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Wohin nach PISA?
Kindergartengesetz: Novelle für das Mittelmaß
PI S A z e i g t : D e r E r f o l g v o n F i n n l a n d i s t b e r e i t s i m K i n d e r g a r t e n z u g r u n d e g e l e g t . Ö s t e r r e i c h d a g e g e n h a t a l s „ B i l d u n g s n a t i o n “ a b g e d a n k t . D i e N o v e l l i e r u n g d e s K i n d e r b e t r e u u n g s g e s e t z e s m i t d e n E i n s p a r u n g e n i m B e r e i c h d e r Q u a l i t ä t d e r K i n d e r g a r t e n a r b e i t w i r d d a f ü r s o r g e n , d a s s d a s w e i t e r s o b l e i b t . C h r i s t i n e K i f f m a n n - D u l l e r v o n d e r B e r u f s g r u p p e d e r s t e i r i s c h e n K i n d e r g a r t e n - & H o r t p ä d a g o g / i n n / e n w a r n t v o r e i n e r q u a l i t a t i v e n A u s d ü n n u n g d e r B i l d u n g s a r b e i t f ü r d i e K l e i n s t e n .
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Bildung kostet nicht für alle gleich viel
Doch statt in diesem Bereich eine Aufwertung zu bewirken, passiert das Gegenteil. Während die Eltern für Sarah in der Gemeinde X monatlich rund 70,– Euro für die frühe Bildung ihrer Tochter bezahlen, würde diese Familie in der nur zwei Kilometer entfernten Nachbargemeinde wohnen, hätte sie für dasselbe Bildungsangebot 56,– Euro monatlich zu berappen. Unglaublich? Aber wahr! Jede Gemeinde regelt den Kindergartenbeitrag autonom, so sind die Kosten für die frühe Bildung abhängig vom Wohlstand einer Gemeinde. Da der Elternbeitrag die tatsächlichen Kosten eines Kindergartenplatzes bei weitem nicht abdeckt, sehen sich Gemeinden gezwungen, Einsparungen in der Qualität der Kinderbetreuung zu fordern. Grund: Steirische Gemeinden sehen sich durch eine Novellierung des Kinderbetreuungsgesetzes (bezahlte Vorbereitungszeit zur Planung der Bildungsarbeit für alle Kindergartenpädagoginnen) im Sommer 2004 gezwungen, entstandene personelle Mehrkosten nun durch eine Novellierung des Gemeindebedienstetengesetzes abzuwenden. Ein neuerlicher Versuch also, Kosten zu verringern, verbunden mit einer massiven Qualitätseinbuße. Um darauf aufmerksam zu machen, gingen steirische Kindergartenpädagoginnen am 28. Dezember 2004 für eine Beibehaltung der im Kinderbetreuungsgesetz festgeschriebenen Regelung auf die Straße. Sie fordern statt weiterer Einsparungen auf Kosten der Entscheidungsträger von morgen eine Vorgabe des Landes in der Angleichung der Kinderbetreuungsbeiträge, einkommensabhängig und sozial gestaffelt. Die Reduzierung der Vorbereitungszeit würde massive Qualitätseinbußen bringen, die die Planung der pädagogischen Arbeit, die Teamarbeit, die Elternkooperation, das interdisziplinäre Arbeiten etc. verunmöglichen würden.
Die Berufsgruppe der steirischen Kindergartenund Hortpädagoginnen ging auf die Straße um gegen Qualitätseinbußen zu demonstrieren.
Im Kindergarten werden die Basiskompetenzen für das spätere Leben „spielerisch“ erlernt.
Bildungsarbeit im Kindergarten und anderen Kinderbetreuungseinrichtungen braucht vor allem Zeit – für die Arbeit mit Kindern, Zeit für das Zusammenwirken mit den Eltern und Zeit für Vorbereitungsarbeiten.
Es braucht aber auch Zeit für die persönliche Reflexion und Regenerierungsmöglichkeiten für die Erzieher. Das Leben in der Gruppe mit ihren vielfältigen Herausforderungen und der entsprechenden Verantwortung für das einzelne Kind bringt auch Pädagogen oft an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Geregelte Erholungszeiten schaffen wieder neuen Raum für qualitätvolle Arbeit. Genauso wichtig ist es, dass gerade Kinder im Vorschulalter, die im geregelten Leben einer Gruppe enorme Leistungen vollbringen, (sozial, emotional, kognitiv) die Möglichkeit haben, Rückzugsmöglichkeiten durch Ferienzeiten zu erleben, wo familiäre Beziehungen wieder gelebt und verstärkt werden sollen. So werden wir uns in der PISA-Studie 2015 und folgende wohl weiter im unteren Mittelfeld wiederfinden. ■
?Ungewisse Schulzukunft
von Julia Weißensteiner
Die Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse liegt schon viele Wochen zurück, die Diskussionen um die Zukunft der österreichischen Schule sind jedoch weiterhin voll im Gange. Neben Themen wie der umstrittenen „Zwei-Drittel-Mehrheit“ rückt auch das Modell „Ganztagsschule“ wieder stärker ins Licht.
Unsere Schule verändert sich. Sie wird reformiert, modernisiert, angepasst. Gleichzeitig sparen und kürzen die Schulbehörden. Nach dem „PISA-Schock“ wird heftiger denn je über eine Reform der Schule diskutiert. Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer spricht dabei immer häufiger von der „Ganztagsschule“. Ist das die Schule, die unseren Kindern all das geben kann, was sie brauchen? Zwei Dinge sind es, die Schulkinder nach Meinung vieler Lehrer ganz besonders brauchen: bessere und mehr Ruhephasen sowie mehr Bewegung. „Vieles passiert viel zu hektisch, Kinder werden von mehreren Seiten unter Druck gesetzt und für die so wichtigen Pausen und Ruhephasen bleibt keine Zeit mehr“, meint etwa Adelgunde Wetz. Sie war 40 Jahre lang Volks- und Hauptschullehrerin und hat die Entwicklung der Kinder beobachtet. Ihrer Meinung nach können Kinder ein Thema nur dann gut und intensiv erarbeiten, wenn sie es in Ruhe tun können. Müssen sie ständig zwischen vielen Dingen hin- und herspringen und haben dazwischen keine Zeit sich zu erholen, arbeiten sie oberflächlich und ermüden noch schneller. Dieses Problem sieht auch Nicole Koch, seit zwei Jahren Lehrerin an der Übungsvolksschule Hasnerplatz in Graz. „Die Kinder können sich oft schlecht konzentrieren und sind schnell erschöpft, nach längeren Lerneinheiten bräuchten sie immer auch längere Pausen.“ Eine Schwierigkeit, die mit dem Konzept „Ganztagsschule“ gelöst werden könnte. Nicole Koch unterrichtet selbst in einer Ganztagsklasse mit 23 Schülern. Die Unterrichtsstunden wurden auf den ganzen Tag, von acht bis 15 Uhr, verteilt und das gibt die Gelegenheit für ausgedehnte Pausen. „Die Kinder arbeiten in den Lerneinheiten besser und intensiver, weil sie aus den langen Pausen viel Kraft schöpfen“, sieht Nicole Koch erste Erfolge. Die längeren Erholungszeiten könnten auch Abhilfe für das zweite Problem schaffen: Zu wenig Bewegung. Der große Bewegungsmangel unserer Kinder hat weitreichende Folgen. „Früher war es für die Kinder kein Problem, einen Bleistift zu halten. Heute muss ich das mit ihnen üben. Vielen fehlen grundlegende motorische Fähigkeiten, sie können nicht richtig laufen oder springen“, weiß Nicole Koch. In ihrer Ganztagsklasse wirkt sie dem unter anderem mit einer „bewegten Pause“ entgegen. Da darf eine Stunde lang niemand sitzen, sondern es wird jongliert, getanzt, auf Bäume geklettert und vieles mehr. Diese Bewegung unterstützt nicht nur die motorische Entwicklung, sie fördert auch die „mentale Beweglichkeit“, denn, so Adelgunde Wetz: „Kinder, die sich bewegen, sind auch wendiger im Geist und können vieles besser aufnehmen. Ich erinnere mich an eine Physikstunde, in der die Kinder in Gruppen von einer Versuchsanordnung zur nächsten wandern mussten. Am Ende der Stunde waren sie nicht etwa erschöpft, sondern überrascht darüber, dass diese schon aus war.“ Nun hätte eine teilweise oder halbherzige Umsetzung dieses Schulmodells keinen großen Wert; um ein wirklich gutes Konzept zu verwirklichen bedarf es allerdings oft großer finanzieller Mittel. Räumlich sollten Lern- und Freizeitbereiche getrennt sein, ein Speiseraum und meist auch größere Bereiche für Sportaktivitäten werden gebraucht. Hinzu kommen die Essensversorgung und zusätzliches Personal für die Nachmittagsbetreuung. Das Geld für all das steht leider oft genug nicht zur Verfügung. Neben vielen positiven Neuerungen birgt die Ganztagsschule außerdem noch einen großen Nachteil: Ist das Modell für alle Schüler verpflichtend, müssen sie auch alle bis in den Nachmittag in der Schule bleiben. Die Klasse von Nicole Koch wurde unter dem Aspekt gegründet, dass alle 23 Kinder von vornherein eine Nachmittagsbetreuung benötigen würden. Denn, so sagt sie selbst: „Nach wie vor bin ich der Meinung, dass Kinder, deren Mütter oder Väter zu Hause sind, auch die Möglichkeit haben sollten am Nachmittag nach Hause zu gehen. Denn nirgends ist es für ein Kind so schön wie zu Hause bei seiner Familie.“ Nachdenklich fügt sie hinzu: „Aber leider ist die Tendenz ja dahingehend, dass immer weniger Eltern zu Hause bleiben.“ ■