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Fertig mitgespielt: Stadtrat Savoldelli und der EHCO
«Rätselhaft wie ein Traum»
Seite 26
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Das Einkaufszentrum Sälipark in Olten ist wie ein eingespieltes Orchester: Vielseitig, engagiert und mit viel Personality. Lassen Sie sich also von den Good Vibrations begeistern.
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EDITORIAL April 2017
Liebe Leser_innen
Wenig Überredungskünste benötigten wir auch bei Nora Zukker, die auf Seite 12 über ihren Besuch des Schweizer Schriftstellerwegs schreibt. Es ist ja immer so eine Sache: Wie bringt man Leute von ausserhalb dazu, sich für eine Reportage über Olten fernab aller Olten-Klischees nach Olten zu begeben? Die Antwort: indem man die richtigen Leute fragt. Nora Zukker erwischte nicht nur das oltnerischste Wetter, auch sonst lief nicht alles nach Plan. Amüsant ist die Geschichte trotzdem geworden. Ich wünsche euch eine schöne Lektüre. Nathalie Bursać
IMPRESSUM VERLAG / HERAUSGEBER Verlag 2S GmbH, Leberngasse 17, 4600 Olten, verlag@v2s.ch, www.v2s.ch VERLAGSLEITUNG Yves Stuber (ys) REDAKTIONSLEITUNG Nathalie Bursać (nb), redaktion@kolt.ch FINANZEN Matthias Gubler INTERNETAUFTRITT Roger Burkhard LAYOUT / SATZ Christoph Haiderer REDAKTIONELLE MITARBEIT Kilian Ziegler, Marc Gerber, Daniel Kissling, Pierre Hagmann, Ueli Dutka (ud), Franziska Monnerat, Lucas Maisel, Nora Zukker ILLUSTRATION Petra Bürgisser, Anna-Lina Balke, Anita Allemann FOTOGRAFIE Janosch Abel, Yves Stuber KORREKTORAT Mirjam Läubli LESERBRIEFE leserbriefe@kolt.ch, www.kolt.ch/leserbriefe AGENDA agenda@kolt.ch, www.kolt.ch/agenda ABO Jahresabonnement CHF 79.—(inkl. MwSt), Gönnerabonnement CHF 150.— (inkl. MwSt), abo@kolt.ch, www.kolt.ch/abo INSERATE inserate@kolt.ch, www.kolt.ch/inserieren KONTAKT www.kolt.ch, hallo@kolt.ch AUFLAGE 1'800 ISSN 1664-0780 DRUCK Dietschi AG Druck und Medien, Ziegelfeldstrasse 60, CH-4600 Olten. © 2017, Verlag 2S GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung. Die Urheberrechte der Beiträge bleiben beim Verlag. Keine Gewähr für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustrationen.
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Cover fotografiert von Yves Stuber
Manchmal sind es interessierte Menschen, die uns auf interessante Persönlichkeiten hinweisen. Manchmal schnappen wir auf einem Spaziergang durch die Stadt ein Thema auf, oder wir sehen es versteckt hinter einem der vielen Schaufenster. Manchmal lesen wir das Oltner Tagblatt und meinen zu erkennen, wie in einer langweiligen Nachricht eine Magazin-Geschichte durchschimmert. Und manchmal, da landen wir einfach einen Glückstreffer. So war das mit Aysha und Sultan. Die Ursprungsidee: Bauernhof. Warum nicht eine Geschichte schreiben über die Landwirte und Landwirtinnen unserer Region? Ein zufälliger Besuch auf der Homepage des Schlatthofs endete bei einem Bild in der Rubrik «Unsere Tiere». Und da war es: das Kamel. Was macht ein Kamel im Mittelland? Dieser Frage wollten wir nachgehen, und Erwin Ackermann, der Besitzer der Kamele, antwortete auch prompt begeistert auf unsere Anfrage. Auf Seite 26 lest ihr die Geschichte von Aysha und Sultan, die auf dem Schlatthof in Wolfwil leben. Verfasst hat sie der Autor Lucas Maisel. Auf meine E-Mail antwortete er: «Ob ich ein Kamel porträtieren will? Sofort!».
INHALT
6 Im Gespräch Lukas Degen stemmt gerne schwere Gewichte
12 Verabredung in Olten
Die Zürcher Autorin Nora Zukker hat zum ersten Mal den Schweizer Schrifstellerweg besucht. Drei Dates auf Umwegen.
KOLUMNEN
GENUSS 20 Film Der bislang lustigste Film des Jahres
24 NaRr Episode 7
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Kilian Ziegler
Wer braucht schon AC / DC
Wie Klappbares das Leben einfacher machen würde
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25 Petra & Cédric
Musik
18 Auf Tour
Tanga Zoo machen Free-Funk-Noise-Jazz und waren damit in Südafrika auf Tour.
«Die Brücke»
Literatur Ein revolutionäres Mundartbuch
34 Der koltige Monat
STADT
Redaktionssitzung in Milano
11 Meinung Heiss umkämpfte Plakatwände in den Wahlmonaten
26 Zwei Zweihöckrige
Aysha und Sultan leben bei Erwin auf dem Bauernhof. Ein Besuch bei den zwei Kamelen im Mittelland.
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DAS GESPRÄCH
«Ich war schon immer fasziniert von der menschlichen Kraft» Der Oltner Lukas Degen betreibt ein schweres Hobby: Powerlifting. Mit KOLT sprach der 26-Jährige über Gewichte, Kniebeugen und seine Teilnahme an der Europameisterschaft letzten Monat. Interview von Martin Bachmann Porträt von Janosch Abel
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ukas Degen, Powerlifting ist keine alltäglich Sportart; wie kamst du dazu, Gewichte zu stemmen? Ja, es ist eine Randsportart, die ich durch das gewöhnliche Krafttraining entdeckt habe. Vor rund drei Jahren empfand ich zu wenig Ansporn für das reguläre Training. Ich war schon immer fasziniert von der menschlichen Kraft. Man kann sagen, ich bin ins Powerlifting hineingerutscht.
Wie sieht so ein Powerlifting-Training aus? Ich trainiere an vier Abenden pro Woche in der Fitness-Factory in Olten. Das Training selbst variiert stark. Kurz vor einem Wettkampf trainiere ich bis zu drei Stunden mit schwereren Gewichten und lege den Fokus darauf, die Leistung zu steigern und immer schwerere Gewichte zu stemmen, also die sogenannte Wettkampfspezifität zu erhöhen. Ansonsten arbeite ich an der Basis, das heisst, ich baue Kraft mit verschiedenen Übungsvariationen und eher kleineren Gewichten auf; auf diese Weise kann ich weiterhin an meiner Technik feilen und verringere das Verletzungsrisiko. Mit tieferen Gewichten und über mehrere Wiederholungen baut man die Kraft auf, um diese dann unter schwererer Last zu demonstrieren. Welches Gewicht hatte die schwerste Hantel, die du bis jetzt gehoben hast? Im Training habe ich einmal mit 205 Kilos eine Kniebeuge gemacht. Beim Bankdrücken war die Bestleistung bei 127 Kilos und beim Kreuzheben bei 230 Kilos. Was sind die Unterschiede zwischen Kniebeuge, Bankdrücken und Kreuzheben? Beim Kreuzheben liegt die Hantel am Boden und man muss sie aufheben, bis man aufrecht steht. Die Hantel hält man dabei mit nach unten gestreckten Armen fest. Bei der Kniebeuge hebt man die Hantel aus der Halterung, legt sie auf den Rücken, geht einen Schritt zurück und geht dann einmal in die Hocke, bis die Oberflächen der Oberschenkel im Hüftgelenk tiefer sind als die Oberseiten der Knie. Danach steht man wieder auf. Bankdrücken ist wohl die bekannteste Disziplin, da liegt man auf einer Bank und hebt die Hantel aus der Verankerung, senkt sie bis auf die Brust
ab und macht eine Pause, bis das Kommando des Schiedsrichters kommt, die Hantel einmal nach oben zu drücken. Wie sehen die Regeln bei einem Wettkampf aus? Man hat jeweils drei Versuche und man fängt mit etwas Leichtem an, um ohne Diskussion in den Wettkampf reinzukommen. Dann werden die Gewichte immer schwerer, man will ja eine möglichst hohe Leistung erzielen. Es sind immer drei Schiedsrichter auf dem Platz, einer, um das Kommando zum Heben der Hantel zu geben und zwei, die daneben stehen und überprüfen, dass die Übungen regelkonform ausgeführt werden. Zum Beispiel darf die Hantel, sobald sie nach dem Kommando in eine Aufwärtsbewegung gebracht wurde, sich nicht mehr nach unten bewe-
«Mein Ziel war es, mein Bestes zu geben und damit eine Platzierung zu erreichen.» gen, und die Füsse müssen in ihrer ursprünglichen Position bleiben. Mindestens zwei der drei Schiedsrichter müssen den Versuch als gültig erklären, damit er in die Wertung übernommen wird. Das klingt nebst dem körperlichen Training auch nach viel mentaler Fitness, die es braucht, um bei einem Wettkampf erfolgreich zu sein. Ja, sehr! Man braucht viel Konzentration, sowohl während eines Wettkampfs als auch im Training. Im Training ist es allerdings schwierig, Wettkampfbedingungen herzustellen. Da muss man sich in diesen Film reinversetzen, sich die Wettkampfsituation vorstellen und in diesem Moment alles geben. Um noch einmal auf das Gewicht der Hanteln zurückzukommen: Bei welchem Gewicht steigst du
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in einen Wettkampf ein? Bei einer Kniebeuge sind es zwischen 185 und 190 Kilo, beim Bankdrücken zwischen 115 und 120 Kilo und beim Kreuzheben sind es 205 bis 210 Kilo, wobei ich bei Letzterem zwischen zwei und drei Wiederholungen machen kann. Es kommt natürlich auch auf meine Tagesform an; bei einem Wettkampf fängt man lieber etwas tiefer an. Du bist Mitte März nach Dänemark gereist, um an der diesjährigen Europameisterschaft für die Schweiz in der Disziplin Powerlifting anzutreten. Wie ist es dazu gekommen? In der Schweiz läuft das ziemlich unkompliziert, da die PowerliftingCommunity relativ klein und überschaubar ist. Ich habe einfach in meiner Gewichtsklasse von 74 Kilo Körpergewicht an den Vorausscheidungen das nötige Qualifikationstotal erreicht. Insgesamt waren wir zu viert in Dänemark. Aus meiner Gewichtsklasse ist noch ein weiterer Kollege dabei. Wer bezahlte eure Reise nach Dänemark? Es gibt keine Sponsoren für Powerlifting in der Schweiz, wir bezahlen die Reise selbst. Aber ich sehe das nicht so eng, für mich ist das Gewichtheben ein Hobby, eine Passion. Es geht um den Spass, am Wettkampf teilzunehmen und um die Atmosphäre vor Ort sowie das Gemeinschaftserlebnis. Was war dein Ziel für die EM? Ich hatte keine Chance auf eine Topplatzierung, das war mir klar. Es geht mir aber sowieso mehr um das Erlebnis. Mein Ziel war es, mein Bestes zu geben und damit eine Platzierung zu erreichen. Wichtig war mir auch, die Kollegen und Kolleginnen aus der Schweiz anzufeuern und die Leistungen der stärkeren Teilnehmenden als Inspiration mit nach Hause zu nehmen
Der 26-jährige Lukas Degen ist in Olten geboren und aufgewachsen. Er ist gelernter Mediamatiker und arbeitet als Content- und Webpublisher. An der diesjährigen Powerlifting-Europameisterschaft im dänischen Thisted erreichte er in seiner Gewichtsklasse «bis 74 Kilo» den 17. Rang.
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Fertig mitgespielt Benvenuto Savoldelli beginnt im Sommer seine zweite Amtszeit als Oltner Stadtrat, zeitgleich beendet er sein über 20-jähriges Engagement für den Eishockey Club Olten EHCO. KOLT ist den Gründen für seinen Rücktritt als Verwaltungsratspräsident nachgegangen. Text von Franziska Monnerat
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or dem Match klopft Benvenuto Savoldelli dem Stürmer Martin Ulmer auf die Schulter. Er lächelt, motiviert den Spieler der ersten Mannschaft des EHC Olten, bevor dieser aufs Eis geht. Ein Bild, mit dem der amtierende Stadtrat in der Broschüre der FDP um seine Wiederwahl warb, das jedoch bald der Vergangenheit angehören wird. An der Generalversammlung des Sportclubs Anfang November letzten Jahres kündigte Savoldelli an, dass er 2017 sein letztes Amtsjahr als Verwaltungsratspräsident bestreiten wird. Nach 14 Jahren im strategischen Gremium, davon acht als dessen Präsident, wird also bald Schluss sein. In der «Muusfalle», dem Restaurant im Eisstadion Kleinholz, gab er den Aktionären ebenfalls bekannt, dass er per sofort seine Tätigkeit als Delegierter des Verwaltungsrates aufgibt. Als solcher
nahm er an den Sitzungen der Geschäftsleitung teil, wo er auch ein Stimm- und Ausübungsrecht hatte. Doch was bewog ihn, der – wie er selber sagt – «nach wie vor mit Herz und Seele dabei» ist, zu diesem Schritt? Savoldelli, Rechtsanwalt und Notar mit eigenem Büro in Olten, arbeitet nach eigenen Angaben «am Anschlag, weit über 100 Prozent». Neben der selbständigen Tätigkeit in der Justiz und dem Mandat als Stadtrat ist er Geschäftsführer der GastroSolothurn. Der Verband setzt sich für die Interessen von Hotels, Restaurants, Cafés und Bars im Kanton ein. Letztes Jahr im Mai fand die 125. Delegiertenversammlung des Schweizer Dachverbands GastroSuisse statt – in der Oltner Stadthalle, organisiert von Savoldelli. Während mehrerer Monate sei er jeden Samstag und Sonntag im Büro gewesen,
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um auf den Grossanlass hinzuarbeiten. Seine Kräfte liessen nach, woraufhin er monatelang krankheitsbedingt ausfiel. Während die Aufgaben des Verwaltungsrats klar definiert und überschaubar sind, ist das Tagesgeschäft, bei dem aktiv das Geschehen des Clubs mitgeprägt wird, viel umfassender. Um sich zu entlasten, zog er sich aus dem operativen Bereich des EHCO zurück. «Irgendwann musste ich einen Schlussstrich ziehen.» Gesundheitliche Probleme zwangen Savoldelli also dazu, kürzer zu treten. So begründete er seinen Entschluss an der GV, so lässt es sich sowohl in der offiziellen Medienmittelung des EHCO als auch in der Berichterstattung des Oltner Tagblatts tags darauf nachlesen. Im gleichen Artikel ist davon die Rede, dass der neu gewählte Verwaltungsrat die «Vorwärtsstrategie mit aller Kraft
vorantreiben» soll. Ziel ist es, innerhalb von drei Jahren in die Nationalliga A aufzusteigen. Dass über die Zukunft des Vereins keine Einigkeit herrscht, steht nirgends. Ein Blick in das offizielle Forum des EHCO legt jedoch nahe, dass interne Meinungsverschiedenheiten zur Entscheidung Savoldellis beigetragen haben. «Als der abtretende Verwaltungsratspräsident im selben Atemzug Zweifel äusserte, war mir klar, dass nicht alle an einem Strang ziehen», kommentiert etwa
zu vorsichtig. Sie sind der Ansicht, dass es mehr Investitionen braucht, ein gewisses Risiko in Kauf genommen werden muss, um einen Schritt vorwärts zu kommen. Savoldelli aber wollte weitermachen wie bisher. Mit dessen «Politik der kleinen, vernünftigen Schritte» sei der Club bisher «gut gefahren», resümiert Medienchef und Mitglied der Geschäftsleitung Pierre Hagmann rückblickend. Vor dem Hintergrund der Entwicklung der NLB in Richtung Ausbildungsliga sei der Club nun zu einer Weichenstellung gezwungen worden: volle Kraft voraus oder redimensionieren. «Der jetzige Verwaltungsrat hat sich für die Vorwärtsstrategie entschieden», so Hagmann. Dass Savoldelli an seinem bisherigen Vorgehen festzuhalten gedenke, sagte er bereits in einem grossen Interview mit der Schweiz am Sonntag, in dem er nach dem Saisonende 2015/2016 Bilanz zog. Im gleichen Gespräch kritisierte der damals 53-Jährige die mangelhafte Kommunikation zwischen Trainern und dem kürzlich entlassenen Sportchef Köbi Kölliker. Er sei zum Schluss gekommen, «entweder aufzuhören, oder aber die Zügel wieder anzuziehen und vehementer als Chef aufzutreten». Damals, im Dezember 2015, entschied er sich für letzteres. Kein Jahr später kündigte er den Schritt, den er schon früher in Betracht gezogen hatte, an. An der nächsten Generalversammlung, die dieses Jahr aller Voraussicht nach noch vor dem Saisonstart im September stattfinden wird, wird er ihn umsetzen. Ein genaues Datum steht noch nicht fest. Da er sein Mandat als Delegierter in der EHCO-Geschäftsleitung aufgegeben hat, laufen bereits heute nicht mehr ganz so viele Fäden bei ihm zusammen, wie dies die letzten Jahre der Fall gewesen war.
Dass über die Zukunft des Vereins keine Einigkeit herrscht, steht nirgends. Ein Blick in das offizielle Forum des EHCO legt jedoch nahe, dass interne Meinungsverschiedenheiten zur Entscheidung Savoldellis beigetragen haben. der User «Drei Tanne». «Pint of Carling» spricht von einem «veritablen Knall» an der GV. Auf Nachfrage von KOLT bestätigt Savoldelli, dass er Bedenken habe, «weil die Strategie eine auf Papier bleibt, wenn das Geld zur Umsetzung fehlt». Seine oberste Devise sei immer die finanzielle Sicherheit gewesen, darum gab er nur aus, was der EHCO selber erwirtschaften konnte. Der abtretende Verwaltungsratspräsident kalkulierte stets vorsichtig – für die meisten anderen Mitglieder der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrats
Wie die jüngsten Meldungen des EHCO zeigen, stehen auf die nächste Saison hin
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grosse Veränderungen an. So trennte sich der Verein von langjährigen Spielern, deren Verträge ausliefen, oder löste gar andere Verträge vorzeitig auf. Vielversprechende Nachwuchstalente wurden für das Kaderteam verpflichtet. Genauso wie der zurzeit noch nicht bestimmte neue Verwaltungsratspräsident, der die Nachfolge Savoldellis antreten wird, sollen sie für frischen Wind sorgen – in der Hoffnung, dass dieser den langersehnten Wiedereinstieg in die Nationalliga A ermöglicht.
LESERPOST
«Ich verspüre extreme Widerstände, das Magazin zu lesen. Obwohl ich eure Artikel mag, und weiss, dass diese in dem Heft zu finden sind. Warum? Diese schwarz-weisse Aufmachung macht wenig Lust, überhaupt hineinzuschauen. Vielleicht hatte ich mit den Probenummern gerade eine schwierige Phase erwischt, und ihr seid ansonsten munter und farbig. So wie das «Ausgehen in Olten»-Magazin, das im Vergleich geradezu frisch daher kommt. Sind es die Kosten für den Farbdruck oder geht es um Stil?»
Ein ehrlicher Leser via E-Mail, der sein KOLT-Probeabo soeben verlängert hat.
OFF THE RECORD
Budget 2016: Fun Facts J
eweils zwischen Ende Februar und Anfang März merken die städtischen Direktionen, dass sie bei gewissen Budgetposten doch noch ein bisschen mehr Geld benötigten als zuerst gedacht. Sprich: Sie haben die geschätzten Kosten überschritten. Passiert halt. So auch letztes Jahr: Die Totalsumme der Nachtragskredite beträgt stolze 1 718 290 Franken. Das ist eine ordentliche Summe. Der budgetierte Gewinn beträgt zirka 2.3 Millionen. Zieht man den Ertrag aus den Liegenschaftsverkäufen ab, bleibt ein operativer Gewinn von 0.8 Millionen. Dieser ist somit nun also aufgebraucht. Beruhigend ist jedoch, dass diese Budgetüberschreitungen meistens in ganz ordentlicher Weise begründet werden. Die Direktion Öffentliche Sicherheit zum Beispiel hat im Konto «Mobiliar, Geräte, Bau» ihr Budget von 1 000 Franken einfach mal so um 2 094 Franken überschritten. Die Erklärung: «Für die neuen automatischen Sirenen, welche durch den Kanton erneuert wurden, mussten die Gemeinden die Sirenenauslöse-Schlüsselschalter (in Olten 7 Stück) bezahlen. Diese Kosten waren bei der Budgetierung noch nicht bekannt und wurden deshalb nicht budgetiert. Der Grundkredit von CHF 1 000 wurde nicht beansprucht. Für die Kosten für die Sirenenauslöse-Schlüsselhalter von CHF 3 094 abzüglich CHF 1 000, total CHF 2 094, ist ein NK erforderlich.» Blöder Kanton. Scheiss Sirenen. Was lernt die interessierte Leserschaft hierbei? In der Schweiz kostet ein einzelner Sirenenauslöse-Schlüsselschalter 442 Franken. Diese Direktion gewinnt übrigens
den Preis für die beste Budgeteinhaltung mit einer Überschreitung von nur 11 365 Franken. (Sie hat sich bei der Druckerabrechnung ordentlich verschätzt). Apropos Büromaterial: Die Direktion für Finanzen und Informatik hat zusätzliche 11 017 Franken für Büromaterial ausgegeben, mit der Begründung, dass sie einen höheren Verbrauch von Couverts und ESR-Rechnungsformularen hatte. In Anbetracht dessen, dass man die ESR-Formulare quasi nachgeworfen kriegt und ein einzelnes C5-Couvert sechs Rappen kostet, müssen das mindestens 100 000 zusätzliche Briefe gewesen sein. Auf einen bestimmten Posten (Konto «Fachliteratur, Zeitschriften») der Direktion Präsidium sind Zeitschriften- und Literaturliebhaber besonders neidisch: 94 300 Franken sind dort budgetiert. So schön. (Damit kann man sich beispielsweise 1 193 KOLT-Abos bestellen.) Und das Präsidium schafft es trotzdem, 1 293 Franken zu viel auszugeben. Die Baudirektion verursacht einen nachträglichen Kreditbrocken von 289 072 Franken. Wir entschuldigen gewisse Überschreitungen, weil die Natur des bösen Menschen deren Budget durcheinander bringt. So wurde zum Beispiel das Konto «Parkanlangen, Wanderwege: Ersatz beschäd. Material» mit 7 631 Franken überschritten mit der Begründung «Vermehrter Vandalismus. Im Voraus nicht absehbar». Hier können wir Oltner und Oltnerinnen uns selbst an der Nase nehmen.
«Blöder Kanton. Scheiss Sirenen. Was lernt die interessierte Leserschaft hierbei? In der Schweiz kostet ein einzelner SirenenauslöseSchlüsselschalter 442 Franken.»
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MEINUNG
Nils Loeffel (27) arbeitet als Sozialarbeiter in Solothurn und veranstaltet daneben regelmässig Kultur im Coq d’Or.
Der Kodex
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s ist wieder soweit: Olten wählt! Damit die Kandidierenden bekannt werden, müssen ihre Gesichter immer und immer wieder im öffentlichen Raum auftauchen. An Laternenpfählen, an selbstgebastelten Holzkonstruktionen auf Blumenwiesen und auf kostspieligen Plakatwänden oder kostenfreien Plakatständern. Die Stadt Olten stellt während der Wahlmonaten in der Altstadt und vor dem Sälipark zusätzlich unentgeltliche Plakatstellwände für politische Werbung auf. Ausserdem stehen den Parteien in der Winkelunterführung Schaufenster zur Verfügung. Neben diesen offiziellen Möglichkeiten für Werbung gibt es in Olten laut offiziellen Angaben noch zwölf Standorte für den freien Plakataushang: Bahnhofpassage, Bahnhofplatz, Stadtpark, Sälischulhaus, Holzbrücke, Mühlegasse, Munzingerplatz, Parkplatz Stadthalle, Winkelunterführung, Kantonsspital, Bifangplatz, Sälipark. Diese Standorte dienen dem Aushang von Plakaten für Veranstaltungen in Olten. Sie sollen den Veranstaltenden ermöglichen, die eigenen Events kostengünstig zu bewerben. Diese Plakatwände werden rege genutzt, und es hat sich unter den vielen verschiedenen Veranstaltenden in Olten mittlerweile ein freier-Plakataushang-Kodex etabliert. Wenn immer möglich werden die Plakate in A3-Format gedruckt
und aufgehängt. So passen mehrere Plakate nebeneinander auf die Plakatwand. Plakate werden wenn möglich nicht überklebt – und falls es nicht anders geht, dann überklebt man zuerst die Plakate, welche Veranstaltungen aus anderen Städten bewerben. Wenn sich jemand nicht an den Kodex hält, reicht oft eine SMS, ein Telefon
«Es scheint, als wäre der ungeschriebene Freier-PlakataushangKodex nie bis in die Oltner Parteizentralen vorgedrungen» oder eine kurze Facebook-Nachricht, und alles ist wieder gut. Diese Regeln sind nirgendwo niedergeschrieben und müssen regelmässig wieder in Erinnerung gerufen werden. Aber es funktioniert. Ganz anders sieht die Situation in den Wahlmonaten aus. Da die Wände immer jeden zweiten Montag durch den Werkhof gereinigt
werden, suchen die Veranstalterinnen und Veranstalter die Plakatwände meistens am darauffolgenden Dienstag auf. Die Situation, welche sie dort antreffen, ist nicht vergleichbar mit derjenigen an den Dienstagen ausserhalb der Wahlmonate. Die Plakatwände sind voller nett lächelnder Gesichter. Es wird durchsichtiger Klebstreifen benutzt anstelle des allseits akzeptierten Malerklebebandes. Plakate werden willkürlich überklebt und manchmal sogar abgerissen. Es werden mehrfach die gleichen Plakate nebeneinander geklebt, und auf keinem der Plakate ist eine Veranstaltung zu finden. Es scheint, als wäre der ungeschriebene Freier-Plakataushang-Kodex nie bis in die Oltner Parteizentralen vorgedrungen. Deshalb habe ich eine Bitte: Liebe Oltner Parteien, für Veranstalterinnen und Veranstalter sind die vorhandenen Plakatwände in Olten wichtig. Versucht doch deshalb, die wertvollen Plätze, wenn überhaupt nötig, sparsam zu nutzen. Gebt den vielen, oft ehrenamtlich arbeitenden Veranstalterinnen und Veranstaltern Vortritt und nutzt die extra für die Wahlen aufgestellten Plakatwände! Die Oltner Kulturszene ist euch dankbar.
KOLT ONLINE «Traktorkestar klingt ein wenig wie der Moment, in dem man sturzbetrunken ist, die ganze Welt umarmen könnte und sich gleichzeitig unbesiegbar fühlt. Man weiss aber, wenn man jetzt schlafen geht, hat man am nächsten Morgen den Kater seines Lebens. Sterbenskater of Doom quasi. Darum versucht man diesen Moment in vollen Zügen zu geniessen und ihn irgendwie möglichst lange anhalten zu lassen.» Joshua Guelmino in seiner Review des Konzerts der Band Traktorkestar im Oxil in Zofingen. Das ganze Konzerterlebnis liest du in voller Länge unter: bit.ly/sterbenskater KOLT
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Eine Verabredung in Olten Seit rund einem Jahr gibt es in Olten den Schweizer Schriftstellerweg. Capus, Hohler und Lenz, das sind die grossen Namen, welche Literaturhungrige und Tagesausflügler nach Olten locken sollen. Zum einjährigen Jubiläum wollte KOLT jemanden von ausserhalb dazu einladen, den Schriftstellerweg zu erkunden. Die Zürcher Autorin und Moderatorin Nora Zukker hat sich für diese Idee begeistern lassen.
Text von Nora Zukker Illustrationen von Anita Allemann
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er Regen hält zuverlässig an. Ich lasse zwei Züge ohne mich nach Olten fahren in der Hoffnung, meine Wetter-App zaubere mir doch noch eine Sonne auf mein Telefon. Bevor ich mir für einen Moment überlege, auch den dritten Zug wegfahren zu lassen, steige ich ein. Bis Dulliken habe ich die Tafel Ovomaltine-Schokolade aufgegessen und alle Klischees über Olten hinter mir gelassen, die mir die Zürcher mit auf den Weg mitgegeben haben: Die Stadt im Nebel. Die Stadt, die ihr Parkhaus «OL10» tauft. Die Stadt, in der niemand aus dem Zug aussteigen will und wenn, dann nur, um umzusteigen. Die Stadt, in der sogar ihre Bewohner sagen: «Hey, aber wir haben gute Zugverbindungen.» Ach herrje. Über andere Städte herzuziehen, langweilt mich. Ich habe keinen Grund – ganz abgesehen vom bedrohlich verdunkel-
ten Himmel und den Bindfäden, die runterhängen –, mich nicht auf Olten zu freuen. Ich bin mit drei Männern verabredet. Und das passiert mir höchst selten. Nein, nicht mit Mike Müller. Mit ihm habe ich mich aber einmal im Zug von Olten nach Zürich über Aufschnittmaschinen unterhalten.
rem Hintergrund zu lesen», steht auf der Website des Schweizer Schriftstellerwegs, und freundlicherweise werden mir gleich zwei fähige Apps vorgeschlagen. Die App habe ich runtergeladen, den Stadtplan mit den Standorten ausgedruckt und schweizerisch in ein Sichtmäppchen geschoben gegen den Regen.
Nein, heute treffe ich auf die literarischen Aushängeschilder Oltens: Franz Hohler, Pedro Lenz und Alex Capus. Es wird ein auditives Treffen. Arrangiert vom Tourismusbüro Olten, das vor einem Jahr den Schriftstellerweg entworfen hat. Über die ganze Stadt verteilt findet man blaue, schmale Tafeln, darauf QR-Codes, die man mit der passenden App scannt, sodass man dann Kürzestgeschichten der Verbalpoeten hören kann. «Bitte benutzen Sie einen Scanner für den QRCode, welcher fähig ist, helle Codes auf dunkle-
Ich laufe über die alte Holzbrücke, vorbei am «Gwaför Nora» (Olten weiss offenbar schon, dass ich mit Schreiben allein nicht überleben werde), bis ich am Standort Schützenmatte ankomme. Dann gehe ich über den Parkplatz, und da ist der Pedro. Den Schirm klemme ich zwischen meine linke Schulter und das Kinn, mit der anderen Hand ziehe ich mein Telefon aus der Manteltasche, der Stadtplan fällt raus und in eine Pfütze. Sichtmäppchen: Check! Hoch und runter scannt die App, aber es passiert rein gar nichts. Es liegt
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sicher an meinem Telefon. Oder an der verregneten Oberfläche der blauen Tafel. Ich gehe die Gasse hoch und stehe auf dem Platz vor der Stadtkirche, die leider in ein Gerüst eingepackt ist aufgrund von Restaurationsarbeiten. Hier warten Franz und Alex. Mit meinem Halstuch wische ich die Tafel trocken. Ich gehe dicht heran, aber vom Schirm tropft es trotzdem auf die QR-Codes. Ein Mann bleibt kurz stehen, schaut mich mit grossen Augen an, wie ich mich um die blaue Tafel schlinge. Im besten Fall denkt er, es sei eine Performance. Irgendwas mit Kunst im öffentlichen Raum. Ich bin irritiert. Der zweite Standort, an dem es nicht funktioniert. Meine Uhr meldet 16.15 Uhr. Um 17 Uhr schliesst das Tourismusbüro, und dort muss ich jetzt hin und mich erkundigen, was ich falsch mache. Ich drehe mich um und sehe den McDonald’s. So ein Big Mac im Regen in Olten? Ach herrje. Nein. Auf der To-
«Ich bin mit drei Männern verabredet. Und das passiert mir höchst selten. Nein, nicht mit Mike Müller.»
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ilette während des Händewaschens steigt mir der Geruch meines Mantels in die Nase: Eine Mischung von nassem Hund und fliehendem Parfüm. Um keine Zeit zu verlieren und weil der Orientierungssinn nicht zu meinen Kernkompetenzen zählt, laufe ich den gleichen Weg zurück. Auf der Bahnhofbrücke bleibe ich noch einmal vor einer schmalen, blauen Tafel stehen und denke: Wenn es jetzt funktioniert, dann habe ich vorher zwei Standorte erwischt, an denen gerade die Technik streikt, und im Tourismusbüro werde ich dann ausgelacht, und mit rollenden Augen wird man(n) sich denken: Frauen und Technik. Hier auf der Brücke wartet Franz. «Für das Kalenderbild fehlen nur noch ein paar Schwäne im Vordergrund», steht über dem QR-Code zur hohlerschen Kurzgeschichte. Wer weiss, ob Franz diesen Satz über Olten aus Nostalgie geschrieben hat und ganz froh ist, dass er mittlerweile in Zürich-Oerlikon lebt. Hoch und runter
scannt die App, aber es passiert rein gar nichts. Ich fluche kurz in den Himmel, und vom Regenschirm tropft es direkt auf meine Kontaktlinsen. Ich ziehe den Tabak, die Filter und die Papierchen aus meiner Handtasche und versuche, unter dem Schirm eine Zigarette zu drehen. Wie ich sie anzünde, bricht sie ab, weil sich das Papierchen vom Regen aufweichen liess. Innerlich kämpfe ich gegen die OltenKlischees an, die es jetzt bis ganz nach vorne in mein Gehirn geschafft haben und schreibe eine wütende SMS nach Zürich: «Ich hasse meinen Job!» Nie habe ich genug Geld für wasserfeste Zigaretten. Zürich antwortet mit Emojis, die mir mein Handy nicht anzeigen kann. Das Stichwort wäre jetzt: Softwareaktualisierung. Direkt vor dem Tourismusbüro gibt es wieder eine blaue, schmale Tafel. Blau ist ab sofort nicht mehr meine Lieblingsfarbe (was schade
«Mit meinem Halstuch wische ich die Tafel trocken. Ich gehe dicht heran, aber vom Schirm tropft es trotzdem auf die QR-Codes.» KOLT
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ist, weil mein regengetränkter Daunenmantel marineblau ist, aber ich könnte ihn frech umdrehen, dann ist er armeegrün). Ich klemme den Schirm zwischen meine linke Schulter und das Kinn… (Sie kennen das weitere Prozedere.) Und jetzt? Genau: Es passiert rein gar nichts. Ich gehe mutigen Schrittes durch die Schiebetüre, fahre mir kurz über die Augenlieder, weil mein Lidstrich sicher nicht mehr dort ist, wo ich ihn heute morgen hingemalt habe. Vor mir steht ein junger Mann. Kurz schaut er, den Kopf mitleidig zur Seite gelegt, wie es an mir herunter tropft. Ich erzähle ihm von meiner Odyssee. Ja, das sei ein bekanntes Problem. Ein technisches. Ich bin sehr erleichtert, dass es nicht an mir liegt, und frage dann, was er mir vorschlage, ich sei extra von Zürich angereist, und es sei nirgends etwas von technischem Problem gestanden. Stille. «Sie können sich gerne die CD für 15 Franken oder das Buch für 27 Franken kaufen, gratis darf
Seit Ende April 2016 ist Olten offiziell «LiteraTour Stadt». Unter diesem Label möchte Olten Tourismus die Stadt Olten geografisch auf der Schweizer Literaturkarte festschreiben, u.a. mit dem Schweizer Schriftstellerweg. Mit bisher vier verschiedenen Routen führt dieser Weg durch Olten. An insgesamt 36 Posten können Literaturinteressierte mit dem Smartphone QR-Codes scannen und so jeweils eine zum Standort passende Kurzgeschichte anhören, erzählt von den Autorinnen und Autoren selbst. Franz Hohler, Alex Capus und Pedro Lenz sind die grossen Namen, nach welchen je eine Route benannt ist. Auf der vierten Route namens «Literathek» erzählen Autoren und Autorinnen wie Lisa Christ, Rhaban Straumann, Kilian Ziegler, Rolf Strub, Michelle Steinbeck oder Walter Millns weitere Geschichten. Der Schweizer Schriftstellerweg bietet insgesamt 36 Hörstationen an. Im Mai, wenn der Quai Cornichon anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Oltner Kabarett-Tage eröffnet werden wird, kommen 33 kabarettistische Geschichten hinzu. Den Besucherinnen und Besuchern des Schrifstellerwegs wird empfohlen, den QR-CodeScanner „i-nigma 3G vision“ herunterzuladen, bevor sie sich auf den Weg machen. Alle weiteren Informationen unter www.olst.ch oder im Oltner Tourismus-Büro an der Frohburgstrasse 1.
«Pedro liest für mich entweder Mundart oder Hochdeutsch. Als ob sich diese Frage überhaupt stellen würde.»
ich Ihnen leider nichts geben…» – der Praktikant wünscht sich direkt an einen Ort, wo ich sicher nicht bin. Ich kaufe mir die CD (und später in Zürich dann noch ein externes Laufwerk dazu), beäuge noch kurz die von Franz Hohler signierte CD. Leider ein Ausstellungsstück, verteidigt sich der Praktikant. Dann gehe ich zum Bahnhof, kaufe mir eine Tafel Ovomaltine-Schokolade und steige in den Zug nach Zürich. «Mit Ovo chaschs nid besser – aber länger». Dass dieser Werbeslogan-Klassiker, den besonders freche Menschen auch gerne sexuell konnotiert droppen, mich durch den Tag trägt, hätte ich mir nicht in meine kühnsten Träume gewünscht. Bevor ich die Software auf meinem Telefon aktualisiere (Sie erinnern sich: die Emojis aus Zürich), öffne ich die Website des Schriftstellerwegs. Auf der Startseite findet sich die Tourenübersicht der Standorte von Hohler, Lenz und Capus. Intuitiv klicke ich auf Franz Hohler. Zuoberst «Die schönste Stadt der Schweiz», Standort Bahnhofbrücke. Warum gibt es hier eine Playtaste? Ich drücke drauf. Franz‘ Stimme! Um Himmels willen! Ich schlage mir mit
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den Handflächen auf die Oberschenkel. Die Frau neben mir setzt sich entsetzt auf den Platz gegenüber. Franz erzählt von Rolf Schwarz, einer Figur aus seinem Roman «Der neue Berg». Rolf steht mit Doris auf der Bahnhofbrücke. Im Hintergrund plätschert ein mehrstrahliger Springbrunnen. Rolf sagt zu Doris, dass Olten mit ihr zusammen wirklich die schönste Stadt der Schweiz sei. Es ist nicht zu fassen! Nicht, dass Rolf Doris Honig um den Mund schmiert, sondern dass ich mir alle Texte auf meinem Telefon anhören kann. Nein, auf dem Computer geht es nicht. Und nein, ich habe keine Ahnung, ob es der Praktikant wusste. Wenn ja... Ach herrje. Mir wird heiss, und mein Magen zuckt. Ich klicke mich zu Pedro weiter. «Outostopp», Standort Schützenmatte. Pedro liest für mich entweder Mundart oder Hochdeutsch. Als ob sich diese Frage überhaupt stellen würde. Eva lässt sich von einem Mann im Auto mitnehmen. Von der Schützi Olten bis nach Solothurn. Sie versucht mit ihm über das Wetter zu sprechen, aber er möchte nicht reden. Sie nimmt ihren Spiegel aus der Tasche, um den Lidstrich zu kontrollieren (im Gegensatz zu mir befürchtet Eva, dass der Hochsommerschweiss die Schminke verschoben hat). Durch den Spie-
gel sieht sie eine Kiste im Laderaum: «Us dere Chischte heig e Frouehang usegluegt» – Eva lässt sich nichts anmerken, fürchtet sich aber sehr. Als sie in Solothurn aus dem Auto steigt, steht an der Seite des Lieferwagens: «Puppet AG – Schaufensterpuppen-Reparatur». Pointe verraten. Entschuldigen Sie! Alex wartet. «Kirchplatz», Standort: Stadtkirche. Seine Stimme klingt, als hätte man ihn im Regen stehen lassen (Entschuldigen Sie, sehr platt!). Die Frau von der Kantonsarchäologie steht in einer Grube auf dem Kirchplatz und kratzt mit einer Kelle an einer Terrakottaschicht. Sie vermutet eine römische Feuerstelle. Die letzten Reste von römisch-Olten. Die Frau holt ihre Kamera, um den historischen Fund zu dokumentieren. Der Mann mit dem Bagger ist schneller. Das wars dann auch mit dem historischen Erbe der Stadt. Eine Verabredung mit drei Männern. Es klingt wild und wunderbar. Ohne dass Sie mich jetzt fragen, sage ich Ihnen trotzdem: Aktualisieren Sie besser zuerst Ihre Software.
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Nora Zukker (*1986) lebt als Autorin und Moderatorin in Zürich. Sie arbeitet als freie Mitarbeiterin für SRF Kultur und hatte zwei Jahre lang ihre eigene Sendung «Lesezunder» rund um die Popliteratur bei Radio SRF 3. Ab und zu schreibt sie für das Feuilleton der NZZ und an den übrigen Tagen an ihrem Buch, das wahrscheinlich nie fertig wird, weil schon wieder was dazwischen kommt.
Free-FunkNoise-Jazz auf Reisen Letzten Februar reisten fünf Musiker mit ihrer Band Tanga Zoo nach Südafrika. Als Gitarrist mit dabei war auch der Oltner André Kunz. Zwei Wochen dauerte die Mini-Tournee. Text von Andy Brugger Fotos zVg
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it einer Jazz-Funk-Truppe nach Afrika zu reisen, heisst das nicht, Eulen nach Athen tragen? Handelt es sich etwa gar um eine kulturell verbrämte Missionsreise, wenn fünf teils nicht untergewichtige Bleichgesichter gesetzten Alters mit Gitarre, Trompete, Saxophon und Trommelstöcken bewaffnet 9000 Kilometer gegen Süden fliegen, um ihren Free-Funk-Noise-Jazz im subtropischen Durban am indischen Ozean zum Besten zu geben? Beides nicht unbedingt. Beides ist aber auch nicht ganz falsch. Zwei Wochen
lang hat unsere Oltner-Zürcher-LausannerKombo Tanga Zoo im Februar dieses Jahres Konzerte, Workshops und eine Masterclass in den südafrikanischen Städten Durban und Cape Town gegeben. Intensiv – ein Erlebnis – gute Konzerte – gute Resonanz. So lässt sich dieser Trip zusammenfassen. Für Andy Brugger, den Kopf unserer Formation, war Südafrika keine beliebige Destination: Bereits drei Mal war er mit seinen Bands No No Diet Bang und License To Chill in Südafrika auf Tournee. Einmal arbeitete er während
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dreier Monate als Dozent am Jazz Centre der University of Natal in Durban. Er hat schon mit vielen Grössen der südafrikanischen Musik gespielt - Feya Faku, Darius Brubeck, Camillo Lombard, sowie den inzwischen verstorbenen Musikern Robbie Jansen, Wynston Mankunku oder Zim Nquawana. Daher die Kenntnis der Szene, daher die vielen südafrikanischen Freundschaften, daher die Liebe zum Land, seinen Menschen, seinen Kulturen. Afrika ist Symbol, Urszene, Experimentum crucis und Therapiesitzung für Vorurteile. Niemand geht ohne Vorurteile nach Afrika.
Und diese finden sich immer bestätigt – wenn man sie bestätigt sehen will. Nach Afrika zu gehen, bedeutete für uns, Stereotype zu revidieren. Mit unseren Klischees (ein netteres Wort für Vorurteile) versuchen wir eigentlich, Afrika auf das Archaische, Hinterwäldlerische, Rückständige, Arme, Hilfsbedürftige zu reduzieren – und auf dieses Bild zu verpflichten. Gewiss haben die Jahre des Kulturboykotts während der Apartheid den südafrikanischen Jazz nicht eben beflügelt, doch es hat sich inzwischen einiges getan. Nicht, dass der Sound von Tanga Zoo moderner, innovativer, kreativer oder gar
besser wäre als südafrikanischer Jazz, aber: Er ist anders! Wir können mit einem Homebrew aus schrägen Rhythmen, freefunkigen Arrangements, Kollektivimprovisationen und abrupten Metric Modulations die Hörgewohnheiten einiger Zuhörerinnen und Zuhörer, sagen wir mal, vitalisieren, und ausserdem einige junge Musiker inspirieren. Dies zeigten uns weniger ihre Worte, als vielmehr ihre Gesichter.
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Der Oltner André Kunz (guitar) bildet zusammen mit den Musikern Christoph «Kriz Flew» Flueler (trumpet, electronics), Marc Jufer (reeds), Jean Pierre Schaller (bass) und Andy Brugger (drums) die Band Tanga Zoo – ein gemeinsames Bandprojekt von Schweizer Musikern mit klangvollen Namen aus der Schweizer Funk-, Free Funk- und Electric Jazz-Szene. Die AfrikaTournee haben die fünf Herren in Eigenregie organisiert und teilweise durch Unterstützung der Kantone Solothurn und Zürich sowie Stiftungen finanziert.
SERIE
FILM
Wikström und sein Gourmet-Mekka Aki Kaurismäkis neuer Film handelt von einem alten Gastro-Quereinsteiger und einem jungen syrischen Flüchtling. Es ist der bislang lustigste Film des Jahres.
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cheisse, nein: Diese Serie ist politisch nicht korrekt. «Ich dachte immer, weisse Menschen küssen schlecht. Aber es ist nicht ihre Schuld, sie haben einfach sehr kleine Lippen. Und sie kommen mit Lippen wie meinen nicht zurecht. Also versuchen sie das mit ihrer Zunge zu kompensieren und dann ist die Zunge überall und flattert auf dir rum...». Ja, liebe Serienfreaks, so spricht Tracey Gordon – gerne auch direkt in die Kamera, sodass ihr euren Blick nicht von ihr abwenden könnt. Tracey lebt mit ihrer superreligiösen Mutter und der nervigen, nicht weniger religiösen Schwester in einer kleinen Wohnung, in der die Tapeten vor Blumenmustern und Schimmelflecken nur so strotzen. Tracey arbeitet im Cornershop des Quartiers und will endlich Sex haben. Ja, ja, stimmt, platt und geschmackslos. Dafür aber verdammt unterhaltsam. Die Künstlerin Michaela Coel, welche die Figur der Tracey verkörpert, ist der britische Comedy-Shootingstar schlechthin und hat am Drehbuch dieser kleinen, schrillen Serie mitgeschrieben. Eine echte Entdeckung, schaut rein und lacht euch kaputt! (nb)
Chewing Gum
2+ Staffeln, 12 Episoden, Comedy/GB/2015/E4
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von Pierre Hagmann
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s dauert eine Stunde und 29 Minuten, bis jemand in diesem Film lächelt. Es ist ein stilles Lächeln, das Khaled, ein junger Syrer, aufsetzt, und es besagt: Vielleicht kommt alles doch noch gut. Bis dahin war vieles schwierig: Flucht aus der zerbombten Heimat Aleppo, Eltern tot, Bruder tot, die Schwester auf der Flucht verloren. Gelandet ist er im Finnland von Aki Kaurismäki, doch bleiben darf er nicht, denn beim Maahanmuuttovirasto, wie das Immigrationsamt auf Finnisch heisst, findet man kein Gehör für die Erläuterung seiner Fluchtgründe. Dies erscheint nach seinem bewegenden zweiminütigen Monolog – die Kamera hält frontal drauf, keine Bewegung, kein Schnitt und kaum ein Blinzeln – sehr herzenskalt. Doch bei Kaurismäki gibt es ja die guten alten Herren, und in «The Other Side of Hope» ist dies Mister Wikström. Der verlässt zu Beginn des Films Frau und Job und übernimmt die heruntergekommene Kneipe «Zum Goldenen Krug» samt Personal. «Wikström gibt es viele, sagt der Portier beim Begrüssungsgespräch, wie heissen Sie mit Vornamen?». Wikström sagt: «Waldemar». Worauf die
ALBEN MEINES LEBENS
Talk Talk Laughing Stock Ein absoluter Klassiker in unserer Trio-Heinz-HerbertWG. Dieses Album ist unser vierter Mitbewohner.
von Rio
Neil Young Harvest Mit ca. 12 Jahren entdeckte ich dieses Album im Plattenschrank meiner Eltern. Der Drum-Groove von «Out On The Weekend» hat mein Leben verändert. Das Album auch.
Madvillain Madvillainy Nüssligrooves. Collage. Hip Hop. Ein düster glitzerndes, unfertiges, aus dem Ärmel geschütteltes Kunstwerk. Für mich bis heute eine grosse Inspirationsquelle in Sachen Sound und Beat.
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Kellnerin fragt: «Nennen Ihre Freunde Sie Wallu?» Und Waldemar sagt: «Ich habe keine Freunde.» Schnell wird klar, dass sich die Schicksale von Khaled und Wikström treffen, und als es endlich soweit ist, wird der Film noch schöner. Khaled taucht nach der Asylabfuhr unter und heuert im Goldenen Krug als Hilfskraft an. Und nun ist es wie immer bei Kaurismäki: Der Grossmeister der Lakonie übertrifft sich selbst. Schön die Aufnahmen, die an ein Gemälde von Edward Hopper gemahnen; heiter die Trostlosigkeit, die der Finne sorgfältig pflegt, auch in diesem zweiten Teil seiner inoffiziellen Hafenstadt-Trilogie («Le Havre», 2011). Die Figuren versuchen sich in Helsinki, die Kräne sehen gleich aus, aber der marode Charme des Finnischen macht, dass dieser Film – im Grunde eine einzige Anekdote – noch besser funktioniert. Und doch wird die Flüchtlingsnot nie der Lächerlichkeit preisgegeben; zu offensichtlich ist die politische Botschaft von Kaurismäki. Und zu seriös die Gutherzigkeit von Khaled und Waldemar. Am Ende heisst seine Beiz «Gourmet Mekka».
Radiohead Amnesiac Mein Einstieg in den Radiohead-Kosmos. Die Mischung aus Liedern wie «Pyramide Song» und verschrobenen Tracks à la «Packt Like Sardines In A Crushed Tin Box» faszinieren mich immer noch. Was ist möglich in einem Popsong?
Portishead Third Wir sassen vor unserem Bandraum im Auto und konnten nicht aussteigen, bevor wir das Album nicht fertig gehört hatten. Als stilprägende Band nach zehn Jahren Pause mit einem solchen Album zurückzukommen, das ist ganz grosses Kino.
MUSIK
Rock-Könige
ICH TRAGE B A RT L O M E .
Wer braucht AC/DC, wenn es Death by Chocolate gibt? von Marc Gerber
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o sind die wahren Rockbands geblieben? Spätestens, seitdem Lemmy Kilmister gestorben ist, fragt man sich, wer all diese Rock-Festivals headlinen soll – es können ja nicht immer Metallica oder die Foo Fighters sein, und auch AC/ DC hat ihre besten Tage hinter sich. Zeit für eine Alternative, Zeit für Death by Chocolate. Die Seeländer Combo, die seit mehr als 15 Jahren puren, dreckigen Rock macht, ist mit ihrem neuen Album «Crooked For You» am Start und es ist... ähm... geil?!? Naja, über weite Strecken. Wer die Scheibe auf den Plattenspieler schmeisst, wird zuerst mit «Give Us A Reason» begrüsst. Die erste Single der Bieler klingt, als wäre sie während den Siebzigerjahren aufgenommen worden: ein wenig Orgelsound, viel Gitarre – mehr braucht es nicht, vielleicht höchstens noch einen Refrain, den man mitgrölen kann. Alles, was auf dieser Scheibe rockig ist, das gefällt. Grössere Mühe habe ich da schon mit den Balladen und den radiotauglichen Songs, die irgendwie klingen, als wären sie mit angezogener Handbremse eingespielt worden. Songs wie «No Shore to Come» oder auch «Two Paths» werden sich definitiv nicht auf meine Playlist verirren. Dafür gibt’s aber auch fünf Sterne-Deluxe-Rocksongs wie «Virgin Killer», die weit mehr als nur gut sind.
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Grandios sind Death by Chocolate sowieso live, und das Live-Programm wird definitiv von den Rocksongs dominiert, was der Bühnenshow nur gut tut. An der Plattentaufe im Dachstock Mitte März haben Frontsänger und Gitarrist Mathias Schenk, die Schläppi-Brüder, Daniel Wyttenbach und Kevin Chesham gezeigt, dass sie trotz Kommerz-Radio-Airtime ihren Wurzeln immer noch treu geblieben sind. Für zwei Stunden verwandelten sie den ausverkauften Berner Dachstock in eine Sauna, und für einmal waren die Bieler in Überzahl. Unglaublich, wie die Bieler/Berner-Combo sich über die Jahre verändert hat. 2008, an meinem ersten Konzert von Death by Chocolate waren sie gut, heute sind sie wahrscheinlich die beste Live-Rockband der Schweiz. Fans von The Black Keys oder Led Zeppelin können ohne Probleme zugreifen. Und wer die Seeländer noch gar nicht kennt, sollte auch in deren altes Album «Among Sirens» reinhören.
Herr Blaser trägt eine Steinbrille von Rolf
Bartlomé Optik AG Brillen und Kontaktlinsen Hauptgasse 33 - 4600 Olten www.bartlome-optik.ch
Death by Chocolate 8. April Kulturfabrik Kofmehl Solothurn
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........................ KOLT liest ........................
BUCH
von Daniel Kissling
APOKALYPTISCHE LIEDER
Kunscht out of Trottoir-Junk
von Heinz Ratz
«Käme einer auf die Idee, mich einen Dichter der Apokalypse zu nennen, ich würde nicht widersprechen», schreibt Heinz Ratz in der Einleitung zu diesem Gedichtband. Ratz möchte seinen Teil dazu beitragen, dass der Einsatz für eine heilere Welt lohnenswert erscheint. In Reimen beschreibt er beispielsweise das heruntergekommene Glasgow, durch dessen Gassen das Gute in zerlumpten Hosen streift. Alkoholexzesse, häusliche Gewalt, Wollust und zwielichtige Moral prägen das Zusammenleben, und doch steckt in den düsteren, gesellschaftskritischen Texten immer ein Funken Hoffnung. Franziska Monnerat, Stadtreporterin
PACIFIC CREST TRAIL: SOUTHERN CALIFORNIA von David Money Harris
Kalifornien ist neben Florida eines der beliebtesten Reiseziele der USA. Ein Grund dafür sind die unglaublichen Wanderwege, die ich diesen Sommer erkunden werde. Dieser Wanderführer versammelt nicht nur die bekannten Wanderwege, sondern auch die unbekannten Pfade zu den Naturwundern Kaliforniens. Marc Gerber, Musik-Kolumnist
Babylon Park von Ariane von Graffenried
«B
abylon Park» ist ein revolutionäres Mundart-Buch. In den neuen gesammelten Texten der Berner Autorin und Spoken Word-Künstlerin Ariane von Graffenried leckt ein Lawinenhund in Gündlischwand zwei «Buebegsichter», der Wöufli im Stübli flucht «Himmu-Herrgott-Bombe-Granate», und nachdem der von Allmen am Skilift «de Ching d Täuer zwösche d Bei schiebt», geht er nach Hause, um «Echo der Zeit» zu hören. Was daran revolutionär ist? Der Sound, die Art und Weise, wie von Graffenried erzählt. Dass Mundart nicht per se nach Alpenparadies und Sackmesser-Laden klingen muss, haben zwar schon andere (von Mani Matter über unzählige CH-Rapper bis Pedro Lenz) gezeigt, doch geht Ariane von Graffenried vor allem in ihren Gedichten noch einen Schritt weiter. Werbeslogans und Anglizismen, Easy-Jet-Trips und Zugfahrten mit Stöpseln im Ohr, aus denen Patti Smith schallt (N-a-d-j-a) oder die Stones (Warschau) – so erlebt nicht nur die Autorin, sondern so erleben wir alle heute die Welt um uns herum. Wir mögen zwar Mundart reden und Kulturmagazine wie dieses hier in Schriftsprache lesen, doch hören wir ebenso englische Songs und schauen französische Filme, von türkischem Fast
Food oder schwedischen Büchergestellen ganz zu schweigen. «Babylon Park» spiegelt unsere globalisierte Gesellschaft, indem Sprachgrenzen aufgelöst und dem Assoziieren und Umherschweifen, dem «Puff im Oberstübli», freien Lauf gelassen werden. «Babylon Park» ist ein Schweiz-Buch, gerade weil es nicht nur Uf em Bärg spielt, sondern eben auch in Rimini, Istanbul oder Bermondsey. Diese letzten Titel könnten einigen Lesern übrigens bekannt vorkommen, findet man diese doch auch auf «Grand Tour», dem letzten Album des musikalischem Spoken Word-Projekts Fitzgerald & Rimini, dessen eine Hälfte von Graffenried bildet. Auch diese Texte sind in Babylon Park enthalten, und wer sie in vollem Klanggewand hören möchte, kann sich das Album dank dem im Buch enthaltenen Download-Code gratis herunterladen. Ein zusätzlicher Grund, Babylon Park zu kaufen, der aber gar nicht nötig gewesen wäre. Dafür reicht schon die klingende Mundart-Revolution.
Ariane von Graffenried
Babylon Park
Edition spoken script. Der gesunde Menschenversand. 2017. 208 S. ISBN: 978-3-03853-036-7
www.bijouterie-maegli.ch
AnziehungskrAft
liegt in unserer nAtur. KOLT
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AM TRESEN
Seit 1997 existiert die Stadtmix-Bar an der Leberngasse in Olten. Vor zwei Jahren schrieb der Tresentester an dieser Stelle eine nostalgische Tresenkritik und erzählte von einstürzenden Twin-Towers und ehemaligen Nullerjahre-Teenagern, die ihren alternden Hintern nach Olten doch ins «Stadtmix» bewegen sollten – um der guten alten Zeiten Willen. Nun ist‘s vorbei. Zumindest so halb: Die Stadtmixbar hat zum zweiten Mal in ihrer Geschichte den Besitzer gewechselt. Im Eingangsbereich stehen nun braune Chesterfield-Ledersofas, der Tresen ist blau beleuchtet und im Schaufenster befinden sich zwölf grosse Duftkerzen mit Vanillearoma. Zusammen mit dem Friteuse-Geruch, der von hinter der Bar aus der Küche kriecht, ergibt das einen Odeur à la Berliner. Wer’s mag, der mag’s. Das Pfirsichorange ist von den Wänden verschwunden (nun dominieren Schwarz und Grau), doch die schlechte Kunst zum Kauf ist leider geblieben. Viel besser freundet sich da der Stadtmix-Freund mir der Getränkekarte an: Baby Face,
Toter Frosch, Grünzeugs Grüner, Sherley Temple – die Drinks sind die gleichen wie eh und je. Für Freunde und
Freundinnen der Nostalgie ist also die letzte Chance nicht vertan. Und falls sie zu der ganz dreisten Sorte Ex-Teenies gehören, kreuzen sie mit einem gefälschten Immatrikulations-Ausweis auf: Dann kriegen sie die Stange Bier nämlich für 3 Stutz.
Stadtmix-Bar Leberngasse 9
WO SPIELT DIE MUSIK?
«Go out and support your local bands!», heute spielt die Musik in der Schweiz:
MOST WANTED
One.Sentence. Supervisor
übertreffen sich selbst mit ihrem zweiten Album «Temporärmusik 1-13», das IndieSuisse als Album des Jahres 2016 ausgezeichnete. Mit krautigen Hymnen schafft es die Band, durchaus popig zu klingen, ohne es wirklich zu sein. Zayk ist eine Frauenpower-Band aus Zürich. Auf der Bühne sehen sie nicht nur super aus, sondern sie versetzen ihr Publikum auch mit ihrem Psychedelic-Rock in einen Zustand der Ekstase. Soeben taufte die Band ihr zweites Album. Dawns Mystery beflügelt sein Publikum mit einem ausgetüftelten Rock im Stil der 7Oer-Jahre, der ins Weltall und wieder zurückgeschickt wurde. Für den Blog Tsüri.ch gehört die Band zu den besten «Züri-Bands» des Jahres 2016. Am 4. Mai tauft die Band ihr erstes Album «Jurrassic Colour» im Zürcher Gonzo. Saint Tangerine Convention ist ein Neuling und veröffentlicht im Laufe dieses Jahres ihre erste EP. Die Band überzeugt live mit einem sexy Retro-Sound der 70er-Jahre, mit 12-Saiten-Gitarren, massigem Fuzz und natürlich viel Haar. (ud)
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Stadtbibliothek
Martin Suter «Elefant»
steht mit seinem Roman immer noch auf dem Spitzenplatz. Doch in der Stadtbibliothek gibt’s wohl schon nächsten Monat einen Wechsel auf dem Podest: wird mit seinem Krimi von Tag zu Tag beliebter.
Jussi Adler-Olsen «Selfies»
Jugendbibliothek Das Bilderbuch «Geld zu verkaufen» wollen momentan alle. Zumindest in der Jugenbiblio. Es erzählt die Geschichte von Alma und Milan, die dringend Geld für eine neue Baumhaus-Strickleiter benötigen – also machen sie sich ans Tauschen und Verhandeln. Die Zeichnungen stammen von Claudia de Weck, der Text von Lorenz Pauli – ein perfekte Duo, wie es scheint. (nb)
KILIAN ZIEGLER
NaRr von Daniel Kissling
Zusammenklappen Episode 7 sie schmeisst die zigarette weg, steigt ins auto, verkneift sich die tränen stellt stattdessen das radio an, kennt den song, aber nicht den namen und das gefühl dazu, aber nicht, was sie tun soll, fährt aus der stadt, die ampeln leuchten, beinahe im takt, ihr herzschlag, schlagzeug, die ampeln & der motor, beinahe. sie schmeisst ihr leben hin, was faul ist, gehört in den eimer oder auf den kompost, falls vorhanden.
Daniel Kissling (*1987) führt das Kulturlokal Coq d'Or, schreibt u.a. im Oltner Stadtanzeiger und im KOLT und ist Mitherausgeber des Literaturmagazins Narr. www.dasnarr.ch
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in Fahrrad ist heutzutage nicht einfach nur mehr ein Fahrrad. Das Konzept Velo hat sich ausdifferenziert. Vom Damenrad zum Mountainbike bis zum Rennrad gibt es das Fahrzeug in allen möglichen Ausprägungen. Ich mag ja die klassische Variante: Rad vorne, Rad hinten, Sattel, Kette, und (optional) ein Gepäckträger. Ein Göppel eben, der weiss, was er ist, was er kann und was nicht. Fast alles, was davon abweicht, erschliesst sich mir nicht. Einräder: zu schwierig. Dreiräder: zu einfach. Hochräder: aus der Mode (und schwer zu finden). Den Sinn von Liegevelos habe ich nie verstanden. Und von E-Bikes war ich noch nie Fan – ich werde den Gedanken nicht los, dass es irgendwie ein wenig ein Bschiisse ist, ein solches zu fahren. Ein Flyer verhält sich zu einem Fahrrad wie ein Panasch zu einem Bier – die Verwandtschaft ist nicht abzustreiten, aber es ist einfach nicht das Gleiche. Eine der neuesten Errungenschaften der Rad-Community ist das Klappfahrrad – laut Wikipedia auch Faltrad genannt (was genauso eine dubiose Waldgestalt sein könnte: «Salü zäme, ich bin Faltrad, der Schamane – wer will eine Geisteraustreibung zum halben Preis?»). Im Gegensatz zu anderen Velo-Sonderausführungen faszinieren mich Klappfahrräder schon irgendwie. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass es sich bei diesem handlichen Accessoire um ein Velo handeln könnte. In seiner Kompaktheit ist es nicht
nur transportfreundlich, sondern mit seinen zum einem Durcheinander geklappten Reifen, Ketten und Metallteilen wirkt es fast schon Tinguely-esk. Das ist ein zum Objekt gewordenes Zip-File, wobei der Drahtesel so sehr gefaltet wird, das er schier nicht mehr «i-ah» sagen kann. Kaum aber wird er wieder ausgeklappt, ist er voll funktionsfähig, bereit, die Welt zu beradeln. Das Faltrad («Wenn sie jetzt eine Geisteraustreibung buchen, erhalten sie gratis einen Voodoo-Puppen-Kurs dazu!») steht in einer langen Klapp-Tradition: Klappstühle, Handspiegel und Bücher, der Inbegriff des Aufund Zuklappens, sind Erfolgsprodukte. Ich träume ja vom Klapp-Kebab (aber, um ehrlich zu sein, auch nur des Wortes wegen). Sowieso sind Scharniere eine unterschätzte Erfindung. Man müsste zusammenklappbare Sorgen erfinden: Was einen beschäftigt, faltet man zusammen, so dass man es «in die Hand nehmen» kann.
«Ich mag ja die klassische Variante: Rad vorne, Rad hinten, Sattel, Kette, und (optional) ein Gepäckträger.»
Eine gute Zeit Kilian Ziegler P.S.: Wir haben gelernt: Das Klappfahrrad ist der perfekte Begleiter. In diesem Zusammenhang frage ich mich: Wenn eine Angestellte eines Begleitservices sagt, sie arbeite berufsbegleitend, heisst das, dass sie von Berufes wegen begleitet, oder macht sie es dann nebenberuflich? Verwirrend!
DIE REVOLUTION IST TOT LANG LEBE DIE REVOLUTION!
Eine Kooperation von
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PETRA & Cédric
Die Brücke
von Cédric Weidmann (Text) und Petra Bürgisser (Illustration)
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s ist nicht sicher, wie rege die Brücke, gebaut 1997, wirklich benutzt worden ist. Es ist keine wirkliche Brücke, eigentlich ein breiter Baumstamm, der halbiert und mit Stahlschienen seitlich verstärkt worden ist. Wenn drei Leute gleichzeitig darauf stehen, stöhnt sie und beginnt für den geneigten Zuhörer im Quirlen des Wassers, das darunter vorbeispült, leise Lieder zu summen. Es ist allerdings nicht leicht vorstellbar, dass drei Leute gleichzeitig auf der Brücke stehen. Sie liegt in einer hinteren Schleife des Baches, die bereits tief im Wald der Auen versenkt ist, manchmal wird sie eine ganze Woche nicht benutzt. Ein Schrei verhallt in den Nadelvorhängen, die um die Baumstämme gezogen sind, und wird kaum gehört werden. Das Supermodel setzt seinen Fuss auf die Brücke. Sie hat sich beim Joggen verirrt, aber so weit und so lang, dass man an ein Versehen gar nicht denken mag. Ihr Blick scheint auch nicht irrend, wenn sie vorwärts schreitet und die Wirbel im Wasser betrachtet. Ihr Blick ist fest und zufrieden. Sie spuckt in den Bach. Sie stützt sich auf das kalte Geländer und weint lange.
Glauben die Bachmenschen. Durch die Brechung, die das Licht oberhalb der Wasseroberfläche erfährt, sieht es aus, als liefen Tränen über die Wangen des Models. Die Bachmenschen sind traurig über den Anblick, einige erheben ihre summende Stimme, ob man ihr nicht helfen könne. Aber das ist, wie die Ältesten beteuern, unmöglich, es gibt keine Hilfe für eine der Oberen. Je heftiger das Wasser in Bewegung ist, desto weiter zieht es ihre Mundwinkel herunter, und das Mitleid macht die Bachmenschen ganz wehrlos und taub.
Das Model aber weint gar nicht, es lacht. Ihr Lachen wird von den Nadelbäumen verschluckt. Die Eichhörnchen erstarren mit zitternden Nüstern, nur die Bachmenschen sind nicht still, sie verwirbeln in traurigem Marsch stärker das Wasser, das rauscht und rauschend das Trommeln des einsetzenden Regens fast verschluckt. Das Holz der Brücke verdunkelt sich mit der Nässe und knarrt empfindlich, auf dem Stahl sammeln sich Tropfen zu Wasserpickeln an, von denen keiner den anderen berühren will. Sie lacht. Man hat ihr gesagt, sie würde sich verlaufen. Jetzt hat sie sich wirklich verlaufen.
Cédric Weidmann, geboren 1991 in Affoltern am Albis, bloggt seit neun Jahren. Er lebt, studiert und arbeitet in Zürich und ist Herausgeber von «delirium - Zeitschrift gegen Literatur», deren achten Ausgabe im April erscheint. Im März gewann er den Wartholz-Literaturpreis.
10. bis 20. Mai 2017
Planen Sie ihre nächsten Kabarett-Besuche: 6. OLTNER KABARETT-CASTING
Schwager Theater Letzte Vorrunde: Fr, 7. April 2017, Finalabend: Di, 16. Mai 2017
30. OLTNER KABARETT-TAGE
10. bis 20. Mai 2017, wählen Sie aus dem Programm Der Vorverkauf startet am 12. April 2017
QUAI CORNICHON
Besuchen Sie den neuen Quai Cornichon entlang der Klostermauer, Olten
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www.kabarett.ch
Aysha und Sultan vom Bauernhof
Text von Lucas Maisel
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Nicht unweit von Olten leben zwei Kamele im beschaulichen Wolfwil. Ein Besuch bei den beiden Trampeltieren und ihrem Besitzer, Erwin Ackermann.
Fotos von Yves Stuber
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n einem solchen Tag, an dem der Nebel den Jura hinunterschleicht, an dem ein richtiges Schweizerwetter herrscht, zwei Kamele auf einer Weide stehen zu sehen, ist so wundersam und rätselhaft wie ein Traum. Erwin Ackermann führt den Schlatthof, er hält behornte und unbehornte Milchkühe aller Rassen, auf einem Feld stehen schräge Telefonmasten, an denen bald der Hopfen hochwachsen wird. Er verkauft ihn an die Kleinbrauereien, die mittlerweile zahlreich geworden sind. Und dann eben diese beiden Kamele: Aysha, die zwanzigjährige Stute, und Sultan, der jüngere Hengst. Kamele im Solothurnischen, das so Fremde im so Vertrauten – das scheint ein wiederkehrendes Motiv zu sein: Vor einigen Jahren war hier, bei Wolfwil, ein schwarzer Panther gesichtet worden, und obwohl einige Augenzeugen schworen, dass es sich tatsächlich um einen gehandelt habe, wurde nie ein Beweis gefunden.
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Nachdem mich Ackermann begrüsst hat, beantwortet er gleich eine Frage, die ich ihm gar nicht gestellt habe, die er aber fast immer als erstes hört: Haben die Kamele nicht kalt? Nein, es seien schliesslich Kamele und keine Dromedare, und diese lebten nicht in den Wüsten Arabiens, sondern in jenen Zentralasiens, wo winters zweistellige Minusgrade herrschten. Das Kamel (und das Dromedar) ist ein Tier der kargen Landschaften, ein Asket, der hundert Liter Wasser säuft, die er in seinem Magen speichert, um davon zwei Wochen zu zehren; vom Fett in den Höckern noch länger. Man möchte diese beiden Kamele fragen, ob ihnen die asiatischen Wüsten nicht fehlen, aus denen sie stammen – die chinesische Taklamakan, die mongolische Gobi, die kasachische Mujunkum. Wo das Land unendlich scheint, wo man den Glauben verliert an Berge und Bäume, wo alleine Steine gedeihen, von dort stammen sie. Sehnen sich diese beiden in der Schweiz geborenen Trampeltiere nach dieser Weite, ohne sie zu
«Das nomadische Leben ihrer asiatischen Artgenossen ist diesen Tieren fremd – es sind sesshafte Kamele, Schweizer Kamele.»
kennen? Ruft der Überfluss der grünen Wiesen, der feuchten Luft Unbehagen in ihnen hervor? Leiden sie an einer Melancholie, an einem Fernweh, das sie sich selbst nicht erklären können? Aysha ist im nahen Osten geboren, in Frauenfeld. Dem Kleinzoo, in den sie später kam, wurde die Stute bald zu gross und eigenwillig, und Ackermann erfuhr davon über einige Ecken. Er nahm sie auf seinen Hof, ohne jemals Kamele gehalten zu haben – natürlich aber benötigte er eine Haltebewilligung für Wildtiere. Ackermann hatte keine besondere Beziehung zu Kamelen, allein eine ferne, unklare Kindheitserinnerung gab es: Der Besuch auf dem Bützberg, wo jemand ein Kamel in einer Garage hielt. Hier in Wolfwil haben sie eine ganze Weide für sich, doch scheinen sie gar keinen Drang zu verspüren, umherzuziehen – sie bleiben meist in der Nähe des Futterverschlags. Das nomadische Leben ihrer asiatischen Artgenossen ist diesen Tieren fremd – es sind sesshafte Kamele, Schweizer Kamele. Als seine Kühe von der Weide kamen und Aysha
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das erste Mal erblickten, blieben sie wie angewurzelt stehen. Man muss sich das einmal vorstellen: Dutzende Kühe, die einfach dastehen und ein Trampeltier mustern und zu ergründen versuchen, ob dieses so fremde Wesen eine Gefahr für sie darstellt. Aber dann, plötzlich, setzten sie sich in Bewegung und zogen an ihr vorbei. Um die Begriffe zu klären: Kamel bezeichnet umgangssprachlich ein Tier, das eigentlich den Namen Trampeltier trägt, es hat zwei Höcker. Der Name ist nicht nur wenig schmeichelhaft, sondern auch unzutreffend: Das Trampeltier trampelt nicht, es hebt und senkt die zweizehigen Füsse langsam, behutsam. Das Dromedar gehört ebenfalls zu den Altweltkamelen und wird deshalb auch als einhöckeriges Kamel bezeichnet. Trampeltiere haben, zugegeben, nichts von der Anmut der etwa gleich grossen Pferde: Ihr Rumpf, der auf viel zu dünnen Beinen steht, ist von geradezu grotesker Unförmigkeit, der Hals ist unnötig lang und gebogen wie ein Siphon –
«Ihr Rumpf, der auf viel zu dünnen Beinen steht, ist von geradezu grotesker Unförmigkeit, der Hals ist unnötig lang und gebogen wie ein Siphon – man fragt sich, wieso sie nicht vornüberfallen.»
man fragt sich, wieso sie nicht vornüberfallen. Die Kamelhengste besitzen ein Gaumensegel, einen Hautsack, den sie aufblasen und aus dem Mund hängen lassen, wenn sie brünstig sind. Sultan hat ein weisses, zottliges Fell, besonders lang und dicht ist es unterhalb seines Kopfes. Bald wird er dieses Fell wieder in grossen Fetzen ablegen, bis er vollkommen nackt ist, und wieder werden Wanderer stehenbleiben und sich fragen, ob das Kamel krank sei. Früher kamen manchmal Frauen, die das Fell einsammelten und daraus Kamelhaardecken fertigten. Sultan ist ein Frühgeborenes, das Ackermann von einem befreundeten Kamelhalter erhielt und aufpäppelte. Nachdem Aysha von Sultans Vater gedeckt worden war und geworfen hatte, machte Sultan einen plötzlichen Wachstumssprung – offenbar säugte Aysha nicht nur ihr Kalb, sondern auch ihn. Aber auch heute noch ist Sultan kleiner als andere Kamelhengste. «Er wäre so gross wie der Futterverschlag», meint Ackermann, als wir davor stehen – also
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etwa einen Menschenkopf grösser. Sultan ist auch schon so imposant genug mit seinem riesigen Schädel und dem weissen Bart, in dem Strohhalme haften. Während wir sprechen, schnappt er immer wieder nach Ackermanns Arm, dieser lässt sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen – Sultan wolle halt Brot. Wirklich ausgerastet sei Sultan nur einmal, als eine Hochzeitsgesellschaft auf dem Hof war und Kinder ihm Rüebli vor die Nase hielten. Kamele können, wie ihre Verwandten, die Lamas, ebenfalls spucken – aber keinen Speichel spucken sie, sondern Gallensaft und Halbverdautes. Und das landete auf den weissen Hemden und Kleidern der Gesellschaft. «Das hat dann gestunken», freut sich Ackermann. Nun ist Aysha, die haselnussbraune Stute, wieder trächtig, diesmal von Sultan. Als ich mich mit Ackermann verabrede, fragt er, wann der Text erscheine – er ist ein wenig abergläubisch, sagte er, er will die Schwangerschaft nicht verschreien, aus Angst, es könne genau dann schiefgehen. In den nächsten zwei Wochen soll es so-
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Kreative Arbeiten finden sich, auch wenn die Kundschaft ausbleibt.
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weit sein, die Milch ist bereits eingeschossen, er zieht an einer Zitze des haarlosen Euters. Ackermann hofft, dass Ayshas Niederkunft so reibungslos verlaufen wird wie ihre erste. Aysha erscheint viel sanftmütiger als Sultan, allein ihre Anwesenheit wirkt beruhigend. Vorüberkommende Reiter würden manchmal spötteln, sie können nicht verstehen, was man an diesen gemächlichen, plumpen Tieren finde. Die Antwort findet man in ihrem Gesicht: diese dicht bewimperten Augen, dieses ständige leichte Lächeln – ein Lächeln freilich, das nicht da ist, dass der Mensch aber in so vielen Tiergesichtern sehen will. Von der arabischen Halbinsel stammt eine Erklärung für dieses geheimnisvolle Lächeln: Der Mensch kenne zwar alle neunundneunzig Namen Allahs, der letzte allerdings, der hundertste, wisse allein das Kamel. Ein Pferd, so führt Ackermann zur Verteidigung seiner Kamele an, renne solange, wie der Reiter es antreibe, auch wenn es schliesslich vor Erschöpfung zusammenbricht. Esel und Kamele seien viel klü-
ger, sie würden einfach stehenbleiben, wenn sie nicht mehr können. In Ayshas braunem Fell klebt Stroh, sie läuft auf die Wiese und legt sich nieder, schaukelt auf ihrem runden Bauch, als würde sie sich kratzen. «Das hat sie sich von den Eseln abgeschaut», sagt Ackermann. Aysha kann sich aber, der Höcker wegen, nicht auf den Rücken drehen. Ackermann knistert mit dem Papiersack, und die Kamelstute erhebt sich – mit den Hinterbeinen zuerst – und steht gleich darauf an der Stromschnur, um Ackermann das Brot aus der Hand zu fressen. Auch die Esel wissen, was dieser Papiersack bedeutet, und sie fordern lauthals ihren Teil – doch ihnen gibt er nichts, sie seien zu fett. Gierig schlingen Aysha und Sultan das Brot hinunter, und als der Sack leer ist, hält Ackermann ihn Aysha unter die Nase, und sie steckt ihren Kopf hinein, um zu sehen, ob tatsächlich nichts mehr darin ist.
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«Der Mensch kenne zwar alle neunundneunzig Namen Allahs, der letzte allerdings, der hundertste, wisse allein das Kamel.»
DER KOLTIGE MONAT
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ir waren in Milano und haben unseren koltigen Designer Christoph «Rosi» Haiderer getroffen, der momentan in La Spezia wohnt. Frühmorgens fuhren wir mit dem Zug los. Kurz vor Mittag waren wir dort. Assen fein in der «Trattoria Milanese» – man schaue sich die Bilder an. Nach Feierabend waren wir zurück in Olten. Die Reise war eine schöne Gelegenheit, gemeinsame Projekte zu besprechen, sich auszutauschen, ein wenig abzuschalten, ein wenig fremde Luft zu schnuppern, uns inspirieren zu lassen und dem Stier in der Galerie Vittorio Emanuele II die Eier zu drücken. In Olten angekommen, gings direkt ins Arlecchino auf eine Pizza, um das Nachhausekommen ein noch wenig länger hinauszuzögern. Was wir so besprochen haben? Sagen wir nicht. Aber dafür gibt’s hier paar Stichworte aus unserem koltigen Leben: Wir haben seit einigen Wochen neue Nachbarn. Sie haben uns Champagner gebracht, weil wir ihnen einen Sitzungstisch ausgeliehen haben. Das Paar ist italienisch und bestellt sein Büroinventar in Italien. Dauert eben länger und ist nicht planbar.
«Voller Menschlichkeit und lakonischem Humor.» THE GUARDIAN
E D I S R E H T O THE OKIFKAHUROISMPÄKEI A FILM BY
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Wir haben einen neuen Bürokumpel. Er heisst Markus Müller. So wie Max Mustermann, einfach anders. Und er ist nicht durchschnittlich. Nein, er hat Lego auf seinem Tisch. Warum? Dies berichten wir ein anderes Mal. Oder du kannst raten und falls du richtig liegst, schenken wir dir oben erwähnte Flasche. Wir benutzen die App «Headspace», die uns täglich 20 Minuten lang hilft, zu meditieren, um ein wenig Klarheit zu erlangen und abzuschalten. Wir kriegen monatlich ein Paket mit Kaffeebohnen von beanbros.co aus Kopenhagen und lassen sie von unserer Nathalie gleich beschnuppern, nachdem sie einen Sensorikkurs in Basel bei «Die Kaffeemacher» besucht hat. Wir haben neue Kopfhörer und geniessen das Album «At least for now» von Benjamin Clementine. Berichte doch auch du uns ein kleines Detail aus deinem Leben. Sharing is caring, you know.
Auf bald.
Dein KOLT SHERWAN HAJI SAKARI KUOSMANEN IN COPRODUCTION WITH
WRITTEN AND DIRECTED BY AKI KAURISMÄKI PRODUCTION BY SPUTNIK OY OY BUFO AB AND PANDORA FILM WITH THE PARTICIPATION OF SUOMEN ELOKUVASÄÄTIÖ YLEISRADIO OY ZDF/ARTE SUOMI 100 AND KIRKON MEDIASÄÄTIÖ
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Osterbrunch
Sonntag, 16. April 2017, 10:30 - 15:00 Uhr
Geniessen Sie einen köstlichen und reichhaltigen Brunch am Ostersonntag. Begrüsst werden Sie mit einem tollen Apéro inklusive einem Glas Prosecco. Das Highlight des Ostersonntages: unter allen Gästen wird ein Gutschein für einen Brunch für 4 Personen verlost und Sie erhalten zusätzlich eine tolle Osterüberraschung! Zeit
10:30 – 15:00 Uhr
Buffet
Apéro, klassisches Frühstück, Vorspeisen, Antipasti, Fisch- und Fleischspezialitäten, Salatbuffet, warme saisonale Gerichte sowie Dessertbuffet Getränke: Kaffee, Tee, Säfte und Prosecco
Preis
69 Franken Kinder bis 6 Jahre gratis, 7-15 Jahre 30 Franken
Anmeldung
Unter der Nummer 062 286 68 00 oder unter www.pure-olten.ch
Wir freuen uns Sie an unserem Osterbrunch zu begrüssen! pure Restaurant | Riggenbachstrasse 10 | 4600 Olten | www.pure-olten.ch | facebook.com/pureolten
«Wenn du einen Garten und dazu noch eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen.» Cicero
COVER – für Menschen, denen doch noch etwas fehlt.
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