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Frühlingsgefühle
Experten des Klinikums Nürnberg im Interview
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Die kalte Jahreszeit ist überstanden und der Frühling ist endlich da. Die Sonne lacht, die Natur fängt an zu blühen und unsere Stimmung wird besser. Diese positiven Empfindungen werden gerne als Frühlingsgefühle bezeichnet. Doch gibt es diese wirklich? Unsere Experten, wissen mehr darüber. (jap)
Prof. Dr. med. Dechêne: Was passiert im Frühling in unserem Körper?
Es tut sich eine Menge. Die Hormonproduktion, unter anderem des Hormons Melatonin, verändert sich. Es ist für den Tag-Nacht-Rhythmus und unsere innere Uhr mitverantwortlich. Unser Melatonin-Spiegel ist von der Tages- als auch von der Jahreszeit abhängig. Nachts schüttet unser Körper etwa zehn Mal so viel Melatonin aus als am Tag, an dunklen Wintertagen ist die Melatonin-Konzentration im Blut ebenfalls höher. Im Frühjahr werden die Tage länger und heller. Es wird weniger Melatonin produziert und der Serotoninspiegel, das sogenannte Glückshormon, steigt. Wir fühlen uns fitter.
Was hat noch Einfluss auf die Frühlingsgefühle?
Bei den Frühlingsgefühlen spielen das Verhältnis von hellen und dunklen Tagesanteilen, das direkte Sonnenlicht und die Temperatur eine wichtige Rolle. Grundsätzlich hat sehr vieles Einfluss auf unsere Hormone. In unserem Körper befinden sich nicht drei oder vier Hormone, sondern ein riesiger Strauß, der durch verschiedene Faktoren beeinflusst wird.
Prof. Dr. med. Hillemacher: Was hat die Psyche mit all dem zu tun?
Für die Psyche sind Bewegung und Licht sehr wichtig. Bewegung findet am besten bei Sonnenschein im Freien statt,
Hätten Sie es gewusst?
Hormone sind bei jeder Funktion in unserem
Körper beteiligt, halten ihn gesund und sind für unsere Balance zuständig. Experten vermuten etwa 1000 verschiedene Hormone im menschlichen Körper – nur 100 sind derzeit bekannt. Jede Körperzelle wird durch Hormone beeinflusst. Der griechische Begriff „hormao“ bedeutet übersetzt „ich treibe an“. Hormone sind unter anderem bei der Wundheilung, dem Wachstumsprozess, dem Muskelaufbau und dem Fettabbau beteiligt. Millionstel Gramm erreichen enorme Wirkungen. Alle Hormone sind zu jeder Tages- und Nachtzeit im
Blut nachweisbar, das Maß ist unterschiedlich. Zum Ende einer Schwangerschaft ist das Hormon
Oxytocin verantwortlich, dass die Wehen einsetzen und die Geburt eingeleitet wird. Haarausfall kann hormonell bedingt sein. Eine ausgewogene Ernährung unterstützt den
Hormonhaushalt.
dann steigt die Stimmung bei den meisten Menschen automatisch an. Wir sind im Sommer aktiver, gehen mehr raus, treffen Bekannte und haben mehr soziale Kontakte. Außerdem ist man anders angezogen, die dicke Daunenjacke bleibt endlich im Schrank.
In der Tierwelt ist das Frühjahr oft die Paarungszeit, auch manche Menschen verspüren im Frühjahr Schmetterlinge im Bauch. Verlieben wir uns im Frühjahr wirklich leichter?
Das ist schwer zu sagen. Die Testosteronausschüttung bei Männern ist im Frühjahr und im Sommer stärker, bei den Frauen ändert sich hingegen weniger. Aus psychologischer Sicht haben Frühlingsgefühle auch etwas mit dem Empfinden zu tun. Wir fühlen uns leichter und wohler, das hat wiederum positive Auswirkungen auf unsere Ausstrahlung und somit auf unser Gegenüber.
Manche Menschen verspüren eine Frühjahrsmüdigkeit. Was kann man dagegen tun?
Ob es die wirklich gibt, sei dahingestellt. Es gibt Menschen, die sind oft müde und suchen dafür einen Begriff. Wichtig ist: Man kann etwas dagegen tun. Und dafür gibt es ein einfaches Rezept: Raus gehen und aktiv sein. Den Faktor Licht
nutzen wir medizinisch auch bei Winterdepressionen in Form von Lichttherapie.
Prof. Dr. med. Dechêne: Thema Selbstmedikation – Ist es sinnvoll, Medikamente einzunehmen und so das Wohlbefinden aufrecht zu erhalten?
Ganz so einfach ist das nicht. Es gibt durchaus Menschen, denen empfehlen wir, über einen längeren Zeitraum Vitamin D einzunehmen. Diese Hormon-Vorstufe wird durch die Sonneneinstrahlung auf der Haut gebildet. Wenn wir wenig Sonne abbekommen, wie es in Nordwesteuropa im Winter der Fall ist, wirkt sich das negativ auf den Vitamin-D-Spiegel aus. Das kann ungünstigen Einfluss auf einige Körperfunktionen haben. Die Einnahme sollte unbedingt in Absprache mit einem Arzt erfolgen. Von unkontrollierter Einnahme von stimmungsaufhellenden „Hormoncocktails“, wie sie leider im Internet angeboten werden, rate ich dringend ab.
Das heißt, man kann auch zu viele Hormone haben?
Absolut. Bei hormonproduzierenden Tumoren hat der Körper beispielsweise ein Überangebot an Botenstoffen. Allgemein kann ein Hormonüberschuss zu ungewünschten Nebeneffekten führen, beispielsweise Kopfschmerzen, Zyklusschwankungen oder Gewichtszunahme.
Prof. Dr. med. Thomas Hillemacher, Ärztlicher Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie.
Prof. Dr. med. Hillemacher: Was macht uns Menschen glücklich?
Im Gehirn sind komplexe Neurotransmittersysteme für unser Wohlbefinden mitverantwortlich, dazu zählen unter anderem das Dopamin- und Serotonin-System. Wenn der Spiegel von diesem sogenannten „Wohlfühlhormon“ fällt, merken wir und unser Umfeld das sehr schnell. Unsere Stimmung sinkt und Ängste nehmen zu. Ein anhaltender Mangel von Serotonin im Gehirn kann depressiv machen und auch zu psychischen Erkrankungen wie beispielsweise Zwangsstörungen führen.
... Schokolade macht uns also nicht glücklich?
Viele sehen Schokolade als Nervennahrung an. Der Zuckergehalt regt über einige Umwege die Bildung des Belohnungshormons Dopamin im Gehirn an. Somit stimmt uns Schokolade indirekt glücklich. Einen Serotoninmangel kann Schokolade natürlich nicht ausgleichen, auch weil Serotonin die sogenannte Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden kann. Daher machen auch Serotonin-Spiegelmessungen im Blut keinen Sinn. Das persönliche Glück ist von Mensch zu Mensch individuell. Für die meisten Menschen ist es das private Umfeld, soziale Kontakte und die Familie.
Prof. Dr. med. Alexander Dechêne, Ärztlicher Leiter der Klinik für Innere Medizin 6, Schwerpunkt Gastroenterologie, Endokrinologie.