KOLT Februar 2018

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n i e r e d e Wi d zum n u r G n e ff Blu 12 Seite


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EDITORIAL Februar 2018

Liebe Leser_innen

Eine gute Lektüre mit dieser Ausgabe wünsche ich euch! PS: Falls ihr weder viel Stutz auf dem Konto noch wertvolle Briefmarken auf dem Estrich habt: KOLT ist KulturLegi-Partner! Nathalie Bursać

IMPRESSUM VERLAG / HERAUSGEBER Verlag 2S GmbH, Leberngasse 17, 4600 Olten, verlag@v2s.ch, www.v2s.ch VERLAGSLEITUNG Yves Stuber (ys) REDAKTIONSLEITUNG Nathalie Bursać (nb), redaktion@kolt.ch FINANZEN Matthias Gubler INTERNETAUFTRITT Roger Burkhard LAYOUT / SATZ Christoph Haiderer REDAKTIONELLE MITARBEIT Kilian Ziegler, Marc Gerber, Daniel Kissling, Pierre Hagmann, Ueli Dutka (ud), Isabel Hempen, Martin Bachmann, Fabio Lüdi ILLUSTRATION Petra Bürgisser, Anna-Lina Balke FOTOGRAFIE Janosch Abel, Stephanie Dinkel, Timo Orubolo KORREKTORAT Karola Dirlam LESERBRIEFE leserbriefe@kolt.ch, www.kolt.ch/leserbriefe AGENDA agenda@kolt.ch, www.kolt.ch/agenda ABO Jahresabonnement CHF 99.—(inkl. MwSt), Gönnerabonnement CHF 170.— (inkl. MwSt), abo@kolt.ch, www.kolt.ch/abo INSERATE inserate@kolt.ch, www.kolt.ch/inserieren KONTAKT www.kolt.ch, hallo@kolt.ch AUFLAGE 1'800 ISSN 1664-0780 DRUCK Dietschi AG Druck und Medien, Ziegelfeldstrasse 60, CH-4600 Olten. © 2018, Verlag 2S GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung. Die Urheberrechte der Beiträge bleiben beim Verlag. Keine Gewähr für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustrationen.

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Cover fotografiert von Stephanie Dinkel

Habt ihr den Gang durch das Januarloch geschafft? Der erste Monat im Jahr ist nicht zuletzt wegen Ausgaben für Steuern, Weihnachtsgeschenke und Prosecco ja bekanntlich eine etwas knapp budgetierte Zeit. Für manche. Andere kämpfen Tag für Tag damit, dass das Bankkonto leer ist. Sei es, weil sie sich gerade in Ausbildung befinden, sei es, weil gerade gar nichts rund läuft, oder weil sie schlicht zu wenig verdienen, um sich und ihre Familien finanziell über Wasser zu halten. Insgesamt knapp eine Million Menschen leben in der Schweiz unter der Armutsgrenze oder drohen in die Armut abzufallen. Ein Museumseintritt für die ganze Familie oder schon nur ein Besuch in der Badi grenzen da schnell mal an Luxus. In unserem Monatsgespräch auf Seite 6 lest ihr, wie Armut und das Nutzen von kulturellen Angeboten zusammenhängen und was das mit einer kleinen rot-weissen Karte namens KulturLegi zu tun hat. Briefmarken. Wer hat sie nicht irgendwann einmal gesammelt? Sie sind so bunt wie Geldscheine, aber um einiges putziger. Und manche können sehr viel Geld einbringen. Ich habe sie auch einmal gesammelt, eine wertvolle war nie dabei. Und falls doch, dann hat der Typ, dem ich sie vor ein paar Jahren für 18 Franken auf einer Online-Auktionsplattform verkauft habe, einen echten Glücksgriff gelandet. Wir haben unseren Journalisten Fabio Lüdi an einem Sonntagmorgen ins Restaurant Gleis 13 geschickt. Dort treffen sich jeden ersten Sonntag im Monat die Oltner Philatelisten. Wie steht es um die Briefmarken-Szene in der Schweiz? Wer sammelt überhaupt noch und welche Probleme lassen die Sammlerinnen und Sammler nachts nicht schlafen? Ihr lest es auf Seite 12.


INHALT

6 Im Gespräch Irene Krause sorgt dafür, dass die KulturLegi allen Menschen die Tür zur Kultur öffnet

GENUSS 22

KOLUMNEN 32 NaRr «Vor einem Jahr»

12 Sammlerstücke aus Papier Die Schweizer Briefmarke feiert dieses Jahr das 175. Jubiläum. KOLT hat sich in der Sammlerszene umgeschaut und versucht rauszufinden, was die hiesigen Philatelisten beschäftigt.

Film Wunderbar schwarzer Humor

23 Musik

Kilian Ziegler

Tibet mit viel Schweiz

Ein erbärmlicher Tröstversuch

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Literatur

Petra & Frédéric

Lest mehr Lenz!

«Vanillecreme mit Punktchen»

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STADT

Der koltige Monat Schöne Kreise, die sich schliessen

11 Meinung «Chance gemeinsam angepackt»

26 Zwei Macher und 82 Minuten Der Oltner Sounddesigner Dave Ponzio und der Filmemacher Christoph Rahm haben ein etwas anderes Roadmovie gedreht. KOLT traf die zwei im Kinosaal.

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DAS GESPRÄCH

«Wir sprechen hier von Inklusion: Teil sein, ohne aufzufallen» Die KulturLegi ist für Menschen mit kleinem Budget meist die einzige Möglichkeit, Kultur zu erleben. KOLT sprach mit Irene Krause, der Projektleiterin für die KulturLegi im Kanton Solothurn, über Armut, kulturelle Bildung und Zukunftspläne. Interview von Isabel Hempen Foto von Janosch Abel

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rene Krause, die KulturLegi wurde in Zürich lanciert und erfreut sich dort grosser Beliebtheit. Im Kanton Solothurn, scheint mir, ist sie nicht im gleichen Mass bekannt. Wie kommt‘s? In Zürich gibt es die KulturLegi schon seit 1996, im Kanton Solothurn hingegen erst seit fünf Jahren. Den Anteil der Nutzenden haben wir über diese Zeit hinweg aber recht gut steigern können. Was sind das für Menschen, die eine KulturLegi besitzen? Grundsätzlich solche, die mit sehr wenig Geld auskommen müssen. Die meisten von ihnen empfangen Sozialhilfe, 2017 lag deren Anteil bei 89 Prozent. Darin sind auch die Asylsuchenden enthalten. Weitere sieben Prozent beziehen Ergänzungsleistungen zur AHV oder IV. Bei den restlichen vier Prozent handelt es sich etwa um Studierende mit Stipendium oder Familien, die gerade knapp über dem Existenzminimum leben. Die sind sonst nirgends sichtbar, weil sie keine Sozialhilfe beantrage.

Wer nutzt die KulturLegi nicht? Wir haben festgestellt, dass im Kanton Solothurn über 9000 Personen Ergänzungsleistungen beziehen, aber nur 1,5 Prozent von ihnen besitzen eine KulturLegi. Ich habe den Eindruck, dass es da noch eine Hemmschwelle gibt, insbesondere bei der älteren Bevölkerung. Man hat Angst, die KulturLegi zu zeigen, will sich damit nicht exponieren. Dabei könnten viel mehr Leute die KulturLegi nutzen. Gerade auch jene, die finanziell auf der Kippe stehen. Das ist eine wichtige Zielgruppe, weil sie latent in Gefahr ist, unter das soziale Existenzminimum zu fallen.

Liegt die geringe Verbreitung der KulturLegi nicht auch einfach daran, dass sie zu wenig bekannt ist? Doch, natürlich. Unser Budget ist sehr begrenzt, wir haben nicht dieselben Werbemöglichkeiten

«Ich habe den Eindruck, dass es da noch eine Hemmschwelle gibt, insbesondere bei der älteren Bevölkerung. Man hat Angst, die KulturLegi zu zeigen, will sich damit nicht exponieren.» wie viele andere Organisationen. Unsere wichtigsten Mittler sind soziale und psychologische Dienste und Fachstellen wie Spitex, Pro Infirmis, Pro Senectute, die Arbeitsintegration Schweiz und viele an-

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dere. Diese weisen ihre Klientel auf die KulturLegi hin. Seit Sommer haben wir eine neue Website, wo man zum Beispiel im Budgetrechner ausrechnen kann, ob man zum Bezug der KulturLegi berechtigt ist. Sonst läuft bei uns viel über Mundpropaganda. Zweimal waren wir bisher in Olten auf dem Monatsmarkt mit einem Stand präsent. Und im Caritas-Markt in Olten informieren wir die Einkaufenden, wie sie die KulturLegi sonst noch gebrauchen können. Der Caritas-Markt, der vor einem Jahr in Olten eröffnete, ist der einzige im Kanton Solothurn. Wer eine KulturLegi besitzt, kann hier vergünstigte Lebensmittel und Haushaltsartikel einkaufen. Genau. Bisher informierte an einem Tag in der Woche eine Praktikantin die Leute über die KulturLegi. Sie wies etwa darauf hin, dass KulturLegi-Nutzende auch auf die Second-Hand-Artikel 30 Prozent Rabatt erhalten. Manche nutzen die Legi nur für den Markt und wissen gar nicht, dass es ein schweizweites Kultur-Angebot gibt. In Zürich beispielsweise haben viele Kulturschaffende und Kreative eine KulturLegi. Je ländlicher die Region aber wird, desto grösser wird der Aufwand, um an Kulturangebote zu gelangen. Unser Ziel ist es, gerade jene Milieus für Kultur zu begeistern, die diesen Zugang noch nicht haben. Das funktioniert am besten über das persönliche Gespräch. Welche Strategie verfolgen Sie? Wir legen in diesem Jahr den Schwerpunkt auf kinderreiche Familien und Alleinerziehende mit Kindern. Ein Drittel der Sozialhilfeempfänger sind Kinder und Ju-


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DAS GESPRÄCH

Zur Person Irene Krause, 53, wohnt in Biel und hat Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Germanistik und Soziologie an der RuhrUniversität Bochum studiert und besitzt einen MAS in Kulturmanagement der Universität Basel. Sie arbeitete einige Jahre als Theater-Dramaturgin in Deutschland und der Schweiz und danach im Kommunikations- und Marketingbereich. Seit Juni 2016 ist sie Projektleiterin für die KulturLegi in den Kantonen Solothurn und Aargau.

gendliche. Sie sollen schon ganz früh mit Kultur in Berührung kommen. Wenn man es schafft, sie früh an die Kultur heranzuführen, gehen sie später mit einem Besuch im Museum oder im Theater ganz anders um. Da wir diesen Schwerpunkt gesetzt haben, hat das Bundesamt für Kultur (BAK) der Caritas Schweiz Geld gesprochen, es handelt sich schweizweit um knapp 300 000 Franken für vier Jahre. Ich habe nun entschieden, im Kanton Solothurn den Fokus auf museumspädagogische Programme zu legen.

Was sieht das konkret aus? Das BAK verlangt, dass wir die Partizipation und Animation der Zielgruppe fördern. Das möchten wir mit geführten, interaktiven Museumsbesuchen umsetzen. Die Museen stellen jeweils Kontingente zur Verfügung. In unserem Newsletter weisen wir einmal im Monat auf das jeweilige Angebot hin und verlosen das zur Verfügung gestellte Kontingent. Zudem gibt es jede Woche ein aktuelles kulturelles Angebot, das wir auf unserer Website veröffentlichen. Was sind die Bedürfnisse der KulturLegi-Nutzerinnen und -Nutzer? Sie bilden eine heterogene Gruppe. Das macht es nicht einfach, passende Angebotspartner zu finden. Migrantinnen und Migranten etwa, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, haben vermutlich nicht immer dieselben Kulturbedürfnisse wie Schweizerinnen und Schweizer. Sie nutzen vor allem den Bildungsbereich, etwa die Deutschkurse in der Migros Klubschule, auf die sie 30 Prozent Vergünstigung erhalten. Die Caritas Zürich hat gerade eine Begleitgruppe mit Nutzenden gestartet, um herauszufinden, welches ihre Bedürfnisse sind. Ausserdem geht sie auch der Frage nach, wie die von sozial Benachteiligten geschaffene Kultur und Kunst gefördert werden kann. Was allerdings in Zürich funktioniert, lässt sich nicht

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«Mitmachen, sich einbringen können, akzeptiert werden. Darauf zielen alle unsere Angebote ab. Für die Würde des Menschen ist das entscheidend.» zwingend auf den Kanton Solothurn übertragen. Manchmal kann auch ein Projekt aus einer kleineren Stadt wie Chur gerade so gut oder besser funktionieren. Der Kanton Waadt etwa verschickt die KulturLegi automatisch an alle Personen, die bei der Krankenkasse eine Prämienverbilligung erhalten. Davon können wir nur träumen.


Das wäre doch auch hier möglich? Die Romandie hat offenbar ein anderes Staatsverständnis. Für sie ist die KulturLegi eine präventive Form von Sozialhilfe. Im Aargau etwa müsste die SVA darauf hinweisen und bereit sein, einen Zusatzeffort zu leisten. Im Kanton Solothurn ist die Caritas noch jung, diese Gespräche führen wir erst. Derzeit stehen wir mit dem Verband Solothurner Einwohnergemeinden (VSEG) in Kontakt. Die politischen Gemeinden sind für die sozialen Themen zuständig. Sie könnten uns Türen öffnen. Wir wollen ja nicht nur die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger dabei haben, sondern auch jene, die sich knapp über dem Existenzminimum befinden. So könnten wir präventiv handeln und Kosten bei der Sozialhilfe dämpfen. Wir sind überzeugt, dass es da Investitionen braucht. Von den Gemeinden, vom Kanton. Warum eigentlich dieser Schwerpunkt auf Kultur? Was leistet sie? Wir gehen von einem erweiterten Kulturbegriff aus. Dazu gehören auch Sport, Freizeit und Bildung. Wir wollen nicht extra ein Projekt für sozial Benachteiligte starten. Die Leute sollen dort teilnehmen können, wo alle teilnehmen: an einem Match des EHC Olten oder an einem Kurs in der Migros Klubschule. So sind sie ein Teil der Gesellschaft, und ihnen steht nicht auf der Stirn geschrieben: «Achtung, bedürftig!» Wir sprechen hier von Inklusion: Teil sein, ohne aufzufallen. Mitmachen, sich einbringen können, akzeptiert werden. Darauf zielen alle unsere Angebote ab. Für die Würde des Menschen ist das entscheidend. Das macht die KulturLegi so besonders. Mehr Selbstwert durch Kultur? Wir sind überzeugt, dass Leute, die mitmachen und integriert sind, gesünder und stabiler sind. Integration läuft vielfach über die Arbeit, aber eben auch über Kultur und Sport. In diesen Bereichen braucht es nicht nur Schulbildung, sondern auch eine informelle Bildung, es braucht Sozialkompetenz. Wer von Armut betroffen ist, hat einen hohen Alltagsdruck. Was dabei leidet, ist die Kultur. Häufig fehlt es bedürftigen Menschen nicht an Interesse, sondern in erster Linie an Geld und auch an Energie. So baut sich eine Hemmschwelle auf, die eine Teilnahme verhindert – die mangelnden finanziellen Mittel, die fehlende Zeit und das Gefühl: «Da gehöre ich gar nicht hin». Auf Dauer schleicht sich ein geringes Selbstwertgefühl ein. Deshalb sollte der kulturelle Prozess gar nicht erst unterbrochen werden. Er fängt schon bei den Kindern an. Im Kanton Solothurn ist das KulturLegi-Angebot allerdings noch nicht sehr umfangreich: 50 Angebote zählt es derzeit. Es ist ein Projekt, das kontinuierlich wächst. Einige wichtige Kulturinstitutionen haben wir schon ins Boot geholt, etwa die Solothurner Literaturtage oder die Oltner Kabaretttage. Das Naturmuseum Olten konnten wir dazugewinnen. Mit KulturLegi ist der Eintritt dort gratis. Aber auch ein paar Schwimmbäder machen mit.

Schweizweit waren es 2016 über 2500 Angebote für rund 85000 Nutzende. Die KulturLegi hat sich schon in fast allen Kantonen etabliert, nur in wenigen Kantonen wie dem Wallis oder Glarus hat sie noch nicht Fuss gefasst. Doch die weissen Flecken auf der Schweizer Landkarte nehmen stetig ab. Wie holen Sie neue Angebotspartner ins Boot? Ich rufe die Institutionen persönlich an. Das funktioniert meist besser, als wenn ich sie schriftlich zu überzeugen versuche. Ich verstehe natürlich, dass viele Unternehmen selbst unter einem finanziellen Druck stehen. Ihnen muss ich oft die Angst nehmen, dass sie von KulturLegi-Nutzenden überrollt werden. Das Angebot erstreckt sich ja über den ganzen Kanton, das verteilt sich recht gut. Es gibt

«Alles, was dazu führt, dass man am Gesellschaftsleben teilnimmt, ist für unser Angebotsprogramm interessant.»

auch Partner, die sagen: «Wir machen gerne weiter, aber wir reduzieren den Rabatt.» Bei Institutionen, die überhaupt keine soziale Ausrichtung haben, kommen wir aber nicht weiter. Da lässt sich nichts machen, das müssen wir dann akzeptieren. Manchmal passiert es aber auch, dass sich Institutionen selbst bei uns melden. Welche Anbieter würden Sie gerne gewinnen? Bibliotheken, Ludotheken, Volkshochschulen – alle, die mit Bildung zu tun haben. Auch Fitnessstudios und Sportvereine. Das wären wichtige Angebotspartner, da Sport niederschwelliger ist und insbesondere für Personen mit Migrationshintergrund eine ideale Möglichkeit sein kann, sich zu integrieren. Auch Familienangebote wie Elternvereine oder Jugendorganisationen sind interessant für uns. Und was ganz toll wäre: Wenn wir die Verkehrsbetriebe gewinnen könnten, um den Menschen mehr Mobilität zu ermöglichen. Die SBB wären ein Traum oder auch die Verkehrsbetriebe im Kanton Solothurn. Die stehen auf meiner ToDo-Liste für dieses Jahr.

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In anderen Kantonen sind auch Coiffeursalons oder Restaurants im KulturLegi-Angebot. Kommt also alles infrage, was Geld kostet? Wer geht nicht gerne ab und zu mal auswärts essen? In Olten ist das Bloomell Coffeehouse ein Partner, und in Grenchen gibt das Restaurant Parktheater 75 Prozent Ermässigung auf Bon-Lieu-Restaurantgutscheine. Alles, was dazu führt, dass man am Gesellschaftsleben teilnimmt, ist für unser Angebotsprogramm interessant.

KulturLegi Die KulturLegi berechtigt Menschen an der Armutsgrenze zu ermässigten Preisen auf Kultur-, Bildungs- und Sportangebote und fördert so die soziale Einbindung Armutsbetroffener ins gesellschaftliche Leben. In der Schweiz leben 590 000 Menschen unter der Armutsgrenze, weitere 400 000 Personen sind armutsgefährdet. Armut führt häufig zu einer eingeschränkten Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben bis hin zu sozialer Isolation. Die KulturLegi wirkt dem entgegen. Die KulturLegi wurde 1996 von der Zürcher IG Sozialhilfe ins Leben gerufen und später von der Caritas Zürich weitergeführt. Heute betreiben 12 regionale Caritas-Organisationen ein KulturLegiBüro und Caritas Schweiz hat eine nationale Geschäftsstelle. Ihr Ziel ist es, die KulturLegi gesamtschweizerisch zu verbreiten. Rund 84 000 Menschen in der Schweiz nutzen derzeit das Angebot. Im Kanton Solothurn wurde die KulturLegi im September 2013 eingeführt. Ende 2017 waren hier 1682 Personen im Besitz einer KulturLegi. Die KulturLegi kann unter www.kulturlegi.ch/solothurn beantragt werden. Hier findet sich auch das KulturLegi-Angebot für den Kanton Solothurn und die ganze Schweiz.


LESERPOST

OFF THE RECORD

«Chance gemeinsam angepackt» «Das KOLT bietet immer einen hohen Lesegenuss, und ich könnte mir kaum vorstellen, dass eine andere Schweizer Kleinstadt auf ein so gut gemachtes Kulturmagazin zählen darf.»

Ein Abonnent via E-Mail Feedback zu unserem Magazin nehmen wir übrigens gerne unter redaktion@kolt.ch entgegen.

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nter obenstehendem Titel lief der Schlussbericht der Stadt Olten Ende 2015 zu «Projet urbain – Olten Ost» mit dem Subtitel «Acht Jahre Quartierentwicklung Olten Ost – eine Bilanz». Der offizielle städtische Bericht trägt auf seiner Front das obligate Logo der Stadt Olten oben links und mit ungewohnter Selbstverständlichkeit: das Logo der Firma Kontextplan oben rechts. Berichtverfasser waren der Stadtschreiber und heute gleichzeitige Leiter Strategische Planung (Stadtentwicklung und Stadtplanung) Markus Dietler und die damalige Stadtentwicklerin Eva Gerber als ursprüngliche Gesamtprojektleiterin des mit Bundesgeldern und auch lokalen Steuergeldern finanzierten Projekts. Interessanter Fakt: Die Gesamtverantwortliche Eva Gerber hatte ihre Stelle als Oltner Stadtentwicklerin noch während der Projektphase Ende 2013 per Ende März 2014 gekündigt. In fliegendem Wechsel übernahm sie eine Anstellung bei eben dieser Firma Kontextplan und «begleitete» das Oltner Projekt weiterhin über ein Jahr lang als externe Projektleiterin. Das Unternehmen war zuvor offiziell lediglich als «externe Fachexpertin» für den Bereich «Mobilität» zuständig. Die ehemalige Stadtentwicklerin Eva Gerber hält unterdessen Einsitz in der Geschäftsleitung (Filiale Zürich) von Kontextplan.

neu geschaffenen Organisationseinheit Strategische Planung, hiess es weiter. Zum allgemeinen Verständnis: Der Stadtschreiber übernahm damals fortan die Verantwortung über den gesamten Bereich Stadtentwicklung und Stadtplanung. Ergo: auch die damit verbundenen Auftragsvergaben an externe Leistungserbringer. Und seit damals liest man in den städtischen Kommuniqués sehr oft das Stichwort «Kontextplan». Die Firma mit Filialen in Zürich, Solothurn und Bern listet aktuell rund neun ihrer Referenzprojekte innerhalb der Stadt Olten. Warum ist das heute relevant? Antwort: die berühmte Spitze des Eisbergs. Am 15. Januar 2018 erschien die städtische Pressemitteilung mit dem filmreifen Titel: «Stadtentwicklung pur: Grosse Brocken kommen voran». Darunter lesen wir nach Auflistung der Stichworte «Mobilitätsplan», «neuer Bahnhofsplatz», «Ortsplanung», «Parkleitsystem», «Museenplanung», «Schulraumplanung» und «Jugendarbeit», dass die Zahl der grossen Brocken, die im neuen Jahr zur Debatte stehen, gross sei. Dem ist so. Die Zahl der grossen Brocken, an der die Firma Kontextplan im Auftrag der Stadt Olten wesentlich beteiligt ist, ist ebenfalls sehr gross. Rund vier dieser sieben Brocken wurden von besagter Firma erarbeitet. Das letzte Werk war der 76-seitige Bericht «Schulraumplanung Olten». Die Aufträge wurden übrigens immer direkt vergeben.

Auftraggeber für oben erwähntes Mandat sei der Stadtschreiber Markus Dietler, durfte man im Oltner Tagblatt im Januar 2014 lesen. Dieser (Dietler) übernehme zusätzlich die Führung der

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MEINUNG

Matthias Tschopp, 29, arbeitet als selbstständiger Baumpfleger und Forstwart, engagiert sich im Netzwerk «Olten im Wandel» und ist in der Freizeit gerne in den Bergen oder mit dem Velo unterwegs. Nach einigen Wanderjahren wohnt er wieder in seiner Heimatstadt Olten.

Schlechtwettergedanken What happens to a dream deferred? Ich erinnere mich an ein Gedicht aus einer lange vergangenen Englischstunde, welches mit dieser Zeile beginnt. Eingefallen ist es mir vor Kurzem wieder, als ich in der Facebookgruppe Olten eine sehr angeregte und kontroverse Diskussion über den Mobilitätsplan mitlas. Einem eher jüngeren, velovertretenden Diskussionsteilnehmer wird darin vorgeworfen, ein Träumer zu sein – mit dem gleichzeitigen Kommentar, selbst auch geträumt zu haben in jungen Jahren. Das Träumen scheint für manche mit jugendlicher Naivität zusammenzuhängen, und beides gilt es anscheinend im Erwachsenenalter abzulegen. Aber wieso gibt man das Träumen wirklich auf? Ganz einfach, weil wir früher oder später alle lernen, dass das Leben seinen Lauf nimmt und unser Einfluss darauf begrenzt ist. Weil jeder mal Träume aufschieben oder aufgeben musste. Die gegenteilige Erfahrung ist dort möglich, wo es Raum dafür gibt, Träume ernst zu nehmen, auszuarbeiten, Gleichgesinnte zu finden und zu guter Letzt eine Vision verwirklichen zu können. Wo die Träumerei nur als pubertärer Zeitvertreib abgestempelt wird, ist diese Erfahrung gar nicht erst möglich – denn es existiert kein kulturelles Wissen darüber, wie sich aus dem Traum, dem Rohdiamanten, etwas Konkretes manifestieren kann.

Das Aufgeben des Träumens schafft eine Sehnsucht nach Ablenkung und führt zu einer passiven Konsumhaltung. Wenn ich schon nicht erreichen kann, was ich wirklich möchte, dann will

«Wollen wir unser Städtchen attraktiv und lebenswert gestalten, so brauchen wir doch zwingend eine breite Wertschätzung des Träumens.» ich wenigstens ein einfaches und volles Leben. Die Hoffnung und das Träumen weichen der Angst vor dem Verlust des eigenen (Wohl-)Standes. In diesem Kontext wachsen heute viele junge Menschen auf. Bildung, Erziehung und gesellschaftliche Prägung zielen zunehmend darauf

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ab, dass jeder sich seine eigene Wohlfühloase schafft, ohne sich allzu sehr mit sich selber, beziehungsweise der einen oder anderen philosophischen Fragestellung beschäftigen zu müssen. Konsum- und Wachstumszwang versuchen von allen Seiten unsere moralischen und persönlichen Werte zu unterdrücken. Ist es unter diesen Umständen pessimistisch zu behaupten, dass das Verharren im jetzigen Zustand wohl kaum zu einem echten Fortschritt führt? Wollen wir unser Städtchen attraktiv und lebenswert gestalten, so brauchen wir doch zwingend eine breite Wertschätzung des Träumens. Allerdings müssten wir dafür erst noch lernen, für unsere Träume und Ideen einen fruchtbaren Boden zu schaffen, unsere Technologien sinnvoll einzusetzen, mit unseren Ängsten umzugehen und den Schritt aus der eigenen Komfortzone zu wagen. Im Gleichgewicht ist nur, wer in Bewegung bleibt – um wieder auf die Mobilität zurückzukommen. Ich glaube, es könnten sich unter dieser Betrachtungsweise ein paar grundsätzlichere Mobilitätsfragen stellen als diejenige, ob wir nun mit dem Auto, dem ÖV oder mit dem Velo von A nach B kommen wollen. Und vielleicht würden wir dann sogar ein paar mehrheitsfähige Antworten entdecken.


Die grosse Welt zwischen vier Ecken Seit es Briefmarken gibt, gibt es auch jene, die sie leidenschaftlich sammeln. Die Schweizer Briefmarke feiert dieses Jahr ihr 175. Jubiläum. Zeit herauszufinden, wie es bei uns um die Kunst der Philatelie steht.

Text von Fabio Lüdi Fotos von Stephanie Dinkel Requisiten mit freundlicher Unterstützung von Philatelie Walter AG

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riefmarken sammeln hat etwas Anachronistisches. Als ich die Briefmarkenalben meines Vaters durchstöberte – er sammelte seit seiner Kindheit, hat Ende der 90er-Jahre aber aufgehört – erzählte er mir, wie er damals zur Poststelle ging, um die neuen Briefmarken an deren Erscheinungstag abzuholen. Dafür gab’s einen sogenannten Ersttagsbrief, auf den die Marken geklebt wurden, extra sauber und schön abgestempelt. Die ganze Sache scheint einfach nicht mehr in unsere Zeit zu passen. Wird heute über Poststellen geredet, geht es darum, dass sie aufgelöst und in den Dorfladen integriert werden, Briefmarken sind diese lieblosen Abziehbildchen mit Blümchen drauf, und mit der Post werden sowieso nur noch vorfrankierte oder mit Strichcode bepinselte Rechnungen verschickt. Das Sammeln von Briefmarken, die Philatelie, scheint darum manchen so tot wie das Papier, auf dem die Marken gedruckt sind.

Die erste Schweizer Briefmarke Dieses Schattendasein tut der hiesigen Briefmarkenkunde aber Unrecht: Schliesslich war die Schweiz das zweite Land der Welt, das Briefmarken herausgab. 1843 – und damit noch vor der Gründung des modernen Bundesstaats – kamen in Zürich die ersten Exemplare in Umlauf. Die Philatelie gibt es, seit in Grossbritannien 1840 die erste Briefmarke der Welt heraus-

Wird heute über Poststellen geredet, geht es darum, dass sie aufgelöst und in den Dorfladen integriert werden.

gegeben wurde. In den darauffolgenden Jahr zehnten bildeten sich Standards für Sammler heraus, es wurden Vereine gegründet und Kataloge gedruckt. Den Philatelistenverein Olten gibt es seit 1899. Dessen monatliche Versammlung wird im «Säli» einer gutbürgerlichen Beiz in Bahnhofsnähe abgehalten. Holz dominiert den Raum, nur ein Tisch ist bestuhlt, der andere trägt noch immer seine Krone aus Sitzgelegenheiten. Der Oltner Philatelistenverein zählt gut 60 Mitglieder im Alter von 35 Jahren aufwärts, wobei das obere Ende der Skala dominiert und die Mitgliederzahl eher abals zunimmt. Acht Sammler nehmen an diesem Sonntag am Treffen teil, vier haben sich entschuldigen lassen. Zu Beginn kommt sogar noch ein Neuzugang, der sich den örtlichen Philatelisten anschliessen möchte. «Gut», kommentiert Vereinspräsident Reinhold Huber die Präsenzliste.

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Die Sache mit dem Nachwuchs Huber ist selbst in seinen Siebzigern und präsidiert den Verein seit 16 Jahren. «Es ist schwierig, einen Nachfolger zu finden», erzählt er, eigentlich würde er das Präsidium bald abgeben wollen: «Aber im Moment gibt es keinen geeigneten Kandidaten.» Das Ambiente während des Treffens ist entspannt und gemütlich, man ist unter Freunden und Seinesgleichen. Die Nachfolge-Frage beschäftigt in der ganzen Szene, am Vereinstreffen jedoch dominiert ein ganz anderes Thema: Fälschungen. Die Philatelie-Szene ist anfällig für unlauteres Treiben. Im Grunde dürfte jede Briefmarke nur mit entsprechendem Echtheitszertifikat gekauft werden. Dabei stellen sich aber zwei Probleme: Zum einen sind auch Briefmarkenprüfer nur Menschen, sprich, sie machen auch Fehler. «Eigentlich müsste jede Marke, die vor zehn, 15 Jahren geprüft wurde, heute nochmals getestet werden», meint Huber. Damals hätte es unter den Prüfern nämlich einige schwarze Schafe gegeben. Zum anderen lohnt sich die Prüfung nicht bei jeder Briefmarke. Ein Attest kostet 20 bis 50 Franken. Bei einer Marke, die für 100 Franken den Besitzer wechseln soll, macht sich darum kaum einer die Mühe einer professionellen Untersuchung. Bei teureren Exemplaren kommt schliesslich noch eine prozentuale Kommission, die sich am Markenwert bemisst, hinzu. «In den meisten Fällen kann ein erfahrener Sammler allerdings selbst zwischen echt und falsch unterscheiden», ist Huber überzeugt.


Genau deswegen sei es auch wichtig, sich als Philatelist in einem Verein zu engagieren. Das kollektive Wissen macht den Gang zum professionellen Prüfer oft überflüssig.

Fälschungen und andere Übel Ein weiteres heiss diskutiertes Thema sind Nachgummierungen. Dabei wird alten Marken, die einen gewissen Wert haben, auf der Rückseite eine neue Leimschicht verpasst, damit sie wieder «postfrisch» scheinen. Dies

Das Sammeln von Briefmarken, die Philatelie, scheint manchen so tot wie das Papier, auf dem die Marken gedruckt sind.

kann den Preis eines Exemplars ungemein steigern. Zum Vergleich: Eine Marke in tadellosem Zustand, aber ohne Gummierung hat nach einer Faustregel noch zehn Prozent des ursprünglichen Werts. Im Verein ist man überzeugt, dass vor allem in Deutschland eine ganze Fälschungsindustrie existiert – nicht bloss für Nachgummierungen. Der deutsche Bund Philatelistischer Prüfer BPP widerspricht dieser Einschätzung allerdings. Es sei zwar «grundsätzlich» eine Zunahme an Fälschungen zu verzeichnen, die im Umlauf sind. Dies sei allerdings kein genuin deutsches Problem, viel mehr liege der Grund dafür in den «nahezu regulierungsfreien weltweiten Vertriebskanälen» im Internet, so der BPP-Präsident Christian Geigle. Woher die jeweilige Fälschung kommt, ist sowieso egal, denn: «Der Sammler wird über den Tisch gezogen», ist Reinhold Huber von den Oltner Philatelisten überzeugt. Hierbei zeigt sich auch der idealistische Antrieb, den viele Sammler teilen: Objektiv sollte es in einem Sammlerkontext keinen Unterschied machen, ob die Gummierung einer ansonsten intakten Marke noch existiert. Briefmarken liegen ja ohnehin nur im Album. Der Philatelist kauft sich allerdings nicht bloss eine Briefmarke, er kauft sich ein Stück echte Geschichte. Da passt eine lieblos draufgepappte Leimschicht, die nur für den Profit nachgezogen wird, nun mal nicht ins Bild. Solch unlauteres Treiben ist für Sammler besonders ärgerlich, da Geld bei ihrem Hobby oft nur eine untergeordnete Rolle spielt. Es geht ihnen um den Sammlertrieb, die Freude

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daran, ein Set oder ein spezielles Philatelie-Gebiet zu vervollständigen. Auch mit «Abarten», also beispielsweise Fehldrucken, dem «Salz jeder Sammlung», wie es Huber ausdrückt. Neben dieser Schatzsuche nach der einen noch fehlenden Briefmarke, ist die Philatelie für ihn auch deswegen so faszinierend, weil dem Gebiet ein scheinbar unendlicher Wissensfundus zugrunde liegt.

Briefmarken aus Tripolis Als beispielsweise Anfang des 20. Jahrhunderts der Hauenstein-Basistunnel gebaut wurde, entstand auf dem Gebiet der Gemeinde Trimbach die riesige Arbeitersiedlung Tripolis, bewohnt vor allem von italienischen Gastarbeitern und ihren Familien. Zu dieser Zeit tobte auch der Italienisch-Türkische Krieg, in dem Italien das osmanische Tripolis im heutigen Libyen besetzte, wodurch der Name zustande kam. Die Besonderheit dieses Arbeiterdorfs bestand darin, dass es die einzige Baustellensiedlung der Schweiz mit eigener Poststelle war. Entsprechend begehrt sind philatelistische Sammlerstücke, die den «Tripolis»Stempel tragen. Solche Exkursionen in Historie und Vergangenheit gehören zum Philatelisten-Leben wie die Marke auf das Kuvert.

Sammeln nicht des Geldes wegen Philatelisten sammeln also nicht nur sterile Briefmarken. Sie sind an so ziemlich allem


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interessiert, das mit der Post und dem Briefverkehr zu tun hat. Was von Wert ist und was nicht, ist für Aussenstehende oft nur schwierig abzuschätzen. Eine postfrische, also ungebrauchte, Briefmarke ist in den Augen der Sammler nicht zwingend begehrter als ein abgestempeltes Pendant. Und eine Marke, die noch samt Stempel auf dem originalen Umschlag prangt, kann ein Sammlerherz in ungeahnte Höhen schlagen lassen. Denn diese Marke hat Geschichte erlebt. Natürlich gibt es Philateliekataloge, die Postwertzeichen und Preise listen. Diese dienen allerdings eher der Orientierung, als Ankerpunt in der heutigen Briefmarkenschwemme. Schlussendlich entscheidet die Nachfrage. Eine Sammlung, die einen Katalogpreis von zehntausenden Franken erzielt, ginge nach der gängigen Faustregel für etwa zehn Prozent dieses Werts über die Theke. Das kümmert Sammler und Sammlerinnen allerdings herzlich wenig: «Wir machen das nicht des Geldes wegen, sondern weil das unsere Leidenschaft ist», gibt sich Reinhold Huber überzeugt. Philatelisten haben typischerweise als Buben mit dem Sammeln angefangen. Das Hobby ist vornehmlich Männerdomäne, auch heute noch. Der hiesige Philatelistenverein hat gerade einmal ein weibliches Mitglied. In der Zeit zwischen Lehre und Familie haben die Jungsammler temporär auf Pause geschaltet und ihre Passion wiederentdeckt, als die Kinder alt genug wurden, auf sich selbst aufzupassen. So auch Reinhold Huber: «Ich habe als

Kind Briefmarken gesammelt», erzählt er. «In meiner Jugend habe ich dann allerdings meine ganze Sammlung für eine Gitarre verkauft», fährt er amüsiert weiter. Das Sammelfieber hat ihn erst später wieder gepackt, wenn also nach den «Jungen» in der Szene gesucht wird, müssen die Erwartungen angepasst werden. Mit Mitte 40 gehört man in einem Verein noch zu den Junioren. Trotzdem beklagt die Szene einen altersbedingten Wegbruch der breiten Sammlerbasis, was zu einer paradoxen Situation führt. Einerseits gibt es in den normalen Preissegmenten einen Preiszerfall, Briefmarken als Wertanlage lohnen sich nicht länger. Andererseits wird in bereits teure Marken investiert, deren Wert, so die allgemeine Überzeugung, sich nur noch steigern wird.

Der Philatelist kauft sich allerdings nicht bloss eine Briefmarke, er kauft sich ein Stück echte Geschichte.

Der Markt für Briefmarken Dieser Ansicht ist auch Gregorio Iamello, Mitinhaber der in Olten ansässigen MH Marken GmbH. «Der Zeitraum der Sechzigerjahre bis zur Jahrtausendwende ist vernachlässigbar», erklärt er die kaufmännische Sicht. «Da kriegt man kistenweise Marken für 'n Appel und 'n Ei.» Alles vor 1910 bleibe im Wert allerdings stabil. Da wird in Briefmarkenkatalogen für ausgewählte Exemplare schon mal mit Preisen im sechsstelligen Bereich jongliert. Für Neu-Sammler bedeutet diese Preisrealität immerhin einen einfachen Zugang zur Materie. Und Neu-Sammler, die gibt es durchaus, ist Iamello überzeugt. «Wir haben heu-

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te eine breitere Kundenbasis als noch vor einem Jahr», sagt der Händler. Bemerkenswert ist vor allem, dass nicht mehr Grosskunden mit dicken Taschen, sondern Durchschnittskäufer dazu gestossen sind. MH Marken setzt neben dem klassischen Ladengeschäft vor allem auf Auktionen im Internet und erreicht damit viele Sammler und Sammlerinnen, die nicht zur klassischen Laufkundschaft gehören. Iamello ist überzeugt, dass sie damit einem direkten Bedürfnis aus der Philatelie-Szene Hand bieten: «Es gibt durchaus NachwuchsSammler, die sind jedoch im Internet unterwegs und wollen sich nicht mehr in Vereinen engagieren.»


China und neue Trends Die digitale Revolution hat damit auch die klassischen Briefmarkenalben auf dem Regal erreicht. Anders als der deutsche BPP sieht Iamello das Internet zudem nicht verantwortlich für die Zunahme der Fälschungen in der Branche. Viel mehr ist er der Ansicht, dass gerade wegen der einfachen Zugänglichkeit zu Informationen Imitate einfacher entlarvt werden können. Was natürlich wiederum den Vereinen das Wasser abgräbt, war eine deren Dienstleistungen doch das unverzichtbare Wissen um den Unterschied zwischen Original und Plagiat. Für ihren Handel setzen Iamello und Partner im Zweifelsfall allerdings dennoch auf das Attest eines Prüfers. Iamello glaubt nicht, dass die Anzahl der Fälschungen zugenommen hat. Vielmehr würden nach und nach alle grossen Sammler wegsterben. Deren Schätze fänden dann ihren Weg auf den Markt und somit unter den prüfenden Blick potenzieller Käufer. Während die Marken zuvor unbehelligt Jahrzehnte in Sammlungen gelegen haben, steht plötzlich deren Echtheit zur Debatte. Was dazu führt, dass zurzeit vergleichsweise viele Plagiate im Umlauf zu sein scheinen. Sobald die Fälschungen ausgesiebt seien, werde sich das wieder legen, ist er überzeugt. «Unsere Kunden sind entspannt und glücklich», weiss er. Und auch wenn die Ansprüche an die Produkte gestiegen seien, würden die Leute noch immer gerne Geld für Qualität

«Wir machen das nicht des Geldes wegen, sondern weil das unsere Leidenschaft ist» Reinhold Huber

ausgeben. Alleine schon deshalb fürchtet sich Iamello grundsätzlich nicht vor der Zukunft der Philatelie: «Sammeln ist ein menschlicher Trieb, der nie aussterben wird.» Und der Markt ist ständig in Bewegung. «Es gibt definitiv Trends», weiss Iamello. Das Fürstentum Lichtenstein beispielsweise sei vor einigen Jahren ein Ladenhüter gewesen, heute laufe das Geschäft mit den Postwertzeichen des Schweizer Anrainers gut. Dank des Internets können Briefmarken in alle Welt verkauft werden, was interessante neue Märkte erschliesst. So ist etwa in China das PhilatelieInteresse am Erwachen. Und auch der heimische Markt schnuppert Morgenluft: Die Preise für Briefmarken steigen seit der Jahrtausend-

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wende. Die Schweizer Post hat damals auf das geringere Postvolumen reagiert und die Briefmarkenproduktion gedrosselt. Den Händler freut‘s: «Die Schweizer Post war schon immer kreativ, das gefällt mir sehr.» Auf die Philatelie muss noch lange kein Schwanengesang abgehalten werden, aber die Szene ist ohne Zweifel im Umbruch. Die Vereine müssen zeigen, dass sie einen Mehrwert bieten, um zu überleben. Dabei müssen sie gegen die allzu menschliche Bequemlichkeit ankämpfen, die dem Vereinsleben auch in anderen Sparten zusetzt. Ein Aussterben ist der Briefmarke jedenfalls nicht zu wünschen, dafür sind zumindest ihre etwas älteren Vertreter einfach zu schön. Sie sind einzigartige Zeitkapseln, die oft filigranes Handwerk mit der rauen Ästhetik eines illegal gedruckten Protestplakates verbinden. Ihr Studium fördert oft nicht nur Ungeahntes und Skurriles zutage, sondern auch praxistaugliches Alltagswissen. Oder wussten Sie etwa, dass alle Schweizer Briefmarken seit 1960 unbegrenzt gültig sind oder sich sogar das Oltner Kapuzinerkloster im Briefmarkenhandel betätigt? Die Mönche nehmen Doubletten und überschüssige Postwertzeichen von Sammlern entgegen, die ihre Schätze nicht wegwerfen wollen, und verkaufen sie gleich kiloweise in die ganze Welt. Welches andere Hobby kann schon von sich behaupten, den Segen von ganz oben zu haben?


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SERIE

FILM

Drei Werbetafeln und ein Mordfall Eine bessere schwarze Komödie bekommen wir dieses Jahr nicht mehr zu sehen.

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iese Serie ist so 2016! Trump wurde gewählt, Prince starb, und Denzel Washington bekam wieder einmal keinen Oscar. Das ist natürlich nicht für alle ein Grund zu trauern oder wütende Diskussionen zu führen – für Nola Darling aber schon: Mitte zwanzig, Malerin, hochpolitisiert und gerade die Oberhand über ihr Leben am verlierend. Sie wohnt in Brooklyn, das gerade hart der Gentrifizierung zum Opfer fällt, und kann die Miete kaum bezahlen. Und da wäre noch Nolas Liebesleben: «Mars bringt mich zum Lachen, Greer ist spontan und Jamie erwachsen», so beschreibt Nola ihre drei Liebhaber, als die Therapeutin danach fragt. Kindisch, unfassbar eitel und in der Midlife-Crisis trifft aber genauso auf die drei zu. Logo, driftet Nolas Leben so langsam aus der Komfort-Zone. Guter Serien-Stoff! Und dann wäre da noch die Tatsache, welche diese Serie eigentlich so richtig interessant macht: Sie ist das Werk von Regie-Legende Spike Lee und einer eindrücklichen Entourage aus Co-Autorinnen. Für Netflix haben sie Lees ersten Film (und grossen filmischen Meilenstein) «She’s Gotta Have It» aus dem Jahr 1986 neu aufbereitet. Interessant, bis oben hin mit Referenzen an die Black Culture gefüllt und verdammt unterhaltsam. (nb)

She’s Gotta Have It

1 Staffel, 10 Episoden,Dramedy, 2017, Netflix

DIE

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von Pierre Hagmann

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ier kommt das vielleicht lustigste Drama seit «Fargo». Der vielleicht beste Film des Jahres. Hier kommt «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri». Ein Filmtitel, der so treffend ist wie der Ton, den der britische Regisseur Martin McDonagh («In Bruge») in seiner Geschichte anschlägt. USA, Mittlerer Westen, ein Kaff, drei Werbetafeln. Milieu, Lakonie und Originalität einer Geschichte in einem Titel mit fünf Wörtern zu verpacken, ist ein kleiner Geniestreich. Wie sich diese Geschichte dann als Film in ihrer ganzen 115-minütigen Pracht entfaltet, das ist ein grosser Geniestreich. Bei den Golden Globe Awards 2018 von Anfang Januar wurde das Werk als bestes Drama ausgezeichnet, Frances McDormand als beste Hauptdarstellerin und Sam Rockwell als bester Nebendarsteller. Und wenn am 4. März die Oscars verliehen werden, geht der Film als Favorit an den Start. Die wieder mal überragende McDormand spielt ohne jede Eitelkeit Mildred Hayes, deren Tochter Angela vor Monaten vergewaltigt und umgebracht worden war. Noch immer ist der Täter unbekannt, macht die örtliche Polizei der schwer verbitterten Mutter den Anschein, als lege sie die Prioritäten auf willkürliche

ALBEN MEINES LEBENS

Emerson, Lake and Parker Pictures at an Exhibition Einer der Höhepunkte in der Rock-Pop-Kultur. Dieses Album beinhaltet Können, Innovation, Rebellion, Anarchie und Traditionsbewusstsein. Eines meiner Lieblingsalben.

Folter von irgendwelchen Afroamerikanern und nicht auf die sorgfältige Suche nach dem Mörder ihrer Tochter. Bis Mildred drei grosse Werbetafeln entdeckt, die sich in ähnlich verwahrlostem Zustand befinden wie sie selbst. Da kommt ihr eine Idee, die neues Leben einhaucht – den Billboards, sich selbst und dem ganzen Mordfall. Es ist ein entzückender Einfall von Martin McDonagh, der auch das Drehbuch geschrieben hat; nicht viele beherrschen die Kunst der schwarzen Komödie derzeit so stilsicher wie der 47-Jährige. Weiterhin in der Blüte seines Schaffens befindet sich auch Woody Harrelson, der als Polizeichef Willoughby eine so süffige wie relevante Darbietung abliefert. Auch Willoughby gelingt nicht alles, bei weitem nicht, aber er steht dafür, was diese Geschichte so wunderbar unvorhersehbar macht: Es ist und kommt meist anders, als man denkt.

«Three Billboards Outside Ebbing, Missouri»

seit 25. Januar in den Schweizer Kinos

von Mario Batkovic

Daniel Barenboim Beethoven: The Complete Piano Sonatas Stundenlang gute Musik ohne einen Augenblick des Spannungsverlusts. Sowohl für passives wie für aktives Hören geeignet. Und es erfüllt sogar therapeutische Zwecke…

Andreas Schaerer The Big Wig Ein Beispiel dafür, dass sich die Musik auch heute immer noch weiterentwickelt. Ein schönes Werk der neusten Schweizer Musikgeschichte, welches die Schweizer Kultur über Grenzen hinaus trägt.

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Beak >> Cooler Krautrock und mehr, Reduktion auf das Notwendige und Treibende… Die Band spielt ihre Konzerte trotz berühmter Mitglieder am liebsten in kleinen, echten Klubs.

Reverend Beat-Man Surreal Folk Blues Gospel Trash Vol. 1 Reinhören, einen Schock bekommen und geniessen! Authentisch, original, surreal und radikal.


MUSIK

ICH TRAGE B A RT L O M E .

Magisch Loten Namling kämpft für die Freiheit und Unabhängigkeit Tibets und macht Musik, verdammt gute Musik. von Marc Gerber

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ine kleine Anekdote aus dem Berufsalltag eines Regional-TV-Journalisten: Was passiert, wenn ein frecher Berner einfach mal nach Belp an den Flughafen fährt, mit der Vermutung, dass an diesem Tag der Dalai-Lama ankommen wird, um seinen Vortrag in Bern zu halten? Richtig: Der Journalist schüttelt am gleichen Tag dem spirituellen Oberhaupt die Hand und setzt gekonnt zum Smalltalk in Englisch an. Ich gebe es zu, der Dalai-Lama hat Charme, doch ich behaupte, sein Landsmann (Ja, ich weiss, Tibet ist «noch» kein Land) Loten Namling hat mindestens genau so viel. Mit seinem Projekt Porok Karpo vermischt er klassische tibetische Gesänge mit viel Pop und Rock. Keine Angst, der Sound klingt nicht nach Mönchsgesängen, er erinnert eher an Guy Garvey, den Frontsänger von Elbow – und das nicht nur wegen Loten Namlings Bauchumfang.

Frieden. Überprüfen kann ich das Ganze zwar nicht, aber ich weiss, dass das Zusammenspiel von ruhigem, aber auch kräftigem AlternativRock mit ein wenig Pop magisch wirkt. Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie ich langsam das Gletschermeer unter dem K2 oder Mount Everest besteige, immer im Blickwinkel das Ziel: die Spitze. An der Plattentaufe am 2. Februar wird auf jeden Fall der Präsident der tibetischen Exilregierung vor Ort sein, und unterstützt werden wird Porok Karpo von Jürg Halter, der als Musiker (ehemals Kutti MC) und wegen seiner literarischen Texte in der ganzen Deutschschweiz bekannt ist. Ich freue mich schon auf das Konzert und hoffe, Namling kann die kraftvolle Musik auch live so genial über die Bühne bringen. Für Weltenbummlerinnen und Fans von kraftvollem Alternativ-Rock mit einem My Tibet.

Hinter dem Band-Projekt stehen auch ein paar Schweizer Musiker, angeführt vom Gitarristen Patrick Lerjen. Die Texte auf dem Album «Behind The Two Mountains» handeln von Freiheit, Heimat und

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Pascal Diemand Brille von SWISSHORN

Bartlomé Optik AG Brillen und Kontaktlinsen Hauptgasse 33 - 4600 Olten www.bartlome-optik.ch


BUCH

..................... KOLT liest .....................

von Daniel Kissling

und schribe so, wi nis ghören und so, wi nis wott und cha

STEINGRUBERS JAHR von Ralf Schlatter

Ein Kammerjäger führt Tagebuch, was zu einem Lesegenuss in gut verdaulichen Happen führt. Hinter dem Autor steckt die eine Hälfte des poetischen Kabarettduos schön&gut. Das führt zu einem Buch voller Liebe zum Leben, zu den Mitmenschen und anderen Details. Schreibe der feinen Art mit viel subtilem Humor. Rhaban Straumann, Autor

DIE VERLOBTE VON LUCKY LUKE von Guy Vidal, Morris

Dem kleinen Ort Purgatory im westlichen Teil der Staaten fehlt es an Frauen, die noch übriggebliebenen Männer versinken im Chaos. Im Osten hingegen herrscht Männermangel, und die Frauen aus dem betroffenen Örtchen wollen sich verloben. So wird Lucky Luke damit beauftragt, einen FrauenKonvoi sicher durchs Land zu führen, damit sich die Paare kennenlernen können. Herrlich lustige Illustrationen! Liliane Manzanedo, Journalistin

Hert am Sound von Pedro Lenz

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rgendwie fühlt es sich komisch an, Leuten zu sagen, sie sollen Pedro Lenz lesen. Weil: Wer kennt Lenz schon nicht? Lenz, der Autor vom «Goalie». Lenz, der Mundart-Experte. Lenz, der AZ-Redaktor, Kolumnist (lange Zeit auch in diesem Magazin), Beizenbesitzer, Stammtisch-Poet. Lenz, der Schriftsteller, dessen Privatleben dem Sonntagsblick die Titelseite wert ist. Weil diesem Lenz eben auch jene Menschen zuhören, die sonst mit Literatur wenig am Hut haben. Eine Gnade sei das in finanzieller Hinsicht, meinte er, als er letzten Dezember in einem Interview darauf angesprochen wurde, aber: «Es hat auch den Nachteil, dass die Leute mich gar nicht mehr lesen, weil sie das Gefühl haben, ich kenne ihn ja schon vom Hörensagen.» Und tatsächlich: Wann hatte ich das letzte Mal ein Buch von Lenz gelesen? Seinen letzten Erzählband «Der Gondoliere der Berge» hatte ich meinem eher selten lesenden Vater zu Weihnachten geschenkt, seinen zweiten Roman «Di schöni Fanny» mir zwar gleich bei Erscheinen gekauft, dann aber kaum je aufgeschlagen. Weil man ihn ja schon kennt, den Lenz. Quasi als Gegenmassnahme kaufte ich mir nach der Lektüre besagten Interviews also «Hert am Sound», einen neuen Band mit in den letzten Jahren entstandenen Sprechgedichten. Und natürlich klingt auch hier Lenz nach Lenz, besitzen auch diese Texte ihn, diesen ganz eigenen Klang, den un-

verkennbaren Lenz-Sound. Doch während er in seinen Romanen oder Erzählungen « nur» Mittel ist, um die Geschichten zu transportieren, wird er in «Hert am Sound», der Titel lässt es ja eigentlich schon erahnen, quasi zur Hauptfigur und damit auch das Schreiben und das Leben als Schriftsteller. «Luft holen und öppis us der Luft usehole», wiederholt Lenz in «Fahre», dem inoffiziellen Herzstück des Buchs, immer und immer wieder, während er von Lesung zu Lesung fährt «und nächär aacho, spät, / spät i däm lääre Oute, / unrasiert und unbeschoute». Wäre Lenz kein Schriftsteller, sondern Musiker, er würde wahrscheinlich den Blues spielen, einen melancholischen Blues, aufs Wesentliche reduziert und gerade deshalb so eindringlich. Und zugänglich, denn bei aller Selbstreflexion, bei aller Virtuosität, mit welcher er auf dem Griffbrett des Schweizerdeutschen spielt, versteht es Lenz auch in «Hert am Sound», die Komplexitäten des Lebens auf so einfache wie einleuchtende Bilder herunterzubrechen. Ich jedenfalls habe es meinem Vater unter den Weihnachtsbaum gelegt.

Pedro Lenz

Hert am Sound

Edition spoken script, 2017. 192 S. ISBN: 978-3-03853-059-6


AM TRESEN

Über Wein und Kochkunst Bescheid zu wissen, ist heute in etwa so statusrelevant wie früher ein Haus mit Swimming-Pool und Skiferien in Zermatt. Ja, wer gescheit über Wein reden kann, wird bewundert. Zu Recht! Wein ist ja auch was ganz Tolles. Wenn ihr aber bei Ernesto und Marlise in der Altstadt auf ein Glas Wein einkehrt, könnt ihr euer auf Youtube gesammeltes «Fachwissen» und das eigenhändig laminierte Weinaromarad zuhause lassen. In Ernesto’s Apéro Bar geht’s nämlich sehr unkompliziert zu und her. Ihr wollt ein Glas

Roten? Dann lasst Ernesto euch ein Glas Roten bringen, ihr müsst nicht einmal auf die Karte schauen. Und wenn ihr ein zweites wollt, dann bringt er euch ein weiteres Glas eines Rotweins, der ganz anders schmeckt und trotzdem sehr gut zum ersten passt.

Gehört ihr zur neugierigen Sorte Mensch, erzählt euch Ernesto in 15 Sekunden das Wichtigste und Spannendste über diesen Wein – ganz ohne zu googeln. Rückfragen stellen dürft ihr auch. Ernesto ist nämlich geduldig und ein sehr bescheidener Weinliebhaber. Und wenn ihr Glück habt, bringt er euch aus seiner kleinen Gewölbe-Küche geräuchertes Forellenmousse auf Toast. Oder einfach nur ein, zwei Stückchen Brot. Mehr braucht’s nämlich gar nicht.

Ernesto's Apéro Bar Zielempgasse 11

WO SPIELT DIE MUSIK?

Byron Bay ist ein Surfer-Paradies im Osten Australiens. 2014 gründeten dort fünf junge Musiker die Band Parcels. Schon kurz darauf folgten sie dem Ruf Berlins und wanderten aus. Denn nach Europa wollten sie alle sowieso, also traten sie die Reise gemeinsam an. Ihr Projekt zeigte schon bald Erfolge. Kein Wunder: Mit ihrem zarten Disco-Sound, der kombiniert mit ihrem Look an die 70er-Jahre erinnert, treffen die Jungs den Nerv der Zeit. Obwohl ihr Sound nach Retro klingt, liegt dessen Ursprung in der elektronischen Musik, da sie zuletzt mit elektronischen Aufnahmeprogrammen experimentierten und damit Songs entwickelten. Mit ihrem Live-Spiel und der Vorliebe für die Disco der Seventies blüht ihre Musik schliesslich auf. Dieser Ansatz macht Parcels zu einer hervorragenden Live-Band, die sehr viel Freude in ihrem Live-Spiel zeigt. Da alle Mitglieder erst anfangs zwanzig sind, werden wir in Zukunft bestimmt noch viel von diesen fünf Australiern hören. Vor allem für Fans von Bands wie Jungle oder Daft Punk sehr zu empfehlen. (ud) www.parcelsmusic.com

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MOST WANTED

Jugendbibliothek Papa Moll und seine Familie inklusive Dackel Tschips sind momentan auf der Kinoleinwand zu sehen. Da bietet sich ein dazu passender neuer Bilderband natürlich ganz gut an. Und der scheint beliebt zu sein.

«Papa Moll und der fliegende Hund» von Jürg Lendenmann und Rolf Meier verzeich-

net dementsprechend in der Jugendbibliothek am meisten Reservationen.

Stadtbibliothek Wir alle erinnern uns noch an «The Da Vinci Code» und «Illuminati», Jahre scheint es her. Ist es auch. Letzten Herbst erschien der fünfte Band aus der Reihe und war natürlich sofort heiss begehrt, auch in der Stadtbibliothek. Nun hat sich Tom Hanks, äh, Robert Langdon, wieder auf das Siegervon podest gehievt. ist das Buch des Monats. (nb)

«Origin» Dan Brown


copy paste Text von Martin Bachmann Fotos von Timo Orubolo

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Ein Soundtüftler und ein Filmemacher machen gemeinsame Sache. KOLT traf Dave Ponzio und Christoph Rahm auf ein Gespräch über ihren Film, den sie als «psychedelisches Roadmovie» bezeichnen und der an den diesjährigen Solothurner Filmtagen Premiere feiert.

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Sie meinen es nicht so: Dave Ponzio (l.) und Christoph Rahm (r.) sind ein gutes Team, wenn es ums Filmemachen geht.

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n «Copy Paste Delete» zieht sich das Bild einer Höhlenmalerei als roter Faden durch den Film. Warum? Christoph Rahm: Die Höhlenmalerei zeigt einen Stier in zwei Zuständen. Der erste Kopf ragt nach oben, ist also lebendig. Der zweite Kopf ist leblos, das ist an den durchgestrichenen Augen zu erkennen. Die Menschen hatten also schon vor 35 000 Jahren einen Bezug zur Vergänglichkeit. Ihnen war bewusst, dass sie leben und eines Tages sterben werden. Dieses Bewusstsein ist uralt. Das wollten wir damit symbolisieren. Christoph, wie kamst du auf die Idee, in der experimentellen Form zu arbeiten und einen Essayfilm zu drehen? Christoph Rahm: Das passierte in mehreren Etappen. Die erste war die Musik. Ich hatte schon für meinen letzten Film, den Dokfilm «Ich bin’s Sarah!», mit der amerikanischen Post-Rock-Band «Caspian» zusammengearbeitet. Mir war klar, dass ich bei meinem nächsten Projekt wieder mit ihnen zusammenarbeiten wollte. Ihre Musik war es also,

«Die Technologie verändert sich ständig und immer schneller, während sich der Mensch als Wesen seit Jahrtausenden ähnlich verhält.» Christoph Rahm

die mich dazu beflügelt hat, «Copy Paste Delete» zu drehen. Dann überlegte ich mir, welche Bilder zum Sound passen würden. So kam ich auf die Idee, verwahrloste Gebäude als Kulisse zu verwenden. Damals gab es noch gar kein Drehbuch! Ganz wichtig waren für mich die Diskussionen mit meinem Kollegen Vladimir «Vladi» Jankijevic. Über die Zeitspanne eines Jahres unterhielten wir uns regel-

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mässig über philosophische Themen, führten Grundsatzdiskussionen über das Menschsein. Während unserer Diskussionen kamen wir immer wieder auf das Thema Vergänglichkeit zu sprechen. Wie und wo zeigt sich die Vergänglichkeit in «Copy Paste Delete»? Christoph Rahm: In der Veränderung der Bildsprache. Früher malte man Bilder, um sich mitzuteilen. Das wird durch die im Film erwähnten Höhlenmalereien angetönt. Heute gibt es unzählige Möglichkeiten der bildlichen Darstellung wie virtuelle Realität, Smartphone-Fotos und so weiter. Die Technologie verändert sich ständig und immer schneller, während sich der Mensch als Wesen seit Jahrtausenden ähnlich verhält. Diesen Zustand darzustellen war das Ziel von «Copy Paste Delete». Der Mensch stellt sich immer noch die gleichen Fragen über Leben und Tod, Krieg und Frieden. «Copy Paste Delete» hat etwas Dystopisches, die Bildsprache ist teilweise düster und


verstörend. War das Absicht, um das menschliche Dilemma darzustellen? Christoph Rahm: Die Bilder haben zum Teil eine dystopische Atmosphäre, das stimmt. Es ist offensichtlich, dass Ruinen eine mysteriöse Kulisse bieten. Die Bildsprache wurde über einen längeren Zeitraum mit Hilfe mehrerer Personen entwickelt. Ich war sozusagen der ChaosMeister, der sich von Meinungen und Einflüssen von verschiedensten Seiten beeinflussen liess. Dave Ponzio, du warst verantwortlich für das Design der Musik und hast Toneffekte hinzugefügt. Wie gross war dein Einfluss auf den Inhalt des Films? David Ponzio: Einen direkten Einfluss auf den Inhalt hatte ich nicht. Ich war in der Endproduktion für das Sounddesign zuständig. Diese Arbeit erledigte ich im Studio, als der Film schon geschnitten war. Aber ich finde mich zum Beispiel im Kapitel III mit dem Titel «Zorn» wieder. Man wird ständig mit irgendwelchen News eingedeckt. Pausenlos und ungefragt. Das ist schon etwas, was mir und anderen Menschen Mühe macht. Also zuerst wie am Computer kopieren, einfügen und danach als Befreiung löschen drücken – dem Internet entsagen? David Ponzio: Überhaupt nicht, nein! Das Internet ist ja nicht nur schlecht. Nur habe ich ein Problem damit, ständig Push-Nachrichten und ähnliches zu erhalten. Christoph Rahm: Der Titel beschränkt sich nicht nur auf die digitale Welt. Es geht um Gedanken, um Gefühle, die wir haben, im Sinne von «ah, das will ich auch haben, so will ich auch sein». Dann kopiert man etwas oder jemanden und vergisst anschliessend dessen Ursprung. Dave Ponzio: Das sehe ich genauso. Copy Paste Delete kann als Titel für jeden etwas anderes bedeuten. Was den Film betrifft, so sprechen mich darin ganz andere Aspekte an, als zum Beispiel Christoph. Kannst du uns ein, zwei Beispiele nennen? Dave Ponzio: Es gibt eine Szene, wo herumliegende versilberte Verpackungen mit Sexvideos zu sehen sind. Als Kind habe ich das noch erlebt, Pornos auf VHS. Auch die verlotterten Häuserruinen, die schon mit Pflanzen überwuchert sind, das sind alles Dinge, die ich als Kind erlebt habe, und deshalb erkenne ich mich im Film selbst wieder. Auch die Erbsen, die immer wieder vorkommen, sind für mich Teil meiner Kindheit. Bei

diesen Szenen kommt mir meine Grossmutter in den Sinn. Sie hatte den zweiten Weltkrieg miterlebt und daher Zeit ihres Lebens einen Notvorrat angelegt, wo immer Erbsen aus der Büchse zu finden waren. Christoph Rahm: Genau darum geht es bei «Copy Paste Delete». Der Film funktioniert wie ein Rohrschachtest für das Publikum. Der Zuschauer soll innerlich bewegt werden. Ich versuchte während des ganzen Films zusammen mit dem Sounddesign die innere Erlebniswelt zu beflügeln. Jeder soll merken, was die einzelnen Filmszenen ihm persönlich sagen. Das ist bei jeder und jedem sicher sehr unterschiedlich.

«Man wird ständig mit irgendwelchen News eingedeckt. Pausenlos und ungefragt. Das ist schon etwas, was mir und anderen Menschen Mühe macht.» David Ponzio

Wie sieht das Bild deines Rohrschachtests aus, Christoph? Christoph Rahm: Ich habe zu jedem meiner Filme eine Art Matrix. Darin lege ich fest, was ich zeigen möchte und verschlüssle diesen Inhalt. Aber darüber spreche ich nicht im Detail, da ich keine Lust habe, den Inhalt meiner Filme so zu erklären oder zu verraten, wie ich ihn entwickelt habe. Das ist nicht der Sinn meiner Filme. Im Film kommen Szenen aus dem ersten Weltkrieg vor. Damals entstand unter anderem aus Protest gegen das beispiellose Blutvergiessen in den Schützengräben eine neue Kunstform, der Dadaismus. In Europa herrscht momentan Frieden, trotzdem sind heute gewisse Regierungen dem Einsatz von atomaren Waffen

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weniger abgeneigt, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Ist «Copy Paste Delete» auch eine Form des Protests gegen Krieg in unserer immer noch nicht friedlichen Welt? Wollt ihr der Welt einen Spiegel vorhalten? Christoph Rahm: Nein, wir wollten auch auf keinen Fall eine moralisierende Botschaft rüberbringen. Allerdings: Das Publikum bringt die Moral, nicht ich. Zum Beispiel wurde ursprünglich eine Szene gedreht, in der das AKW Gösgen und ein Atomalarm vorkommen. Diese Sequenz habe ich dann herausgeschnitten, weil mir das zu klischeehaft war. Die Archivaufnahme aus dem ersten Weltkrieg ist nur eine von mehreren Sequenzen, die Krieg und Zerstörung zeigen. Der Grund, wieso die Szene, die du ansprichst, auffällt, ist, dass eine Filmkamera vor hundert Jahren in der Mitte eines Schlachtfelds platziert wurde. Es musste also eine Absprache beider Parteien gegeben haben, um diese gewalttätige Auseinandersetzung zu dokumentieren. Dave Ponzio: Es sind Symbolbilder, wir haben Sequenzen aus dem ersten Weltkrieg, aber auch Aufnahmen aus dem Irak-Krieg gewählt, um Krieg allgemein darzustellen. Christoph Rahm: Der Film springt in der Zeit, weil ich versucht habe, Inhalt auf eine andere Art zu zeigen, als es im klassischen Film üblich ist. Heute gibt es auf allen Kanälen so viel Unsinn, stupiden Content, dass wir uns gefragt haben, wie wir das Publikum herausfordern können. Deshalb ist «Copy Paste Delete» keine Doku, kein Spielfilm und auch kein Experimentalfilm. Ich habe versucht, einen neuen Weg mittels der Möglichkeiten der Technik zu finden, um das Publikum zu fordern. In «Copy Paste Delete» fallen auch besonders die Musik und das Sounddesign auf. Vielfach ist krachender Rocksound zu hören. Dave Ponzio: Es war eine grosse Herausforderung für mich, diese bereits gemasterten Songs im Film einzubauen. Die Übergänge in den Szenen zu schaffen war sehr spannend, denn ich hatte keinerlei Vorgaben. Das ist ein Grund, warum ich das Sounddesign für diesen Film überhaupt gemacht habe. Ich war völlig unabhängig in meiner Arbeit. Im Hintergrund harter Rock, im Bild spielende Kinder in glücklichen Familien, dann wieder zerstörte Häuser und Kinderaugen, die einen aus den Trümmern anschauen – was hat es damit auf sich? Dave Ponzio: Ich denke, gerade diese Szenen


sind eine Herausforderung für Menschen mit Kindern. Da sieht man lachende Kids in glücklichen Familien, dann in der nächsten Szene ist wieder alles kaputt. Mit dem richtigen Soundeffekt macht man solche Bilder überhaupt erst fühlbar. Manchen Leuten kommen dann vielleicht die Tränen. Mich als Vater treffen solche Sequenzen jedenfalls, während andere diesen Wechsel der Gefühle nicht als speziell empfinden. Aber genau so soll es sein bei diesem Film. Auf eine Art war die Produktion des Films auch ein wenig Therapie für mich. Auch für dich, Christoph? Christoph Rahm: Es ist nicht so, dass ich ernsthaft ein psychisches Problem hätte. Aber heute wird so viel in Quantität gemessen. Es geht überall nur noch um Klickzahlen, wie viele Likes du für deinen Film kriegst. Für mich war es eine Herausforderung, einen neuen Weg zu gehen, um einen solch speziellen Film zu drehen. Es gab viele Auseinandersetzungen, und ich habe viele Erkenntnisse über mich selbst gewonnen. In diesem Sinne ist es eine Therapie, einen solchen Film mit so vielen Leuten und Ideen zu

produzieren und sich dieser Herausforderung zu stellen. Andere kraxeln einen Berg hoch, ich mache halt Filme. Die gesamte Produktion nahm drei Jahre in Anspruch, zum Teil habt ihr den Film mittels Crowdfunding finanziert. Wie kam der Rest des Geldes zusammen? Christoph Rahm: Via Crowdfunding haben wir rund 7000 Franken gesammelt. Während der drei Produktionsjahre übernahm ich die restlichen anfallenden Kosten für Spesen, Verpflegung und Material. Grob geschätzt kostete die Produktion gesamthaft etwa 20 000 Franken. Darin sind die unzähligen Arbeitsstunden der Schauspielerinnen und Schauspieler, Kameramänner, Off-Sprecher, Autoren, Maskenbildnerinnen und Leute in der Post-Produktion nicht enthalten. Jedoch gab es für die Beteiligten zum Dank das ein oder andere Nachtessen oder eine feine Flasche Whisky. Kürzlich war ich mit Dave essen und ich werde ihn bestimmt auf ein Konzert einladen. Danke, Dave! David Ponzio: Bitte, Christoph!

«Es gab viele Auseinandersetzungen, und ich habe viele Erkenntnisse über mich selbst gewonnen. In diesem Sinne ist es eine Therapie, einen solchen Film mit so vielen Leuten und Ideen zu produzieren und sich dieser Herausforderung zu stellen. Andere kraxeln einen Berg hoch, ich mache halt Filme.» Christoph Rahm

«COPY PASTE DELETE» AN DEN SOLOTHURNER FILMTAGEN Samstag, 27. Januar // 20.45 Uhr Dienstag, 30. Januar // 11.45 Uhr solothurnerfilmtage.ch

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DIE MACHER

Der Filmemacher Christian Rahm (*1977) arbeitete als freischaffender Editor für VideoclipProduktionen, bevor er mit seinem Bruder Simon 2004 die Produktionsfirma doppelrahm gmbh mit Sitz in Zürich und Zofingen gründete. Unter diesem Namen produziert er diverse Medien- und Filmprojekte. Für «Copy Paste Delete» arbeitete Rahm mit dem Künstlerkollektiv «norder.zone» zusammen, einer Plattform für Querdenkerinnen und Querdenker, die auf der Suche nach künstlerischem Neuland sind.

Dave Ponzio (*1973) ist studierter Sounddesigner, arbeitet als technischer Leiter bei youcinema in Olten und führt sein eigenes Tonstudio namens Centraltonstudio in Olten. Er und Christoph Rahm arbeiten schon seit vielen Jahren zusammen. Ponzio kreierte die Sounds für «Copy Paste Delete» (oder zerstörte vorhandene). Der Soundtüftler arbeitete dafür einen Monat lang gratis, weil ihm das Filmprojekt so sehr am Herzen lag.

copy-paste-delete.net

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KILIAN ZIEGLER

von Manuel Katiofski

Geschlossene Türen, offene Fenster

Vor einem Jahr Als ich einmal träumte, träumte ich von Donald Trump. Ein Dinner, ein Bankett, ein Saal voller Menschen und Kameras, am Abend vor der Machtergreifung. Oder Übergabe, das war klar. Alle warten auf ihn, den grossen, starken, lauten Mann. In Anzügen warten sie auf ihn, das seh‘ ich durch die Türe, denn ich steh‘ neben ihm im Gang, und warum Trump im Gang steht und nicht zwischen ihnen, zwischen den Tischen und Tüchern und Würdenträgern und Geldgebern und Geldnehmern, das weiss ich auch: Weil er Schiss hat. Weil er kalte Füsse kriegt. «I can't do this! I can't do this!», stottert Donald Trump und ist nicht wütend, ist nicht selbstgerecht und herablassend und widerlich wie er sonst ist. Er hat Schiss, zittert sogar, checkt: «Fuck! Things getting real. » Und sagt, dass das alles doch nur ein Scherz gewesen sei, ein Stunt, und er das doch niemals machen könne, dass er da nicht reingehen könne, viel, viel lieber wieder in seinem goldnen Badzimmer sitzen würde. Und ich nicke verständnisvoll, verständnisvoll und fühl‘ mit ihm und lege meine dürren Hände auf seine gepolsterten Schultern und sage: «Du schaffst das! Du schaffst das, Donald! Das kommt schon gut, Donald!», sag‘ ich und schau ihm zuversichtlich in die Augen und komm‘ ein paar Stunden später, als es wirklich passiert, vor dem Kapitol, unter apokalyptischem Himmel, nicht drumrum, was Ähnliches zu fühlen. Manuel Katiofski (*1987) wuchs in Basel auf und lebt derzeit in Berlin, wo er dank Steuergeldern an seinem ersten Roman schreibt. www.dasnarr.ch

«W

enn Gott eine Türe schliesst», spricht er leise durch die Tränen hindurch, doch unterbricht sich selber, um mit dem Einstecktuch sein Gesicht abzuwischen, wohl auch, damit ich endlich etwas sagen kann. Aber ich weiss nicht was und schweige. «Wenn Gott eine Türe schliesst, dann öffnet er ein Fenster.» «Vielleicht will er bloss lüften», entgegne ich, froh, endlich etwas gesagt zu haben, dann merke ich, dass Humor gerade wenig hilft. Und als ob ich das sofort wieder vergessen hätte, lege ich nach: «Das wird schon wieder, andere Mütter haben auch Töchter mit tiefen Ansprüchen.» Darauf scheint der Damm gebrochen, noch mehr Tränen quellen aus ihm heraus, jeder Versuch, Haltung zu bewahren, misslingt ihm. Eine junge Frau, auch Gast der Hochzeit, geht irritiert an uns vorbei. «Er übt für ein Stück», versuche ich die Aufmerksamkeit von meinem heulenden Kumpel wegzulenken, «Dostojewski. Er spielt einen Wasserfall.» Ihr Kopfschütteln ignoriere ich und rufe hinterher: «Es gibt noch Karten!» Ich nehme einen Schluck meines Biers – es ist der einzige Teil des Gesprächs, bei dem ich mir sicher bin, dass ich es richtig mache. Keine Ahnung, warum mein alter Freund überhaupt gekommen ist, ein einzig grosser Seitenhieb muss es für ihn sein, wie die Frischvermählten schäkern, umjubelt von ihren Gästen, als wären sie Rockstars. So fühlt es sich also an, erwachsen zu sein, denke ich, wie ich von der Melancholie gepackt auf der Terrasse stehe, vor diesem viel zu teuren Restaurant, in diesem viel zu günstigen, eine Nummer zu grossen Anzug. Vielleicht wachse ich ja noch hinein, in den Anzug und das Erwachsen-

sein. Ich weiss, dass ich jetzt endlich etwas sagen muss und beschliesse mit Zuspruch gegen die Tränen meines Freundes anzukämpfen. «Ja, ihr seid nicht mehr zusammen, und das ist scheisse. Doch wahrscheinlich hast du Recht, wenn Gott, oder wer auch immer, meinetwegen der Abwart oder so, eine Türe schliesst, dann geht irgendwo ein Fenster auf. Ausser es ist so ein MinergieDing, dann wird’s schwierig. Auf jeden Fall öffnet sich irgendwo ein Fenster. Und zwar nicht nur so kipp-mässig, sondern richtig. Und wenn sich dieses Fenster geöffnet hat, dann offenbart sich dir die atemberaubendste Aussicht, die man sich denken kann: Seeblick, Meerblick, Alpenblick. Alles zusammen. Und irgendwo, inmitten dieses Panoramas, steht eine Frau mit Herz und Verstand, eine Traumfrau, eine Power-Buslä-2000. Ihr werdet euch ineinander verlieben, Hochzeit feiern, zehnmal spektakulärer als dieses Fest hier, Kinder kriegen und glücklich sein. Du wirst dich nicht mehr an die geschlossene Tür erinnern, der Schlüsseldienst hat das Schloss längst ausgetauscht. Das einzige, was dich interessieren wird, ist dieses sperrangelweit geöffnete Fenster. Und Gott, oder der Abwart, oder wer auch immer, wird es nie mehr schliessen.» Gerade als ich mich frage, ob ich zu dick aufgetragen habe, hört mein Kumpel auf zu weinen. «Meinst du wirklich?», fragt er. Ich nehme einen Schluck meines Biers, zupfe an meinem Anzug rum und sage: «Ja eh.»

«Vielleicht wachse ich ja noch hinein, in den Anzug und das Erwachsensein.»

Eine gute Zeit Kilian Ziegler PS: Ein besonders attraktives Fensterbrett nennt man in Fachkreisen «Fenster-Brad-Pitt».

www.bijouterie-maegli.ch

AnziehungskrAft

liegt in unserer nAtur.


PETRA & Frédéric

Vanillecreme mit Punktchen

von Frédéric Zwicker (Text) und Petra Bürgisser (Illustration)

K

urzlich, an einem schonen Sonntag, wollte ich ein paar Gaste mit Apfelstrudel und Vanillecreme uberraschen, denn das ist meine grosste Spezialitat Vanillecreme ist aber naturlich nur gut und echt, wenn man darin die schwarzen Punktchen von den Vanillestangeln sieht Leider hatte ich keine Vanillestangel im Haus, und die Laden hatten geschlossen Ich fand ein Fertig-Vanillecreme-Pulver in einer Schublade Als ich die Creme aufgekocht hatte, merkte ich, dass die Punktchen fehlten Ich musste Punktchen finden Ha, hab‘ ich gedacht, auf der Schuhmatte vor meiner Ture hat's Punktchen drauf Das waren aber grosse Giraffen-Punktchen und passten nicht in die Pfanne Mir fiel ein, dass Leoparden kleinere Punktchen auf dem Fell haben So bin ich also in den Zoo gefahren, ins LeopardenGehege gehupft und hab‘ den Viechern die Punktchen vom Fell gepfluckt Ich hab‘ sie mir in den Hosensack gesteckt und bin frohlich nach Hause

spaziert Frohlich so lange, bis ich zu Hause war und merkte, dass ich die Leoparden-Punktchen in den Hosensack mit dem Loch gesteckt und verloren hatte Was nun?, hab‘ ich mich gefragt Nun ein Gspanli anrufen, welches im Bologna-System studiert, hab‘ ich gedacht Hab‘ dem Florian als Vorwand angegeben, ich wolle ihn gerne wieder mal besuchen kommen, was ihn verstandlicherweise freute, weil es eine wunderschone Sache ist, wenn man Freundschaften pflegt Als er dann endlich sagte, er musse pinkeln und auf der Toilette verschwand, hab‘ ich ihm alle seine Bologna-Punktchen geklaut und bin schnell abgehauen Auf dem Nachhauseweg kriegte ich aber

ein furchterlich schlechtes Gewissen, weil dem Florian sein Studium naturlich wichtiger ist als die Punktchen in meiner Creme Ich bin zuruckgefahren und hab‘ sie ihm zuruckgegeben Und dann ist mir die rettende Idee gekommen, wie ich doch noch Punktchen fur meine Creme bekommen konnte Ich hab‘ diesen Text geschrieben und mit Ausnahme der i-Punktchen alle Punktchen rausgenommen und in die Creme gestreut Die Gaste waren glucklich

Frédéric Zwicker (*1983) ist u.a. Literat und Musiker. 2016 erschien sein Debütroman «Hier können Sie im Kreis gehen». Zwicker lebt in Rapperswil-Jona und weilt aktuell in Zagreb, wo er an seinem zweiten Roman sowie am neuen, kroatischen Album seiner Band Knuts Koffer arbeitet. Die Plattentaufe feiert Knutov Kofer dann selbstverständlich in Zagreb.

THOMAS MÜLLER Inhaber/CEO

MEHR ALS EINE DRUCKEREI DIETSCHI PRINT&DESIGN AG Ziegelfeldstrasse 60 4601 Olten T 062 205 75 75 www.dietschi-pd.ch


NUMMER FÜNF 2010 // FR. 5.--

DER KOLTIGE MONAT

KULTUR // AGENDA // OLTEN

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EIN KURZWEILIGES MÄRCHEN

D

ie Geschichte über die Philatelie hat uns sofort an die Fotografin Stephanie Dinkel aus Wisen denken lassen. Steffi hat zum Beginn ihrer Karriere für Marco Grob assistiert und danach fünf Jahre lang beim renommierten Schweizer Still Life-Fotografen Raymond Meier in New York gelernt und gearbeitet. Unterdessen lebt sie wieder in Zürich. Mit dieser Ausgabe schliessen sich wieder einige Kreise. Stephanie hat als Erstausbildung vor ihrer Fotografinnenkarriere das KV bei der Schweizerischen Post gemacht. Für diese KOLTAusgabe fotografierte sie Briefmarken auf die gleiche Weise, wie sie sonst Parfüm-Flakons, Kosmetik und Schmuck inszeniert. Sie hat keine Sekunde gezögert, als wir sie anfragten, ob sie die Briefmarken-Geschichte visuell umsetzen wolle. Ein weiterer sich schliessender Kreis in unserer eigenen koltigen Geschichte: Die KOLT-Nullausgabe von 2009 zeigt Stephanie Dinkel auf dem Titelbild, fotografiert vom Oltner Fotografen Marco Grob, der dann auch den Einleitungs-Text zum Interview mit Stephanie im Mai-KOLT aus dem Jahr 2010 schrieb, in der wir auch einige ihrer neusten Arbeiten zeigten. Exklusive «Marco Grobs» gab es damals im KOLT, heute gibt’s Stephanie Dinkels eindrückliche Closeups von Schweizer Briefmarken. Die alten KOLT-Ausgaben sind übrigens nicht online erhältlich, aber es gibt sie bei uns im Büro zu sehen. Solche Déjà-vus machen auch uns Lust, in unserem eigenen Archiv zu wühlen.

KOLT

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100 Franken für Ihr Gesicht Falten weg, Fettpölsterchen weg und 100 Franken geschenkt. Gönnen Sie sich eine Frische-Behandlung bei den Schönheitsexperten der Pallas Kliniken. Einfach bis Ende Februar 2018 anmelden. Die Pallas Kliniken schenken jedem 100 Franken, der seinem Gesicht etwas mehr Frische verleihen möchte. Der 100 Franken-Gutschein gilt für die sanften Eingriffe, ganz ohne Skalpell. Wählen Sie zwischen folgenden Frische-Behandlungen:

3. CoolSculpting zur Auflösung von überschüssigem Fettgewebe durch Kälte Wirkt dort, wo Sport und Diäten nicht helfen. Das Fettgewebe wird nach der Behandlung vom Körper selber abgebaut.

1. Faltenbehandlungen mit Hyaluronsäure, Botulinumtoxin oder plättchenreichem Plasma (PRP) Mit diesen Behandlungen lassen sich kleine Falten glätten und tiefe Mimikfalten aufpolstern. Im Gegensatz zur Faltenaufspritzung mit Hyaluronsäure oder Relaxation der Muskeln bei Botulinumtoxin wird bei der PRP-Behandlung (Vampir-Lifting) ein Plasmaextrakt aus Eigenblut sanft unter die Haut gespritzt.

Für jeden Typ und jede Problemzone gibt es eine geeignete Auffrischung. Es sind keine chirurgischen Eingriffe und keine Schönheitsoperationen, sondern ganz sanfte Frische-Behandlungen. Wer sich bis zum 28. Februar 2018 zur Behandlung anmeldet, kann den 100-Franken-Gutschein in den Pallas Kliniken Zürich, Winterthur, Olten oder Grenchen einlösen.

2. Fadenlifting (feine Straffungen mit Milch- und Zuckermolekülen) Bei dieser Methode werden feine Fäden schmerzlos unter die Haut gezogen. Mit dem Faden kann man die Haut punktgenau straffen.

Anmeldung Terminvereinbarung unter Tel.-Nr.: 058 335 35 53 Codewort: Kolt Oder online auf: www.pallas-kliniken.ch/100Franken Dieser Gutschein ist nur einmalig einlösbar.


Sei wie eine Briefmarke. Bleib an einer Sache dran, bis du am Ziel bist. Josh Billings

Das Ziel erreicht: MEHR ZUHAUSE mit COVER.

SIO AG COVER Generalvertretung Schweiz Rรถtzmattweg 66 CH-4601 Olten T +41 62 207 07 07 F +41 62 207 07 00 info@cover.ch cover.ch

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