CHF 6.DAS OLTNER STADTUND KULTURMAGAZIN N째51 / April 2014
www.kolt.ch
Brumm, brumm, baby! Seite 28
muff-illustration.ch
g l o f r e s os r G n e g We rt!
e g n 채 l ver
Ab Mai 2014 nochmals in Olten Infos & Tickets: www.fabrikk.ch & Ticketcorner
Medienpartner
Patronat
KOLT
April 2014
2
Lesestoff f체r Entdecker
Reportagen, Weltgeschehen im Kleinformat. Jeden zweiten Monat neu. Erh채ltlich im Buchhandel, an grossen Kiosken und im Abo. www.reportagen.com/probeexemplar KOLT April 2014 3
EDITORIAL April 2014
Unsichtbares Das ist halt so. Dass man das, was man jeden Tag sieht, nicht wirklich wahrnimmt. Das trifft auf alles Mögliche zu. Die Farbe von Nachbars Auto. Bäume. Gebäude. Die Gewichtszunahme seines Partners. Wenn Touristen eine Stadt besuchen, dann ist ihr erster Blick ungetrübt von der Gewohnheit. Dafür aber beeinflusst von Vorurteilen, positiven wie negativen. Zu welcher Gattung die Vorurteile unserer Reporterin Ramona Thommen gehörten, als sie Olten zum ersten Mal in ihrem Leben besuchte, brauche ich wohl nicht explizit hinzuschreiben. Sagen wir es einfach mal so: Es waren die Üblichen. Da der Frühling die angenehmste Zeit ist, um sich touristisch zu betätigen, haben wir unsere Zürcher Reporterin gebeten, zwei Tage Ferien in Olten zu machen. Ihr Reisetagebuch lesen Sie auf Seite 18. Die Hotelbetten in Olten sind zu 75 Prozent ausgelastet, das heisst: Pro Tag übernachten 161 Menschen hier. Das ist nur ein winziger Anteil der 80'000 Leute, die täglich den Bahnhof Olten passieren. Und eine noch kleinere Anzahl Menschen macht Halt bei Marlis Dietiker, die dort seit acht Jahren fast tagtäglich mit viel Optimismus das Strassenmagazin „Surprise“ verkauft. Im Interview auf Seite 6 erzählt sie von ihren Beweggründen und ihren manchmal nicht so angenehmen Erlebnissen mit den Passanten. Doch sie nimmt es gelassen. Dass sich Menschen nicht immer korrekt verhalten würden, sagt sie, das sei halt so. Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine bereichernde Lektüre mit dem April-KOLT.
Nathalie Bursać
REDAKTIONELLE MITARBEIT Caspar Shaller, Ramona Thommen, Claude Fankhauser, Pablo Haller, Eno Nipp, Franziska Monnerat, Kilian Ziegler, Pedro Lenz, Marc Gerber ILLUSTRATION Petra Bürgisser, Gaia Giacomelli FOTOGRAFIE Lorenz Richard, Yves Stuber LEKTORAT Hannes Zwicker LESERBRIEFE leserbriefe@kolt.ch, www.kolt.ch/leserbriefe AGENDA agenda@kolt.ch, www.kolt.ch/agenda ABO Jahresabonnement CHF 59.—(inkl. MwSt), Gönnerabonnement CHF 99.—(inkl. MwSt), abo@kolt.ch, www.kolt.ch/abo INSERATE inserate@kolt.ch, www.kolt.ch/inserieren KONTAKT www.kolt.ch, hallo@kolt.ch AUFLAGE 1'500 DRUCK Dietschi AG Druck und Medien, Ziegelfeldstrasse 60, CH-4600 Olten © 2014, Verlag 2S GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung. Die Urheberrechte der Beiträge bleiben beim Verlag. Keine Gewähr für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustrationen.
KOLT
April 2014
4
Cover fotografiert von Lorenz Richard
IMPRESSUM VERLAG / HERAUSGEBER Verlag 2S GmbH, Leberngasse 17, 4600 Olten, verlag@v2s.ch, www.v2s.ch VERLAGSLEITUNG Yves Stuber, Matthias Sigrist REDAKTIONSLEITUNG Nathalie Bursać (nb), redaktion@kolt.ch FINANZEN Matthias Gubler INTERNETAUFTRITT Mathias Stocker LAYOUT / SATZ Christoph Haiderer, Gaia Giacomelli
INHALT
GENUSS 24 Musik Sympathie ist nicht immer eine Frage des Dialekts
KOLUMNEN 8 NaRr
6 Wetten, dass Sie diese Frau schon einmal gesehen haben? Marlis Dietiker sagt von sich, sie gehöre einfach zum Oltner Bahnhof.
Eine Halbinsel wechselt den Besitzer
Literatur Erwachsenwerden wird zum Kampf
Von Lächel-Angriffen
34
9
Der Koltige Monat
Pedro & Petra
Veränderungen und Frühlingsputz
Es braucht manchmal so wenig für eine innere Ruhe
AUSLAND
Beilage
KULTUR / AGENDA
14 Im Exil
Film Legofigürchen auf der Kinoleinwand
26
Kilian Ziegler
Menschen aus der Region berichten aus dem Ausland
25
18 Lonely Tourist
Eigentlich fährt man nicht 30 Minuten mit dem Zug, um in einer anderen Stadt zwei Tage Ferien zu machen. Ramona Thommen tat es dennoch.
3 Tanz in Olten Der indische Choreograf Mandeep Raikhy im Interview
16
4
Reportagen
Jazziges Trio
Blick in die Journalisten-Werkstatt: Milena Moser erzählt von ihrer Recherche in Singapur
Simon Spiess geht nach einem lehrreichen Aufenthalt in Paris auf Tour
6 Kabarett-Tage Ein Casting der anderen Art
28 Ein Mann und seine Amerikaner Roland Schibli hat, seit er denken kann, eine grosse Leidenschaft für amerikanische Autos.
KOLT
April 2014
5
DAS GESPRÄCH
Wetten, dass Sie diese Frau schon einmal gesehen haben? Marlis Dietiker verkauft seit acht Jahren das Strassenmagazin Surprise in der Bahnhofsunterführung. Manchmal scheint es so, als wäre sie der einzige ruhende Pol inmitten des Pendlerstroms. von Nathalie Bursać (Interview) und Yves Stuber (Foto)
M
Dann war das heute ja ein guter Tag für Mitte Monat. Dafür hatte ich letzte Woche einen Tag, an dem ich nur zwei verkauft habe.
Warum arbeiten Sie am Morgen? Ist das ein strategischer Entscheid? Nein. Ich arbeite gerne am Morgen, da ich immer sehr früh wach bin.
Wie war das für Sie, als Sie vor acht Jahren damit begannen, das Strassenmagazin zu verkaufen? Ich hatte keine Erfahrung im Verkaufen. Davor hatte ich in einem Fabriklager gearbeitet. Aber das Verkaufen fiel mir nicht schwer. Ich sagte mir immer, wenn ich nichts anderes finde, so verkaufe ich Surprise. Mir gefiel die Idee und da ich das Surprise früher selber immer gekauft hatte, wusste ich bereits, wie es läuft.
arlis Dietiker, mir scheints, Sie stehen jedes Mal in der Bahnhofsunterführung, wenn ich dort durchgehe. Ich arbeite Montag bis Samstag, meistens von sieben bis neun Uhr, manchmal auch bis halb zehn. Ich glaube, ich gehöre einfach zum Bahnhof.
zählen kann. Ich kenne ja ihre Verwandten und Freunde nicht. Was erzählen Ihnen diese Leute denn? Dass sie verlassen wurden oder dass ihr Mann schwer krank geworden ist.
Wer keine halben Sachen mag, kann KOLT hier abonnieren, damits pünktlich zum Monatsbeginn im Briefkasten liegt.
Aber genau dann sind doch die meisten Leute unterwegs. Es ist tatsächlich die Zeit, in der ich am meisten Hefte verkaufen kann. Oder dann wieder abends um 19 Uhr.
Wie viel Hefte verkaufen Sie an einem durchschnittlichen Tag? Ich nehme immer 15 Hefte mit und mindestens 10 davon will ich verkaufen. Manchmal sind es dann aber nur 9 oder 10, aber das ist in Ordnung. Früher nahm ich 20 bis 30 Hefte mit, das war ein wenig schwer. Zudem habe ich immer ein paar alte Hefte dabei. Denn manchmal kommen Leute, zum Beispiel Studenten oder ältere Menschen, die kein Geld haben und trotzdem gerne ein Heft anschauen möchten. Dann schenke ich ihnen eine der alten Ausgaben. Meistens sind diese Hefte auch nicht mehr sehr schön, haben Knicke oder Falten. Das ist doch eine verkehrte Welt. Sie als Strassenmagazin-Verkäuferin verschenken ihr Heft, obwohl sie das Geld gut gebrauchen könnten. Ich helfe, wo es geht.
Wie kam es, dass Sie in die Situation gelangten, ein Strassenmagazin zu verkaufen? Ich gab meine Arbeit auf, als meine Tochter ein Kind bekam. Ihre Situation war nicht ganz einfach und ich wollte ihr helfen und auf ihr Kind schauen, damit sie arbeiten kann. Als ich danach wieder auf Jobsuche ging und mich beim RAV meldete, hiess es, dass ich kein Geld erhalten würde. Also meldete ich mich bei Surprise.
Welche Hefte verkaufen sich am besten? Wenn das Titelbild nicht so schön ist, verkaufe ich weniger Hefte. Titelbilder mit Tieren oder berühmten Personen verkaufen sich viel besser. Kommt es vor, dass manche Leute ihnen das Rückgeld schenken? Ja, sehr oft. Die Leute kennen mich halt und sind darum grosszügiger.
Wie lief es denn heute? Heute lief es sehr gut, ich habe nur noch ein Heft übrig.
Nach acht Jahren haben Sie bestimmt Stammkäufer. Was sind das für welche? Ganz verschiedene. Lehrer, Ärzte, gewöhnliche Arbeiter oder auch solche, die Drogen nehmen.
Nach acht Jahren Erfahrung können Sie sicher voraussagen, wann es ein guter Verkaufstag wird und wann ein schlechter. Es kommt darauf an, wann Zahltag ist. Den spüre ich stark. Kurz nach dem Zahltag kommen sie mit den Nötli. Und kurz vor dem Zahltag haben sie dann nur noch Münz. Man merkts also schon.
Wie lange wollen Sie noch Hefte verkaufen? Auch wenn ich finanziell gesehen keine Wahl habe, so macht mir das Verkaufen momentan sehr viel Spass. Ich habe jeden Tag meine Leute, die zu mir kommen, um ein wenig zu plaudern. Auch wenn sie Sorgen haben, kommen sie zu mir. Sie wissen, dass ich es nicht weiterer-
KOLT
April 2014
6
Und wie reagieren Sie in einem solchen Moment? Ich höre einfach zu, sage nicht viel. Vergessen Sie denn nicht das Verkaufen bei so vielen Gesprächen? Das ist mir egal. Die Leute sind mir wichtiger.
Sind Sie zufrieden? Ja. Solange mir das Geld für das Nötigste reicht, bin ich zufrieden. Was sind die Schattenseiten ihres Berufes? Manchmal gibt es Leute, die auf mich zukommen, lächeln und ihr Portemonnaie öffnen, dann aber an mir vorbeigehen. Wie gehen Sie damit um? Das ist gemein, aber ich versuche es zu ignorieren. Es gibt halt Leute, die Vorurteile haben gegenüber uns SurpriseVerkäufern. Dass wir alle Alkoholiker sind oder Drogensüchtige. Manchmal machen Leute blöde Bemerkungen, oder stehen extra nah an mich ran und fragen, ob es mir gefalle, hier zu stehen. Dann antworte ich: Ja, aber es würde mir noch mehr gefallen, wenn mir niemand vor der Nase stehen würde.
Marlis Dietiker ist 64 Jahre alt, kommt ursprünglich aus dem Kanton Fribourg und wohnt in Dulliken. Sie ist gelernte Krankenpflegerin und hat drei erwachsene Kinder. Alle zwei Wochen kauft sie die neue Surprise-Ausgabe für 3.30 Franken das Stück und verkauft sie wieder für je 6 Franken. Den Erlös von 2.70 Franken darf sie behalten. Wenn sie nicht alle Hefte verkaufen kann, so darf Marlis Dietiker maximal 20 Hefte eintauschen gehen.
„Solange mir das Geld für das Nötigste reicht, bin ich zufrieden.“ KOLT
April 2014
7
NaRr
KILIAN ZIEGLER
von Flavia Obrist
Die Berechnung des Mundwinkels
Alles ist möglich (15.03.14)
Wenn ein Flugzeug, das von A nach B fliegen soll, nicht in B ankommt, sondern unterwegs verschwindet, dann fragt man sich warum. Und wo es denn jetzt ist. Es muss ja irgendwo sein, denn was ist, das ist irgendwo. Das gilt auch für kleinste Teile, wie sie bei einer Explosion entstehen können, wobei zumindest bei organischem Material, dazu gehören zum Beispiel auch 239 Fluggäste, die Regel gilt: Umso kleiner etwas ist, umso schneller ist es nicht mehr. Wenn aber Flugzeuge verschwinden können, dann ist alles möglich. Und so denke ich: Wenn ein Land dem anderen Land eine Halbinsel wegnimmt, denke ich, der Rest der Welt etwas dagegen hat und alte Feindschaften wieder aufleben, denke ich, dann wird es vielleicht einen dritten Weltkrieg geben, denke ich. Wenn dieser Text irgendwo abgedruckt wird, denke ich, wenn andere als meine Augen diesen Text lesen werden, denke ich, dann könnte die Krim schon zu Russland gehören, denke ich. Und die Welt sich im Krieg befinden. Alles ist möglich, denke ich. Das hat auch sein Gutes, denke ich und kaufe mir einen Lotto-Schein. Flavia Obrist, 20, lebt in Basel, ist Studentin in spe, liest viel Zeitung und schreibt, u.a. fürs NaRr. www.dasnarr.ch
Wer war zuerst da, er oder die Ecke? Voneinander sind sie kaum zu unterscheiden – beide stehen sie nur da. Der Mann ist sogar etwas grauer. Seine Tränensäcke so schwer, sein Gesicht kann sie kaum tragen, sein Rücken gebückt als hinge der Schwermut um seinen Hals. Er sei nicht traurig, aber sein Lachen wolle er sparen. Die Menschen lachen viel zu viel und oft an den falschen Stellen, lachen über die ewig gleichen Witze, über das Leid anderer und die Werbung kaufe Models unerträgliches Gegrinse auf die Gesichter. Wie solle einer noch wissen, wessen Lachen ehrlich ist, wenn jede und jeder immer und überall angelacht, oder noch schlimmer, angelächelt wird? Darum lache er nicht mehr, er wolle sein Lachen nicht vergeuden. Ich finde das lustig. Mir kitzelt das Leben, ob ich es will oder nicht, allbot ein Lachen auf die Rübe. Warum sollte ich mich zurückhalten? Mein Lachen ist ein Maschinengewehr, es schiesst schnell und laut und lange. Wie oft führte es schon zu Ausrufen wie: „haha“ oder „hihi“ oder „hoho“ oder ganz verrückt zu einem „lol“? Mein Lachen ist universell verständlich und niederschwellig, das hat nichts mit Verschwendung zu tun, sondern mit Altruismus. Jeder kann es haben. Jeder soll es haben. Jeder muss es haben. Wäre doch gelacht, wenn es nicht auch den Mann an der Ecke zum strahlen brächte. Ich lockere meinen Mund, stretche Gesicht, Arme, Beine und mache ad-hoc meine zwei Lieblings-Yoga-Übun-
gen: den rostigen Mönch und die knarzende Robbe. Dann nehme ich Anlauf, zeige meine Zähne, funkle mit den Augen, lasse den Wind durch meine Haare wehen, denke an etwas Lustiges (danke Youtube, ich wusste, die vielen Stunden waren nicht umsonst) und gebe dem alten Mann mein bestes Lachen. Ich lache aus vollem Herzen und mit dem Anmut frischgebadeter Katzenbabies – das dürfte selbst das härteste Herz in Plüsch verwandeln. So! Das hat gesessen. Gespannt warte ich auf seine Reaktion. Sekunden verstreichen. Doch nichts da, der Mann verzieht keine Miene. Kein Schmunzeln. Kein Grinsen. Kein gar nichts. Das ist seine Art mich auszulachen. Es hat keinen Zweck, ihn wird nichts zum lachen bringen. Sein Mundwinkel lässt sich nicht berechnen. Ein Mundwinkel ist letztlich auch nur eine Ecke. Eine Ecke die sich nicht bewegt, so wie der alte Mann. Ich gehe weiter, das Maschinengewehr leer, das Pulver verschossen, mein Lachen vergangen. Doch halb so wild, Youtube wird mich trösten und ich weiss, wer zuletzt lacht, lacht zu spät.
“Mein Lachen ist universell verständlich und niederschwellig, das hat nichts mit Verschwenung zu tun, sondern mit Altruismus. Jeder kann es haben. Jeder soll es haben."
KOLT
MEHR ALS EINE DRUCKEREI
April 2014
...
8
Eine gute Zeit La Lach Kili PS: Ebenfalls eine gute Yoga-Pose ist der Politiker, aber dafür muss man sich stark verbiegen können.
DIETSCHI PRINT&DESIGN AG
T 062 205 75 75
Ziegelfeldstrasse 60 4601 Olten
F 062 205 75 00
www.dietschi.ch
PEDRO & PETRA
Kleine Rechtecke zählen von Pedro Lenz (Text) und Petra Bürgisser (Illustration)
I
n manchen Bahnwagen gibt es dunkelgraue Sitze, die mit kleinen gelben, roten und blauen Rechtecken verziert sind. Ein offenbar psychisch verwirrter Mann hat sie neulich während einer Bahnfahrt halblaut gezählt. Er ist auf etwas mehr als tausend kleine Rechtecke gekommen. Seine Begleiterin hat ihn zählen lassen und währenddessen in einem Buch gelesen, das den Titel „Das wahre Leben“ trug. Mir gingen beim Anblick des manisch zählenden Mannes und seiner lesenden Begleiterin drei Dinge durch den Kopf. Erstens: Eigenartigerweise bin ich bisher noch nie auf die Idee gekommen, die kleinen, bunten Rechtecke auf den Sitzüberzügen von Eisenbahnwagen zu zählen. Zweitens: Ich käme wohl nie auf den Gedanken, ein Buch mit einem Titel wie „Das wahre Leben“ zu lesen. Drittens: Wenn ich mich aus irgendeinem Grund für das eine oder das andere entscheiden müsste, würde ich lieber die Rechtecke zählen. Zuhause angekommen fiel mir die Sache mit den Rechtecken und dem Buch wieder ein. Zwei Fragen drängten sich auf: Warum hat der Mann, der ganz offensichtlich psychisch aus dem Gleichgewicht war, nachdem er die Rechtecke gezählt hatte, eine Weile lang eine innere Ruhe ausgestrahlt, um die man ihn hätte beneiden wollen? Und wieso hat seine Begleiterin, nach-
dem sie zunächst scheinbar ruhig in einem Buch mit dem Titel „Das wahre Leben“ gelesen hatte, auf einmal angefangen, dem Mann Vorwürfe zu machen? „Sei still und hör auf, mir auf die Nerven zu gehen!“, hatte sie gesagt. Dabei war er längst fertig gewesen mit seiner Zählerei und hatte nur noch alle paar Sekunden die Zahl wiederholt, auf die er beim Zählen gekommen war. Bis heute fielen mir keine befriedigenden Antworten auf die beiden Fragen ein. Dafür habe ich unterdessen festgestellt, dass es in den weissen Neigezügen, die meist von Genf über Neuchâtel und Olten nach Zürich verkehren, auch Sitzüberzüge mit Rechtecken hat. Genau genommen sind es in diesen Zügen nicht Rechtecke, sondern kleine Quadrate. Und sie kommen nicht in drei verschiedenen Farben vor, sondern nur in einem diskreten Blauton, der sich kaum vom dunkelgrauen Hintergrund abhebt. Als ich diese blauen Quadrate sah, freute ich mich ein bisschen. Ich freute mich so, wie man sich manchmal freut, wenn man plötzlich etwas entdeckt, das man zuvor lange Zeit übersehen hat. Ich nahm mir vor, die blauen Quadrate einmal zu zählen, irgendwann, wenn es weniger Leute im Zug hat, wenn der Platz gegenüber frei ist und ich kein Buch mit einem interessanten Titel zur Hand habe.
Wer keine halben Sachen mag, kann KOLT hier abonnieren, damits pünktlich zum Monatsbeginn im Briefkasten liegt. ”Eigenartigerweise bin ich bisher noch nie auf die Idee gekommen, die kleinen, bunten Rechtecke auf den Sitzüberzügen von Eisenbahnwagen zu zählen.“
Feinste Kaliber von NOMOS Glashütte.
KOLT
April 2014
9
IM EXIL
„Und dann entrücke ich in die Fantasie und sehe mich zuhause im Garten“ Menschen aus der Region berichten aus der Welt – dieses Mal von einem peruanischen Berggipfel, vom vietnamesischen Verkehrschaos, aus einem Puma-Käfig und vom chinesischen Neujahrsfest.
Huayana Picchu, Peru
E
in wunderschöner Anblick auf das UNESCO-Welterbe. Man bekommt das Gefühl, alleine hier oben zu sitzen. Doch der Schein trügt und die Spuren des Tourismus sind deutlich sichtbar. Noch vor wenigen Monaten musste man sich früh auf den Weg machen, um diesen Anblick vom Huayna Picchu auf den Machu Picchu geniessen zu können. Heute muss man sich weit voraus ein zusätzliches Ticket ergattern. Täglich kommen ca. 2500 Besucher auf den Machu Picchu und nur 400 Personen können auf den Huayna Picchu (Wayna Picchu). Hier liegt wohl auch der Grund führ die gefühlte Ruhe auf dem Gipfel. Die Reise hier hoch stellte ich mir anfangs sehr kompliziert vor aufgrund der Lage im Dschungel. Doch bei der täglichen Besucherzahl stellte sich schnell heraus, dass das Gegenteil der Fall war. Es ist schon fast vergleichbar mit einem Besuch auf dem Jungfraujoch. Für Frühbucher gibt es natürlich die Luxusvariante, bei der man mit dem Zug bis nach Aguas Caliente fährt. Auf 2090 m ü. M. wird man von einem hübschen TouristenOrt erwartet. Hier gibts heisse Quellen zum Baden, Souvenirshops, Restaurants und viele Hotels. Ab fünf Uhr morgens fährt dann alle 20 Minuten ein Bus von hier zum Gate des Machu Picchu.
Fabian Käppeli, 31, aus Starrkirch, ist soeben von seiner einjährigen Weltreise heimgekehrt und kann sich rückblickend nur schwer für einen Lieblingsmoment entscheiden.
Schule für Kunst und Mediendesign Flurstrasse 89 8047 Zürich www.ffzh.ch
Visuell-Bildende-Film-Gestaltungs-Kunst. Jetzt anmelden für die Studiengänge: Film HF, Fotografie HF, Bildende Kunst KOLT April 2014 HF, 10 Visuelle Gestaltung HF, Modedesign sowie Gestalterischer Vorkurs/ Propädeutikum, Grafikfachklasse EFZ und viele Weiterbildungen. Weitere Informationen gibt es an unseren monatlich stattfindenden Infoabenden.
IM EXIL Wer im Ausland lebt oder seine Ferien jenseits der Grenze verbringt, ist herzlich eingeladen, KOLT einen Beitrag für diese Rubrik zu schicken: ein Bild und max. 1000 Zeichen Text an redaktion@kolt.ch.
Hanoi, Vietnam
H
öhepunkt des heutigen Tages ist der Besuch der Literaturpagode, einer prächtigen Tempelanlage inmitten Hanois. Sie ist Konfuzius gewidmet, zeigt sein Standbild und viele Insignien der Schreibkunst, worunter 80 eigenartige Steinstelen, auf Schildkröten stehende chinesische Schrifttafeln. Die alten Holztempel, in Verbindung mit den Lotosteichen, strahlen Würde und Erhabenheit aus. Die Anlage wirkt auf uns wie eine Oase in dieser verrückten Stadt. Wir müssen uns den Besuch verdie-
nen, denn ihm vorausgegangen ist eine dreistündige Wanderung vom Hotel hierher. In Hanoi kommen auf einen Fussgänger etwa 50 Autos und gegen 1000 Motorräder. Als Fussgänger ist man die berühmte Quantité négligable, zudem das schwächste Glied in der Verkehrshierarchie. Drei Stunden lang suchen – und finden! – wir einen Weg entlang der Häuserreihen und den Strassen, schlängeln uns durch Auslagen von Strassenläden, vorbei an Tischen und Stühlen der Imbissbuden, parkierten Mopeds, Hand-
wagen, fliegenden Händlerinnen, vorbei an Abfallhaufen, offenen und entsprechend stinkenden Kanalisationen, immer und überall ist es staubig, einige Zentimeter entfernt wälzt sich die Verkehrslawine durch die Gasse, ein endloser Bandwurm, der Lärm der Motoren ist ohrenbetäubend, ebenso das unablässige Hupkonzert, und noch grässlicher das, was von der Luft übrig geblieben ist. Wir atmen in drei Stunden wohl mehr Kohlendioxid ein als in der Schweiz in einem ganzen Jahr. Ab und zu kommen wir nicht darum herum, die Strasse zu überqueren, Augenblicke der Kaltblütigkeit, ja der Todesverachtung, Augen zu und durch, nur nicht stehen bleiben, keine eckigen, verängstigten Bewegungen, wir sind auch wer. Manchmal indes dauert es Minuten, bis sich eine Lücke in der Mopedwand öffnet, durch die man hindurch stossen kann, denn die Töffahrer nutzen jeden Zentimeter, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Dann sind wir inmitten der Strasse für Momente umzingelt von dutzenden von Mopeds, blicken in die stoischen Gesichter der Fahrer, hinter ihnen, auf den Soziussitzen, ein bis zwei, manchmal drei Mitfahrer, oft aber auch Schränke und Ballen, Fernsehapparate, Vogelkäfige, Pflaumenbäume, ein Ster Holz. Und dann entrücke ich in die Fantasie und sehe mich zuhause im Garten, unter dem Ahorn im Liegestuhl, ein gutes Buch, das Grün, die laue Frühlingsluft und die Stille geniessend. Nie mehr werde ich mich über die Rasenmäher meiner lieben Nachbarn ärgern. Nie mehr, versprochen! Armin de Toffol, 65, aus Jegenstorf, ist pensionierter Journalist und KOLT-Leser und antwortet auf die Frage nach dem Grund für seine Reise mit: „Braucht es Gründe?“.
ei, ei, ei – was wird aus Kleider Frey? Atelier Bürogemeinschaften Café-Confiserie Damenmode Engineering Fitnessraum Freizeitwerkstatt Grafiker Haariges Homöopathie
Informatik Innenarchitektur Jugendraum Kino im Innenhof Living-Museum Neue Technologien Optiker-Geschäft Physiotherapie Psychologie Qigong
Restaurant Spitex Textilgestaltung Unbekanntes Velowerkstatt Wirtschaftsprüfung Xundheitskasse Yogazentrum Zahnklinik ...
Im Freyraum – in der ehemaligen Kleider-Frey-Fabrik – in Wangen bei Olten hat es Platz für Ihre Projekte. Nehmen Sie unverbindlich am Workshop teil, an dem der Freyraum mit Ihren Ideen gefüllt wird. Und in dem Sie Ihre Projekte verwirklichen möchten. www.freyraum.ch. Dienstag, 29. April 2014, 17– 21 Uhr, im Gasthof zum Ochsen, Wangen bei Olten. Teilnahme gratis. Programm und Anmeldung bei: Stefan Frey, Postfach 355, 4603 Olten, stefan_frey@bluewin.ch. Im Auftrag der2014 Stiftung KOLT April 11 Abendrot, Die nachhaltige Pensionskasse, Basel. www.abendrot.ch.
IM EXIL
Im Dschungel, Bolivien
M
ein momentanes Abenteuer spielt sich tief im bolivianischen Dschungel ab. Ich arbeite hier freiwillig für eine Auffangstelle für Tiere, hauptsächlich für Pumas und Jaguare. Gewöhnlich reisst uns hier der Papagei Gordo mit seinem täglichen Geschrei etwas zu früh aus dem Bett. Mit meinem Partner mache ich mich durch den hüfthohen Sumpf auf den Weg zu Maggie. Maggie ist die grösste und komplizierteste Puma Dame, die wir im Camp haben. Heute bin ich dran, sie aus dem Käfig zu holen. Also begebe ich mich mit der Leine in die Doppeltüre. Maggie springt zur Tür, faucht laut auf und kann es kaum noch abwarten, mit uns laufen zu gehen. Ich öffne den Drehverschluss beim Karabinerhaken, gehe den Ablauf nochmals geistig durch, atme tief ein und öffne dann die Türe. Mein Puls vervielfacht sich, ein Adrenalintsunami geht durch mich hindurch.
ohne einen Puma der mir am Bein nagt. Eine denkbar schlechte Ausgangslage. Nach einem dreiminütigen Ringen, schaffe ich sie jedoch anzuklicken. Mein Partner öffnet die Türe und Maggie springt raus. Dann gehen wir mit ihr ein paar Stunden im Dschungel laufen. Sie klettert auf Bäume, jagt Affen oder zerreisst Schlangen, während wir uns in der beinahe unerträglichen Hitze gegen all die Moskitos zu schützen versuchen. Wir müssen aber trotzdem auf die Katze fokussiert sein, nicht selten dreht sie sich um und reisst einen von uns zu Boden. Maggie tritt in die liftgrosse Doppeltüre hinein und springt mich sofort an. Was für sie ein Spielen ist, bedeutet für uns zerrissene Kleider und nicht selten Narben. Heute springt sie mir an den Hals. Damit habe ich nicht gerechnet. Mein Moskitohut fällt mir vor das Gesicht und ich lasse den Karabinerhaken fallen. Ich kann nichts mehr sehen und der Verschluss ist sonst schon schwierig zu lösen, auch
Zurück beim Käfig säubern wir ihr Zuhause und füttern sie. Am Nachmittag besuchen wir eine andere Katze oder bauen einen Käfig für einen Jaguar. Nach dem Abendessen wecke ich jeden Tag mein Nachtäffchen Cucu auf. Mit ihr auf dem Kopf laufe ich im Dschungel rum. Wir essen gemeinsam eine Banane bevor ich mich dann erschöpft ins Bett lege und einschlafe.
Raphael Fischer, 27, aus Olten, ist Sport- und Geographielehrer und gerade auf Weltreise.
Wir liefern die Energie fürs Leben in der Region.
KOLT
April 2014
12
Aare Energie AG Solothurnerstrasse 21 Postfach 4601 Olten Telefon 062 205 56 56 Fax 062 205 56 58 info@aen.ch www.aen.ch
IM EXIL
M
it viel Lärm und Farbe wurde das Chinesische neue Jahr des hölzernen Pferdes gefeiert. Wir haben uns mitten ins Geschehen gestürzt um es hautnah miterleben zu dürfen. Der Neujahrsumzug hat sogar ein bisschen Heimatgefühle hervorgerufen, da er schon sehr stark an den Oltner Fasnachtsumzug erinnert.
Hongkong, China
Wer keine halben Sachen mag, kann KOLT hier abonnieren, damits pünktlich zum Monatsbeginn im Briefkasten liegt.
Was natürlich auch nicht fehlen durfte, ist ein Feuerwerk mit allem drum und dran. Die Hong-Kong-Chinesen lieben Feuerwerke zu allen möglichen Gelegenheiten. Da ist Neujahr ein perfekter Anlass, der sogar erwachsene Männer dazu bewegt, Fotos mit einem Stofftier im Vordergrund zu schießen. Ein weiteres sehr wichtiges Merkmal der Neujahrsfestivitäten ist das Verteilen der sogenannten „roten Couverts“. Sie wurden in der Vergangenheit von Verheirateten an die Unverheirateten übergeben, um diesen viel Glück fürs neue Jahr zu wünschen.
Heute erhalten viel mehr alle Angestellten eines. Vom Postman über die Empfangsdame bis zum Türsteher. Man packt ca. 80 HongKong-Dollar (10 Franken) ins Couvert, was in der Menge ganz schön ins Geld gehen kann. Aber wer will schon sein Glück aufs Spiel setzen? Im diesem Sinne: Gong hay fat choy!
Seraina Frei, 34, lebt seit Kurzem in Hongkong und ist in den 36. Stock eines Hochhauses gezogen, wo man den Lärm der Stadt immer noch hören kann.
7. Mai – 17. Mai 2014 schön&gut Claus Widmer Schertenlaib & Jegerlehner Le Siffleur Gabriel Vetter Franz Hohler Jochen Malmsheimer Sebastian Schnoy Timo Wopp Jess Jochimsen und Manuel Stahlberger Niccel Steinberger Bänz Friedli Alfred Dorfer Nina Dimitri und Silvana Gargiulo
Proseccopack Pfannestil Chammer Sexdeet Thomas Kreimeyer Philipp Weber Abdelkarim Johnny Burn Javier Garcia Peter Hottinger Renato Kaiser Daniel Ludwig Philippe Nauer Charles Nguela Margret Nonhoff Sergio Sardella Anette Herbst
Müslüm & Band Anina Barandun Lukas Holliger Chin Meyer Marcel Kösling Jan Rutishauser Maria Vollmer Schwarze Grütze Piet Klocke Nils Heinrich Philipp Galizia Esther Hasler Uta Köbernick und Heinz de Specht Nils Althaus KOLT April Strohmann-Kauz
www.kabarett.ch www.facebook.com/oltnerkabaretttage twitter.com/kabaretttage www.youtube.com/oltnerkabaretttage blog.kabarett.ch
2014
13
REPORTAGEN
In der seelenlosen Stadt Die Schriftstellerin Milena Moser erzählt von ihren Recherchen für die Reportage “Singapurs Putzfrauen”.* Interview von Claude Fankhauser (Stv. Chefredaktor "Reportagen") Illustration Gaia Giacomelli
Reportagen: Frau Moser, was war Ihr erster Eindruck von Singapur, als Sie dort ankamen? Milena Moser: Ich war noch nie in Asien. Alles, was ich über Singapur wusste, ist, dass es sauber ist. Dass man nicht rauchen darf. Dass man gebüsst wird, wenn man einen Kaugummi ausspuckt. All die Klischees halt. Es war aber tatsächlich sehr sauber, als ich aus dem Flughafen kam. Und der Taxifahrer sagte dann auch: «Sehr gut, Madam, wenn Sie in Singapur waren, müssen Sie den Rest von Asien nicht mehr sehen. Singapur ist Asien ohne seine Probleme!» Er meinte das positiv. Ich spürte den Stolz auf sein Land, den er mit allen Singapurern teilt. Und hat sich der Eindruck mittlerweile geändert? Ich hatte bis zum letzten Tag kein wirkliches Gefühl für die Stadt, für ihre Atmosphäre, ihre Seele. Es ist ein Kartenhaus, eine Fassade. Perfekt, sauber, reibungslos funktionierend – alles, worauf die Bürger so stolz sind. Aber möglich ist das nur durch die gnadenlose Ausbeutung der Ausländer. Diese zweite Stadt, die sich hinter der Fassade versteckt, ist immer spürbar, unheimlich und bedrückend. Für mich persönlich war es sehr interessant, dass mein Sohn dort zur gleichen Zeit einen Studentenaustausch machte. Er studiert Architektur und setzte sich mit ähnlichen Fragen auseinander, zum Beispiel mit der Situation der srilankischen Bauarbeiter. Ihm ging es ähnlich wie mir, die Stadt bedrückte und deprimierte ihn. Einmal standen wir auf dem Hotelbalkon und schauten auf die Lichter hinab und sagten: «Die Stadt hat keine Seele.» Sie scheinen immer noch Kontakt mit Felicia zu haben. Wie geht es ihr heute? Das ist schwer zu sagen – sie jammert ja nicht. Und scheint es als unhöflich zu empfinden, mich mit ihren Problemen zu belasten. Ich denke, es geht ihr «den Umständen entsprechend» gut, die neuen Arbeitgeber sind anständig, sie verdient wieder etwas, wobei sie jetzt ja erst die Schulden bei der Agentur abzahlen muss. Aber sie
lebt nach wie vor in einer an sich unmenschlichen Situation, über deren Grenzen sie nicht hinauszudenken wagt. Ich wünschte mir, sie könnte auf den Philippinen leben, mit ihren Kindern und einem guten Job.
konnte ich mir gar nicht vorstellen. Das Thema ist aber immer und überall das Gleiche. Ich denke, jeder Schriftsteller hat so seine Geschichten, und das ist meine, die ich in Varianten immer wieder erzähle: Was steckt hinter der Fassade?
Nehmen Sie es mir nicht übel, aber der Vergleich drängt sich ja geradezu auf: In Ihrem Roman von 1991, «Die Putzfraueninsel», findet die Protagonistin im Keller ihrer Kundin, einer gutsituierten, stadtbekannten Philanthropin, deren Mutter, die
Sie sprechen in Ihrer Reportage an, dass sich die Expat-Frauen damit verteidigen, dass die Doppelbelastung durch Arbeit und Familie ohne Hausangestellte nicht zu bewältigen sei und dies eben der Preis der Emanzipation sei. Erst einmal muss man unterscheiden – die meisten Expat-Frauen arbeiten nicht. Sie folgen ihren Männern von einer Stelle zur anderen. Die meisten sind damit beschäftigt, ihr Sozialleben und das ihrer Männer zu organisieren. Diese Argumentation kommt mehr von der Seite der aufstrebenden modernen Singapurerinnen. Und ich teile sie durchaus – ich ziehe nur nicht denselben Schluss daraus. Ich kenne das sehr gut, diese Doppelbelastung, ich leide auch unter ihr. Ich glaube tatsächlich auch, dass wir etwas falsch machen, dass wir etwas versuchen, was nicht wirklich machbar ist, und einen zu hohen Preis dafür zahlen. Doch diesen Preis einfach nach unten weiterzugeben, kann nicht die Lösung sein.
“Das Schlimme ist, dass in diesem Fall jemand anderes den Preis dafür bezahlt, einen unmenschlichen Preis - wofür eigentlich?”
dort in einem Verschlag leben muss. Hatten Sie beim Schreiben Ihrer Reportage nicht auch das Gefühl eines Déjà-vu-Erlebnisses mit umgekehrten Vorzeichen? Nicht gerade Déjà-vu, eher diese seltsame Erkenntnis, dass nichts, was man erfinden könnte, der Realität auch nur halbwegs gerecht wird. Die weggesperrte Grossmutter war für mich ja eher ein Symbol – für all das, was man wegschliessen muss, wenn man eine perfekte Fassade aufrecht erhalten will. Dass das auch wörtlich so passiert,
KOLT
April 2014
14
Auch Sklavenhalter argumentieren mit Sachzwängen. Fällt das diesen Frauen nicht auf? Nein – sie können sich nicht leisten, ernsthaft darüber nachzudenken. Das sind ja meist intelligente, gut ausgebildete Frauen. Die wissen irgendwo genau, dass das Gerüst ihrer Argumente nicht dem geringsten Lufthauch eines Zweifels standhält. Wie gesagt, die meisten arbeiten nicht, sind aber den ganzen Tag beschäftigt und abgelenkt. Sie verkehren nur mit Frauen, die gleich leben, gleich denken. Wenn sie ein schlechtes Gewissen haben, besänftigen sie es mit Geschichten über Angestellte, die ihre Arbeitgeber betrügen und ausnützen. Eine Frau, die sich diesem Verhalten verweigert, muss deshalb ausgeschlossen werden.
REPORTAGEN
– manchmal klang es fast, als sei sie ein bisschen verliebt in ihn oder als frage sie sich, warum sie nicht an der Stelle von Helen sei. Er war ja der einzige Mann, den sie zu Gesicht bekam, der auch mal mit ihr redete, es klang manchmal fast nach Stockholm-Syndrom.
Aber wie kann man das Elend, das man über einen Menschen bringt, so konsequent ignorieren? Es wäre doch problemlos möglich, der Maid ein eigenes Zimmer zur Verfügung zu stellen, ihr einen anständigen Lohn zu zahlen. Viele denken anfangs durchaus noch so. Doch dann fügen sie sich in die Gruppe ein. Diese Frauen bestätigen sich gegenseitig, dass man sich halt den herrschenden Verhältnissen anpassen müsse, dass es kontraproduktiv wäre, die Preise zu zerstören – übrigens eine Argumentation, die ich von coolen, alternativen, Schweizer Medienschaffenden kenne, die darauf bestehen, zum Beispiel in Kairo den Einheimischenpreis fürs Taxi zu bezahlen, «schliesslich bin ich kein Touri»!
Wer keine halben Sachen mag, kann KOLT hier abonnieren, damits pünktlich zum Monatsbeginn im Briefkasten liegt. *KOLT druckt jeden Monat
Wie bringen die Frauen diese unglaublich rückständige Ansicht mit der oben erwähnten Emanzipation unter einen Hut? Die Expat-Frauen können nicht wirklich mit der Emanzipation argumentieren, da ihre Leben ganz auf ihre Männer abgestellt sind und von ihnen finanziert werden. Ehrlich gesagt, glücklich kamen sie mir nicht vor, und ich fragte mich manchmal, ob sie nicht einfach einen Teil ihres Unglücks weitergeben. Interessant war ja auch, dass manche Frauen, wie Helen, versuchen, sich mit der Angestellten anzufreunden, die sie so schlecht behandeln – und es ihr dann übel nehmen, wenn sie diese Annäherung nicht will.
Die Männer fraternisieren sich offenbar auch gerne mit den Hausangestellten – bis es ums Geld geht. In Ihrem Text wurde bemerkt, dass es oft auch zu sexuellem Missbrauch kommt, was bei diesem Machtgefälle nicht erstaunt. Über das Thema wird kaum gesprochen. Zwei Vertreterinnen einer Hilfsorganisation haben vehement abgestritten, dass es überhaupt vorkommt. Die Frauen reden auch nicht darüber. Es ist immer jemand anderem passiert, jemandem, den sie kennen… Interessant fand ich das gespaltene Verhältnis, das Felicia zu Sir Tom hat
einen Text aus Reportagen, dem unabhängigen Magazin für erzählte Gegenwart. Diesen Monat ein Interview sowie einen Tagebucheintrag von und mit der Schweizer Schriftstellerin Milena Moser. Reportagen verschenkt KOLTLesern ein Probeexemplar von Reportagen #10 mit der Reportage „Singapurs Putzfrauen“, um die es hier geht. Mail an: vertrieb@reportagen.com
KOLT
April 2014
15
Ist ein Stillhalteabkommen zwischen Expat-Paaren Usus? Sex für den Mann, das Image der perfekten Gastgeberin und Mutter für die Frau? Ich glaube, diese Arrangements gibt es überall und in allen Schichten und Kreisen. Man versucht, einem Bild gerecht zu werden. Man arrangiert sich, man zahlt seinen Preis. Das Schlimme ist, dass in diesem Fall jemand anderes den Preis dafür bezahlt, einen unmenschlichen Preis – wofür eigentlich? Dass ein Leben nach aussen hin perfekt aussehen kann? Dass man eine Gesellschaftsform aufrecht erhalten kann, die offensichtlich nicht mehr funktioniert? Was halten Sie vom Argument, dass es Frauen wie Felicia oder Alissa in ihren Heimatländern noch viel schlechter gehen würde und der Grad der Ausbeutung deshalb zu relativieren sei? Ich glaube, diese Aussage – einer europäischen Menschenrechtsanwältin! – hat mich am meisten schockiert. Das ist von einer Kälte, die mir den Atem verschlägt. Wenn nicht einmal die Hilfsorganisationen eine grundsätzliche Veränderung der Verhältnisse ins Auge fassen, wer dann? Was für eine Chance haben die Maids überhaupt auf eine Verbesserung ihrer Situation, wenn nicht einmal die Organisationen, die sich für ihre Rechte einsetzen sollten, weder willens noch fähig sind, ihnen zu helfen? Ich musste immer wieder an den Film «A Day Without a Mexican» denken, in dem die Stadt Los Angeles in kürzester Zeit im Chaos versinkt, als eines Morgens alle Mexikaner verschwunden sind. Wenn die FDW – und alle
Die koltige Café-Bar in Olten Café/Bar Gryffe Kirchgasse 12 4600 Olten KOLT
April 2014
16
REPORTAGEN
anderen Ausländer – streiken würden, würde der ganze perfekte kleine Stadtstaat in sich zusammenfallen. Was ist für Sie der zentrale Unterschied zwischen literarischem und journalistischem Schreiben? Der grosse Unterschied ist die Recherche. Das mache ich in der literarischen Arbeit kaum. Nun musste ich aber merken, dass mir die Recherche Spass macht! Ich habe mich sehr über diesen Auftrag gefreut, doch ganz ehrlich fand ich sehr schwer auszuhalten, dass die Grundlage dafür das Elend dieser Frauen war. Ohne diese Missstände gäbe es keinen Auftrag. Ich verdiene mein Geld also auf Felicias Rücken. Noch schlimmer, ich lerne etwas dazu, ich öffne meinen Blick auf die Welt – durch ihr Leiden. Ich weiss nicht, wie man damit umgeht. Von befreundeten Journalisten kenne ich den Reflex, sich einzureden, man würde mit seiner Arbeit die Welt verändern. Diese Art von Arroganz ist mir fremd. Ich glaube nicht, dass mein Text etwas bewirken wird. Bei allem Respekt, ich gehe davon aus, dass Reportagen von Gleichgesinnten gelesen werden, die in ihren Meinungen bestätigt werden. Felicia gab mir wohl das Gefühl, dass es ihr gut tat, sich mal auszusprechen. Aber das ist nicht genug. Ursprünglich wollte ich einen Teil meines Honorars einer Hilfsorganisation spenden, aber das, was ich gesehen und gehört habe, hat mich nicht über-
zeugt. Also habe ich das Geld Felicia zugesteckt. Das gehört sich für eine Journalistin nun gar nicht, aber eine Schriftstellerin macht so was einfach.
“Ich glaube nicht, dass mein Text etwas bewirken wird. Bei allem Respekt, ich gehe davon aus, dass Reportagen von Gleichgesinnten gelesen werden, die in ihren Meinungen bestätigt werden.”
Dann werden Sie also nicht mehr als Reporterin losziehen wollen? Doch, unbedingt. Ich habe unglaublich viel gelernt, nachgedacht, mich mit Fragen beschäftigt, denen ich mich schon lange nicht mehr gestellt habe. Aber ich werde es bestimmt wieder mit schlechtem Gewissen tun. Ich möchte mich da auch gar nicht abhärten lassen. Welchen Zweck hat denn Hintergrund-Journalismus überhaupt, wenn nicht der, dass die Lektüre bei einer breiten Leserschaft ein kollektives Sensibilisieren bewirkt? Natürlich ist genau das das Ziel – ich denke nur, man sollte sich nicht zu viel vormachen. Und schon gar nicht, um Zweifel an der eigenen Bedeutung wegzuwischen. Sondern sich diesen Zweifeln stellen: Wer liest denn diesen Text? Wie viele Reportagen-Abonnenten sind in dieser Situation, in der sie eine Hausangestellte versklaven könnten? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand nach dieser Lektüre noch einmal überlegt, ob man der Maid nicht ein richtiges Zimmer geben könnte? Und so weiter. Gerade diese Zweifel treiben einen doch weiter an.
Wer keine halben Sachen mag, kann KOLT hier abonnieren, damits pünktlich zum Monatsbeginn im liegt. … wasBriefkasten seither geschah
Im April 2012 berichtete Milena Moser im Magazin Reportagen von den Arbeitsbedingungen der Putzfrauen in Singapur. Mehr als ein Jahr später hat die Autorin immer noch Kontakt zu ihrer Protagonistin Felicia, deren Leben sich mittlerweile einiges verändert hat. ch war schon am Flughafen, schaute schnell in meine E-Mails, da fand ich eine Nachricht von Felicia. Ich hatte mein singapurisches Handy im Hotel liegen gelassen. Mit Absicht: Ich wollte es dem Zimmermädchen schenken, das mich durch meine Klimaanlagenerkältung gepflegt hatte. Doch sie hatte es an der Rezeption abgegeben – «kein Trinkgeld, keine Geschenke», hatte mir bei der Ankunft schon der Taxifahrer erklärt. Der Concierge wählte die am häufigsten benutzte Nummer, jene von Felicia.
sie die Feiertage allein verbringen würde. Allein mit ihren Sorgen um ihre Zukunft, um ihre Familie auf den Philippinen, der sie kein Geld mehr schicken konnte, um ihren kleinen Sohn, der krank war. Allein im Exil – und dann rief ein Luxushotel an, um sie mit einem Luxusproblem einer Luxusjournalistin zu konfrontieren! Ich schämte mich. Sie solle das Telefon abholen, wenn sie wieder in der Stadt sei, sie könne es behalten, schrieb ich zurück. Wie es ihr ginge, fragte ich. Ob sie durchhalte. Sie sei traurig, antwortete sie. Eine seltene Gefühlsäusserung, die sie wenig später relativierte. In ihrer nächsten und allen folgenden E-Mails schrieb sie, es ginge ihr gut. In unregelmässigen Abständen meldete sie sich, mit der ihr eigenen Tapferkeit, die immer wieder auch unbeschwert klang. Ihrem Sohn ging es besser. Sie war wieder in Singapur. Ihre neuen Arbeitgeber behandelten sie gut.
«Was soll ich tun, Miss Milena?» Meine Schuldgefühle, die mich schon während der Arbeit an dieser Reportage geplagt hatten, schlugen wieder über mir zusammen. Felicia war am Vortag nach Malaysia ausgeschafft worden, wo
Immer wieder beschäftigt mich die Frage, was (wenn überhaupt etwas) ein solcher Text bewirken kann. Wem er nützt, ausser dem eigenen Ego. Tatsächlich wurde ich für diese Arbeit oft, selbst von ungewohnter Seite, gelobt.
I
KOLT
April 2014
17
Ich bekam aber auch zwei empörte Briefe von Expat-Frauen, die sich persönlich angegriffen fühlten – obwohl sie gleichzeitig versicherten, keine meiner Beobachtungen treffe auf sie und ihre Haushalthilfe zu. Am Filmfestival von Cannes gelangte das Thema dann an eine breite Öffentlichkeit. Im preisgekrönten Film «Ilo Ilo» verarbeitet Anthony Chen seine Kindheitserinnerungen an seine philippinische Hausangestellte Aunt Terry, welche die Eifersucht von Anthonys Mutter weckte und deshalb entlassen, faktisch ausgewiesen wurde. Die Filmkritikerin der Singapore Times schrieb, dass es unmöglich sei, den Saal mit trockenen Augen zu verlassen. Am Ausgang wird dieses Mitgefühl aber schnell wieder abgelegt: 90 Prozent der Bevölkerung sind laut einer Umfrage der Meinung, die Regierung tue genug, um die ausländischen Arbeiter zu schützen. Von Felicia habe ich schon länger nichts mehr gehört. Das Telefon hat sie nicht abgeholt, es wurde mir in die Schweiz nachgeschickt. Es liegt ungenutzt in einer Schublade, und jedes Mal, wenn ich es sehe, sind sie wieder da, die Schuldgefühle.
KOLT
April 2014
18
Lonely Tourist Wie es ist, seine Tasche zu packen und allein zwei Tage in Olten Ferien zu machen. Text und Bilder von Ramona Thommen
KOLT
April 2014
19
D
ie Zugstrecke von Zürich nach Olten kenne ich. Ich fuhr sie, als ich im Welschland wohnte, ich fuhr sie, als ich in Luzern zur Schule ging. Knapp 40 Minuten dauert sie, es wird das erste Mal sein, dass ich aussteige. Wenigstens ist nun Frühling, denke ich mir. Seit mehreren Tagen ist es nun über 10 Grad warm, an den Bäumen drücken die ersten Knospen aus den Ästen, es riecht überall nach Sonne, nach Glück, die Welt erwacht. Schaden kann das meinem Olten-Besuch nicht, zumal noch immer ein Grauschleier all meine Gedanken daran überzieht. Was man mir denn in Olten empfehle, frage ich auf Twitter. Die guten Bars und Restaurants, heisst es. Die Fasnacht – die ist zwar vorbei, aber das macht das Ganze doch ein wenig sympathischer. Das Sälischlössli – herzig. Der längste Strassenstrich der Schweiz – nun gut, der Grauschleier, Sie verstehen. Ich habe in meinem Kopf einen Olten-Filter. Ähnlich wie bei den Fotografie-Apps auf dem Handy werden bei mir alle Bilder mit einem Grauschleier überzogen. Olten, das muss ich gestehen, ist für mich ein Ort ohne Gesicht, dafür mit viel Beton, scheintot, manchmal schleichen sich gar Plattenbauten in meine Vorstellungen. Ich verbinde Olten mit Tristesse, einem Bahnhof und einem Plakat kurz vor der Bahnhofseinfahrt, das einem verspricht, das Olten schön ist zum Wohnen. Ja, ja, das würde ich auch sagen, denke ich mir. Ich weiss gar nicht, woher dieses Bild stammt, traversiert habe ich die Stadt schon oft, da gewesen bin ich noch nie. Die Gründe dafür kann ich nicht erklären, wie bei vielem, das ich mit Olten verbinde. Und jetzt soll es eine Tourismus-Reportage geben. Ich und Olten, zwei Tage lang – das kann ja heiter werden. Ich will mich auf meinen Trip vorbereiten, suche vergebens nach einem Olten-Reiseführer. Auch in denjenigen über andere Schweizer Städte finde ich keinen Abschnitt über mein Reiseziel.
”Ich habe in meinem Kopf einen Olten-Filter. Ähnlich wie bei den FotografieApps auf dem Handy werden bei mir alle Bilder mit einem Grauschleier überzogen.“
Der Zug fährt in Olten ein, ich aus, mein Ziel ist das Tourismus-Büro auf der anderen Seite der Aare. So mache ich das bei all meinen Städtereisen: Zuerst lese ich im Reiseführer. Dann hole ich mir vor Ort Karten, Broschüren, Flyer, Pläne, um mir ein Programm zusammenzustellen. In Mailand, Paris, Berlin und zuletzt Istanbul hat diese Strategie funktioniert.
Sehenswürdigkeit mit Geschichte: Die Alte Brücke in Olten.
enge, mit Kopfsteinen gepflasterte Altstadtgassen, umzäunt von hübsch in Stand gehaltenen typischen Altstadthäusern in eine grosse Strasse – womöglich das Zentrum. „Guten Tag, ich verbringe zwei Tage Ferien in Olten. Was können Sie mir empfehlen?“ Das etwas zu lange Zögern der Angestellten des Tourismus-Büros verrät mir, dass offensichtlich nicht viele Leute mit diesem Anliegen zu ihr kommen. Sie holt einen Stadtplan hervor und beginnt, Strassennamen einzukringeln. Die Altstadt sei schön anzuschauen, hier habe es herzige Gässchen und schmucke Läden. Shoppen könne ich eher im Umkreis der Baslerstrasse. Die St. Martin Kirche könne man besuchen, ebenso vier Museen: Kunst, Natur, Wertpapiere und Geschichte. Sie zupft Prospekte und Karten aus dem Gestell, empfiehlt mir, einen Tag die Stadt zu geniessen und einen Tag die Region zu Fuss oder mit dem E-Bike zu erkunden. Die etwa vierstündige Wanderung von Egerkingen nach Oensingen gefalle vielen, ebenso der Erlebnisrundgang durch Olten Ost. Ich beschliesse zurück in die Altstadt zu gehen, um mir dort in einem der lauschigen Cafés einen Kaffee zu gönnen und die Planung der nächsten zwei Tage vorzunehmen. Ich will die elf Prospekte durchackern, ich will mir einen Reiseplan erstellen. Schnell merke ich, dass ich meine Reisedaten schlecht gewählt habe. Kulturell ist an meinem Ferienabend in Olten kaum etwas los, ich verpasse das Gershwin Piano Quartet im Stadttheater ebenso wie King Kong im Moonwalker. Ich notiere auf dem Stadtplan:
Ich überquere eine alte Holzbrücke, die wie eine kürzere Version der Luzerner Kappelbrücke aussieht. Mein Handy-Navi leitet mich durch
KOLT
April 2014
20
zwei übrigen Karten packe ich als Souvenirs ein. Wie wäre es schön, wenn nun schon Badesaison wäre, dann könnte ich in die Flussbadi, die rechts von mir liegt.
„Für einen Artikel mache ich kurzfristig 2 Tage Ferien in Olten. Die Planung kann beginnen. In Anbetracht all der Broschüren hat Olten wirklich viel zu bieten. Liebe Grüsse aus der so Wer keine halben Sachen mag,nahegelegenen Tag 1: dass es sich hauptsächlich um DurchreisetourisStadt, die ich ten KOLT handelt, die hier logieren, müsste man doch kann hier abonnieren, * Grosse Kirche anschauen trotzdem etwas von dem Treiben spüren, Fremdbisher nicht * Über die alte Brücke linge wie mich sehen und erkennen. Ich suche damits pünktlich zum informieren und anschauen die Gassen und Strassen vergebens danach ab. kannte, Ramona.“ * * * * * *
Altstadt Museen (mindestens eines!) Aare-Spaziergang (Sonne!) Shopping? Über Olten lesen -> Geschichte? (in der Sonne?) Postkarten schreiben
Noch offen: * *
Abendprogramm/Znacht Übernachtung
Tag 2: *
Vierstündige Wanderung von Egerkingen nach Oensingen
Mein Reiseplan beruhigt mich. Aber kann ich damit zwei Tage füllen? Ich mache mich auf den Weg zur St. Martin Kirche, das gehört sich so bei einem Städtetrip. 2013 wurde in Olten knapp 58’000 Mal übernachtet, so die Ergebnisse des Bundesamt für Statistik. Ich rechne: Das sind auf den Tag ausgerechnet 161 Übernachtungen. Da erstaunt es doch, dass man davon kaum etwas spürt. In der Altstadt habe ich bisher nur wenige Menschen angetroffen, und wenn, dann waren es Einheimische, da bin ich mir sicher. Obschon mir bewusst ist,
Monatsbeginn im Briefkasten liegt.
Die Programmpunkte Kirche, Shopping, Brücke, sind schnell abgehakt, nebenbei war ich noch beim Brunnen, bei der Ringmauer, ich habe einen Obelisken gesehen, doch mein Uhrzeiger will sich einfach nicht bewegen. Es ist erst kurz nach Mittag! Die Brücke, das weiss ich nun, heisst Alte Brücke. Im 13. Jahrhundert, so besagt es der Stadtführer, war sie die Nabelschnur, die Olten am Leben hielt. Auch weiss ich nun, dass Olten seinen Standort nach dem zweiten Weltkrieg richtig hat zu nutzen angefangen, dass es sich damals zu dem wichtigen Knotenpunkt zu entwickeln begann, der es heute ist. Ich bewege mich von Sitzbank zu Sitzbank, Kaffee hatte ich genug, ich muss warten, bis die Museen um 14 Uhr öffnen. Als ich das dritte Mal durch die gleiche Altstadtgasse gehe – mittlerweile kann ich mich ohne Stadtplan orientieren! –, kaufe ich mir im Buchladen Postkarten. Von jedem der fünf Sujets eine. Beim Bezahlen sagt mir die Verkäuferin, dass sie neue bestellen müsse, es gäbe nämlich noch mehr. Wer die Karten kauft und verschickt, kann sie mir allerdings auch nicht beantworten. Wieder unten bei der Alten Brücke setze ich mich auf eine Bank, um zu schreiben, bis die Museen öffnen. Eine geht an meine Eltern, zwei an ältere Menschen aus meiner Verwandtschaft, die sich jedes Mal über meine Feriengrüsse freuen. Die
KOLT
April 2014
21
Ich war noch nie eine fleissige Kartenschreiberin. Vis à vis von mir wieder der Bahnhof. Werktags fahren gemäss der SBB rund 76’000 Pendler durch diese Ortschaft, 911 Züge passieren den Bahnhof. „Es ist schade, dass die Leute nicht einmal aus dem Zug aussteigen und sich eine Stunde Zeit nehmen, um durch unser Städtchen zu schlendern“, wird mir Christian Gressbach, der Geschäftsführer von Region Olten Tourismus, später sagen. Er ist sich durchaus bewusst, dass der Tourismus hier hauptsächlich wegen Geschäfts- und Seminarleuten floriert. Die je fünf Hotels und Bed and Breakfasts im Stadtzentrum sind unter der Woche zu mehr als 75 Prozent ausgelastet und am Wochenende eher dürftig besetzt. „Unser Standort ist für viele perfekt“, sagt Gressbach. Wenn beispielsweise im Frühjahr in Basel die Uhren- und Schmuckmesse Baselworld ist, merke man das auch in Olten. „Weil in Basel selbst alles ausgebucht ist, übernachten die Leute aufgrund der idealen Verbindungen hier.“ 25 Minuten dauert die Zugfahrt von Olten nach Basel, manchmal fast weniger lang, als wenn man ausserhalb des Basler Stadtzentrums wohnt und dann mit dem Tram zur Messe fahren muss. Mittlerweile ist es 14 Uhr, die Museen öffnen. Ich kann mich also dem nächsten Programmpunkt
zu wenden. Lass dir Zeit in der Ausstellung, sage ich mir innerlich. Denn so viel habe ich nachher nicht mehr vor, die Postkarten sind auch bereits geschrieben. „Das Reh – durch Anpassung zum Erfolg“ solls sein im Naturmuseum. Wieder schlendere ich die Altstadt hoch, weit ist es nicht. So klein wie Olten ist, brauche ich kein Ticket für den öffentlichen Verkehr. So bleibt mir wenigstens das mühsame Suchen nach dem richtigen Angebot am Billettautomaten erspart. „Durch Anpassung zum Erfolg“ – was mir das Naturmuseum über das Reh erzählt, trifft irgendwie auch auf Olten zu. Die Stadt, die von vielen grösseren Schweizer Städten wie Zürich, Basel, Solothurn, Bern, Luzern, umringt und für diese doch so unentbehrlich ist, passt sich der Nachfrage an. Auf der Website ist an dritter Stelle des Menüs „Meeting & Kongress“ angegeben. Olten weiss, was es den Leuten bieten muss: Unterkünfte, Gastronomie, Plätze für Seminare. Um die 100 Franken kostet eine Übernachtung. Preislich steht Olten den grösseren Nachbarsstädten kaum nach. „Weil wir wenig Privatpersonen beherbergen, können wir das auch verlangen. Es sind ja dann die Firmen, die die Kosten übernehmen“, erklärt Gressbach. Doch dank welcher Anpassungen und welchen Verbesserungen soll die Stadt noch grössere Erfolge feiern können? Das Angebot sei da, sagt Gressbach, man müsse die Leute nur dazu bringen, es noch mehr wahrzunehmen. „Ich bin mir durchaus bewusst, dass Olten keine Feriendestination ist.“ Nichtsdestotrotz wünscht er sich mehr Präsenz in den Köpfen der Menschen, auch der Einheimischen, die mehr Stolz haben sollen für ihre gastgeberische Heimat. „Wir sind nicht nur ein Bahnhof. Von uns aus kann man Tagesauflüge machen, wir haben Museen, den Jura, in dem man wandern kann.“ Schön wäre es, sagt Gressbach, wenn die Touristen – seien sie geschäftlich hier oder auf Durchreise – einen Tag an ihren Aufenthalt hier anhängen würden, um sich umzuschauen, das städtische und kulturelle Angebot nutzten. Dafür plant er dieses Frühjahr eine Flyeraktion am Bahnhof, zudem soll ein Text über die Stadt im SBB-Magazin „via“ für seine Stadt werben. „Das Reh“ – wirklich konnte ich mich nicht auf die Ausstellung konzentrieren. Zu viele Gedanken gingen mir während des Durchgangs durch
”Durch Anpassung zum Erfolg“ was mir das Naturmuseum über das Reh erzählt, trifft irgendwie auch auf Olten zu.“
wohnerzahlen wie Olten. Aber würden Sie als Tourist dorthin fahren? Wohl kaum. Wieso auch? Vielleicht wissen Sie nicht einmal genau, wo diese Städte liegen. Olten hingegen kennt eigentlich jeder. Reist man durch die Schweiz, kommt man fast nicht um Olten herum. Jeder Zugpassagier hat ein bewusst oder unbewusst entstandenes Bild von Olten. Meist hat es etwas mit dem Bahnhof zu tun, logisch. Dass das Städtchen allerdings aufgrund der Anpassung an die Nachfrage – man will ja die Besucher hier gut beherbergen und ihnen etwas bieten – vergleichsweise viel zu bieten hat, wissen die wenigstens. Nichts gegen Regensdorf und Schlieren, aber dort gibt es keine vier Museen, ganz zu Schweigen von Tourismus-Büros, Stadtkarten und Broschüren. Dass Olten trotz seiner Bekanntheit eben doch nicht in der Liga der grossen Schweizer Städte mitspielt, musste auch der bekannte Schweizer Koch Anton Mosimann schmerzlich erfahren. Der gebürtige Solothurner kaufte 2000 das Sälischlössli in Olten. Als „Château Mosimann“ sollte es zum Gourmettempel der Region werden. Doch der Koch, der vor allem in London als Koch von Königin Elisabeth II. und von Prinz William und Herzogin Catherine grosses Ansehen geniesst, scheiterte. Die Gäste blieben aus, nur drei Jahre nach der Eröffnung schloss er sein Château.
Oltens Gässchen sind verwinkelt und klein. Schnell findet man sich hier ohne Karte zurecht.
den Kopf. Und obschon mir wieder die Ideen ausgehen, was ich denn nun noch tun könnte, merke ich, dass der Grauschleier mittlerweile verschwunden ist. Ich habe Olten unterschätzt. Sicher kann man sie nicht mit Bern, Basel, Zürich oder Genf vergleichen, wie man das gerne tut aufgrund der Bekanntheit des Namens. Dafür ist Olten zu klein, das Angebot dementsprechend. Tagelang wird man sich hier nicht beschäftigen können, das merke ich ja schon jetzt. Aber es macht durchaus Sinn, sich den Ort einmal anzuschauen. Pully, Thalwil, Regensdorf und Schlieren – sie alle haben etwa die gleich grossen Ein-
KOLT
April 2014
22
„Bisch jez du ide Region?“, schreibt mir eine Studienkollegin von früher per SMS, der ich von meinem Städtetrip erzählt habe. Ich antworte: „Ja, ich bin in Olte. Han scho alles agluegt. Chunsch hüt zAbig mit mir cho Znacht ässe da?“ „Znachtässe – ja. Aber chum uf Solothurn!“ Sie wohnt dort neuerdings, 20 Zugminuten von Olten entfernt. Ich rufe sie an, das Ziel meiner Geschichte ist es ja, Olten kennenzulernen. Also will ich auch hier essen. Doch meine Kollegin lässt sich einfach nicht überreden. Will mir den Weg zu ihr mit meinem Lieblingsessen Hörnli und Ghackets mit selbstgemachtem Apfelmus schmackhaft machen, das sie mir zu kochen verspricht. Ich merke: Entweder fahre ich nach Solothurn – oder ich verbringe den Abend alleine. Davor graut es mir. Was soll ich noch tun? Irgendwie scheint die Zeit hier einfach nicht vorbeigehen zu wollen. Also gebe ich nach: „Einver-
wird immer besser mit dem ganzen Kultur- und Musikangebot“, sagt Derungs. Am frühen Abend finde ich mich wieder an diesem berühmten Bahnhof Olten, um nach Solothurn zu fahren. Auf den zehn Geleisen herrscht ein Treiben wie in einem Bienenstock. Junge Mädchen mit Rucksäcken und Chucks sieht man genauso oft wie Männer in Anzügen und mit Laptoptaschen. Sie huschen die Treppen runter und wieder rauf, wissen genau, wo ihre Anschlusszüge fahren. „Erklär mir jetzt bitte einmal, weshalb du nicht nach Olten kommen wolltest?“, frage ich meine Kollegin – sonst ein Reisefüdli sondergleichen – später über meiner Leibspeise. So genau kann sie ihre Ablehnung nicht in Worte fassen, sie druckst herum: „Olten ist mir nicht sympathisch. Was soll ich dort?“
”Wie konnte ich nur so böse und schlecht über mag, Wer keine halben Sachen denken, kann Olten KOLT hier abonnieren, obwohl ichzum damits pünktlich es nicht Monatsbeginn im kannte?“ Briefkasten liegt.
Der Betonklotz: Einzig das Hotel Europe passt zu meinen Vorurteilen. TripAdvisor rät mir auch davon ab, hier zu übernachten. Doch es gibt genügend Alternativen.
Ob sie schon einmal da war, frage ich. „Ja… Mit dem Zug… Also durchgefahren. Und einmal als Teenie an einem Konzert. Irgendwie waren da überall gelbe Häuser.“ Sonst komme ihr zu dem Thema noch Mike Müller in den Sinn. „Der wird von Viktor Giacobbo immer damit aufgezogen, weil er aus Olten kommt… Das ist einfach nichts Richtiges dort.“ Ich wechsle die Seiten, was am Morgen noch unvorstellbar gewesen wäre. Ich nehme Olten in Schutz. Es schmerzt mich, interessiert Olten niemanden so recht.
standen, ich komme nach Solothurn. Aber ich fahre nach Olten zurück, ich will nämlich hier übernachten. Weisch, für das richtige Reisefeeling.“
Apropos: Meinen Schlafplatz habe ich noch nicht organisiert. Das wollte ich eigentlich vor Ort machen. Entweder, ich steige in einem der Hotels oder Bed & Breakfasts ab, so der Plan, oder aber, ich kontaktiere die eine Person, die in Olten auf AirBnB.ch ein „Schlafzimmer in der WG“ anbietet. Mit Couchsurfing habe ich keine Erfahrung, aber meine Recherche wird später zeigen, dass in Olten 178 Personen ein Sofa zum Übernachten anbieten. Wieder befinde ich mich in einer engen Altstadtgasse, mittlerweile komme ich ohne Karte zurecht. Da ich wieder Zeit habe, beschliesse ich, der Aare entlang zu spazieren. Velofahrer kreuzen mich, allerdings auch alles Einheimische. Oder zumindest keine Touristen mit gemieteten Velos und E-Bikes.
Ich setze mich ans Ufer, lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen und merke, wie das schlechte Gewissen hochkommt. Wie konnte ich nur so böse und schlecht über Olten denken, obwohl ich es nicht kannte? Gerade als Journalistin sollte man doch unvoreingenommen an die Geschichten, Personen und Orte herangehen… Woher kam dieser Grauschleier, der so überhaupt nichts mit der Realität zu tun hat? Woher die Vorstellung der Betonwüste? Wieso verband ich Olten immer mit Tristesse? Das alles wird dem schmucken Städtchen mit rund 18’000 Einwohnern nicht gerecht. Man gibt sich hier Mühe, den Durchreisenden aller Art das zu bieten, was man kann. Da könnten sich ähnlich grosse andere
Schweizer Orte etwas abschauen. Hier in Olten fühlt man sich willkommen, nicht fremd, alles wirkt so liebevoll und einladend. So auch das Bed and Breakfast Olten von Reto Derungs. Inspiriert von einem Bed and Breakfast, das er während einer Schottland-Reise entdeckt hatte, eröffnete er vor fünf Jahren sein eigenes mitten in Olten Ost, also auf der Bahnhofsseite. Rechnete er anfangs mit einer Belegung von einem Zimmer pro Nacht, ist er mittlerweile bei drei. Seine Gäste kommen aus der Schweiz, aus Deutschland, Amerika, Italien, Spanien. „Viele nehmen an Tagungen teil, kommen wegen eines Arbeitsaufenthalts oder wegen der Fachhochschulen in der Umgebung“, bestätigt Derungs die Statistiken. „Im Sommer habe ich Gäste, die auf der Durchreise nach Italien sind – oder aber auch, weil sie beispielsweise ‚Karls Kühne Gassenshow‛ besuchen.“ Dass sein Plan aufgegangen ist wundert ihn nicht, hat die Stadt doch einiges zu bieten: Zum Essen die Restaurants Flügerad, Salmen, Caveau du Sommelier, der Ratshauskeller. Kleine Kabaretts und Nextstopolten.ch, ein Konzertorganisator. „Olten
KOLT
April 2014
23
Anders als am Nachmittag vergehen abends die Stunden schnell. Der letzte Zug fährt, die zweite Weinflasche ist noch halbvoll und ich merke, dass ich vergessen habe, ein Zimmer zu reservieren. Ich schlafe in Solothurn auf dem Sofa und versuche, mein schlechtes Gewissen – ich habe meine Feriendestination verraten! – zu beruhigen. Wäre ich nach Paris, Mailand oder London gefahren und würde ich dort jemanden ausserorts kennen und besuchen, dann würde ich allfällig auch dort übernachten. Bevor ich einschlafe, nehme ich mir vor, Olten am nächsten Tag dafür doppelt zu geniessen und nebst der geplanten Wanderung von Egerkingen nach Oensingen im Städtchen zu frühstücken und das Sälischlössli zu besuchen. Quasi als Wiedergutmachung für mein nächtliches Auswärtsspiel. Dieses Versprechen löse ich alsdann auch ein. Und während ich am Nachmittag die 30 Minuten zurück nach Zürich fahre, merke ich, wie sehr sich dieser Ausflug gelohnt hat, obschon es auch Stunden gab, in denen ich mich kaum mehr zu beschäftigen wusste. Ich muss Gressbach durchaus recht geben: Es lohnt sich, einmal am Bahnhof auszusteigen und durch Olten zu schlendern. Schon nur, um mit Vorurteilen wie gelben Häusern oder Grauschleiern und einer Stadt, die in vielen Köpfen nur aus einem Bahnhof besteht, aufzuräumen.
SERIE
FILM
Bis zur Erschöpfung Es gibt Filme, gegen die kann man sich nicht wehren. von Caspar Shaller
Ü
ber die Serie „House of Cards“ und deren böse Hauptfigur Frank Underwood reden mittlerweile auch die, die immer schön brav warten, bis die Serien bei uns im TV laufen. Was sie jedoch vermutlich nicht wissen, ist, dass der amerikanische Streamingservice „Netflix“ im gleichen Jahr neben „House of Cards“ die genauso erfolgreiche Serie „Orange Is the New Black“ veröffentlicht hat. Diese spielt dort, wo Frank eigentlich schon längst sitzen müsste: im Knast. Na gut, vielleicht nicht gerade im Frauenknast. Denn dort muss die Protagonistin Piper Chapman 15 Monate absitzen, weil sie während ihrer College-Zeit ihrer damaligen Geliebten Alex beim Drogenschmuggeln geholfen hat. Als Piper verurteilt wird, hat sie es sich gerade schön gemütlich gemacht in ihrem schicken New Yorker Stadthaus, ist mit einem Schriftsteller verlobt und erfolgreiche Managerin. Logo, dass das Knast-Sabbatical nicht in ihr Lebensplan passt. Dass ihre Ex, Alex, ihre Strafe im gleichen Gefängnis absitzt, ist nur das kleinste Problem: fiese Wärter, Latino-Frauengangs, russische Mafiabräute –Piper befindet sich in einem 24-Stunden-Krieg. Frank wäre beeindruckt. Und könnte sich das Lachen genauso wenig verkneifen wie wir.
Orange Is the New Black (2013, 1 Staffel,13 Episoden Comedy, Drama, Netflix, USA)
DIE
5
"T
he Lego Movie" ist grossartig, urkomisch, erstaunlich klug, beeindruckend, transzendental – der Film ist schlicht „awesome“! „Everything is Awesome“ heisst denn auch das einzige Lied, das auf dem einzigen Radiosender der computeranimierten Legowelt zu hören ist. Den ganzen Tag. Und die computeranimierten, konformistischen, 37-Dollar-Kaffee trinkenden Legofigürchen lieben es. Sie lieben es, genauso wie die realen, konfirmistischen, Starbucks-Kaffee-saufenden Schweizer Arbeitsdrohnen ihr NRJ und ihr 105 lieben. „Blue skies, bouncy springs. We just named you awesome things. A Nobel Prize, a piece of string/ You know what’s awesome? Everything!” Wirklich, alles super, alles sehr, sehr geil. Wie praktisch, nicht denken zu müssen, nach der Bedienungsanleitung zu leben, jeder Schritt geplant, auf jeden Topf passt einen Deckel, jedes Teilchen passt ins andere, die Blauen zu den Blauen, die Gelben zu den Gelben. Schön diese Ordnung. So „awesome“, dass selbst die Killerroboterlegofigur beim Erklingen des lieblichen Elektropop erstarrt und in schönstem Roboterstakkato von sich gibt: „This is my jam.“ Worauf der andere Killerroboter erwidert:
ALBEN MEINES LEBENS
Queen A Night At The Opera „Bohemian Rhapsody“ hat mich meine Kindheit über begleitet und ich bin natürlich ein grosser Fan von Freddys Stimme und den aussergewöhnlichen Arrangements.
„This is also my jam.“ Und so frohlocken sie zufrieden, während die Helden der Geschichte, der AUSERWÄHLTE, Langweiler Emmet und der matrixesque Trinity-Verschnitt Wildstyle von dannen schleichen, um die Welt vor Lord Business zu retten und Kreativität und Individualismus aus den Fesseln der Bedienungsanleitung zu befreien. Glücklicherweise wird der Plot bald metafiktional totgeschlagen (Wir wissen, dass ihr wisst, dass wir wissen, dass der Plot egal ist und genau so schon tausend Mal viel zu ernst genommen wurde. Wir meinen dich, „Transfomers“!). Denn der Film verwandelt sich in eine Explosion aus den akkumulierten popkulturellen Referenzen der letzten 15 Jahre und beschiesst das Publikum mit gefühlten zehn Witzen pro Sekunde, bis es erschöpft aufgibt und diesen Film einfach nur noch zum schreien komisch findet - genau wie alle anderen Drohnen, die sich ach so individuell fühlen und doch nur industriell normierte Figürchen sind.
The Lego Movie 3D USA, AUS//Action, Comedy ab 10. April bei youcinema
von Anna Rossinelli
Metronomy The English Riviera Elektro gekonnt mit Pop gemischt. Find ich absolut grossartig, besonders die unglaublichen Basslines.
Aretha Franklin Best Of Das ist zwar kein richtiges Album, aber es war nun mal ein „Best Of“, das ich mit 14 rauf und runter gehört habe und von welchem ich alle Songs auswendig lernte... Aretha ist für mich eine der grössten Soul-Sängerinnen.
KOLT
April 2014
24
Prince Purple Rain Eines der ganz grossen Alben. Prince hat meiner Meinung nach ganze Generationen von Musikern beeinflusst, besonders was das Songwriting anbelangt. Die Songs von „Purple Rain“ höre ich nach wie vor mit grosser Freude!
Sister Act Soundtrack Das war die erste CD, die ich besass. Ich habe als Kind alle Songs nachgesungen und mitgetanzt und durch dieses Album wohl auch vieles gelernt.
MUSIK
Mundart-Pop auf höchstem Niveau Unser Kolumnist ist kein St. Galler. Aber er liebt Manuel Stahlbergers neue Platte trotzdem. von Marc Gerber
"J
Wer keine halben Sachen mag, kann KOLT hier abonnieren, damits pünktlich zum Monatsbeginn im Briefkasten liegt.
aaa naaaiiiii!“ Oh doch, der Osten der Schweiz gibt wieder ein musikalisches Lebenszeichen von sich! Was für Bern Patent Ochsner oder Züri West ist, ist für die St. Galler der Stahlberger. Das neue Album „Die Gschicht isch besser“ sollte aber von der ganzen Schweiz gehört werden. Sind wir mal ganz ehrlich: Der St. Galler Dialekt ist nicht der beliebteste der Schweiz. Laut einer Umfrage der Universität Basel, sogar der zweit unbeliebteste knapp vor Kantonsnachbar Thurgau. Trotzdem grölt auch der Solothurner oder Berner bei den Liedern mit, denn sie sind zugleich einfach und kompakt. Was Frontsänger Manuel Stahlberger und seine Ostschweizer Bandkollegen abliefern, das ist Mundart-Pop auf höchstem Niveau, wobei Pop hier schon fast als Schimpfwort zu gebrauchen ist. Das Album „Die Gschicht isch besser“ ist fast wie eine Zugfahrt nach St. Gallen, langatmig aber man kann nicht aussteigen. Immer wieder fesseln einem Lieder wie „Du verwachsch wieder nume i dinere Wonig“ oder „Fallschirmspringer“ mit ihren genialen Texten und Beats, bei denen man merkt, dass hier Profimusiker am Werk sind.
Unterstützt wird Manuel Stahlberger zum Beispiel von Marcel „Bit-Tuner“ Gschwend, der als DJ schon in jedem Club der Schweiz mit seinen Synthis für schwitzende Gäste gesorgt hat. Auch Drummer Dominik Kesseli ist mit seiner Band „A Crashed Blackbird Called Roship“ kein Unbekannter in der Schweizer Musikszene. Der Chef auf der Bühne ist aber ganz klar Manuel Stahlberger mit seinen Texten. Texte die einfach wiederzugeben sind, im ersten Moment teils keinen Sinn ergeben, aber einem immer wieder mit Wortwitz überraschen. Stahlberger selber ist ein ausgezeichneter Kabarettist, der auch schon mit dem Salzburger Stier ausgezeichnet wurde. Vielleicht macht es die Band-Kombination zwischen Kabarettist, Electro-DJ und ProfiDrummer aus, die das dritte Album von Stahlberger „Die Gschicht isch besser“ nicht nur für jeden St. Galler zum Pflichtkauf macht, sondern für jeden Mundart-Fan. Mein Kommentar: „Eifach eh hure geili Schiiibbbee!“
Manuel Stahlberger „Die Gschicht isch besser“ Release: 4. April 2014 Irascible KOLT
April 2014
25
Andy Warhol
Arnold Schwarzenegger
Otto Waalkes
Nana Mouskouri
NICHT NUR FÜR STARS
BARTLOME OPTIK AG
BRILLEN UND KONTAKTLINSEN HAUPTGASSE 33 - 4600 OLTEN
......................... KOLT liest .........................
BUCH
1Q84
von Daniel Kissling
von Haruki Murakami
Aomame ist Auftragskillerin und begeht Morde, um altes Unrecht zu sühnen. Tengo ist ein Hobby-Schriftsteller und soll einen Roman einer exzentrischen 17-Jährigen überarbeiten, damit sie einen Literaturpreis gewinnt. Aomame bemerkt in der Welt eigenartige Veränderungen… Sie ist in eine Parallelwelt des Jahres 1984 geraten und gibt ihr den neuen Namen 1Q84. In schlichter Sprache erzählt Murakami vom Kampf gegen eine Sekte. Spannend und süffig! Stephanie Schumacher, red. Mitarbeiterin
DER DUNKLE SCHIRM von Philip K. Dick
Fred aka Bob Arctors Geheimidentität ist so geheim, dass nicht mal sein Auftraggeber sie kennt. Als verdeckter Ermittler bewegt er sich in der Drogenszene und verliert unter Einfluss der Droge „Substanz T“ nach und nach den Sinn für die Realität, als er in die paranoide Welt seines zugedröhnten Geistes entschlüpft. Gaia Giacomelli, Grafik-Praktikantin
SUITE FRANCAISE von Irène Némirovsky
Kritiker sagen über diesen schön und anspruchsvoll geschriebenen Roman der französischen Starautorin Némirovsky er sei einer der „wichtigsten und ehrlichsten“ Romane über das besiegte Frankreich im Sommer 1940. Er wurde Jahre, nachdem die Autorin 1942 in einem KZ ums Leben kam, in einem Koffer entdeckt und von ihrer Tocher veröffentlicht. Yves Stuber, Co-Herausgeber
Liebe den Schmerz
E
s gibt Bücher, die schlägst du auf und legst sie erst wieder weg, wenn die letzte Seite umgeblättert ist. „Exodus“ von Piotr Silaev alias DJ Stalingrad ist ein solches. Oder im martialischen Stil des 1985 in Moskau geborenen Autors ausgedrückt: Dieses Buch macht kurzen Prozess mit dir, springt dich an und haut dir unverfroren in die Magengrube. Und zwar sprachlich wie inhaltlich. „Ich erinnere mich, um zu vergessen“, so beschreibt der Ich-Erzähler auf der zweiten Seite den Beweggrund für sein Schreiben. Was er vergessen will: eine Jugend, seine Jugend im Russland der Nullerjahre, in einem Land, welches nach dem Untergang des Kommunismus nur ein Gesetz kennt – das Recht des Stärkeren. Das Erwachsenwerden wird so zum Kampf und zwar wortwörtlich. Mit ihren Fäusten schlagen der Erzähler und seine Freunde, allesamt Vertreter der Unterschicht, allesamt Mitglieder der linken Anarcho-Skinhead-Szene, an gegen eine Gesellschaft ohne Moral und voller Ungerechtigkeit. Egal ob Hardcore-Punk-Konzerte, Fussballspiele oder ein simpler Abend in der Stadt: Früher oder später wird geprügelt, gegen rechte Hooligans, nationalistische Paramilitärs oder Putins Kampftruppen, früher oder später fliesst Blut.
Bequem Tickets an der Kasse bezahlen Online-Tickets gebührenlos kaufen! Vergünstigte Eintritts-Preise
www.youcinema.ch KOLT April 2014 26
Dabei ist „Exodus“ weder eine chauvinistische Gewaltfantasie noch eine glorifizierende Widerstandsgeschichte. Nein, der Ich-Erzähler und seine Freunde sind keine Helden, obwohl sie überzeugt sind von der Richtigkeit ihres Kampfes. Der eine säuft, einer kommt in den Knast, ein weiterer krepiert auf der Strasse. Schonungslos reiht Silaev in seinem autobiographisch gefärbten Debütroman eine Strassenschlacht an die andere, schildert ungeschönt Hochgefühl, Todesangst, gebrochene Glieder und zerbrechende Hoffnungen in mal rasenden, mal nachdenklichen, vor allem aber fesselnden Erinnerungsbögen. Mit „Exodus“ ist Piotr Silvaev, welcher mittlerweile als politischer Flüchtling Asyl in Finnland erhalten hat, ein so eindringlicher wie explosiver Erstling gelungen, der gerade in seiner radikalen Subjektivität ein aufschlussreiches Bild der russischen Gesellschaft zeichnet.
DJ Stalingrad
Exodus
Matthes & Seitz, Berlin 2013. 136 S.
WO SPIELT DIE MUSIK?
AM TRESEN
Zugegeben, es gibt besser MOST WANTED gestaltete Websites als diese. Viel bessere. Aber es ist, rüher ging man an diesen Ort, wenn alle anderen Orte die Türen schlossen. wie so oft, der Inhalt, der zählt. Meistens war das irgendwann Stadtbibliothek So auch bei der grössten und zwischen vier und fünf Uhr Morgens: Bar 97. Man nennt die Bar heute wichtigsten Online-Plattform noch so, auch wenn mittlerweile für Metal-Musik in der Schweiz. Ingrid Noll „Prestige Club 97“ dran steht, hat (noch) keine 19 Bücher die Türklingel verschwunden ist und Egal ob Heavy-, Thrash-, geschrieben, aber ihr neuer Roman stattdessen kniehohe goldenfarbige Deathoder Doom-Metal, Punk, Schnürchen an Silberpfosten ganz „Hab und Gier“ bescheiden den Weg zum Eingang weisen. Hardcore, Alternative oder ist immerhin ihr 17. Buch. Was früher nicht möglich war, geht heute Bemerkenswert, wenn man Rock: Hier bist du richtig, wenn problemlos: um 22 Uhr reintorkeln. Zwar bedenkt, dass Ingrid Noll als die Wer keine halben Sachen mag,Krimi-schreibende-Oma kriegt man seine Kollegen per SMS nur Headbangen dein Hobby ist. schlechthin gilt,
F
schwer dazu, sich anzuschliessen, aber wenn sie einmal da sind, dann freuen sie sich ganz bestimmt auch ob der leeren Tanzfläche. Dem Diskolicht. Der Spiegelwand. Dem Chilbi-Bahn-Gebrabbel des DJs, der im leeren Raum etwas verloren wirkt, aber mit viel Liebe jeden MusikWunsch, den man zuvor auf einen Zettel gekritzelt hat, ankündigt (egal was man wünscht, der DJ findet die schlechteste Remix-Version). Der Box-Automat am Ende der Bar ist auch nett, die Rumänen dort auch, die Kokos-mit-irgendwasShots sind auch toll, vor allem die grünen. Und weil man ja so gut wie der einzige Gast ist, gibts zu jedem Shot einen gratis dazu. Welcome to Turbo-Trash-
Paradise!
Prestige Club 97
Winkelunterführung Olten
Metalfactory, Deutsch kann KOLT hierzu abonnieren, Metallwerkstatt, nennt sich damits pünktlich zum diese Plattform und bietet alles, was das (Metal-) Monatsbeginn im Herz begehrt: News zu Bands, KonzertBriefkasten liegt. Tipps und -Rezensionen, Album-Kritiken, Internetradio (natürlich nur harte Sachen), Verlosungen, Interviews und vieles mehr. Stay heavy, stay tuned. Hell yeah! Trust your ears!
hat sie doch erst vor 23 Jahren mit dem Schreiben begonnen. „Hab und Gier“ – zu oberst auf der Reservationsliste der Stadtbibliothek.
Jugendbibliothek Da gerade der 19. Band der Katzen-Fantasy-Serie
„Warrior Cats“
erschienen ist, ist in der Jugendbibliothek der erste Band wieder heissbegehrt:
„In die Wildnis“
lautet der Titel und geschrieben wurde das Buch von Erin Hunter. 19 Bände. Da braucht es nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, wie neidisch alle Harry-Potter-Fans sind.
www.metalfactory.ch
www.bernheim.ch
Easy GoinG mit PiErrE Cardin
KOLT
April 2014
27
Ein Mann und seine Amerikaner Roland Schibli importiert amerikanische Oldtimer und bringt sie auf das Auto-Gerny Areal in Trimbach. Ein Gespr채ch 체ber Autos, als sie noch sinnlich waren. von Pablo Haller (Text) und Lorenz Richard (Fotos)
KOLT
April 2014
28
KOLT
April 2014
29
W
ir sitzen im Showroom. Neben uns amerikanische Wagen aus einer Zeit, in der Autos noch sinnlich waren. Einer Zeit, in der das Gas geben Priorität hatte und nicht das bremsen, wie es Ex-Formel-1-Fahrer Walter Brun einst auf den Punkt brachte. Roland Schibli stellt zwei Dosen Bier auf den Tisch und beginnt zu erzählen. Die Getränke hat ein Kumpel vorbeigebracht, der dann und wann Autos durch die interne Waschanlage fährt. „Er zahlt immer in Bier“, lacht Schibli und öffnet seine Dose. Roland Schibli ist eben aus den USA zurückgekehrt, wo er auf der Pirsch nach neuen Schmuckstücken war. „Wir machen uns vorher einen Plan, was wir anschauen wollen, checken Inserate, die ‚Tierwelt‛ unserer Szene durch, stellen
”Wir kaufen nur ein, was wir auch selber gerne fahren würden.“ eine Route zusammen. Es kann sein, dass man für ein einziges Auto drei, vier Stunden fährt. In den Staaten ist alles weitläufig. Man beginnt beispielsweise in L.A. und das Tagesziel ist dann Arizona. Meist kommt man nicht halb so weit. Die Leute, vor allem die Privaten, freuen sich auf uns. Wir fahren bevorzugt in einem alten Auto, dass wir bereits drüben gekauft haben. Ausser wenn es richtig heiss ist. Ich habe einen Shipper,
KOLT
April 2014
30
der die Route abfährt und die Autos lädt, nachdem wir sie ausgesucht haben. Via Long Beach mit dem Schiff nach Rotterdam oder Antwerpen kommen sie auf der Schiene nach Basel. Wir kaufen nur ein, was wir auch selber gerne fahren würden.“ Der Enthusiasmus schwingt in Schiblis Stimme mit, wenn er erzählt. Wir, das sind Schibli und Andy Lüthy, die vor drei Jahren gemeinsam V8 Bros. gegründet haben. Der Fokus liegt auf Wagen Ende 1930er-Jahre bis 1973. Danach kam die Ölkrise, wo motorenmässig viel verändert und gedrosselt, wurde. „Die Emissionen blieben gleich, doch die Leistung nahm ab, alles wurde billiger gemacht“, so Schibli. Seine Lieblingsautos stammen aus der Chrysler Muscle-Car-Series, die auf Serienmodellen
Wer keine halben Sachen mag, kann KOLT hier abonnieren, damits pünktlich zum Monatsbeginn im Briefkasten liegt. Die Leidenschaft für amerikanische Autos liegt in Roland Schiblis Familie. Seit drei Jahren verkauft er nun die auf Höchstform gebrachten Autos in seiner Garage in Trimbach.
basierten, jedoch wesentlich stärker motorisiert waren. „Ich selber besitze eines dieser Modelle, das nur 26 Mal gebaut wurde. Das sind ruuche Autos, Böcke. Aber das gefällt mir.“ Die Leidenschaft für die Ami-Schlitten liegt in der Familie: „Unser Familienauto ist ein 1957er-Modell, an dem ich selber immer wieder rummechte. Deshalb bin ich sehr mit diesen Autos verbunden. Mein Grossvater hatte schon immer alte Autos. Alle zwei, drei Jahre wechselte er das Modell. Damals waren das natürlich aktuelle Modelle. In den letzten Jahren meines Grossvaters konnte ich mit, wenn er sich einen neuen Wagen aussuchen ging. Da sah man die Autos in Alben, das hat mich schon immer fasziniert.“ Der gelernte Maschinenmechaniker war lange auf Montage, unter anderem in den USA, Korea
”Ich selber besitze eines dieser Modelle, das nur 26 Mal gebaut wurde. Das sind ruuche Autos, Böcke. Aber das gefällt mir.“ KOLT
April 2014
31
KOLT
April 2014
32
Wer keine halben Sachen mag, kann KOLT hier abonnieren, damits pünktlich zum Monatsbeginn im Briefkasten liegt. Autos wie dieser Chevrolet haben einen weiten Weg hinter sich. Um an die Ami-Schlitten zu kommen, reist Schibli immer wieder in die USA und verschifft die Autos dann per Containerschiff nach Europa.
”Mein erstes Auto zerlegte ich und brachte es nie mehr zusammen.“
und Frankreich. Seine eigene kleine Garage war da immer ein Rückhalt. „Ich wusste, dass ich nicht ewig auf Montage bleiben wollte und dann kam die Möglichkeit mit dieser Liegenschaft. Eigentlich wollte ich für mich eine kleine Garage mit einer Wohnung bauen. Erst dachte ich, hier sei es viel zu gross. Dann begannen die Gedanken zu kreisen und auf einmal dachte ich: Du kannst ja was versuchen. So kam ich vor drei Jahren hierhin. Vorher war ich sieben Jahre in Dulliken mit einer kleinen Garage. Ich schraube, seit ich sechzehn Jahre alt bin. Mein erstes Auto zerlegte ich und brachte es nie mehr zusammen.“ Mittlerweile ist das anders. Schibli ist in der Szene ein gefragter Mann. Auch weil er bei Reparaturen von bei ihm gekauften Autos sehr kulant ist, weil er sich um „seine“ Wagen kümmert. Bei ihm fährt man nach dem Geschäft nicht über die Schwelle und alles ist vergessen. „Schön ist auch,
KOLT
April 2014
33
dass die Leute, bei denen ich früher Kunde war mich mittlerweile empfehlen. Und ich mit diesen Koryphäen gleichauf bin“, freut sich Schibli. Er selber wurde aber auch schon gelinkt. „Die extremste Story ist, als ich einen Mustang anschauen ging und kaufte. Mein Shipper rief mich an, das ist nicht dein Qualitätsstandard. Ich meinte, doch, habs gesehen. Schöner Mustang. Als er ankam, war es überhaupt nicht das Auto, das ich gesehen hatte. Selbst mit Erfahrung ist man nicht gefeit.“ Schibli nimmt den letzten Schluck aus der Dose, draussen nachtschwarz und hinter uns glimmt rot und in Grossbuchstaben „Showroom“. Morgen wird gegenüber wieder gemecht, hier Wagen gezeigt, vorgeführt, Probe gefahren. Die goldenen Zeiten des Automobils existieren in Trimbach fort.
DER KOLTIGE MONAT / Veränderungen
Der Lenz ist da!
A
lso nicht der Pedro, sondern der Frühling. Und der macht ja vieles neu, es ist die Jahreszeit der Veränderungen. Auch bei uns. So haben wir zum Beispiel unser Redaktionsbüro mittels Frühlingsputz wieder mal auf Vordermann gebracht. Fensterputzen, Böden schrubben, Möbel umstellen und abstauben inklusive. Da macht es nun richtig Freude zu arbeiten! Und diese Freude möchten wir teilen:
Wir haben immer noch einen Arbeitsplatz zu vermieten. Sitzen würdest du dann vis-à-vis von David, welcher sich als Webentwickler Ende letzten Jahres bei uns eingemietet hat. Nebst deinem Arbeitsplatz gibts Internet, Drucker, Kaffeemaschine, Inspiration – und einen Pingpongtisch zur Mitbenutzung. Übrigens hat David mittlerweile tatsächlich zwei Partien im Pingpong gewonnen. Gratulation! Interessenten melden sich auf hallo@kolt.ch. Wir freuen uns auf dich!
Dann hat ja noch die Fasnacht den Frühling eingeläutet – welche wir fast alle unbeschadet überstanden haben. Abgesehen von Matthias, welcher ja im Schweizer Fasnachts-Hotspot, nämlich in Luzern, wohnt und da schon in den ein oder andern Konfetti-Regen geriet. Und zudem bis fünf Uhr morgens wachgehalten wurde durch Guggen auf der Gass. Matthias überlegt sich deshalb wieder eine Rückkehr nach Olten. Genauso wie unsere Praktikantin Gaia, welche momentan noch in Biel wohnt. Auch diese Veränderung freut uns sehr! Tipps für 1bis 2-Zimmerwohnungen nimmt sie natürlich gerne entgegen (gaia@kolt.ch).
und inspiriert ins erste Playoff-Spiel, fanden sie danach nie mehr zu alter Stärke. Eine Veränderung der Spieltaktik hätte vielleicht geholfen. Auf der Suche nach Veränderungen der guten Art ist unsere Redaktionsleiterin: Der Inhalt von
EHCO nicht von seiner besten Seite gezeigt und
KOLT soll Monat für Monat spannender und überraschender werden. KOLT hat seine Ohren und Augen zwar überall, aber manche Dinge entgehen auch unserer Aufmerksamkeit. Per Mail auf redaktion@kolt.ch nimmt Nathalie gerne Insidertipps und Hinweise für gute Geschichten und im Verborgenen liegende Themen entgegen. Und Sie, liebe Leserinnen und Leser können uns dabei helfen und erhalten als Dank mindestens einen Espresso aus unserer frisch entkalkten Kaffeemaschine.
sich bereits in der 1. Playoff-Runde verabschiedet, was wiederum Yves richtiggehend enttäuschte. Starteten die Powermäuse doch so überzeugend
Guten Frühling allerseits und auf einen guten nächsten koltigen Monat! Ihre KOLT-Redaktion
Leider hat sich während der Fasnachts-Zeit unser
KOLT
April 2014
34
Öffentlicher Vortrag zum Thema: Operative Sehkorrektur Dienstag, 13. Mai 2014, 19 Uhr Referentin: Prof. Dr. med. Maya Müller Anmeldung unter 0844 555 000 oder akademie@klinik-pallas.ch
Durchführungsort: Klinik Pallas, VEDIS Augenlaser Louis Giroud-Strasse 20, 4600 Olten
www.vedis.ch
KOLT
April 2014
35
Nur in Olten kann der Kater Kรถnig werden.
Willkommen in der kreativen Stadt.
SIO AG Generalvertretung COVER Rรถtzmattweg 66 CH-4603 Olten T +41 62 207 07 07 F +41 62 207 07 00 info@cover.ch cover.ch
KOLT
April 2014
36