KOLT Dezember 2017

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CHF 10.DAS OLTNER STADTUND KULTURMAGAZIN N°91 / Dezember 2017

Che Seite 14


Stille Nacht! Heilige Nacht! Alles schläft; einsam wacht Nur das traute koltige Paar. im lockigen Haar, Holdes Lese in himmlischer Ruh! Lese in himmlischer Ruh!

Ein Weihnachtsgeschenk fĂźrs ganze Jahr!


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EDITORIAL Dezember 2017

Liebe Leser_innen Vor euch liegt das elfte und letzte KOLT dieses Jahres. Und wie es sich für eine Dezember-Ausgabe gehört, warten wir mit ein paar zur Jahreszeit passenden Texten auf. Auf Seite 26 findet ihr einen Pfarrer im grossen Interview. Eigentlich ist er ein Pfarrer in Pension. Doch kann einer, der sich mehr als drei Jahrzehnte lang mit vollem Einsatz um die Menschen in seiner Gemeinde gekümmert hat, von einem Tag auf den anderen damit aufhören? Ihr ahnt es: nein. Erich Huber hat in Wangen gewirkt und trotz Ruhestand nicht widerstehen können, eine Stellvertretung in Trimbach anzunehmen. Isabel Hempen traf ihn im Oltner Restaurant Bodega auf ein Glas Rotwein zum Gespräch – in der Beiz notabene, in der einer seiner Söhne wirtet. Doch dies nur am Rande bemerkt.

Politisch wird es auf Seite 10. Das Thema Einbürgerung war in den letzten Monaten nicht zuletzt dank der Diskussion im Kanton Aargau rund um den «Fall Yilmaz» in aller Munde. In unserer Stadt wurde es erst letzten September aktuell, als im Gemeindeparlament darüber diskutiert wurde, ob und wie man die per 1. Januar in Kraft tretende Gesetzesänderung zu den Einbürgerungsbedingungen den betroffenen Oltnern und Oltnerinnen kommunizieren wolle. Kommuniziert wurde letzten Endes nichts. KOLT ist der Frage nachgegangen, warum das so ist. Und wie immer im KOLT: kleine und winzige Texte darüber, was wir euch zum Lesen, Anschauen und Anhören empfehlen. Ich wünsche euch einen schönen Dezember und ein paar nette Stunden mit KOLT! Nathalie Bursać

IMPRESSUM VERLAG / HERAUSGEBER Verlag 2S GmbH, Leberngasse 17, 4600 Olten, verlag@v2s.ch, www.v2s.ch VERLAGSLEITUNG Yves Stuber (ys) REDAKTIONSLEITUNG Nathalie Bursać (nb), redaktion@kolt.ch FINANZEN Matthias Gubler INTERNETAUFTRITT Roger Burkhard LAYOUT / SATZ Christoph Haiderer REDAKTIONELLE MITARBEIT Kilian Ziegler, Marc Gerber, Daniel Kissling, Pierre Hagmann, Ueli Dutka (ud), Isabel Hempen, Valerie-Katharina Meyer ILLUSTRATION Petra Bürgisser, Anna-Lina Balke FOTOGRAFIE Michael Isler, Janosch Abel, Victoria Loesch & Christian Gerber, Yves Stuber KORREKTORAT Mirjam Läubli, Jan Kohler LESERBRIEFE leserbriefe@kolt.ch, www.kolt.ch/leserbriefe AGENDA agenda@kolt.ch, www.kolt.ch/agenda ABO Jahresabonnement CHF 99.—(inkl. MwSt), Gönnerabonnement CHF 170.— (inkl. MwSt), abo@kolt.ch, www.kolt.ch/abo INSERATE inserate@kolt.ch, www.kolt.ch/inserieren KONTAKT www.kolt.ch, hallo@kolt.ch AUFLAGE 1'800 ISSN 1664-0780 DRUCK Dietschi AG Druck und Medien, Ziegelfeldstrasse 60, CH-4600 Olten. © 2017, Verlag 2S GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung. Die Urheberrechte der Beiträge bleiben beim Verlag. Keine Gewähr für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustrationen.

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Cover fotografiert von Maurice Haas

Wirklich viel Rotwein floss, als unser Musikkolumnist und Coq-Betreiber Daniel Kissling die Stadtlegende Christian Dietiker daheim besuchte. Den beiden wollte der Gesprächsstoff nicht ausgehen: Musik, Platten, Parties. Lest das Porträt über den Mann, den man in der Stadt vor allem unter dem Namen Che kennt auf Seite 14.


INHALT

10 Die Schattengemeinde

Die Bürgergemeinde ist ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten. In Olten kümmert sie sich unter anderem um das Thema Einbürgerung. Oder sollte sie zumindest.

6 Im Gespräch Der Chef der Samichläuse über den Umgang mit schwierigen Eltern

GENUSS

KOLUMNEN

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Ein Bergfilm, den es so noch nicht gegeben hat

Film

NaRr «Selektion»

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Kilian Ziegler

Musik

Eine ordentliche Schwetti Romantik

Ein musikalischer Gang-Bang

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Petra & Marco «Das Leben ist ein Staffelstab 2»

14 «Ich bereue nichts»

Er ist fast so legendär wie sein Spitzname: Che, der Mann, der wie kein Zweiter guten Sound nach Olten gebracht hat. Ein Porträt.

Literatur Eine fast vergessene Autorin

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STADT

Der koltige Monat Ihr dürft wünschen

9 Meinung «Schissiputzer!»

26 Dorfpfarrer in Pension Erich Huber hat 31 Jahre damit verbracht, in Wangen Gottesdienste zu halten und den Menschen ein Freund zu sein.

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DAS GESPRÄCH

«Da muss man einfach nur Mensch sein» Im Dezember hat er es streng: Robert Käppeli, seit 20 Jahren der Oberchlaus von Olten. Mit seiner Truppe von zehn Samichläusen besucht er die Familien in der Region, um zu loben und tadeln. Interview von Nathalie Bursać Foto von Janosch Abel

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obert Käppeli, auf der Webseite der Nikolausgruppe Olten suchen Sie Verstärkung. Haben Sie zu wenig Samichläuse? Das ist leider eine Tatsache, ja. Es kommt hin und wieder vor, dass ein Samichlaus infolge Krankheit oder aus anderen unvorhergesehenen Gründen ausfällt. Dann brauchen wir dringend Ersatz. Wir möchten unsere Gruppe jedoch auch vergrössern, weil die Tradition des Samichlaus-Besuchs an Aktualität zunimmt und viele junge Familien den Samichlaus-Tag wieder vermehrt feiern wollen. Pro Jahr stehen bei uns rund 100 bis 120 BesuchsTermine auf dem Einsatzplan.

Wie wird man Samichlaus? Samichlaus wird man nicht von einem Tag auf den anderen. Zuerst muss man seine Lehrjahre als Schmutzli absolvieren, um zu sehen und zu hören, wie die erfahrenen Samichläuse ihre Aufgabe wahrnehmen. Es ist deshalb nicht ganz einfach, einen guten Samichlaus zu finden. In unseren Statuten steht geschrieben, dass man als Schmutzli sechs Mal auf Tour mitgehen muss und pro Jahr ist dies drei Mal möglich. Diese Erfahrung ist wichtig, denn jeder Samichlaus wirkt auf seine eigene individuelle Art und Weise. Die Anwärter sollen deshalb verschiedene Seiten kennenlernen und dann für sich das Beste übernehmen. Was macht einen guten Samichlaus aus? Das Wichtigste sind Einfühlungsvermögen und Verständnis. Man muss die Kinder und Menschen gern haben und freundlich mit ihnen umgehen können. Als Rüpel oder polternder böser Mann ist man völlig fehl am Platz. Es gibt so viele verschiedene Situationen, da muss man einfach nur Mensch sein. Was sind das für Menschen, Ihre Samichläuse? Wir haben in dieser Hinsicht das Glück, über sehr gute Nikolaus-Vertreter zu verfügen: Anwälte, Lehrer, Architekten, Familienväter. In den vergangenen 20 Jahren erhielten wir bis auf einen Einzelfall stets positive Rückmeldungen. Und für mich als Oberchlaus ist es der grösste Stolz, eine so grossartige Gruppe zu haben. Der Samichlaus lobt und tadelt die Kinder. Angenommen, man würde die Anmeldeformulare der letzten

Jahrzehnte miteinander vergleichen. Was hat sich geändert am Kritikkatalog der Eltern? Was sich wahrscheinlich am stärksten verändert hat, ist die Tatsache, dass wir heute die Kinder ermahnen müssen, nicht allzu viel vor dem Computer zu sitzen oder zu gamen. Das sind die typischen Zeichen der Zeit. Kommt es vor, dass Eltern ihre Probleme auf den Samichlaus auslagern? Manchmal erscheint es mir fast so, als wäre der Samichlaus dafür da, um in einer Viertelstunde erzieherische Aufgaben zu lösen, welche die Eltern übers Jahr versäumt haben. Doch wenn Eltern allzu stark Druck machen, gebieten wir Einhalt. Oft spüren wir, dass für einen Konflikt nicht das Kind alleine verant-

«Wir halten der Familie den Spiegel vor und helfen so vielleicht auch den Eltern.» wortlich ist. In solchen Situationen beziehen wir die Eltern mit ein und sprechen das Thema etwas anders an, als vielleicht geplant. Wir halten der Familie den Spiegel vor und helfen so vielleicht auch den Eltern. Manchmal spürt man bereits beim Lesen der Informationen auf dem Anmeldeformular, dass ein Kind eigentlich brav ist, den Eltern jedoch eine andere, intolerante erzieherische Idealvorstellung vorschwebt. Wie bereiten Sie sich auf die Hausbesuche vor? Wir lesen die Formulare sorgfältig und verarbeiten die Informationen. Wenn wir dieselben Familien bereits im vergangenen Jahr besucht haben, gehen wir auch auf die bereits gemachten Notizen ein. Die Kinder machen dann jeweils grosse Augen, weil der Samichlaus ein so gutes Gedächt-

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nis hat. Aber als Samichlaus muss man vor allem auch spontan auf Situationen reagieren können. Niemals wollen wir Kinder vor anderen Kindern oder Erwachsenen blossstellen! Manche Kinder haben Angst vor dem Samichlaus. Welche Tricks haben Sie auf Lager, um die Situation zu entschärfen? Dazu kann ich ein konkretes Beispiel anführen. Einmal hatte ein Kind so grosse Angst vor mir, dass es davonrannte und sich unter dem Bett versteckte. Die Eltern wollten es zwingen, hervorzukommen. Ich jedoch bat sie, dies zu unterlassen. Ich setzte mich aufs Bett und begann mit dem Kind zu reden. Am Schluss lag ich sogar auf dem Boden. Das Kind blieb bis zum Schluss unter dem Bett. Als ich dann wieder aufstand, kroch es aus seinem Versteck und winkte mir zum Abschied zu. Kinder darf man nicht zwingen, dem Samichlaus zu begegnen. Schon gar nicht unter falschen Voraussetzungen. Der Bilderbuch-Samichlaus steht im Schnee, der jedoch weniger wird. Sie schreiben auf der Webseite, der Samichlaus sei politisch und konfessionell neutral. Trotzdem folgende Frage: Was sagt der Samichlaus zum Klimawandel? Man muss es nehmen, wie es kommt! Vielleicht müsste der Samichlaus beim Klimagipfel vorbeischauen und den Staatsoberhäuptern mit der Rute drohen? Ach was, der Samichlaus ist viel zu arm, um in diese höheren Klassen vorzudringen.

Robert Käppeli, 60, lebt in Olten. Er ist verheiratet, Vater und Grossvater und arbeitet als Lastwagenchauffeur und Getränkehändler. Seit 20 Jahren waltet er als Oberchlaus der St. Nikolaus-Gruppe Olten, die zehn Samichläuse und 50 aktive Mitglieder zählt, darunter Schmutzlis sowie Treicheln- und Iffelen-Träger. Robert Käppeli begann sein Hobby vor 40 Jahren als Schmutzli, bevor er vor 30 Jahren unerwartet für einen kranken Samichlaus einspringen musste. Bei seiner Premiere hatte er vor Nervosität Schweissausbrüche, doch diese hätten sich dank seiner guten Ausbildung sehr rasch gelegt, sagt er.


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LESERPOST

«Ich frage mich, ob der Schreiber nicht ein falsches Vorurteil hatte. Es gibt Kulturen, da reden die Menschen etwas lauter und intensiver. Es ist immer eine Frage der eigenen Interpretation. Das Learning: Die alte Frau zeigt ihm, wie Leadership und Mut funktionieren, und die Jungs, wie Hilfe im Alltag geht. Nun darf er es für andere vorleben!»

Abonnent Georgios Antoniadis via Facebook über die Stadtkolumne «Im Zug – mit oder ohne Lärm» unseres neuesten Kolumnisten Matthias Borner in der KOLT November Ausgabe 2017.

OFF THE RECORD

Fahnen für das Volk S

tolz wehen die Fahnen auf der Bahnhofsbrücke. Meist prangen darauf Oltner Wappen. Während bestimmter kultureller Anlässe werden die Fahnen ersetzt und machen Ortsansässige und Gäste auf die aktuellen Events aufmerksam – das ist sicher ein Zeichen der Anerkennung und soll den Stolz der Stadt zum Ausdruck bringen. Die Botschaft dahinter: «Volk, jetzt findet die MIO statt, alle nichts wie hin! Bürgerinnen und Bürger, die Tanztage passieren, los, besucht sie! Tolle Sache, diese Kabarett-Tage, lasst uns gemeinsam lachen!»

Fahnen auf eigene Kosten produzieren, und der Werkhof montiert diese und nimmt sie später auch wieder runter. Kostenpunkt: 2500 Schweizerfranken. Das war zumindest bis vor Kurzem der Fall. Scheinbar ist es nun so, dass der Stadtrat einem ausgewählten Kreis von Leuten den Betrag dieses Jahr erstmals erlassen hat. Warum? Ein Anruf bringt Klärung: Mehrere Jahre «stürmen» hat’s gebracht. Das wissen Neulinge jedoch nicht. So wollten die Macher des Photo-Festivals die Bahnhofsbrücke letzten August ebenfalls beflaggen, liessen jedoch von ihrer Idee ab, als sie auf die Kosten hingewiesen wurden. Beim ersten Mal «stürmen» wird der Stadtrat also offenbar noch nicht weich. Doch welche Kriterien man wohl erfüllen muss, um in den Genuss eines Kostenerlasses zu kommen? Willkür, Gutdünken und Sympathie würden ganz toll funktionieren, wenn der König von Olten eben alleine entscheiden würde, wem er die Fahnen während seiner Amtsperiode hisst.

« Mehrere Jahre ‹stürmen› hat’s gebracht. Das wissen Neulinge jedoch nicht. »

Garantiert ist es der jeweils aktuelle Stadtpräsident, der in seiner Amtsperiode entscheidet, für wen er die Fahne hisst und wem er seinen nichtmonetären Dank zeigen möchte. Er ruft den Direktor des Werkhof Olten an und teilt ihm mit: «Lass uns dem International Photo Festival unsere Unterstützung zeigen, ruf die Organisatoren an, verlange ihren Schriftzug, lass Fahnen produzieren. Wir überraschen sie vor und während des Festivals damit – das wird ihnen helfen, Publikum anzulocken und zeigt unsere Dankbarkeit.» So würde die Realität zumindest in unserer koltigen Welt ausschauen. In Olten ist es so, dass Interessierte beim Werkhof für den entsprechenden Zeitpunkt anfragen müssen, ob sie Fahnen hängen lassen dürfen. Was danach passiert, ist klar geregelt: Die Veranstalter und Veranstalterinnen lassen die

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Aktuell herrscht eher ein demokratisch-aristokratisches Anciennitätsprinzip: Die «dienstältesten» Veranstalterinnen und Veranstalter stehen in der Gunst des Königs zuoberst.

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MEINUNG

Daniel Schneider (*1964) betreibt seit 1989 in Olten ein Planungsbüro. Er denkt darüber nach, die «Stadtgespräche» wieder aufleben zu lassen.

Schissiputzer!

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ls ich noch ein Kind war, arbeitete mein Vater beim Werkhof der Stadt Olten als Strassenwischer. Ende Monat lag eine bescheidene Menge an Geld in der gelben Lohntüte. Deshalb meldete sich mein Vater auch zu unbeliebten Nachtarbeiten wie zum Salzen der Strassen im Winter oder zum Reinigen der öffentlichen Toiletten. Dies geschah in der Regel in den späten Stunden der Nacht, knapp vor dem regulären Arbeitsbeginn. Am Wochenende auch mal um Mitternacht. Wir haben es tunlichst vermieden, jemandem zu erzählen, mit was mein Vater den Lohn aufstockte, denn dass man als «Schissiputzer» arbeitet, war wohl das Letzte, was man den Freunden erzählen wollte. Ob mein Vater das gemacht hat, damit ich auch mal mit «Levis»-Jeans in die Schule gehen konnte, bleibt dahingestellt. Diese Erinnerung kam mir letzte Woche in den Sinn, als ich beim Zugfahren dem ureigensten Drang nachgeben wollte und zwischen Zürich und Olten sprachlos in der Toilette stand. Ich stand da und überlegte mir, in welcher obskuren Körperverrenkung ich möglichst ohne Berührung an diesem sehr übel aussehenden Ort... Eben, ihr wisst schon. Ich liess es dann sein, weil

mir die acht Tentakel eines Tintenfisches fehlten und notabene auch die acht Plastikhandschuhe dazu. Ich fragte mich, wie denn unser national grösster Infrastrukturbetrieb wohl funktioniert, wenn nicht mal das klappt.

«Ich liess es dann sein, weil mir die acht Tentakel eines Tintenfisches fehlten und notabene auch die acht Plastikhandschuhe dazu.»

ser neuen Geschäftsmodelle dazu führen würde, dass alles propper bleibt. Überhaupt, ich würde überall etwas dafür bezahlen. Jetzt, wo ich darüber schreibe, frage ich mich, wieso den SparAposteln unter den Oltner Politikern und Politikerinnen noch nie in den Sinn gekommen ist, ein Geschäft mit dem Geschäft zu machen – in Olten. Oder ist das so unschicklich wie dieser Text? Oder so peinlich, wie mit einer Grosspackung Toiletten-Papier durch die Stadt zu laufen? Es wäre doch gut: wieder mehr geöffnete saubere Anlagen, ein paar Arbeitsplätze mehr, den Werkhof Olten entlasten, ein wenig Payback – oder nicht? Heute, um zurück auf meine Jugenderinnerung zu kommen, ist das Wort «Schissiputzer» nicht mehr begleitet von Peinlichem. Ich bin froh um jene Menschen, welche täglich darum bemüht sind, diese Orte sauber zu halten. Schön wärs, es wäre gar nicht erst notwendig – aber wie soll es am geheimsten der geheimen Orte klappen, wenn die Menschen ihr direktes Lebensumfeld wie eine Müllkippe behandeln?

Ehrlich, es wäre für mich völlig in Ordnung, wenn ich im Zug etwas zahlen müsste, um das stille Örtchen zu besuchen. Auch am Bahnhof Olten würde ich etwas zahlen, wenn eines die-

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«Müsste Olten Tourismus nicht die kulturelle Vielfalt der Region in den Fokus zu stellen? Und das unabhängig vom Label «Olten LiteraTour Stadt»? Dazu sollte man das Oltner Kulturschaffen in seiner ganzen Breite und aus eigener Erfahrung kennen.»» Schauspieler und Satiriker Rhaban Straumann über die neusten Pläne von Olten Tourismus, die Oltner Literatur stärker zu bewerben. Lest seinen Gastkommentar «Muss es denn immer Literatur sein?» auf www.bit.ly/markeliteratur.

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Die grosse Funkstille Ab nächsten Januar wird es schwieriger, den Schweizer Pass zu erhalten. Grund dafür ist eine Gesetzesänderung. Wer informiert diejenigen, die von dieser Änderung betroffen sind? Darüber diskutierte Ende September das Oltner Gemeindeparlament. Dabei ist in Sachen Einbürgerung die Bürgergemeinde Olten zuständig. Doch warum bleibt diese genauso untätig wie die Stadt?

Text von Isabel Hempen

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«Willkomen», heisst es auf der Internetseite der Bürgergemeinde Olten. «Willkomen». Es ist die Visitenkarte, welche die Bürgergemeinde im Netz hinterlegt hat. Aber die orthographisch mangelhafte Begrüssung wirkt halbherzig. Zwar hat ein Grossteil der Oltner Bevölkerung ohnehin keinen Grund, jemals mit der Bürgergemeinde in Kontakt zu treten; viele Einwohnerinnen und Einwohner scheinen nicht einmal zu wissen, was deren Funktion ist. In Olten wohnende Ausländerinnen und Ausländer, die den Schweizer Pass erhalten möchten, werden sich jedoch früher oder später mit ihr auseinandersetzen müssen. Rückblende, Ende September 2017 im Oltner Gemeindeparlament: Die Grüne Fraktion reicht eine dringliche Motion ein. Darin fordert sie den Stadtrat auf, alle in Olten wohnhaften Ausländerinnen und Ausländer, welche die Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllen, bis Mitte November 2017 anzuschreiben. Sie sollen schriftlich dazu eingeladen werden, Bürgerin oder Bürger der Stadt Olten und der Schweiz zu werden. Die Grünen begründen die Dringlichkeit mit dem revidierten Bürgerrechtsgesetz, das per Januar 2018 in Kraft treten wird: Wer in der Schweiz eingebürgert werden will, muss demnach zwingend über eine C-Bewilligung verfügen. Personen, die sich mit einer B- oder F-Bewilligung in der Schweiz aufhalten, bleibt die Einbürgerung fortan verwehrt. Sie müssten noch 2017 das Gesuch einreichen. Neben weiteren Kriterien, die erfüllt sein müssen, beträgt die Wohnsitzfrist in der Schweiz neu zehn statt wie zuvor zwölf Jahre. Die Grüne Fraktion bittet in der Sitzung vom 28. September den Stadtrat, sich ein Beispiel an der Stadt Zürich zu nehmen. Diese hat vergangenen April auf Empfehlung des Bundesrats und der Konferenz der kantonalen Justizund Polizeidirektorinnen und -direktoren 40 000 Informationsbriefe versandt. Erhalten haben ihn jene Zürcherinnen und Zürcher, die keinen Schweizer Pass haben und die Wohnsitzfristen erfüllen. Das Schreiben erläutert die ab Januar 2018 gültigen Regeln für die Einbürgerung. Und es lädt dazu ein, diese zu beantragen, damit man sich nach erfolgreicher Einbürgerung aktiv an der Demokratie beteiligen könne. In Olten verfolgen die Grünen mit ihrer Motion dasselbe Ziel. Ein grosser Teil der Bevölkerung in der Schweiz sei vom politischen Leben ausgeschlossen, halten sie fest. Das schwäche die Demokratie.

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Das Anliegen der Motionäre sei einerseits zu kurzfristig, meint der Stadtrat, die meisten Einbürgerungswilligen könnten die nötigen Unterlagen bis Ende Jahr nicht mehr zusammentragen. Andererseits verweist er darauf, dass für Bürgerrechte gemäss kantonalem Gesetz die Bürgergemeinde zuständig sei, sofern eine solche existiert. Anders als in der Stadt Zürich, die ihre bürgerliche Abteilung im Jahr 2007 abschaffte, ist das im Kanton Solothurn in den meisten Gemeinden der Fall. Auch in Olten. SVP-Politiker Philippe Ruf vertritt im Gemeindeparlament die Ansicht, dass ein Eingreifen der Einwohnergemeinde einer Kompetenzüberschreitung gleichkomme. Auf Anfrage von KOLT bestätigt Stadtschreiber Markus Dietler: Die Einwohnergemeinde und die Bürgergemeinde Olten seien juristisch betrachtet zwei separate Gebilde. Für Einbürgerungsfragen sei die Einwohner-

Ein grosser Teil der Bevölkerung in der Schweiz sei vom politischen Leben ausgeschlossen. Das schwäche die Demokratie. gemeinde schlicht nicht zuständig, so Dietler. Der Vorstoss der Grünen wird mit 18:17 Stimmen bei einer Enthaltung abgelehnt. Für den Stadtrat ist die Angelegenheit damit erledigt. Es scheint so, als hätten sich die Grünen mit ihrem Anliegen direkt an die Bürgergemeinde wenden müssen. In der dringlichen Motion ist von «gut 2000 Personen» die Rede, welche eine Einbürgerung beantragen könnten. Das ist allerdings eine Schätzung. Doch wie viele Schreiben hätten tatsächlich versandt werden müssen? Felix Frey, FDP-Parteimitglied und Oltner Bürgerpräsident, weiss darauf auch keine Antwort. Die Bürgergemeinde

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erhalte von der Einwohnergemeinde aus Datenschutzgründen einzig einen Einwohnerregisterauszug der in Olten wohnhaften Bürgerinnen und Bürger. Die Bürgergemeinde wisse nicht, welche Personen die Bedingungen zur Einbürgerung erfüllen würden. Überhaupt habe er keine Kenntnis gehabt von der Empfehlung des Bundesrats, Ausländerinnen und Ausländer über das Einbürgerungsverfahren zu informieren, sagt Frey am Telefon. Eine kurze Recherche zeigt: Die Einwohnergemeinde Olten kann nicht eruieren, welche Einwohnerinnen und Einwohner die formalen Bedingungen für die Einbürge-

Von rund 19 000 Oltner Einwohnern und Einwohnerinnen entscheidet in indirekter Einflussnahme etwa ein Dreizehntel, nämlich die Bürgerinnen und Bürger, wer in Olten eingebürgert wird.

rung erfüllen. Das kantonale Migrationsamt wie auch der Statistikdienst teilen auf Anfrage mit, dass sie ebenfalls nicht in der Lage sind, diese Angaben zu liefern und verweisen an den Bund. Das Staatssekretariat für Migration schliesslich verfügt über die nötigen Daten. Allerdings dürften die beiden Datenpools zur Aufenthaltsdauer und der Ausweisart aus Datenschutzgründen nicht verknüpft werden, heisst es. Der Bund spielt den Ball damit zurück an Kanton und Gemeinde. Zum Vergleich: Die Stadt Zürich erfasst das Einreisedatum im Einwohnerregister. Sie ist auf dem Ausländerausweis vermerkt, der bei der Anmeldung in der Stadt Zürich vorgelegt werden muss. Die Bürgergemeinde Olten zählt gemäss Bürgerpräsident Felix Frey rund 7000 heimatberechtigte Personen. Das sind die Bürger und Bürgerinnen von Olten. Davon sind etwa 1500 in Olten wohnhaft und somit in ihrer Heimatgemeinde stimm- und wahlberechtigt. Alle vier Jahre wählen sie im Proporzwahlverfahren den Bürgerrat, der als Exekutive der Bürgergemeinde fungiert. Er setzt sich aus neun Mitgliedern zusammen. Derzeit vertreten fünf von ihnen die FDP, zwei die CVP und zwei die SP. Der Oltner Stadtrat, die Exekutive der Oltner Einwohnergemeinde, ist mit zweimal SP, einmal Grün, einmal CVP und einmal FDP aufgestellt. Frey betont allerdings, dass der Parteizugehörigkeit bei der Behandlung der Geschäfte im Bürgerrat kaum Bedeutung zukomme. Die Bürgergemeinde Olten verfügt über vier Kommissionen, eine davon ist die fünfköpfige Einbürgerungskommission, die aktuell aus drei Vertreterinnen und Vertreter der FDP, einer der CVP und einer der SP besteht. Nimmt man all diese Tatsachen zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Von rund 19 000 Oltner Einwohnern und Einwohnerinnen entscheidet in indirekter Einfluss-

Geschichtliches Bis zum Jahr 1875 gab es im Kanton Solothurn ausschliesslich Bürgergemeinden. In Gemeindeangelegenheiten waren nur die ortsansässigen Bürger, nicht aber die anderen niedergelassenen Kantonsund Schweizer Bürger stimmberechtigt. 1874 wurde die Bundes-

verfassung revidiert und sämtliche niedergelassenen Schweizer Bürger wurden mit den ortsansässigen Gemeindebürgern gleichgestellt. Der Anteil an den Bürger- und Korporationsgütern sowie das Stimmrecht in rein bürgerlichen Angelegenheiten wurden al-

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lerdings ausgenommen. Das führte zu einer Revision der solothurnischen Kantonsverfassung und damit zur Schaffung der heutigen drei Gemeindearten: Einwohner-, Bürger- und Kirchgemeinde.


nahme etwa ein Dreizehntel, nämlich die Bürgerinnen und Bürger, wer in Olten eingebürgert wird. Generell sieht Frey vonseiten der Bürgergemeinde keinen Handlungsbedarf, was die Information der einbürgerungswilligen Bevölkerung anbelangt. «Ich habe den Eindruck, dass Ausländer der jeweiligen Herkunftsländer untereinander gut vernetzt sind. Die Informationen fliessen», ist er überzeugt. So hätte etwa in den vergangenen zwei Monaten die Anzahl der Einbürgerungsgesuche zugenommen, sagt er. Bisher seien dieses Jahr 29 Einbürgerungsgesuche eingegangen (Stand 20. November), bis Ende Jahr, so schätzt die Bürgergemeinde, würden schätzungsweise fünf weitere dazukommen. Letztes Jahr zum Beispiel, betrug die Anzahl der Einbürgerungsgesuche 71. Der grüne Gemeindeparlamentarier Raphael Schär sieht das dezidiert anders: «Betrachtet man das Beispiel Zürich, wo das zuständige Amt derzeit überrannt wird, behaupte ich, dass die Informationen gerade nicht fliessen.» Laut Medienberichten sind im Kanton Zürich vergangenen Juli und August 86 Prozent mehr Einbürgerungsgesuche als im gleichen Zeitraum im Vorjahr eingegangen. Der Ansturm sei direkt auf das Schreiben zurückzuführen, das die Zürcher Stadtpräsidentin verschickt hatte. Wie Nat Bächtold, Mediensprecher der Stadt Zürich, gegenüber KOLT sagt, seien diese Einbürgerungsgesuche noch beim Kanton in Bearbeitung und noch nicht bei der Stadtzürcher Amtsstelle angekommen. Dies werde erst in einigen Monaten der Fall sein. Allerdings stelle man von städtischer Seite fest, dass die Anzahl der Kundenkontakte bei den Einbürgerungen seit Versenden des Briefes zugenommen habe. Die Rückmeldungen zum Informati-

«Ich habe den Eindruck, dass Ausländer der jeweiligen Herkunftsländer untereinander gut vernetzt sind. Die Informationen fliessen» Felix Frey, Bürgerpräsident

onsbrief seien zudem «sehr positiv und bisweilen berührend». Das lasse darauf schliessen, dass die Briefe das erhoffte Ziel erreicht hätten. In Olten meint Bürgerratspräsident Felix Frey indes: «Meiner Meinung nach gehört es zum Integrationswillen, dass man sich selbst Informationen darüber beschafft, was wie funktioniert im Aufenthaltsland.» Manche Leute trügen zu ihrer Integration selbst zu wenig bei.

Bürgergemeinde Olten Die Bürgergemeinde Olten besitzt und bewirtschaftet den Grossteil der Wälder in Olten, (Bannwald, Bornwald, Hardwald, Höfliwald und Säliwald). Dazu kommen die Reviere Asp/Spalen in Hägendorf und Froburg sowie kleine Flächen in den Kantonen Aargau und Baselland – 579.28 Hektar sind es insgesamt. Ihr gehören Wohnhäuser,

Landwirtschaftsobjekte, Gastwirtschaftsbetriebe: das Bürgerhaus an der Froburgstrasse 5, Liegenschaften an der Marktgasse und im Oberen Graben sowie das Sälischlössli und die Froburg, die sie verpachten und vermieten. Sie besitzt und betreibt das Altersheim Weingarten in Olten, verfügt über einen Stipendienfonds für Bürge-

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rinnen und Bürger in Ausbildung und verwaltet mehrere Stiftungen wohltätiger Natur. In der Bürgergemeinde werden die meisten Aufgaben ehrenamtlich ausgeführt, Kommissionsmitglieder erhalten Sitzungsgelder. Einzig die drei Angestellten in der Verwaltung und im Forst erhalten einen regulären Lohn.


Platten, Vibes und goldene Handschellen KOLT

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Er hat uns unsere Lieblingsplatten verkauft und an seinen Partys haben wir die Nacht durchgetanzt – Christian «Che» Dietiker hat den Musikgeschmack Oltens in den letzten Jahrzehnten geprägt wie kein Zweiter – obwohl er das gar nie vorhatte. KOLT

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Text von Daniel Kissling Fotos von Maurice Haas

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Setzte Olten in den Achtzigern wieder auf die musikalische Landkarte der Schweiz: Christian Dietiker, besser bekannt als «Che».

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nde Oktober fand sie wieder statt, die «Hammer Night». 2008 zum 40-jährigen Jubiläum der legendären Hammer-Disco lanciert, hat sich die Retro-Party mittlerweile einen festen Platz im Ausgeh-Kalender all jener Oltnerinnen und Oltner gesichert, die die Zeiten wieder hochleben lassen wollen, in denen die Stadt als Schweizer Musik-Mekka galt. Passend dazu zeigte das Kino Lichtspiele am selben Abend den Film «Radio Rock Revolution», in welchem sich ein paar musikbesessene Freaks gegen das Establishment auflehnen, auf einem Schiff vor der Küste Grossbritanniens kreuzen, illegal den Sound der Sixties über den Äther krachen lassen und so unseren Wortschatz um die Vokabel «Piratenradio» erweiterten. Die Welt umgestürzt hat Christian Dietiker, der Organisator ebendieser «Hammer Night», in seinem Leben zwar nicht, doch das Revoluzzerhafte, das Unangepasste, es haftet ihm noch immer an. Che, wie den ikonischen Freiheitskämpfer, so nannten ihn seine Kumpels in der Kanti, um ihn vom anderen Christian in der Klasse zu unterscheiden, und so nennen ihn die Leute in der Stadt noch immer, mit 61, wenn sie ihn auf der Strasse antreffen oder im Galicia, wo er seit einigen Jahren nicht nur hinter der Bar steht, sondern auch für das Musikprogramm verantwortlich zeichnet. «Sowas bringst du nicht weg», lacht er darauf angesprochen. «Es ist schwierig, den Leuten etwas einzutrichtern, aber wenn sie es mal drin haben, dann bringst du es nicht mehr weg. Das ist wie mit dem Laden...»

«Reich wirst du mit einem Plattenladen nicht, aber deswegen macht man das ja auch nicht. Ich habe nie viel gebraucht. Dafür war ich mein eigener Chef, konnte die Leute einstellen, die ich wollte, und verdiente mein Geld mit meiner Leidenschaft: der Musik.» Den Laden, den er meint? Natürlich BRO Records, der legendäre Oltner Plattenladen an der Solothurnerstrasse. Trat man dort bis vor zehn Jahren durch die mit Poster zugeklebte Türe, fand man sich nicht zwischen Billardtischen wieder wie heute, sondern im Musikhimmel. Über 30 Jahre stand Che dort hinter der Theke, verkaufte nicht nur Platten und CDs und Konzertkarten (als eine der ersten Vorverkaufsstellen des dann noch jungen Ticketcorners), sondern zeigte seinen Kunden Musik, von der sie meist gar noch nicht wussten, dass es sie gab, doch hatten sie die Scheibe, die Che ihnen in die Hand drückte, einmal gehört, konnten sie oft nicht mehr genug davon kriegen. «Als Plattenhändler musst du natürlich den Geschmack deiner Stammkundschaft kennen. Wir hatten Erfolg, weil wir die Leute für Sachen begeistern konnten, die gar niemand kannte.» Wobei Erfolg relativ zu verstehen ist. 1600 Franken Monatslohn habe er sich zu Beginn ausbezahlt, und einen Bonus Ende Jahr, wenn es gut lief. «Reich wirst du mit einem Plattenladen nicht, aber deswegen macht man das ja auch nicht. Ich habe nie viel gebraucht. Dafür war ich mein eigener Chef, konnte die Leute einstellen, die ich wollte, und verdiente mein Geld mit meiner Leidenschaft: der Musik.» Mitte der 90er jedoch gerieten die Margen in einen stetigen Sinkflug. Das Internet sei dann nur der Todesstoss gewesen. Ladenketten wie Ex Libris und Media Markt, deren Verkaufspreise unter dem lagen, was Che im Einkauf bezahlte, drückten den Preis. «Als ich dann sah, wie Kollegen von

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anderen Läden am Samstagmorgen in den Media Markt fuhren und ganze Einkaufswagen mit CDs zu ihren Autos schoben, machte ich mir das erste Mal Gedanken darüber, aufzuhören.» Für viele in der Stadt war der BRO mehr als nur ein Plattenladen, ein Treffpunkt, ein kleines Zuhause, in das man sich beispielsweise am Samstagnachmittag für eine Weile zurückziehen konnte, um im Vario ein Bier zu bestellen und sich dann rauchend, trinkend und mit Freunden durch die Flut an Neuerscheinungen zu hören, die Che jede Woche für einen bereithielt. Entsprechend gross war das Bedauern, als er sich 2006 entschied, den Laden zu schliessen. Auch heute kämen immer noch Leute und erzählten ihm von leerstehenden Ladenlokalen. «Aber denen mach‘ ich dann in ein, zwei knappen Sätzen klar, dass das Kapitel für mich abgeschlossen sei. Und sie doch ans nächste Konzert kommen sollen, wenn ihnen meine Musiktipps fehlen würden.»

«Ich glaub‘ nicht, dass man sein Leben planen kann. Ich hab‘ es jedenfalls nicht gekonnt, dafür aber immer die Chancen ergriffen, die sich mir boten.» The Temptations, Maceo Parker, Gigi Moto oder der Weather Report-Chef Joe Zavinul – ab Ende der 80er-Jahre verkaufte Che nicht nur musikalische Perlen in Vinyl, sondern holte auch die ganz Grossen aus Funk, Jazz, Blues und Soul und setzte die Stadt so nach der Sixties-Hammer-Ära erneut auf die musikalische Landkarte. «Solothurn war damals die Rock City und wir wollten Olten zur Funk City machen», sagt Che und denkt danach schmunzelnd an die ersten regelmässigen Shows im Dampfhammer zurück, der damals noch als Kantine benutzt wurde: «Mit einer ganzen Fussballmannschaft sind wir da jeweils aufgefahren, mussten Tische wegschleppen, Schutzboden verlegen, Stromleitungen ziehen – ein riesiger Aufwand war das jedes Mal.» Da sei die Situation im Terminus schon komfortabler gewesen. Sein guter Freund Christos Gian-

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Früher verkaufte Che Vinyl-Platten in seinem Plattenladen, heute Bier und Wein hinter dem Tresen. Der Musik ist er trotzdem treu geblieben.

noudis hatte die alte Beiz erworben und zu einem Club umgebaut und ihn gefragt, ob er das Booking übernehmen wolle. Pläne in die Richtung habe er nie gehabt, und mit dem BRO sei sowieso genug zu tun gewesen, trotzdem habe er zugesagt: «Ich glaub‘ nicht, dass man sein Leben planen kann. Ich hab‘ es jedenfalls nicht gekonnt, dafür aber immer die Chancen ergriffen, die sich mir boten.» So auch, als die alte Turnhalle auf der Schützenmatte zum Kulturzentrum Schützi umfunktioniert wurde und er wiederum gefragt wurde, ob er dort nicht Konzerte veranstalten wolle. 1997 sei das gewesen. Wenn er sich an ein Datum erinnern könne, dann an dieses. «1997 wurde meine Tochter geboren, ich bin in dieses Haus gezogen und meine Mutter starb und zwar an meiner ersten Show in der Schützi. Es war halb eins in der Nacht und ich stand an der Kasse, als mein Bruder anrief und sagte, ich müsse ins Spital kommen. Ich bin meine Mutter verabschieden gegangen und danach wieder zurück in die Schützi. 1997 war ein verrücktes Jahr.» Im Rückblick sei immer alles auf einmal gekommen. Gutes wie Schlechtes. Als goldene Handschellen bezeichnet Che die Situation, in der man Verantwortung bekommt und Verpflichtungen, die man eigentlich gar nicht gesucht hat, die dann aber das Leben prägen. Und sich dann doch als Glücksfall herausstellen. «Als Teenager war ich mir sicher: In dieser miefigen Kleinstadt werde ich nicht alt. Als ich dann 25 war, starb mein Vater, mit 60, an Heiligabend, aus heiterem Himmel, bumm, Herzinfarkt. Und für mich war klar: Ich kann meine Mutter jetzt nicht alleine lassen. Kurz danach fing ich als Geschäftsführer im BRO an – die nächste goldene Handschelle.» Seit einigen Jahren nun steht Che hinter dem Tresen der Galicia Bar. Verkauft Bier und Wein statt Platten. Die nächste goldene Handschelle? Che verneint: «Ich stehe nicht mehr jeden Tag von morgens bis abends hinter dem Tresen wie früher und muss mir Gedanken machen, ob das Geld für alle Rechnungen und Löhne reicht.» Er lebe gemütli-

«Es braucht Leute wie uns. Leute, die Musiker auftreten lassen. Leute, die schauen, dass die guten Vibes weiterfliessen.» cher als früher, habe mehr Zeit für sich und das sei wichtig: «Nachdem ich das BRO geschlossen hatte, war ich auch gesundheitlich angeschlagen. In der Zeit ging auch meine Ehe in die Brüche und irgendwann sagst du dir, dass man seine Fehler nicht wiederholen sollte.» Plattenhändler, Konzertveranstalter, Promoter, später Musikkritiker (für das KOLT), hin und wieder auch mal DJ oder notgedrungen Tontechniker – in den letzten Jahrzehnten hat Che so ziemlich alle Funktionen durchgemacht, die man im Musikbusiness bekleiden kann. Nur selber auf der Bühne gestanden und Musik gemacht, das hat er nie. Dabei hatte er seine Karriere im Musikbusiness genau damit gestartet, hatte, während er den Vorkurs für die Musikhochschule in Bern besuchte, als Gitarrenlehrer gejobbt. Ob er das bereue? Die Antwort kommt zackig: «Nein. Ich bereue nichts. Natürlich träumte ich wie alle davon, ein berühmter Musiker zu werden. Doch woher willst du wissen, dass dein Leben dann besser geworden wäre? Dass dein Leben woanders besser geworden wäre? Ausserdem braucht es Leute wie uns. Leute, die Musiker auftreten lassen. Leute, die schauen, dass die guten Vibes weiterfliessen.» Seit fast einem halben Jahrhundert lässt Christian Che Dietiker diese guten Vibes in Olten nun fliessen. 61 Jahre ist er alt, bei den meisten der Moment, langsam an den Ruhestand zu denken. Che sieht das anders. Und plant bereits die Konzertund Party-Saison 2018. Mit «Mojo Funk» lanciert er ein neues Party-Label, in Gedenken an seinen Freund und früheren Mitarbeiter Dino Lötscher, der letztes Jahr unerwartet verstarb. Funk soll auf dem Programm stehen, wie früher, als die «Funk Inn»-Reihe regelmässig die Schützi füllte. Und Che Olten damit vielleicht nicht revolutionierte, aber genau diese «good vibes» säte, die diese Stadt heute lebenswert machen.

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SERIE

FILM

Der Berg ruft nicht Die unerwiderte Liebe des Menschen für den Berg als grandiose Kooperation zwischen einem Orchester und einer Dokumentarfilmerin.

J

von Pierre Hagmann

essica Biel und Bill Pullman hatten in den Neunzigerund Nullerjahren ihren schauspielerischen Höhepunkt. Sie als Pfarrerstochter in «Eine himmlische Familie» und er als nettes Gesicht in allen möglichen romantischen Komödien. Dass die beiden nun in der Serien-Sensation «The Sinner» brillieren, ist wahrlich eine Überraschung. Erzählt wird die Geschichte von Cora Tannetti (Jessica Biel), die während eines Ausflugs mit Ehemann und Kind an den See völlig unerwartet einen Fremden ersticht. Sie bekennt sich bereits beim ersten Verhör als schuldig und will vor Gericht auf eine Verteidigung verzichten. Noch während alle unter Schock stehen und die Welt nicht mehr verstehen, macht sich Detective Ambrose – eine überaus schräge und gequälte Figur, von Pullman grandios verkörpert – auf seine ganz eigene Art daran, diesen vermeintlich kaltblütigen Mord zu klären. «The Sinner» (übrigens die Verfilmung eines deutschen Erfolgskrimis) ist eine raffinierte Geschichte, die vom Grausamen im Menschen, der Liebe und der Macht der Erinnerung handelt. Sehenswert! (nb)

The Sinner

2017, 1 Staffel à 8 Episoden, Thriller, USA Network

DIE

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B

ildgewaltig, liest man in der Pressemappe, sei der Film «Mountain» der australischen Dokumentarfilmerin Jen Peedom. Man liest häufig von bildgewaltigen Filmen in Pressemappen, das Wort ist verbraucht, seine Kraft verpufft. Und dann schaut man sich «Mountain» an und denkt: Treffender lässt sich dieser Film nicht beschreiben. Grosse Berge in grossen Bildern, die mehr sind als blosse Wiedergabe der Wirklichkeit. Die Inszenierung strotzt vor Kraft und begegnet der menschenfeindlichen Kälte mit viel Poesie. Für solche Filme wurden grosse Kinoleinwände geschaffen. Gewaltig ist auch die musikalische Begleitung dieser Reise durch die Bergwelt. Peedom arbeitete mit dem renommierten Australia Chamber Orchestra zusammen, das die Dramaturgie dieser Geschichte, die streng genommen keine ist, rhythmisch perfekt befeuert. Vivaldi trifft auf Go-Pro-Aufnahmen von Freeridern, eigene Kompositionen sekundieren mal der Verzweiflung, mal der Lust. In 21 Ländern, von Papua-Neuguinea über Pakistan bis in die Schweiz, hat die Crew gefilmt, dabei 2000 Stunden Filmmaterial angesammelt und dieses glanzvoll auf 74 Minuten reduziert. Doch worum geht es hier überhaupt? Worte aus dem Off übersetzen, was die Musik und die Bilder uns zu

ALBEN MEINES LEBENS

Nina Hagen Band 1978 Eines der besten Rockalben aller Zeiten, mit der perfekten Mischung aus Psychedelik, Groove und absolutem Nonsens. Ninas Gesang hat mich tief geprägt.

von Evelinn Trouble

Gonjasufi A Sufi And A Killer Eine Mischung aus Hip Hop-Beats, kruden Samples und eingängigen Melodien, durch den DelayFleischwolf gedreht und ins Universum gespuckt.

Connan Mockasin Forever Dolphin Love Dieses Album raubte mir im Sommer 2012 den Verstand. Es versetzte mich in Dauertrance, ich hörte es täglich im Loop. Fragile und berührende Musik, ein 40 Minuten langer Trip in eine andere Welt.

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sagen versuchen: Die Liebe zwischen Mensch und Berg ist eine einseitige. Der amerikanische Schauspieler William Dafoe liest Auszüge aus dem Buch des englischen Naturschriftstellers Robert MacFarlane. Er tut das mit dunkler, manchmal etwas gar pathetischer Stimme, aber die Sätze sitzen. Über die mysteriöse Faszination des Menschen für den Berg, wie sie sich entwickelt hat, wie sie in der Moderne angekommen ist. «Also zieht es uns auf den Gipfel / immer auf der Suche nach Gefahr / und einer Herausforderung / bei der wir glänzen können.» Denn viele der Gipfelstürmer sind selbstverliebt und selbstzerstörerisch zugleich. Die Berge hingegen, sie wollen weder unsere Liebe noch unseren Tod. Sie wollen nichts von uns. «Jeder, der schon mal in den Bergen war, kennt ihre Gleichgültigkeit / hat für einen kurzen Moment / Klarheit über das Desinteresse der Welt an uns gespürt / Für eine kurze Weile kann das berauschend sein / auf Dauer ist es vernichtend.» Und so hängt dann ein Kletterer in der eisigen Wand, erschöpft, verzweifelt und sagt: «Oh God, I wanna go home.»

Billie Holiday The Commodore Master Takes Nachdem ich als Kind eine Doku über Billie im Fernsehen gesehen hatte, besorgte ich mir dieses Album. Ihr Klassiker «Strange Fruit» ist darauf zu hören. Die Session strahlt eine seltene Magie aus, Billie und die Band sind eins, jeder Song fliegt.

TV on The Radio Return To Cookie Mountain Als ich das erste Mal «I Was A Lover» hörte, stockte mir der Atem. Die chaotischen Sounds, die unglaubliche Poesie. Diese Platte hat mich dazu inspiriert, das Projekt «Television Religion» zu starten, was später zum gleichnamigen Album wurde.


MUSIK

ICH TRAGE B A RT L O M E .

Epische Klangwand Synthie und zerrissene Riffs aus Basel. von Marc Gerber

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ie heisst es doch so schön: «Das Beste zum Schluss!» Ob der Dezember-Musiktipp der beste ist, müsst ihr entscheiden, Amorph gehört aber zumindest zu meinen Top 11 in diesem Jahr. Denn neue Musik braucht das Land, und mit ihrem Debütalbum «Where We Grow Tongues» macht die Band einen starken ersten Eindruck. Es ist nicht immer leicht als Kolumnenschreiber beim KOLT, denn mein E-Mail-Fach wird täglich geflutet mit neuer Musik. Vieles davon ist so minder geil. Denn viele Bands machen zwar ganz passable Musik, aber leider halt nur passabel. Die anderen sind zwar innovativ und klingen so, als hätte Thom Yorke persönlich das Album abgemischt, sind jedoch bereits einer breiten Masse bekannt. Genau deshalb liebe ich die kleinen Indie-Labels. Die sechsköpfige Band Amorph kommt aus Basel und klingt, als feierten Morcheeba, Muse und Children of Bottom eine Orgie: vielleicht machen bei diesem musikalischen Gang-Bang sogar noch die Editors mit, und Leech sitzt zumindest auf der Bettkante. Ich weiss, ihr

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habt jetzt ganz andere Bilder im Kopf. Doch die Musik von Amorph ist wirklich kaum zu beschreiben, ausser vielleicht so: episch. «Where We Grow Tongues» bietet zwar nur sechs Tracks, alleine das Intro dauert sechs Minuten und haut dich schon von der ersten Sekunde an an die Wand. Synthie, zerrissene Riffs und dieser Wechsel von ruhiger Ambiance hin zu einer Klangwand, die ihr am besten auf der grossen Anlage im Wohnzimmer geniesst. Ich kann mir gut vorstellen, dass Amorph die neue Vorband von Muse wird. Deshalb empfehle ich euch: Egal, welchen Musikgeschmack ihr habt, zieht euch die Band rein und gebt ihr etwas Zeit. Diese gewaltige Klangwand mag einige vielleicht etwas überfordern – mir ging es da nicht anders. So oder so: Ein Muss für Fans von Muse, Leech und für alle, die Synthie- und Gitarren-Sound lieben.

Next Gig: Amorph 13. Januar / Coq d’Or

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Andreas Geiser Brille von LINDBERG

Bartlomé Optik AG Brillen und Kontaktlinsen Hauptgasse 33 - 4600 Olten www.bartlome-optik.ch


BUCH

........................ KOLT liest ........................

von Valerie-Katharina Meyer

Zerfliessende Träume

PRINCIPLES

Wände, dünn wie Haut von Adelheid Duvanel

von Ray Dalio

Der erfolgreichste Hedge-Fund-Manager hat seine persönlichen Prinzipien für die Nachwelt festgehalten. Er geht mit gutem Beispiel voran, denn wer würde nicht wissen wollen, nach welchen Prinzipien beispielsweise Einstein, da Vinci oder Churchill gelebt haben? Auszug: «Whatever success I’ve had in life has had more to do with my knowing how to deal with my not knowing than anything I know.» Yves Stuber, KOLT-Verleger

DAS REICH GOTTES

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ie in «Wände, dünn wie Haut» versammelten Erzählungen sind so kurz, dass ihre Kürze verwundert: Noch in ihrem Anfang und kaum begonnen, ruhen sie schon wieder, als wollten sie unablässig daran erinnern, dass jeglicher Beginn immer auch ein Ende ist. Adelheid Duvanels Prosaminiaturen sind jedoch nicht auf Knappheit angelegt, sondern auf Verdichtung, und mit ihrer sprachlichen Einfachheit lässt sich das Alltägliche neu verhandeln. Die beinahe spröde Sprache bringt das Erzählte so nah an einen heran, dass man für die dargestellte Welt durchlässig wird, diese in den eigenen Hautporen spürt.

von Emmanuel Carrère

Ein Schriftsteller arbeitet sich gnadenlos an seiner Biografie ab. Religion und Glaube stehen dabei im Vordergrund. Er stellt sich dabei die Frage, mit welcher Kraft es dem Christentum gelingt, an etwas zu glauben, was sich dem gesunden Menschenverstand widersetzt. Nathalie Bursac, KOLT-Chefredaktorin

Es ist die Welt der Passivität, der Aussenseiter und der Einsamkeit, der Duvanel eine Stimme verleiht. In dieser Welt liegt das grosse Glück weit entfernt: Im Banalen finden sich Überraschungen, im einfachen Geschehen liegt die tiefste Traurigkeit. Vielleicht auch deswegen zerfliessen die Träume immer neu mit der Wirklichkeit. Die geschmeidige Unbeholfenheit dieser Prosa führt dazu, dass man einzelne Sätze nicht mehr loslassen möchte, so wenn der Junge seufzt: «Es gibt mich doch Wunder, weshalb ich erwachsen werden muss.» Innerhalb dieser dünnen Wände liebt man es, wenn «ein Flugzeug wie ein dicker Fisch über die Stadt schwimmt, ein Mann mit einem Brief in der Hand über die

Brücke rennt und eine Taubenfeder in der kalten Luft sich dreht und gegen eine Hausmauer torkelt». Auswege aus dem von Duvanel mit Sprache erhaschten Dasein gibt es aber keine. Es gibt nur einen Tunnel, «der geradewegs zum obersten Gott führt, der der Teufel selber ist; so kalt, böse und weit entfernt». Sicherlich ist die Basler Schriftstellerin Adelheid Duvanel (1936-1996) nicht die Einzige, die mit Kleinem dem Erschütternden der Existenz begegnet; auch ist sie nicht die Einzige, die mithilfe einer naiven Perspektive von dem sonst Unausgesprochenen erzählt. Doch gehört die zeitlose Prosa des inzwischen vergriffenen «Wände, dünn wie Haut» zu jener Literatur, der eine Neuauflage gebührte. Denn die darin gespürte Sehnsucht und die Freiheit, die uns während des Lesens immer wieder kurz umwehen, dürfen uns nicht abhandenkommen. Und vor allem darf dieser Erzählband mit seiner schlichten Sinnlichkeit eines nicht, nämlich dem Vergessenen angehören.

Adelheid Duvanel

Wände, dünn wie Haut GS-Verlag, 1979. 75 Seiten

THOMAS MÜLLER Inhaber/CEO

MEHR ALS EINE DRUCKEREI DIETSCHI PRINT&DESIGN AG Ziegelfeldstrasse 60 4601 Olten T 062 205 75 75 www.dietschi-pd.ch


WO SPIELT DIE MUSIK?

AM TRESEN

Zwei Wege führen dorthin: Der Dünnern entlang, vorbei an den Streetart-Kunstwerken und die Treppe hinauf. Oder am Ende der Hammerallee links – und man ist dort: im urbansten Lokal der Stadt.

Was hier en masse über den Tresen gereicht wird, ist zwar flüssig, aber selten Bier. Donnerstags bis samstags gibt’s hier nämlich riesige Schüsseln gefüllt mit Nudeln, Fleisch (sorry, Vegis!) und Brühe. Die Suppe ist ein kleiner Geheimtipp – lecker schmeckt sie und warm gibt sie auch noch. Die restliche Woche stehen Reis, Currys und Nudeln auf dem Speiseplan. Geschöpft wird ganz Kantine-Style vorne bei der Kasse, das Besteck holt man sich selber, das Getränk – Chang-, Shingaund Leo-Bier dürfen natürlich nicht fehlen – nimmt man aus dem frei zugänglichen Kühlschrank. Hoch über der Kasse lächelt das thailändische Königsehepaar im Akkord mit den Siam-Food-Köchinnen, an den Wänden hängen riesige neonfarbige Fächer, grossblättrige Zimmerpalmen und die günstigsten Ikea-Holzmöbel füllen den mittelgrossen Essraum, von dem man durch grosse Fenster nach draussen auf die Gleise und nach drinnen in das dazugehörige Lebensmittelgeschäft blicken kann. Manchmal kann Unschönes so schön sein!

Siam-Food

Stationsstrasse 35

Schenke Schenke

MOST WANTED Im Dezember sind die Tage kurz und meistens grau. Daher brauchen wir unbedingt bunte Musik für die Ohren. Diese liefert uns Once And Future Band aus Oakland. Obwohl aus Kalifornien, überrascht die Musik jenseits vom trendigen Garage-Psych-Rock, der sich im Süden des Staates angesiedelt hat. Die Musik von Once And Future Band bewegt sich im Genre des Psych-Rocks aus der Mitte der 70er-Jahre, als Rock episch in Orchester ähnlichen Arrangements abgefeiert wurde. Das heisst, dass zum Beispiel Todd Rundgren, Produzent und Pionier dieser Art von Musik, den Jungs wahrscheinlich schon einmal kräftig auf die Schultern geklopft hat. In dieselbe Sparte von Musik fällt auch die grossartige Band Electric Light Orchestra. Was diese Künstler miteinander verbindet, sind experimentelle Studiotechniken, die das Genre unter anderem so prägen. Abschliessend lohnt es sich vor allem für Fans von Tame Impala, sich in diese Welt des Rocks zu begeben. (ud)

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Sie sehen romantisch aus, die . Bücher Irin Das kann aber nicht der einzige Grund dafür sein, dass sie diese millionenfach verkauft. Das aktuelle, , ist der vierte Teil der Sieben-Schwestern-Reihe und in der Stadtbibliothek dauerreserviert. Bei den drei weiteren, die in den nächsten Jahren folgen sollen, wird es garantiert nicht anders aussehen.

Lucinda Riley

«Die Perlenschwester»

Jugendbibliothek Der kleine Greg ist ein alter Bekannter in dieser Rubrik, die Kids in der Stadtbibliothek lieben ihn einfach. Im zwölften Band namens dreht Greg von einen Horrorfilm mit ein paar Gummiwürmern in den Hauptrollen und verreist danach in die Ferien. Der Mix aus Taschenbuch und Comic scheint es wirklich in sich zu haben – denn Greg gehört zu den erfolgreichsten Kinderbuchfiguren der Welt. Momo und Harry: Zieht euch warm an! (nb)

«Und tschüss!» Jeff Kinney

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spannendes spannendes

FilmFilmvergnügen! vergnügen!

Stadtbibliothek

30 30

17 17 1 Eintritt Loge 1 Glas Prosecco 1 Eintritt Loge 1 Popcorn Small1 Glas Prosecco 1 Popcorn Small

Erhältlich an allen Kinokassen, online auf youcinema.ch oder bei Olten Tourismus. Erhältlich an allen Kinokassen, online auf youcinema.ch oder bei Olten Tourismus.



Text von Isabel Hempen Fotos von Yves Stuber

«DU SIEHST, WIE SICH DIE MIMIK DER LEUTE VERÄNDERT, WENN SIE DEN PFARRER ERBLICKEN» Seine Stimme klang 40 Jahre lang von der Kanzel herab, sein Gesicht kennen in Wangen die meisten. Seit zwei Jahren ist Pfarrer Erich Huber in Pension. Aber sein lassen kann er es dann doch nicht. Ein Gespräch über Besinnlichkeiten und Befindlichkeiten.

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rich Huber, wir haben Dezember. Ein anstrengender Monat. Ja. Viele Leute stehen unter Druck, weil sie auf die Feiertage hin alles optimal vorbereiten wollen. Da plädiere ich für mehr Gelassenheit. Aber zu den meisten dringe ich damit nicht durch. Die Leute machen sich den Rummel ja selber. Ziemlich viele sind auch trübsinnig in dieser heiligen Zeit. Das Jahr geht zu Ende und man macht sich so seine Gedanken, was man eigentlich erreicht hat in den letzten zwölf Monaten.

Wieso tun wir uns diesen Weihnachtsrummel alle Jahre wieder an? Weihnachten ist das Fest des Friedens und der gegenseitigen Zuwendung. In der dunklen Zeit verspüren die Leute das Bedürfnis nach Nähe und Wärme. Sie rücken zusammen, gehen öfters ins Restaurant oder verabreden sich und machen sich einen schönen Abend. Das kann man natürlich das ganze Jahr hindurch, aber in dieser Jahreszeit ist das besonders wichtig. Deshalb sollte man die Kultur des Weihnachtsfests nicht einfach wegwerfen und sagen, ach, noch eine Veranstaltung mehr, wir verschieben das Weihnachtsessen auf März. Da sage ich als Pfarrer: Alles im Leben hat seine Zeit. Gewisse Dinge kann man nicht nachholen.

Was bedeutet die Adventszeit für Sie als Pfarrer? Von Mitte November bis Ende Dezember stand ich in den vergangenen Jahren täglich im Einsatz. In dieser Zeit finden viele Veranstaltungen statt, wo man gerne einen Pfarrer dabei hat: Gottesdienste oder Weihnachtsfeiern des Fussballclubs, der Chlausenzunft, des Seniorentreffs. Ich machte jeweils zwischen zwanzig und dreissig Hausbesuche. Das Programm im Dezember war sehr viel anstrengender als in den anderen Monaten. Aber für mich, der sehr erfolgsorientiert ar-

«MAN LERNT, DASS MAN JEDEN MENSCHEN GERN HABEN KANN. AUCH WENN ES NICHT BEI ALLEN SO LEICHT MÖGLICH IST.» beitet, wog sich das auf durch die Freude, die zurückkam. Manchmal ging ich richtig auf dem Zahnfleisch, wenn ich an Heiligabend drei Gottesdienste bestreiten musste und am Tag darauf um zehn Uhr bereits der nächste anstand. Doch da musste ich dann einfach durch. Pfarrer machen heute tatsächlich noch Hausbesuche? Nicht alle, aber Hausbesuche an Geburtstagen waren meine Spezialität. In Wangen kam ich auf rund 300 im Jahr. Das war teilweise herausfordernd, aber auch sehr schön. Da läutest du an der Tür, oft auch unangemeldet, und siehst, wie sich die Mimik der Leute verändert, wenn sie den Pfarrer erblicken. Kürzlich wurde ich mit selbstgebackenem Kuchen und brennenden Kerzen empfangen. Ich war gerührt bis dorthinaus. Was kriegen Sie von Ihren Schäfchen zu hören? Als Pfarrer muss ich ja dichthalten. Man erfährt viel, aber darum geht es gar nicht. Man redet einfach mit den Leuten, nimmt sich eine Stunde Zeit und trinkt Kaffee mit ihnen, und sie sprechen sich

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aus und können Dampf ablassen. Sie erhalten das Gefühl, da hat einer Zeit für mich, und dann ist es auch noch der Pfarrer. Der Beruf ist immer noch hoch angesehen. Zeit, Zeit, Zeit. Das ist das Wichtigste. Zeit – und auch Geld? In Wangen bin ich tatsächlich mit einem Kuvert in der Tasche herumgelaufen. Es enthielt Spenden von Leuten, die mich baten, das Geld dort einzusetzen, wo es nötig war. Das war eine sehr beglückende Erfahrung. Ich wusste, wer im Dorf finanzielle Unterstützung benötigte. Es waren hauptsächlich Familien, aber auch alleinerziehende Mütter oder ältere Menschen, die eine Medikamentenrechnung zu bezahlen hatten. Wanderbettler an der Haustür habe ich weniger geschätzt. Da habe ich mir über die Jahre ein dickeres Fell zugelegt. Aber zu den Leuten, die man kennt, soll man gutmütig sein. Sie waren in Wangen und Trimbach als Pfarrer tätig. Wie unterscheiden sich die beiden Gemeinden? Trimbach ist im Gegensatz zu Wangen eine Arbeitergemeinde. Der Zusammenhalt ist in Trimbach stärker als im bürgerlicheren Wangen. Schön ist zum Beispiel der Adventskalender, den wir in Trimbach veranstalten. An jedem Tag im Advent öffnet eine Wohnung in der Gemeinde ihre Tür. Jeder ist willkommen und wird bewirtet. Das ist für die Dorfgemeinschaft eine wunderbare Möglichkeit, sich spontan zu treffen. Sie selbst mögen die Adventszeit? Es gibt in dieser Zeit viele schöne Konzerte, gerade auch in der Kirche. Das ist eine Gelegenheit, sich einen Schubs zu geben und etwas fürs Gemüt zu tun. Die Seele braucht ja auch Nahrung, es geht nicht alles über den Kopf und Zahlen. In der dunklen Zeit kann man auftanken und sich ein paar Stunden Ruhe und Musse gönnen. Dahinter steckt auch eine wirtschaftliche Überlegung: Danach lässt es sich wieder besser arbeiten. Mich persönlich bewegen Gesang, Musik und gut formulierte Worte stark. Ich bin natürlich ein Mann des Wortes. Aber man muss schon ganz verhärtet sein, dass diese Dinge in einem nichts auslösen. Sie waren fast 40 Jahre lang Pfarrer. Was hat der Beruf mit Ihnen gemacht? Im Laufe eines langen Pfarrerlebens habe ich so viele tausende Menschen getroffen. Ich habe gelernt, Situationen relativ schnell einzuschätzen. Man spürt, was der Mensch in dem Moment braucht. Beim Einen ist es, dass man zuhört, beim Zweiten, dass man


mit Freude den selbst gebackenen Kuchen isst. Beim Dritten, dass man ein tiefgründiges philosophisches Gespräch miteinander führt. Man lernt, dass man jeden Menschen gern haben kann. Auch wenn es nicht bei allen so leicht möglich ist. An meine Tätigkeit bin ich jedoch immer mit der Haltung herangegangen «Wie man in den Wald ruft, so schallt es zurück». Das hat mich immer weitergebracht. Think positive? Ich versuche immer, von den positiven Dingen auszugehen. Ich frage mich, wie man die Dinge zum Besseren wenden könnte und kommuniziere zunehmend das Positive, das ich erlebe. Ich habe zum Beispiel soeben eine Predigt umgeschrieben, weil sie zu negativ ausgerichtet war. Ich meine, wenn Obstbauern in menschlicher Zuwendung Äpfel verteilen, oder wenn Gourmetköche in der Kirchgasse kochen, und 400 Leute essen und spenden im öffentlichen Raum, dann sind das hoffnungsvolle Zeichen. Ich flaniere, be-

«INTERESSE UND NEUGIERDE, WENN SIE NICHT AUFDRINGLICH IST, SIND MEINER ANSICHT NACH DIE HÖCHSTEN GÜTER.»

In Trimbach habe ich erlebt, dass viele Kulturen nebeneinander bestehen, die aber wenig miteinander zu tun haben. Wir haben als Kirche viel getan, ein tibetanisches Essen, ein pakistanisches Essen veranstaltet. Aber teilgenommen haben vor allem Schweizerinnen und Schweizer. Wenn wir Bettag feiern, kommen je ein jüdischer, ein hinduistischer, ein muslimischer, ein buddhistischer Glaubensangehöriger und 96 Christen und Christinnen. Mir macht es Sorge, dass andere Kulturen nicht bereit sind, sich einzubringen.

obachte diese Ereignisse und freue mich darüber. Früher hatte ich eine sehr kritische Haltung. Aber wie willst du damit erreichen, dass sich die Leute erleichtert und gestärkt fühlen?

Sehen Sie eine Lösung? In Trimbach kamen auf fünf schweizerische Konfirmanden zwanzig ausländische. Erstere wurden immer gehänselt. Wenn das Verhältnis so ungünstig ist, sehe ich keine Lösung. In Wangen war es einfacher, da war es etwa halb-halb. Die Integration funktionierte besser. Viele Familien in Trimbach ziehen deswegen nach Wangen, Kappel oder Hauenstein-Ifenthal. Das sind ziemlich schweizerische Gemeinden.

Trotzdem: Sie nehmen sicherlich auch gesellschaftliche Probleme wahr.

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Sie selbst sind in Nürnberg aufgewachsen, besitzen aber den Schweizer Pass. Ich bin Doppelbürger, aber im Herzen bin ich immer Franke geblieben. Die Franken sind direkter und unkomplizierter. Und sie sind furchtbar neugierig. Hier ist das andere Extrem der Fall, man fragt bei den Leuten nicht nach, wenn man sie nicht kennt. Interesse und Neugierde, wenn sie nicht aufdringlich ist, sind meiner Ansicht nach die höchsten Güter. Sie halten die Leute hier für verschlossen? Die Oltner und Oltnerinnen sind ein wenig selbstgenügsam. Damit meine ich nicht der oder die Einzelne, sondern die Grundstimmung. Im Sinne von: «Weess ick schon, hab ick schon jehört, war ick schon mal jewesen», wie man typisch berlinerisch sagen würde. In Olten müssen einen die Leute schon kennen, damit sie einem offen begegnen. Woran machen Sie das fest? In Wangen zum Beispiel kommen die Leute direkt auf mich zu. Die wissen ja, dass ich sie gut kenne. Aber in Olten ist man reserviert. Eine Frau, der ich auf der Strasse begegnete, sagte einmal zu mir: «Ich hatte einen Moment Zweifel, ob Sie mich kennen.» Sie hatte sich deshalb nicht getraut, mich zu begrüssen und freundlich zu sein. Das ist ganz komisch hier. Diese Verhaltensweise sollte man aufbrechen, fränkischer machen sozusagen. Ich würde mir wünschen, dass sich die Leute nicht nur in ihrem engen Insider-Kreis bewegen. Insider-Verhalten kann ich nicht leiden. Man sollte mehr rausgehen und Interesse aneinander zeigen. Trotzdem leben Sie seit über dreissig Jahren in der Region. Es lebt sich gut hier. Dennoch fühle ich mich zeitweise sehr abgeschnitten vom Geschehen. Selbstgenügsamkeit und Ignoranz halte ich auf Dauer nicht aus. Deshalb muss ich zwischendurch weg von hier. Meistens fahre ich in so einem Moment nach Berlin. Diese Stadt hat Unmengen von Zugewanderten und unheimlich viel Energie, Ideen, Power. Ich muss immer wieder mal dahin, um mir das anzuschauen. Dann haben Sie vor, nach Deutschland zurückzukehren? Nein, ich bleibe hier in der Region! Aber ich setze mich gerne mit einem Ort auseinander, erkunde ihn und komme dann wieder nach Hause zurück. Ich selbst habe in Franken gelebt, in Berlin und in der Schweiz. Dieser

Fremdheitserfahrung muss man sich einmal ausgesetzt haben. Das öffnet den Horizont, es stärkt die Empathie. Für einen Pfarrer ist es wichtig, dass er sich in die Leute einfühlen kann. Man muss an einem Ort gelebt haben, sonst bleibt er einem ewig fremd. Eigentlich wären Sie seit zwei Jahren pensioniert. Wieso haben Sie weitergearbeitet? Weil die reformierte Kirche in Trimbach eine Vakanz hatte und mich anfragte. Und weil ich meine Arbeit gern gemacht habe. Es ist sehr viel zurückgekommen. Das macht Freu-

«ICH WÜRDE MIR WÜNSCHEN, DASS SICH DIE LEUTE NICHT NUR IN IHREM ENGEN INSIDER-KREIS BEWEGEN.»

de und gibt Energie. Und Befriedigung, wenn etwas gelingt. Deswegen habe ich auch die Hausbesuche so stark ausgebaut. Man muss sich das einmal vorstellen: In einer Zeit, die als hektisch verschrien ist, nimmt sich jemand Zeit. Zeit ist das entscheidende Gut. Ende November haben Sie nun offiziell aufgehört zu arbeiten. Ist das schwierig für Sie? Die Hausbesuche fallen nun weg, das ist jammerschade. Ich werde den Kontakt mit den Leuten vermissen. Aber ich sollte mich ja auch einmal ein bisschen ausruhen. (Lacht.) Und ich schaffe mir Ersatz. Ich mache weiterhin Stellvertretungen und bin ehrenamtlich tätig. Dabei könnten Sie doch jetzt die Füsse hochlegen. Nein, um Himmels willen! Ich möchte noch etwas Sinnvolles tun! Ich möchte noch viel erleben. Auch im Beruf. Mein Steckenpferd sind die Kirchenreisen, die ich jedes Jahr organisiere. Mit 25 Teilnehmenden besuche ich jeweils eine Woche lang eine deutsche Stadt. Das ist dann meine Gemeinde auf Zeit.

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Erich Huber (*1950) wuchs in Nürnberg im bayrischen Franken auf. Seine Tätigkeit als reformierter Pfarrer begann er 1979 in der Berliner Landeskirche in Berlin-Kreuzberg. 1984 zog er in die Schweiz, wo er 31 Jahre lang in der evangelisch-reformierten Kirche Wangen tätig war. Von 1985 bis 1992 amtete er zudem als Präsident des FC Wangen. Nach seiner Pensionierung übernahm er in der evangelisch-reformierten Kirche Trimbach eine zweijährige Stellvertretung, welche er auf Ende November 2017 beendet hat. Erich Huber ist verheiratet, Vater von einer Tochter und zwei Söhnen und wohnt seit zwei Jahren in Olten.


KILIAN ZIEGLER

NaRr

von Max Katiofski

Von Tannen verzapfen Selektion Grüne Frösche und rote Erdbeeren, gelbe Bananen und braunweisse Colaflaschen, ein bisschen durchsichtig, ein bisschen unförmig, aber lecker, alles stopft der Junge in den Plastikbecher, drückt den Inhalt zusammen, Frosch an Erdbeere und Erdbeere an Colaflasche, damit auch eine saure Zunge noch Platz findet, vielleicht gar zwei. Ich mustere den Jungen. Wäre er dick, würd‘ ich denken, er solle mal bremsen, wäre er überdreht, würd‘ ich denken, er solle mal bremsen, doch er ist keins von beidem, er ist ein Gewinner-Typ, einer, der im Fussball nach vorne rennt. Ich mag ihn nicht. Ich mag ihn nicht und stell‘ mir vor, dass es ihm egal wäre, dass in Schweinefabriken Schweine gemacht werden, damit Frösche glänzen und Erdbeeren und Colaflaschen und dass es ihm egal ist, dass die Schweine sich davor gegenseitig beissen und zerfleischen. Ich mag ihn nicht, den Jungen. Er kann nichts dafür. Ich wurde immer als Letzter in die Fussballmannschaft gewählt. Auf dem Nachhauseweg kaufte ich mir Frösche und Erdbeeren und blaue Delfine, die teilte ich mit allen. Irgendwie muss man sich Freunde machen, wenn man Angst hat, vom Ball getroffen zu werden. Ich bin den Schweinen dankbar. Max Katiofski (*1987 in Basel) lebt in Berlin, schreibt unter anderem fürs Narr und wäre gern ein besserer Mensch. www.dasnarr.ch

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enn es draussen so kalt ist, dass selbst die Schneeflocken Handschuhe tragen, die Kunsteisbahn schliesst, weil das Eis gefroren ist, und sich Schneemänner im Supermarkt nach Wärmekissen umsehen, dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass bald Weihnachten vor der Tür steht. (Natürlich im übertragenen, nicht buchstäblichen Sinn, wäre auch schräg: «Hallo, Weihnachten mein Name. Ich war per Zufall in der Gegend. Schöne Tür haben Sie hier...» Ausserdem steht Weihnachten natürlich auch vor der Tür, wenn es draussen warm sein sollte. Der hiesige Dezember ist ja eher selten so idyllisch, wie es Herr und Frau Klischee wünschen. Aber da ich als Kolumnist auch den Auftrag habe, für eine ordentliche Schwetti Romantik zu sorgen (ja, das steht so im Vertrag), stellen wir uns jetzt einfach mal vor, dass Weihachten dieses Jahr schneeweiss und kalt sein wird). Wir alle kennen die Weihnachtsgeschichte mit Maria und der Wireless-Empfängnis, da gibt es nicht viel Neues zu erzählen. Darum möchte ich lieber über etwas Pragmatisches schreiben: den Tannenkauf. Denn wenn es eine Sache gibt, welche die Stube in diesen frostigen, verschneiten Zeiten wärmt, dann sind das nicht Radiatoren oder Cheminées, nein, es sind Tannen – genauer gesagt, deren Anblick: Wer Tannen anschaut, dem wird so warm ums Herz, dass es sogleich die Wohnung heizt. Man könnte meinen, eine Tanne kauft sich äusserst leicht: aussuchen, zugreifen, aufstellen. Aber der Tannenkonsum ist tückisch. Tanne ist nicht gleich Tanne! Immer modernere Modelle überschwem-

men den Markt – da die Übersicht zu behalten, ist nicht einfach. Wichtig ist, die richtigen Fragen zu stellen: Ist der Baum belastbar? Einerseits physisch: Mag er die vielen Kerzen und all den Schmuck tragen? Andererseits psychisch: Hält er es aus, wenn Gäste an Heiligabend sein Äusseres kritisieren («Das ist kein Baum, das ist eine Zumutung!» oder «Der letzte war viel schöner»)? Weiter sollte man sich politische Fragen stellen: Wurde diese Tanne fair produziert, oder etwa doch von Kindern hergestellt? Ebenso Qualitätsfragen: War das Kind, das die Tanne hergestellt hat, von guter Qualität? Und nicht zuletzt ganz banal: Verliert die Tanne wenig von ihrem Grünzeug (was wünschenswert wäre), oder liegen unter ihr mehr Nadeln, als früher am Zürcher Platzspitz? Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich kann Ihnen nicht sagen, welche Tanne die richtige ist. Aber eine Stube will gut betannt sein! Das heisst, seien Sie bei der Baumbesorgung nicht herzund kopflos, Tannenpannen warten überall! Zum Schluss ein Tipp: Warum nicht mal was Gewagtes ausprobieren? Zwei Bäume nebeneinander (Modell Tann-dem), oder gleich drei (Modell Olten)? Sie haben nichts zu verlieren – doch zu gewinnen gibt es viel.

«Wer Tannen anschaut, dem wird so warm ums Herz, dass es sogleich die Wohnung heizt.»

Einen guten Dezember Kilian Ziegler PS: Den Advent kennt man übrigens in verschiedensten Ländern: In grossen Ländern, kleinen Ländern und in Advents-KaLändern.

www.bijouterie-maegli.ch

AnziehungskrAft

liegt in unserer nAtur.


PETRA & Marco

von Marco de las Heras (Text) und Petra Bürgisser (Illustration)

Schuld ist ein Staffelstab 2 Als ich erfuhr, dass das Geld weg war, bin ich zur Bank gefahren, um den Betrügereien ein Ende zu setzen. Ein junger Bankangestellter führte mich in einen abgetrennten Raum. Ihr Geld ist fort, hat er gesagt und sich dafür entschuldigt. Ich musste mich, ich weiss nicht weshalb, an einen Spruch erinnern, den mir jemand, ich weiss nicht wer, einmal gesagt hatte. Er lautete: Schuld ist ein Staffelstab, jeder dreht seine Runde mit ihm. Und dann erinnerte ich mich kurz, wie gesagt, es war nur kurz, an meinen Vater, der mir das Geld zugesteckt hatte, und ich erinnerte mich kurz an den Moment, in dem ich das Geld dem falschen Freund in die Hände drückte, und natürlich machte ich mir wieder kurz über die Zeit Gedanken, was sie heilt und wie sie nur vorwärts strömt, und dass der junge Bankangestellte meines Alters sein dürfte. Über solche Dinge machte ich mir Gedanken, während der junge Bankangestellte mir Wasser anbot. Mit Sprudel oder still, hat er gefragt, – still, habe ich gesagt.

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Marco de las Heras, 25, studiert am schweizerischen Literaturinstitut, wohnt in Bern, ist begeisterter Schachspieler und Fitnessjunkie, träumt von der grossen Schriftstellerkarriere mithilfe seines wunderbaren Nachnamens und der Einbürgerung in die Schweiz, ist in der Programmdirektion der HÖRBAR und hat unter anderem für die Surprise, Ensuite, Radio Rabe und Liesette litteraire geschrieben.


DER KOLTIGE MONAT

Save the date! Make a wish! I

m Oktober 2018 erscheint die KOLT-Ausgabe #100. Unglaublich! Es ist ein Ereignis, das mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit eintreffen wird im neuen Jahr. Es ist ebenso wahrscheinlich, dass sich bei uns dann das eine oder andere ändern wird. Und wir wissen, dass wir darauf hinarbeiten werden, denn dieses gewaltige Jubiläum bietet sich für Veränderung einfach an. Also geht auch die Aufforderung an euch, liebe Abonnent_innen: Reserviert euch bitte den Oktober 2018. Wir werden uns dann nämlich irgendwann eure Anwesenheit wünschen. Und ihr dürft euch auch etwas wünschen: Wie soll KOLT eurer Meinung nach werden? Was darf im KOLT-Magazin nicht mehr fehlen? Was muss aus KOLT raus? Schickt uns eure Antworten und Ideen entweder per Mail an hallo@kolt.ch oder per Post an KOLT, Postfach 1927, 4600 Olten. Wir sind gespannt auf alles, was kommt. Doch jetzt freuen wir uns zuerst einmal auf eine ruhige Zeit – und wünschen euch ganz tolle Feiertage!

Euer KOLT

KOLT

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Über nacht ung zum T axi-P reis

silvester gala event

31. Dezember 2017, 19 Uhr Das Jahr 2018 steht vor der Tür und das möchten wir mit Ihnen feiern. Verbringen Sie bei uns einen Abend voller Gaumenfreuden und kulinarischen Highlights! Datum & Zeit

Sonntag, 31. Dezember 2017, 19 Uhr

Das Silvesteressen

Sie geniessen einen Apéro, ein grosses Vorspeisenbuffet mit Salat, Fisch und Fleisch, ein Champagnerschaumsüppchen, als Hauptspeise ein Tournedo vom Rindsfilet und zum Abschluss lädt Sie das pure Team in die eigene Küche ans Dessertbuffet ein.

Eintritt

128 Franken pro Person Übernachtung zum Taxipreis: nur 35 Franken pro Person mehr

Anmeldung

telefonisch 062 286 68 00 oder unter www.pure-olten.ch Wir freuen uns auf Ihren Besuch am Silvesterabend!

pure Restaurant | Riggenbachstrasse 10 | 4600 Olten | www.pure-olten.ch | facebook.com/pureolten


Musik ist eine Kunstgattung, deren Werke aus organisierten Schallereignissen bestehen. Wikipedia

COVER – geniessen statt erklären.

SIO AG COVER Generalvertretung Schweiz Rötzmattweg 66 CH-4601 Olten T +41 62 207 07 07 F +41 62 207 07 00 info@cover.ch cover.ch

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