CHF 6.DAS OLTNER STADTUND KULTURMAGAZIN N째74 / Mai 2016
kreativ
frei
sorglos
lethargisch 체berfordert
Bifangplatz: Viele Ideen, keine Taten Seite 24 Kreativit채tskiller Grundeinkommen? Pius Kn체sel im Interview.
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faul
Wir sind umgezogen! Der Umbau geht dem Ende zu. Im Mai möchten wir an unserem neuen Standort gemeinsam mit Ihnen die Korken knallen lassen! Mehr Infos demnächst. Das ganze Duroc Team freut sich auf Sie! INDUSTRIESTRASSE WEST 7 — 4613 RICKENBACH (SO) — +41 62 791 49 59 — INFO@DUROC.CH — WWW.DUROC.CH Unsere Produkte erhalten Sie auch bei unserem Partner Eguete — Judith Stäheli — Konradstrasse 32 — 4600 Olten — +41 62 212 94 94
Lasst sie uns holen, die wunderbaren Enzo-Möbel Wir benötigen Eure Unterstützung. Machen wir Nägel mit Köpfen und zeigen, dass wir gemeinsam diese Stadt gestalten können! Alle Infos auf Seite 26 und auf www.kolt.ch/bewegen
EDITORIAL Mai 2016
Liebe Leserinnen, liebe Leser, was will man über das bedingungslose Grundeinkommen schreiben, was nicht schon geschrieben wurde oder in den nächsten Wochen noch geschrieben werden wird? Wir sind der Meinung, dass darüber Streiten am meisten Spass macht. Mit Pius Knüsel haben wir hierfür den perfekten Gesprächspartner gefunden. Unser Journalist Elia Blülle hat sich auf diese herausfordernde Aufgabe eingelassen und den wortgewandten Ex-Pro-Helvetia-Direktor in Zürich zum Gespräch getroffen. Wie würde das Grundeinkommen die Kulturbranche verändern? Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens, so Knüsel, sei utopisch, weshalb er seine Argumente auch ins Extreme weiterspinnen dürfe. Und eines sind seine Aussagen in der Tat: extrem. Zugleich sind sie aber auch extrem anregend und hindern einen daran, allzu bequem zu einem unumstösslichen Fazit zu gelangen. Bilden sie sich ihre eigene Meinung und holen sie sich auf S. 20 ihre Argumente. Auf S. 16 treffen sie Menschen an, die das Thema von einer anderen, sehr persönlichen Seite betrachten: Eltern. Väter und Mütter, von der Service-Angestellten bis zum erfolgreichen Schriftsteller. Wir baten sie, uns zu erzählen, was sie davon halten, dass ihre Kinder vielleicht eines Tages Geld erhalten, ohne dafür arbeiten zu müssen. Seit dieser Ausgabe haben wir im Heft eine neue Doppelseite (S. 10). Zukünftig schreiben dort ausgewählte Oltner Zeitgenossen kritisch über Themen, die sie bewegen. Den Anfang macht Kantonsrätin und Juristin Susanne Schaffner. Neu ist auch die Rubrik «Off The Record». Wer hinter den Zeilen steckt, bleibt im Verborgenen – schliesslich finden auch die dort behandelten Themen auf geheimnisvollen Wegen zu uns in die Redaktion: manchmal werden sie einem zugesteckt, manchmal schnappt man sie auf, einfach mal so nebenbei beim Plaudern in den Gassen – wie das halt so ist in kleinen Städten. Viel Spass mit dem Mai-KOLT und bis zum nächsten Monat! Nathalie Bursać
Gaia Giacomelli REDAKTIONELLE MITARBEIT Elia Blülle (eb), Isabel Hempen, Martin Bachmann, Kilian Ziegler, Marc Gerber, Daniel Kissling, Caspar Shaller, Ueli Dutka (ud), Franziska Monnerat ILLUSTRATION Petra Bürgisser, Anna-Lina Balke FOTOGRAFIE Fabian Unternährer, Janosch Abel, Yves Stuber LEKTORAT Mirjam Läubli LESERBRIEFE leserbriefe@kolt. ch, www.kolt.ch/leserbriefe AGENDA agenda@kolt.ch, www.kolt.ch/agenda ABO Jahresabonnement CHF 59.—(inkl. MwSt), Gönnerabonnement CHF 99.—(inkl. MwSt), abo@kolt.ch, www.kolt.ch/abo INSERATE inserate@kolt.ch, www.kolt.ch/inserieren KONTAKT www.kolt.ch, hallo@kolt.ch AUFLAGE 1'800 ISSN 1664-0780 DRUCK Dietschi AG Druck und Medien, Ziegelfeldstrasse 60, CH-4600 Olten. © 2016, Verlag 2S GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung. Die Urheberrechte der Beiträge bleiben beim Verlag. Keine Gewähr für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustrationen.
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Cover fotografiert von Fabian Unternährer
IMPRESSUM VERLAG / HERAUSGEBER Verlag 2S GmbH, Leberngasse 17, 4600 Olten, verlag@v2s.ch, www.v2s.ch VERLAGSLEITUNG Yves Stuber (ys), REDAKTIONSLEITUNG Nathalie Bursać (nb), redaktion@kolt.ch FINANZEN Matthias Gubler INTERNETAUFTRITT Roger Burkhard LAYOUT / SATZ Christoph Haiderer,
INHALT
6 Im Gespräch Simone Scholtz hat sich nach Jahren im Ausland für die Rückkehr nach Olten entschieden
20 Der Extremdenker
KOLUMNEN 8
In Pius Knüsel, dem ehemaligen obersten Kulturförderer der Schweiz, hat die Kulturbranche ihren grössten Kritiker gefunden. Da verwundert es nicht, dass er jede Menge Argumente gegen das bedingungslose Grundeinkommen hat.
GENUSS 28
NaRr
Film
Die Welt durch den Instagram-Filter
Dogma-Regisseur versucht sich am Thema Kommune
Kilian Ziegler
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Vom Traum, der neue Sugarman zu sein
Musik Mit Palko!Muski kann jeder Besoffene mitsingen
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Petra & Nils Loeffel «Idomeni»
STADT
26 Orte zum Verweilen
Wie wäre es zum Beispiel mit bunten Liegemöbeln, die Stadt zu verschönern und zum Verweilen einladen? Eben erst noch waren die Enzo-Möbel eine Idee – nun wird sie umgesetzt.
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Literatur Ein Schweizer Debüt-Roman stösst auf Begeisterung
34 Der Koltige Monat
Baustelle Bifangplatz
Stadtentwicklung selbst gemacht
Sei 17 Jahren ist im Stadthaus eine Motion hängig, die eine Aufwertung des Bifangplatzes verlangt
11 Meinung Susanne Schaffner über ihren Heimweg mit Hindernissen
32 Das Leben ist kein Traum Malcolm Holcombe hat eine Stimme wie rauchiger Whiskey. Diesen Monat spielt diesen Monat zum zweiten Mal in Olten.
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DAS GESPRÄCH
«Ich habe Olten gegenüber sehr gemischte Gefühle» Nach zehn Jahren in Zürich und vier in Texas, kehrte Simone Scholtz vor knapp einem Jahr nach Olten zurück. Ein Gespräch über das Neuanfangen, den frischen Blick auf die altbekannte Stadt und ihre Pläne, diese mitgestalten zu wollen. Interview von Nathalie Bursać Porträt von Janosch Abel
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imone Scholtz, wie war es, nach vier Jahren in Texas zurück in die Schweiz zu ziehen? Die ersten Monate waren enorm schwierig. Ich fühlte mich entwurzelt und innerlich fremd. Viele der hiesigen Konventionen hatte ich im Laufe der Jahre fast vergessen und dafür texanische erlernt. Ich merkte erst bei der Rückkehr in die Schweiz, wie sehr sich mein Verhalten, meine Wahrnehmung und teilweise sogar meine Werte verändert hatten. Was war denn anders? Zum Beispiel war es in Texas wichtiger Bestandteil des Alltags, überall mit den Mitmenschen kleine Gespräche zu führen. Dabei haben sich wildfremde Menschen bei mir über meine Familie erkundigt oder mir auch Komplimente gemacht. Mit der Zeit habe ich das sehr schätzen gelernt und auch übernommen. Was hat es gebraucht, um anzukommen? Geduld und Zeit. Und ich bin kein wahnsinnig geduldiger Mensch. Ich will, dass alles sofort klappt und läuft. Doch erstaunlicherweise war es in Olten sehr einfach, rasch neue Leute kennenzulernen. Ich hatte mich vorab im Internet über Freizeitangebote informiert und bin so auch aufs Cultibo gestossen, welches gerade in der Anfangszeit wichtig war für mich als Neuzuzügerin mit Kleinkindern. Auch habe ich gleich nach meiner Ankunft eine Gruppe für Frauen gegründet, die wie ich aus dem Ausland hierher gezogen sind, die «Olten International Women's Group». Wie kam es dazu? Es war nicht zuletzt auch Selbsthilfe. Schon in Texas hatte ich eine solche Gruppe ins Leben gerufen. Da waren Frauen dabei, die sonst niemanden hatten. Diese Gruppe gab uns allen eine grosse Sicherheit und Stabilität und war wie ein Familienersatz. Wir trafen uns regelmässig und tauschten uns aus, denn vieles, das im Lebensalltag relevant ist, wird informell weitergegeben. In Olten sind Frauen dabei, die erst wenige Tage in Olten leben, andere sind seit Jahren hier. Du kennst Olten aus deiner Kantizeit. Wie siehst du die Stadt heute? Ich habe Olten gegenüber sehr
gemischte Gefühle. Einerseits begeistern mich die Lebensqualität in unserem Quartier, die offenen und interessanten Menschen und die Tatsache, dass Olten auf kleinem Raum viel bietet. Andererseits deprimiert es mich, dass Orte wie der Ländiweg und die Winkelunterführung schlimmer aussehen als vor 20 Jahren, und dass die Innenstadt bis auf zwei Cafés oft menschenleer ist. Als ich zurückkam, fiel mir besonders auf, dass es in der Stadt an vielfältigen Begegnungsorten fehlt. Zwar finde ich Orte wie den Elefantenplatz beim Magazin toll. Dort hat es Leute mit Kindern, hier trifft man immer jemanden an und lernt sich kennen. Es ist ein Zentrum auf der linken Aareseite. Doch was mir auffällt, ist, dass auf der
«Es deprimiert mich, dass Orte wie der Ländiweg und die Winkelunterführung schlimmer aussehen als vor 20 Jahren.» linken Stadtseite ein Quartiertreff und auch ein Begegnungsort im Grünen fehlen. Der Stadtpark ist zentral gelegen, doch meistens menschenleer. Das kann ich nicht verstehen. In Fort Worth, der texanischen Stadt, wo ich lebte, waren die Parks und Spielplätze immer gerammelt voll. Du hast kürzlich bei der Stadt eine Petition eingereicht, um den Spielplatz im Stadtpark aufzuwerten. Wie sieht deine Idee aus? Ich möchte mich für einen Begegnungsraum für alle im Grünen einsetzen. Es bräuchte mitten im Park, neben dem Altersheim und der Pétanque-Bahn, einen attraktiveren Spielplatz mit behindertengerechten Elementen. In den USA haben mich auch die Foodtrucks begeistert: umgebaute Laster, die als Imbisswagen funktionieren. Wenn man so etwas neben dem Spielplatz mit Sitzbänken und Tischen kombinieren könnte, wäre das eben ein solcher Ort zum Verweilen und Begegnen.
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Und nun hoffst du auf Unterstützung von der Stadt? Ich habe bereits erfahren, dass so bald nichts passieren wird. Ich gebe aber noch nicht auf und versuche auf anderen Wegen etwas zu bewegen. Wie sehr ist die Idee eines solchen Spielplatzes inspiriert von deinen Erfahrungen in den USA? In den USA ist es leider so, dass es ganz wenige Orte gibt, wo sich die Bevölkerung treffen kann. Die Shopping-Malls und auch der innerstädtische Boden sind privatisiert. In Fort Worth gab es in der Innenstadt eine Privatpolizei, die willkürlich Menschen wegschicken durfte. Die Spielplätze und die Parks waren quasi die einzigen Freiräume, auch wenn es dort kaum eine echte Durchmischung von Leuten aus verschiedenen Schichten gab. Olten braucht in meinen Augen am dringendsten eine Innenstadt, die wirklich belebt ist und die Menschen aus der ganzen Region anzieht. Das wird entscheidend sein in den nächsten Jahren. Und wie lange wirst du Olten eine Chance geben? Wie lange bleibst du? (lacht) Ich gebe mir drei Jahre. Zu lange kann ich nicht warten, da ich Kinder habe, die irgendwann in die Schule kommen. Ich lache, weil ich merke, wie ich mich emotional an Olten binde. Wie ich anfange, mich zu verwurzeln. Ich spüre, dass ich vermutlich bleiben werde, auch wenn ich im Moment noch hin- und hergerissen bin. Sagen wir es so: Sollte wieder eine Chance kommen, werde ich sie packen. Bis dann versuche ich, mich hier glücklich zu engagieren.
Simone Scholtz (33) wuchs in Schaffhausen, Indonesien und Neuendorf auf. Die studierte Pädagogin ist Mutter zweier Söhne und steigt gerade wieder in den Beruf als Englischlehrerin ein. Sie ist verheiratet mit einem schottisch-südafrikanischen Kanadier, der als Manager arbeitet. Am 31. Mai ist sie zu Gast an der 2. Podiumsdiskussion von Pro Kultur Olten. Thema: «Olten in Fremd- und Selbstwahrnehmung». Beginn: 19.30 Uhr; Ort: Tattarletti, Aarauerstr. 55
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KILIAN ZIEGLER
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von Daniel Kissling
Der Sugarman-Moment
Gestern Morgen Mit der Zigarette in der einen und einem IKEA-Sack in der anderen Hand lauf ich durch den Bärlauch. Es ist Morgen. Ich habe die Sonnenbrille auf, die roten Gläser lassen wie ein Instagram-Fiter die Welt schimmern, Earlybird oder Walden oder Sutro oder Nashville 1977 und mein Rücken schmerzt. Auf einer Stelle des Schotterwegs haben sie Balken gelegt zur Befestigung. Runde Balken, Stämme aus Holz, aber keine Baumstämme wie im Wald, sondern wie auf dem Spielplatz im Nachbardorf, zu dem wir manchmal hingefahren sind, meine Schwester und ich, auf unseren Fahrrädern, wenn die Sonne schien und manchmal auch unter Grau, weil Turm und Hängebrücke der Fantasie halfen. Ich trug damals keinen Helm, glaube ich, und heute auch keinen, dafür einen IKEA-Sack mit frischer Wäsche und im Garten nach dem Waldstück steht noch immer ein Rentier aus Lichterketten, Lichtschläuchen, der Schlitten, der trotz selbem Material, trotz selber Funktion nicht wirklich passt, zu klein wär für das Rentier, liegt umgekippt daneben. Es ist Morgen, ich habe die Sonnenbrille auf, brauche keinen Instagram-Filter, ein Auto weicht mir aus und im Nachhinein bereue ich, die gelbe Werbung darauf nicht gelesen zu haben. Daniel Kissling (1987), lebt in Olten, betreibt das Kulturlokal Coq d'Or, schreibt und ist Herausgeber des Narr. www.dasnarr.ch
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ein Verleger schaut auf die Uhr, länger als er bräuchte, um die Zeit abzulesen. Als er zum wiederholten Mal schnaubt, versuche ich ihn zu beruhigen: «Vielleicht kommen ja noch ein paar», sage ich und glaube mir selbst nicht. Um die vierzig leere Stühle stehen, von Bücherregalen seitlich umrahmt, vor einem Tischchen, an dem ich gleich eine Auswahl meiner Kolumnen vorlesen soll. Nur drei Plätze sind besetzt, in der hintersten Reihe sitzt, ganz am Rand, ein Rentner, der immer wieder zum Apéro-Buffet hinüberblickt. Weiter vorne haben zwei ältere Damen Platz genommen. Die Buchhändlerin stellt sich neben meinen Verleger und mich, sie meint, ich solle doch beginnen. «Ich freue mich», sagt sie wenig überzeugend, und als sie ein «Sie dürfen auch gerne etwas abkürzen» hinzufügt, weiss ich, dass der Abend für alle Anwesenden eine Qual wird. Als ich alleine den Heimweg antrete, bin ich doch ein wenig enttäuscht, dass nur so wenige Leute gekommen sind. Wie ist es wohl, so bekannt zu sein, dass jede Show ausverkauft ist? Ich träume ja von dieser Situation, in der ich irgendwo auf der Welt unfassbar berühmt bin, ohne es zu wissen. Wie im Dokumentarfilm «Searching for Sugarman», in welchem der Songwriter Rodriguez Anfang der 1970er-Jahre zwei grossartige Alben aufnahm, die in den Staaten floppten, dann aber als Raubkopien nach Südafrika gelangten. Dort wurden sie zum Soundtrack der Anti-Apartheid-Bewegung, wobei man dachte, Rodriguez sei tot. In Südafrika wurde dieser kurzum zum Star, ohne etwas davon zu merken. Erst Jahre später wurde er von einem Musikjournalisten ausfindig gemacht. Es folgte eine ausverkaufte Tour durch Südafrika, vor be-
geisterten Zuschauern, die nicht glauben konnten, dass Rodriguez noch lebte und vor ihnen stand. Von einem solchen Sugarman-Moment träume ich manchmal. Wer weiss, vielleicht sind ja durch Wege der Willkür Tonaufnahmen meiner Texte auf einen anderen Kontinent gelangt, nach Asien beispielsweise, wo sie zum Hit geworden sind. Vielleicht haben dort Teenager Deutsch gelernt, oder sogar Schweizerdeutsch, um meine Texte verstehen zu können. Womöglich trinken asiatische Kids in Kellern und Proberäumen Bier, während sie meine Texte rezitieren, die sie eigentlich nicht kennen dürften, da sie verboten sind. Vielleicht werden gewisse Textstellen masslos überinterpretiert und geheime politische Botschaften hineingedeutet. Und da in manchen Ländern Zensur herrscht, können sie mich weder ausfindig machen noch googlen, weshalb sich um meine Person Mythen bilden und Mutmassungen zu meiner Existenz angestellt werden. Wurde ich womöglich ermordet? Oder bin ich bloss verschollen? Hat es mich überhaupt je gegeben? Diese Träumerei stellt mich auf. Bevor ich nach Hause gehe, wo noch weniger Leute sein werden als an der Lesungen vorhin, gönne ich mir einen Snack beim China-Imbiss. Als mich dessen Inhaber ungewöhnlich lange anstarrt, denke ich, dass an meiner Sugarman-Sache vielleicht ja doch etwas dran sein könnte.
«Nur drei Plätze sind besetzt, in der hintersten Reihe sitzt, ganz am Rand, ein Rentner, der immer wieder zum Apéro-Buffet hinüberblickt.»
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Eine gute Zeit La vache Kili PS: Lesungsanfragen bitte direkt an meinen Verleger.
PETRA & Nils Loeffel
Idomeni
von Nils Loeffel (Text) und Petra Bürgisser (Illustration)
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wischen zwei Getränken unterhalten wir uns in Sprachen, die wir nicht sprechen. Versuchen zu verstehen, was den Menschen zur Zerstörung treibt. Wir stehen da, mit offenen Armen, und niemand rennt hinein. Die Bilder der Menschen auf der Flucht ziehen vor unseren Augen vorbei, und wir weinen. Wir sind darauf nicht vorbereitet worden, so scheint es. Unsere Träume waren immer gross. Wir sprechen von Impact und Output und ziehen Bilanz. Aber das ist mehr als gross. Hier reichen 140 Zeichen nicht. Wir bleiben vor flimmernden Bildschirmen stehen und versuchen, in Worte zu fassen, was passiert. Wir schauen in die Augen der Leute und sehen unser Spiegelbild. Bomben explodieren und Menschen sterben in Städten, die wir besucht haben. Das können wir nicht. Wir twittern. Wir wollen die Bilder vergessen. Idomeni. Ein Wort, das klingt wie Poesie, aber alles andere verkörpert. Idomeni hat sich wie ein Mantra in unseren Köpfen festgesetzt. Idomeni steht für unsere Fehler. Für unsere Untätigkeit. Für unsere Hilflosigkeit. Für unser Versagen. Wir blicken tief in unsere Gläser und erhoffen
überall. Deshalb können wir die Bilder nicht vergessen.
uns Antworten auf die grossen Fragen. Wir hätten es in der Hand, so scheint es. Wir könnten den Unterschied ausmachen. Doch wir packen es nicht. Paris, Tunis, Garissa, Zvornik, Port El-Kantaoui, Kuwait, Leego, Mogadischu, Gombe, Suruc, Daglica, Ankara, Beirut, Bagdad, Paris, Sarajevo, Bamako, San Bernardino, Pathanok, Istanbul, Jakarta, Ouagadougou, Peshawar, Mogadischu, Kairo, Ankara, Aden, Jerusalem, Ankara, Grand-Bassam, Istanbul, Brüssel, Al-Asrija, Lahore, Diyarbakir. Es trifft uns alle. Fast täglich und
Aarburg, Beinwil am See, Deitingen, Menziken, Amden, Gretzenbach, Safenwil, Giffers, Oberwil-Lieli, St. Urban, Bremgarten. Sie bauen Mauern und Zäune an den Grenzen und in ihren Köpfen. Sie sehen ein volles Boot und fürchten um ihre Kultur. Wir diskutieren und planen, wir wählen und stimmen ab. Sie sprechen von Volk, von Richtigen und Falschen, von Gut und Böse. Sie rufen in den Kommentarspalten zu Gewalt auf, sprechen von Widerstand und von Bürgerkrieg. 924 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland im Jahr 2015. Unsere Nachbarn machen ernst. Wir wollen aufklären und vermitteln. Wollen argumentieren, verhandeln und erklären. Sie argumentieren nicht, sie verhandeln nicht. Wir sollten aufstehen und schreien. Sollten für die Menschenrechte einstehen und kämpfen. Sollten handeln, bewegen und ändern. Denn wir dürfen die Bilder nie vergessen.
Nils Loeffel (26) arbeitet als Sozialarbeiter in Solothurn und veranstaltet regelmässig Kultur im Coq.
www.bijouterie-maegli.ch
AnziehungskrAft
liegt in unserer nAtur. KOLT
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LESERPOST
«Als Exekutive und Legislative gemeinsam eine zukunftsträchtige und mutige Strategie für das Gemeinwesen zu entwickeln und zu tragen bedeutet: verstehen worum es geht, darüber diskutieren und sich eine fundierte Meinung bilden, um denn zu wissen, was man tut (bzw. entscheidet) und schlussendlich dafür die Verantwortung zu übernehmen. Die jüngste politische Vergangenheit der Stadt mit dem Finanzdebakel als Folge sollte zumindest dies gelehrt haben, oder?» Eine Leserin zum Kommentar «Parlament entlasten, Globalbudgets einführen, Kompetenzen delegieren» (KOLT, Mai 2016). Den Artikel und den vollständigen Leserbrief gibts auf www.kolt.ch oder via bit.ly/Globalbudget.
OFF THE RECORD
Das sommerliche Event-Kabarett «Da verschieben sich Interessen, Gelder und Prioritäten schneller, als ein Altstadtbewohner das Wort Toleranz buchstabieren kann.»
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rot und Spiele! Endlich Sommer, endlich warm, du möchtest gemütlich durch die liebens- und lebenswerte Stadt schlendern, in Ruhe Kaffee geniessen und die Kinder beim Spiel beobachten? Kaum laut gedacht, da haut dir schon ein Moderator seine Sponsorentafel um die Ohren. Liebens- und lebenswert, oh yeah! Der deutsche Kabarettist Gerhard Polt hat uns ja erklärt: «Das Wort Toleranz ist kein deutsches Wort. Es ist ein Fremdwort. Und tolerieren, etwas tolerieren bedeutet so viel wie etwas aushalten. Also wenn früher mal wer gefoltert wurde, dann war der tolerant.» Die Kirchgasse wird in den warmen Monaten zum Messeplatz, zum Stadion, zum Kino und zur Fressmeile. Wer da zusätzlich unsere Toleranz will, der muss auf einen anderen Platz ausweichen: zum Beispiel auf den lauschigen Schützi-Vorplatz. Dort spazieren in den Sommermonaten täglich hunderte Menschen vorbei, die tolerieren wollen. Aber auch dort ist die Manege nicht mehr ganz so frei. Da wird «g'ellböglet». Das Street-Soccer-Turnier reserviert den Platz für Juni, der Nationalzirkus benötigt ihn im Juli und der benachbarte Gastronom will uns
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dort von Juni bis Juli die Fussball-Europameisterschaft auf Grossleinwand zeigen. Es brodelt im Bewilligungs-Zirkus und in der Gerüchteküche! So hören wir, dass der Strassenfussballer seine Bewilligung schon seit Ende letzten Jahres hat (und als erfahrener Punkrocker eine gewisse Schweizer Rechtssicherheit durchaus gewohnt ist), die Artisten ihre Elefanten nicht mehr zur Schau stellen (und deswegen ja e-vent-u-ell weniger Platz benötigen könnten) und das EM-PublicViewing plötzlich von der Swisscom (einem seeehr guten Arbeitgeber) präsentiert würde und kürzlich unter vorgehaltener Hand die Zusage erhalten habe. Da verschieben sich Interessen, Gelder und Prioritäten, schneller als ein Altstadtbewohner das Wort Toleranz buchstabieren kann. Für den gutschweizerischen Kompromiss müssten der Dompteur, der Punk, der Gastronom und der Beamte mal in Ruhe bei einem Kaffee zusammensitzen. Müssten. Eigentlich. Wir suchen uns derweil ein kostenloses, lauschiges, zentrales Plätzchen an der Aare. Aber das ist ein anderes Thema.
MEINUNG Susanne Schaffner (*1962), betreibt seit 20 Jahren eine Anwaltskanzlei in Olten, ist politisch aktiv als Kantonsrätin, geniesst mit ihrer Familie die Wohnqualität in Olten und quert die Stadtseiten am liebsten zu Fuss morgens um sechs.
Heimweg mit Hindernissen
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ach dem letzten Theaterbesuch schlenderten wir drei Frauen durch die Stadt und entschieden uns, im Café Vaudoise noch ein Bier trinken zu gehen. Vom Zielemp herkommend über den Kaplaneiplatz, das schmale Gässchen der Stadtmauer entlang Richtung Ildefonsplatz gehend, fiel es uns plötzlich wie Schuppen von den Augen: die schönste Ecke von Olten! Ich hatte diesen Ort bisher nie so richtig wahrgenommen. Aber jetzt weiss ich, warum viele Touristen sagen, Olten habe eine schöne Altstadt. Es war Abend, friedlich und still: die Häuser der Stadtmauer aus früherer Zeit, der gepflasterte Platz, der Ildefonsturm und über uns der Sternenhimmel. Idylle und Schönheit wie aus dem Reiseprospekt, sozusagen vor der eigenen Haustüre. Apropos eigene Haustüre: Leider ist der Rückweg vom Café Vaudoise nach Hause ins Hardeggquartier deutlich weniger idyllisch. Nach der alten Brücke stehen mir grundsätzlich drei Varianten offen: Mit dem Velo über die Kreuzung, dem Aarequai entlang zur Bahnhofunterführung oder durch die Winkelunterführung. Variante Velo erinnert mich immer wieder an mein erstes politisches Erlebnis nach meinem Umzug in die Stadt vor gut zehn Jahren. Das damals vorgestellte Velokonzept schilderte die Que-
rung der Stadtseite durch die Unterführungsstrasse als völlig problemlos. Einfach bei grün wie die Supersportlerin in die Pedale treten und frau erwischt dann locker die Grünphase, um links Richtung Kanti abzubiegen. Allerdings muss ich sagen, dass ich auch nach zehnjähriger Praxis die kurze Strecke als wenig entspannend und das Nebeneinander von Autos
«Leider ist der Rückweg vom Café Vaudoise nach Hause ins Hardegg-Quartier deutlich weniger idyllisch.» und Velos alles andere als friedlich erlebe. Aber ein erleichtertes Gefühl, wieder mal nicht unter die Räder gekommen zu sein, kann sich durchaus einstellen. Da ich am besagten Abend zu Fuss unterwegs bin, könnte ich doch dem schönen Andaarequai entlang schlendern, zur Aareterrasse und dann
durch die Bahnhofsunterführung zu meiner Haustüre gelangen. Könnte, wenn denn das Projekt Andaare wirklich gebaut worden wäre. Aber die 25 Millionen, die die Oltner Stimmberechtigten vor fünf Jahren gesprochen hatten, sind wahrscheinlich, so genau weiss das keiner, für so wichtige Projekte wie Eisstadion und Stadthausrenovation verbraucht worden, auch dazu hat das Volk schliesslich ja gesagt. Nun könnte man meinen, ein Ja ist ein Ja, aber offensichtlich gibt es Jas, die halt doch etwas mehr ja sind. Nun denn, nehmen wir beherzt Variante drei unter die Füsse, die Winkelunterführung! Die müsste eigentlich in der Zwischenzeit «pinselrenoviert» sein. Das war ja das Versprechen des Stadtrates, als er damals dem Parlament die Ablehnung der Winkelinitiative empfohlen hatte. Eine Initiative, in der viele einen echten Lösungsansatz für ein drängendes Problem gesehen hatten. Dem Stadtrat war der Vorstoss zu radikal, und er machte sich für kostengünstigere, bescheidenere Verbesserungen stark. Aber ein Versprechen gilt bekanntlich noch weniger als ein Ja. Und so bröckelt die Winkelunterführung auch im Jahr 2016 trostlos vor sich hin. Ein Fremder, der es schafft, diesen Unort zu durchqueren, hat die schönste Ecke von Olten wirklich verdient!
KOLT ONLINE
«Besorgt den Passierschein A38 aus der Präfektur!» Asterix und Obelix hetzen von einem Schalter zum anderen, werden von einem Beamten zum nächsten geschickt. Niemand fühlt sich zuständig. Genauso wie Asterix und Obelix ergeht es auch Wirten in Olten, wenn sie ihr Lokal länger als üblich geöffnet haben möchten. Ruft man beim Amt für Wirtschaft und Arbeit AWA in Solothurn an, so heisst es dort, dass für Bewilligungen seit Anfang Jahr die Einwohnergemeinde zuständig sei. Bei der Abteilung Ordnung und Sicherheit, Bereich Gewerbe, wird man wiederum zurück an den Kanton verwiesen. Na, was denn nun?» Den ganzen Text gibts auf www.kolt.ch oder direkt via bit.ly/Passierschein. KOLT
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IM EXIL
«Ich ging wieder zurück in mein vermutlich abgehörtes Hotelzimmer» Menschen aus der Region berichten aus der Welt – dieses Mal über uniforme Touristenscharen im geschichtsträchtigen Rom und über Gänsehautfeeling und orchestrierten Applaus im Kim II-sung-Stadion.
Nordkorea
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ders. Sobald man aber den Kopf drehte, um die Armutsviertel auf der rechten Seite des Buses zu bestaunen, wurde man ermahnt. Mit pausenloser Propaganda und sinnlosen Verboten ging es die nächsten paar Tage weiter. Den berühmten 5. Stock unseres Yanggakdo-Hotels liess ich mir aber nicht entgehen und schlich mich in der Nacht mit dem Personallift in die geheime Etage. Propagandabilder an allen Wänden, eine seltsame Stille; ich ging wieder zurück in mein vermutlich abgehörtes Hotelzimmer. Der amerikanische Student, welcher kürzlich bei einer ähnlichen Aktion erwischt wurde, wird die nächsten 15 Jahre Zwangsarbeit leisten müssen. Zum Glück bin ich umgekehrt, denke ich mir heute. Am nächsten Morgen lief ich den Marathon durch Pjöngjang, für welchen ich mich angemeldet hatte und der die einzige Möglichkeit dar-
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ereits im Propellerflugzeug der nordkoreanischen Airline Air Koryo wurde mir bewusst, dass ich nicht in irgendein beliebiges Land fliege. Alles war irgendwie seltsam und beängstigend, sogar der Hamburger, den ich serviert bekam. Mein Sitznachbar erzählte mir, dass im Internet gemunkelt werde, dass der Burger aus Hundefleisch bestehe. Nun ja, ich ass den Burger trotzdem. In Pjöngjang angekommen, wurden wir zunächst sehr genau durchsucht. Keine Bibel durften wir ins Land bringen, keine Filme, keine Bücher, keine Fotos etc. Im Reisebus sitzend, schauten wir alle ganz gespannt nach draussen. Praktisch alle Menschen waren in irgendwelche Armeeuniformen gekleidet und mit Arbeiten beschäftigt. Fotos durften wir natürlich keine machen. Die nordkoreanische Reiseleiterin sagte uns ständig, wo wir hinschauen sollten und was wir da sehen würden. Links: ein Hochhaus, welches als Residenz für Intellektuelle dient, ein Geschenk des Supreme-Lea-
Damit in der Not ein Anruf genügt. Unsere Finanzdienstleistungen schützen Sie zwar rund um die Uhr, wenn aber Erste Hilfe gefragt ist und es auf jede Sekunde ankommt, sollten Ihnen die folgenden drei Schweizer Notfallnummern quasi in «Blaulichtgeschwindigkeit» einfallen: Sanität 144, Polizei 117, Feuerwehr 118. Baloise Bank SoBa und Basler Versicherungen – hoffentlich schon bald auch Ihre Nummer eins.
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stellt, sich frei in diesem Land zu bewegen. Der Endspurt durchs restlos gefüllte Kim II-ung-Stadion war 400 Meter lang pures Gänsehautfeeling. Später erfuhr ich aber, dass die 50 000 Zuschauer gezwungen worden waren, dort zu sein. Sogar die Einsätze fürs Klatschen haben sie den Leuten mittels «Animatoren» angezeigt. Die Horrorfilm-ähnliche Musik sowie die Sirenen, die jeden Morgen um 5 Uhr durch die ganze Hauptstadt drangen, weckten uns auch am fünften Tag auf. Es war der letzte Tag der Tour. Während dem Rückflug machte ich mir einige Gedanken. Es war das wohl interessanteste Land, welches ich je besucht hatte; trotzdem war ich froh, als ich wieder chinesischen Boden betrat (ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde). Raphael Fischer (29) ist Sport- und Geographielehrer und lebt in Starrkirch-Wil.
Wer im Ausland lebt oder seine Ferien jenseits der Grenze verbringt, ist herzlich eingeladen, KOLT einen Beitrag für diese Rubrik zu schicken: ein Bild und max. 1000 Zeichen Text an redaktion@kolt.ch.
Rom, Italien
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ch frage mich, wie es wohl war, als noch kein Massentourismus existierte: Eine kontemplative Städtereise, eine, in der mensch sich für alles Zeit nehmen konnte; eine Städtereise, in der mensch nicht als Tourist_in Nummer 92 675 in der Hektik und der Ohnmacht versinkt. Diese Vorstellung ist im Vergleich mit der Realität durchaus angenehm. Rom wirkte auf mich so oder so erdrückend: Gefühlt lief ich alle 50 Meter an ein imposantes Bauwerk heran – querbeet aus sämtlichen Epo-
chen; und, wenn ich mich nicht in ein Gässchen verkrümelte, alle 50 Zentimeter an eine_n Touristen_in. Der Lärm von Autos und Baustellen war omnipräsent; Gestank von Urin vermischte sich mit dem der kulinarischen Spezialitäten, und alle 100 Meter wurde mir ein Selfiestick angeboten. Ausserdem habe ich schon lange nicht mehr so viele Bettler gesehen – ihre Präsenz schien beinahe organisiert: ich dachte dabei an Brechts Dreigroschenoper.
Ich fühlte mich als nichtiger Bestandteil einer Gruppe, und die Gruppe war eine Gruppe unter tausenden. Immerhin markierte sich meine Gruppe nicht mit farbigen Hüten, Halstüchern oder sonstigen Zusammengehörigkeitsmerkmalen.
Cindy_Sascha Rijkeboer (23) wohnt in Olten und weilte im Rahmen einer Studienreise der Kanti Olten fünf Tage lang in Rom.
Frühling
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Foto von Fabian Untern채hrer Origami von Eve Lagger
Geld für Nichts Eine utopische Idee bietet Anlass zur Diskussion über unsere Zukunft.
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ie Schweiz, das Volk der Vorkämpfer. So sieht und blendet es sich gerne. Tante Helvetia hat das Avantgardisten-Parfüm über Jahrhunderte aufgetragen, bis der Stallgeruch gewichen und vergessen war. Die Schweiz schreitet seither als Vorbildnation durch die Weltgeschichte. Oft als Erste, manchmal als Letzte. Doch in den vergangenen Jahren blieben die Visionen aus: Reformen quälen sich durch das Getriebe der Direkten Demokratie, und die konservative Realpolitik ist am Trumpfen. Nun bricht ein Kollektiv, bestehend aus Schweizer Künstlern und Unternehmern, zur rechten Zeit die Ideenflaute auf und stellt eine waghalsige Utopie ins demokratische Sägemehl: das bedingungslose Grundeinkommen.
Die gesamte Schweizer Bevölkerung soll monatlich ein Grundeinkommen erhalten, so lautet die Idee. Das Ziel der Initianten ist es, allen ein «würdiges Leben» zu ermöglichen. Sie möchten die Existenzangst beseitigen und den Menschen die Möglichkeit geben, sich mit ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen zu befassen. Arbeit soll nicht mehr ein Produkt des Lohnes, sondern des Willens sein. Bemerkenswert ist dabei: Die Forderung nach einem Grundeinkommen kann keinem bestimmten politischen Spektrum zugeordnet werden, sondern findet Anhänger bei allen Couleurs. Der Grund dafür ist, dass das Grundeinkommen verschiedenen Freiheitsbegriffen entspricht. Es verspricht einerseits Selbstverwirklichung und
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andererseits die Erlösung von Armut und Arbeitszwang. Über das bedingungslose Grundeinkommen wird im Konjunktiv gesprochen, denn der Erfahrungsschatz ist spärlich. Zwar gibt es einzelne Pilotversuche und verwandte, bereits existierende Formen in Alaska und dem Iran – doch in der Grössenordnung wie derjenigen, welche man nun für die Schweiz vorsieht, existiert nichts Vergleichbares. Die Liste der Pround Kontra-Argumente ist endlos, doch am Ende dreht sich alles um dieselbe Frage: Kann der Mensch mit so viel Freiheit umgehen? KOLT präzisiert diese Frage weiter: Können Künstler und Kulturschaffende mit so viel Freiheit umgehen? Und was würde ein bedingungsloses Einkommen mit der jungen Generation machen, die das Leben noch vor sich hat? (eb)
Was Mama und Papa meinen
Maria Pipitone Service-Angestellte, Olten
Eltern haben den Ruf, einem immer einen Strich durch die Rechnung machen zu wollen. KOLT hat bei Müttern und Vätern nachgefragt, was sie vom bedingungslosen Grundeinkommen halten. Eines ist klar: Die Antwort ist nicht so einfach.
Texte von Isabel Hempen Fotos von Yves Stuber
Alleinerziehende Mutter einer 5-Jährigen.
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ch bin in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Ich schätze es sehr, dass ich einen Job habe und dass ich weiss, wofür ich schwitze. Als ich jünger war, hätte ich ein bedingungsloses Grundeinkommen gut gebrauchen können. Dann hätte ich sicher studiert oder einen anderen Beruf erlernt. Ich habe im Käseladen eine Lehre im Detailhandel gemacht, dabei wäre mir etwas mit Kindern lieber gewesen. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen wären für mich viel mehr Türen aufgegangen.
denken: Ich muss nichts tun, ich bin ja versorgt. Ich glaube, das ist eine Erziehungsfrage. Mein Vater sagte jeweils zu mir: «Wenn du Geld brauchst, musst du arbeiten und sparen.»
Ein bedingungsloses Grundeinkommen fände ich grundsätzlich gut, da es viele junge Leute gibt, die nichts besitzen. Man sollte dieses Geld aber nicht einfach aus dem Fenster werfen. Die Voraussetzung wäre schon, dass man damit umzugehen weiss.
Meine Tochter wird irgendwann Taschengeld bekommen, aber nicht sehr viel. Sie soll die Möglichkeit haben, mal einen Kaffee zu trinken oder etwas kaufen zu können, wenn sie mit einer Freundin unterwegs ist. Ich hätte gerne Taschengeld gehabt, als ich klein war.
Ich denke, es würde beides geben: Leute, die etwas auf die Beine stellen, die studieren, ein Geschäft eröffnen, reisen – und andere, die sich gehen lassen. Die sich dann vielleicht
Ich werde meine Tochter sicher unterstützen, bis sie volljährig ist: sollte sie studieren wollen, auch länger. Wenn sie mit 18 ihr eigenes Einkommen hätte, wäre mir das recht, dann
Meine Tochter weiss, wie hart verdient unser Geld ist. Sie sieht mich nicht sehr oft und weiss, dass das Mami viel arbeiten muss. Jeden Rappen, den sie findet, legt sie in ihr Kässeli. Ich hoffe, dass das so bleibt. Ich habe ihr beigebracht, dass man Geld für schlechte Tage auf die Seite legen muss.
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«Meine Tochter weiss, wie hart verdient unser Geld ist. Jeden Rappen, den sie findet, legt sie in ihr Kässeli. Ich hoffe, dass das so bleibt.» könnte ich mehr auf mich selbst schauen. Ich wünsche mir, dass meine Tochter die Schule abschliesst und dann eine Lehre macht oder studiert. Sie soll einmal selbst entscheiden können, welchen Beruf sie ausüben möchte, auch wenn sie dabei nicht viel verdienen sollte. Wenn ihr die Arbeit Freude bereitet und sie finanziell klarkommt, dann ist das ihre Sache. Sie soll nur nie vergessen, dass wir es nicht leicht hatten im Leben. Wenn sie einen Traum hat, soll sie dafür kämpfen.
Esther Straumann
Oliver Krieg
60, Administrative Mitarbeiterin Kulturzentrum Schützi, wohnt in Oensingen
61, Geschäftsführer Kulturzentrum Schützi in Olten, wohnt in Oensingen
Eltern eines 30-jährigen Sohnes, der als Lichttechniker arbeitet.
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sther: Ich denke, es kommt sehr darauf an, wie das bedingungslose Grundeinkommen den Jungen, die ins Berufsleben einsteigen, erklärt wird – dass es eben nicht dazu gedacht ist, dass man die Füsse hochlegen kann. Oliver: Viele Junge wollen in kreativen Berufen arbeiten, die gar kein Einkommen bringen würden. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würde die Kreativität gefördert, man könnte auch mal ein Risiko eingehen. Esther: Und es gibt Familien, die es sich schlicht nicht leisten können, dass ihre Kinder eine Ausbildung machen. Dort sehe ich den wesentlichen Bonus der Idee: dass die Jugendlichen aussuchen können, was sie lernen möchten. Hätte ich ein bedingungsloses Grundeinkommen gehabt, hätte ich nach der Ausbildung zur Kindergärtnerin garantiert noch eine Weiterbildung zur Logopädin gemacht. Damals konnte ich mir das nicht leisten. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen kann man sich anders bilden.
Oliver: Als ich jung war, habe ich mir meine Arbeit selbst organisiert und mich selbst weitergebildet. Ich machte Gelegenheitsjobs und war immer selbständig. Ich hätte das bedingungslose Grundeinkommen nicht gebraucht. Esther: Die Jungen müssen sich bezüglich ihrer Ausbildung ja wahnsinnig früh entscheiden. Da kann es dann passieren, dass sie am Ende der «Stifti» gar nicht glücklich sind mit ihrem Beruf. Unser Sohn zum Beispiel hat Schrift- und Reklamegestalter gelernt. Er hätte dann eigentlich gerne etwas im Bereich Licht- und Tontechnik gemacht, hatte aber das nötige Geld nicht. Erst als Oli 2002 in der Schützi anfing, hatte er die Gelegenheit, in dieses Metier einzusteigen. Er besuchte Kurse und brachte sich vieles autodidaktisch bei. Oliver: Unser Sohn wusste schon von klein auf, dass man für sein Geld arbeiten muss. Wenn einer sich auf die faule Haut legt, sobald er Geld vom Staat erhält, dann muss in der Erziehung was schiefgelaufen sein. Es kommt halt darauf an, was man den Jungen mitgibt – beispielsweise, dass sie die Zeit nutzen sollen für eine Weiterbildung oder Frei-
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«Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würde die Kreativität gefördert, man könnte auch mal ein Risiko eingehen.» willigenarbeit. Wenn das bedingungslose Grundeinkommen die Möglichkeit gibt, sich freiwillig zu engagieren, ist das nur positiv. Esther: Das ist auch eine Wertfrage. Uns ist Zeit mehr wert als Geld. Wir haben unseren Sohn so erzogen, dass er das braucht, was er zur Verfügung hat, und nicht mehr. Das tut er immer noch, er lebt mit extrem wenig Geld. Oliver: Seit den 80er-Jahren sind wir in der Selbstverwaltungsbewegung aktiv. Wir versuchten, das bedingungslose Grundeinkommen in unseren Kollektiven zu verwirklichen: Wer mehr verdiente, zahlte mehr, wer weniger verdiente, zahlte eben weniger. In der Gesellschaft sollte es so sein, dass man sich zusammen organisiert. Dass man sagt: Kommt, wir schauen alle zusammen, dass wir genug haben.
Oliver Ackermann
Talitha Gloor 28, Studentin und Kunstvermittlerin
33, Roboterprogrammierer und Student
Eltern einer neugeborenen Tochter.
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alitha: Ich gehe davon aus, dass der Mensch ein arbeitswilliges Tier ist. Vielleicht würde man sich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen auch mal eine Auszeit nehmen, zum Beispiel eine Sprache lernen oder reisen. Solche Auszeiten sind auch Möglichkeiten, sich weiterzubilden. Der Umgang mit dem Grundeinkommen hat sicher viel mit der Erziehung zu tun. Ich würde es so handhaben wie meine Eltern: Ich hatte kein Taschengeld – was ja auch eine Art von bedingungslosem Grundeinkommen ist. Wenn ich etwas brauchte, haben wir darüber gesprochen, und wenn es sinnvoll war, habe ich es bekommen. Oliver: Das bedingungslose Grundeinkommen birgt aber auch Nachteile. Es gäbe sicher Leute, die vom System profitieren wollen; das ist ja auch jetzt schon der Fall. Ich bin nicht dafür, dass einem das Geld einfach in den Schoss fällt. Arbeitslosengeld kriegst du auch nicht einfach so, du musst ziemlich was abliefern dafür. Mir wurde beigebracht, dass man für Geld etwas leisten muss. Ich würde meine Tochter dazu bringen, eine Ausbildung zu machen. Ich habe aber das Gefühl, dass viele das bedingungslose Grundeinkommen aus-
nützen würden. Darum bin ich grundsätzlich dagegen. Talitha: Aber für uns wäre das bedingungslose Grundeinkommen doch auch eine Erleichterung! Bei uns mussten die Eltern alles bezahlen! Wir hingegen müssten für unsere Tochter nicht mehr aufkommen, sobald sie 18 Jahre alt ist. Oliver: Ich finde es gar nicht so schlecht, wenn sie das Geld von uns und nicht vom Staat erhält. Wir hätten auch mehr Kontrolle über unser Kind. Sie soll ein Bewusstsein dafür bekommen, dass Geld nicht selbstverständlich ist. Es wächst ja nicht auf Bäumen; jemand arbeitet dafür. Ausserdem glaube ich, dass wir genug verdienen, bis unsere Tochter 18 ist. Talitha: So oder so werden wir sie unterstützen, solange sie es braucht. Oliver: Auch unsere Eltern unterstützen uns noch, wir haben von ihnen zur Geburt unserer Tochter wahnsinnig viele Geschenke erhalten. Ich finde diese Abhängigkeit auch etwas Schönes, und als Eltern kriegt man ja auch etwas zurück.
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«Unsere Tochter soll sich einmal selbst verwirklichen können und einer Arbeit nachgehen, die sie erfüllt.» Talitha: Unsere Tochter soll sich einmal selbst verwirklichen können und einer Arbeit nachgehen, die sie erfüllt. Oliver: Es wäre auch nicht so wichtig, dass sie viel verdient. Entscheidend ist, dass sie etwas machen kann, was ihr und im Idealfall auch anderen Leuten Freude bereitet. Talitha: Obschon ich das bedingungslose Grundeinkommen befürworte, werde ich mich der Stimme enthalten. Ich sehe die Initiative als Denkanstoss und finde es gut, dass man darüber redet, aber es gibt für mich noch zu viele offene Fragen. 2500 Franken scheinen mir zu viel, das ist mehr, als man zum Leben braucht.
Alex Capus 55, Schriftsteller und Barbetreiber
Vater von fünf Söhnen, 26-, 16-, 14-,9- und 5-jährig.
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ch wünsche mir, dass meine Kinder einen Platz in der Gesellschaft haben und einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten, sie sollen nicht lediglich Empfänger eines Fürsorgestaats sein. Denn das scheint mir die Bedingung, um am demokratischen Entscheidungsfindungsprozess teilzunehmen. Ich befürchte, beim bedingungslosen Grundeinkommen handelt es sich um ein neoliberales Projekt, auch wenn es wohl nicht als solches gemeint ist. Ich sehe die Gefahr, dass die Gesellschaft zweigeteilt wird: auf der einen Seite die Superfitten, Handlungsfähigen, Besitzenden, die am Entscheidungshebel sitzen – auf der anderen Seite alle anderen, sagen wir zwei Drittel, die dann nicht mehr Teil der Gesellschaft sind, sondern mit dem Grundeinkommen ruhiggestellt werden. Meine grosse Sorge wäre ausserdem, dass die Jungen lethargisch würden. Natürlich gäbe es die aktiven Alphatiere, für die ein Grundeinkommen nichts zur Sache täte. Vielen anderen müsste man aber viel besser erklären, warum sie eine Lehre machen sollten, wenn sie morgens auch liegenbleiben könnten.
Als ich jung war, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass ich ein Grundeinkommen brauche. Ich bin ein Kind der 70er-Jahre: wenn wir kein Geld hatten, gingen wir halt ein bisschen arbeiten. Und wenn wir dazu keine Lust mehr hatten, dann gingen wir ein bisschen in die Ferien nach Tunesien. Wir wussten ja, dass wir dann schon einen Job finden. Die heutige Jugend ist diesbezüglich wesentlich zielorientierter. Meine Kinder haben nie Taschengeld bekommen. Wenn sie etwas brauchen und es sich um etwas Sinnvollen handelt, dann kriegen sie es auch. Ich will nicht, dass sie wöchentlich Geld «verjoggeln», dies wäre nicht in meinem Sinne. Sie sollen wissen, was Geld bedeutet und sich überlegen, was wichtig ist. Der grösste Wunsch meines 14-jährigen Sohns Juri ist ein eigenes Töffli, und natürlich wäre ich in der Lage, ihm dieses zu kaufen. Aber das wäre für mich das falsche Signal. Das Töffli stellt einen Wert dar, und für diesen Wert muss man einen Gegenwert leisten. Juri ist momentan heftig am Rasenmähen. Mein Albtraum wäre, wenn meine Kinder in eine phlegmatische, lustlose Lebenshaltung verfielen. Wenn sie eine übertriebene An-
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«Der grösste Wunsch meines 14-jährigen Sohnes Juri ist ein eigenes Töffli, und natürlich wäre ich in der Lage, ihm dieses zu kaufen. Aber das wäre für mich das falsche Signal. Das Töffli stellt einen Wert dar, und für diesen Wert muss man einen Gegenwert leisten. Juri ist momentan heftig am Rasenmähen.» spruchshaltung an den Tag legen würden – auf dem Sofa liegen, rumnölen und meinen, dass ihnen jemand zudient. Das wäre bedauerlich. Man soll sich dort entfalten, worin man sich wohlfühlt, was auch immer das ist. Mein ältester Sohn ist Student und Bierbrauer, er produziert das «Drei Tannen Bier». Das macht mich natürlich stolz. Er ist ein gutes Beispiel dafür, was ich damit meine, im Leben tätig zu sein. Und für eine Stadt wie Olten ist es positiv, wenn sie ihr eigenes Bier hat: Das ist Lebensqualität und Kultur.
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«Ich schaffe es nicht, mir sorgenlose Kreativität vorzustellen» Die Schweizer Kulturszene hat in Pius Knüsel ihren schärfsten Kritiker gefunden. Seine Forderungen sind drastisch: weniger Kulturinstitutionen, Förderung der unabhängigen Szene und der Laienkultur, mehr Orientieren an der Nachfrage in der Kulturwirtschaft. Als einer der wenigen Exponenten des Kulturbetriebes positioniert er sich klar gegen das bedingungslose Grundeinkommen. Interview von Elia Blülle Fotos von Fabian Unternährer
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ius Knüsel, ist die Schweizer Kulturlandschaft langweilig? Es passiert viel, der mengenmässige Output ist gewaltig. Was fehlt, ist Aufregendes. Es gibt solides Handwerk, doch wenig, das begeistert. Zu viel Mainstream? Kunstschaffende verwahren sich gegen den Begriff «Mainstream». Es gehört zum Verständnis der Schweizer Kulturszene, nicht gewöhnlich zu sein. Doch aus der Distanz und in der Summe betrachtet, gibt es zu viel konforme Nonkonformität.
schränkungen: die Existenzsicherung und die finanzielle Abhängigkeit von Juryentscheidungen. Doch woher nehme ich dann die Produktionsmittel? Kunst besteht selten aus reiner Geisteskraft. Es braucht Spezialisten, Materialien, Infrastruktur. Es ist eine edle Absicht, tausende Künstler aus dem Prekariat befreien zu wollen. Das Hungern und Klönen hätte ein Ende.
«Das banalste Arbeitsinstrument ist heutzutage Kunst. Vor 30 Jahren war ein Formular ein Formular, heute ist es ein Erlebnis.»
Anfangs Juni stimmt das Schweizer Stimmvolk über das bedingungslose Grundeinkommen ab. Ein solches hätte weitreichende Folgen, auch für die Kultur. Wäre es ein Mittel, um der Eintönigkeit zu entkommen? Angenommen, das Grundeinkommen träte am 1. Januar 2022 in Kraft: Im ersten halben Jahr gäbe es eine kreative Explosion, viele Menschen würden ihr ganzes Potential ausschöpfen. Das wäre aufregend. Am 1. August 2022 würden diese Menschen realisieren, dass niemand auf ihre freigesetzte Kreativität gewartet hat. Der Kampf um Aufmerksamkeit würde neu beginnen, das bedingungslose Grundeinkommen würde irrelevant.
Doch Kunst ist ein soziales Produkt. Es muss sich jemand dafür interessieren, was Kunstschaffende kreieren. Wenn alle nur noch produzieren, bleibt niemand, der sich dafür interessiert.
Viele Exponenten des Kulturbetriebs sehen das anders. Aus der Sicht der Kunstschaffenden beseitigt das Grundeinkommen wesentliche Ein-
Es könnte jeder Künstler sein. Haben sie Angst vor einem Statusverlust? Nein, ich schon gar nicht. Den Künstlerbegriff zu demokratisieren ist doch
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das Endziel der modernen Kulturförderung. Der Künstler und Theoretiker Joseph Beuys hat mit seiner berühmten Aussage «Jeder kann Künstler sein» von 1975 gemeint, dass in jedem das Potential steckt, sich als Künstler zu betätigen. Das entsprach dem Zeitgeist, dem Aufbruch in die Selbstbefreiung. Dieses Potential hervorzubringen, ist die Aufgabe zeitgemässer Kulturförderung. Denkt man diese Politik zu Ende, müsste tatsächlich jeder ein Künstler sein. Das Problem ist: Wenn sich in einer Stadt wie Zürich die Hälfte aller Menschen als Kunstschaffende bezeichnen, ist der Künstlerstatus überhaupt kein Status mehr. Das Nicht-Künstler-Sein wird dann eine soziale Auszeichnung. Sie behaupten, dass sich die Hälfte der Bevölkerung der Kunst zuwenden würde. Kreativberufe sind anstrengend und mit 2500 Franken hat man noch nicht gelebt. Das ist Polemik. Die Idee des Grundeinkommens ist utopisch, deshalb darf ich sie ins Extrem weiterspinnen. Die These ist: Es würden sich mehr Menschen der Kunst zuwenden. Wenn es dann auch nur 15 Prozent sind, so sind dies im Vergleich zu den jetzigen 2 Prozent substantiell mehr. Selbstverwirklichung durch Kultur ist das Lebensideal einer jungen Generation. Das müsste ihnen doch gefallen? Natürlich gefällt mir das. Das ist das Projekt des 21. Jahrhunderts, ein grosses Thema seit den Siebzigern. Durch das Wohl-
standswachstum ist die Selbstverwirklichung zum individuellen Programm geworden. Kreativität ist ein Imperativ, der über uns alle herrscht. In die Kunst zu gehen heisst, diesem Imperativ Priorität zu geben. Aber daraus entsteht noch kein Recht, davon leben zu können. Die befreite Kreativität, um die es hier geht, löst die Sinnfrage aber nicht: Warum bin ich in der Welt? Was ist mein Platz? Lohnarbeit ist dafür hilfreich, weil sie eine soziale Struktur voraussetzt. In einem Kampagnenvideo der Initianten sagt ein junger Mann: «Ich wäre Schriftsteller und würde wohl an einem windigen Strand meine Zeit verbringen und einen Roman schreiben, wenn für mein Grundeinkommen gesorgt wäre». Was raten Sie ihm? Mach! Doch du musst dich nicht wundern, wenn dich nach einem halben Jahr die Einsamkeit packt und du realisierst: «Es wäre toll, wenn jemand das, was ich schreibe, lesen würde.» Früher ging man ins Kloster, um zu schreiben. Das Kloster war eine Form des Grundeinkommens. Nehmen wir an, er hat studiert, ist talentiert, hat keine reichen Eltern und arbeitet Vollzeit, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ihm fehlt der künstlerische Freiraum, in dem Produktivität entsteht. Wie wird er trotzdem Schriftsteller? Er sucht sich eine reiche Frau oder einen reichen Mann oder er schraubt seine Ansprüche herunter und reduziert sein Pensum. 50/50 Arbeit und Kunst, das wär doch was. Es ist eine Frage des Willens. Sie glauben an die schöpferische Kraft des Marktes. Doch in Wirtschaftskrisen möchte niemand mehr in Kultur investieren, bewährte Künstler geraten unter einen enormen Druck. Hemmt das den Schaffungsprozess? Kreativität wird durch Widerstand und die Suche nach Anerkennung vorangetrieben. Es ist ein Prozess der ständigen Selbstübertreffung. Doch der Existenzdruck macht noch keine Künstler. Nein, doch der Existenzdruck zwingt sie zur Auseinandersetzung mit der Umwelt. Sie müssen wissen, wer sich für ihre Arbeit interessieren könnte. Das müssen sie nicht, wenn die Existenzfrage wegfällt. Sich in den Kokon des Unverstandenseins einzuwickeln, ist einfach, gerade wenn kein Existenzdruck vorhanden ist. Es gäbe viele, die sich für das eine unentdeckte, verkannte Genie hielten. Sie würden unentdeckt bleiben, garantiert. Sind Publikum und Resonanz nicht viel wichtigere Faktoren, die am Ende bestimmen, wer unter einem Grundeinkommen als Kunstschaffender bestünde? Publikum und Resonanz sind Marktkriterien. Sie werden erzeugt, sie stellen sich nicht einfach ein. Ich schaffe es nicht, mir sorgenlose Kreativität vorzustellen. Aus der Soziologie weiss man, dass Künstler gar nicht so arm sein müss-
ten, wie sie sind. Sie stecken, was sie einnehmen, einfach immer in die Arbeit. Weil sie nach Anerkennung suchen. Davon haben sie aber nie genug, bevor sie Stars sind. Das Prekariat ist nicht die Folge eines kaputten Systems, sondern eine Folge der Sucht nach Anerkennung. Sie behaupten, Künstler wollen auch ohne Publikum Künstler sein? Nein. Ein Schriftsteller, der zehn Jahre lang Romane schreibt und keinen Verlag findet, hat den Beruf verfehlt. Der Künstler ohne Publikum ist der kreative Laie. Darin liegt tatsächlich ein Zukunftsmodell, über das man sich Gedanken machen sollte. Wäre das Grundeinkommen nicht der ultimative Befreiungsschlag aus der von ihnen prognostizierten Subventionsspirale? Ja, es wäre eine radikale Lösung. Ich bin aber und war auch nie für die Abschaffung der Kulturförderung. In unserem Buch «Kulturinfarkt» haben wir eine Umgestaltung und Entschlackung skizziert, nicht die Abschaffung. Was die Kulturförderung aus-
«Das Grundeinkommen löst, wenn man es auf die Kultur bezieht, das Problem einer kleinen Schicht Kreativer, aber es löst nicht das Problem der sozialen Langeweile.» macht, ist die Auseinandersetzung: Sie befördert einen Dialog zwischen Kunstschaffenden und ausgewiesenen Kunstinteresssenten, welche die Möglichkeit haben, das Schaffen mit finanziellen Mitteln anzutreiben. Dieser Diskurs ist für das Gedeihen und die Reflektion einer gesunden Kunstszene ausserordentlich wichtig. Fehlt dem Menschen neben der Arbeit und allen Verpflichtungen der Postmoderne die Zeit für den Kulturkonsum mit Tiefgang? Ich glaube nicht, dass die Menschen kulturmüde sind. Sie haben einfach weniger Lust auf Kulturkonsum, denn sie sind ständig umgeben von ästhetischen Erzeugnissen. Das resultiert in einer Überforderung, mitgetragen vom Überangebot. Das banalste Arbeitsinstrument ist heutzutage Kunst. Vor 30 Jahren war ein Formular ein Formular, heute ist es ein Erlebnis. Immer mehr Menschen wollen nicht einfach zwei Stunden Bach über sich ergehen lassen, sondern teilnehmen, aktiv sein, intervenieren.
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Eine oft rezitierte Studie aus Oxford geht davon aus, dass in den nächsten 20 Jahren durch die Digitalisierung die Hälfte aller Jobs verloren gehen wird. Menschen werden mehr Freizeit haben. Ist das eine Chance für die Kunst? Kulturkonsum ist das Phänomen einer bestimmten Sozialisierung. Ich interessiere mich nicht plötzlich für Kultur oder werde Künstler, nur weil ich mehr Zeit habe. Das Grundeinkommen löst, wenn man es auf die Kultur bezieht, das Problem einer kleinen Schicht Kreativer, aber es löst nicht das Problem der sozialen Langeweile. Gibt es im Leben irgendetwas Bedingungsloses? Das Leben an sich und die Mutterliebe. Ansonsten ist die Gesellschaft so konzipiert, dass man sich alles in irgendeiner Form verdienen muss. Gleichzeitig ist es unsere grosse Aufgabe als Gesellschaft, diese Mechanismen des Verdienens human zu gestalten. Wollten sie selbst jemals Künstler werden? Als Pubertierender habe ich Gedichte und Kurzgeschichten verfasst. Von meinem Deutschlehrer in den Himmel gelobt, kam die grosse Ernüchterung im Germanistik-Studium. Ich realisierte, dass schon über alles geschrieben worden ist und es auch unglaublich viel schlechte Literatur gibt. Ich hatte wenig Dringliches zu berichten, und ich wollte keine schlechten Bücher schreiben, die niemand liest. Wäre Pius Knüsel mit dem Grundeinkommen heute Schriftsteller? Nein, auf keinen Fall. Ich hätte auch so nichts zu schreiben gehabt. Ich hätte es vielleicht versucht und wäre gescheitert. Sie haben in der Kaffeepause erzählt, dass sie am 5. Juni trotz allen Bedenken ein «JA» einlegen werden. Wieso? Man kann mit dem Herz oder mit dem Kopf abstimmen. Der Kopf sagt mir, das Projekt sei noch zu wenig reif und die Folgen nicht absehbar. Ich sehe im Moment sehr viele negative Folgen: Es gibt zu viele schlaue Mitbürger, die aus einem bedingungslosen Grundeinkommen Kapital schlagen würden. Doch mein Herz sagt: «Wir leben in einer Zeit, die arm ist an Utopien». Utopien sind a priori etwas Gutes. Mein Herz hat gewonnen.
Pius Knüsel ist studierter Germanist und Philosoph und arbeitete als Kulturredaktor u.a. beim Schweizer Fernsehen. Später besetzte er Leitungsfunktionen im Zürcher Jazzclub «Moods». 2002 bis 2012 war er Direktor der Kulturstiftung «Pro Helvetia». Heute ist er Direktor der «Volkshochschule Zürich». 2012 sorgte er mit drei deutschen Co-Autoren mit dem Buch «Kulturinfarkt» für grosses Aufsehen. Darin forderte er die Schliessung der Hälfte aller Theater, Museen und Bibliotheken und die Umverteilung der Mittel auf die ausserinstitutionelle Kultur.
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Baustelle Bifangplatz Seit 1999 ist im Stadthaus eine Motion hängig, die eine Umgestaltung des Bifangplatzes fordert. Vieles wurde in den letzten 17 Jahren angedacht, doch längst nicht alles umgesetzt. Die Zukunft ist ungewiss. Text von Franziska Monnerat Foto von Yves Stuber
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er Bifangplatz sei ein «Verkehrsplatz mit punktuellen Akzenten» stellten die Landschaftsarchitekten Schweingruber Zulauf vor zwei Jahren fest, als sie in einer Vorstudie für den Schlussbericht des Bundesprogramms «Projets Urbains» den Knotenpunkt in Olten Ost untersuchten. Die Strasse dominiert, drängt die Menschen an den Rand, das Quartierleben spielt sich auf engstem Raum ab. Zwar hat sich die Situation während der letzten Jahre merklich verbessert, doch der Weg dahin war lang und steinig.
Grüne Motion überzeugt eine Mehrheit Der heute nicht mehr amtierende Gemeinderat Cyrill Jeger (Grüne) verlangte 1999, also vor 17 Jahren, mit einer Motion die Neugestaltung des Bifangplatzes. In seinem politischen Vorstoss schrieb er, dass «innert nützlicher Frist eine Vorlage betreffend des weiteren Vorgehens zur konkreten Projektierung» zu erarbeiten sei. Jeger schwebte ein Ideenwettbewerb vor, er malte sich grossräumige Orte zum Verweilen, Spielplätze für Kinder und Treffpunkte für Jugendliche aus.
Die Begeisterung des Stadtrats hingegen hielt sich in Grenzen. In seiner Antwort wies er darauf hin, dass der Bifangplatz aufgrund der Zufahrtsstrassen auch in Zukunft «in gewissem Masse» befahren werden müsse. Ein verkehrsbefreiter Bifangplatz sei also nicht denkbar, ein verkehrsberuhigter hingegen schon. Aber – so der Stadtrat weiter – eine Umgestaltung in diesem Sinne, also ohne «verkehrskonzeptionelle Auswirkungen» falle nicht in die Zuständigkeit des Parlaments, sondern sei Sache des Stadtrats. Darum empfahl er die Motion abzulehnen. Zur Überraschung der Grünen, deren politische Vorstösse selten mehrheitsfähig waren, und gegen den Willen der Regierung überwies das Parlament jedoch Jegers Motion in seiner Sitzung im Januar 2000.
Stadtrat scheitert und setzt andere Prioritäten Im Herbst des darauffolgenden Jahres informierte der Stadtrat in einer Parlamentssitzung über den Fortschritt des Projekts. Man zeigte sich zuversichtlich, auch hinsichtlich einer kurzfristigen Umsetzung. Eine Arbeitsgruppe sei ins Leben gerufen worden, bestehend aus Mitgliedern der Verwaltung,
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Vertretern aller Parteien und sämtlicher Verkehrsverbände. In der anschliessenden Diskussion fragte Alfons Hürzeler (FDP) kritisch nach, warum der Quartierverein «Rechtes Aareufer» nicht eingebunden werde. Man habe irgendwo Grenzen ziehen müssen, damit die Gruppe einigermassen funktionsfähig sei, rechtfertigte die damalige Stadträtin Silvia Forster (SP) das Vorgehen. Ein Fehler, wie sich ein Jahr später herausstellen sollte: Das Konzept stiess in der Bevölkerung auf Widerstand. Besonders der mit einem grossen Bildschirm ausgestattete «Medienpavillon mit Kiosk», der mehr als einen Viertel des Kredits in der Gesamthöhe von 666 000 Franken ausgemacht hätte, erntete Kritik. Was nach der Situationsanalyse in einer Projektstudie von Landschaftsarchitekten und einem Ingenieurbüro erarbeitet worden war, zog der Stadtrat anlässlich der Budgetdebatte Ende Dezember 2002 kurzerhand zurück. Die «pragmatische Antwort auf das langjährige Anliegen», wie Forster die Vorlage nannte, scheiterte aufgrund zu unterschiedlicher Erwartungen. Eine übergeordnete Planung sollte Lösungen liefern. Nicht irgendwann, sondern in absehbarer Zu-
kunft. So versprach die Stadträtin dem Parlament, im ersten Halbjahr 2003 eine überarbeitete, umfassende Planung vorzulegen. Das überzeugte selbst Antragssteller Cyrill Jeger. Artig dankte er dem Stadtrat, betonte aber auch, er sei «froh, wenn ein Zeitrahmen vorgegeben sei». Doch dann wurde es schlagartig still um das Projekt. Die Prioritäten verschoben sich, die Neugestaltung des Bifangplatzes hatte keinen Platz neben dem Umbau des Stadttheaters und weiteren Projekten in den Bereichen Sport, Freizeit und Verkehr – weder im Investitions- und Finanzplan 2004 bis 2008, noch 2006 bis 2011.
«Projets Urbain Olten Ost» verspricht neue Perspektiven Mit dem Bundesprogramm «Projets urbains» kam wieder Hoffnung auf. Olten nahm sowohl an der ersten (2008-2011) als auch an der zweiten Projektphase (20122015) teil. Die übergeordneten Ziele lauteten: Quartierentwicklung vorantreiben, Lebensqualität steigern, soziale Integration
stärken. Während acht Jahren erhielt die Stadt finanzielle Unterstützung. In der Endphase des Projekts rückte das Bifangquartier in den Fokus und mit ihm der Platz, der das Zentrum des Quartiers bildet. Wieder wurden Situationsanalysen erstellt, wieder wurden Pläne geschmiedet. Verglichen mit früher jedoch gab es einen grossen Unterschied: Die Bevölkerung redete von Anfang an mit und brachte ihre Bedürfnisse ein.
Eigentümer und Investoren geben den Takt an Die Ideen flossen in ein Gestaltungskonzept ein, das eine «umfassende, mit der Entwicklung privater Liegenschaften zu koordinierende Aufwertung des Platzes» verspricht. So fasst es zumindest der aktuelle, alle zwei Jahre erscheinende Bericht des Stadtrats zusammen, in welchem er über den Stand der Dinge aller hängigen politischen Vorstösse informiert. Zentrales Element des neuen Konzepts bildete dabei die Zone beim ehemaligen UBS-Hochhaus an der Aarauerstrasse 55. Nach Zwischennutzungen im Erdgeschoss ist nun eine Sanierung des Gebäu-
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dekomplexes auf Anfang 2017 angesetzt. Bis vor kurzem konnten die Pläne auf der städtischen Baudirektion eingesehen werden; Einsprachen gab es keine, eine Bewilligung steht allerdings noch aus (Stand: Mitte April 2016). Trotzdem ist Raoul Bachmann, der die Bauherrschaft LC Lucerne Capital AG vertritt, guten Mutes. Er sei «in ständigem in Kontakt mit den Behörden». Was mit dem Vorplatz, heute geprägt von der Unterführung mit Wendeltreppe und Überbauung, geschieht, ist zurzeit noch offen. Ob das, was angedacht ist – nämlich Vorzonen in Plätze zu verwandeln – tatsächlich umgesetzt wird, liegt nun wohl in seiner Hand. Schliesslich stellte Projektleiter und Stadtentwickler Markus Dietler im Schlussbericht von «Projet urbain Olten Ost» Ende des letzten Jahres ernüchtert fest, dass Eigentümer und Investoren den Takt angeben und für gewöhnlich keine Rücksicht nehmen. Angesichts der leeren Stadtkasse bleibt wohl auch nichts anderes übrig, als abzuwarten – hoffentlich keine weiteren 17 Jahre.
KOLT bewegt – mit Euch!
In der letzten MärzAusgabe hat KOLT die Idee vorgestellt, um erste Reaktionen zu erhalten und die Bevölkerung anzuregen, die Stadt selber aktiv zu gestalten.
Was als Idee im KOLT-März zu sehen war, wird vielleicht schon bald wahr – mit Eurer Hilfe und Unterstützung: Die Enzo-Möbel, die man aus dem Wiener Museumsquartier kennt, sollen noch diesen Sommer in Olten stehen. Mittels Crowdfunding finanziert, erhält die Stadt Olten Ende Juli sechs Stück des Typs «Viena» als Geschenk überreicht. Text von Yves Stuber Bilder von Yves Stuber und zVg (1)
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m März-Heft haben wir im ersten Teil der losen Serie «Wie wärs zum Beispiel mit...» drei Ideen vorgestellt. Eine davon stiess auf zahlreiche positive Reaktionen, die uns per Mail und Social Media erreichten: Die Oltner Bevölkerung wünscht sich die Enzo-Möbel in ihrer Stadt! Daniel Probst, Oltner Gemeinderat und Direktor der Solothurner Handelskammer, hat gar seine aktive Unterstützung angeboten, worauf KOLT sich mit ihm getroffen und gemeinsam mit ihm das weitere Vorgehen besprochen hat: Anzahl Möbel und den Zeitplan definieren, Offerten einholen, Termin mit dem Stadtpräsidenten vereinbaren, um vorab mögliche Probleme und Standorte zu klären. Sechs Enzo-Möbel sollen nun bald in Olten stehen, das ist der Plan. Der Entscheid sechs Stück zu kaufen, hat seine Gründe: Einerseits können so je zwei Liegen an drei verschiedene Standorte in der Stadt verteilt werden. Andererseits ists es so auch realistisch, dass das für den Kauf benötigte Geld via Crowdfunding gesammelt rechtzeitig zusammen kommt. Im kommenden Sommer schon sollen die EnzoMöbel in der Stadt stehen. Das ist ein ambitioniertes Ziel, aber zusammen mit Eurem Engagement könnte es klappen. Ab 1. Mai läuft auf www.wemakeit.ch 30 Tage lang die Crowdfunding-Aktion. Da die Lieferzeit der Möbel ungefähr acht Wochen beträgt, bei der Bestellung 50 Prozent Anzahlung verlangt wird und das gesammelte Geld erst nach 30 Tagen nach (hoffent-
lich) erfolgreicher Kampagne ausbezahlt wird, ist es sehr wahrscheinlich, dass wir es schaffen, das Geschenk am 1. August der Stadt zu übergeben. Die sechs Möbel kosten insgesamt 15 000 Franken inklusive Mehrwertsteuer, Transport, Wemakeit-Provision (10 Prozent) und Geschenken für die GönnerInnen. Unter dem Strich kostet eine Liege also 2 500 Franken. Die Kirchgasse war der Wunsch-Standort für die bunten Liegen. Da die Liegen die beiden Stadtseiten symbolisch verbinden sollen, werden auch auf der anderen Seite der Aare ein paar der Enzo-Möbel ein Plätzchen finden. Doch die Frage nach den genauen Standorten wollte KOLT zuerst zusammen mit dem Stadtpräsidenten ausführlich diskutieren.
Die Diskussion um mögliche Standorte ergab jedoch einige Argumente gegen die Kirchgasse: zuviel Rumschieberei (durch den Werkhof, was wiederum Aufwand bedeutet) aufgrund diverser Events im Sommer und den wöchentlichen und monatlichen Märkten. Nach Abklärungen mit den Verantwortlichen der Schützi und der FHNW hat man sich nun geeinigt, dass die Plätze vor der Schütze und der Fachhochschule im Bifang für die Liegen am besten geeignet seien. So kann die Stadt Erfahrungen sammeln, die Möbel möglicherweise an einen neuen Standort verschieben oder gar weitere einkaufen, um sie beispielsweise in das Projekt rund um die neue (alte) Aarauerstrasse zu integrieren. Wer weiss, vielleicht werden sogar private Investoren hellhörig und nehmen die Liegen in Neubauprojekte – wie beispielsweise «Sälipark 2020» – auf.
Stadtpräsident Martin Wey setzte sich auf KOLTs Anfrage hin kurzfristig mit Baudirektor Adrian Balz und Stadtentwickler Markus Dietler zusammen. Die drei Herren hatten sich im Vorfeld in Zürich erkundigt, welche (guten) Erfahrungen die Stadt mit den gleichen Möbeln auf dem Escher-Wyss-Platz gesammelt hat. Das Gespräch mit den Entscheidungsträgern ging gut über die Bühne und nun steht fest: Die Stadt Olten ist damit einverstanden, sich für eine Testphase Enzo-Möbel schenken zu lassen und die Verantwortung für sie zu übernehmen. Verantwortung heisst in diesem Fall: hie und da mal putzen und in den kalten Wintermonaten einlagern.
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Jetzt benötigen wir Eure Unterstützung, damit wir gemeinsam die benötigten 15 000 Franken sammeln können, um diese Möbel zu kaufen. Machen wir Nägel mit Köpfen und zeigen, dass wir gemeinsam diese Stadt gestalten können! Schon mit einem kleinen Betrag könnt ihr auf www.kolt.ch/bewegen mithelfen!
Eine «Viena» mit (optionalem) Sonnenschirm im Museumsquartier Wien. Die Liege hat eine Länge von drei Metern, wiegt 100 Kilo und ist so konzipiert, dass sie von vier Personen bewegt werden kann.
Der Vorplatz der Fachhochschule ist noch relativ ungenutzt und kann mit drei bis vier Liegen aufgewertet und belebt werden.
Auf dem Schützi-Vorplatz setzen die «Viena» eine farbige Akzente und können eventuell schon für das «Sommerkafi» benutzt werden. Von der Schützi sind sie relativ schnell auch auf die Kirchgasse transportiert.
Der Baudirektor Adrian Balz kann sich vorstellen, gleich bei der Einfahrt nach Olten, beim Brunnen des Parkplatzes Leberngasse/ Schützi eine «Viena» zu platzieren.
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SERIE
FILM
Die Kommune Freie Liebe hat ihren Preis. Das ist wohl die Message, die Thomas Vinterberg mit seinem Film weitergeben will.
W
von Caspar Shaller
as macht man, wenn man sich gerade für keine der neuen Serien so richtig begeistern mag? Richtig: Man schaut sich etwas Altes an. Irgendetwas mit Spionen, ein wenig Romantik und interessanten Gesichtern. Die Briten haben diesbezüglich echt Talent, und nein, wir meinen jetzt nicht James. Gemeint ist irgendetwas wie die Serie «The Americans» (die gerade in die 4. Staffel gestartet ist und bei dieser Gelegenheit ein weiteres Mal empfohlen sei!), aber mit weniger Familiendrama. Gemeint ist so etwas wie «London Spy», aber vielleicht etwas leichtbekömmlich. Oder gemeint ist etwas wie «11.22.63» – aber halt einfach mit einem besseren James Franco und ohne, dass es sich um eine Stephen King-Verfilmung handelt. So etwas wie «The Game». Super Cast, schöne Spannungskurve, 360 Minuten gekonnte Unterhaltung – das perfekte Programm für einen verregneten Frühlingstag. «The Game» erzählt von einer geheimen Agentengruppe im britischen MI5 und davon, wie diese in den 70ern versucht, eine sowjetische Operation zu vereiteln, die noch geheimer ist als sie selbst. Dumm nur, dass die Truppe rund um den charismatischen Helden Joe Lambe einen Maulwurf in den eigenen Reihen hat. Bestellt Pizzen und lasset das Spiel beginnen! (nb)
The Game
(BBC Two/GB/2014/Crime, Suspense 1 Staffel, 6 Episoden)
DIE
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D
er dänische Regisseur, der als Mitglied der «Dogma 95»-Bewegung berühmt wurde, lenkt seinen Blick einmal mehr auf die dysfunktionalen Bestandteile eines idealisierten Familienlebens. Wer seinen Film «Festen» gesehen hat, kann nie wieder unschuldig an einer Familienfeier teilnehmen. Doch leider vermag Vinterberg mit seinem neuen Film nicht, dem Zuschauer kommunales Leben – sei es auch nur in einer WG – zu versauen. Zu platt sind die Figuren, reine Karikaturen, zu schwülstig die emotionalen Schlüsselszenen, die einen kalt lassen. Schade um den guten Stoff. Denn da ist eigentlich so viel, was man sehen will. Nicht zuletzt die grandiose Trine Dyrholm als Anna, welche mit ihrem Mann, einem biederen Architekten, in den Siebzigern in einem reichen Vorort Kopenhagens lebt. Als ihr Mann ein Haus erbt, das so riesig ist, dass sich das kinderlose Paar etwas einsam fühlen würde, beschliessen die beiden, das Haus mit Leben zu füllen: mit einer Kommune. Befeuert von der idealistischen Stimmung der Hippiezeit erweitern sie den Kreis der Kommu-
ALBEN MEINES LEBENS
Chris Isaak Forever Blue Niemand singt mir so sehr aus der Seele wie Chris Isaak. Forever Blue ist sein perfektes Album.
ne fleissig: immer mehr Leute ziehen ein, sie essen zusammen, feiern Weihnachten. Alles soll so sein wie in einer grossen Familie. Bald brummt der Laden nur so vor hedonistischen Parties, intellektuellen Diskussionen, befreiter Sexualität und den Eifersuchtsanfällen und internen Machtkämpfen, die all das mit sich bringt. Als Annas Mann auch noch eine Geliebte im Haus einquartiert, fängt Anna langsam an, unter dem Druck des Zusammenlebens zusammenzubrechen. Dies alles hat Vinterberg selbst erlebt, denn er ist in genau solch einer Kommune der oberen Mittelschicht aufgewachsen. Seine Jugend wurde Thema eines Theaterstücks, das nun in einen Film verwandelt wurde. Doch die dunklen Seiten der vermeintlichen Utopie wurden im Theaterstück viel präziser herausgearbeitet, während vom Film lediglich der ästhetische Eindruck bleibt. Wie hübsch die Siebziger doch waren, so braun verwaschen und wollig, immer mit toller Musik im Hintergrund!
Die Kommune («Kollektivet»)
DK / 2016 / Drama
von Dagobert
Scorpions Blackout Der Sound meiner Kindheit und Jugend; nichts hat mich damals glücklicher gemacht als die Scorpions. Ihretwegen habe ich selber angefangen, Musik zu machen.
Kreator Phantom Antichrist Die beste Band der Welt auf dem vorläufigen Höhepunkt ihres Schaffens. Maximale Energie in einem heftigen musikalischen Abenteuer. Damit blas ich mir immer mal wieder den Kopf frei.
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Lou Reed Legendary Hearts Eins von vielen Meisterwerken vom genialsten Songwriter der Geschichte. Seine gesungenen Erzählungen und einzigartigen Gitarrenriffs haben eine besonders beruhigende Wirkung auf mich.
Doris Day My Heart Die schönste Stimme überhaupt. Und 45 Jahre nach ihrem vorletzten Album hat sie mich mit diesem Album erneut völlig unerwartet sehr glücklich gemacht. Dank Rocky Balboa und dieser Platte freue ich mich aufs Altwerden.
Un s er e K und e n s i n d uns e r e S t a r s
MUSIK
Palko!Muski Die beste Partyband der Schweiz hat ein neues Album draussen. von Marc Gerber
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iese Band wird gebucht, wenn der Veranstalter will, dass die Partygäste die Bar leertrinken. Und es ist die Band, die dir auch dann noch das Gefühl gibt, du könntest ihre Liedtexte mitsingen, wenn du dich bereits im betrunken-betäubten Zustand befindest.
Die Mitglieder von Palko!Muski sehen aus, als kämen sie direkt aus einer Episode von «Die Simpsons». Frontmann Baptiste Beleffi könnte Sideshow Bob sein, und seine Bühnenshow ist manchmal tatsächlich fast annähernd so verrückt. Schon 2011, am kleinen ClanXOpenair im Appenzell konnten die Jungs überzeugen. Ihr Argument? Brachiale Bühnenpräsenz, und dies nonstop, 90 Minuten am Stück. Mehr Action als jeder Arnold Schwarzenegger-Film, dafür garantieren die Zürcher. In der Schweizer Musikszene gelten sie schon lange nicht mehr als Geheimtipp: Sie spielen jeweils nach dem Hauptact, dann, wenn die Tanzwilligen ihren letzten Tropfen Schweiss verlieren. Doch trotzdem hat sich noch nie eine ihrer CDs in meine Stereoanlage verirrt und keiner ihrer Songs findet sich auf meinem Mp3-Player.
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Woran liegt das? Nun ja, die Gipsy-Künstler funktionieren halt am besten auf den Holzbrettern, denn Bühnenpräsenz kann man schlecht auf CD pressen. Zumindest dieses Gefühl hatte ich bei ihrer letzten Scheibe «PANIK», die ich unweigerlich mit den schönen Gedanken an das letzte Konzert verknüpfe – und an schöne Erinnerungen kommt nichts an. Verhält es sich da bei der neuen Scheibe «Land of Ego» anders? Palko!Muski setzen auf einen wilden Mix von klassischer Gypsy-Musik und wildem Rock, ja sogar Punk-Passagen, die sie aber immer wieder mit Refrains auffangen, bei denen man mitgrölen und dabei seinen Konzertnachbarn umarmen möchte. Diesem Konzept bleiben sie sich auf der neuen Platte treu, obwohl das Experimentieren mit neuen Elementen eine zentrale Rolle spielt. Doch auch beim Hören des neuen Albums «Land of Ego» verspüre ich den Drang, unbedingt demnächst wieder ein Konzert der munteren Truppe zu besuchen. Ist das ein schlechtes Zeichen? Definitiv nicht, denn Palko!Muskis Album ist die beste Werbung für ihre unglaublichen Auftritte.
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n ä r e v u So Herr Hess, Ihr Auftreten Holzbrille von Rolf
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BUCH
von Daniel Kissling
Ich hänge das Kind über die Heizung und setze mich aufs Bett Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch von Michelle Steinbeck
von Dr. Spencer Johnson
Es geht um Käse – und wie man an ihn rankommt. Abgesehen vom Käse wird in diesem Buch ein wunderbarer Weg aufgezeigt, mit Veränderung im Leben umzugehen. Josh Guelmino, KOLT-Reviewer
MAGIC CLEANING von Marie Kondo
Weltweit ist ein regelrechter Ausmist-Wahn ausgebrochen, seit die junge Japanerin Marie Kondo ihre Methode vorgestellt hat.Die Welle hat auch mich erreicht und ich bin in zwei Wochen sechzig Kilos Hausrat losgeworden. Die sinnvollste Frühlings-Kur, die ich je gemacht habe. Fabienne Käppeli, KOLT-Reviewerin
DIE SELBSTMORDSCHWESTERN von Jeffrey Eugenides
Nach dieser Lektüre ist man froh, nicht in einer amerikanischen Vorstadt der 70er-Jahre aufgewachsen zu sein. Und doch ist die Geschichte über fünf Schwestern, die sich dort nacheinander das Leben nehmen, bedrückend schön. Nathalie Bursac, KOLT-Redaktionsleiterin
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rste Warnung: Wenn du dieses Buch kaufst, musst du dir den Rest des Tages frei nehmen, denn du wirst es in einem Stück durchlesen. Zweite Warnung: Wenn du am Ende der letzten Seite anlangst, wirst du schnell innehalten, aufschauen – und am liebsten gleich noch einmal von vorne beginnen wollen. SRF, 20 Minuten, Annabelle – mit ihrem Debütroman «Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch», der vor ein paar Wochen erschien, hat sich Michelle Steinbeck (Jahrgang 1990) flugs zu einer der beachtetsten jungen Autorinnen der Schweiz gemausert. Diesem medialen Rauschen kann man natürlich kritisch gegenüberstehen, doch in diesem Fall haben die Blätter zur Abwechslung ihre Kameras in die richtige Richtung gehalten. Dabei ist die Geschichte des Buchs eigentlich denkbar simpel: Eine weibliche Ich-Erzählerin findet zuhause ein totes Kind, packt es, nachdem sie es zuerst über die Heizung zum Trocknen gehängt hat, in einen Koffer und macht sich damit auf die Suche nach ihrem verschwundenen Vater. Die Ereignisse, die ihr dabei widerfahren, die Gestalten, die sie trifft, ob gute oder böse, sind so drastisch und skurril, wie die Ausgangssituation vermuten lässt. Eine kurze Auswahl: Ein alter, knochiger Mann ohne Beine, der Fahrrad fährt, ein ganzes Schiff, gebaut aus Konservendosen, zickige Künstlerinnen und drei sabbernde Doggen, die ihr das Kind stehlen und ihre Ohren abbeissen wollen.
Von der Generation Y, also den heute 20- bis 30-Jährigen, wird allenthalben behauptet, dass sie nichts anderes könnten, als Zitieren und Kopieren. Popmusik, TV-Serien, Youtube-Videos – eine Welt, aufgebaut aus Referenzen, Querverweisen und Links. Steinbecks Debütroman ist komplett frei davon, erinnert mit seinen fantastischen Figuren, der bildlichen Sprache und der fast schon naiv sachlichen Schilderung abstrusester Begebenheiten an ein modernes Märchen. Eskapismus und Weltflucht kann man Michelle Steinbeck, die in Biel Literarisches Schreiben studiert hat und in Basel lebt, dabei aber nicht vorwerfen. Steinbecks Roman ist – trotz überschäumender Absurditäten – nicht einfach ein Gedanken- und Bilderspiel. Vielmehr kommt hier die Fantasie der Realität zu Hilfe und verwandelt aktuelle Themen wie die Suche nach dem eigenen Platz in der Welt, die Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft oder die Frage, was man überhaupt alles vom Leben erwarten darf, in ein furioses, nicht ganz ungefährliches Wort-Abenteuer. Aber ich habe euch ja gewarnt.
Michelle Steinbeck
Mein Vater war an Land ein Mann und im Wasser ein Walfisch. Lenos Verlag, 2016. 153 S.
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AM TRESEN Bar-Eröffnung – welch ein seltener Freudentag für Tresentester! Cüpli, yeah! Nature Chips und Crevettenam-Spiess-Häppli, yeah! Oh, das wird ganz bestimmt ganz, ganz toll! Schon vor Monaten berichteten lokale Medien über die kurz bevorstehende Eröffnung und zauberten vermutlich allen Kaffeeliebhabern ein verzücktes Lächeln aufs Gesicht: «Kaffee, sieben Tage die Woche, und das nicht am Bahnhof, endlich!» Die Rede war von einem hölzernen Tresen, der vor 120 Jahren in New York geschreinert worden sei, von gutem Wein, von vielen alten und schönen Einzelstücken, die man an die Wände des Gatsby hängen werde. Da kommt etwas Neues auf die Stadt zu, darüber war man sich einig. Nun. Der Tresentester ist ja mehr oder weniger nie wirklich zufrieden, schafft es dann aber dennoch, das Schöne und «Spezielle» hervorzuheben. Doch dieses Mal ist er einfach nur trotzig vor Enttäuschung. Das war nichts mit dem grossen Gatsby, nein. Zugegeben, da hängen alte Dinge an den Wänden. Und ein altes Ding, nämlich der grosse, offensichtlich uralte Spiegel, ist ein Hingucker. Auch ist der Tresen tatsächlich sehr holzig. Und da steht auch «The Gatsby Bar» auf der Frontscheibe – wenn auch in schiefaufgeklebten Buchstaben. Bedient wird ganz nett, die Salznüssli sind schön salzig und am Tresen sitzt es sich durchaus bequem. Und die silbern glänzende, original italienische Espressomaschine ist noch beim Restaurator – ganz bestimmt.
The Gatsby
Marktgasse 34
WO SPIELT DIE MUSIK?
Die Reise geht nach Philadelphia, der grössten Stadt im US-Staat Pennsylvania. Von dort stammt nämlich eine Band, welche die Kritiker mit ihrem zeitgenössischen Americana-Sound überrascht: The War on Drugs, von Adam Granduciel und Kurt Vile 2005 gegründet. Auf ihrem Debüt «Slave Ambient» entstand ein hypnotischer Sound, der mit seinen repetitiv wälzenden Rhythmen das Gefühl eines Road Trips vermittelt, der dich davonträgt. Das zweite Album «Lost In The Dream» folgt diesem Sound mit noch mehr Feinschliff und macht es zu einem absoluten Meisterwerk – aber ohne Kurt Vile. Denn dieser verliess 2008 die Band und widmete sich fortan seiner Solokarriere. Er ist eine Persönlichkeit, die mit Intelligenz und unterschwelligem Witz nächtelang Musik schreibt. So entstand auch sein zweites Soloalbum «B’lieve I Am Going Down». Kurt Viles Musik hat einen eigenen Takt und findet zwischen Folk, New Wave und Country immer wieder zurück zum Rock; ein wahres Kunstwerk! (ud)
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MOST WANTED Jugendbibliothek Es gibt Menschen, die haben den Überblick über die Star Wars-Saga. Es gibt Menschen, die haben ihn nicht. Und dann gibt es noch die Jüngsten in unserer Gesellschaft – ihnen wird der Zugang zu Star Wars barrierefrei ermöglicht. Für Erstleser gibts die Star Wars-Geschichten als Buch, mit grosser Schrift, vielen Bildern und pädagogisch wertvollem Quiz.
«Star Wars – Helden der Galaxis» von Claire Hibbert
ist eines dieser Bücher und in der Jugenbiblio gerade heiss begehrt.
Stadtbibliothek Der
Charles Lewinskys
kriegts einfach jedes Mal hin. Auch sein neustes Werk
«Andersen»
, das Mitte März erschien, ist er in der Stadtbiblio gerade das beliebteste Buch – und das wird gemäss Inidern noch eine Weile so bleiben. (nb)
Das Leben ist kein Traum Er war bereits letztes Jahr in der Schweiz: Malcolm Holcombe. Ein Mann wie eine Tanne. Mit einer Stimme, so rauchig wie alter Bourbon. Für das KOLT gab der Musiker am Telefon ein kurzes Interview. Interview von Martin Bachmann Fotos von Andre Albrecht
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ie Verbindung ist gut an diesem Samstagabend. Malcolm erzählt in seinem breiten Südstaatenakzent von seiner Musik und dass er sich freut, schon bald wieder in der Schweiz zu spielen. Gleich zu Beginn des Gesprächs macht er klar, was seine Mission ist: «Die Musik, die ich spiele, ist für die einfachen Leute. Solche wie du und ich.» Geboren und aufgewachsen ist der Mann mit dem grauen Backenbart in Swannanoa, einer Kleinstadt im Westen von North Carolina. «Als ich 14 Jahre alt war, kaufte mir meine Mutter meine erste Gitarre in einem Kleiderladen», erzählt Malcolm und lacht in den Hörer. «Mein Vorbild war damals schon der texanische SingerSongwriter Townes van Zandt.» Dieser Einfluss ist bis heute in den Songs von Malcolm zu hören. «Idole im eigentlichen Sinne habe ich aber keine», fügt er an, «van Zandt war einfach schon in meiner Jugend meine musikalische Inspiration.» Nebst des 1997 im Alter von 53 Jahren verstorbenen Country- und Folksängers Townes van Zandt waren es auch die Altmeister des Folkblues wie Mississippi John Hurt, die Malcolm beeinflussten. «That’s the real stuff – das ist das echte Zeugs!», versichert Malcolm, und man merkt
selbst durch das Telefon, dass er dies wirklich ernst meint. Wenn hierzulande jemand zu seiner Vorliebe für Country-Musik steht, dann hat das Gegenüber schnell ein Bild im Kopf: Schnauzbärtige Cowboys in weissen Lederstiefeln mit geschmacklos verzierten Gitarren in den Händen säuseln irgendwas von «Highway», «Sunset», «Whiskey» oder «Jambalaya», einem Eintopfgericht aus den Südstaaten. Oder, noch besser: vom «Lord» der ja so gut ist und einem eine Bibel, die ewige Liebe oder einen Revolver geschenkt hat. Die Kommerzialisierung des Country hat sicher einiges zu diesen Klischees und zum Ruf, dass diese Musik ein simples bis bigottes Weltbild verherrliche, beigetragen. Malcolm hingegen ist eines von vielen lebenden Beispielen dafür, dass handgemachte Gitarrenmusik aus den USA absolut nicht kitschig sein muss. Darauf angesprochen, wie er zu der Vorstellung eines amerikanischen Traums stehe, meint Malcolm lakonisch: « Das Leben ist kein Traum. Die meisten Leute haben es ihr ganzes Leben hindurch schwer.»
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Über diese Leute singt Malcolm. «Die Menschen, die sich durch ihr Leben kämpfen müssen, die arm sind, sie brauchen eine Stimme», sagt er. In seiner Stimme schwingt nichts von Armutsromantik oder einstudierten Phrasen mit. Dieser Mann weiss, wovon er spricht. Auch er hatte oder hat zwischendurch immer wieder seine «hard times», wie er sagt. Weiter ins Detail geht er nicht. Das Gespräch dreht sich wieder um das Wichtigste in Malcolms Leben, die Musik.
«Die Musik, die ich spiele, ist für die einfachen Leute. Solche wie du und ich.» nur um dann mit lautem, kehligem Gesang die schönen Seiten desselben zu beschreiben. Seine Finger jagen dabei wie Spinnenbeine über das Griffbrett der Gitarre und zupfen in rasendem Tempo die Saiten. Malcolm ist im Folk zuhause. Ein Mann und seine Gitarre, ob mit oder ohne Begleitband. Malcolm will in seinen Songs «das Leben festhalten», wie er sagt. Wenn man sich sein aktuelles Album «Another Black Hole» und auch frühere Aufnahmen anhört, merkt man, was er damit meint. Der Musiker aus North Carolina singt und spielt auf seiner Gitarre über das Leben mit einer Intensität, die ihresgleichen sucht. Mal beschreibt er heiser nuschelnd die Widrigkeiten des Alltags,
Musiker, vor allem Sänger und Gitarristen, werden häufig Divas geschimpft. Malcolm ist Sänger und Gitarrist in einem. Aber er ist ganz bestimmt keine Diva. Bescheidenheit gehört mit zu seinen guten Eigenschaften. Beispiel gefällig? Als Malcolm letztes Jahr in Olten gastierte, spazierte er mit Martin Schaffner von «Next Stop Olten», welcher seinen Gig organisiert hatte, durch die Stadt. Vor einem Kiosk standen ein paar Leute an den Stehtischchen. Auf dem Boden lag ein her-
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renloser Handschuh. Malcolm hob ihn auf und fragte die Herumstehenden, ob jemand von ihnen den Handschuh verloren habe und wem er gehöre.
«Weisst du, wessen Musik mir noch gefällt?», fragt Malcolm. «Der Blues von John Lee Hooker: ihn mag ich von den grossen schwarzen Bluesmen am liebsten!», erzählt er. Und damit schliesst sich der Kreis. John Lee Hooker hat mal gesagt, dass die Geschichten im Leben jedes einzelnen von uns ein Song sind. Ob die Geschichten gut oder schlecht ausgehen, spielt keine Rolle. Es sind jene Geschichten, die das Leben erst zu einem Leben machen. Und darüber singt und spielt Malcolm Holcombe aus vollem Herzen und mit ganzer Seele. Bis zum Schluss.
Konzert: Malcolm Holcombe und Jared Tyler Präsentiert von Galicia Bar und «Next Stop Olten» Mi 4. Mai in der Galicia Bar
DER KOLTIGE MONAT
Stadtentwicklung selbst gemacht
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OLT widmet sich (wieder) verstärkt der Oltner Stadtentwicklung. Wir wollen nicht nur kritisch die Entwicklung beobachten, sondern auch konstruktiv die Stadt mitdenken, Ideen präsentieren, die wir auch tatsächlich mit Privaten, der Unterstützung von Unternehmen und – hoffentlich – dem Goodwill der Stadtbehörden realisieren können. Wir möchten aktiv mitgestalten – mit Eurer Unterstützung. Dass wir uns mit diesem Vorhaben auf einem guten Weg befinden zeigt uns das enorme, positive Echo unserer Leserinnen und Leser. In dieser Ausgabe lancieren wir unsere erste Crowdfunding-Kampagne mit einem überschaubaren Projekt (mehr auf Seite 26). In unserer letzten (April-)Ausgabe haben uns die befreundeten Oltner rba architekten die Idee einer provisorischen «Bahnhofsmeile» entlang der Tannwaldstrasse visualisiert. Seither werden wir immer gefragt, ob denn jemand diese Idee weiterverfolge. Wir
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antworten: «Selbstverständlich!». Der Stand der Dinge: Unser Büro-Kollege Mike Zettel (MIO, Weinmesse Olten) steht in Kontakt mit der Grundeigentümerin SBB, unsere Architekten passen für die SBB die Visualisierung an die gesetzlichen Vorlagen an und zeichnen erste Pläne. Mit diesen Grundlagen hoffen wir, die SBB von unserem Projekt überzeugen und gleichzeitig Offerten für die Konstruktion einholen zu können. Am 28. April stellte KOLT auf Einladung des «Netzwerk Olten Ost» – ein Zusammenschluss von Investoren, Grund-und Haus-Eigentümer, Kulturschaffende, Kino- und Barbetreiber, und Vertreter der Bildungsinstitute und der Stadt Olten –, die «Bahnhofsmeile» vor. Was sich dort ergeben hat, werden wir Euch natürlich zu gegebenem Zeitpunkt mitteilen. Wir bleiben dran. Mit KOLT soll Stadt entstehen; eine koltige Stadt! Lassen wir uns überraschen. Euer KOLT
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Der Stadt-Strand in Olten Neben dem Hotel Arte
ril p A . 9 2 Ab t geรถffne
Riggenbachstrasse 10, 4600 Olten, www.pure-olten.ch
Das Bedürfnis nach Geborgenheit – davon geht man aus – ist allen Menschen, ja vielleicht allen Lebewesen gemeinsam. Jean-Pierre Junker
COVER – Mehr Zuhause.
SIO AG COVER Generalvertretung Schweiz Rötzmattweg 66 CH-4601 Olten T +41 62 207 07 07 F +41 62 207 07 00 info@cover.ch cover.ch
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