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ELBVERTIEFUNG 800 Mio. Euro verschlickt?

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MEIN ARBEITSPLATZ

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Die „Ever Given“ im Sommer 2021 in Rotterdam. Das Schiff gehört zu den größten der Welt und kann Häfen wie Hamburg nur teilweise beladen anlaufen.

Nicht meine Baustelle.“ Diesen Spruch hört man in Norddeutschland, wenn jemand Verantwortung von sich weist, nichts mit der Sache zu tun haben, sich nicht die Hände schmutzig machen will. Bei Infrastrukturprojekten über Bundesländer hinweg, unter Beteiligung einer Vielzahl an staatlichen Stellen, Firmen und Lobbygruppen reichen ein- oder zweimal „Nicht meine Baustelle“ und 800 Millionen Euro versanden. Oder verschlicken. „Die Elbvertiefung ist eindeutig und endgültig gescheitert“, sagte Dominik Lorenzen, Grünen-Co-Fraktionschef in der Hamburgischen Bürgerschaft im November 2022. Kurz zuvor hatte die Wasserstraßenund Schifffahrtsverwaltung des Bundes die „nautisch nutzbare Tiefe auf der Tideelbe temporär um einen Meter eingeschränkt“.

Das bedeutet: Das Ziel der jüngsten Elbvertiefung –14,50 Meter bei Flut und 13,50 Meter tidenunabhängig – ist Makulatur. Die über Jahre erstrittene und mit besagten 800 Millionen Euro finanzierte Vertiefung erlaubt derzeit nur einen verbesserten Tiefgang von 20 bis 90 Zentimetern ... Und dies keineswegs vorübergehend, wie der Bund präzisierte: Es könnte drei bis fünf Jahre dauern, bis nach heftigem Baggern wieder die geplante Tiefe erreicht sei.

Denn der Grund für die Misere ist Schlick, also letztlich mit Wasser durchmischter Sand. Das Wegbaggern von Schlick ist eine Sisyphusarbeit. Mit jedem entnommenen Kubikmeter wird die Elbe tiefer und damit verstärkt sich die Strömung. Die verstärkte Strömung trägt mehr Sedimente mit sich, also Schlick, der anschließend wieder weggebaggert werden muss. Das klingt nach Irrsinn, nach Autobahn im Dschungel oder Kühlhaus auf Grönland, aber die Wertschöpfung des Hafens ist für die Region wichtig. Um ein gewisses Maß an Sisyphusarbeit, da sind sich Hamburgs Wirtschaftsvertreter offenbar einig, wird man nicht herumkommen: Der Schlick muss weg, und wenn mehr Sediment nachkommt, dann kann die Lösung nur in mehr Baggerkapazitäten bestehen. Wessen Bagger? Die Elbe ist eine „Bundeswasserstraße“, ebenso wie der Rhein oder die Donau, also eine Art maritime Autobahn. Die Evaluierung ihres Zustands sowie der Erhalt sind somit Sache des Bundes. Das erklärt auch, warum die Hamburger Wirtschaftsbehörde im Oktober von der Rücknahme des Tiefgangs überrascht wurde. Der Brummifahrer misst eben nicht selbst die Tragfähigkeit einer Straße.

Im Falle von Autobahnen und Wasserstraßen können Anrainer Interessen formulieren und versuchen, auf Bundesebene Einfluss auszuüben, sie können aber nicht ohne Weiteres selbst Hand anlegen. Im Fall der Elbe stellt der Bund Bagger und Personal zu Verfügung – zu wenig, wie sich nun herausgestellt hat. Strittig ist, ob der Bund den Bedarf von vornherein zu niedrig eingeschätzt hat oder ob die Schlickmengen in einer nicht vorhersehbaren Größenordnung gewachsen sind. Um die Größenordnung zu illustrieren: Aktuelle Berechnungen gehen von 2,5 Millionen Kubikmetern Schlick aus, die pro Jahr abgesaugt und verklappt werden müssen. Das entspricht in etwa einem Quader, 200 Meter „Je mehr Schlick abgesaugt wird, desto mehr kommt nach ...“ lang, 200 Meter breit, 60 Meter hoch. Zwar schaufelt ein moderner Bagger mit einem Hub bis zu 35 Kubikmeter Schlick ans Tageslicht, aber das ist ein theoretischer Wert. In der Praxis mangelt es – wie überall – an Personal. Die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) meldete bereits 2019 über 1.000 unbesetzte Stellen. Selbst mit mehr Geld aus Bundesmitteln ließe sich die Misere also nicht kurzfristig lösen. Eine direkte Beteiligung Hamburgs an Baggerarbeiten ist ebenfalls nicht so leicht, wie vielleicht gedacht. Der Haushalt

Dominik Lorenzen, Grüne: „Die Elbvertiefung ist eindeutig und endgültig gescheitert.“

FOTO: HENNING ANGERER

Das Schlickproblem ist nicht neu. Saugbagger wie „Geoptes 15“ sind seit Jahrzehnten im Einsatz.

einer Großstadt ist verplant, auf Töpfe ver- steigende Größe moderner Containerfrachteilt, wird von ihren Nutznießern auch ver- ter und die Sinnlosigkeit immer neuer Elbteidigt. vertiefungen hin. Irgendwann ist naturge-

Hinzu kommt das Problem der Schlickla- mäß Schluss. gerung. Das bisherige Abladegebiet vor Aber ist das wirklich so? Die spektakuläHelgoland ist voll bzw. das zwischen Ham- ren Bilder festgefahrener Schiffe reißen burg und Schleswig-Holstein vereinbarte nicht ab. Erinnert sei an die „Ever Given“, Kontingent war zum Jahresende ausge- die 2021 den Suezkanal blockierte. Auf der schöpft. Hier wurde jedoch ein Kompromiss Elbe musste im August 2022 beschlossen: Zusätzliche Lagerstätten in die „HMM Algeciras“ vor Finder Nordsee und eine weitere Nutzung des kenwerder stoppen. Zu niedGebiets vor Helgoland – selbstverständlich riges Wasser. Das Schiff, das gegen Ausgleichszahlungen –, keine weitere theoretisch 24.000 StandardLagerung nahe eines Naturschutzgebiets container (TEU) tragen kann, bei der Nordseeinsel Scharhörn. musste einen Tag aussetzen,

Hierzu passt auch die Nachricht, dass ein bis die Tide den Wasserpegel Saugbagger der insolventen Werft Pella wieder angehoben hatte. Sietas weitergebaut werden soll. Sietas war Dennoch widersprechen 2021 in die Insolvenz gegangen; Beobach- Branchenvertreter wie Søren ter fürchteten daraufhin das Abwracken des Skou, Chef der dänischen angefangenen Schiffs, das für den Dienst Reederei Maersk. Die Entauf der Elbe vorgesehen war. wicklung ist Das ist nun vom Tisch. Die seiner AnArbeiten an dem Saugbagger sicht nach sollen sich aber bis ins Jahr mit dem Bau von Giganten 2024 erstrecken. Das Pro- wie der „Ever Given“ abgeblem von Baggerkapazitäten schlossen. Zwar könne und Personal ist also nicht man technisch gesehen gelöst. noch größere Schiffe bau-

Es bleibt der Eindruck, en, die auch durchaus eidass hier Symptome eher recht als schlecht nen Stückkostenvorteil bieten würden, behandelt werden, nicht aber das grundle- „aber wie will man die Schiffe füllen?“ Um gende Problem: Der Fluss kann von seiner ein 24.000-TEU-Schiff vollzukriegen, müssGeographie her nicht konkurrieren mit der te es mehrere Häfen hintereinander anlauNordsee vor Rotterdam. Kritiker weisen fen, wodurch sich die Fahrzeit verlängern dementsprechend auch seit Jahren auf die würde. Nötig sei aber eher eine schnelle

Frequenz. Reedereien weisen auch immer wieder darauf hin, dass gerade die großen Containerschiffe den Hamburger Hafen eh nicht voll beladen anlaufen. Die Route führt meist aus Asien nach Europa, vorbei an den großen Konkurrenten Antwerpen und Rotterdam, die ihre Kontingente weit vor der Elbmündung abnehmen. Das Schiff, das dann die Elbe hinauffährt, ist leichter und liegt höher im Wasser. Bei ausreichendem Baggern gibt es also keinen zwingenden technischen Grund gegen das „Weiter so!“. Aber was ist eigentlich mit dem Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven? Welche Rolle könnte er spielen? Der globale Schiffsverkehr mit Containern teilt sich –grob gesprochen – in interna„Das Problem von Baggerkapazitäten und Personal ist nicht gelöst.“ tional und regional auf. Kleinere Schiffe, sogenannte „Feeder“ bringen die Boxen von regionalen Verladestationen in die großen Häfen. Dort werden sie auf Giganten wie die „Ever Given“ verladen, die anschließend bis zu 24.000 Container kostengünstig auf die andere Seite des Globus transportieren. Warum also beschränkt sich Hamburg nicht auf den Feederverkehr, während die großen Schiffe ausschließlich in Wilhelmshaven anlegen? Der Jade-Weser-Port ist Deutschlands einziger Tiefwasserhafen. Direkt am Kai beträgt die Wasser-

Senator Michael Westhagemann: „Ich war über das Vorgehen des Bundes überrascht. Es war auch nicht mit uns abgestimmt.“

FOTO: BWVI

Ostemündung im niedersächsischen Bellum. Hier wird deutlich sichtbar, wie eine höhere Fließgeschwindigkeit zu regelrechten Abbruchkanten führt.

tiefe 18 Meter – ausreichend für jedes bekannte Containerschiff. Hamburg gehörte Anfang der 2000er Jahre zu den Bauherren, zusammen mit den Bundesländern Bremen und Niedersachsen. Damals kursierten aus heutiger Sicht unrealistische Wachstumsraten im Containerverkehr; der Bau eines neuen Hafens erschien sinnvoll. Dennoch stieg Hamburg 2002 aus dem Projekt aus und wollte die Mittel lieber in weitere Elbvertiefungen stecken. Der Jade-Weser-Port eröffnete dann als Konkurrenz vor ziemlich genau zehn Jahren im September 2012.

Der Erfolg ist ausgeblieben, trotz unbestreitbarer Vorteile. Der Hafen glänzt mit der erwähnten Tiefe, Anbindung an das Schienennetz und die Autobahn 29. Dennoch wurden 2013 nur etwa 85.000 TEU umgeschlagen (Hamburg 9.3 Mio.). Diese Zahl sank 2014 auf rund 67.000 (was unter anderem zur „Tatort“-Folge „Kaltstart“ führte). Seitdem stieg die Umschlagsmenge Jahr für Jahr, auf 712.000 im Jahr 2021, liegt aber nach wie vor weit unter den Zahlen aus Hamburg (2021: 8,7 Mio. TEU).

Der Grund für diese Minderauslastung liegt an der Lage des Jade-Weser-Ports: ab vom Schuss. Ein Container in Hamburg landet in der Mitte einer Metropolregion im Herzen Europas. Wilhelmshaven hingegen ist Provinz. Man könnte nun denken, dass 150 Kilometer Bahn- oder LKW-Transport nach einer Seestrecke von 4.000 Meilen keine große Rolle mehr spielen, aber das trügt. Der Straßentransport eines Containers ist im Vergleich zum Seetransport um ein Vielfaches teurer. Die letzten 150 Kilometer auf dem LKW können eine Kalkulation ins Kippen bringen und dazu führen, dass eine Reederei doch wieder in Hamburg anlegt. Betrachtet man die Elbvertiefung und die aktuelle Krise also rein von der wirtschaftlich-logistischen Seite her, dann ist das Baggern à la Sisyphos nicht unvernünftig.

Hinzu kommen aber noch die ökologischen Aspekte. Kritiker aus dem grünen Lager sehen sich bestärkt – und sie sitzen im Rathaus in der Rot/Grünen-Regierungskoalition. Dementsprechend gereizt ist der Ton zwischen Vertretern von SPD und Grünen. Die SPD muss sich den Vorwurf eklatanter Fehlplanung anhören, konstatiert dem Partner im Gegenzug aber standortschädigendes Verhalten. Keine der Parteien kann sich in der Debatte große Dominanzgesten leisten, denn die Lager sind diverser als noch 20 Jahre zuvor. Wie an dieser Stelle schon vor einigen Jahren aufgezeigt, ist der Anteil des Hafens an der Hamburger Wirtschaft noch groß, aber keineswegs mehr die unverzichtbare Lebensader. Die 120.000 Beschäftigten, die laut Finanzsenator Andreas Dressel am Hafen hängen, sind eine statistische Größe. Es handelt sich dabei nicht um direkt Beschäftigte, sondern um alle Stellen, die ansatzweise mit Hafenlogistik in Verbindung gebracht werden können. Die Stagnation des Hafenumschlags seit 2005 (mit Höhen und Tiefen)

hat demnach auch nicht zum Niedergang der Stadt geführt – dank eines gewaltigen Strukturwandels an anderer Stelle. Die Tourismusbranche zählte in Hamburg im Jahr 2000 4,94 Millionen Übernachtungen. 2019, kurz vor der Pandemie waren es 15,42 Millionen. Musicals, Reeperbahn, Festivals und nicht zuletzt die Elbphilharmonie haben Hamburg zu einem der beliebtesten Reiseziele weltweit gemacht, mit entsprechenden Folgen für die lokale Wirtschaft. Das führt zu der komfortablen Situation, dass die Stadt heute nicht mehr unter Zugzwang steht. Ein florierender Hafen ist schön, weiteres Wachstum muss aber nicht mehr um jeden Preis erkauft werden. Autor: tim.holzhaeuser@kloenschnack.de ZUR SACHE: „Hamburg stieg 2002 aus dem Bau Wie viele Elbvertiefungen gab es? des Jade-Weser- Insgesamt neun. Bereits im 19. JahrPorts aus.“ hundert begann man, die Fahrrinne zu vertiefen und auch zu verbreitern. Ursprünglich betrug die Tiefe etwa drei Meter, ausreichend für Segelschiffe und Fischerboote. Historisch gesehen änderte sich der Flussverlauf aber auch immer wieder durch Sturmfluten und Sedimentablagerung.

Hans-Heinrich Witte, Präsident GDWS: Es kann „drei bis fünf Jahre“ dauern, bis Baggerarbeiten für Abhilfe sorgen.

FOTO: GDWS

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