herangehensweise an seine enigmati110 kinki

tiefschwarz

man nur so durch Untiefen und Abgründe, die der Protagonistin Mifti widerfahren oder sich in ihrer überstrapazierten, frühreifen Gedankenwelt abspielen. Drogen, Abstürze und Sex spielen die betörende und verbrauchte Begleitmusik ihres Lebens, die ihr dazu verhilft, aus ihrem sozialen Mittelschichtmilieu, das zwischen Spiessigkeit, Wohlstand und künstlerischer Boheme oszilliert, zu flüchten. Man ist erstaunt über Hegemanns Belesenheit, begeistert von ihrer Sprachgewalt und schockiert von der Derbheit der Dialoge. Und schliesslich ist man dankbar für ihre Angabe, das autobiografisch daherkommende Buch überwiegend erfunden zu haben und lediglich Beobachtungen aus ihrem Umfeld eingewoben zu haben – Plagiatsvorwürfe hin oder her. Erschienen beim Ullstein Verlag, CHF 23.–

Helene Hegemann: Axolotl Roadkill Wer schon beim Buchtitel an Overkill denkt, weil er des Themas ‹Wunderkind Hegemann› bereits überdrüssig ist, den kann ich voll und ganz verstehen. Und dennoch wollte ich mich dem Medien-Run auf den hochgelobten Erstlingsroman der damals 16-Jährigen einfach nicht entziehen. Und wie lesen sich die gesammelten Gedankenauszüge, Mails, SMS und fragmentarischen Erzählungen eines frühreifen, wohlstandsverwahrlosten Teenagers, der mit der verstörten Alltagswelt ringt? Als junger Mensch fliesst

blutrot

Richard Coleman: I Was Just Leaving Das hübsche Hardcover mit der imposanten, irgendwie majestätisch anmutenden Szenerie von ‹I

Was Just Leaving› verschleiert wie ein roter Vorhang dessen innere Begebenheiten. Erhebt sich der samtene Schleier, befinden wir uns inmitten des schaurigen Schauspiels des amerikanischen Künstlers Rich Coleman. Dieses zeichnet sich durch charakterlose Charaktere aus, die Nadelstreifenanzüge, Klanmützen, zugeknöpfte, gregorianische Kleider tragen oder einfach nur nackt sind. Coleman stammt aus der Graffitiund Skateboard-Szene. Seit er sich entschieden hat, zu den ‹Fine Arts› zu wechseln, ist es die Endlichkeit und Verletzlichkeit der ephemeren Strassenkunst, die er inhaltlich in seine neuen Werke überträgt. Diese Verletzlichkeit des einzelnen wird in fast jeder Szene thematisiert. Blut, Gewalt, Analsex, Schlangen, Regenbogenstrahlen, Dreiecke, Kerzen, Eisbären, Löwen, Särge und abgetrennte Köpfe prägen oft die theatralische Komposition. Trotz dieser verwerflichen Düsterkeit vermögen seine Bilder zu faszinieren. Dies mag an der aussergewöhnlichen Technik liegen – Rich Coleman malt mit Wasserfarbe und Tinte auf Papier und lackiert anschliessend alles – oder daran, dass die Abstrahierung die Grausamkeiten nur andeutet und so dem Interesse für die komplexen Arrangements und die Erzählungen den Vortritt lässt; diese sind nämlich schwarz, aber auch humorvoll. Erschienen bei Gingko Press, ca. CHF 60.–


neongelb

DVD

no woman, no cry

PierLuigi Macor: Zukunft Es gibt Clubs und Lokale, deren Eigennamen im alltäglichen Wortgebrauch immer wieder zu Verwirrungen und zu ungewollter Komik führen. In Zürich wohnt einem berüchtigten Musikclub diese Eigenschaft inne: die Zukunft. Die Namensgebung ermöglicht Wortspiele wie ‹Gsehmer eus ide Zuekunft›, was in Anspielung auf Michael J. Fox und Zeitreisen allgemein äusserst grossartig klingt. Doch darum geht es nur am Rande beim Buch Zukunft, das aus einem künstlerischen Projekt des Musikclubs mit dem futuristischen Namen entstanden ist. Um die Flyer- und Zinekultur des Etablissements und der Stadt insgesamt aufzumischen, wurde das Monatsprogramm über 15 Monate hinweg statt als einfältige Flyer in Form eines achtseitigen Magazins präsentiert. Die innovative Programmankündigung der Zukunft entstand von August 2007 bis Dezember 2008 aus der Zusammenarbeit des Künstlers und Gestalters Alain C. Kupper und des international renommierten Fotografen Pierluigi Macor. Visuelles Herzstück der Programmhefte waren die Fotografien von Pierluigi, die in ‹Zukunft› erstmals alle versammelt werden. Die Bilder stellen eine Reproduktion seiner Gegenwart dar, schwebende Alltagsbilder, die ebensogut in unserer Vergangenheit oder Zukunft auftreten könnten.

(500) DAYS OF SUMMER Ohne sich an zeitliche Linearität zu halten, erzählt Marc Webbs Film von einer 500 Tage andauernden Liebesbeziehung. Wobei dieser Status des Verhältnisses zwischen Tom Hansen und Summer Finn schon etwas zu hoch gegriffen ist. Denn während der Glückwunschkarten-Gestalter Tom sich bereits beim ersten Blickkontakt unsterblich in seine neue Arbeitskollegin Summer verliebt, glaubt diese erst gar nicht an Liebe auf den ersten Blick, Schicksal und solche Flausen. Als Tom sie, nachdem beide bereits einige Mal miteinander geschlafen haben, im Auto fragt, was das eigentlich sei, was sie da zusammen lebten, weiss Summer dementsprechend auch keine Antwort, ausser dass es doch ausreiche, dass es gut sei, was auch immer es nun sein möge. ‹(500) Days of Summer› ist eine sehr ironische und dennoch romantische Anti-Liebesgeschichte, die besonders all jenen Trost spenden wird, die gerade versuchen, eine unvergessliche Person zu vergessen. Ab 17. März als DVD und Blu-ray erhältlich.

i’m an alien

Erschienen bei der Edition Patrick Frey, CHF 88.– Weil Anja Mikula und Florence Ritter im Theater stets von exhibitionistischen Schauspielern und temperamentvollen Ausbrüchen unangenehm berührt werden, bevorzugen sie das papierene Medium, welches dank tarnender Buchdeckel dem Aussenstehenden den Einblick in Inhalt, emotionale Ausbrüche oder Schamesröte verwehrt.

DISTRICT 9 Wirft man einen Blick auf die Filmgeschichte, erkennt man, dass das Motiv der Ausserirdischen in den meisten Fällen die grösstmögliche Andersheit symbolisiert, die schliesslich ausgerottet werden muss, weil sie den eigenen Idealen widerspricht. Neill Blomkamp hinterfragt in seinem Film diese vereinfachende Sicht-

weise kritisch. In Anspielung auf die Geschichte Südafrikas werden die auf der Erde gestrandeten Aliens in Kapstadter Slums untergebracht, wo sie der humanen Bevölkerung aber schon bald ein Dorn im Auge sind und deshalb aus ihrem Blickfeld verschwinden sollen. Dabei wird gerade der Beauftragte für die Umsiedlung des Flüchtlingslagers District 9 von einer gewissen Substanz infiziert, die ihn allmählich zu einem Ausserirdischen mutieren lässt. Nicht ohne eine gewisse Ironie muss er so die Perspektive wechseln und die Diskriminierung am eigenen Leib erfahren. Mit viel zynischer Gesellschaftskritik inszeniert Blomkamp so ein kleines Science Fiction Meisterwerk. Ab 8. April als DVD und Blu-ray erhältlich.

thriller

PARANORMAL ACTIVITY Eigentlich ist Katie ja Micahs Traumfrau. Nur leider meint seine Freundin, seit ihrer Kindheit von einem Dämon heimgesucht zu werden. Aber selbst das findet er irgendwie cool. Zum Spass möchte er die paranormalen Phänomene, die in Katies Umgebung auftreten, mit einer Videokamera dokumentieren. Dementsprechend euphorisch begrüsst er die ersten auf Zelluloid gebannten Beweise einer übernatürlichen Existenz und animiert den Dämon zu weiteren Kunststücken. Doch bald ist Micahs Not gross, denn die Geister, die er rief, wird er nun nicht mehr los. Mit minimalen Mitteln und ohne aufwendige Effekte gelingt dem Newcomer Oren Peli eine Horrordokumentation, die schnell vom Geheimtipp zum Publikumserfolg avancierte. Gerade die Glaubwürdigkeit und scheinbare Authentizität von ‹Paranormal Activity› bewirken den gewünschten Gruseleffekt, der einen noch beim Gang auf die Toilette misstrauisch die Umgebung mustern und verzweifelt nach dem Lichtschalter suchen lässt.

KINO

ring of fire

CRAZY HEART Bad Blake ist 54, hat bereits mehr als fünfzig Country-Alben veröffentlicht, dafür aber keinen Penny in der Tasche, um sich die nächste Flasche Whiskey zu kaufen. Mit Auftritten in kleinen Bars hält er sich über Wasser, schläft mit pensionierten Groupies oder auch nur mit einer Pulle Bourbon in der Hand, und lebt so den Mythos von Sex, Drugs and Rock’n’Roll. Inspiriert von den Biografien verschiedener Singer-Songwriter aus der Country-Szene wie etwa Waylon Jennings oder Merle Haggard, gelingt Scott Cooper mit ‹Crazy Heart› eine nuancierte Milieu- und Charakterstudie, die den bizarren Charme der amerikanischen Volksmusik sehr gut einfängt. So gewinnt der heruntergekommene Alkoholiker Bad eine magische Erhabenheit, sobald er die Gitarre in die Hand nimmt und den ersten Paarreim ins Mikro singt. Hauptdarsteller Jeff Bridges, der die von T-Bone Burnett eigens für den Film komponierten Stücke selbst interpretiert, flösst der Figur des Bad Blake Leben ein und verleiht ihr den Hauch einer lebenden Legende, ohne jedoch zu idealisieren. Da kann man nur den Cowboyhut ziehen vor so einem Werk. Ab 18. März im Kino. Immer wieder fragt sich unser Filmkritiker Peter Rösch, wann es Hollywood endlich begreifen wird, dass er nicht käuflich ist. Natürlich hat er auch diesen Monat wieder Jachten und andere zweifelhafte Angebote despotischer Produzenten kategorisch abgelehnt, um euch hier nur die besten Indie-Streifen zu präsentieren.

Ab 30. April als DVD und Blu-ray erhältlich.

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Nachruf

Das Buch über ‹den grössten Film, der nie gedreht wurde› widmet sich gleich zwei Personen mit monumentalen Ideen: Napoléon Bonaparte und dem Regisseur Stanley Kubrick. Die zehnbändige Monografie beleuchtet das grossangelegte Projekt, mit dem die Herren gemeinsam in die Filmgeschichte hätten eingehen sollen. Text: Florence Ritter

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mmer wieder waren und sind es noch heute kleine Männer, die aus den Tiefen ihres Inneren oder aus Grössenkompensationstrieb das intensive Verlangen äussern, die Weltherrschaft an sich zu reissen. In den vergangenen Jahren genügte ein Blick nach Amerika, Italien oder Frankreich, um Sitzkissen- und Podestschummeleien sowie restriktive Absatzverbote für Präsidentengattinnen zu entlarven, die diesen Artefakt bestätigen. Ein Blick in die Geschichte lässt uns eine ganze Garde an machtsüchtigen Zwergen versammeln, welcher Napoléon Bonaparte erhobenen Hauptes voranschreitet. Es ist heikel, als Französin die Faszination für dieses Männlein, das sich uns als eine der grossen historischen Figuren aufgezwungen hat, zu äussern. Natürlich ist dieses Interesse frei von jeglichem Nationalbewusstsein oder allfälliger Verbundenheit und beruht einzig auf dem unbestreitbar unvergleichlichen Charakter Napoléons und dem geschichtlichen Verlauf, den er sichtlich prägte. Dass Napoléon neben positiven Errungenschaften wie dem Code Civil überambitioniert und mit einigem Militärgeschick Europa einzunehmen suchte, sich zuletzt selbst zum Kaiser krönte und mit diktatorischen Zügen regierte, weiss schliesslich jeder. Und doch stehe ich glücklicherweise mit diesem Faible nicht alleine da: Unter zahlreichen Geschichtsfanatikern findet sich nämlich der amerikanische Regisseur Stanley Kubrick, der geradezu obsessiv von dem kleinen Korsen fasziniert war. Und Stanley Kubrick kann nun mal nicht irren!

La révolution Wahrlich hatte der berühmte Regisseur mit dem kleinen Bonaparte Grosses vor: einen aufwendigen, imposanten Film, der ‹zugleich als Charakterstudie und als bildgewaltiges Epos 112 kinki

angelegt war, prall gefüllt mit grossartigen Schlachtszenen, in denen Tausende von Komparsen mitwirken würden›. Über Jahre hinweg sammelte Kubrick wie besessen jeden Schnipsel über Napoléon, dessen starke Persönlichkeit und sein Erfolg ihn genauso fesselten wie sein selbstverschuldetes Scheitern. Er un-

terhielt sich mit Spezialisten und schickte zahlreiche Mitarbeiter ins Ausland, um mögliche Drehorte zu fotografieren und alles auffindbare Material zusammenzutragen. Als es in die Produktion gehen sollte, zogen die Filmstudios dem übermotivierten Kubrick den Teppich unter den Füssen

weg – der Film wurde niemals gedreht. Über 40 Jahre lang rätselten und spekulierten Fans über dieses unvollbrachte Meisterwerk.

Der Nachlass Im Buch ‹Stanley Kubrick’s Napoleon – The Greatest Movie Never Made› nehmen sich die Herausgeberin Alison Castle und der TaschenVerlag endlich dieser Sammlung an Rechercheund Vorproduktionsmaterial an und bringen sie gut sondiert in zehn Bänden in einer limitierten Ausgabe heraus. Der opulente Buchband mit goldener Verzierung, einem Faksimile, steht den französischen Geschichtsund Napoléonbüchern in der Bibliothek meines Grossvaters in nichts nach. Wie eine Schatzkiste gibt die Monografie in ihrem Inneren das Kubrick’sche Archiv in reduzierter Form wieder. Zehn Bände versammeln Kostümstudien, Fotografien möglicher Drehorte, Recherchematerialien, historische Essays, Abschriften von Gesprächen Kubricks mit Experten und auch den endgültigen Drehbuchentwurf, der als Faksimile nachgedruckt wurde. Das einzigartige Sammelwerk gibt erstmals eine Idee von den umfangreichen Recherchen und Vorbereitungen, die für das unverwirklichte Projekt betrieben wurden, ebenso gewährt es einen Einblick in die schöpferische Arbeit des talentierten Regisseurs und ist somit besonders für Kubrickanhänger wie auch für Napoléonfaszinierte von besonderem Interesse, die weder der immense Umfang noch die immensen Kosten der Investition abschrecken. Stanley Kubrick’s Napoleon – The Greatest Movie Never Made Herausgegeben von Alison Castle Taschen Verlag / Köln 2009 ca. 1075 CHF Foto: Taschen Verlag



‹Henry & Paul› Die mit der Liebe. Und fleischfressenden Chips. Und langfingrigen Kleopatras.

Sir? Sprich, Henry. Was bedrückt Sie, Sir? Ich schwelge in Erinnerungen. Man gedenke nur der Liebe! Dieser ersten zaghaften und tollpatschigen Gehversuche, die in ungewollten Schwangerschaften, Wehklagen, zerkratzten Gesichtern und losen Beinkleidern endeten. Ein jeder muss da – mehr oder weniger – durch, Sir. 114 kinki

Jaja. Plattitüden. Hast du die Liebe gefunden, Henry? Die Liebe? Wenn Sie meinen, dass ich mich… Ruhe, Henry. Ich will es dir erzählen. Ich ging damals in diesen Laden in Sechuan. Klopfte artig meine Schuhe ab, ging hinein ins lärmende Grell. Bestellte ein paar Kartoffelchips, beizend, ätzend, mit Säure und Gewürz. So schien

es mir, als ich frohgemut knackend und krachend wieder die Strasse hinunterstolzierte. Die zarte Haut des Gaumens zerfetzt, aber Neonlicht im Herzen. Und was geschah? Eine Kleopatra sprach mich an, Reis in ihrer Stimme, Miles Davis in ihrem Gesicht. Changchang hiess sie, oder so ähnlich, und Dangdang wollte sie. Oder so ähnlich.

War Sie eine Prostituierte, Sir? Untersteh dich, Henry! Wir verstanden uns auf Anhieb. Auch ohne Worte, nur mit Handund Hüftzeichen. An der Hand nahm ich sie denn auch, fröhlich und brünstig und so wandelten wir auf den dünnen Pfaden des nächtlichen Vergnügens. Ich dachte es mir, Sir. Im Hotel, so gurrte es Changchang, da würde sie mir neue Sphären der leiblichen Erquickung eröffnen, das Tor des Paradieses weit aufreissen. So wollte ich ihr Geschnatter jedenfalls verstehen, versunken in der schwarzen Pracht ihres Haares. Was geschah dann, Sir? Dann entwich Sie mir, lief plötzlich von dannen. Ein Freund habe sie gerufen, erklärte Sie mir fuchtelnd – und alles, was ich jetzt von ihr habe, sind die spärlichen Erinnerungen an ihre liebreizende Gestalt. Bei allem Respekt, Sir. Das ist keine Liebe. Wieso nicht, Henry? Vermissen Sie sie, Sir? Ich… nein. Nur mein Portemonnaie, dass damals auf mysteriöse Weise verschwand. Soso, Sir. Sie halten Changchang also für eine Diebin. Ach was. Nur abends, wenn ich mich in den Schlaf langweile, da überkommt mich noch heute der Verdacht, dass sie nur verschwand, weil ich zwischen unseren schmachtenden Küssen masslos Säurechips in mich reinstopfte. Könnte sein, Sir. Könnte sein. Text: Roman Neumann Foto: Philippe


Rider: Silvio Barro Photo: Alan Maag

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