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Das Einkaufszentrum Sälipark in Olten ist wie ein eingespieltes Orchester: Vielseitig, engagiert und mit viel Personality. Lassen Sie sich also von den Good Vibrations begeistern.
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Nachhaltigkeit
Mobiliar-Bienen für unsere Zukunft «MoBees» heissen die besonderen Mitarbeiter der Mobiliar. Die fleissigen Bienen fliegen nach einem Pilotprojekt der Mobiliar Bern nun an vielen verschiedenen Standorten in der ganzen Schweiz – auch in Olten.
Seit 2016 gibt es die «MoBees». Sie sollen das Bewusstsein dafür schärfen, wie wichtig Bienen für unsere Zukunft sind. Denn Bienen haben einen gewaltigen Einfluss auf das Leben der Menschen. Durch das Bestäuben von Pflanzen sichern sie die Vielfalt und den Erhalt eines Grossteils unserer Nahrungsmittel und sorgen für gute Ernten. Gemeinsam die Zukunft meistern «Die Möglichkeit, mit Bienen zum Erhalt der Artenvielfalt unserer Pflanzenwelt beizutragen, hat uns sofort begeistert», sagt Fabian Aebi-Marbach, Generalagent in Olten. «Das passt zur Mobiliar – denn nur gemeinsam können wir die Herausforderungen der Zukunft meistern.» Die Mobiliar-Bienen der Generalagentur Olten werden von Eduard Lack, einem erfahrenen Imker aus Boningen betreut. Der Bienenkasten selbst steht auf der Flachdach-Terrasse der Generalagentur Olten. Grosser Radius für gesellschaftliche Engagements Die dezentrale Struktur der Mobiliar mit 79 Generalagenturen an 160 Standorten in der gesamten Schweiz bietet nicht nur Nähe zum Kunden und lokale Verankerung, sondern auch einen grossen Aktionsradius für gesellschaftliches Engagement. Die Mobiliar möchte mit ihrem Gesellschaftsengagement einen aktiven Beitrag zur nachhaltigen Gestaltung unser aller Zukunft leisten.
Auf dem Dach der Mobiliar Olten: Der erfahrene Imker Eduard Lack schaut bei den «MoBees» nach dem Rechten.
Mehr Informationen zum Projekt und darüber, wie die Mobiliar gesellschaftliche Verantwortung übernimmt, finden Sie unter mobiliar/engagement.
mobiliar.ch
Baslerstrasse 32 4601 Olten T 062 205 81 81 olten@mobiliar.ch
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Generalagentur Olten Fabian Aebi-Marbach
EDITORIAL September 2017
Liebe Leser_innen Ich hoffe, ihr habt die Sommerwochen genossen! Wir haben es auf jeden Fall, nicht ohne dabei am nächsten KOLT zu arbeiten. Einige von uns sogar aus der Ferne: Lilly Manzanedo weilt gerade in Australien, von wo aus sie für uns einen Text darüber geschrieben hat, wie es ist, in einer Frauenband zu spielen. Aber darf man überhaupt «Frauenband» sagen? Oder ist das sexistisch? Oder eben gerade feministisch? Auf Seite 18 findet ihr eine mögliche Antwort.
Für unsere Cover-Geschichte ging Melina Aletti in Olten auf die Suche nach Menschen, die zusammen Deutsch lernen. Mitte Mai wurde bekannt, dass der Kanton Solothurn die Anzahl der Intensivsprachlektionen für Asylsuchende massiv kürzen wird. Die sechs Menschen (ab Seite 8), die KOLT getroffen hat, haben einen Weg gefunden, abseits der offiziellen Angebote zusammen Deutsch zu lernen. Ich wünsche euch eine gute Lektüre! Nathalie Bursać
IMPRESSUM VERLAG / HERAUSGEBER Verlag 2S GmbH, Leberngasse 17, 4600 Olten, verlag@v2s.ch, www.v2s.ch VERLAGSLEITUNG Yves Stuber (ys) REDAKTIONSLEITUNG Nathalie Bursać (nb), redaktion@kolt.ch FINANZEN Matthias Gubler INTERNETAUFTRITT Roger Burkhard LAYOUT / SATZ Christoph Haiderer REDAKTIONELLE MITARBEIT Kilian Ziegler, Marc Gerber, Daniel Kissling, Pierre Hagmann, Ueli Dutka (ud), Franziska Monnerat, Melina Aletti, Liliane Manzanedo, Sascha Rijkeboer (sr) ILLUSTRATION Petra Bürgisser, Anna-Lina Balke FOTOGRAFIE Janosch Abel, Claude Hurni, Roman Gaigg, Cyril Müller KORREKTORAT Mirjam Läubli LESERBRIEFE leserbriefe@kolt.ch, www.kolt.ch/leserbriefe AGENDA agenda@kolt.ch, www.kolt.ch/agenda ABO Jahresabonnement CHF 79.—(inkl. MwSt), Gönnerabonnement CHF 150.— (inkl. MwSt), abo@kolt.ch, www.kolt.ch/abo INSERATE inserate@kolt.ch, www.kolt.ch/inserieren KONTAKT www.kolt.ch, hallo@kolt.ch AUFLAGE 1'800 ISSN 1664-0780 DRUCK Dietschi AG Druck und Medien, Ziegelfeldstrasse 60, CH-4600 Olten. © 2017, Verlag 2S GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung. Die Urheberrechte der Beiträge bleiben beim Verlag. Keine Gewähr für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustrationen.
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Cover fotografiert von Roman Gaigg
Peter Schafer ist seit Ende Juli offiziell in Polit-Rente. Im Stadtrat für ihn nachrücken wird die SP-Frau Marion Rauber, der KOLT vor drei Monaten 100 Fragen stellte. Und sie beantwortete sie kurz und locker – was natürlich zu einem guten Teil der Idee der 100 Fragen geschuldet ist. Trotzdem fällt sofort auf: dort sprach eine Frau, die frisch und unbelastet nach Vorne schaut. Auf Seite 26 findet ihr nun ein Gespräch mit einem Mann, der auf 16 Jahre im Oltner Stadtrat zurückblickt. Wo fängt man da an? Worüber redet man mit einem, der so lange im Zentrum der städtischen Macht sass? Franziska Monnerat begleitete den Bähnler Schafer während seiner Arbeit im Führerstand. Er sei einer, der pragmatisch nach vorne blicke, sagt er. Für das Interview blickte er jedoch zurück – mit einer interessanten Mischung aus Lockerheit und gepfefferten Direktheit, wenn es um Kritik geht, oder darum, dass er keine Lust mehr hat, über bestimmte Themen zu reden.
INHALT
6 Im Gespräch Der ehemalige Primarleher Peter Nyffenegger sammelt Geschichten im Altersheim
26 Abfahrt Schafer
Peter Schafer sass 16 Jahre lang für die SP im Oltner Stadtrat. Nun tritt er unfreiwillig ab. KOLT traf ihn zum Gespräch.
GENUSS
KOLUMNEN
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Toni Erdmann hat ein Geschwisterchen gekriegt
Film
NaRr Kinderfreundschaft
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Kilian Ziegler
Musik
Ein Doppel mit King Roger
Schweizer Musik ohne Mundart klingt auch gut
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Petra & Lara «Zwei Dinge»
8 Abseits der Schulbank
Die Sprache seiner neuen Heimat lernt man nicht nur in der Volksschule. Wir haben drei Paare getroffen, die freiwillig zusammen Deutsch lernen.
STADT
Literatur Tausendsassa Kate Tempest
34 Der koltige Monat Sommeransichten
17 Meinung «Der Oltner Sommer»
18 Frauen auf der Konzertbühne Die KOLT-Autorin Lilly erfüllte sich ihren Jugendtraum: endlich in einer Band zu spielen. Einer Frauenband.
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DAS GESPRÄCH
«Ach, Grossvater, das hast du uns schon 100 Mal erzählt» Seit seiner Pensionierung sammelt der ehemalige Primarschullehrer Peter Nyffenegger Geschichten aus dem Leben von Menschen, die im Altersheim wohnen. Dabei erfährt er Dinge, die in keinem Geschichtsbuch stehen. Und schenkt betagten Menschen das, was für sie besonders wertvoll ist: ein offenes Ohr. Interview von Nathalie Bursać Fotos von Janosch Abel
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eter Nyffenegger, eine Gruppe von Schulkindern betreuen oder betagten Menschen beim Erzählen zuhören: Was braucht mehr Geduld? Ganz eindeutig die Kinderbetreuung. Mit betagten Menschen zu reden, ist eine eher ruhige Angelegenheit. Natürlich muss man auch da gut zuhören können und geduldig sein. Man muss älteren Menschen den Raum und die Zeit geben, ihre Geschichten loszuwerden. Doch Sie sammeln nicht Lebensgeschichten, sondern kleine Anekdoten aus dem Leben älterer Menschen. Es ist ganz normal, dass ältere Menschen mir ihre Lebensgeschichte erzählen wollen oder immer wieder abdriften. Ihre Biographien sammle ich quasi unterwegs. Ob ich zu einem späteren Zeitpunkt etwas daraus mache, werde ich mir noch überlegen. Ich wollte sie beim Erzählen nicht unterbrechen, denn ich weiss, wie das ist. Ich bin zwar noch nicht sehr alt, aber dennoch heisst es von meinen Enkeln oft: Ach, Grossvater, das hast du uns schon 100 Mal erzählt. Und jetzt komme ich, der das eben noch nicht 100 Mal gehört hat und einfach nur zuhört. Das wird dann sehr geschätzt. Ihr Projekt kann man als Oral History-Projekt beschreiben. Menschen erzählen Ihnen aus ihrem Leben, und Sie schreiben es auf. Hatten Sie bereits Erfahrung mit etwas Ähnlichem? Nein, eigentlich nicht. Während meiner Zeit als Lehrer hatte ich einmal eine Idee für eine Klassen-Abschlussarbeit: Jeder Schüler und jede Schülerin besucht über mehrere Nachmittage hinweg jemanden im Altersheim, geht mit dieser Person spazieren oder spielt Spiele mit ihr. Die Kinder sollten dann das, was sie während dieser Begegnungen erfahren, aufschreiben. Doch leider konnte ich das Projekt nicht mehr umsetzen. Nach meiner Pensionierung entschied ich mich, das Projekt selber zu verwirklichen. Wie waren diese Begegnungen? Es sprudelte regelrecht. Das Vorurteil, man treffe im Altersheim auf Menschen, die den ganzen Tag teilnahms-
los auf einem Stuhl sitzen und quasi auf ihren Tod warten, stimmt überhaupt nicht. Klar gibt es Bewohner, die abgelöscht sind. Aber oftmals trifft man sehr aktive Menschen. Eine 94-jährige Frau bat mich einmal, sie in ihrer Wohnung zu besuchen. Als wir ins Gespräch kamen, bat sie mich, mit ihr das Multiplizieren und Dividieren zu üben und ihr Hausaufgaben zu geben. Diese löste sie dann auch fleissig und korrekt. Das hat mich beeindruckt. Was hat dieses Projekt bei Ihnen persönlich ausgelöst? Wie denken Sie über das Älterwerden? Es stimmt mich natürlich nachdenklich, wenn mir eine Bewohnerin erzählt, sie gehöre eigentlich noch nicht ins Altersheim. Oder mit anderen
«Weitermachen, ans Gute glauben und versuchen, ein gutes Leben zu führen.» Worten: Man habe sie ins Altersheim abgeschoben. So etwas beschäftigt mich. Was passiert eines Tages mit mir? Wird es mir gleich ergehen, oder werde ich noch lange daheim wohnen dürfen? Am liebsten würde ich bis zum allerletzten Moment unabhängig bleiben, am besten mit Hilfe eines Pflegedienstes. Ich habe das bei meinem Vater erlebt. Er war 94 Jahre alt, als es nicht mehr anders ging und er ins Heim musste. Er lebte noch drei Monate. Klar hatte er ein stolzes Alter, aber das Altersheim konnte er nicht verkraften. In Ihren Gesprächen erfahren sie sicherlich viel darüber, wie das alltägliche Leben im letzten Jahrhundert hier in der Region war. Können Sie uns ein Beispiel geben? Zum Beispiel hörte ich Geschich-
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ten über die kleine Siedlung zwischen Trimbach und Winznau, welche Tripolis hiess. Sie wurde von den Nachfahren italienischer Gastarbeiter gegründet, die beim Bau des Hauenstein-Tunnels geholfen hatten. Eine Dame erzählte mir davon, wie sie als Kind mit ihrer Familie dort italienisch essen ging oder Fussballübertragungen im ersten und einzigen Fernseher der Siedlung anschaute. Das Erinnerungsvermögen wird im Alter ja nicht besser. Überprüfen Sie auch, ob die Geschichten wirklich stimmen? Oft konnte ich meinen Vater als Quelle heranziehen. Er bestätigte viele der Details. Manchmal widersprach er mir und meinte, das könne nicht so gewesen sein. Recherchen im Internet halfen mir dort, wo nötig, weiter. Eine Dame erzählte mir zum Beispiel davon, wie ein amerikanischer Bomber in Trimbach abgestürzt sei; diese Geschichte liess sich zum Beispiel ganz leicht bestätigen. Was hat Sie an all diesen Geschichten am meisten beeindruckt? Das ist ein sehr subjektiver Eindruck: Wie die Leute früher mit ihren Schicksalsschlägen umgegangen sind. Mir scheint, dass die Menschen früher gelassener waren und mehr sogenanntes Gottesvertrauen hatten, das musste nicht einmal religiös motiviert sein. Weitermachen, ans Gute glauben und versuchen, ein gutes Leben zu führen. Diese Haltung scheint mir heute etwas verloren gegangen zu sein.
Peter Nyffenegger (65) ist verheiratet und zweifacher Vater und Grossvater. 40 Jahre lang unterrichtete er an der Primarschule Hägendorf. Nach seiner Frühpensionierung hat er sein Hobby, das Schreiben, intensiviert. Eine seiner Geschichten, «Ins Fegefeuer», erschien im Mai 2017 im KOLT in der Rubrik «Petra & Peter». Seit kurzem lebt Peter Nyffenegger in Kerns OW, wo er vorhat, in den örtlichen Altersheimen weiter nach Geschichten zu suchen.
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Paschtu
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Deutsch
Hallo Text von Melina Aletti Fotos von Roman Gaigg
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eutsch zu lernen ist etwas vom Wichtigsten für Menschen, die in der Schweiz ein neues Leben beginnen wollen, sei es, um den Alltag zu bewältigen, Arbeit zu finden oder soziale Kontakte zu pflegen. Besonders für Geflüchtete ist dies oft schwierig; einige von ihnen sind nur wenige Jahre oder noch nie zur Schule gegangen. Seit Januar dieses Jahres hat der Kanton Solothurn Intensivdeutschkurse für Personen mit dem Ausweis N angeboten. Diese Menschen befinden sich noch im Asylverfahren. Die Kurse sind jedoch im Mai mit Wirkung auf das kommende Semester bereits wieder gestrichen worden. Die Nachfrage sei zu gross gewesen, weshalb die Gelder vom Bund
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nicht ausreichten. Doch wer füllt jetzt diese Lücke? Wie und wo können geflüchtete Menschen in Olten Deutsch lernen? Es sind viele Freiwillige aus ganz verschiedenen Organisationen, die sich nun engagieren. Einige dieser Organisationen sind bekannter, zum Beispiel die Hilfsorganisation Caritas oder der Quartiertreff Cultibo im Bifang, die beide Kurse in Deutsch für den Alltag und Schweizerdeutsch anbieten. Andere Angebote wiederum sind weniger bekannt, wie etwa das Projekt Jurastrasse 27 oder die DeutschBar im Vögeligarten. KOLT stellt sechs Menschen vor, die Woche für Woche zusammensitzen, um Deutsch zu lernen.
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Dieter Hagmann, 59, kaufmännischer Angesteller und Abader Absemed, 30, beide aus Olten Deutsch zu zweit, Benevol Kanton Solothurn Wie seid ihr dazu gekommen, zusammen Deutsch zu üben? Dieter Hagmann: Ich habe auf Facebook einen Aufruf von Benevol gesehen. Gesucht waren Freiwillige für das Projekt «Deutsch zu zweit». Ziel dabei ist es, dass Interessierte ihre Deutschkenntnisse verbessern und das Gelernte auch im Alltag anwenden können. Doch eigentlich geht es um viel mehr als nur Deutsch. Abader Absemed: Ich wurde von der Sozialarbeiterin auf das Angebot aufmerksam gemacht. Hagmann: Das Projekt ist eine Zusammenarbeit von Benevol Solothurn und der Integrationsfachstelle Olten. Ich habe mich dort gemeldet, mit der Bitte, einen Eritreer als Partner zugeteilt zu bekommen. Ich hatte vorher schon Kontakt mit Flüchtlingen aus Eritrea. Beim Zugfahren fragte ich eine Gruppe Männer, von wo sie stammten. Als sie antworteten: «Aus Eritrea», merkte ich, dass ich gar nichts über dieses Land wusste, und ebensowenig, wieso Menschen von dort in die Schweiz flüchten. Ich habe mich dann über ihren Hintergrund informiert.
«Für mich gehört es auch dazu, dass ich ihm helfe, im Alltag zurechtzukommen und zu lernen, wie der Alltag in der Schweiz funktioniert. Ich helfe ihm, wie ich auch einem Kollegen helfen würde.»
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Wie habt ihr euch kennen gelernt? Hagmann: Das erste Treffen fand in einem Restaurant statt, wir haben uns auf einen Kaffee getroffen. Danach konnten wir beide sagen, ob es für uns stimmt oder nicht. Absemed: Ja genau, das zweite Mal waren wir auch noch da. Hagmann: Es hat für beide gepasst, die Chemie stimmte. Also haben wir uns weiterhin getroffen. Ich habe aber dann gemerkt, dass uns der Gesprächsstoff ausgeht, wenn wir uns in einem Restaurant treffen. Deshalb habe ich begonnen, andere Aktivitäten vorzuschlagen. Je normaler das Umfeld, desto normaler ist auch die Unterhaltung.
Hagmann: Für mich gehört es aber auch dazu, dass ich ihm helfe, im Alltag zurechtzukommen und zu lernen, wie der Alltag in der Schweiz funktioniert. Ich helfe ihm, wie ich auch einem Kollegen helfen würde. Absemed: Ich kann den Alltag in der Schweiz kennenlernen, denn generell ist es schwierig für mich, Kontakt zu Einheimischen zu knüpfen. Auch wenn ich seit drei Jahren in der Schweiz bin, kann ich viel besser Hochdeutsch als Schweizerdeutsch, weil wir das im Sprachkurs lernen.
Wie sieht ein «normales» Treffen bei euch aus? Hagmann: Wir treffen uns durchschnittlich einmal in der Woche, aber nicht an einem fixen Tag; es hängt davon ab, was wir unternehmen. Ich schreibe ihm dann jeweils per Whatsapp. Da kann er auch gleich noch das Lesen und Schreiben trainieren. Absemed: Manchmal telefonieren wir auch. Wir waren schon gemeinsam im Openair-Kino, auf der Rigi, in der Badi zum Schwimmunterricht…
«In der Schule, dem Integrationsdeutschkurs, habe ich oft nicht viel verstanden. Wenn ich aber mit Leuten sprechen kann, geht es viel besser.» Hagmann: …im Tierdörfli, in der Naturfreundehütte. Wir unternahmen Ausflüge, die man hier in der Region machen kann. Absemed: Wir kochen auch zusammen. Manchmal gehen wir auch vorher noch gemeinsam einkaufen. Was ist der Vorteil eurer Methode des Deutschlernens? Hagmann: Dass es viel mehr ist als Deutschlernen. Ein Teil ist das Anwenden der Sprache im Alltag. Absemed: In der Schule, dem Integrationsdeutschkurs, habe ich oft nicht viel verstanden. Wenn ich aber mit Leuten sprechen kann, geht es viel besser.
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Wie sieht die Zukunft für euch aus? Absemed: Ab September kann ich bei Regiomech in Zuchwil arbeiten. In einem Qualifizierungsprogramm kann ich lernen, wie die Schweizer Arbeitswelt funktioniert. Von dort aus werde ich dann eine andere Stelle suchen. Hagmann: Von Benevol vorgesehen ist, dass wir uns während eines Jahres treffen. Diese Zeit ist schon bald abgelaufen. Wir werden uns aber so lange weiter treffen, wie es für uns beide passt.
«Im Deutschunterricht sitzen Analphabeten neben Akademikern. Was sie verbindet, ist der Wille, die deutsche Sprache zu lernen.» Arbeit mit der Einführungsklasse kannte. Mit der Zeit hatte sich das Angebot herumgesprochen und wir hatten immer mehr Schüler in den Stunden. Wir haben dann jeweils versucht, sie grob nach Niveau einzuteilen. Hubert Jenny, ein pensionierter Bezirksschullehrer, unterrichtete die Fortgeschrittenen. Ursula Rickli und ich arbeiteten mit den Anfängern, die zum Teil noch nie zur Schule gegangen waren und in keiner Sprache lesen oder schreiben konnten. Das haben wir mit einer von Ursula Rickli entwickelten Methode gemacht. Meist haben wir schnell festgestellt, wer bereits einmal zur Schule gegangen ist und Lernerfahrung hat, und wem diese fehlt.
Käthi Studer, pensionierte Primarlehrerin, 68, gibt Deutsch bei der Caritas «Seit ungefähr eineinhalb Jahren unterrichte ich Deutsch im Caritas-Treffpunkt bei der St. Martinskirche. Angefangen hat es damit, dass ich Ursula Rickli auf dem Rumpel getroffen habe. Sie ist Dozentin an der Pädagogischen Hochschule und hat mehrere Lehrmittel verfasst. Das war kurz vor Weihnachten 2015, einen Monat, nachdem sie das Projekt bei der Caritas gestartet hatte. Sie fragte mich, ob ich nicht einmal vorbeischauen wolle. Als ehemalige Lehrerin der Einführungsklasse, in welcher schwächere Kinder die erste Klasse in zwei Jahren absolvieren, hätte ich gute Voraussetzungen. Ich fühlte mich
zwar mit Hobbys und dem Hüten der Enkel bereits genug ausgelastet, doch bei einem ersten Besuch an einem Freitagnachmittag hat es mir bereits den Ärmel reingenommen. Ich finde, dass diese Aufgabe wichtig ist, und ich mag die Herausforderung.
Nach drei Monaten im Durchgangszentrum im Gheid sind die Geflüchteten jeweils verlegt worden. Für viele ist allerdings der Caritas-Treffpunkt die einzige Möglichkeit, Deutsch zu lernen. Deshalb kommen sie, egal wie, aus dem ganzen Kanton weiterhin in die Stunden. Wir haben jeweils vor Weihnachten und vor den Sommerferien gemeinsam mit den Geflüchteten ein kleines Fest organisiert. Sie haben dann gekocht und später Musik gemacht und getanzt. Alles so, wie sie es aus ihren Heimatländern kennen. Wir Schweizer kommen oft ein bisschen flach raus bei solchen Veranstaltungen. Kaum jemand von uns kann etwas typisch Schweizerisches zeigen. Die Flüchtlinge würden sich aber sehr für unsere Kultur und Bräuche interessieren.
Die Schüler sind sehr unterschiedlich. Im Deutschunterricht sitzen Analphabeten neben Akademikern. Was sie verbindet, ist der Wille, die deutsche Sprache zu lernen. Alle kommen sehr gerne in die Stunden. Weil der Treffpunkt und damit auch die Deutschstunden offen sind und ohne Anmeldung funktionieren, kann die Gruppenzusammensetzung jedes Mal anders sein. Als Lehrperson muss man sehr flexibel sein, eine Anforderung, die ich bereits von der
Mittlerweile hat die Anzahl Schüler deutlich abgenommen, und es gibt auch noch andere Angebote. Deshalb haben wir uns entschieden, unser Angebot neu aufzugleisen. Denn nur weil weniger Schüler kommen, ist der Sprachunterricht nicht weniger wichtig. Wir können dafür mehr auf die einzelnen Schüler eingehen. Ich habe auch schon bei mir zu Hause Stunden gegeben, damit das mühsam Erlernte über die Ferien nicht verloren geht.»
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Baqer Heydari Mohammad, 23, aus Afghanistan, lernt Deutsch bei der Caritas
ich möglichst schnell Deutsch lerne, damit ich später eine Ausbildung machen kann. Am liebsten möchte ich Mechaniker werden.
Ich gehe gerne jeden Freitag zum Unterricht nach Olten, weil es der einzige Deutschkurs ist, den ich besuchen kann. Ich habe damit angefangen, als ich im Durchgangszentrum in Olten war. Zwischenzeitlich war ich danach in Grenchen untergebracht, und mittlerweile wohne ich mit 23 anderen Männern in einem Haus in Oensingen. Nach Olten zur Caritas gehe ich aber weiterhin. Ich finde es wichtig, dass
Im Deutschunterricht habe ich zum Beispiel das lateinische Alphabet gelernt. Ich kann schon ein wenig Hochdeutsch sprechen, das üben wir im Unterricht. Schweizerdeutsch geht aber noch gar nicht. Meine Muttersprache ist Dari, und ich habe als Kind in Afghanistan nur für drei Jahre die Vorschule besucht. Deshalb ist das Deutschlernen für mich jetzt schwieriger als für andere.
«Ich finde es wichtig, dass ich möglichst schnell Deutsch lerne, damit ich später eine Ausbildung machen kann. Am liebsten möchte ich Mechaniker werden.» KOLT
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Isabelle Zimmermann, 66, Egerkingen, Projekt Jurastrasse 27
«Das Unterrichten gibt auch mir etwas, eine gewisse Befriedigung.»
Isabelle Zimmermann fragt ihre Schüler, meist sind es zwei oder drei, was sie denn an diesem Tag lernen wollen. Die Antwort lautet oft «Grammatik» oder «Verben». Dann übt sie mit ihren Schülern Verben oder allgemein Grammatik. Jedes Mal findet sie aufs Neue heraus, wo sie ansetzen kann, wo ihre Schüler gerade stehen. Sie sagt: «Gerade das macht diese Aufgabe so spannend.» Allen Mitwirkenden beim Projekt Jurastrasse 27 ist es wichtig, dass sie keine Sprachkurse oder -schulen konkurrenzieren. Was sie hier machen, hat auch nicht wirklich viel mit Schule zu tun. Jeden Dienstagnachmittag sind die Türen an der Jurastrasse 27 offen. Das Team um Renate Lämmli und Christine Moll weiss nicht, wie viele Schüler jeweils kommen werden. Die Interessierten trudeln nach und nach ein und können dann entscheiden, was sie machen wollen: Papier schöpfen, Deutsch oder Mathematik üben, kochen oder backen. Manchmal gibt auch jemand Klavierunterricht. Genau so ist auch Isabelle Zimmermann auf das Projekt gestossen. Sie besuchte Yogastunden bei Renate Lämmli und hat dabei erfahren, dass jemand gesucht wird, der Klavier unterrichtet. Da hat sie sich gemeldet: «Ich bin zwar keine Klavierlehrerin, aber Klavierspielen kann ich.» Schnell merkte sie, dass die Flüchtlinge, die mit ihr Klavier übten, gerne Deutsch sprechen wollten. «Ich habe dann begonnen, sie zu korrigieren, wenn sie beim Sprechen Fehler machten. So bin ich in den Deutschunterricht reingerutscht.» Von ihrer Ausbildung als Sekundarlehrerin kann die 66-Jährige profitieren, auch wenn sie diesen Beruf nie ausgeübt hat. Zudem begleitet sie in Oensingen eine 5. Primarschulklasse, das heisst, sie unterstützt und entlastet die Lehrperson und hilft den Kindern, wo es nötig ist. «Auch von dort kann ich viel mitnehmen“, sagt sie. An der Jurastrasse übt sie jeweils mit zwei bis drei Schülern gleichzeitig an den vielen offenen Baustellen. Besonders freut es sie, wenn sie Fortschritte beobachten kann. Auch der Gedanke, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, motiviert sie. «Das Unterrichten gibt auch mir etwas, eine gewisse Befriedigung.» Schliesslich ist sie der Überzeugung, dass Menschen, die neu in die Schweiz kommen, möglichst schnell integriert werden sollen. «So wird der Alltag später für alle Beteiligten einfacher.»
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Er ist 2015 in die Schweiz gekommen und wohnt mittlerweile in Dulliken. Kontakt zu Einheimischen hat Jamshid Khan nicht, nur an der Jurastrasse 27.
Jamshid Khan, 19, aus Afghanistan Jamshid Khan kommt in den Raum der Evangelisch-Methodistischen Kirche an der Jurastrasse 27, den Rucksack lässig über der Schulter, das Cap verkehrt herum auf dem Kopf. Sein Alter ist auf den ersten Blick schwierig zu schätzen. Nachdem er alle gegrüsst hat, setzt er sich an den Tisch, wo Deutsch gelernt wird. Den Treff am Dienstagnachmittag besucht er schon lange, genauer gesagt seitdem Christine Moll, eine der Initiatorinnen des Projekts Jurastrasse 27, einmal im Durchgangszentrum im Gheid, wo er untergebracht war, davon
erzählt hat. Das war vor ungefähr eineinhalb Jahren. Grundsätzlich gefällt ihm alles hier: Das Deutschlernen, die Spiele, das Backen, die Mathematikübungen. «Am liebsten mag ich das Backen und das Deutsch», sagt er. Es ist nicht die erste Fremdsprache, die der 19-Jährige lernt. Neben seiner Muttersprache Paschto kann er auch Dari, die zweite Amtssprache seines Heimatlandes Afghanistan, und Englisch. Er ist 2015 in die Schweiz gekommen und wohnt mittlerweile in Dulliken. Kontakt zu Einheimischen hat Jamshid Khan nicht, nur an der Jurastrasse 27. Er kennt eine Schweizer Familie, die ihn manchmal zu sich nach Hause einlädt, zum Beispiel an Weihnachten oder am
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1. August. Um sein Ziel, Deutsch zu lernen, möglichst schnell zu erreichen, besucht er auch die Deutschstunden der Caritas und geht zwei Mal pro Woche zur Schule. Gerne hätte er auch das Integrationsjahr gemacht, ein Angebot, das sich an junge Flüchtlinge richtet. Dieses hat zum Ziel, dass die jungen Menschen Deutsch lernen können und einen Einblick in die Ausbildungsmöglichkeiten der Schweiz erhalten. Leider hat er eine Absage erhalten: «Ich stehe jetzt dort auf der Warteliste», sagt er. Später will er eine Ausbildung machen; auf die Frage, in welchem Bereich er diese Ausbildung absolvieren wolle, antwortet er spontan: «Im Spital».
LESERPOST
OFF THE RECORD
Zahlen und Fragen «Seit einem Jahr haben wir die Inhalte der KOLT-Ausgaben gelesen. Nun kommen wir zum Schluss, dass wir, über 70-jährige Bürgerliche, nicht das Zielpublikum von KOLT sein können. Wir verzichten deshalb auf die Erneuerung des Abos.»
Ein Ehepaar aus Wangen bei Olten via E-Mail.
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ie Bevölkerung von Olten wuchs von 17 790 (Ende 2013) auf 18 900 (Mitte 2017) Personen. Die Anzahl der Arbeitsplätze in Olten ist in diesem Zeitraum um rund 2100 gestiegen. Sollten die bekannten grossen Entwicklungsprojekte (Sälipark 2020, Olten Südwest und das Projekt Areal Bahnhof Nord) gemäss offiziellen Zahlen in den kommenden zehn Jahren vollständig realisiert und die Wohnungen auch vermietet werden, dann würde die Oltner Einwohnerzahl laut Prognosen auf ungefähr 23 500 ansteigen. Ausserdem versprechen sie potenziell 3500 zusätzliche Arbeitsplätze. Der Oltner Stadtrat selbst hat sich im Jahr 2013 das Ziel gesetzt, mit einer aktiven Wohnpolitik bis im Jahr 2021 einen Bevölkerungszuwachs von rund 3000 Einwohner zu erreichen. Gleichzeitig weist die Stadt Olten gemäss einer Betriebszählung (2011) rund 18 400 Beschäftigte gegenüber einer Bevölkerung von 17 790 Personen (Ende 2013) auf. Nur rund die Hälfte dieser Erwerbstätigen wohnt auch in Olten. Von den rund 9000 arbeitenden Einwohner pendeln zirka 4000 täglich von Olten weg, während rund 13 000 Zupendler täglich zu uns zur Arbeit kommen. Fazit: Wir haben mehr Arbeitsplätze als Einwohner. Was bedeutet diese Situation für das subjektive Empfinden einer «belebten Stadt»? Die grossen Schweizer Städte um Olten werden teurer und bieten kaum mehr freien Wohnraum. Welche Faktoren muss Olten verstärken, um die Zupendler als Einwohner zu gewinnen? Das Laboratoire Bâle (Laba), das ETH-Architekturstudio in Basel, kalkulierte für das Jahr 2048 rund 14 Millionen Schweizer Einwohner aufgrund einer Hochrechnung des Bevölkerungswachstums der letzten fünf
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Jahre. Und laut Professor Harry Gugger, ETH-Professor und Laba-Direktor, werden nicht die drei Metropolitanregionen Genf, Zürich und Basel diesen Zuwachs abfedern, sondern die sogenannten Netzwerkstädte wie Olten, St. Gallen, Bern oder Luzern, die das grösste Potenzial aufweisen, mehr Einwohnern Platz zu bieten. Welche Funktion kommt einer Stadt zu, die quasi als reine Umsteigeplattform dient und nur sehr wenige Menschen tagsüber «zur Verfügung» stehen, «die Stadt zu beleben»? Respektive was bringt das Bevölkerungswachstum, wenn die Zuzüger nicht hier konsumieren und oder die (vorhandenen) Freizeit- und Kulturangebote nutzen, weil sie lediglich hier schlafen? Wäre nicht die Kreativund Kulturwirtschaft eine geeignete Zielgruppe, die zwar keine wesentlichen Steuereinnahmen generiert, jedoch starke Impulse zur Attraktivierung setzen könnte? Die alten (offiziell erhaltenswerten) SBB-Industriehallen und Direktionsgebäude könnten beispielsweise als solchen Kreativraum dienen, werden von der SBB aber nur im Paket an Investoren mitverkauft und nicht renoviert. Hier könnte die Stadt aktiv mitwirken, was garantiert viel Geld kosten würde, aber erheblich zur Attraktivierung der Stadt am «Eingangstor» verhelfen könnte. Das Oltner Standortmarketing fokussiert sich jedoch hauptsächlich auf Grossunternehmen, die kaum zur Identität der Stadt beitragen, dafür Steuereinnahmen und Arbeitsplätze mit sich bringen. Beides ist wichtig und könnte sich sinnvoll balancieren. Die Stadt Olten muss dringend die negative Seite ihrer hervorragenden zentralen Lage positiv ummünzen.
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MEINUNG
Nils Loeffel (28) arbeitet als Sozialarbeiter in Solothurn und veranstaltet daneben regelmässig Kultur im Coq d’Or.
Der Oltner Sommer ten Geburtstag zu feiern, und eine Woche später war es Zeit für eine weitere City-Lounge vor dem Gryffe. Vom 12. Juli bis 30. Juli pilgerten die Oltner*innen vor dem Ausgang noch kurz ins open youcinema, um auf dem Platz der Begegnung die neusten Filme in wunderbarer Atmosphäre zu geniessen.
© Benjamin Widmer
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ochenende für Wochenende begegnete man sich in den Strassen und auf den Plätzen Oltens und feierte wunderbare Feste. Am 27. Mai liessen sich zum Beispiel auf dem Vorplatz der Schützi beim Streetsoccer sportliche Meriten erwerben. Am 3. Juni fand bereits zum zweiten Mal das «Dreitannen-Open» auf der Bifangmatte statt. Gleichzeitig verwöhnte man sich kulinarisch vom 2. bis 4. Juni auf der Kirchgasse am StreetFood-Festival. Am 11. Juni gings weiter mit der sportlichen Betätigung – am 12. SP- Plausch-Fussballturnier krönte sich die talentierteste Grümpi-Mannschaft nämlich zum inoffiziellen Fussball-Meister der Stadt Olten. Vom 15. bis 18. Juni nahm man es dann etwas gemütlicher und schaute an der Coop-Beachtour den Profis beim Sport zu. Am Abend liessen sich die lauen Sommernächte dank dem Rahmenprogramm auf der Kirchgasse durchfeiern. Zum Abschluss des Junis vergewisserten sich die Zuschauer auf dem Vorplatz der
«Unzählige engagierte und motivierte Menschen haben in diesem Sommer die Stadt belebt.» Schützi, dass die Feuerwehr Olten seit 200 Jahren einen unglaublichen Job macht. Vom 30. Juni bis 2. Juli konnte man am Schulund Stadtfest die Nächte zum Tag machen und dabei am 1. Juli nebenbei noch Weltmeister im Bürostuhlrennen werden. Mit einbandagierten Schürfungen gings dann vom 4. bis 7. Juli in den Zirkus, da der Knie wie jedes Jahr auf der Schützenmatte gastierte. Am 21. und 22. Juli hiess es, mit den Jungs der Paraiba ihren zwei-
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Den 1. August feierte die Stadt wieder einmal auf dem Klosterplatz und bestaunte das Feuerwerk beim Ländiweg. Am 3. und 4. August zog es dann alle auf die Schützenmatte, wo sie unter den Bäumen bei schönstem Wetter dem 1. OltenAir beiwohnten. Kaum waren die letzten Zelte des OltenAir abgebaut, stieg schon die Vorfreude auf die Chilbi vom 11. bis 14. August. Am 15. August hatten dann alle die Möglichkeit, sich von den Strapazen des ereignisreichen Sommers zu erholen und den Schulstart am 16. August vorzubereiten. Als dann auch das Coq d’Or am 18. und 19. August die Sommerpause für beendet erklärte, war allen klar, dass dieser Sommer nun wohl leider vorbei ist. Unzählige engagierte und motivierte Menschen haben in diesem Sommer die Stadt belebt. Unter anderem dank unbezahlbarer Freiwilligenarbeit wurden Projekte auf die Beine gestellt, die weit über die Stadtgrenze hinaus das Bild der Stadt Olten prägen. Es ist zu wünschen, dass der Sommer 2018 in der Stadt Olten nicht weniger belebt wird. Wenn dann die Initiativen der Oltner*innen von Seiten der Regierung und der Verwaltung noch mehr unterstützt werden und vielleicht sogar längere Bewilligungen für Veranstaltungen auf Aussenplätzen möglich sind, dann freue ich mich noch auf manchen schönen Sommer in Olten!
Warum ich in einer Frauenband spiele Text von Liliane Manzanedo Fotos von Claude Hurni, zVg
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ls sei es gestern gewesen, erinnere ich mich noch genau an jene Stunden, in denen ich mich als 16-Jährige in meinem Zimmer einsperrte, um das Intro von «Under The Bridge» von den Red Hot Chili Peppers zu üben – tagein, tagaus. Kaum eine Woche war vergangen seit dem Kauf meiner schwarz-weissen Ibanez der S-Serie, und schon war sie ein fester Bestandteil meines Alltags geworden. Viele Momente der Verzweiflung und Freude, ein Auf und Ab der Gefühle, bis schliesslich alle Töne sassen. Meine Fingerspitzen waren mittlerweile von Hornhaut überzogen, was das Gitarrenspiel in Zukunft angenehmer machen würde. Ich hatte mir einen fetten Ordner mit Gitarren-Tabs von sämtlichen Stücken, die ich unbedingt noch lernen wollte, zusammengestellt. Einige davon waren viel zu schwierig für mein damaliges Spielniveau, doch in meinem pubertären Wahn sah ich dies nicht so pragmatisch. Tatsächlich dachte ich doch manchmal, dass ich halt eine Frau sei und deswegen wohl nie so krasse, geile Gitarrenriffs hinkriegen würde. Die wenigen Gitarre spielenden Mädchen, die ich damals kennengelernt hatte, besuchten entweder klassischen Musikunterricht oder spielten
Tatsächlich dachte ich doch manchmal, dass ich halt eine Frau sei und deswegen wohl nie so krasse, geile Gitarrenriffs hinkriegen würde. auf sehr rudimentäre Art und Weise E-Gitarre. Keine, die mich wirklich umgehauen hätte – bei keiner spürte ich diese enorme Faszination für dieses Instrument, wie ich sie bei meinen männlichen Freunden so oft wahrnahm. Sie waren es, die mich unheilbar damit ansteckten. Obschon ich hin und wieder zu Jam-Sessions eingeladen wurde, bevorzugte ich es, alleine zu üben, da ich mich noch nicht gut genug fühlte, um mit den Jungs zu spielen. Dabei wünschte ich mir nichts sehnlicher, als zusammen mit anderen Leuten Musik zu machen. Zu lernen, meine Finger dort anzusetzen, wo mit den anderen Instrumenten alles harmonisch Sinn ergibt. Ich schwor mir deshalb, eines Tages genauso gut auf der Gitarre zu sein wie die Jungs, um wie sie in
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einer Band spielen zu können. Wie sich später herausstellte, war dies ein paradoxer Gedanke. Denn ich begann erst besser zu werden, als ich in Bands spielte und mit anderen jammte. Fast zehn Jahre später erfüllte sich mein Traum. Letzten Januar gründete ich gemeinsam mit Gaia Giacomelli, Cecile Send und Neela Vetsch im Rahmen des nationalen Förderprojekts «Female Band Workshops» die Band Dog Daughter, in der ich Gitarristin und Sängerin bin. Schnell wurde klar, dass diese Band längst nicht mehr nur eine Projektband war, sondern die Entstehung von etwas komplett Neuem. Ich nenne es Bestimmung, eine unumgängliche Fügung, die unter anderem stark mit meiner Begegnung mit Gaia zu tun hatte, aber auch mit dem stetigen Songwriting der letzten Jahre. Es war im April 2014, als mir diese kleine, rebellische Gestalt zum ersten Mal über den Weg lief. Die Jungs, mit denen wir damals ausgingen, waren Brüder und Punks. Die Beziehungen gingen auseinander, doch Gaia und ich wurden auch ohne die Jungs zu einer Familie. Etwas nüchtern erzählte sie mir, sie spiele nebst Schlagzeug auch elektrische Gitarre, doch als ich sie spielen sah, wurde mir sofort klar, dass ich endlich eine Freundin gefunden hatte, die, wie ich, dieses Feuer für dieses Instrument in sich trägt. Ich weiss nicht, ob es daran lag, dass sie eine Frau war – ich fühlte mich ihr stärker verbunden als meinen Musikerkollegen, zu denen ich tolle Freundschaften unterhalte. Dann lernte ich sie näher kennen, und es war weniger das, was ich in ihr sah, als das, was ich plötzlich in mir sah. Gaia än-
Noch ganz frisch und schon auf der Bühne: Dog Daughter mit Gaia, Lilly, Cecile und Neela (v.l.n.r.)
wie Velofahren, sagte ich ihr, und tatsächlich sagte sie nach der ersten Bandprobe definitiv zu.
derte vieles in mir. Es ging mir nicht mehr darum, mein Spielniveau zu verbessern, ich hatte gelernt, diesem Instrument mein Herz zu schenken, völlig unabhängig davon, was es mir zurückgeben würde. Ich will nicht sagen, dass der (omnipräsente) Druck, als Gitarristin allen anderen etwas beweisen zu müssen, ganz verschwand. Gaia in ihrem vertieften, aber gemütlichen Geklimper zu sehen, baute jedoch viel davon ab. Aus destruktiven Gedanken wurde Kreation. An Passivität entfachte sich Aktivität. Ich war nicht mehr alleine mit all diesen Passionen und Ideen, mit ihr konnte ich so vieles teilen, das ich liebte. Egal, ob wir es gut oder schlecht taten, es ging nur darum, es zu tun. Und das wiederum holte oft das Beste aus uns heraus. Später starteten wir unser erstes gemeinsames Projekt Aybananaaa und spielten Pop-Songs und – Balladen, an denen ich die letzten drei Jahre gearbeitet hatte. Als zweite Gitarre unterstützte mich Gaia und machte meine ersten Auftritte überhaupt erst möglich. Ich sah mich nämlich nie als Solokünstlerin, und Aybananaaa hatte sich deshalb nie komplett angefühlt. Ständig fragte ich mich: Wo ist meine Band? Dass ich fast am Ziel war, wusste ich im Herbst 2016 während des Gesprächs mit Fabienne Hörni noch nicht. Als Leiterin des Female Band
Ich hatte gelernt, diesem Instrument mein Herz zu schenken, völlig unabhängig davon, was es mir zurückgeben würde. Workshops im Kanton Solothurn suchte Fabienne noch motivierte Teilnehmerinnen und fand die Vorstellung von mir als Gitarristin und Gaia als Schlagzeugerin sehr gut. «Hey, du bist jetzt in einer Band», teilte ich Gaia noch am selben Tag mit. Ich gebe zu, ein wenig impulsiv gehandelt zu haben. Sie war nicht sonderlich erfreut, hatte sie doch als Teenager das letzte Mal Schlagzeug gespielt, und die ersten Konzerte standen bereits wenige Monate später vor der Tür. Das sei doch
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Nach den ersten Jams wurde klar, dass wir eine Band mit Saxophon sein würden. Neela war nicht mehr wegzudenken, nicht nur des Instrumentes wegen, sondern auch wegen ihrer Art. Sie passte einfach zu uns. Schwierig zu erklären, aber eine richtige Band besteht nicht nur aus harmonisierenden Instrumenten, sondern insbesondere aus harmonisierenden Menschen. Das ist die wichtigste Erkenntnis, die mir der Workshop gebracht hat. Die ersten Bandproben waren sehr experimentell, wir brauchten Einspielzeit und eine Bassistin. Unsere zweite Workshopleiterin Claudia Stephani konnte uns nicht ewig am Klavier begleiten. Es ist ein wenig wie Lotto: Entweder man knackt den Jackpot gleich beim ersten Mal oder gar nicht. Wir haben ihn gleich geknackt, als wir in unserem Freundeskreis nach einer Bassistin herumfragten. Plötzlich stand Cecile im Bandraum und fügte sich mit ihrem weissen Bass als letztes Puzzle-Stück perfekt ein. Nach nur fünf Monaten entstand ein kleines Repertoire mit ausschliesslich eigenen Songs. Nebst anderen Tagen war der Freitag zu unserem fixen Probeabend geworden. Mit den obligatorischen 30 Minuten Verspätung trafen wir uns im kleinen Raum einer Tiefgarage, steckten unsere Köpfe und Instrumente zusammen und probten stundenlang. Dazu teilten wir uns, wie richtige Rockstars, zu viert ein einziges Dosenbier (meistens das von Cecile). Unser Debut gaben wir am letzten Mai im Chat Noir in Genf. Ich glaube, erst dort realisierten wir
Schwierig zu erklären, aber eine richtige Band besteht nicht nur aus harmonisierenden Instrumenten, sondern insbesondere aus harmonisierenden Menschen.
zum ersten Mal, dass wir eine Frauenband sind, da während des ganzen Abends nur Musikerinnen auftraten. Niemand von uns hatte jemals geplant, in einer Frauenband zu spielen. Generell glaube ich, dass wir uns erst in Genf zum ersten Mal so richtig als Band wahrnahmen. Auf der Bühne stehen zu dürfen, hat etwas verändert. Es kam mir vor, als ob es unser Feuer für die Musik verstärkt hätte. Dabei wussten wir nicht einmal, ob es den Leuten gefiel. Uns gefiel es, wir grinsten uns alle an, und das war die Hauptsache. Als wir nach dem Konzert von der Bühne gingen, sah ich den glücklichen Ausdruck in Gaias Augen. Ich glaube, das war der Moment, als all ihre Zweifel endlich verschwunden waren und sie sich definitiv als unsere Schlagzeugerin sah. Wir haben nie wirklich darüber geredet, welche Art von Musik wir eigentlich spielen wollen. Unser Garage-Punk-Rock-Sound entstand auf ganz natürliche Art und Weise. Würde man Gaia, Cecile und Neela fragen, wie das für sie ist, in einer Frauenband zu spielen, würden sie antworten, dass es nichts zur Sache tut, dass wir Frauen
sind. Es sei nichts anderes, als «mit guten Freunden Musik zu machen». Fragt man mich, dann hat es schon einen besonderen Stellenwert. Denn mein ganzes Leben lang fand ich öfter in Jungs
gute Freunde als in Mädchen. Und mit den wenigen engen Freundinnen, die ich habe, verbindet mich anderes als die Rockmusik. Es ist schlicht unbeschreiblich, wie sich das anfühlt, als Band und Freundinnen zusammenzuwachsen. Verfechterinnen der Emanzipation werden jetzt wohl an die Decke gehen, wenn ich das hier schreibe, aber ich finde es toll, ist Frauenband nicht gleich Band. Denn so erregen wir mehr Aufmerksamkeit. «Ich spiele in einer Band» – «cool». Füge ich weiter hinzu: «In einer Frauenband» «Was? Krass, was macht ihr denn so für Musik? Wie heisst ihr? Kann man irgendwo etwas hören? Wann habt ihr den nächsten Auftritt?» Gaaaanz ruhig, eine Frage nach der anderen bitte. Mit Dog Daughter stiess ich auf unglaublich viel Interesse und offene Ohren. Zahlreiche Leute besuchten unsere Auftritte in Olten im Coq d’Or oder im Galicia. Nicht, weil sie einfach eine Band hören wollten, sondern weil sie ganz konkret uns – die Frauenband – live erleben wollten. Die gemeinsamen Auftritte mit den anderen
Detail aus «Guido Santo», Sammlung Würth, Künzelsau
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25.8. B
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IS 8.10. 2 0 1 7
Die Ausstellung ist eine Kooperation mit der Adolf Würth GmbH & Co. KG
Frauenbands des Workshops waren stets aussergewöhnliche Abende, an denen man spürte, dass das Publikum sich dies nicht gewohnt war. Eigentlich entspringt diese Aufmerksamkeit der traurigen Tatsache, dass musikmachende Freundinnen immer noch sehr selten sind. Der Verein Helvetia Rockt lanciert nicht umsonst Förderprojekte für Frauen in der Rock-, Jazz- und Popszene. Dennoch empfinde ich es in erster Linie nicht als traurig, sondern als Chance. Die meisten Leute reagieren auf eine Frauenband ja nicht deswegen so erstaunt, weil sie voreingenommen sind oder den Frauen kein musikalisches Talent zuschreiben, sondern ganz einfach deshalb, weil sie keine Frauenbands kennen. «Das esch super, was der do machet. Das häts scho emmer zwenig gäh: Fraue wo rocke», sagte ein älterer Zuschauer zu uns. Ich glaube, es sind eher die Umsetzung und der Mut, eine Band gegründet zu haben, die Aufmerksamkeit erregen, und nicht das Spielen von Instrumenten. Die Leute kommen ans Konzert, um mit eigenen Augen zu sehen, dass auf der Bühne tatsächlich nur Frauen stehen. Bald schon aber vergessen sie diese kleine Andersheit und geniessen einfach den Sound. So kam es uns zumindest vor. Die Reaktionen auf uns haben gezeigt, dass wir als Frauenband geschätzt und unterstützt werden.
So hätte manche 16-Jährige während ihrer Entwicklung als Musikerin weitaus weniger Zweifel, weil es viele weitere Mädchen wie sie gäbe, die Instrumente spielen, singen oder Songs schreiben. Es gäbe mehr weibliche Vorbilder, mehr Instrumentalistinnen, mehr Musiklehrerinnen. Aber wie gesagt, Freundschaft verändert alles, und aktuell sieht die Realität anders aus. Meistens sind Mädchen nicht primär mit Jungs befreundet, sondern mit anderen Mädchen, und diese Mädchen machen vielleicht keine Musik, und so hören dann auch die musikmachenden Mädchen eines Tages mit ihrem Hobby auf. Im Leben übt das Umfeld einen ungeheuren Einfluss aus. Deshalb kann ich nur sagen, dass es trotz (noch) fehlender Gleichheit gut ist, wie es ist. Frauenbands sorgen für Aufmerksamkeit, weil die Welt auf sie wartet. Erst wenn junge Musikerinnen die Reaktion auf sie als etwas Einzigartiges verstehen, werden sie den Mut fassen, weiterzumachen und versuchen, immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wir zumindest hoffen auch künftig mit erstaunten Blicken und vielen Fragen konfrontiert zu werden. Eines Tages erregen Frauenbands womöglich nicht mehr diesselbe Aufmerksamkeit, doch das wird dann ein gutes Zeichen sein. Denn das wird heissen, dass es viel mehr von uns gibt. Andere Dog Daughters. Und hoffentlich auch uns noch.
Klar wünschen sich viele absolute Gleichheit; Frauenbands sollen genauso normal sein wie Männerbands. Und das wäre ja wirklich schön.
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Liliane Manzanedo (25) arbeitet als freie Journalistin, schreibt regelmässig fürs KOLT und studiert in Fribourg Sportwissenschaften. Die Band Dog Daughters besteht aus Gaia Giacomelli (Drums), Cecile Send (Bass) und Neela Vetsch (Saxophon). Da zwei Bandmitglieder gerade auf Reisen sind, geht es erst im Oktober weiter mit dem Proben und den Gigs. Die nächsten «Female Band Workshops» starten im Oktober 2017 und richten sich an alle Musikerinnen zwischen 15 und 25 Jahren. www.femalebandworkshops.ch
SERIE
FILM
Kommt ein Deutscher nach Bulgarien
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ie Wachowsky-Schwestern, die vor ihrem Outing als WachowskyBrüder und Erschaffer der MatrixTrilogie bekannt geworden sind, öffnen mit «Sense8» einen neuen Denkhorizont: Während bei Matrix die Menschen in einer Weltsimulation gefangen sind, interessiert sich «Sense8» für das Thema der Nächstenliebe. Die acht Hauptcharaktere leben über die ganze Welt verteilt, sind aufgrund einer Mutation ihrer Gehirne miteinander verbunden und können via Gedanken in die anderen hineinschlüpfen, ihre Gefühle teilen und gemeinsam gegen das Böse kämpfen. Das Böse sind in diesem Fall Menschen, welche Jagd auf die sogenannten «Sensates» machen, da diese eine Bedrohung für die bestehende Weltordnung darstellen. Eine Metapher für eine Welt, in der Machthaber die Verbundenheit im Volk fürchten. Die Serie besticht durch die cineastischen Bilder, den IndieSoundtrack und wird zudem dafür gelobt, dass sie die Vielfalt von Geschlechtsidentitäten, sexuellen Orientierungen und ethnischen Backgrounds zelebriert – auch wenn die Zeichnung der Figuren nicht ganz stereotypenfrei daherkommt. So oder so: Aufgrund der kostspieligen Dreharbeiten hat Netflix das Budget für eine dritte Staffel gekündigt, News zufolge soll jedoch die Pornoseite «xHamster» für die Finanzierung einspringen. (sr)
Sense8
2 Staffeln, 23 Episoden Drama/Sci-Fi, Netflix
DIE
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In «Western» wird nur einmal geschossen. von Pierre Hagmann
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einhard versteht sich gut mit den Bulgaren, obwohl er kein Wort Bulgarisch versteht und die Bulgaren kein Wort Deutsch sprechen. Er versteht sich gut mit den Bulgaren, so wie er sich gut mit dem Pferd versteht, das den Bulgaren gehört und das ihm die Distanzen in diesem hügeligen Grenzgebiet zwischen Bulgarien und Griechenland verkürzt. Hier arbeitet Meinhard mit anderen ostdeutschen Gastarbeitern, denn in Deutschland haben sie keine Arbeit gefunden. Gemeinsam sind sie hergereist, um ein Wasserwerk zu konstruieren. Wasser ist knapp in der Region, entweder wir oder sie, und als Vincent, der Vorarbeiter der Deutschen, einmal den Hebel umlegt, fliesst im nahen Dorf kein Tropfen mehr. So gibt es leise Annäherungen und halblaute Konflikte in den Begegnungen zwischen deutschen Bauarbeitern und bulgarischen Dorfbewohnern, und sonst passiert nicht viel in dem deutschen Film, der «Western» heisst, obwohl er aus der Sicht von Regisseurin Valeska Grisebach im Osten spielt. Aber die 49-Jährige spielt mit den Perspektiven, indem sie die Kamera in erster Linie auf Meinhard richtet, den die Lust am Unbekannten gerne die Fronten wechseln lässt. In einer Schlüsselszene des Films erzählt er
ALBEN MEINES LEBENS
Stahlberger Die Gschicht isch besser Das Album, mit dem Stahlberger sich als psychedelisch angehauchte Rockband neu erfanden. Die Texte sind abstrakter, die Musik dunkler und reduzierter.
seinem neuen bulgarischen Freund über den Verlust des Bruders, auf Deutsch, und der Bulgare sagt auf Bulgarisch: «Du erzählst etwas Trauriges». Der Film ist vom Produzententeam von «Toni Erdmann», und auch «Western» schaffte es, wie der letztjährige Superhit, nach Cannes – allerdings nicht im Hauptwettbewerb des wichtigsten Filmfestivals der Welt, sondern in der alternativen Nebensektion «Un certain regard». Dort war er gut aufgehoben. Meinhard also. Im richtigen Leben heisst er Meinhard Neumann, bislang war er Arbeiter und nicht Schauspieler. Das könnte sich endgültig ändern, denn man schaut ihm selbst beim Zuschauen gerne zu, und oft macht er nicht mehr als ebendas. Eine eigentliche Dramaturgie ist nicht zu erkennen, geschossen wird nur einmal, dafür gelingt es dem ruhig und in dokumentarischer Ästhetik inszenierten Film, in den Figuren und Begegnungen das Wesentliche zum Vorschein zu bringen: stille Gefühle, Wünsche, Ängste – Identität, Männlichkeit, Moral. Ein moderner Western im maroden Osten, und wie sich das gehört, spielt die Landschaft die schönste Nebenrolle.
von Jonathan Winkler von Hermann
Deus The Ideal Crash Nach zwei eklektischen, experimentellen Alben straffte die belgische Aussenseiter-Pop-Truppe ihre musikalische Ideenvielfalt und veröffentlichte ein atmosphärisch dichtes und detailreiches Album – bis heute ihr bestes.
Randy The Human Atom Bombs Via Metal und Grunge landete ich 1994 beim Neo-Punk und entdeckte bald Randy, die sich zunehmend dem Punk älterer Prägung hingaben und hier ihr Meisterwerk ablieferten.
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Superchunk Here's Where The Strings Come In Superchunk – meine liebsten Vertreter des Indie-Rocks amerikanischer Prägung – haben die schönsten Gitarrenbögen, herzerwärmendsten Melodien und den lustigsten Drummer.
Favez From Lausanne, Switzerland Eine Wucht! Lange waren Favez die wichtigste Rockband meiner Schweiz. Kraftvoll, verspielt, gewitzt. Im Post-Hardcore verwurzelt, den Stoner-Rock im Gepäck, keine Scheu vor grossen Melodien.
MUSIK
ICH TRAGE B A RT L O M E .
Ohne Mundart Das Trio Heinz Herbert liefert tanzbare Schweizer Musik. von Marc Gerber
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ch habe mir lange überlegt, ob nach der Sommerpause der richtige Zeitpunkt ist, Mundartmusik im KOLT vorzustellen. Sind wir mal ehrlich: Seit dem Ableben von Polo Hofer spinnen die Medien. Plötzlich ist Mundartmusik das Coolste auf der Welt. Doch lassen wir Polo im Himmel seinen Rotwein trinken. Denn es gibt mehr Schweizer Musik, und die ist nicht mal Berndeutsch. Hermann ist gross, sehr gross. Eigendli sötti jetzte oh in Mundart schriibä, i meine nur wäg der Thematik, aber de merke aui mi Dialäkt uh dasi eigendli us em Oberaargau chume. Anyway – kommen wir zum Thema Mundart. Gerade hoch im Kurs sind ja Jeans for Jesus, die sogar am Oltenair in der Schützi gespielt haben, oder Stahlberger aus St. Gallen, die mit ihrem Indie-Mundart schon lange nicht nur die Grabenhalle, die Kugel und das Palace füllen. Hermann ist noch eine Stufe unter diesen beiden und trotzdem sowas von cool. Das Trio aus Luzern besteht aus Hannes Herger am Bass, Dani Hug am Synthie und meinem ehemaligen Chef, Jonathan Winkler an Gitarre/Vocals. Richtig, meinem «ehemaligen
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Chef», aber ich bekomme hier keinen Bonus für den Artikel und die Musiker von mir keine Sonderbehandlung. Die haben sie auch nicht nötig, denn Hermann glänzt mit Qualität. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass Joni 99 Prozent seiner Arbeitszeit damit verbracht hat, neue Musik zu entdecken; zugegeben, für den Mitarbeiter eines Indie-Labels nichts Ungewöhnliches, doch Jonathan ist ein menschliches Musiklexikon und auch ein begnadeter Musiker. Zusammen mit Hannes Herger stand er auch schon mit Flink auf der Bühne. Gemeinsam mit Dani Hug (ehemals Dans La Tente) und einem alten Drumcomputer kreieren Hermann nun Dream-Pop auf Schweizerdeutsch – oder, wie sie es nennen: Ace-Pop. Hermanns gleichnamiges Album geht runter wie ein Dürüm um 3 Uhr nachts. In ihren Songs wie «Plakat», «Kellner» oder «Lift», erzählen Hermann alltägliche Geschichten, untermalt mit diesem leicht 80ies-mässig angehauchten Synthie-Sound und diesen langgezogenen Riffs - ach, diese Riffs sind einfach geil, und als wäre das nicht genug: auch tanzbar!
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BUCH
KOLT liest ........................
von Daniel Kissling
NUTSHELL
Die Götter von heute sitzen vor dem Fernseher
von Ian McEwan
Die Ausgangslage ist äusserst ungewöhnlich. Es geht um einen Mordkomplott, erahnt, erkannt und schliesslich beobachtet von einem Embryo. Mehr noch, das noch nicht einmal Neugeborene denkt sogar darüber nach, wie es den Mord am Kindsvater verhindern oder allenfalls rächen könnte. Der Einstieg in diese schräge Perspektive fällt nicht ganz so leicht, doch allerspätestens, wenn auf Seite 6 das zu gebärende Menschlein über guten Wein zu sinnieren beginnt («I like to share a glass with my mother» – sorry, ich habe das Buch auf Englisch gelesen...), fallen die intellektuellen Hürden. Der Roman wird nicht nur richtig spannend, sondern ist auch ein köstlich cleverer, satirischer, bisweilen mit Sarkasmus gespickter Genuss. Rhaban Straumann, KOLT-Autor
DIE GROSSE REGRESSION – EINE INTERNATIONALE DEBATTE ÜBER DIE GEISTIGE SITUATION DER ZEIT Wer beim Nachdenken über den Zustand der westlichen Gesellschaften gerne ein Buch in der Hand hält, dem sei diese Aufsatz-Sammlung aus dem Hause Suhrkamp empfohlen. Vielseitig, analytisch, begründet, anregend. Nathalie Bursać, KOLT-Chefredaktorin
Brand New Ancients / Brandneue Klassiker von Kate Tempest
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nd plötzlich ist der Sommer vorbei. Und plötzlich bin ich schon wieder hintendrein, die Deadline vorüber. Die Chefredakteurin schreibt kurz und knapp: „Kissling!“ Sie weiss, dass ich weiss, was sie von mir will. «Ich schreib was zu Kate Tempest (die ja nicht nur rappt, sondern auch bei Suhrkamp veröffentlicht wird)», antworte ich, und die Chefin darauf: «Passt, auch wenn im letzten Literaturclub so sehr geschwärmt wurde, dass man gar nicht anders konnte, als das Büchlein zu kaufen.» Ich fluche, als ich das lese. Natürlich kann man nicht immer der Erste sein, der etwas von Qualität entdeckt, doch etwas gut finden, nachdem alle anderen es schon für gut befunden haben, wirkt irgendwie nach Mitläufer. Also doch über etwas anderes schreiben? Ich entscheide mich dagegen. Weil Kate Tempest zu Recht als eine der aufregendsten Sprachkünstlerinnen gehandelt wird. Weil ich vor ein paar Wochen in einer Zürcher Buchhandlung unverhofft an «Brand New Ancients» geraten bin und dieses furiose Langgedicht von nicht ganz 50 Seiten Länge in einem Zug durchgelesen habe. Und weil dieses knall-orangene Büchlein beweist, dass Lyrik auch heute noch mehr sein kann als schöngeistige Weltvergessenheit. Denn
wenn Tempest dichtet, geht es um nichts anderes als um die Welt und um die Menschen, die versuchen, in ihr zurechtzukommen. Es geht um die gelangweilte Jane, «ready for change», und um ihren Freund Kevin, treu und brav («steady and plain»). Es geht um die beiden Teenager Spider und Clive, zwei Freunde, «a two-man nation», die sich doch entfremden. Und es geht um Gloria, «eins dieser Mädchen, deren Narben tief reichen, aber ein kurzes Lächeln von ihr wird dich eine Woche lang begleiten». Schon auf den ersten Seiten von «Brand New Ancients» macht Kate Tempest deutlich: «Die Geschichten sind hier, die Geschichten bist du». Sie macht Arbeiter und Wohnblock-Jugendliche zu Helden und Göttern, lässt aus vermeintlich durchschnittlichen Leben Epen werden, die jenen antiker Zeiten in nichts nachstehen. Dass ich nicht der Einzige bin, der so etwas feiert, ist verständlich. Und eigentlich auch wünschenswert.
Kate Tempest
Brand New Ancients / Brandneue Klassiker
Edition Suhrkamp, 2017. 112 S. ISBN: 978-3-518-12733-9
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AM TRESEN
Wer kennt den Sunset-Boulevard von Olten? Nein, gemeint ist hier nicht die Kirchgasse, sondern die alte Aarauerstrasse. Ja, sie ist ein wenig wie die Kirchgasse der rechten Aareseite, nur mit mehr Abendsonne eben, und nicht ganz nebensächlich: italienischem Espresso am Montag. Den Kaffee verdanken wir Il Gustolino, dem kleinen Italo-Bistro vorne an der Ecke zum schnittigen Fachhochschulgebäude und mit Blick auf den Schlund der Winkelunterführung. Mit-
tags, draussen an einem der wenigen Tische, riecht es meistens nach Ferien in Rom oder Florenz oder in irgendeiner anderen italienischen Touri-Stadt: nach Abgas, warmem Parmesan und Tomatensugo. Schön.
Hier lässt es sich gemütlich sitzen. Und das sollte man, solange die alte Aarauerstrasse noch die alte Aarauerstrasse bleibt. Denn die fiese Gentrifizierung (ja, gibt’s auch hier) schreitet voran. Doch bis oben beim Bifangplatz die ersten Yoga-Studios und Rich-Kids einziehen, dauert es wohl noch ein kleines Weilchen. Also raus auf die Gasse, eine Tageszeitung am Porno-Kiosk kaufen, Espresso im Gustolino schlürfen, Modelleisenbahnen im Schaufenster ein paar Häuser weiter oben bestaunen, eine Runde Billiard für 2 Stutz im Kino-Foyer spielen und dann wieder zurück ins Gustolino für einen Aperitivo, bevor der Laden schliesst – das tut er nämlich leider vor Sonnenuntergang.
Il Gustolino
Aarauerstrasse 10
WO SPIELT DIE MUSIK?
MOST WANTED
Stadtbibliothek
An der europäischen Atlantikküste zeigt sich der Herbst warm und sonnig, die Wellen werden häufiger und grösser, und die Surf-Saison beginnt. Wer sich musikalisch in Stimmung begeben will, dem sei empfohlen, sich den Soundtrack des Surf-Films
«The Morning of the Earth»
anzuhören. Ein Klassiker und gleichzeitig auch musikalischer Zeitzeuge mit Auszeichnung. Der australische Film wurde im Jahre 1971 veröffentlicht und enthält die Musik australischer Grössen seiner Zeit, die diesen Soundtrack speziell für den Film produzierten. Der Film und sein Soundtrack geniessen dermassen Kultstatus, dass das ganze Projekt 2013 unter dem Titel «Spirit of Akasha» als Remake erschien. Der reinterpretierte wie auch der originale Soundtrack sind ein Portal zur australischen Surf- und Musik-Kultur und zeigen diese in ihrer ganzen Herrlichkeit und Eigenartigkeit. (ud)
Die «Most wanted»-Liste der Stadtbibliothek wartet ja selten mit Überraschungen auf. So selten, dass man sich regelrecht verzehrt nach einem neuen Namen, einem bombastischen Erstlingsroman. Doch vielleicht muss man noch die Verleihung des Deutschen Buchpreises abwarten (9. Oktober). Bis dahin liest man in der «Stabi» den 11. romantischen Thriller des Bestseller-Franzosen
Guillaume Musso: «Das Mädchen aus Brooklyn». Jugendbibliothek
«Das Magische Baumhaus» ist in der USA die Kinderbuchreihe schlechthin, geschrieben von , die nicht mit Ozzy verwandt ist, aber dafür mindestens genauso reich (über 40 Millionen verkaufte Bücher). ist der mittlerweile 53. Band der Baumhaus-Reihe und das in der Jugendbibliothek derzeit am meisten gelesene Buch. Die Geschichte: Anne und Philipp, zwei Ü10Geschwister, reisen via ihr magisches Baumhaus in die Welt von König Artus, um eine Drachenstatue zu finden und so Schloss Camelot zu retten. Sagenhaft! (nb)
Mary Pope Osborne
«Das Tor zur Dracheninsel»
www.spiritofakasha.com
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Abfahrt Schafer Nach 16 Jahren im Stadtrat verabschiedet sich der SP-Mann Peter Schafer aus der Oltner Politik. Ein ehrliches und unversöhnliches Gespräch zum Schluss über verpasste Chancen, den Weltwoche-Artikel und den Sand im Oltner Polit-Getriebe. Text von Franziska Monnerat Fotos von Cyril Müller
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eter Schafer, 16 Jahre lang waren Sie Stadtrat von Olten und es hiess, Sie wollten weitermachen. Wieso ist nun wirklich Schluss? Schlussendlich musste ich einsehen, dass es ohne Unterstützung der Parteispitze nicht geht. Hätte ich wild kandidiert, hätte ich mich masslos selbst überschätzt. Das macht man in der FDP, aber nicht in der SP (lacht). In meinen Augen wäre es durchaus möglich gewesen, dass die SP im Stadtrat drei Sitze gewinnt. 16 Jahre sind eine lange Zeit, aber ich habe fast keine Fehler gemacht. Es war nicht gerechtfertigt, dass man mich so «abserviert».
Warum, denken Sie, hat die Parteispitze es doch getan? Der Parteispitze fehlte ganz offensichtlich der Weitblick. Sie sagen, dass Sie während den vier Amtszeiten «fast keine Fehler» gemacht haben. Welche Fehler gestehen Sie ein? Bekanntlich hat das Thema Olten SüdWest hohe Wellen geschlagen. Im Nachhinein wäre es wohl
besser gewesen, die Frage eines möglichen Landkaufes mindestens in einer Kommission behandeln zu lassen. Mit Marion Rauber wurde nun eine Frau in den Stadtrat gewählt, die frischen Wind bringen soll. Kann eine einzelne Person, die zu einem eingespielten Team stösst, überhaupt etwas verändern? Eine neue Person hat neue Ideen, sieht ihre Aufgabe mit anderen Augen; jeder neuen Person fehlt aber der Rückhalt, das Gedächtnis. Marion hat eine schnelle Auffassungsgabe und wird diese Aufgabe meistern. Die Amtsübergabe lief super. Wir haben uns drei oder sogar vier Mal zusammengesetzt. Ich habe ihr wichtige Dokumente übergeben, die ich für sie zur Seite gelegt hatte und habe ihr alles erklärt. Wie war das Politisieren im Oltner Stadtrat am Anfang, als Sie 2001 als Neuling begannen? Und: Wie haben Sie sich seither entwickelt? Als Neuling nahm ich an, was Alteingesessene behaupteten, entspreche der Wahrheit. Je vehementer jemand auftrat, desto mehr Glauben schenkte ich ihm. Irgendwann dachte ich mir:
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Das habe ich aber nicht so gehört. Zweifel kamen auf, und ich begann, Fragen zu stellen. Indem ich mich mehr mit der Materie auseinander setzte, die Unterlagen noch sorgfältiger las, lernte ich, zu deuten, was zwischen den Zeilen steht. Während der ersten vier Jahre habe ich viel zugehört. Danach begann ich, mitzureden. Während der letzten acht Jahre habe ich mitbestimmt. Die meisten Geschäfte der Sozialdirektion betreffen Personalangelegenheiten. Anhand eines kantonalen Verteilschlüssels wird jährlich neu berechnet, wie viele Ressourcen eingesetzt werden können. Je mehr Fälle es hat, desto mehr Stellenprozente gibt es. Warum sorgten diese Vorlagen trotzdem immer wieder für Diskussionen? Wie man diesem System gegenüber steht, ist eine Glaubensfrage. Im Kanton Solothurn haben wir ein sehr gerechtes Sozialgesetz. Es spielt keine Rolle, wo jemand, der Sozialhilfe bezieht, lebt. Jeder Einwohner zahlt gleich viel an die Sozialhilfekosten. Die Kosten werden also – anders als in anderen Kantonen – solidarisch geteilt. Trotzdem haben immer noch einige Parlamentarier das Gefühl, Olten müsse alleine dafür aufkom-
men, wenn jemand unterstützt wird. Das stimmt nicht. In Olten gibt es aufgrund ganz verschiedener Rahmenbedingungen überproportional viele Sozialfälle. Aber die Aussengemeinden tragen die Hälfte der Kosten, welche diese verursachen. Sie bezahlen also für Olten mit. Immer wieder habe ich auf diesen Sachverhalt hingewiesen, hundert Mal habe ich den Verteilschlüssel erklärt – trotzdem hielten einige Parlamentarier an ihren Zweifeln fest. Offenbar will es einfach nicht in gewisse bürgerliche Köpfe, dass wir ein soziales Problem haben. Es gibt nun mal Menschen, die nicht mehr für sich selbst sorgen können und darum auf fremde Hilfe angewiesen sind. In einer solchen Situation reicht ein Sozialarbeiter, der nebenbei noch 200 andere Fälle betreut, nicht aus. Im Stadtrat hat sich die Opposition gegen Personalvorlagen irgendwann gelegt, im Parlament hingegen blieb sie bestehen. Hat es Sie nie gereizt, eine andere Direktion zu übernehmen? Doch, die Baudirektion wäre meine erste Wahl gewesen. Weil ich selbst Handwerker bin, wäre es mir sicher gelungen, mich in die Lage der Mitarbeitenden des Werkhofs zu versetzen. Ich hätte die Menschen, die tagtäglich Knochenarbeit leisten, gut verstanden. Als Sozialdirektor konnte ich mich jedoch für die Schwächsten einsetzen, diejenigen schützen und unterstützen, die
«Während der ersten vier Jahre habe ich viel zugehört. Danach begann ich, mitzureden. Während der letzten acht Jahre habe ich mitbestimmt.» sich nicht mehr selber zu helfen wissen. Damit tat ich das, wofür der Staat meiner Meinung nach da ist. Für das Herz eines Sozialdemokraten gibt es wohl nichts Schöneres, auch wenn in der Sozialdirektion keine Lorbeeren zu holen sind.
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Warum nicht? Die Sozialregionen sind gegründet, die Bedingungen festgelegt. Pro 100 Fälle gibt es 125 Stellenprozente. Im Prinzip könnte der Kanton die bestehenden Strukturen übernehmen, das käme genau gleich teuer. Die Sozialregion vergibt auch Aufträge an private Firmen und Stiftungen. Vor zwei Jahren berichtete die Weltwoche über den «Solothurner Sozialfilz», der davon profitiere. Was ging damals in Ihnen vor, als Sie die Schlagzeilen lasen? Anfänglich vermutete ich, dass die SVP hinter der Berichterstattung steckt. Nachdem sich meine Wut gelegt hatte, fiel mir etwas auf, das mich stutzig machte. Welche Organisation am meisten Geld erhält, steht nirgends. Die Oltner SozialFirma Arkadis wird mit jährlich über einer Million Franken unterstützt, aber mit keinem Wort erwähnt. In deren Stiftungsrat sitzt jemand aus dem Gemeindeparlament, und ich vermute, dass diese Person den Artikel in die Wege geleitet hat. Der ganze Stiftungsrat der Arkadis ist in bürgerlicher Hand, was im Sozialbereich selten vorkommt. Wer könnte uns also Angst machen wollen, damit er selber keine haben muss? Haben Sie die erwähnten Personen und Parteien mit Ihrem Verdacht konfrontiert? Ja, zuerst sprach ich das SVP-Gemeindeparla-
mentsmitglied Matthias Borner darauf an. Dessen Interpellation zur Kostenentwicklung der Sozialregion wird im Artikel erwähnt. Er stritt ab, konnte aber glaubhaft begründen, warum er nichts damit zu tun habe. Für mich ist klar, dass der Rädelsführer in der FDP zu finden ist. Als ich die verdächtigte Person in der nächsten Parlamentssitzung fragte: «Und? Erscheint bald wieder ein Artikel in der Weltwoche?», reagierte er ganz überrascht, so, als ob er sich ertappt fühlen würde. Was lässt Sie so sicher sein, dass jemand aus der Oltner Politik die Weltwoche einspannte? Die Behauptungen treffen auf sämtliche Sozialen Dienste der Schweiz zu. Dass konkret Olten herausgepickt wurde, lässt eben den Schluss zu, dass jemand aus der Oltner Politik dahintersteckt. Wo hat der Artikel recht? Nirgends. Ausser bei der Feststellung, dass soziale Organisationen mehrheitlich von Leuten aus der SP geleitet werden. Das liegt daran, dass Bürgerliche die Direktionen gar nicht erst übernehmen wollen, was wohl für die ganze Schweiz gilt. In der Weltwoche stand auch, dass die Hälfte der Dossiers fehlerhaft sei. Der Journalist belegt dies mit einer Untersuchung der parlamentarischen Rechnungsprüfungskommission aus dem Jahr 2013.
«Niemand will verantwortlich sein, wenn etwas schief läuft – weder das Parlament noch der Stadtrat. Am Ende ist trotzdem immer der Stadtrat schuld.» Es ist von fehlenden Belegen die Rede und von solchen, die sich nicht zuordnen lassen. Alles Lüge?
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Dieses Thema wurde ausführlich im Parlament behandelt. Ich möchte an dieser Stelle nicht mehr darauf eingehen, es ist erledigt. Wird dem Stadtrat zu oft der Schwarze Peter zugeschoben? Niemand will verantwortlich sein, wenn etwas schief läuft – weder das Parlament noch der Stadtrat. Am Ende ist trotzdem immer der Stadtrat schuld. Als zum Beispiel die blauen Parkzonen ausgedehnt wurden, wurde Kritik an unserer Entscheidung laut. Dabei hatte ja das Parlament das Geschäft abgesegnet. Eigentlich beträgt die Entschädigung für das Stadtrats-Mandat nur 10 000 Franken, die restlichen 50 000 sind die «A… loch-vergütung» (lacht). Wo dürfte die Oltner Politik sich verbessern? Wo harzt es im Betrieb? Politik wird von Parteien gemacht. Der Widerspruch innerhalb dieser, ja, innerhalb der ganzen Politik, ist, dass du dich an einem Tag für eine Sache, am nächsten Tag gegen sie aussprichst. Mit diesen Rahmenbedingungen umzugehen, muss man lernen, sie gehören dazu. Es wäre anmassend von mir, aufzuzeigen, was geändert werden müsste. Im Nationalrat sitzen Vertreter der Krankenkassen, des Bauernverbandes und anderer Interessengruppen. Auch in Olten gibt es Lobbyismus. Es sitzen zum Beispiel Vertreter von So-
zialfirmen, von Baugeschäften und von Zulieferern im Gemeindeparlament. Haben Sie es als Politiker geschafft, unabhängig zu bleiben und sich nicht für die Interessen anderer einspannen zu lassen? Als Stadtrat vertritt man in erster Linie seine Direktion. Unabhängig davon denke ich, dass es mir gelungen ist, zu jedem Geschäft meine eigene Meinung zu bilden und zu äussern. Manchmal habe ich schon gedacht: Wenn ich das jetzt nicht durchgehen lasse, kommt er oder sie mir bei meinem Geschäft auch nicht entgegen. Schlussendlich hatte ich aber keine Gewissheit, keine Garantie, was die anderen Stadträte stimmen. Auch diesbezüglich musste ich meine Erfahrungen sammeln und meine Lehren ziehen. Kompromisse bin ich immer seltener eingegangen. Entweder ich konnte überzeugen, oder eben nicht. Was liesse sich im Stadtrat konkret verbessern? In der Direktion Präsidium ist zu vieles angesiedelt: Kultur, Verkehr, Wirtschaftsförderung, jetzt auch noch die öffentliche Sicherheit und so weiter. Dadurch verzettelt sich das Amt des Stadtpräsidenten in jede Richtung. Er weiss zwar über sehr vieles Bescheid, aber nicht im Detail, hat zwar den Überblick, aber sieht nicht, was sich hinter den Kulissen abspielt. Es wäre sinnvoll, den Vize-Präsidenten stärker einzubinden und
«Lange hielt ich am Lokführerjob fest, und es wäre für mich nicht in Frage gekommen, ihn aufzugeben. Es gefiel mir, in verschiedene Rollen zu schlüpfen.» sein Pensum auf 50% zu erhöhen. Dann könnte er weitere Aufgaben übernehmen, zum Beispiel den öffentlichen Verkehr. Dieser Schritt könnte aber wiederum ungute Gefühle bei den verbleibenden Stadträten auslösen. Aufgrund der ak-
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tuellen Konzentration der Macht im Präsidium müsste man meiner Meinung nach jedoch einen Ausgleich schaffen können. Eine Fokussierung ist zwingend notwendig. Nach acht Jahren im Stadtrat signalisierten Sie erstmals Interesse am Stadtpräsidium. Was reizte Sie daran? Das Präsidium wäre die logische Fortsetzung meiner politischen Karriere gewesen. Das Amt hätte mir die Möglichkeiten gegeben, mich weiterzuentwickeln und meine Erfahrung vermehrt einzubringen. Ein Vollzeitpensum wäre ein grosser Schritt gewesen. Lange hielt ich am Lokführerjob fest, und es wäre für mich nicht in Frage gekommen, ihn aufzugeben. Es gefiel mir, in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Ging ich ins Stadthaus, zog ich Hemd und Kittel an. Als Lokführer trage ich normalerweise die SBB-Uniform – heute betreibe ich also Etikettenschwindel (fasst sich ans Revers und lacht). Schon alleine durch die Kleidung liessen sich die beiden Aufgaben gut voneinander trennen und dank den Arbeitszeiten gut miteinander vereinbaren. Sowohl als Stadtrat als auch als Lokführer schaust du immer nach vorne und reagierst situativ darauf, was die Zukunft bringt. Das haben Sie dann auch getan: Nachdem Sie Ernst Zingg bei der Wahl um das Stadtpräsidium knapp
unterlagen, kandidierten Sie für den Kantonsrat und wurden prompt gewählt. Welche Ziele verfolgten Sie im Kanton? Nach acht Jahren im Stadtrat und einer gewissen Routine hatte ich das Gefühl, dass ich genügend freie Kapazität habe, um mich daneben auch im Kanton einzubringen, gerade bei sozialen Themen. Ich war nicht immer einverstanden mit der Gesetzgebung, weil sie teilweise ein negatives Anreizsystem schafft (zögert). Das Sozialamt soll Empfängern helfen, möglichst schnell wieder auf eigenen Füssen zu stehen. Wird die finanzielle Unterstützung zum Beispiel mittels Kinderergänzungsleistungen abgedeckt, fällt jedoch die Beratung weg. Es besteht die Gefahr, dass keine weiteren Anstrengungen unternommen werden. Als ich diese Problematik im Kantonsrat ansprach, merkte ich schnell, dass ich mich besser in anderen Gebieten einbringe. Als städtischer Sozialdirektor den kantonalen Sozialdirektor direkt anzugreifen, ist heikel. Das führt zu nichts, das kann man nicht machen. Wo haben Sie sich stattdessen eingebracht? Daraufhin habe ich mich unter anderem für den öffentlichen Verkehr stark gemacht. Als Sie 2001, nach vier Jahren im Gemeindeparlament, als Stadtrat kandidierten, plädierten Sie für eine offene Kommunikation. In einem Porträt des
Oltner Tagblatts werden Sie mit der Aussage zitiert, dass «Arbeitsaufwand häufig reduziert werden könnte, wenn man mehr miteinander reden würde». Ist dies immer noch Ihre Meinung? Ja, davon bin ich nach wie vor überzeugt. Wichtig ist, dass die richtigen Leute zur richtigen Zeit miteinander sprechen. Das ist immer noch der einfachste Weg, um Lösungen zu finden. Das ist es auch, was ich bereits vermisse: in einer Gruppe, im Gremium diskutieren und eine Strategie entwickeln. Wo möchten Sie das in Zukunft tun? Seit Kurzem bin ich im Bürgerrat von Olten tätig. Im Vergleich zur Einwohnergemeinde, zu Parlament und Stadtrat, lässt sich in diesem Gremium aber nur wenig bewegen. Ich liebäugle mit einem Verwaltungsratsmandat. Mehr möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht verraten. Wie geht es weiter? Was sind Ihre nächsten Schritte? Ich übe den Lokführerberuf nach wie vor gerne aus. Er gibt mir Freiheiten und Selbstständigkeit, gleichzeitig ist er meine Rückfallebene. Mein Arbeitspensum kann ich bei Bedarf wieder erhöhen. Können Sie sich ein Leben ohne Politik vorstellen? Es geht sicher auch ohne, keine Frage.
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Peter Schafer (SP) beendete im Juli nach 16 Jahren seine politische Karriere als Oltner Stadtrat. Unter seiner Leitung wurde das Sozialwesen neu organisiert, indem die Sozialregionen die Gemeinden als Verwaltungseinheit ablösten. Während seiner Amtszeit liess sich Schafer zwei Mal als Kandidat für das Oltner Stadtpräsidium aufstellen. 2009 trennten ihn nur wenige Stimmen vom damals amtierenden Stadtpräsidenten Ernst Zingg. 2013 versäumte es die SP-Parteileitung seine Anmeldung fristgerecht einzureichen. Der heute 54-Jährige war auch im Oltner Gemeindeparlament (1997-2001) und im Kantonsrat (2009-2015) tätig. Beim Nationalrat steht er aktuell als zweiter Ersatzkandidat auf der Liste und hat die Aussicht darauf, nachzurücken. Seit kurzem ist er Mitglied des Oltner Bürgerrats. Darüber hinaus engagiert er sich für diverse Organisationen, u.a. als Präsident des Busbetriebs Olten Gösgen Gäu AG (BOGG), der Genossenschaft Soziale Wohnbauaktion Olten und der Procap Kanton Solothurn. Aufgewachsen in Olten, absolvierte Schafer nach der Schule eine Lehre als Elektromechaniker in der SBB HW Olten und liess sich später zum Lokomotivführer ausbilden. Während seiner gesamten politischen Karriere arbeitete er in einem Teilzeitpensum für die SBB.
KILIAN ZIEGLER
NaRr
von Aylin Troxler
Erwachsenwerden Im Kindergarten wurden Ronnie und Mario Freunde. In der Schule beschützten Ronnies massige Arme Marios schmächtige Schultern, Mario liess Ronnie dafür im Mathe-Test abschreiben. Nach der Schule spielten sie Fussball, Mario im Tor, Mario, der Angst vor Bällen hatte, aber trotzdem mitspielte, mitspielen durfte, weil Ronnie dafür Tore schoss, und am Mittwochnachmittag sassen sie auf dem verschlissenen, schwarzen Ledersofa in Ronnies Stube und zogen Seite an Seite in virtuelle Schlachten. Nach der sechsten Klasse ging Mario aufs Gymnasium in der Stadt, Ronnie auf die Kreisschule im Nachbardorf. Aus jedem Mittwoch wurde jeder zweite, dann einmal im Monat, und aus Abmachen wurde sich Treffen, zufällig, am Bahnhof, wo Mario auf den Zug ging und Ronnie rumlungerte. Ronnie nickte. Mario grüsste einsilbig. Beide dachten sie an früher, an ein Früher, das Ronnies Kumpels nicht kannten. Vielleicht schauten sie deswegen misstrauisch.
Aylin Troxler (1984) wohnt in Kriens und arbeitet in Luzern. Ihre Texte erschienen u.a.im Edit und im Narr. www.dasnarr.ch
Wie ich einst Roger Federer besiegte. Fast, zumindest. (Aber immerhin.)
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eine To-do-Liste platzt aus allen Nähten, doch ich schaue mir auf Youtube denkwürdige Federer-Finals an. Eine solche Sommerträgheit dürfte Roger Federer nicht kennen, wahrscheinlich trainiert er gerade, zählt sein Geld, zeugt Zwillinge. Auf jeden Fall kann er sich nicht beklagen; nach seinen Siegen in Australien und Wimbledon ist sein Glas nicht halbvoll, sondern bis zum Rand gefüllt. Mit Champagner. Und Schirmchen drin. Nun steht das letzte Grand-Slam-Turnier des Jahres an. In Zeiten, in denen Trump Grenzen dichtmachen will, scheint ein Event namens US Open sehr sympathisch. Nein, in Flushing Meadows stehen keine Mauern, nur Netze, und keiner weiss besser, wie man Bälle über sie hinüberspielt als Federer. Wir alle kennen die Legende King Rogers, wie er im tiefsten Baselbiet in einem Stall, auf Grasunterlage, geboren wurde und wie die heiligen drei Könige Agassi, Sampras und Becker ihm Geschenke überreichten: die Vorhand, die Rückhand und eine Tränendrüsen-Überfunktion. Mein Handy klingelt. «Ziegler, hör zu», die Art meines Verlegers, hallo zu sagen, gewinnt Zeit, aber keine Herzen, «hab’ was eingefädelt. Morgen spielst du ein Doppel mit Roger Federer!»«Ein Doppel? Mit Roger Federer? Dem Tennisspieler?» «Nein, mit Roger Federer, dem weltbekannten Sanitärinstallateur. Herrgott!» Mein Verleger erzählt von einem Show-Match vor Journalisten, danach verkaufe sich mein Buch von alleine. (Mir kommt in den Sinn, dass ich mir schon lange vorgenommen habe, für mein Buch «Vorübergehend stehen bleiben» Werbung zu machen, es vielleicht
mal unauffällig in eine Kolumne einzubauen.) Nach dem Telefonat stelle ich mir vor, wie wir beide auf dem Platz stehen: Auf der einen Seite der Tennisspieler schlechthin, gesegnet mit unermesslichem Talent und Grazie. Auf der anderen Seite: Roger Federer. Obwohl ich noch nie Tennis gespielt habe und meinem Verleger kein Wort glaube, finde ich mich einen Tag später im Tennis-Center Trimbach ein. Und tatsächlich, es erwartet mich kein Doppel mit Roger Federer, sondern ein Match gegen ein Roger-Federer-Double (das dem Original kaum ähnelt). Presseleute sind auch keine anwesend. Ich hätte es wissen müssen! Aber weil ich schon mal da bin, lasse ich mich zu einer Partie gegen den Doppelgänger überreden. Ich hätte es nicht für wahr gehalten, aber es ist das Spiel meines Lebens (und nicht nur, weil es mein erstes Spiel überhaupt ist): Ich schlage butterweiche Backhand-Slices, spiele Top-Spin-Vorhand-Winners, nachdem ich die Rückhand umlaufen habe, variiere, streue Stop-Bälle ein, überrasche mit dem SABR und... naja... verliere 6:0, 6:0. Ich weine ein bisschen – Roger wäre stolz! –, gehe heim und schaue mir auf Youtube denkwürdige Federer-Finals an. Das US Open kann kommen.
«Ich weine ein bisschen – Roger wäre stolz!»
Gutes Mitfiebern Kilian Ziegler
PS: Das Roger-Double und ich sind mittlerweile befreundet. Er hat mein Buch gelesen und kann es uneingeschränkt empfehlen.
www.bijouterie-maegli.ch
AnziehungskrAft
liegt in unserer nAtur.
PETRA & Lara
Zwei Dinge
von Lara Schaefer (Text) und Petra Bürgisser (Illustration)
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ichelle liegt allein im Bett eines Medizinstudenten, sein Nachttisch hat mehrere Tablare, und auf dem untersten liegt ein Stethoskop. Der Student ist nicht da und schwul, er wohnt mit Michel in einer Wohnung und Michel ist ihr längster engster Freund und auch schwul, und als er hier eingezogen ist, wo der andere schon gewohnt hat, da hat Michel gesagt, zwei Dinge, dass sie sich vielleicht richtig gut verstehen müssten und dass sie sich vielleicht gar nicht richtig gut verstehen müssten. Das hat er nicht gesagt damals, als Michelle seine längste Freundin wurde, an das hatte er nie gedacht, und sie streckt sich. Im Nachttisch stehen zwei Uhren, eine ist einfach klein und eine ist ein Radio, die Leuchtziffern hat Michelle mit einem Nastuchpack abgedeckt, das da lag, und jetzt ist sie wach, setzt sich auf und legt das Pack zurück, richtig gerade hin. Michel mag viele Leute und viele hasst er, selbst wenn sie ihn gut finden, und daraus hat Michelle viel von Michel gelernt im Leben. Michel sagt, sein Mitbewohner hat ein Schwulsein, das ihm leid tut, aber eigentlich macht es ihn einfach
nur wütend, dass im Bad von dem nur «Men»– Pflegeprodukte stehen, und zuoberst auf diesem Nachttisch liegt eine Sekunden-Handcreme, geschlechtslos. Michelle hat getanzt, gestern und heute, mit Michel und einer war da, den sie schon ein paar Mal da gesehen hat, ein Snowboardprofi, er sass traurig neben dem DJ und machte Fotos von denen, die tanzten und er hat ein Semester mit Michel studiert, Kunstgeschichte. Michel sagt, dieser Typ führt ein Promistudentenleben, das ihm leid tut, aber eigentlich hat es ihn vor allem genervt, dass der in der Vorlesung ständig nach so wichtigtuerischen Unwichtigkeiten gefragt hatte, und als Michel müde war und Michelle nicht, hat sie gesagt, sie bleibt und
er hat gesagt, er legt ihr den Schlüssel in den Milchkasten und sie kann im anderen Zimmer schlafen, und er ist allein nachhause und sie hat an etwas Gutes gedacht und an den Typen, später fand der sie sogar gut, und Michelle steht auf, es lohnt sich, auch ohne Interesse für Wintersport oder dafür, wie man die Tür zum Backstage öffnet. Michel sagt, es gibt im Leben das Gute und das Hoffen darauf, und an der Zimmertür hängt ein Lernplakat «Muskeln und Sehnen», von dem enthäuteten Mann sieht Michelle nur die Beine, über dem Rest hängen Sommerjacken runter, und irgendwo hängt eine Wanduhr, die tickt, und gegenüber dem Bett steht ein Ganzkörperspiegel, darin spiegelt sich die Türfalle in Michelles Hand, und die Tür ist eigentlich offen.
Lara Schaefer (22) lebt in Bern, kommt aus Baden und studiert am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel.
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DER KOLTIGE MONAT
«Olla Speedos» – ein kleiner Ausschnitt aus dem Sommerloch
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eden August findet direkt vor unserer Tür die Chilbi statt. Das bedeutet laute Mucke im Repeat-Modus zwecks Soundcheck und die darauffolgenden Tage natürlich das ganze Programm mit vielen Bierdosen und sonstigem Abfall vor unserem Büro. Aber manchmal gibt’s auch ganz lustige Szenen während des Chilbi-Aufbaus. Dieser Schnappschuss zeigt einen sehr entspannten älteren Herrn in seinen Speedo-Badehosen mitten auf dem grossen Schützi-Parkplatz in der Sonne stehen und die Aufbauarbeiten beobachten.
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Shoot von Roman Gaigg im KOLT-Büro
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er Aarauer Fotograf hat schon mehrmals für KOLT fotografiert. Für diese Ausgabe hat er die Porträts für unsere Titelgeschichte fotografiert. Um den engen Terminplan einhalten zu können und die sechs Personen nicht kurzfristig nach Aarau rufen zu müssen, hat er das Studio gleich vor unserer Toilettentüre eingerichtet. Seine Arbeiten findet ihr auf romangaigg.ch
«ein grossartiger Geoffrey rush als exzentrischer Alberto Giacometti – mit viel humor und noch mehr Kraftausdrücken.» Zdf heute Journal
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Sicher sehen wir uns bald in der Stadt!
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