y t i C a g o Y
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Biweekly Printed Inspiration
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Yoga kann dir wieder beibringen, im Hier und Jetzt zu sein. Weisheit aus Indien
COVER – Wohngenuss der Gegenwart.
SIO AG COVER Generalvertretung Schweiz RĂśtzmattweg 66 CH-4601 Olten T +41 62 207 07 07 F +41 62 207 07 00 info@cover.ch cover.ch
EDITORIAL März 2018
Liebe Leser_innen Das KOLT kam vor bald neun Jahren zum ersten Mal heraus. Ein Kulturmagazin sollte es sein, welches der teilweise bis über die Stadtgrenzen hinaus berühmten Oltner Kulturlandschaft eine gebührende Plattform sein sollte. Schliesslich gab es ja auch viel zu zeigen und zu erzählen, es gab viele Künstler_innen zu würdigen, es gab viele junge talentierte Leute, die schreiben, gestalten und fotografieren wollten.
Doch auch uns stellte sich die Frage: Wie soll das KOLT die Abstimmung thematisieren? Wir entschieden uns, jemanden zur Initiative zu befragen, der ausserhalb steht und doch mittendrin ist – ähnlich wie die KOLTRedaktion. Weder die Herausgeberschaft noch die Chefredaktion von KOLT sind in Olten stimmberechtigt, genauso wie Rainer von Arx, den wir interviewt haben. Er war 12 Jahre lang Vizepräsident des Kuratoriums für Kulturförderung des Kantons Solothurn. In Olten kennen wir ihn unter anderem als Initiator und Co-Veranstalter der Poetry Slam-Reihe «laut&deutlich», die den beiden heute erfolgreichen Künstler_innen Lisa Christ oder Kilian Ziegler Bühne für ihre allerersten Auftritte war. Ist Olten nicht zu klein für eine Kulturfachstelle? Und warum sind auch Kulturschaffende gegen die Initiative? Wie ist denn Kultur bisher passiert – ohne diese sogenannte Kulturfachstelle? Solche Fragen haben wir dem Kulturvermittler Rainer von Arx gestellt. Seine Antworten lest ihr auf Seite 28. Bis nächsten Monat und gute Lektüre! Nathalie Bursać
IMPRESSUM VERLAG / HERAUSGEBER Verlag 2S GmbH, Leberngasse 17, 4600 Olten, verlag@v2s.ch, www.v2s.ch VERLAGSLEITUNG Yves Stuber (ys) REDAKTIONSLEITUNG Nathalie Bursać (nb), redaktion@kolt.ch FINANZEN Matthias Gubler INTERNETAUFTRITT Roger Burkhard LAYOUT / SATZ Christoph Haiderer REDAKTIONELLE MITARBEIT Kilian Ziegler, Marc Gerber, Daniel Kissling, Pierre Hagmann, Ueli Dutka (ud), Isabel Hempen, Martin Bachmann, Karola Dirlam ILLUSTRATION Petra Bürgisser, Anna-Lina Balke FOTOGRAFIE Remo Buess, Michael Isler, Yves Stuber KORREKTORAT Mirjam Läubli LESERBRIEFE leserbriefe@kolt.ch, www.kolt.ch/leserbriefe AGENDA agenda@kolt.ch, www.kolt.ch/agenda ABO Jahresabonnement CHF 99.—(inkl. MwSt), Gönnerabonnement CHF 170.— (inkl. MwSt), abo@kolt.ch, www.kolt.ch/abo INSERATE inserate@kolt.ch, www.kolt.ch/inserieren KONTAKT www.kolt.ch, hallo@kolt.ch AUFLAGE 1'800 ISSN 1664-0780 DRUCK Dietschi AG Druck und Medien, Ziegelfeldstrasse 60, CH-4600 Olten. © 2018, Verlag 2S GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung. Die Urheberrechte der Beiträge bleiben beim Verlag. Keine Gewähr für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustrationen.
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Cover fotografiert von Michael Isler
Nun haltet ihr die 94. KOLT-Ausgabe in den Händen, und sie erscheint in einem für die hiesige Kulturszene wichtigen Monat: Am 4. März stimmt die Oltner Bevölkerung darüber ab, ob sie eine Kulturfachstelle genehmigen will oder nicht. Das Thema wurde in den letzten Wochen lang und breit diskutiert und in der Tageszeitung mehrfach thematisiert – ob ausgewogen genug, das sei dahingestellt.
INHALT
6 Im Gespräch Christoph Rast erzählt, was Menschen in einer Bibliothek suchen. Es sind nicht nur Bücher.
GENUSS
KOLUMNEN
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Schwärmen und Leiden eines Teenies
NaRr «Heute ist anders»
Film
10 Olten – Yoga-City
In Olten gibt's gefühlt genauso viele Yoga-Studios wie am Atitlán-See in Guatemala. Unsere Autorin muss es wissen, sie hat beide Gegenden erkundet. Und sie mag kein Yoga.
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Kilian Ziegler
Musik
In einer Chnelle sitzen, trinken und blöde Ideen anhören
Smoothe Butterschnitte
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Literatur
Petra & Anaïs
Und da wäre noch Osteuropa
«Die Gegenreformation in der Schweiz 2011 bis 2018 durch Marlies Lehmann»
30 Der koltige Monat Yoga bei Nulltemperaturen
STADT 8 Off-The-Record «Chance gemeinsam angepackt – Teil 2»
20 Olten neuentdeckt
Sie ist Stadtführerin aus Leidenschaft, er selbstständiger Historiker: Rosetta Niederer und Roland Kissling haben in Eigenregie zwei Jahre lang über Olten geforscht.
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DAS GESPRÄCH
«Dabei kommen Emotionen hoch, ähnlich wie beim Sport» Er war knapp 40 Jahre Oltner Stadtbibliothekar. Heute leitet Christoph Rast das Café Litteraire, weil er weder von den Büchern noch von den Menschen lassen kann. Interview von Martin Bachmann Foto von Remo Buess
C
hristoph Rast, welches war Ihr erstes Buch? Das war «Pu, der Bär». Ich ging damals in die zweite Primarschulklasse und las das Kinderbuch an einem Sonntagnachmittag zu Ende. Danach verkündete ich voller Stolz in der Küche meinen Eltern, dass ich soeben mein erstes Buch von A bis Z gelesen hatte.
Sie stammen aus einer belesenen Familie; wie reagierten Ihre Eltern auf diese Neuigkeit? Zu meiner Verwunderung war das für sie offenbar nichts Besonderes. Sie freuten sich, aber nicht überschwänglich. Ehrlich gesagt enttäuschte mich ihre Reaktion schon etwas. Trotzdem blieben Sie dem Medium Buch treu. Was fasziniert Sie bis heute so an Büchern? Dass man über jegliche Art von Lesestoff mit Menschen ins Gespräch kommt. Wir alle haben unterschiedliche Interessen, und wir können uns über einen Zeitungsbericht oder ein Buch unterhalten, egal wer wir sind. Dieses Phänomen finde ich enorm spannend. Bücher als Brückenbauer zwischen verschiedenen Menschen und gesellschaftlichen Schichten also? Ja, sozusagen. Bei der Literatur steht für mich immer der Mensch im Zentrum. Als Bibliothekar war es spannend zu sehen, wie jemand dazu kam, dieses oder jenes zu lesen. Bei der Stammkundschaft bekam ich dann so einiges mit. Welche Interessen die Leute haben, wie sie leben und was sie für die Zukunft planen. Gibt es so etwas wie ein Bibliotheksgeheimnis? Offiziell nicht. Aber es war mir klar, dass ich meine Kundschaft und mich in grosse Verlegenheit gebracht hätte, wenn ich vertrauliche Dinge ausgeplaudert hätte. Da gehört das nötige Mass an Verschwiegenheit und Diskretion einfach dazu, weil mir die Leute oft persönliche Dinge anvertrauten. Daneben gab es auch skurrile Situationen… In der Stadtbibliothek? Bei der Ausleihe. Einmal kamen zwei Typen und erklärten, sie seien aus dem Gefängnis ausgebrochen. Sie wollten in Ru-
he ein Sandwich essen und ein letztes Bier in Freiheit trinken. Danach solle ich die Polizei rufen. Ich liess sie also in einer ruhigen Ecke der Bibliothek Platz nehmen, wo sie ihre Mahlzeit assen. Danach rief ich wie abgemacht die Polizei an. Normalerweise erzählen Nachtclubbesitzer solche Geschichten… Man hält es kaum für möglich, dass sich solches in einer Stadtbibliothek abspielt. Aber sehen Sie: in einer Bibliothek ist es im Winter warm und im Sommer angenehm kühl. Es herrscht Ruhe, und die vielen Bücher strahlen eine Atmosphäre der Geborgenheit aus. In meiner Zeit als Leiter der Stadtbibliothek sah ich viele Menschen, die jeden
«Bei der Literatur steht für mich immer der Mensch im Zentrum.» Tag für ein paar Stunden im Lesesaal sassen und in Büchern blätterten, um der Aussenwelt zu entfliehen. Diese Menschen liehen nie ein Buch aus. Sie waren einfach froh, ungestört an einem ruhigen Ort sein zu können. Kommen wir noch auf den Oltner Literaturclub, das Café Litteraire, zu sprechen, den Sie 2006 ins Leben gerufen haben. Wie menschlich geht es da zu und her? Sehr menschlich! Da gibt es auch schon mal Leute, die während einer Buchbesprechung verlauten lassen, dass ihnen schlecht wird ob der Meinung eines anderen. Jetzt gerade lesen wir «Der letzte Schnee» von Arno Camenisch. Aber auch Klassiker wie «Moby Dick» von Herman Melville besprechen wir. Die Leute outen sich immer über ihre Bücher, da kommen Emotionen hoch, ähnlich wie beim Sport.
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Wie hat sich das Leseverhalten in den letzten 40 Jahren verändert? Was mich in der heutigen digitalisieren Welt erstaunt: Es wird nach wie vor extrem viel gelesen. Dabei werden die Bücher immer dicker! 500 bis 800 Seiten sind heute normal. Dann die Geschichten und die Sprache: Früher gab es die gepflegten Familiengeschichten, in denen zum Beispiel sexuelle Handlungen nur angedeutet wurden. Heute geht es ans Eingemachte. Alles, was früher Tabu war, wird heute seitenlang breitgeschlagen. Auch Gewaltszenen. Aber bereits in den 60ern und 70ern gab es einen Simmel, der zumindest Sexszenen sehr detailliert beschrieb. Ja, aber von dem redet heute niemand mehr. Der galt damals als Schundliteratur, dabei konnte er wirklich sensationell gut schreiben, wie sein Erstling «Es muss nicht immer Kaviar sein» beweist. Heute ist dafür die Begeisterung für Romane wie «50 Shades of Grey» sehr gross. Da wurden Tabus gebrochen und trotzdem, dies noch als Randbemerkung, ist die Gesellschaft nicht untergegangen, wie das aus stramm konservativen Kreisen immer prophezeit wurde. Haben Bücher so viel Macht über die Gesellschaft? Bücher können auf jeden Fall einen Einfluss auf die Gesellschaft haben. Oft sind sie auch Vorboten von gesellschaftlichen Veränderungen und brechen damit in Form einer Erzählung manchmal auch Tabus.
Christoph Rast (*1950), geboren in Olten, ist gelernter Buchhändler, liess sich an der Universität Bern zum wissenschaftlichen Bibliothekar ausbilden und studierte Literatur. 1975 begann er als Volontär in der Stadtbibliothek zu arbeiten und übernahm später deren Leitung. Seit 2014 ist er pensioniert und leitet das Café Litteraire, welches er vor zehn Jahren ins Leben gerufen hat. bibliothekolten.ch/cafe-litteraire
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KORRIGENDUM
OFF THE RECORD
«Chance gemeinsam angepackt» Teil 2: «Seit 2004»
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In der Februar-Ausgabe sprach KOLT mit Irene Krause von der Caritas über die KulturLegi im Kanton Solothurn. Dabei schrieben wir fälschlicherweise, dass es im Kanton Solothurn 9000 Ergänzungsleistungsberechtigte gebe. Korrekt ist, dass im Kanton Solothurn geschätzte 9000 SozialhilfeempfängerInnen leben. Doch lediglich 1,5 Prozent von ihnen besitzen eine KulturLegi, welche sie zu Vergünstigungen im Kulturbereich berechtigt.
as letzte Off-the-record befasste sich damit, dass die Firma Kontextplan seit einigen Jahren auffallend viele Aufträge von der Stadt Olten freihändig erhalten hatte. Wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang: Das Submissionsgesetz lässt dies durchaus zu, solange der Gesamtauftrag ein bestimmtes, gesetzlich festgelegtes Budget nicht sprengt – oder viele einzelne, ähnliche Aufträge in einem bestimmten Zeitraum einen bestimmten Schwellenwert nicht überschreiten. Gleichzeitig fällt auf, dass bei Aufträgen an die Firma Kontextplan häufig Nachtragskredite – stets in irgendeiner Form begründet – beantragt und bewilligt wurden. Dies kann je nach Einzelfall dazu führen, dass damit der Schwellenwert für eine direkte Auftragsvergabe im Nachhinein erreicht wird. Und so etwas kann natürlich auch mit der besten Absicht nicht immer vorausgesehen werden. Einen solchen Fall von «Überschreiten des Schwellenwerts» hat beispielsweise im Januar 2004 der Alt-Gemeinderat Rolf Sommer (SVP) entdeckt und mit der «Interpellation betreffend Verkehrskonzept Olten und Zivilcourage» im Gemeindeparlament thematisiert. Daraufhin entschuldigte sich die damalige Baudirektorin, Stadträtin Silvia Forster, mit den Worten «[...] da aber zu diesem Zeitpunkt mit der Möglichkeit gerechnet werden musste, dass die Aufwendungen von Seiten des Projektleiters den Schwellenwert von Fr. 100`000 überschreiten könnte, hätte die weitere Arbeitsvergabe im Rahmen eines eingeladenen Submissionsverfahrens erfolgen müssen.» Und Forster fährt fort mit: «Für diese Unterlassung entschuldigt sich die Baudirektion; sie wird künftig alles daran setzen, dass in ähnlichen Fällen, wo die Schwellenwerte allenfalls überschritten werden könnten, ein entsprechendes Submissionsverfahren durchgeführt wird. Es bestand nie die Absicht, irgend etwas vertuschen zu wollen, im Gegenteil, das Geschäft wurde stets transparent dargelegt.» Damals ging es um einen Auftrag für ein neues Oltner Verkehrskonzept, den die Stadt an den Oltner Verkehrsingenieur Max Studer vergeben hatte. Das liegt nun über zehn Jahre zurück, the-
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matisch betrifft es die Angelegenheit Kontextplan aber sehr stark, denn jener Auftrag tangierte unter anderem die «Verkehrsführung Innenstadt» und das «Parkleitsystem»; Aufträge, die heute die Firma Kontextplan verantwortet. Der Name Max Studer findet sich seither nicht mehr in den öffentlich zugänglichen Unterlagen der Oltner Verwaltung. 2004 hat das kantonale Amt für Verkehr und Tiefbau (AVT) das in Solothurn ansässige Büro smt ag, ingenieure und planer, beauftragt, im Kanton Solothurn das bisherige Verkehrserhebungskonzept auf seine Gültigkeit hin zu überprüfen und die Verkehrserhebung 2005 durchzuführen. «Aus diesem Grund» wurde dieses Büro dann auch von der Oltner Baudirektion beauftragt, für «die Durchführung der städtischen Verkehrserhebung 2005 ein Grobkonzept mit generellem Leistungsbeschrieb und grober Kostenschätzung zu verfassen». Das darauf aufbauende Wissen wird im Laufe der folgenden Jahre wiederholter Grund für erneute Auftragsvergaben.* Der Co-Geschäftsleiter dieser noch tätigen Firma, smt ag, war der Verkehrsingenieur Markus Reichenbach. Es ist derselbe Markus Reichenbach, der 2008 die Firma Kontextplan mitgründete und dort seither als Geschäftsführer tätig ist. Ab diesem Zeitpunkt findet sich in den städtischen Publikationen anstelle des Firmennamens smt ag nur noch derjenige von Reichenbachs neuer Firma: Kontextplan. Markus Reichenbach amtet dank der grossen städtischen Mandate an seine Firma Kontextplan quasi inoffiziell als Oltner Verkehrsplaner. Seit 2004.
*Auszug aus dem Antrag zum «Parkhaus Innenstadt 2007», einsehbar auf olten.ch: «Die drei Büros, welche die Projektstudien erarbeiteten, wurden in verkehrsplanerischen Fragen durch das Verkehrsingenieurbüro smt AG, vertreten durch Markus Reichenbach, beraten und begleitet. Markus Reichenbach verfügt, durch seine Mitarbeit am Gesamtprojekt der Entlastung Region Olten (ERO) am Verkehrsmanagement und am Verkehrskonzept Innenstadt, über sämtliche Informationen, welche für eine verkehrsplanerische Gesamtbetrachtungsweise erforderlich sind.»
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STADTKOLUMNE
Matthias Borner, 35, wuchs in Winznau auf und arbeitet als Ökonom und Finanzanalyst. Er sitzt für die SVP im Oltner Gemeindeparlament sowie im Solothurner Kantonsrat. Nach Olten verschlug es ihn wegen der Liebe. Die Liebe ist verflogen, er ist in Olten geblieben.
Fasnacht und ich
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«Mir ist dieses zwanghafte lustig Sein, das sich aufdringliche Benehmen und Verkleiden immer noch ein Graus – doch Fasnacht ist viel mehr!»
nfang Februar war es soweit – Fasnacht 2018. Ich bin kein Vollblut-Fasnächtler. Das war nicht immer so. Noch in der Primarschule, in Winznau, fieberte ich mit grossen Ambitionen dem Maskenball entgegen. Tagelang bastelte ich mit meinem besten Freund Philippe sowie Sabrina und Geneviève unsere eigenen Kostüme. Wir waren Disney-Figuren. Ich verkleidete mich als Dagobert Duck. Man kann sich gut vorstellen, dass, wenn vier 11-Jährige Kostüme mit Maske basteln, dies von aussen betrachtet nicht allzu abgeschlossen und professionell wirkt, und man die Leistung dahinter schnell verkennt. Bei der Prämierung gewannen dann lauter Kinder mit gekauften Kostümen oder auch die Kinder des Schulkommissionspräsidenten (in der Jury sassen die Lehrer). Ich konnte das in jenem Alter natürlich nicht einordnen. Meine Enttäuschung war unermesslich. Das war dann meine letzte aktive Fasnacht für über 20 Jahre. Von da an beschränkte sich meine Fasnacht höchstens auf den Fasnachtsumzug in Olten. Dies änderte sich vor drei Jahren. Da ich leidenschaftlich gerne singe, wurde ich Mitglied bei der Hilari Sänger-Clique. Oder eher, wie der Chorleiter einmal sagte – «er (also ich) war plötzlich einfach da». Diese Clique singt das ganze Jahr unter professioneller Leitung. Ursprünglich plante ich, meine aktive Teilnahme auf alles Nicht-Fasnächtliche zu beschränken. Ich finde ja seit der «Schmach von Winznau 1994» die Fasnacht doof. Im Kübel, bei einem Hamburger und einer Stange, wurde ich dann dazu überredet, doch wenigstens für ein Jahr der Fasnacht eine Chance zu ge-
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ben. 2016 bestritt ich also das ganze Programm vom Narrenstopf* bis zum FUKO-Abend*. Mir ist dieses zwanghafte lustig Sein, das sich aufdringliche Benehmen und Verkleiden immer noch ein Graus – doch Fasnacht ist viel mehr! Ich musste feststellen, dass es ein Fehler war, mich dem närrischen Treiben all die Jahre zu entziehen. Es offenbarte sich mir eine eigene Welt. Unglaublich, wieviel Arbeit, Kreativität, aber auch Organisation hinter diesem Anlass stecken. Ich empfehle allen – auch Nichtfasnächtlern – diesem Treiben Anerkennung für seine Leistung und Wertschätzung entgegen zu bringen, und sei es bloss, indem man dem traditionellen Umzug beiwohnt. Es hat auch für alle etwas dabei: Wagen, die mit viel Liebe zum Detail konstruiert wurden, ein breites musikalisches Spektrum, Gesang, sprachlich ausgefeilte Schnitzelbänke oder auch künstlerische, teils schon fast poetische Kostüme. Schlussendlich ist es ein gesellschaftlicher Anlass. Man trifft viele tolle Leute über sämtliche gesellschaftlichen und politischen Grenzen hinaus, hat eine gute Zeit – und wissen Sie was? Ich freue mich auf die nächste Fasnacht und bewerfe die Jurymitglieder von damals mit Konfetti.
*bei Fragen bezüglich Fasnachtsjargon wenden Sie sich bitte an irgendeinen Fasnächtler.
Schliesse die Augen Lasse deinen Atem fliessen KOLT
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Text von Isabel Hempen Fotos von Michael Isler Model: Regula Ritz (Yoga Garten)
Kann eine Stadt genug Yoga haben? Scheinbar nicht. Yoga in Olten ist en vogue, erst vor ein paar Wochen hat mitten in der Altstadt ein grosses Studio neu eröffnet. Es ist eines von vielen. KOLT hat seine Autorin losgeschickt, um der Oltner Yoga-Szene auf den Zahn zu fühlen.
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«Solange Studios aufgehen und auch offenbleiben, ist der Bedarf wohl da. Ich sehe das nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung. Jede Lehrperson zieht ihre eigenen Leute an.»
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nfang März siedeln Nathalie und Janine Gmür ihr Yogastudio von der Baslerstrasse an die Hauptgasse in der Oltner Altstadt um. Dort werden sie mehr Platz haben und ihr Angebot ausbauen. Sie hoffen, an der zentralen Lage auch ihre Kundschaft verdoppeln zu können. Auf einer Marktanalyse basiert diese Hoffnung aber nicht, wie Nathalie Gmür sagt. Dabei ist Konkurrenz durchaus vorhanden. Tippt man im Internet «Yoga» und «Olten» in die Suchmaschine ein, gibt diese über zehn Treffer aus: Yoga Olten Gleis 14, Pilates Yoga Olten, Tara-Yoga, Yoga Schule Olten, Downtown Yoga, Yoga Raum Olten, Fühl Dein Yoga, Yin Yoga Danvital, Danielle Kunz Yoga oder etwa Yoga Garten. Auch das Dance Studio Olten, verschiedene Fitness-Center und die Migros Klubschule bieten in Olten Yogastunden an. Eine Yogalektion à 60 bis 90 Minuten kostet in Olten zwischen 16 und 35 Franken. Manche YogalehrerInnen bieten vergünstigte oder kostenlose Probelektionen an. Yoga ist in Olten im Aufwind. Vergangenes Jahr gingen gleich mehrere Studios auf, so etwa Yoga Olten Gleis 14, Downtown Yoga und Yin Yoga Danvital. Besorgt zeigt sich deswegen keine einzige der zehn Yogalehrerinnen, die KOLT angefragt hat (Yogalehrer sind in Olten rar). «Wenn man auf dem Yoga-Weg ist, gibt es nicht wirklich Konkurrenz. Das Hauptziel ist nicht der Gewinn», sagt etwa Jacqueline Eng, die mit ihrer Geschäftspartnerin Pilates Yoga Olten führt und dort seit fünf Jahren Yoga anbietet. Auch Danielle Mertens von
Yin Yoga Danvital sagt: «Für mich gibt es keine Konkurrenz. Ich bin ein spirituelles Wesen, ich lebe im Hier und Jetzt.» Es tönt bei allen ähnlich. Regula Ritz, die unter dem Namen Yoga Garten auftritt, hat kein eigenes Studio. Sie unterrichtet bei Pilates Yoga Olten und im Yoga Raum Olten und meint: «Solange Studios aufgehen und auch offenbleiben, ist der Bedarf wohl da. Ich sehe das nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung. Jede Lehrperson zieht ihre eigenen Leute an.» Wie Ursula Berger vom Dance Studio Olten meint, sei es der Kundschaft überlassen, die Ausbildungen der YogainstruktorInnen (die in Olten rar sind) zu verifizieren. Denn die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt, von der 200- bis zur über 1000-stündigen Ausbildung ist alles möglich. «Je mehr Yogastudios es gibt, desto besser muss ich sein. Konkurrenz belebt», glaubt Renate Lämmli von der Yoga Schule Olten. So scheint in Olten für jeden Yogi-Geschmack etwas dabei zu sein, sowohl meditative als auch dynamischere Formen: Sei dies Yin Yoga, Vinyasa Flow Yoga, Aerial Yoga, Inside Yoga, Nadiyoga, Hot Yoga, Spiraldynamik-Yoga oder Chi Yoga. Es gibt Stunden speziell für AnfängerInnen, Fortgeschrittene, Kinder, Teenager, SeniorInnen, Männer, Krebsbetroffene, und sie finden morgens, mittags oder abends statt. Zunehmend praktizierten auch Männer Yoga, sie besuchten ihre Stunden «vereinzelt» oder machen bis zu «20 Prozent der Teilnehmenden» aus, sagen die befragten Yogalehrerinnen. Über ihre MitbewerberInnen in Olten scheint sich keine von ihnen grosse Ge-
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danken zu machen. Für die meisten ist der Yogaunterricht eines von mehreren beruflichen Standbeinen.
Für mich ist Yoga Neuland. Ich mag es nicht. Irgendwie erinnert es mich an meine Reise an den Atitlán-See in Guatemala. Dort waren alle TouristInnen am Detoxen, die Gegend bestand gefühlt nur aus Yoga-Retreats. Nichtsdestotrotz habe ich mich in Olten für eine Yoga-Probelektion angemeldet – und mich damit auf eine kontrastreiche Erlebnisreise begeben.
Der Atitlán-See im Hochland von Guatemala hat eine Fläche von 130 Quadratkilometern und liegt auf fast 1600 Metern über Meer. Er ist umgeben von drei Vulkanen, deren Gipfel manchmal hinter wilden Wolkenformationen verschwinden. Sein Wasser ist stark verschmutzt, aber wer im Boot von Anlegestelle zu Anlegestelle schippert, sieht einzig sein tiefes, undurchdringliches Blau. Maya in bunten Trachten sprenkeln seine Ufer; die indigene Bevölkerung lebt von Landwirtschaft, Fischerei, Kunsthandwerk und Tourismus. Eine unwirkliche Schönheit geht von diesem See aus.
Olten, ein Montagabend im Februar. Yoga ist eines der wenigen Dinge, gegen die ich eine Abneigung hege, ohne Yoga je ausprobiert zu haben. Trotzdem betrete ich das «Downtown Yoga»-Studio an der Baslerstrasse 47, das in einer Physiotherapie-Praxis eingemietet ist. Nathalie Gmür, in schwarzen Leggings und Stretchtop, begrüsst mich herzlich. Wir haben miteinander telefoniert. Die 29-Jährige und ihre 26-jährige Schwester Janine eröffneten Downtown Yoga vor einem Jahr. Rund 120 Personen nutzen regelmässig ihr Angebot, das von verschiedenen Yoga-Arten wie Inside-Yoga und Yin-Yoga bis Rückentraining und Zumba reicht. Etwa ein Zehntel von ihnen, schätzt Nathalie, sind Männer. Die Schönheit des Sees zieht Scharen von Touristen an. Schon der Gelehrte Alexander von Humboldt nannte ihn einst den «schönsten See der Welt», und der Schriftsteller Aldous Huxley hielt ihn für eine bessere Version des Comersees. Ich selbst machte während einer mehrmonatigen Reise durch Mexiko und Mittelamerika an seinem Ufer Halt. Im Dorf San Pedro La Laguna, von dem der Reiseführer eine spektakuläre Aussicht und eine internationale Szene versprach. Ich hatte mich seit Tagen hauptsächlich von Mais und Bohnen ernährt und freute mich auf die kulinarische Abwechslung.
Meine sonst so lärmigen Gedanken geben Ruhe. Das ist gut. Das ist wirklich gut. Es ist kurz nach halb acht abends. In der Garderobe wechsle ich meine Strassenkleidung gegen bequeme Hosen und ein Shirt, dann gehe ich hinüber in den Yogaraum, der in gedämpftes Licht getaucht ist. Ich setze mich auf die letzte freie Yogamatte. Um mich herum strecken und dehnen sich sechs Frauen und ein Mann, sie sind wohl alle zwischen 25 und 35 Jahre alt. Nathalie setzt sich im Schneidersitz vor uns hin. Inside-Yoga sei eine moderne Art von Yoga, die Körper, Geist und Seele in Einklang bringe, hat sie mir vorhin erklärt.
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Leise Popmusik spielt. Nathalie lächelt. Das Leben war anstrengend in letzter Zeit, aber in diesem Moment ist alles gut.
men. Fühlt sich ungewohnt an. Meine sonst so lärmigen Gedanken geben Ruhe. Das ist gut. Das ist wirklich gut.
Ich stieg in einem Hostel ab, wie es sie in Lateinamerika zu hunderten gibt: einfach, einigermassen sauber und mit Hippie-Flair. Hölzerne Hochbetten kleideten die kleinen Zimmer aus, an deren orange gestrichenen Wänden Om-Zeichen, Mandalas und andere New-Age-Symbole gepinselt worden waren. Im grosszügigen Innenhof wuchs üppiges Grün. Backpacker lümmelten auf Rohrsesseln und tranken Bier oder rauchten. Zwischen Palmen gaben sie sich in regenbogenfarbenen Hängematten dem Nichtstun hin.
Ich blieb einige Tage in San Pedro, von wo aus ich die Dörfer am See erkundete. Morgens frühstückte ich im italienischen Café, wo amerikanische und europäische RentnerInnen den neusten Klatsch austauschten. Die meisten von ihnen lebten im Ort. Später am Tag hatte ich die Wahl: Vegetarisch, Italienisch, Thai? Oder eines der koscheren Restaurants, welche die vielen Israeli am See mit Falafel und Schawarma versorgten? Ein Bioladen führte teure Produkte aus den USA, Spanischunterricht und Yogaklassen wurden angeboten und in den Bars floss der Alkohol. Während die meisten Einheimischen weiter oben im Dorf lebten, hatten die AusländerInnen sich am Seeufer festgesetzt. Hier war Partytown. Ein Maya-Mütterchen, das am Wegrand selbstgebackene Schokoladenkekse verkaufte, blinzelte seinen KundInnen jeweils verschwörerisch zu. Die Haschkekse lagen zuunterst in ihrem Korb.
«Spüre, wie du am Boden aufliegst. Schliesse die Augen. Lasse deinen Atem fliessen», sagt Nathalie, und ihre warme Stimme beruhigt mich. «Spüre, wie sich deine Bauchdecke hebt und wieder senkt. Lasse mit jedem Atemzug mehr los.» Ich liege auf meiner Yogamatte. Liege einfach da. Folge Nathalies Anweisungen. Ich merke, wie ich beginne, tiefer zu at-
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Die Schläfrigkeit hüllt mich ein wie eine schwere, warme Decke. Meine Muskeln kribbeln leise. Schwer sinken meine Gedanken auf den Grund meines Bewusstseins, wo sie regungslos liegen bleiben.
Ich werfe suchende Blicke zur Yogaschülerin links von mir. Die scheint zu wissen, was sie tut. ganze Ausbildungen lang. Im Restaurant Il Giardino traf ich Yogis, die biologische Rohkostsalate und Smoothies bestellten und einander über ihren aktuellen geistigen Entwicklungsstand auf dem Laufenden hielten. Ein im Dorf verteiltes Flugblatt, bebildert mit einer indischen Gottheit, lud zum gemeinsamen Meditieren ein. Ich liege auf der Matte. Die Stunde ist fast um. Darüber bin ich froh, denn für heute habe ich genug. Wir haben verschiedene Asanas gemacht, den Krieger eins, den Krieger zwei, den kleinen Krieger und den Hund, in mehr oder – in meinem Fall – weniger fliessenden Übergängen. «Bewege dich weiter ins Krokodil, überkreuze ein Bein und lege die Arme in einem leichten V über die Schultern», sagt Nathalie. Einige Atemzüge später sitzen wir auf, zum Abschluss falten wir die Hände vor dem Herzen – die Grussgeste Namaste. Es ist zehn vor neun. Ich fühle mich angenehm schläfrig. Es wurde dunkel in San Marcos La Laguna. Ich musste mich sputen, wenn ich das Boot noch erwischen wollte. Ich folgte dem Weg, den ich gekommen war, vorbei an all den Pfaden, die zur Erleuchtung führten, zurück zur Anlegestelle. Den ganzen Nachmittag lang war ich durch das Dorf gestreift. So also sah manifestierte Spiritualität aus. Meine frühere Mitbewohnerin kam mir in den Sinn, die Orchideen so liebte. Sie kaufte sie immer bei Ikea. Wir formen mit unseren Körpern ein Dreieck, den «herabschauenden Hund»: Hände und Füsse am Boden, Arme und Beine gestreckt, Po in die Luft. «Denke an dein Hasta Bandha», sagt Nathalie. Was?, denke ich. «Den Saugnapf-Effekt der Hand», schiebt sie für die Neulinge unter uns nach und macht ihn vor. «Atme ein. Aus dem herabschauenden Hund hebe das rechte Bein an in den dreibeinigen Hund. Atme aus. Mache einen Schritt vor zu deinen Händen. Schiebe die Ferse nach oben. Strecke das hintere Bein. Ziehe die Füsse zueinander.» Keine der Asanas, wie Nathalie die Yoga-Positionen nennt, ist mir geläufig. Ich werfe suchende Blicke zur Yogaschülerin links von mir. Die scheint zu wissen, was sie tut.
«Mit dem Einatmen kommst du hoch in den Krieger eins. Lasse den Atem fliessen. Halte die Position ein paar Atemzüge lang», sagt Nathalie. Ich beginne, meinen Körper zu spüren. San Pedro bescherte vielen Reisenden einen Kater. Nicht wenige kurierten ihn beim Detoxen drüben im Zwillingsdorf San Marcos La Laguna aus. Ein Yoga Retreat reiht sich hier an das nächste, sie tragen Namen wie Mahadevi Ashram oder Las Piramides. Wo ich auch hinkam, an jeder Ecke hätte ich Reiki-, Fussreflexzonenmassage-, Shiatsu- oder Kinesiologie-Behandlungen buchen können. Jedem spirituellen Bedürfnis wird im Ort Rechnung getragen, ob in Einzelsitzungen oder
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Die Schläfrigkeit hüllt mich ein wie eine schwere, warme Decke. Meine Muskeln kribbeln leise. Schwer sinken meine Gedanken auf den Grund meines Bewusstseins, wo sie regungslos liegen bleiben. Zu Hause lege ich mich ins Bett, klappe den Laptop auf, drücke Play. Es ist erst kurz nach neun Uhr. Viel zu früh, um schlafen zu gehen. Der amerikanische Comedian auf Youtube sagt Worte in Englisch, sagt noch mehr Worte in Englisch, das Publikum lacht, aber ich kann nicht folgen. Meine Augen fallen zu.
SERIE
FILM
Zwischen Gardasee und Hollywood Happy End an den Oscars? «Call me by your name» ist eine Wucht von einer Sommerromanze. von Pierre Hagmann
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er Arbeitstitel des Scripts hiess angeblich «Chicks & Dicks». Das ist ziemlich lustig. Und bezeichnend für die Serie «New Girl», die zwar voll auf dem abgelutschten Kampf-der-Geschlechter-Thema aufbaut, aber es dennoch schafft, Tritte ins Fettnäpfchen auszulassen. Die Geschichte dreht sich um Jess und ihre drei Mitbewohner Winston, Schmidt und Nick. Auch wenn alle vier total nervige Charaktereigenschaften besitzen, funktioniert die Story, in der Kinderkriegen, Karrieremachen und Heiraten x-fach nebensächlicher sind als zum Beispiel in «How I Met Your Mother». Das macht «New Girl» anders und besser. In der WG wird bevorzugt geschrien, die Sprüche, die fallen, sind gnadenlos (und gnadenlos witzig), aber füreinander einstehen tun die vier bedingungslos. Angenommen, es gibt wirklich eine Generation Y, die sich weder verpflichten noch anstrengen will und zugleich für eine faire Gesellschaftsordnung einsteht, dann ist «New Girl» genau deren Serie. (nb)
New Girl
6 + Staffeln, 138 Episoden Comedy, seit 2011, Fox
DIE
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«C
all me by your name» ist mehr als die Geschichte eines Sommers in Norditalien. Es ist ein Sommer in Norditalien. So schön, so treffend, so intensiv fängt Regisseur Luca Guadagnino die Umgebung, die Figuren, deren Erlebnisse und Emotionen ein. Das ist Kino in seiner vollendeten Form: Keine andere Kunst vermag uns auf ganzer Ebene – sinnlich, kognitiv und emotional – so absolut in eine andere Welt zu katapultieren. Und wenn es eine so schöne Welt ist wie hier, «irgendwo in Norditalien», dann bereitet dieses Filmerlebnis auch sehr viel Vergnügen. Doch wir wissen, die Welt ist nicht nur schön, sondern auch traurig, da macht uns der sizilianische Filmemacher Guadagnino zum Glück nichts vor. Sommer also, einer in den 80er-Jahren, das verrät schon die Titelschrift. Der 17-jährige Elio Perlman (Timothée Chalamet) verbringt die sechs Wochen mit seinen Akademiker-Eltern auf dem Familien-Landsitz in der Nähe des Gardasees. Der Vater (Michael Stuhlbarg) ist Archäologie-Professor und hat für den Sommer den 24-jährigen US-Studenten Oliver (Armie Hammer) als Assistenten zu Besuch. Elio beobachtet dessen Ankunft aus dem Fenster des zweiten Stocks und sagt zu seiner Ferienfreundin: «Er scheint sehr
ALBEN MEINES LEBENS
Nine Inch Nails Pretty Hate Machine Trent Reznor kommt hier mit wenig Gitarre aus und verwendet oft Samples und Drum Machines, was zu den Texten, die u.a. von Identitätskrisen und sexueller Frustration handeln, passt.
von NONE OF THEM
M.I.A Arular Dieses Album hat eine fantastische Roheit. Es ist eine politische, tanzbare Rhythmusbombe, die sich anfühlt, als werde sie den Spirit der Subkultur bis in alle Ewigkeit am Leben erhalten.
PJ Harvey To Bring You My Love Konzentrierte Essenz des Blues; so sexy wie kein zweites Album. Ein Highlight ist «Telco». Hier kommt die Reduktion des Arrangements, die dem Album zu seiner zeitlosen Grösse verhilft, zur vollen Geltung.
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selbstbewusst.» Es beginnt nun eine leise Annäherung zwischen zwei Männern, die wir aus der Perspektive von Elio erleben, diesem Jüngling mit braunen Locken, der weiter seinen Ferienflirt lebt, aber emotional völlig vom smarten und grossgewachsenen Amerikaner gefangen wird. Das Schwärmen und Leiden des verliebten Teenagers ist nun kein neues Sujet in der Filmgeschichte. Aber wie hier Leichtigkeit und Beschwerlichkeit nicht als Gegensätze oder Klischees behandelt werden, sondern als das ganze Leben eben, ist von selten gesehener Kraft. Ebenso die Junger-Mann-liebtnoch-jüngeren-Mann-Geschichte: null Stereotype, viel Finesse. Einer der besten Szenen des Films findet aber zwischen Elio und seinem Vater statt, zu dem Elio eine ebenso vertrautes Verhältnis hat wie zu seiner Mutter. In der Sommernacht draussen zirpen die Grillen, drinnen sitzen die beiden auf dem Sofa, der Vater raucht und spricht, der Sohn hört. Und outet sich. Ohne ein Wort zu sagen. Das ist grosses Kino, das Chancen auf die goldene Krönung hat. Am 3. März werden die Oscars verliehen. «Call me by your name» ist nominiert als bester Film, Timothée Chalamet, geboren 1995 in New York, als bester Hauptdarsteller.
Sisters of Mercy Some Girls Wander by Mistake Die «Intellectual Love Gods» des englischen Goth-Rocks schwebten stets humorvoll über der Tristesse der Gothikszene. Und sie stellten Gefühl vor Virtuosität – eine Produktionsweise, die uns heute noch beeinflusst.
Santigold Santogold Diverse Genres, die sich auf diesem Debütalbum in ein eigenwilliges Universum verwandeln. Es ist ein musikalisches Bild, das von Pop bis hin zur Rock-Attitude einen Bogen spannt; wundervoller, regenbogenfarbiger Musikgenuss!
MUSIK
Smooth wie Butterschnitte
ICH TRAGE B A RT L O M E .
Cosmic Fields aus Genf entstressen total. von Marc Gerber
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ir fliegen schnell nach Ibiza, gehen ins Café del Mar, eine legendäre Location, nicht wegen des guten Essens oder der Aussicht, sondern der guten Musik wegen. Das Café am Meer ist bekannt für seine alternativen, ruhigen Playlists, die halt perfekt zur Ferieninsel passen. Ich hoffe, man entdeckt bald unseren «Café del Mar»-Nachwuchs aus der Schweiz: Cosmic Fields mit ihrem Album «Shangri-La» passen total auf jeden Ferien-Soundtrack. Nur die wenigsten dürfen allerdings ihren Alltag im Ferienparadies verbringen und täglich auf einem Surfbrett stehen. Bei uns ist eher das tägliche Pendeln angesagt. Doch auch in dieser unnützen Zeit, zwischen unbekannten Menschen in einem stickigen Zug, kann man kurz in die Ferien, zumindest in Gedanken. Cosmic Fields zaubert Musik, die nur schwierig zu beschreiben ist, aber als Musik-Kolumnist ist es meine Pflicht, auch Sachen einzuordnen, die sich schlecht einordnen lassen. Nun gut, Cosmic Fields ist... ähm... Indie?! Surf-Rock? Surfchill? 70er-Stoner-Rock? Indie-Pop? Irgendwie so, oder eben alles zusammen. Sicher ist: Diese Musik entstresst gewaltig.
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Acht Songs haben es auf die Scheibe «Shangri-La» geschafft. Zum Beispiel «Black München», ein Song, der ebenso gut als Hintergrundmusik für einen Porno aus den 70ern funktionieren würde: irgendwie cool, ruhig, sexy. Sieben Minuten lang einfach mal Augen zu und durch. «Tarmac» ist ein Song, den ich am ehesten mit einem ruhigen Sonnenuntergang am Meer assoziiere; gerade im März hätten wir den doch bitter nötig. Die Genfer-Groove-Kombo tourte in den vergangen zwei Jahren vor allem durch die Romandie und Frankreich. Albert S. Rivera ist die Stimme und Gitarre der Band, Sébastien Bui haut in die Tasten und Alain Sandri in die stark gedämpften Drums. Auch ganz wichtig ist Yavor Lilov, der mit seinem Bass die Beats begleitet. Leute, die bei Lounge-Musik Gänsehhaut bekommen, Leute, die während dem Schmusen Air im Hintergrund laufen lassen, solche Leute haben auch Freude an Cosmic Fields, eine Band, die – und das sage ich selten – richtig gross werden könnte.
Release von «Shangri-la»: 2. März soundcloud.com/cosmicfields
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Kolja Schmid Brille von OAKLEY
Bartlomé Optik AG Brillen und Kontaktlinsen Hauptgasse 33 - 4600 Olten www.bartlome-optik.ch
BUCH
..................... KOLT liest .....................
von Daniel Kissling
Osteuropa gibt es nicht Mordor kommt und frisst uns auf von Ziemowit Szczerek
DIE BLECHTROMMEL von Günter Grass
«Die Herren zogen sich im Herrenbad um, Mama führte mich in eine Zelle des Damenbades, verlangte von mir, dass ich mich nackt im Freibad zeigte, während sie, die damals schon üppig über die Ufer trat, ihr Fleisch in ein strohgelbes Badekostüm goss.» Wenn einer die deutsche Sprache zu jonglieren vermag wie Grass, dann verzeiht man ihm auch die Allegorie «über die Ufer treten» in Verbindung mit der Bühne des Freibades. Absolut lesenswert. Cyril Müller, Fotograf
WWW.REPUBLIK.CH Ich bin neuerdings auch Verleger der Republik. Die Inhalte und der Stil sprechen mich an. Und ich kenne den Aufwand, der hinter dieser Arbeit steckt. Dieser Journalismus ist seinen Preis wert. Lese nicht nur KOLT! Yves Stuber, KOLT-Herausgeber
«Das musst du unbedingt lesen! Unbedingt!», beschwor mich mein Freund Benj letzten Herbst, gleich nachdem er «Mordor kommt und frisst uns auf» gelesen hatte. Quasi eine Adaption von «On the Road» fürs 21. Jahrhundert sei das, sagte er. Einfach in Osteuropa. Oder wie «Fear and Loathing in Las Vegas», halt einfach nicht in Las Vegas, sondern in der Ukraine. Ich nahm seine Empfehlung nur halbherzig entgegen. Wir Menschen tendieren dazu, vor allem Bücher zu lesen, von denen wir das Gefühl haben, sie hätten was mit uns zu tun. Zumindest ich tendiere dazu und zumindest ich habe mit Osteuropa herzlich wenig zu tun, und so brauchte es eine Reise nach Leipzig, wo mir dieses Buch in einer mehr als vertrauenswürdigen Buchhandlung gleich mehrmals präsent dargeboten wurde. Zwei Tage und eine sechsstündige Zugfahrt später war ich wieder in der Schweiz und das Buch weggelesen. «Weglesen» – die Wortwahl ist bewusst, denn so irrwitzig, wie die Roadtrips des Ich-Erzählers Lukasz jedes Mal ausfallen, wenn er von seiner Heimat Polen aus ziel- und planlos durch die Ukraine der Nullerjahre tingelt und sich mit Vigor-Balsam, eigentlich ein Potenzmittel, zudröhnt, so rasant ist dieses Buch geschrieben. Doch Ziemowit Szczerek versteht es nicht nur, fesselnd und bildhaft zu schildern, sodass man das Gefühl bekommt, neben den zugedröhnten Halbstarken in ihrer Sowjet-Karosse über Schlaglöcher-Strassen durch die weiten ga-
lizischen Felder und zusammengeflickten Dörfer zu holpern. Was dieses Buch nicht nur zu einem unterhaltsamen, sondern zu einem relevanten, wichtigen macht: Wie in «On the Road», wie in «Fear and Loathing» sind die Eskapaden der Figuren nicht einfach Exzess, sondern immer auch die Suche nach einem Platz in der Gesellschaft. Und damit eine Analyse derselben. «Den Osten gibt es nicht», philosophiert der Halb-Ukrainer-halb-Pole Taras auf LSD und reisst damit eine gleichermassen kluge wie überdrehte Diskussion über die Beziehung der beiden Länder, über die Spannungen zwischen Ost und West und die Orientierungslosigkeit der ehemaligen Sowjet-Staaten nach dem Zusammenbruch der UdSSR an. Nicht nur Lukasz und seine Freunde suchen nach ihrem Platz in der Welt, auch ihre Nationen tun es. Persönlich habe ich mit Osteuropa herzlich wenig zu tun. Polen, die Ukraine oder die Slowakei – für mich war das immer irgendwie dasselbe. Dank «Mordor kommt und frisst uns auf» habe ich begriffen, wie ignorant diese Ansicht war. Und hatte verdammt viel Spass an diesem Lernprozess.
Ziemowit Szczerek
Mordor kommt und frisst uns auf Voland & Quist, 2017. 240 S. ISBN: 978-386-391-172-0
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AM TRESEN
Lasst uns träumen. Von Kaffeebohnen und dem Geräusch, wenn sie zermalmt und überbrüht werden, von Croissant-Wärme und allgemeiner Euphorie. Stellen wir uns
vor, wir sitzen an einem Tischlein am Fenster, schauen raus und wissen, s’Städli ist irgendwo dort draussen, snoozt sich gerade wach. Und wir gehören zu den wenigen Lässigen, die um diese Uhrzeit in den Tag starten, wie es uns die Nutella-Werbung vormacht: mega glücklich. Stel-
len wir uns vor, jemand bringt uns den frischgebrühten Kafi und die drei molligen Gipfeli an den Tisch. Und dieser jemand ist nicht der Papi oder das Girlfriend oder der übertrieben nette Mitbewohner, sondern jemand vom Bäckerei-Personal. Können wir haben! An fast jeder Ecke in Olten. Was Zürich hat, hat Olten schon lange. Vielleicht ist die Kaffee-Maschine nicht so teuer, die Bohnen nicht so Fairtrade, das Interieur mit weniger Marmor, dafür mit mehr Kunststoff. Aber hey: Hauptsache, auch wir können in einer Bäckerei Schrägstrich Coffeeshop sitzen und alles auf einmal haben, frühmorgens, bevor es so richtig los geht im Städtli.
Bäckerei Cusumano (ab 8 Uhr) Felber (ab 6.30 Uhr) Pino (ab 5.45 Uhr) Wälchli (ab 6 Uhr) linke Stadtseite
Solothurnerstrasse 17
4600 Olten
WO SPIELT DIE MUSIK?
John Dwyer hat einiges drauf. Er ist Sänger, Songwriter und spielt mehrere Instrumente. Vor allem ist er bekannt als Frontmann der Band Thee Oh Sees. Daneben ist er Künstler und malt Comic-ähnliche Bilder, in denen er mit Motiven aus Horrorfilmen spielt. Zusammen mit zwei Partnern gründete er 2003 in Kalifornien das Label Castle Face Records. Die Musik des Labels geht mehrheitlich in eine Richtung, die Dwyer seit 1997 durchzieht: Rock, und zwar möglichst Lo-Fi und experimentell. Oft erinnert die Musik der «Castle Face Records»-Bands stilistisch an Surf-Garage. Zum Label gehören Bands wie Ty Segall und White Fence, die zusammen mit Thee Oh Sees international als die Avantgarde dieses Genres angesehen werden kann. (ud)
MOST WANTED
Jugendbibliothek Die Kinder-Sachbuchreihe
«Wieso? Weshalb? Warum?» hat dank eines patentierten Stifts mit integriertem Lautsprecher die digitale Revolution bestens überstanden: Stift auf die Buchseite pressen, und es erklingt ein Song, eine Stimme oder sonst ein Geräusch. Der Band hat in der Jugendbibliothek aktuell die meisten Reservationen. Tatütataaa!
«Feuerwehr»
Stadtbibliothek
Elena Ferrante gibt’s zwar nicht, aber ihre vierbändige «Neapolitanische Saga» verkauft sich millionenfach. Dementsprechend lang ist die StadtbibliothekWarteliste für den Band 4,
«Die Geschichte des verlorenen Kindes». (nb)
www.castlefacerecords.com
062 213 94 44
info@schuhlerch.ch
Interview von Karola Dirlam Fotos von Yves Stuber
Zwei Neuentdecker Rosetta Niederer und Roland Kissling haben in jahrelanger Arbeit alles zusammengetragen, was bisher zur Stadtgeschichte Oltens erforscht wurde – und weitergeforscht. Die Ergebnisse präsentieren sie nun in Form einer neuen Stadtführung-Reihe. Der Archäologe, Historiker und Genealoge und die Oltner Stadtführerin berichten im Gespräch mit KOLT von verlorengehendem Wissen und dem bisher unentdeckten Oltner Kulturgut.
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Olten zu erforschen ist für die beiden mehr als Hobby: Roland Kissling und Rosetta Niederer.
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oland Kissling, Sie haben schon während Ihres Studiums verschiedene Archive zur Geschichte Oltens durchforstet. Wie lange haben Sie über unsere Stadtgeschichte geforscht? Roland Kissling: Zwischen 1984 und 1986 habe ich während meines Studiums für eine Bachelor-Arbeit mit dem Titel «Die Forschungsgeschichte des römischen Olten» die Geschichte von Olten aufgearbeitet. Damals habe ich mich auf die Antike konzentriert und alles zusammengetragen, was jemals zur Stadtgeschichte erforscht und aufgeschrieben worden ist. Im letzten Jahr habe ich nun noch die Forschungsgeschichte der Stadt Olten von 1986 bis in die Gegenwart aufgearbeitet. Rosetta Niederer hatte mich darauf aufmerksam gemacht, dass an diesem Thema auch die heutigen Einwohner von Olten Interesse haben könnten, und hatte mich gebeten, die besagte Aufarbeitung vorzunehmen.
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Als Historiker arbeiten Sie mit dem prosopografischen Forschungsansatz und stellen Menschen wie Sie und mich ins Zentrum. Warum diese Spezialisierung? Roland Kissling: Wir haben in der Schule die Geschichte anonym gelernt. Wir mussten stur irgendwelche Daten auswendig lernen, und es ging um Kaiser und Könige. Ich will den Normalbürger in den Mittelpunkt stellen. Das war nämlich derjenige, der in der Schlachtreihe zuvorderst stand und für die Kaiser und Könige den Kopf hinhielt. Das sind unsere Vorfahren, das sind die normalen BürgerInnen, und die sollen an die Oberfläche der Geschichte geschwemmt werden. Über die wollen wir etwas wissen, denn sie sind die eigentlichen GeschichtsträgerInnen. Sie haben das «Büro für individualisierte historische Forschungen (BihF)» gegründet und sich abseits vom akademischen Betrieb selbstständig gemacht. Sind Sie ein Eigenbrötler?
Roland Kissling: Ich war in meiner archäologischen Karriere zweimal Zeuge von Manipulationen. Das hat mich tief getroffen und gekränkt, weil ich damals wie heute mein Herzblut für die Aufarbeitung der Vergangenheit gebe. In der Zwischenzeit weiss die ganze Welt, dass nicht immer ehrlich gearbeitet wird, und zwar in allen Sparten. Man hört und liest immer wieder, dass Doktorarbeiten gekauft werden und sich Leute irgendwelche Titel aneignen, die sie eigentlich nicht verdient haben. Will man objektive Forschungsresultate erzielen, muss man unabhängig Forschung betreiben können. Dazu gehört eine absolute Transparenz. Durch die Abgabe sämtlicher archivarischer Quellen in fotografischer Form wird einerseits mein Leistungsnachweis sichtbar, andererseits meine Forschungsresultate transparent und nachvollziehbar. Ich bin also durchaus – in einem positiven Sinne – Eigenbrötler, aber um der Objektivität möglichst uneingeschränkt nahezukommen. Diese Objektivität versuche ich bei Vorträgen an das Publikum weiterzugeben, sodass es davon profitieren kann. Wo finden sich Quellen über Olten? Roland Kissling: Die Quellen über Olten lagern in verschiedenen Archiven, zum Beispiel im Stadtarchiv Olten, im Staatsarchiv Solothurn, in Stadt- und Staatsarchiven anderer Kantone, in Klosterarchiven, in Bischofsarchiven, in den Vatikanischen Archiven in Rom und im Habsburger Archiv in Wien. Dann gibt es aber auch noch die «Bodenarchive», das heisst, Wissen, das im Boden lagert. Durchgängiges Thema in allen Ihren Vorträgen und Führungen ist das Wissen über die Vergangenheit. Wie ist diesbezüglich der aktuelle Stand in Olten? Wer ist zuständig für die Erforschung und die Bewahrung dieses vergangenen Wissens? Roland Kissling: Es geht darum, das Wissen zu bewahren, welches verloren zu gehen droht. Im ersten Vortrag erklären wir, welche Behörden wofür zuständig sind und was im Gesetz steht. Und wir sprechen auch darüber, wie man gewisse Fehler vermeiden kann. Allerdings kann auch fehlendes Geld zur Verzögerung der Publikation von Wissen führen. In Depots und Museen lagern unzählige Funde, die noch nie ausgewertet wurden. Einige davon haben wir nun ausgewertet. Wir
haben neue Rückschlüsse gezogen und werden in unseren Vorträgen und Führungen darüber berichten. Rosetta Niederer: Kulturgut und -erbe ist nicht nur Behördenangelegenheit. Kulturgut gehört uns allen. Wir tragen als Bevölkerung, als EinwohnerInnen dieser Stadt auch Verantwortung für unser Kulturgut. In der Vorankündigung zur Reihe steht, dass Sie in Ihren Vorträgen und Führungen auch einige Dinge präsentieren werden, die bisher noch nicht bekannt sind. Roland Kissling: Ja, das stimmt. Wir werden zum Beispiel den Versuch wagen, die spätrömische Befestigungsanlage Oltens zu datieren. Ebenso werden wir uns zum spätrömi-
«Kulturgut gehört uns allen. Wir tragen als Bevölkerung, als EinwohnerInnen dieser Stadt auch Verantwortung für unser Kulturgut.» schen Gräberfeld äussern. Wir haben auch eine digitalisierte Fund-Verbreitungskarte erstellt, die in dieser vollständigen Form neu ist. Mehr wollen wir nicht verraten. Was ist das Besondere an Oltens Geschichte? Rosetta Niederer: Olten wirkt unscheinbar und gibt erst beim zweiten Mal Hinschauen mehr preis als das, was offensichtlich ist. In Olten wurde der Grundstein für viele geschichtliche Begebenheiten gelegt. Ein Beispiel ist der Ausruf zur Volkssouveränität für den Kanton Solothurn. Nur wenige wissen, dass das noch immer bei Jugendlichen bekannte Schweizerische Jugendschriftenwerk
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Rosetta Niederer (54) motivierte Roland Kissling dazu, die Oltner Geschichte weiter aufzuarbeiten. Sie ist in Olten geboren und aufgewachsen und seit fünfzehn Jahren eine mehr als stadtbekannte, ausgewiesene Stadtführerin, die das Talent besitzt, durch ihr Fachwissen das historische Interesse für die Stadt Olten zu wecken.
in Olten gegründet wurde, oder dass Anna Heer, die berühmte Schweizer Ärztin und Gründerin der ersten Pflegerinnenschule in Zürich, aus Olten stammte und hier aufgewachsen war. In der Schule lernen wir, was auf dem Lehrplan steht. Für die alte Geschichte der eigenen Stadt interessieren sich doch nur pensionierte Leute. Was halten Sie von diesem Vorurteil?
Roland Kissling (57) ist Archäologe, Historiker und Genealoge.Von 1984 bis 1986 und 2017 trug er das Wissen der antiken Funde von Olten zusammen. Im Jahr 2000 gründete er das «Büro für individualisierte historische Forschungen (BihF)» (www.myhistory.ch), das europaweit Forschungsaufträge bearbeitet. Roland Kissling verfolgt einen prosopografischen Forschungsansatz, d.h. die Privatperson steht im Zentrum der Forschung.
Rosetta Niederer: Das stimmt nur zum Teil. Bei Führungen für SchülerInnen stelle ich immer wieder fest, dass Kinder und Jugendliche einen anderen Zugang zur Geschichte haben. Man kann sie durchaus dafür begeistern. Entscheidend ist die Frage, wie wir Wissen an die Interessierten heranbringen. Ich würde also nicht grundsätzlich sagen, dass Jugendliche kein Interesse haben. Als Erwachsener weiss man jedoch, dass gewisse Themen mit er Reife wachsen.
«Will man objektive Forschungsresultate erzielen, muss man unabhängig Forschung betreiben können. Dazu gehört eine absolute Transparenz.»
«Von der Keule bis zum Smartphone» ist der Titel der Reihe. Was kann ein Smartphone über die Geschichte Oltens erzählen? Rosetta Niederer: Mit dem Smartphone können wir heute Olten sehr gut entdecken. Es gibt verschiedene Apps, mit denen man die Stadt literarisch oder kulinarisch durchforsten und kennenlernen kann. So schnell waren Informationen in der Keule-Zeit sicher nicht verfügbar. Und jüngst hat ein Freund meines Sohnes einen Geocache entwickelt, mit dem man durch die verschiedenen Epochen der Oltner Stadtgeschichte reisen kann.
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Sie haben viel Zeit und Geld in Ihr gemeinsames Projekt investiert. Was ist Ihr Lohn? Rosetta Niederer: Pure Leidenschaft. Ich bin in Olten geboren und aufgewachsen, habe mich mit vielem, was hier geschieht, auseinandergesetzt und mich immer wieder mit der Stadtgeschichte befasst. Mein persönlicher Lohn ist, den Leuten die Geschichte dieser Stadt näher zu bringen, ihnen Mitverantwortung und Sensibilität zu vermitteln, aber auch die Freude und Bereicherung teilen zu dürfen, die sie dabei erfahren. Das motiviert mich am meisten. Dafür haben wir unsere Abende, Freizeit, Wochenenden und Ferien gegeben. Roland Kissling: Wir haben in dieses Projekt einen fünfstelligen Betrag investiert. Unser Zeitaufwand ist gratis, das Herzblut, das wir geben, ist gratis, weil wir leidenschaftliche Forscher sind, welche die Öffentlichkeit daran teilhaben lassen wollen. Frau Niederer, Sie machen bereits seit 15 Jahren für Tourismus Olten Stadtführungen. War Ihnen das nicht genug? Rosetta Niederer: Stadtführungen zu machen, ist eine Herzensangelegenheit. Die Menschen spüren das. Und solange ich den Menschen damit Freude bereite, ist es gut. Forschend arbeiten ist etwas ganz anderes. Wie wird dem Tourismus-Büro Ihre Idee gefallen? Schliesslich bringen Sie beide jetzt quasi ein Konkurrenzprodukt auf den Markt. Rosetta Niederer: Ich hoffe, sie wird den Verantwortlichen von Tourismus Olten gut gefallen, denn sie ist eine Bereicherung und gemäss meinem Verständnis in keiner Weise ein Konkurrenzprodukt, ganz im Gegenteil: Es ist eine Vortragsreihe, die auf wissenschaftlichem Wissen basiert. Es ist Forschung, Archivarbeit, archäologische, historische Arbeit, welche die Stadtgeschichte von einer anderen Seite beleuchtet. Roland Kissling: Wir haben die Forschungen selbst durchgeführt, selbst Schlüsse gezogen und werden diese in Vorträgen und Führungen präsentieren. Für das, was wir machen, hat Olten Tourismus weder Kompetenzen noch Ressourcen. Es ist aber auch nicht der Auftrag von Olten Tourismus, Forschungen und deren Auswertung zu betreiben. Folgerichtig konkurrenziert unser «Produkt» die Arbeit von Olten Tourismus in keiner Weise.
«Olten und seine Einwohner – von der Keule bis zum Smartphone» heisst eine neue historische Vortragsreihe, die mit Stadtführungen kombiniert wird. Los geht’s mit: «Was kümmert mich die Vergangenheit!» Vortrag, Montag, 12. März, 19 Uhr Stadtführung, Sonntag, 18. März 2018, 14 Uhr Die Vorträge finden im Berufsbildungszentrum (BBZ) Olten statt: der erste in der Aula KBS, alle weiteren in der Aula GIBS. Besammlung für die Stadtführungen ist vor der Stadtkirche. Weitere Informationen findest du im aktuellen «Ausgehen in Olten»!
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KILIAN ZIEGLER
NaRr
von Ivan Jenzer
Das Erfinden neuer Tage
«D Heute ist anders als gestern. Irgendwas ist anders. Der Kaffee riecht gleich. Der Kaffee schmeckt gleich. Olivia sitzt mir gegenüber. Olivia nervt sich über Yannick, Yannick, unseren Chef, und bastelt irgendwas in Photoshop, etwas für Social-Media. Doch heute ist anders als gestern, irgendwie ist’s anders, nicht weil Timo gekündigt hat, nicht weil Sascha sich verspätet, es kälter ist als gestern, es kälter ist als vorgestern, vorgestern war Sonntag, Ich lag im Bett und schaute Netflix, eine Doku über die Mafia. «Irgendwas ist anders, anders als gestern», poste ich auf Facebook.
Ivan Jenzer (*1990) lebt in Zürich und macht etwas mit Medien. Er schreibt aber auch richtige Literatur u.a. fürs Narr. www.dasnarr.ch
as wäre doch mal eine gute Idee», sagt mein Verleger und will zum Prosten ansetzen. Wir ignorieren ihn. Wir, das sind Hektor der Lektor (der eigentlich Piet heisst, was sich aber nicht auf Lektor reimt, weshalb er von niemandem so genannt wird) und ich. Wie gerne würde ich einfach still in dieser Chnelle sitzen, trinken und warten, bis mich der Rausch bei der Hand nimmt und sanft in die Sorglosigkeit geleitet. «Ach kommt schon, Leute, ein bisschen Euphorie! Ziegler», mein Verleger schaut zu mir, «gib’s zu, die Idee ist gross.» Kurz zuvor hat er uns, also Hektor, dem Lektor, und mir, weismachen wollen, dass wir in der Schweiz einen neuen Feiertag bräuchten und er, der Verleger, diesen eigenhändig erfinden, ausarbeiten und einführen wolle. Mein Verleger und seine Ideen! Sein Anliegen ist wie ein nichtgelochtes Blatt Papier: Ich kann es nicht einordnen. (Natürlich kann man auch nichtgelochtes Papier einordnen, wenn man nämlich diese äusserst praktischen Klarsichtmappen mit eingearbeiteten Löchern auf der Seite verwendet, aber das sei an dieser Stelle zu Gunsten der sonst schönen rhetorischen Figur zu vernachlässigen.) «Und was willst du genau feiern?», tu ich meinem Verleger den Gefallen und frage nach. «Ja, alles! Das Leben, die Liebe, die... ehm... alles, eben. Das Wort Feier stammt ja von fire, also Feuer auf Englisch, und das ist, was uns Schweizern, und auch Schweizerinnen natürlich, fehlt: das Feuer! Die Leidenschaft! Wir sind viel zu brav, sind unnötig reserviert und höflich. Ein Feuer empfinden wir höchstens, wenn wir ein leeres Viererab-
teil im Zug ergattern. Am Fronleichnam frönt man dem Leichnam, an meinem Tag frönen wir den Lebendigen, darf ich vorstellen: Fronlebnam.» Mein Verleger wartet auf Applaus, als keiner kommt, senkt er enttäuscht den Kopf. «Fron kommt nicht von frönen!», sagt der sonst schweigsame Hektor, der Lektor, der es von Berufes wegen gewohnt ist, andere zu korrigieren. Ich schlage mich auf seine Seite: «Nur ungern spiele ich den Partybremser, den Tischbomben-Entschärfer, aber es gibt schon viel zu viele Festtage. Laut Facebook war gestern der Tag der alleinerziehenden Delfine. Ausserdem braucht man zum Feiern doch nicht eigens einen Tag, feiern kann man immer. Ich verstehe schon die nicht, die extra eine Fasnacht brauchen, um zu trinken.» Mein Verleger schaut traurig in sein Bier, und ich denke, Freud und Leid sind wie Verliebte in einem Einzelbett: Sie liegen nahe beieinander. (Natürlich kann man auch in einem Doppelbett nahe beieinander liegen und auch, wenn man nicht verliebt ist, aber das sei an dieser Stelle zu Gunsten der sonst schönen rhetorischen Figur zu vernachlässigen.) Es sollte einen Feiertag geben, an dem es okay ist, nicht zu feiern, an dem man einfach in einer Chnelle sitzen, trinken und schweigen kann. Hektor der Lektor nickt, als wüsste er, was ich gerade denke.
«Mein Verleger und seine Ideen! Sein Anliegen ist wie ein nichtgelochtes Blatt Papier: Ich kann es nicht einordnen.»
Ende Feuer Kilian Ziegler PS: Eine Spelunke, die Fast-Food serviert, nennt man übrigens Schnelle-Chnelle.
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Die Gegenreformation in der Schweiz 2011-2018 durch Marlies Lehmann
von Anaïs Meier (Text) und Petra Bürgisser (Illustration)
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eit gut fünfhundert Jahren ist der Streit zwischen Katholizismus und Reformation ein wichtiger Grundpfeiler Schweizerischer Kultur; dies unter anderem dank Menschen, die für ihre Konfession aktiv einstehen, Personen wie Marlies Lehmann. Ihren Initiationsmoment hatte Lehmann 2011, als sie mit ihrer Trachtengruppe das Fraumünster in Zürich besuchte. Während die Kolleginnen staunten und munter über Trachten plauderten, erstarrte Lehmann. Ihre Kolleginnen erschienen ihr als naive Ketzerinnen, wie sie, alles Katholikinnen, dastanden und eine reformierte Kirche lobten. In der Folge zog sich Lehmann mehr und mehr zurück. Sie begann die reformierten Kirchen in ihrer Gegend aufzusuchen und in deren Gästebücher zu schreiben. Manchmal waren ihre Worte versöhnlich; dann beschrieb sie den Glanz und die spirituelle Strahlkraft, welche die Kirche in vor-
lersee entlangtuckerte, wurde ihr plötzlich gewahr, dass sie die führende Gegenreformatorin der Gegenwart in der Schweiz war. Diese Erkenntnis löste in ihr nicht mehr als ein mildes Schmunzeln aus. Ob sie eines Tages in den Geschichtsbüchern geehrt oder vom Papst geadelt werden wird, ist ihr unwichtig. „Eben eine typische Katholikin“, denkt sie und zwinkert ihrem Spiegelbild im Zugfenster schelmisch zu.
reformatorischen Zeiten gehabt hatte. Dann wieder sprach der Zorn Gottes aus Lehmanns Kugelschreiber, und sie schilderte die Qualen, die Maria und Jesu erleiden mussten, während ihre Bildnisse von bösartigen Reformatoren weggerissen, geschändet und verbrannt wurden. Bald lohnte sich für Lehmann der Kauf eines Generalabonnements 2. Klasse Senioren. Einmal, als sie, trotz innerer Aufruhr, gemütlich dem Bie-
Anaïs Meier, *1984 in Bern, studierte Film und Medien sowie Literarisches Schreiben in Ludwigsburg und Biel. Mitbegründerin «Büro für Problem» in Basel und «Material – Raum für Buchkultur» in Zürich. Organisatorin der Literaturveranstaltung «U.Lässig».
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«Die Prozesse, die hinter den Kulissen abliefen, haben wir nie gecheckt» Soll die Stadt eine Kulturfachstelle schaffen? Am 4. März stimmt Olten über diese Frage ab. Rainer von Arx kennt die Oltner Kulturlandschaft aus jeder Perspektive: Seit 20 Jahren macht er als Ehrenamtlicher Kultur in Olten, und als Vizepräsident des kantonalen Kuratoriums für Kulturförderung hat er 12 Jahre lang Kunstschaffende gefördert. Interview von Nathalie Bursać
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ainer von Arx, du wohnst heute in Hägendorf und darfst am 4. März nicht über die Oltner Kulturfachstelle abstimmen. Trotzdem, damit die Fronten klar sind: Pro oder kontra? Ich würde die Initiative annehmen. Die Kulturfachstelle ist umstritten – im Oltner Tagblatt stand, dass sich nicht einmal die Oltner Kulturszene einig sei. Kannst du das bestätigen? Nein. Ich weiss von sehr vielen Ehrenamtlichen, die für eine Kulturfachstelle sind. Mit «ehrenamtlich» meine ich die Leute, die in Olten mit Ticket-Einnahmen und Fundraising ihre Kulturprojekte durchbringen müssen. Aber da wären der Schriftsteller Alex Capus oder der Künstler Christoph Schelbert. Letzterer war viele Jahre Mitglied in der Oltner Kulturförderkommission. Beide liessen sich im Oltner Tagblatt zitieren, dass sie gegen die Fachstelle seien. Genauso wie Fritz Schär, Stiftungsratspräsident bei der Oltner Rentsch Kultur Stiftung, der dies in einem Leserbrief kundtat. Ich denke, dass diese Personen über andere Möglichkeiten und eine gute Vernetzung verfügen, als die meisten. Vielleicht muss in Capus’ Bar Galicia nicht jeder Anlass kostendeckend sein – oder die kulturellen Veranstaltungen lassen sich mit den Einnah-
men der Bar querverrechnen oder auch mal anders finanzieren. Seit ich Kultur «mache», habe ich nie Geld damit verdient, sondern als Ehrenamtlicher dafür gesorgt, dass ich wenigstens nicht noch eigenes Geld ausgeben musste – nebst dem, dass ich gratis arbeitete und privat viel Zeit investiere. Viele Ehrenamtlichen wären froh um diese Kulturfachstelle. Die Stelle wäre aber auch für die Stadt wichtig, damit intern ein Kulturprofi als Ansprechperson verfügbar ist. Wie hoch ist der Anteil der ehrenamtlichen Kultur in Olten? 80 bis 90 Prozent. Diese Zahl klingt hoch gegriffen. Ja wer ist denn angestellt in der Oltner Kulturlandschaft? Da wäre das Personal des Stadttheaters, der Museen. Dazu zählen könnte man noch die Kulturanlässe der Musikschule oder der Kirchen. Den ganzen Rest leisten Freiwillige. Ich bin Künstlerischer Leiter bei den Oltner Kabaretttagen. Für meine Spesenentschädigung würde kein Kulturmanager arbeiten. Doch genau das zeichnet die Kultur auch aus: dass Ehrenamt gelebt wird. Wer Kunst oder Kultur machen will, macht sie doch, egal wie schwierig die Umstände sind, sagen die GegnerInnen der Initiative. Ich bin auch überzeugt, dass ein Teil der Kultur sowieso pas-
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siert. Einige Leute konnten sich gute Rahmenbedingungen schaffen und ihre Veranstaltungen etablieren. Doch diejenigen – und damit meine ich nicht nur die Jungen – die zum ersten Mal eine Kulturveranstaltung machen wollen, sind überfordert. Wie kommen sie zu Geld? Wie kommen sie zu Unterstützung durch den Werkhof oder Olten Tourismus? Das sind wichtige Fragen. KünstlerInnen gibt es genug, aber sie brauchen KulturvermittlerInnen, die ihnen Informationen liefern und Plattformen schaffen. Wenn es wenige VermittlerInnen gibt, gibt es auch wenig Kultur. Können sich Kunst- und Kulturschaffende wirklich nicht selber helfen? Ich musste feststellen, dass die meisten nicht wissen, wie ein Kulturgesuch auszusehen hat, oder wann sie es wo einreichen müssen. Woher auch? In Olten gibt es keine offiziellen Informationen dazu, wie ein Gesuch erstellt werden muss, welche Zahlen die Stadt gerne sehen will. Die Folge davon ist, dass die eingereichten Gesuche sehr handgestrickt daherkommen. Ich habe neben meiner ehrenamtlichen Kulturtätigkeit viel Zeit investiert, um Leuten beim Schreiben eines Gesuchs zu helfen und erhielt im Gegenzug dafür vielleicht einen Kaffee. Doch ich bin der Meinung, dass eine professionell verwaltete Stadt wie Olten diese Leistung
erbringen muss, so wie es auch andere Schweizer Städte tun. Die Stadt kann von einer Kulturfachperson profitieren: durch Vernetzungen mit anderen Städten, dem Kanton oder Stiftungen. Wie haben es denn die Neulinge bisher ohne Kulturfachstelle geschafft? Sagen wir es so: Die Einstiegshürde ist sehr viel höher ohne Kulturfachstelle. Man muss «nur» irgendwie in die wichtigen Kreise hineinkommen und hoffen, dass einem die richtigen Leute helfen. Man darf nicht vergessen, dass die Stadt Olten bis vor Kurzem eine engagierte Kulturförderkommission hatte. Deren Mitglieder waren in der Szene unterwegs, prüften die Gesuche und sprachen Kulturfördergelder. Jetzt entscheidet der Stadtrat. Seit 20 Jahren machst du Kultur in Olten. Wie hast du die Zusammenarbeit mit der Stadt erlebt? Du bist offenbar mit den wichtigen Leuten per du. Als art i.g. sind wir mit der JugendArt und den Poetry Slams auf guten Boden gekommen. Zu Beginn wurden wir aber eher belächelt. Wir erarbeiteten uns unsere Stellung Stück für Stück, indem wir gute Anlässe veranstalteten, aber auch durch Networken an Apéros. Mit der Zeit konnten wir den damaligen Stadtpräsidenten, Ernst Zingg, anrufen und fragen, ob wir vorbeikommen und unser Projekt vorstellen dürfen. Die Prozesse, die hinter den Kulissen abliefen, haben wir nie gecheckt. Wie wird zum Beispiel ein Gesuch beurteilt? Ich nahm die Stadt Olten immer als wichtige Unterstützerin wahr, habe aber nie genau verstanden, wie die Abläufe funktionieren. Zum Beispiel hiess es, dass die Kulturförderkommission nur KünstlerInnen unterstütze und nicht Veranstaltende. Woher unser Geld also kam, habe ich ehrlich gesagt nie richtig verstanden. Früher hiess es einfach immer: «Der Stadtpräsident Ernst Zingg hat irgendwo noch ein Kässeli.» Das ist auch nicht weiter tragisch, aber ich würde solche Systeme gerne verstehen. Doch wer fragt da schon kritisch nach, wenn er sein Geld ja bekommt? Das ist so. Hätte rückblickend eine Fachstelle Kultur deine Arbeit erleichtert? Koordination, Beratung und Hilfe beim Organisieren hätten extrem viel gebracht. In Olten musst du viele Informationen zusammensuchen, die Kommunikation ist oft nicht klar. Wir haben Ende letzten Jahres ein Gesuch eingereicht, doch bis heute kam noch keine Rückmeldung. Doch man will als Gesuchsteller ja nicht Druck machen. Christoph Schelbert, lange Präsident der Oltner Kulturkommission, sagte im Oltner Tagblatt, er wolle nicht, dass eine Fachstelle den Oltner Kulturschaffenden dreinrede. Ich verstehe diese Stimmen aus der Kulturszene. Doch die Per-
son, welche die Kulturfachstelle bekleidet, sollte Fachkompetenzen besitzen, in der Szene verankert sein, Rahmenbedingungen im Hintergrund schaffen und Unterstützung bieten. Und so steht es auch im Stellenprofil. Somit wäre die Angst bezüglich «reinreden» für mich nicht gerechtfertigt. Zu definieren, was Kultur ist und welche Kultur in Olten sinnvoll ist, das ist nicht Aufgabe der Kulturfachstelle. Ich sehe sie als unterstützendes Organ und als Vertretung der Fachkompetenz für Kultur im Stadthaus. Warum muss eine Behörde diese Aufgaben übernehmen? Diese Frage stellen auch Leute aus der Kulturszene. Warum muss ein Verkehrskonzept von einer Fachperson beurteilt werden? Warum muss ein Profi ein Raumkonzept beurteilen? Wir
«Zu definieren, was Kultur ist und welche Kultur in Olten sinnvoll ist, das ist nicht Aufgabe der Kulturfachstelle.» haben für alle Bereiche Fachpersonen, wie etwa in der Sportkoordination, der Stadtentwicklung oder dem Tourismus. Ein Kulturgesuch hingegen wird von Angestellten – oder im Fall von Olten: PolitikerInnen – bearbeitet, die vielleicht andere Prioritäten und Interessen haben. Im Kuratorium entschieden wir über Kunst am Bau und erhielten dafür ein bescheidenes Sitzungsgeld, die Fachperson, welche das Gebäude aufgrund anderer Kriterien beurteilte, verdiente das Zehnfache. In anderen Bereichen ist es klar, dass eine Fachperson beigezogen wird. Warum nicht auch in der Kultur? Inwiefern hängt Kulturförderung auf kommunaler Ebene mit derjenigen auf der kantonalen zusammen? Der Kanton Solothurn kennt die sogenannte subsidiäre Förderung. Sprich: Der Kanton darf nur dann Geld sprechen, wenn die Standortgemeinde ein Projekt unterstützt. Der Kanton achtet darauf, ob die Standortgemeinde angefragt wurde und wie diese entschieden hat. Das ist matchentscheidend. Es kann auch vorkommen, dass der Kanton Geld spricht und gleichzeitig wünscht, dass die Gemeinde dies auch tut.
KOLT
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Heute bist du u.a. künstlerischer Leiter bei den Kabarett-Tagen Olten. Eine etablierte Veranstaltung, die von der Stadt subventioniert ist. Ist die Kulturfachstelle ein Thema? Wir haben die Initiative diskutiert. Grundsätzlich sind wir offen für eine Person, die Kultur vermittelt oder fördert, statt sie zu verwalten. Eine solche Kulturfachstelle ist in unserem Sinn. Macht sich niemand Sorgen, dass eine Kulturfachstelle etablierte Veranstaltungen wie die Kabarett-Tage plötzlich anders gewichtet und sie in Frage stellt? Diese Angst habe ich persönlich nicht. Letztendlich zählen die kulturelle Qualität und der Stellenwert, welche eine Veranstaltung wie die Kabarett-Tage hat. Würdest du dich bewerben, käme die Initiative durch? Deine Person passt zum Stellenprofil. Es haben mich schon Leute darauf angesprochen. Also muss etwas dran sein. Aber ehrlich gesagt: Ich bin seit fünf Jahren selbstständig, und das gefällt mir gut so. Wieder in eine Anstellung zu gehen, kommt für mich aktuell nicht in Frage. Und vor fünf Jahren? Vielleicht ja. Ich finde diese Aufgabe total spannend. Ich überlege mir nur, ob eine 60 %-Stelle von einer einzelnen Person abgedeckt werden soll, oder ob nicht ein Teil des Mandats bei der Kulturlobby «Pro Kultur Olten» oder im Kulturzentrum Schützi angesiedelt werden könnte. Ist Olten nicht sowieso zu klein für eine Kulturfachstelle mit einem 60 %-Pensum? Nein. Nebst dem alltäglichen Geschäft wird diese Person mit Projektarbeit für die nächsten drei Jahre sehr gut ausgelastet sein. Die Stadt möchte ein neues Kulturkonzept sowie ein Konzept für Kunst im öffentlichen Raum erstellen lassen. Auch muss dringend die Leistungsvereinbarung mit der Schützi neu verhandelt werden – da gibt’s genug zu tun.
Rainer von Arx, 43, wuchs in Hägendorf auf und ist seit 1997 Vorstandsmitglied bei der Plattform für Kunst und Kultur art i.g., welche u.a die erfolgreiche Poetry Slam-Reihe «laut&deutlich» organisiert oder die Ausstellung für junge Kunst, JugendArt, aufgebaut hat (welche heute als JKON weitergeführt wird). Er arbeitet als eidg. dipl. Betriebsausbilder und Coach und Persönlichkeitsberater für Einzelpersonen, Firmen und Institutionen. Von 2005 bis 2017 war er Vizepräsident im Kuratorium für Kulturförderung des Kantons Solothurn, dem beratenden Organ für Kulturfragen des Solothurner Regierungsrats. Seit letztem Jahr ist er künstlerischer Leiter bei den Kabarett-Tagen Olten.
DER KOLTIGE MONAT
D
ieses Bild hat Yves, unser KOLT-Herausgeber und -Bildchef, mit seinem iPhone gemacht, als er am 14. Februar auf dem Weg Richtung Fachhochschule zu Professorin Künzi war, um sie für das Gespräch im aktuellen «Ausgehen in Olten» zu fotografieren. Von der alten Brücke nach unten geblickt («herabschauender Hund» – «adho mukha svanasana»), gestutzt und beim Anblick der beiden verrenkten Gestalten insgeheim gedacht: «Machen die jetzt schon spezielle Yoga-Kurse im Freien bei unter-Null-Temperaturen?» Nein, es war der von ihm beauftragte Fotograf Michael Isler, der wiederum Regula Ritz vom «Yogagarten» für unsere Titelgeschichte fotografierte. Regula macht nicht den Affen, aber sonst so ziemlich jedes mögliche Tier vom Fisch (matsyasana) über den Adler (garudasana) und der Kobra (bhujangasana) bis zum Kamel (ushtrasana) und der Taube (ardha rajakapotasana). Man sieht es ihr und den Bildern nicht an, dass sie sich nach jedem Sujet gleich wieder aufwärmen musste und dass die nackten Füsse nicht ganz so locker auf dem Boden standen, wie die Bilder vermuten lassen. Regula ist im Yoga Raum Olten bei Catherine Müller an der Leberngasse eingemietet und somit jeweils am Donnerstag unsere geschätzte Nachbarin, und neu auch: Model. Danke, Regula («Friedvoller Krieger» – «shakti warior»)! Danke Michi («Aufschauender Hund» – «urdhva mukha svanasana»)!
Om Shanti Dein KOLT P.S.: Am Tag darauf hat’s geschneit.
KOLT
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Dr. med. Marion Kritikos Leitende Ärztin Venenheilkunde
Informationsveranstaltung Dienstag, 20. März 2018
Schöne Beine: Was kann die Venenheilkunde tun? Ort .................... Hotel Arte Riggenbachstrasse 10, 4600 Olten Beginn ..............18.30 Uhr, Dauer ca. eine Stunde Anmeldung ...... unter www.pallas-kliniken.ch/infoveranstaltung oder Telefon 058 335 00 00 Wir freuen uns, Sie bei uns zu begrüssen! Pallas Kliniken AG • info@pallas-kliniken.ch • www.pallas-kliniken.ch
Bruce Nauman DISAPPEARING ACTS 17. MÄrz – 26. August 2018
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