KOLT #52

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Geht mal wieder raus! Seite 18


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Generalagentur Olten, Fabian Aebi-Marbach Baslerstrasse 32, «Römerhof», 4603 Olten Telefon 062 205 81 81, Fax 062 212 18 09 olten@mobi.ch, www.mobiolten.ch


EDITORIAL Mai 2014

Timing Als wir uns entschieden, ein KOLT zum Thema «Wald» zu machen, war vom Frühling noch nicht viel zu sehen, die Hügel rund um die Stadt präsentierten sich in allen Schattierungen zwischen Braun und Kahl. Während unserer Suche nach Menschen, die den Wald lieben, hegten wir einige Male Zweifel, ob wir den richtigen Zeitpunkt für diese Geschichte gewählt hatten. «Wie soll das auf den Bildern aussehen, wenn kein einziges grünes Blättchen zu sehen ist?», fragten wir uns. Und plötzlich, da fing es an zu spriessen. Junges Grün überschwemmte den Wald – und unsere Fotoshoots waren gerettet. Der Zufall wollte nicht nur, dass wir den Frühlingseinzug im Wald miterleben durften. Auch hätten wir im Bezug auf unsere Protagonisten keinen besseren Zeitpunkt wählen können: Moritz Ruoss (S. 24) stand kurz vor der Abschlussprüfung seiner Ausbildung zum Forstwart und Kreisförster Jürg Schlegel (S. 22) wird per Ende Mai nach drei Jahrzehnten im Amt in Pension gehen. Der Pilzsammler Patrick Käser erzählte im Vorgespräch, dass leider noch keine Morcheln zu finden seien, da der letzte Winter zu trocken gewesen ist. Und siehe da: Als wir uns dann mit ihm auf den Waldspaziergang begaben, stiess er wider Erwartens auf ein paar wirkliche Prachtexemplare. Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, schöne Lesestunden mit dem Mai-KOLT. Vielleicht setzen Sie sich damit auf eine Bank im Freien, vielleicht sogar im Wald. Das Timing könnte nicht besser sein.

Nathalie Bursać

REDAKTIONELLE MITARBEIT Kilian Ziegler, Pedro Lenz, Marc Gerber, Daniel Kissling, Caspar Shaller, Fabian Saner, Sarah Rüegger, Karola Dirlam-Klüh ILLUSTRATION Petra Bürgisser, Christoph Zedler FOTOGRAFIE Marvin Zilm, Yves Stuber LEKTORAT Hannes Zwicker LESERBRIEFE leserbriefe@kolt.ch, www.kolt.ch/leserbriefe AGENDA agenda@kolt.ch, www.kolt.ch/agenda ABO Jahresabonnement CHF 59.—(inkl. MwSt), Gönnerabonnement CHF 99.—(inkl. MwSt), abo@kolt.ch, www.kolt.ch/abo INSERATE inserate@kolt.ch, www.kolt.ch/inserieren KONTAKT www.kolt.ch, hallo@kolt.ch AUFLAGE 1'500 DRUCK Dietschi AG Druck und Medien, Ziegelfeldstrasse 60, CH-4600 Olten © 2014, Verlag 2S GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung. Die Urheberrechte der Beiträge bleiben beim Verlag. Keine Gewähr für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Illustrationen.

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Cover fotografiert von Marvin Zilm

IMPRESSUM VERLAG / HERAUSGEBER Verlag 2S GmbH, Leberngasse 17, 4600 Olten, verlag@v2s.ch, www.v2s.ch VERLAGSLEITUNG Yves Stuber (ys), Matthias Sigrist (ms) REDAKTIONSLEITUNG Nathalie Bursać (nb), redaktion@kolt.ch FINANZEN Matthias Gubler INTERNETAUFTRITT Mathias Stocker LAYOUT / SATZ Christoph Haiderer, Gaia Giacomelli


INHALT

GENUSS 24

KOLUMNEN

Musik Manchmal stösst man in dunklen Kellern auf gute Musik

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NaRr Die Idee von etwas mehr Zeit am Morgen

Film Jim Jarmusch rettet das Image der Vampire

Kilian Ziegler Vom krampfhaften Versuch seinen Tag sinnvoll zu nutzen

26 Literatur

9 Pedro & Petra Pedro Lenz wird anonym gegrüsst

6 Oltens König Salomo Wenn fremde Leute streiten, verlässt man gerne den Raum. Gerhard Reinmann bleibt. Schliesslich ist er Friedensrichter.

Erich Kästner hat vor 80 Jahren ein Buch über einen Hipster geschrieben

34 Der Koltige Monat

AUSLAND

Eine kleine Medienkritik

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Beilage

Im Exil

KULTUR / AGENDA

Menschen aus der Region berichten aus dem Ausland

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Zirkus

Reportagen

Wenn die Welt sich bewegt, bewegt sich der Circus Monti mit

Luigi Bonaventura ist Mafioso und der wichtigste Kronzeuge Italiens

5 Kabarett-Tage

18 Fünf Waldspaziergänge Olten ist umgeben von Wald. Und dort hat der Frühling Einzug gehalten. KOLT hat fünf Menschen getroffen, die auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Wald verbunden sind.

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Drei Geheimtipps für Kurzentschlossene


DAS GESPRÄCH

Oltens König Salomo Zuhören, Schlichten und bei Bedarf auch Richten, das muss der Friedensrichter von heute. In Olten tut dies Gerhard Reinmann seit gut drei Jahrzehnten, im Eckbüro Parterre hinter den Gardinen des Stadthauses.

von Fabian Saner (Interview) und Yves Stuber (Foto)

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Wer keine halben Sachen mag, kann KOLT hier abonnieren, damits pünktlich zum Monatsbeginn im Briefkasten liegt.

erhard Reinmann, der Friedensrichter richtet um des Friedens willen. Braucht es da eher Weisheit oder die Kenntnis der Reglemente? Unser Prinzip lautet: Zuerst schlichten – und richten nur dann, wenn es nötig ist. In den meisten Fällen geht es darum, den Leuten zuzuhören und eine Aussprache zu ermöglichen. Ich versuche dabei, die rechtliche Sichtweise einzubringen. Welche Fälle gelangen zu Ihnen? Das Friedensrichteramt existiert im Kanton Solothurn in jeder Gemeinde. Wir behandeln die leichten Fälle, etwa Verstösse gegen die Nachtund Sonntagsruhe, das Abfallreglement, wildes Plakatieren, ungemeldeten Wohnungswechsel oder das Schwänzen, etwa für die Stellungspflicht bei der Feuerwehr. Als Friedensrichter kann ich in solchen Fällen Bussen aussprechen, und, wenn diese nicht bezahlt werden, bis 5 Tage Freiheitsstrafe androhen. Ehrverletzungsklagen und Tätlichkeiten gehören seit 2011 nicht mehr zu meinen Aufgaben, als die Schweizer Straf- und Zivilprozessordnung vereinheitlicht wurde. Im Zivilrecht beschäftige ich mich etwa mit Nachbarschaftsstreitigkeiten oder einer Klage wegen missbräuchlicher Kündigung im Arbeitsrecht. Der Friedensrichter kommt hier aber nur dann zum Zug, wenn Kläger und Beklagter in Olten wohnen. Sie üben dieses Amt seit mehr als dreissig Jahren aus. Zuerst als Stellvertreter, seit 1998 als Friedensrichter aus. Wie haben sich die Verstösse oder die Empfindlichkeiten im Lauf der Zeit verändert? Generell kann ich sagen: Der Wille, sich etwa in der Feuerwehr für die Öffentlichkeit zu engagie-

ren, ist schon gesunken, vielleicht auch deshalb, weil dem Vereinsleben eine kleinere Bedeutung zukommt als früher und die Leute mobiler geworden sind. Deshalb muss ich relativ oft Verzeigungen aussprechen und mahnen. – Dass sich Nachbarn übers Waschküchenreglement streiten oder sich an der Grundstücksgrenze in die Quere kommen, das ist hingegen über die Jahre gleich geblieben. Meist steckt dahinter eine längere Geschichte. Typisch sind auch Lärmklagen, etwa in Mehrfamilienhäusern.

«Unser Prinzip lautet: Zuerst schlichten – und richten nur dann, wenn es nötig ist.» Ihre haarsträubendste und verrückteste Episode? Einmal sassen zwei Liebhaber derselben Frau hier mit mir am Tisch – die Frau war allerdings nicht dabei, und da gings dann schon sehr zur Sache mit gegenseitigen Vorwürfen. Eher kurios hingegen war die Klage eines Mieters gegen seinen Nachbarn; dessen aufziehbare Repetierstanduhr hatte einen angeblich unerträglichen Lärm verursacht. Ich weiss allerdings nicht mehr, was ich da entschieden habe. Vielleicht ist

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die Uhr auch irgendwann einfach stehengeblieben. Wie viele Strafbefehle stellen sie pro Jahr aus? 60 bis 100. Es hält sich also im Rahmen bei einer Stadt mit 16‘000 Einwohnern. Der Grossteil der Anzeigen ist mit einer Busse rasch erledigt. Nur in 10 Prozent der Fälle kommt es zu Einsprachen bzw. zu Anträgen, die ausgesprochene Busse in die angedrohten Tage Haft umzuwandeln. Das Friedensrichteramt ist eine Einrichtung der Gemeinden und Städte, während die Straf- und Zivilgerichte von Kanton und Bund getragen sind. In vielen Gemeinden gibt es Probleme, dieses Amt geeignet zu besetzen. Ist es nicht ein Relikt aus einer Zeit mit anderen Ehrbegriffen? Strafrechtlich übt der Friedensrichter heute seine Funktion in der Durchsetzung des Gemeinderechts aus. Tätigkeitsfelder wie üble Nachrede, Verleumdung, Beschimpfung oder einfache Körperverletzung hat er nicht mehr zu bearbeiten, dafür sind die umweltgerechte Abfallentsorgung oder das Einhalten der Vorschriften bei Prostitution vermehrt in das öffentliche Bewusstsein getreten. Zivilrechtlich kann ich effizient viele Fälle abschliessen und erspare den Parteien und den höheren Gerichten damit viel Aufwand.

Gerhard Reinmann, 67, ist seit 1998 nebenamtlicher Friedensrichter der Stadt Olten. Ab 1981 hatte er die Stellvertreterfunktion inne. Hauptberuflich war Reinmann bis zu seiner Pensionierung 2012 als Gemeindeschreiber der Oltner Bürgergemeinde tätig.


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NaRr

KILIAN ZIEGLER

von Selina Bosshard

Tage, die keine sind

Bettgeschichte Er lag im Bett mit ihr. Sie lag im Bett mit ihm. Beiden war die Nähe des anderen wichtiger als die Matratze oder die Decke. Genau deshalb blieben sie liegen, im Bett, das knarzte, wenn sie sich bewegten. Beide wussten sie nämlich, was vor ihnen schon der Stalljunge und die Königstochter gewusst hatten: Der Morgen bringt das Ende. Also sperrten sie ihn raus, den Morgen, liessen die Jalousien zu, zogen dem Wecker, nachdem er geläutet, vor dem Ende gewarnt hatte, den Stecker raus, sodass die grünen Zahlen erloschen, die Zeit verschwand. «Lass uns einfach nicht aufstehen», sagte er zu ihr. Sie streichelte ihm über den Arm. Ihre Köpfe blickten hoch an die weisse Decke, einander gewiss. «Das würde ein schönes Foto abgeben», sagte sie und er: «Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn jeder Mensch über eine gewisse Menge an Extra-Zeit verfügen könnte. Sagen wir 5 Stunden pro Monat, ja pro Monat, natürlich wäre pro Woche schöner, aber pro Monat würde reichen. 5 Stunden, die er dann einlösen könnte, wann er wollte, wenn er im Stress ist oder einfach liegen bleiben möchte, wenn er schnell nachdenken oder länger tanzen möchte.» Sie lächelte, was er weder hörte noch sah, sondern spürte, Haut an Haut. Trotz der geschlossenen Fenster, trotz der heruntergelassenen Jalousien und trotz des ausgezogenen Weckers, konnten sie hören, wie draussen die Autos vorbeifuhren. Selina Bosshard (*1984) ist Verlagsbuchhändlerin und lebt in Dietikon. www.dasnarr.ch

In meinem Horoskop steht, man dürfe Horoskopen nicht trauen. Ich bin skeptisch ob dies stimmt. Sowieso weiss ich heute nicht, wie meine Gedanken ordnen. Verstreut klettern sie in Tagträume und wollen nicht mehr raus. So studiere ich an diffusen Projekten herum, beispielsweise denke ich darüber nach eine Sitcom über bekannte Soziologen zu schreiben – aktuelle Arbeitstitel: «How I met your Mäder», «das Fenster Imhof» und «Herr Luhmann». Ob jemals etwas daraus wird? Kaum. So lebe ich in den Tag hinein. Wobei... leben ist das falsche Verb. Stolpern passt besser, wenn auch nicht perfekt, stolpern lässt eine Vorwärtsbewegung vermuten, doch komme ich nicht vom Fleck. Dies ist nicht nur metaphorisch gemeint, heute stehen mir alle im Weg. «Entschuldigung, gnagige Frau, können sie bitte noch etwas langsamer gehen. So stehen sie mir nur sehr fest im Weg und es besteht theoretisch noch die Möglichkeit vorwärts zu kommen. Es wäre ja schade, wenn ich in diesem Monat noch mein Ziel erreichen würde.» Natürlich sage ich nichts, seufze leise. Nichts kriege ich auf die Reihe. Nicht einmal in die Nähe der Reihe. Ehrlich gesagt weiss ich nicht, wo, geschweige denn was die Reihe genau ist. Jedenfalls ist sie ganz woanders. Tage wie dieser sind keine Tage, sie sind Platzhalter, man will sie nutzen aber es geht nicht. Vergebens versuche ich zu meditieren und meine Gedanken in den Schneidersitz zu drücken, aber sie wollen nicht.

Mensch, das kann’s doch nicht sein. Ich habe genug. Ich kündige das Streckenabonnement durchs Jammertal und sitze an den See (das ist metaphorisch gemeint, Olten hat keinen See). Ich hole die Beatles auf meine Kopfhörer – mein Instant-Endorphin –, nehme Blatt und Papier zur Hand und beginne zu schreiben: Pierre Bourdieu betritt die Szene [Applaus aus dem Off], Ueli Mäder und Kurt Imhof sprechen gerade mit den Medien [Publikum lacht]. Zwölf Stunden und 128 vollgeschriebene Seiten später schaue ich auf. Über dem See ist es dunkel geworden. Es ist vollbracht.

«Vergebens versuche ich zu meditieren und meine Gedanken in den Schneidersitz zu drücken, aber sie wollen nicht.»

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MEHR ALS EINE DRUCKEREI

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...

Ich gehe in mein Atelier, tippe das Skript ab und schreibe meinem Verleger eine Mail: «Hossa, Herr Verleger! Neue Idee, Soziologen-Sitcom, ultralustig. Schau’s dir an. Es kommen sogar Collies vor! Grüsse, Ziegler. PS: You can edit if you really want. LOL!». Es ist Mitternacht, ich schliesse den Laptop und lese das Horoskop des neuen Tages: «Der Diem carpt sich nicht von selbst» und ich glaube ihm. Eine gute Zeit La vache Kili

PS: Falls es mit der Sitcom nicht klappen sollte, verfasse ich ein Drehbuch über ein glamouröses Papierformat, Arbeitstitel: A3 Hepburn.

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PEDRO & PETRA

Kennen wir uns? von Pedro Lenz (Text) und Petra Bürgisser (Illustration)

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in und wieder werde ich spätabends am Bahnhof von anderen Reisenden angesprochen, auffällig laut angesprochen, mit Vor- und Nachnamen. Und wenn ich mich dann einen kurzen Moment lang überrascht zeige und ernsthaft darüber nachdenke, woher ich die Person kennen könnte, die mich gerade so überzeugt und derart laut mit Vor- und Nachnamen angesprochen hat, folgt meist die Frage, ob ich denn nicht der sei, als der ich eben angesprochen worden bin. In der Regel ist diese Frage freilich gar nicht als Frage gemeint, sondern als Selbstbestätigung. Es ist als müssten die Leute, die mich so laut und so überzeugt mit Vor- und Nachnamen ansprechen, sich selbst bestätigen, dass sie sich in Bezug auf meine Identität nicht getäuscht haben. Ich gebe dann jeweils gerne zu, dass sie vollkommen richtig liegen und mir sowohl meinen Vor-, als auch meinen Nachnamen korrekt zugeordnet haben. Dann nickt die Person, die mich angesprochen hat, als wollte sie voller Stolz verkünden: «Habe ich es doch gewusst!» «Kennen wir uns?», frage ich hierauf ernsthaft besorgt, weil ich noch immer glaube, die fragende Person müsste mir bekannt sein und mir falle jetzt einfach nicht mehr ein woher. «Sie kennen mich nicht, aber ich kenne Sie!», lautet oftmals die Antwort, die mir wenig weiterhilft.

Wer keine halben Sachen mag, kann KOLT hier abonnieren, damits pünktlich zum Monatsbeginn im Briefkasten liegt. «Dann frage ich möglichst höflich: ‹Wer sind denn Sie?› – ‹Ich? Ach, wissen Sie, ich bin niemand!›, bekomme ich nicht selten zu hören. Das ist ein bisschen irritierend.»

Normalerweise ist das Gespräch an dieser Stelle beendet. Es kann aber auch vorkommen, dass ich noch wissen möchte, wer denn die Person ist, die mich so laut und so überzeugt mit Vor- und Nachnamen angesprochen hat, nur so, aus Interesse an einem Mitmenschen, der eine Art Gespräch angefangen hat, das überhaupt kein richtiges Gespräch werden kann. Dann frage ich möglichst höflich: «Wer sind denn Sie?» – «Ich? Ach, wissen Sie, ich bin niemand!», bekomme ich nicht selten zu hören. Das ist ein bisschen irritierend.

Irritation liesse sich vielleicht durch ein freundliches Lächeln überspielen. Eigenartigerweise bekomme ich das Lächeln jedoch nicht recht hin. Es will mir einfach nicht gelingen, jemanden anzulächeln, der mir mehrmals meinen Vor- und Nachnamen ins Gesicht brüllt und danach von sich selbst nicht einmal den eigenen Namen preisgeben mag. «Also dann...», versuche ich in solchen Fällen der missglückten Kommunikation ein möglichst schmerzloses Ende zu bereiten. Dabei müsste ich gar nichts mehr sagen, denn meist ist die fragliche Person längst schon um die nächste Ecke verschwunden, während ich noch eine Weile dastehe und zu ergründen suche, warum manche Menschen so sind wie sie sind.

Feinste Kaliber von NOMOS Glashütte.

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IM EXIL

«Als würde er im Nirwana entspringen» Menschen aus der Region berichten aus der Welt – dieses Mal aus einem patagonischen Reisebus, einem Flugzeug auf dem Weg in die USA, von einer thailändischen Totenfeier und vom Ende eines Wasserfalles in Laos.

In der Luft, auf dem Weg nach Amerika Bo Thong, Thailand

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ie jedes Jahr hat sich die Familie zum Todestag der Grossmutter im Tempel Wat Rat Bamrung getroffen. Die Vorbereitungen waren riesig. Alle Geschwister, Tanten, Onkel, Schwiegersöhne und -töchter, deren Kinder und Grosskinder, Freunde und Bekannte, alles kam frühmorgens um 7.30 Uhr im Tempel an. Es wurde tellerweise Gekochtes und Gebratenes, ganze Hühnchen, Früchte, Spirituosen, sogar Bier und Whisky ausgepackt, rund um die Urne ausgebreitet und mit Blumen geschmückt. Essen durfte man davon aber nichts. Nach langem Warten und totaler Ungewissheit meinerseits kamen drei Mönche. Alles kniete nieder und betete 10 Minuten lang in Sanskrit. Daraufhin verschwanden die Mönche wieder und endlich durften die Geschenke an die Verstorbene übergeben werden. Wir hatten uns vor der Zeremonie auf dem Markt mit Geschenken in Papierform eingedeckt. Diese durften jetzt ins Feuer geworfen werden. Darunter war nebst Papierschuhen, -Wäsche, -Schmuck, -Gold, -Geld auch einige zeitgenössische Produkte zu finden. Nur das Beste für die Grossmutter, dachte ich mir und habe ihr deshalb ein SAMSUNG Galaxy S4 und einen Toyota HILLUX Pick-Up Truck gekauft. Als sich schliesslich meine Geschenke in Rauch auflösten, fragte mich der Onkel, ob ich eigentlich wüsste, dass die Grossmutter bereits seit 19 Jahren tot ist und sie weder den Führerschein, noch einen blassen Schimmer von Technologie hatte.Wir haben beide gelacht und waren uns einig, dass es NIE zu spät ist, etwas Neues zu lernen.

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enn man als junger Mensch, in der Schweiz aufgewachsen, erstmals auf Reisen geht, kommt man oft mit Eindrücken zurück die unser Land und seine Leute als Zentrum der Langeweile katalogisieren. Und zugegeben, unser Bünzlitum und Pflichtbewusstsein, die Rechtschaffenheit und der damit verbundene sprichwörtliche Stock im Arsch sind angesichts der Vielfalt und der Verrücktheit der weiten Welt auch wirklich keine Dinge, die sehr attraktiv wirken. Und ganz bestimmt nicht für die Augen und Ambitionen eines Zwanzigjährigen. Ich dachte genauso, und versuchte der Schweiz bei erstmöglicher Gelegenheit zu entkommen. Ich war (und bin immer noch) der Meinung, dass viele sich von unserer Bescheidenheit und unserem Sicherheitsbedürfnis hemmen lassen. Da wäre mehr drin! Aber je älter ich werde, desto differenzierter wird auch mein Blick auf meine Heimat und seine Leute. Und immer mehr kann ich mich mit dieser Schweizer DNA abfinden, der sich kaum jemand der hier Aufgewachsenen entziehen kann. Unsere Werte sind vielleicht nicht sehr sexy. Aber Grössenwahn Innovation entgegenzustellen wird immer eine gewisse Klasse haben. Cyril Müller, 32, aus Olten, lebt in der Schweiz und Österreich und nutzt die Zeit im Flugzeug gerne zum Philosophieren.

Jo Schlapbach, 31, stammt aus Wisen und lebt in Bangkok.

 Schule für Kunst und Mediendesign Flurstrasse 89 8047 Zürich www.ffzh.ch

Grafische-Mode-Kunst-Fotografie. Jetzt anmelden für die Studiengänge: Film HF, Fotografie HF, Bildende Kunst HF, Visuelle Gestaltung HF, Modedesign sowie Gestalterischer Vorkurs/ KOLT Mai 2014 10 Propädeutikum, Grafikfachklasse EFZ und viele Weiterbildungen. Weitere Informationen gibt es an unseren monatlich stattfindenden Infoabenden.


Wer im Ausland lebt oder seine Ferien jenseits der Grenze verbringt, ist herzlich eingeladen, KOLT einen Beitrag für diese Rubrik zu schicken: ein Bild und max. 1000 Zeichen Text an redaktion@kolt.ch.

IM EXIL

Luang Prabang, Laos

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uang Prabang erweist sich als ein Ort mit Stil, durchsetzt mit kolonialzeitlichen Gebäuden, stimmungsvollen französischen Cafés und vielen reichhaltigen buddhistischen Tempelanlagen. Die Stadt blickt auf eine fast 500-jährige Geschichte zurück. Wir fühlen uns wie zuhause hier und lassen uns vom Charme Luang Prabangs gerne gefangen nehmen. Grosszügig schauten wir über die geballte Ladung Tourismus hinweg. Eine Stunde per Boot flussabwärts und anschliessend 15 Minuten auf der Brücke eines Kleinlastwagens – dies ist unser Anreiseweg zum Wasserfall von Kuang Xi. Jetzt stehen wir vor einem marineblauen, natürlichen Becken, inmitten einer urwaldartigen Landschaft, sehen, wie das Wasser sich von der nächst höheren Ebene herunterstürzt, steigen einige Schritte weiter hinauf, entdecken einen zweiten Pool, von allen Seiten sprudelt das Wasser, braust und gluckst, und weiter oben wieder dasselbe und doch immer wieder ein neues Bild, bis wir zuoberst den eigentlichen Wasserfall vor Augen haben. Er ist nicht unendlich hoch; und doch scheint es, das Wasser entspringe im buddhistischen Nirwana. Ich spüre so etwas wie vollkommene Harmonie; die Landschaft hat für mich etwas Paradiesisches. Wie Hermann Hesses Siddhartha könnte ich tagelang hier sitzen und dem Wasser zuhören.

Im Bus, Patagonien

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ährend meiner langen Reise Richtung Ende der Welt sass ich in einem grossen Reisecar, mit mir waren vielleicht noch acht andere Personen. Auf der Route 40 ging es quer durch die patagonische Pampa. Stundenlang fuhren wir teils über geteerte Strassen und teils auf Schotterpisten. Meistens sah ich Rehe abseits der Strasse, die das gelbe Steppengras frassen und ab und zu huschten ein paar patagonische Vogelsträusse (1 Meter gross) quer über die Landstrasse. Ein paar Stunden waren vergangen, als sich ein beissender Geruch zu verbreiten begann. Wir fragten den Reisebegleiter, woher der Geruch käme. Als er zu uns nach hinten kam, äusserte er die Vermutung, dass sich ein Stinktier in den Bus geschlichen hatte. Wir schauten uns im Bus um, doch konnten wir den blinden Passagier nicht finden. So kam es, dass das Stinktier mit uns bis nach El Chalten mitfahren durfte – gratis natürlich. Zu Hause hängen wir kleine Duftbäumchen mit Pinien-, Zitronen-oder Frühlingsfrisch im Auto auf, um den Fahrspass zu fördern. In Patagonien aber versteckt man Stinktiere, um die Spannung im Bus beizubehalten.

Armin de Toffol, 65, aus Jegenstorf ist pensionierter Journalist und antwortet auf die Frage nach dem Grund für seine Reise mit: «Braucht es Gründe?»

Tani Dang, 32, aus Olten, ist gerade von seiner dreimonatigen Südamerika-Reise zurückgekehrt.

7. Mai – 17. Mai 2014 schön&gut Claus Widmer Schertenlaib & Jegerlehner Le Siffleur Gabriel Vetter Franz Hohler Jochen Malmsheimer Sebastian Schnoy Timo Wopp Jess Jochimsen und Manuel Stahlberger Niccel Steinberger Bänz Friedli Alfred Dorfer Nina Dimitri und Silvana Gargiulo

Proseccopack Pfannestil Chammer Sexdeet Thomas Kreimeyer Philipp Weber Abdelkarim Johnny Burn Javier Garcia Peter Hottinger Renato Kaiser Daniel Ludwig Philippe Nauer Charles Nguela Margret Nonhoff Sergio Sardella Anette Herbst

Müslüm & Band Anina Barandun Lukas Holliger Chin Meyer Marcel Kösling Jan Rutishauser Maria Vollmer Schwarze Grütze Piet Klocke Nils Heinrich Philipp Galizia Esther Hasler Uta Köbernick und Heinz de Specht Nils Althaus KOLT Mai Strohmann-Kauz

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REPORTAGEN

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u musst wissen, welcher Knopf der richtige ist. Es ist eine typische italienische Klingelanlage: mattsilberne, runde Knöpfe, auf den Schildern daneben sind Namen eingraviert. «Bonaventura» brauchst du gar nicht erst zu suchen. Doch neben einem Knopf klebt ein handbeschriebener Zettel mit einem anderen Namen, seinem Tarnnamen. Es wirkt, als würde jemand hier nur für ein paar Wochen leben, vorübergehend. Der Zettel hängt jedoch seit Monaten. Diesen Knopf drückst du. Ein Summen, ein kurzes Knattern, die Tür fällt hinter dir krachend ins Schloss, und du bist in einem Hauseingang: auf festem Marmor, die Wände sind ebenfalls marmorgefliest, bis ganz nach oben, die Decke ist freundlich gestrichen. Die Tür zum Aufzug stemmt sich wie jede Aufzugstür zunächst gegen das Aufziehen, dann kommt sie dir mit Schwung entgegen. Du drückst ein weiteres Mal auf einen Knopf, diesmal einen schwarzen, fährst einige Stockwerke nach oben und stehst vor einer Tür, einer normalen italienischen Wohnungstür in einem normalen italienischen Wohnhaus; sie scheint aus Holz zu sein, ist aber aus Metall. Diese hier ist sogar eines jener Modelle, die beim Schliessen mehrere Riegel in den massiven Türrahmen treiben, weil in Italien doch so viel gestohlen wird. Vor Schüssen aber schützt sie nicht. Luigi Bonaventura öffnet die Tür. Du könntest ihn jetzt töten, wenn du ein Killer wärst, jeder könnte es tun, keiner hat dich bisher aufgehalten, es wäre ein Leichtes. Du könntest den Schalldämpfer aufschrauben, wie er es früher auch getan hat, und niemand bekäme etwas mit, du hättest genug Zeit zu entkommen. So wie du eben ins Haus gekommen bist, so hat er es sich oft ausgemalt. Er will vorbereitet sein. Aber auf den Tod kann man nicht vorbereitet sein. Du sagst Hallo, freust dich über das Wiedersehen und umarmst den Mann, der jetzt einen neuen Nachnamen trägt. Du umarmst nicht Luigi Bonaventura, den Mafiaboss, nicht den Killer, an dessen Händen Blut klebte, den Drogenhändler, den Mann hinter den Auftragsmorden. Du umarmst Luigi, den Freund. Nur, so einfach ist das nicht zu trennen, am wenigsten für deinen Freund selbst. Denn der Mann, der einmal Luigi Bonaventura hiess, ist immer noch Luigi Bonaventura, auch wenn er täglich dagegen ankämpft. Weil du ein Mafialeben nicht einfach vor der Tür abstellen kannst wie ein Paar schmutzige Schuhe. Es klebt an dir wie Pech. Er stellt die Fragen, die man in solchen Situationen stellt. Wie die Reise war, zum Beispiel. Der

Mann, der inmitten des Raumes stehen geblieben ist, ist nicht mehr so dürr, seine Haare sind länger. Ein verwegen anmutender Bart wächst nun um seinen Mund herum, wie ein Liedermacher sieht er aus. Die Nase ist immer noch etwas zu gross für dieses Gesicht, auch wenn es rundlicher geworden ist. Ansonsten ist Luigi eine unauffällige Erscheinung. Seine Stimme aber, ein kratziges Klanggemisch aus verraucht, hoch und scharf, ist prägnant. Luigi freut sich, dich zu sehen, er lächelt warm. Du schaust dich um und blickst auf kahle Wände. Luigi und die Wohnung, sie haben sich noch immer nicht versöhnt. Andere Kronzeugen haben hier gewohnt, andere Polizisten sind durch die Tür gegangen, doch die Nachbarn hinter den Mauern, den Türspionen sind dieselben geblieben, und mit ihnen die Fragen, die sie sich stellen.

REPORTAGEN

Mafioso ausser Dienst Luigi Bonaventura ist Italiens Kronzeuge Nr. 1. Jetzt wartet der ehemalige Auftragsmörder auf den Prozess. von Sandro Mattioli

Das Tischchen neben dem Durchgang zum Flur ist jetzt leergeräumt. Beim letzten Besuch türmten sich dort, wo einem nun ein glücklicher Salvatore nebst Papa, Mama und Schwester Syria entgegenlächelt, Aktenberge auf. Du denkst: ein gutes Zeichen. Luigi trägt auf dem Foto einen schicken beigen Anzug aus Merinowolle und legt vorsichtig den Arm um seinen Sohn. Er zwingt sich, unbeschwert auszusehen, sein Blick wirkt jedoch abwesend. Auf Salvatores weisser Kutte prangt ein grosses Kreuz. Es ist seine Erstkommunion, die Aufnahme in die katholische Kirche. Syria neben ihm hält schüchtern eine kleine Handtasche mit eingestickten Blümchen. Paola, hinter ihr, sieht man sogar auf dem Foto an, dass sie der Ruhepol der Familie ist. Sie lächelt. Elegant sind sie alle, vor

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allem Paola mit der violetten Stola, die sie sich um die blanke Schulter geworfen hat. Was Luigi und Paola auf dem Bild tragen, hat sehr viel Geld gekostet. In ihrem Kleiderschrank hängen Krawatten von Kenzo Homme, 150 Euro, stehen handgenähte Schuhe, das Paar zu 500 Euro. Doch die Kleider sind von damals. Jetzt haben die vier genau 1540 Euro im Monat zur Verfügung. «Lass uns arbeiten», sagt Luigi, geht zum Esszimmertisch und klappt den Laptop auf. Das Internet ist seine Nabelschnur zur Welt. Am Bildschirm liest er, was draussen passiert, kommuniziert über Facebook mit Freunden, streut Nachrichten über die 'Ndrangheta. Paola ist noch nicht zu Hause, sie holt die Kinder von der Schule ab. Luigi hat zwar keine Geheimnisse vor ihnen. Er lässt sie sogar entscheiden, welchen Journalisten er Interviews gibt. Aber inzwischen arbeitet er doch lieber, wenn die beiden nicht da sind. Luigi will eigentlich nicht im Rampenlicht stehen. Erst recht nicht die Öffentlichkeit um Vergebung anflehen. Er will keine Vergebung. Er will nur, dass die 'Ndrangheta nicht weiterwuchert, will das Böse stoppen. Wer könnte das besser kennen als er, der in sie hineingeboren ist, mit ihr aufgewachsen ist, sie ewig in sich trägt, der Soldat in ihrem immerwährenden Krieg war, dann ihr Stratege, schliesslich Herr über die mächtigste 'Ndrangheta-Gruppe in Crotone, einer ihrer drei Hochburgen in Italien. Der die Gewalt, das Schlachten der Gegner kennt, die Ideologie vom Blut am eigenen Körper spürte, die Hingabe zur mamma, die Unterordnung: la famiglia. Fünf Jahre lang war Luigi Bonaventura Kronzeuge, ohne je mit Journalisten gesprochen zu haben. Immer noch hat er auf Interviews keine Lust, geht Journalisten lieber aus dem Weg. Doch er hat verstanden, dass der Staat ihn nicht will. «Ich bin der Spiegel für seine Sünden», sagt er. Und darum kämpft er nun mit einer Waffe, deren Gebrauch er erst erlernen musste. «Ich wurde erzogen zu schweigen, immer nur zu schweigen», sagt er, «jetzt muss ich erst die Worte finden für das, worüber ich schweigen sollte.» Luigi berichtet, wie die 'Ndrangheta Politikern Stimmen kauft und sie am Gängelband hält, berichtet über Verhandlungen zwischen der 'Ndrangheta und dem italienischen Staat nach dem Massaker 2007 in Duisburg, bei dem sechs Mafiosi umgebracht worden sind. Solche Bilder sollten nicht weiter zu sehen sein, nicht im Ausland, darauf habe man sich geeinigt, er weiss das aus erster Hand. Luigi berichtet über Fussballer, die mit Mafiaclans verbandelt sind. Seine Familie zum Beispiel hat in Salvatore Aronica inves-


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tiert, der dann für den SSC Neapel in der Champions League spielte. Stillsitzen kann er dabei nicht, er springt auf, gestikuliert, läuft hin und her, nervös, rastlos. Du fragst dich, woher er die Energie dafür nimmt, schläft er doch nur wenige Stunden pro Nacht. Aber es ist sein Anliegen, das ihn antreibt: Er muss seine Familie in Sicherheit bringen. Luigi berichtet über den Drogenhandel, den Waffenhandel, die Kontakte zur Cosa Nostra. Für zehn Staatsanwaltschaften in ganz Italien und sogar in Stuttgart stand er Rede und Antwort. Solche Gespräche, auch Interviews, machen ihn müde, doch er peitscht sich durch. Luigi zählt nicht mit, wie viele Jahre Haft nach seinen Aussagen zusammenkamen. Andere tun es. «Ein Journalist kam einmal auf mehr als tausend», sagt er. Wer mit seinen Aussagen so viele Leute beschuldigt, hat in Italien mehr Feinde als Freunde. Deshalb will Luigi, dass die Reflektoren, die ihn im Licht halten, sich nicht von ihm abwenden. Deswegen bezeichnet er sich selbst als Kronzeugen Nummer 1, den wichtigsten in Italien derzeit. Nicht weil er sich rühmen will. Sondern weil er sich sicherer fühlt, ein kleines bisschen wenigstens, solange er im Licht der Öffentlichkeit steht. Darum bist du da.

Luft scharf und laut durchschneidet. Sondern weil mit einem simplen Klingeln an der Wohnungstür die Illusion eines normalen Familienlebens in Sekundenbruchteilen implodiert. Es ist inzwischen früher Abend; Carmine, Paolas Bruder, ist nach dem Mittagessen vorbeigekommen. Er geht zum Türspion. «Niemand zu sehen», sagt er wie zu sich selbst, fragend. Die Furcht springt sogleich hinter der dünnen Routine hervor. Du gehst zum Türspion, lugst durch das dunkle Loch und siehst, wie sich ein verzerrter Schatten von links ins Bild schiebt. Nur ungefähr ist das Etwas zu erkennen, am unteren Rand, es könnten blonde Haare sein. Luigi ergreift die Initiative, stellt sich vor die Tür, drückt die Klinke durch und steht ungeschützt im Flurlicht von draussen. «Hallo, ich bin Giulia, Syria wollte mir zwei Hefte geben», hörst du eine zarte Mädchenstimme. Carmine atmet tief durch. Luigi ist nichts anzumerken. «Giulia, Syria ist nicht zu Hause. Aber sie gibt dir die Hefte nachher sicher gerne, ja?»,

Den Anfang machte im Frühling 1973 ein Mann, Leonardo Vitale, noch keine 32 Jahre alt. Er kam aufs Polizeipräsidium von Palermo und erklärte, er wolle ein neues Leben beginnen. Dann packte er aus. Zunächst beschuldigte er sich selbst zweier Morde, dann berichtete er über die Struktur der Clans, nannte die Namen der grossen Bosse – Salvatore Riina, Vito Ciancimino, Bernardo Provenzano – und belastete viele Kumpane. Ein Mafioso, der die Omertà verletzte, das Schweigegelübde, das war unvorstellbar! 40 Festnahmen folgten. Aus Leonardo Vitales neuem Leben wurde jedoch nichts: Er wurde im Gefängnis für verrückt erklärt und in eine Irrenanstalt eingewiesen. Die aufgrund seiner Aussagen angeklagten Männer kamen alle frei – ausser sein Onkel und er selbst. Erst 1984 wurde Vitale aus der Psychiatrie entlassen; zwei Monate später erschoss ihn ein bis heute nicht ermittelter Mann – an der Seite seiner Mutter, an einem Sonntag, sie kamen gerade aus der Kirche. Seine Anschuldigungen erwiesen sich später alle als zutreffend.

Wer keine«Er halben Sachen mag, will keine kann KOLT hier abonnieren, Vergebung. Er will nur, dass diezum damits pünktlich 'Ndrangheta nichtim Monatsbeginn weiterwuchert,liegt. will Briefkasten

Bei deinem letzten Besuch hat Luigi dir die tirata vorgeführt, ein antikes Initiationsritual der 'Ndrangheta. «Das hast du noch in keinem Buch gelesen», hat er stolz gesagt und Paola gebeten, ihm eine Jacke, ein Messer und etwas Klebeband zu bringen. Die Jacke hat er sich dann um den Ärmel gewickelt und mit dem Klebeband fixiert, das Messer in der Hand. Dann hat er angefangen, die Sprüche auszustossen, rituellen Gesängen gleich, immer schneller, das Staccato, immer wieder onorata società, ehrenwerte Gesellschaft, und Blut, Blut, Blut, fast schon wie besessen, mit weiten Pupillen hat er die Luft zerschnitten, hat durch den Raum hindurch und in sein altes Leben geschaut. Es hat dich fürchten und schaudern lassen. Und du hast gespürt, dass diese seine Vergangenheit noch lange keine Vergangenheit ist, sondern von ihm mühsam mit einer dünnen Schicht neuen Lebens bedeckt worden ist. Sein Opa habe nur mit Messern gekämpft, berichtet Luigi später, jetzt wieder am Esszimmertisch sitzend. Wenn jemand die Pistole auf ihn gerichtet habe, hätte er diesen aufgefordert, ehrenhaft zu kämpfen. Zu jener Zeit verkaufte die Mafia noch keine Drogen und tötete keine Kinder, es gab einen Ehrenkodex. Vielleicht war die Gesellschaft damals tatsächlich ein Stück weit ehrenwert. Es ist eigenartig, wie ein simples Geräusch die Stimmung verändert. Nicht, weil der Ton die

das Böse stoppen.»

antwortet er freundlich. «Okay», flötet Giulia und verabschiedet sich wieder. Luigi schliesst die Tür, dreht den Schlüssel zweimal um. Niemand sagt etwas. Die Aufnahme ins Kronzeugenschutzprogramm ist ein Papier, sechs Seiten, ein Vertrag zwischen Luigi und dem italienischen Staat. Er hat ihn offen vor sich auf den Tisch gelegt. «Streng vertraulich, Weitergabe verboten», steht darauf. Luigi darf keinen Kontakt zu Kriminellen haben, sich nichts zuschulden kommen lassen und muss für Vernehmungen zur Verfügung stehen. Italien verpflichtet sich im Gegenzug, ihn an einen geheimen Ort zu bringen, ihm Schutz zu bieten und ihn ins Sozialleben wiedereinzugliedern. In Sizilien erwies sich das Programm als mächtiges Instrument im Kampf gegen die Mafia. Es hat die Cosa Nostra so geschwächt, dass die 'Ndrangheta sie inzwischen unter ihre Fittiche genommen hat.

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Ungefähr zur gleichen Zeit machte ein weiterer wichtiger Kronzeuge vor dem Richter Giovanni Falcone seine erste Aussage. Tommaso Buscetta, so sein Name, erhielt dafür weitgehend Straffreiheit, eine lebenslange Rente und eine neue Identität in den USA, wo er im Jahr 2000 verstarb. Diese zwei Männer gaben der Polizei erstmals Einblick in das Innerste der Mafia. Dennoch trat erst sieben Jahre später ein Gesetz in Kraft, welches das Kronzeugenschutzprogramm regelte. Motor dessen waren die Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die beide 1992 von der Mafia unter Beteiligung italienischer Geheimdienstagenten in die Luft gesprengt wurden.

Im Jahr 2001 wurde das Gesetz neu aufgelegt. «Legge bavaglio», Maulkorbgesetz, nennt es Antonio Ingroia, der profilierteste AntimafiaStaatsanwalt Siziliens. Ingroia ermittelte wegen Verstrickungen zwischen Politikern aus dem Berlusconi-Lager und der Mafia, er führte den Prozess gegen die Hintermänner der Morde an Falcone und Borsellino und klagte in diesem Zusammenhang die beteiligten früheren Geheimdienstagenten an. Bald darauf bat er um seine Versetzung, er wolle in Guatemala im Auftrag der Uno gegen Drogenkartelle vorgehen. Inzwischen hat er sich von der Justiz verabschiedet. Die 'Ndrangheta ist derweil zur mächtigsten kriminellen Organisation in Europa erstarkt. Anders als bei der Cosa Nostra sind ihre Mitglieder schwer als Kronzeugen zu gewinnen. Man sollte also meinen, der Staat bemühe sich um seine Kronzeugen, halte seine Verpflichtungen ein, schütze sie. Weit gefehlt. Das wichtigste Mittel im


REPORTAGEN

Kampf gegen die organisierte Kriminalität ist Italien gerade einmal 50 Millionen Euro pro Jahr wert. In der Praxis besteht das Programm für Luigi und seine Familie in der monatlichen Zahlung und einem wöchentlichen Besuch von zwei Männern der Polizeieinheit. Ob alles okay sei, fragen sie. Wenn Luigi zu einer Vernehmung irgendwo in Italien muss, reist er zwar mit einer Eskorte. Seine Familie aber beschützt niemand. Und die zugesagte Wiedereingliederung ins Arbeitsleben steht nur auf dem Papier. An einem Morgen holt dich Carmine wie immer mit seinem kleinen Auto am Hotel ab. Es sind zwar nur fünf Minuten zu Fuss zur Wohnung, aber es ist dir lieber so, vor allem nachts, wenn du heimgehst. Schon während Carmine auf den Parkplatz einbiegt, winkt dir jemand wild und lachend vom Beifahrersitz entgegen: Es ist Luigi, eine Überraschung. Seit ihn ein paar Mafiosi von anderen Clans mehrmals in der Stadt abgepasst haben, verlässt er das Haus so gut wie nie, und wenn, dann alleine. Damit sie nur ihn treffen. Immer bleibt jemand in der Wohnung, damit keiner Waffen oder Drogen hineinschmuggelt – der einfachste Weg, einen Kronzeugen zu erledigen: Luigis Glaubwürdigkeit wäre erschüttert.

seher im Wohnzimmer und spielt mit der Playstation. Hitman heisst das Spiel, aus den Boxen dröhnt eine Schiesserei, dazu Ächzen und Stöhnen. Das Besondere an dem Spiel ist, dass derjenige Spieler am meisten Punkte bekommt, der die wenigsten Schüsse abgibt. Ein im Genlabor erschaffener Auftragskiller versucht darin, sich die Bösen mit Pistolen und Maschinengewehren oder auch mit der Kraft seiner Hände vom Leib zu halten. Salvatore sagt, er töte niemanden, er bringe die Leute nur dazu, einzuschlafen. Dann siehst du, wie Hitman seine Hände um den Hals eines Gegners legt und zudrückt, und hörst ein dumpfes Gurgeln. «Ich brauchte seine Kleidung, um mich zu tarnen», erklärt Salvatore. Luigi ruft vom Esszimmer herüber. Paola und er hätten überlegt, ihm solche Spiele zu verbieten.

Auch Paola geht nur aus dem Haus, wenn es wirklich nötig ist. Salvatore und Syria spielen nie draussen. Als in diesem Winter richtig viel Schnee fiel, haben sie doch einmal mit Onkel Carmine einen Schneemann gebaut, unten auf der Wiese vor dem Haus. Danach gingen sie gleich wieder rein. Draussen ist es gefährlich, auch anstrengend, weil du alles genau beobachtest. Die Wohnung dagegen kennst du. Also hocken sie Tag und Nacht in ihr. Die Botschaft, die der Staat mit all dem unterschwellig aussendet, ist klar: Du musst trotzdem ins Gefängnis, du verlierst all deinen Besitz, und Sicherheit bekommst du von uns auch keine. Erst Leibeigener der 'Ndrangheta, bist du jetzt Leibeigener des Staates. «Der Staat will ein Exempel statuieren», sagt Luigi. «Dass sie mich hierher gebracht haben, ist auch ein Signal: Schaut her, es lohnt sich nicht, auszusagen. Haltet besser den Mund.» Kurz vor dem Mittagessen, vom Herd duftet schon die Pastasauce. Alle sitzen vor ihrem Bildschirm, ausser Paola, die in der Küche mit Geschirr klappert: Syria tauscht auf Facebook Neuigkeiten mit ihren Freundinnen aus, Luigi arbeitet am Laptop und schaut sich zugleich das Horoskop des Tages im Esszimmer an. Astrologie ist ein neues Hobby von ihm, oft vergleicht er seine Ergebnisse mit denen des Star-Astrologen Paolo Fox im TV. Salvatore steht vor dem Fern-

Aber der Junge müsse eh schon die ganze Zeit in der Wohnung bleiben, und zudem seien sie überzeugt, dass Salvatore Spiel und Realität gut trennen könne. Die Frage ist, was hier die Realität ist, aber ansonsten hast du daran keine Zweifel, schliesslich sind Syria und Salvatore beide aufgeweckte Kinder, munter, intelligent, eloquent, interessiert, höflich und wohlerzogen, so wie man sich seine eigenen Kinder wünschen würde. Wären es deine Kinder, wärst du vermutlich kaum irritiert, dass sie diese Spiele spielten. Das kleine Städtchen nördlich vom Sporn des italienischen Stiefels, wo die Bonaventuras leben, galt eigentlich nicht als mafiös durchsetztes Gebiet. Luigi ist dennoch überzeugt, dass sie ihn absichtlich hierher gebracht haben. Er ruft dich ans Wohnzimmerfenster, geht auf den Bal-

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kon und zeigt dir, welche Clans in der Nachbarschaft vertreten sind. «Hier, dieses Lokal da hinten, das gehört einem Verbündeten der Ferrazzo.» Er zeigt über eine freie Fläche. Hinter den Bäumen, die die Fläche säumen, siehst du eine Leuchtanzeige. «Hier unten, dieses Geschäft, da sind die Pesce.» Luigi deutet jetzt auf die Strasse vor dem Haus. «Und hier drüben» – Luigi zeigt auf den Wohnblock gegenüber, etwa zehn Meter entfernt, – «da wohnte ein Kolumbianer, der mich beobachten sollte.» Inzwischen sei der Vorfall polizeibekannt, der Mann ausgezogen. «Ich kann nicht sicher sein, ob nicht jetzt, in diesem Moment, ein Präzisionsgewehr da hinten auf mich gerichtet ist.» Luigi zeigt in ein Wohngebiet, etwa einen Kilometer entfernt. «Der Plan, mich umzubringen, ist mit Sicherheit da. Aber vielleicht ist es gerade nicht opportun, weil es einen grösseren Deal blockieren würde, wer weiss.» Es sei keine Frage, ob sie ihn töten, sagt Luigi, sondern nur wann. Er lässt die Schultern fallen und geht wieder hinein, zum Laptop im Esszimmer. Luigi sucht ein Interview im Netz, das Felice Ferrazzo, ein Kronzeuge wie er, 2010 einem Schweizer Fernsehsender gegeben hat. Er spricht darin vom Waffenhandel und von seiner Reue. Luigi kennt Ferrazzo von früher. Am Tag, als Paola und er geheiratet haben, lockten Mitglieder seiner Familie ohne sein Wissen drei aus dem Ferrazzo-Clan in eine Falle. Sie wurden nie wieder gesehen. In Termoli, sagt Luigi, sollte diese Sache nun geregelt werden, Blut gegen Blut, wie in der 'Ndrangheta üblich. Die Ferrazzo machten dafür mit ein paar Leuten von Luigis Personenschützern gemeinsame Sache. Salvatore kommt dazu und will wissen, was die Farben deines Fussballvereins sind. Im Video sind jetzt unzählige Fotos von Mafia-Toten zu sehen, offensichtlich in chronologischer Ordnung: zuerst in Schwarz-Weiss, dann in Farbe. Salvatore guckt ein bisschen mit, dann zieht es ihn zurück in sein Zimmer. Luigi geht auf und ab, bleibt stehen, wippt auf den Füssen, schaut ernst. «Während er dieses Interview gegeben hat als Kronzeuge, als falscher Kronzeuge, hat er weiterhin mit Waffen gehandelt. Und mehrmals versucht, mich umzubringen.» In deinen Ohren klingt das befremdlich, verschwörungstheoretisch, fanatisch und fantastisch, geradewegs wie ein überzogener Film. Aber in Italien gibt es dieses Schmutzgewürm, das selten ans Licht kommt, das zwischen baumstammdicken Verflechtungen von Mafiosi aller Couleur, Geheimdienstagenten, kriminellen Unternehmern, irgendwelchen Geheimbünden und bestechlichen Politikern herumkriecht. Und es gibt die Tatsachen: Felice Ferrazzo musste raus


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aus dem Kronzeugenprogramm und wieder in Haft. In Luigis Briefkasten hat jemand ein Projektil geworfen, zusammen mit einem Heiligenbildchen. Jetzt hilft nur noch beten, sagt es, und dass Luigis Adresse keineswegs so geheim ist, wie sie sein sollte. In einer Garage unweit von Luigis Wohnung wurde ein Waffenarsenal der 'Ndrangheta gefunden. Es war die Garage der Schwiegermutter des Chefs der Männer, die Luigi zu Gerichtsterminen eskortieren. Im Film erzählt Ferrazzo von seiner Taufe, also der Aufnahme in die 'Ndrangheta. Luigi hat dir bei deinem ersten Besuch dieses Ritual ebenfalls gezeigt, die Sprüche, den Blutstropfen, das Anzünden des Heiligenbildchens. Jetzt steht er da, presst die Lippen zusammen, atmet schwer. Dann berichtet er von einem Brief, den man gefunden hat. Man wolle ihn tief unter der Erde, stand darin. Und dann noch die Sache mit dem Tattoo. Luigi wollte sich eines stechen lassen in einem bestimmten Studio. Niemand wusste von seinem Plan, ausser Paola – und seine Polizeieinheit, die er um Erlaubnis fragte. Als er in das Studio kam, erwartete ihn dort schon ein anderer Angehöriger der 'Ndrangheta, den er aus einem früheren Gefängnisaufenthalt kannte, und grinste ihn an.

malt hat. «Quer», sagst du, nachdem du wieder in der Gegenwart angekommen bist. «Mensch!», schimpft Salvatore und ärgert sich. Du aber freust dich trotzdem. Im Esszimmer versteckt sich ein Schrank, eine Eckvitrine aus dunklem Holz, zwei Schubladen im unteren Teil, eine grosse Glasfläche. Es ist eines der wenigen Möbel, das beim Einzug schon da war; im Wohnzimmer nicht einmal ein Sofa, im Esszimmer drei verschlissene Stühle für vier Personen und im Kinderzimmer eine verpisste Matratze. Der Schrank wäre dir nicht im Gedächtnis geblieben, hätte Luigi nicht erklärt, dass es ein Gewehrschrank sei. Irgendjemand hielt es also für nötig, die Wohnung für Kronzeugen mit einem Waffenschrank auszustatten. Luigi und

Diese Reportage stammt aus dem Magazin «Reportagen».

so beschaffen, dass nicht nur der Schlag an sich weh tue, sondern auch der Schmerz auf deiner Haut lange anhalte, sagt Luigi. Er hat sich oft unter dem Bett verkrochen, sein Vater zog ihn hervor. Sein Vater hat auch seinen Deutschen Schäferhund erzogen. Er stülpte dem Tier einen Sack über, dann schlug er es mit einer Holzlatte blutig. «Anschliessend warf er ihm ein Stück Fleisch hin», erzählt Luigi, «der Hund sollte sich an den Geschmack von Blut gewöhnen.» Es war eine Liebesheirat gewesen, die sein Vater mit seiner Mutter verband, keine Blutsbande mit einem anderen Clan. Doch des Vaters Gewalttätigkeit war dennoch ungebremst. Luigi warf sich oft vor seine Mutter, versuchte, sie zu schützen. Als er alt genug war, kündigte er seinem Vater an, ihn umzubringen, wenn er seine Mutter noch einmal anrühre. Da hörte es auf. Paola sagt, es falle Luigi schwer, über seine Kindheit zu sprechen. Du erinnerst dich, wie er vor dir sass, glasige Augen, die Hand nach oben gereckt. «Ich habe mir immer gewünscht, dass da eine Hand ist, die mich unterstützt, dass mir jemand die Hand reicht. Aber da war keine», klagte er. Dann sank die Hand, und du hast das Interview unterbrochen. Jetzt sucht er wieder nach einer schützenden Hand, dieses Mal die schützende Hand des Staates. Und wieder ist da nichts.

Wer keine halben Sachen mag, Sechs Mal pro Jahr berichten kannherausragende KOLT hier abonnieren, Autorinnen und Autoren wahre Geschichten aus dieser Welt. damits pünktlich zum «Reportagen» ist im Buchhandel, an großen Kiosken und gut sortierten Monatsbeginn im Verkaufsstellen erhältlich. Briefkasten Für KOLT-Leser:liegt.

Natürlich sind nicht alle von der Polizei korrupt, sagt Luigi und nennt die Namen zweier Polizisten, die sicher auf der falschen Seite stehen. Woher weiss er das? Es gibt eben auch Gute, antwortet er. Leute, die auf sein Wohl achten, ihn schützen. Polizisten, Staatsanwälte, Männer, die ihn eskortieren. Männer, die wissen, was gespielt wird. Und die nicht wollen, dass es ihm ergeht wie Lea Garofalo, einer weiteren Kronzeugin in Luigis Region, die gegen ihre eigene Familie und die ihres früheren Gefährten und Vaters ihrer Tochter ausgesagt hatte. Sie wurde von ihrem Exmann aufgespürt, gefoltert, gewürgt, erschossen, zerteilt, verbrannt und verscharrt.

Du kannst nicht verstehen, wie Menschen so gewalttätig sein können. Du traust dich kaum, Luigi Bonaventura zu fragen, ob er auch so brutal war. Es könnte schwer sein, mit der Antwort umzugehen. Er habe einmal den Auftrag gehabt, einen Mann zu erschiessen, ihm den Arm abzuschneiden, diesen in ein Paket zu packen und dessen Mutter zu schicken. Zum Glück, sagt Luigi, sei es seinen Männern nicht gelungen, den Mann aufzuspüren. «Quer oder längs?», fragt Salvatore, der inzwischen aus dem Kinderzimmer gekommen ist und brav gewartet hat, bis sein Vater fertig erzählt hat. Salvatore zeigt dir ein Fussball-Trikot mit rot-weissen Längsstreifen, das er für dich ge-

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Paola haben eine Vase mit ein paar Plastikblumen hineingestellt, alles aus dem 50-Cent-Laden unweit ihrer Wohnung. Der Schrank könnte ein Symbol sein, ein Symbol dafür, dass die Gewalt mit Luigi und seiner Familie lebt. Luigi muss nur den Ärmel seines T-Shirts hochziehen. «Spuren des Kampfs», sagt er ungerührt. Mehr musst du auch nicht wissen. Das Leben, es hat Luigi viele Wunden zugefügt. Die meisten sind so tief, dass man die Narben nicht sieht, tief in seinem Inneren. Sein Vater hatte den kleinen Jungen extra zusehen lassen, wie er den nervo herstellte: Er schnitt einen Ochsenpenis in Streifen, verdrillte ihn mit einer Schnur, hängte ihn auf und trocknete ihn, von einem Gewicht gestreckt. Das Ding wird hart und bleibt doch biegsam. Die Rute sei

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All das, sagt Luigi, sollte ihn zu einem Mafioso erziehen. Es hat auch funktioniert, Luigi hat funktioniert, auf dem Schlachtfeld: Er drückte den Abzug, als er ihn drücken sollte. Und er plante Morde, die geplant werden mussten. Er organisierte Waffengeschäfte und lenkte zuerst den militärischen Flügel seiner Familie, dann den ganzen Clan. Er machte schnell Karriere, war bald Ansprechpartner für andere Bosse, wurde wichtig. Vielleicht würde er in ein paar Jahren sogar Kontakte zu Politikern unterhalten? Seine Aussichten waren bestens. Und immer stellte er sich in den Dienst der famiglia. Aber da war auch der gute Teil in ihm, der sich nicht unterdrücken liess, den ihm seine Mutter mitgab, die nicht aus einer Mafiafamilie stammte. Sie selbst wusste lange nichts von allem, sagt Paola. Luigi führte eine Eventagentur und ein Restaurant, er kochte gerne, traf sich mit Freunden, sie hatte keinen Verdacht. In ihm aber arbeitete es. Nachts, wenn die anderen schliefen, ging er im Flur des damaligen Hauses auf und ab. Einmal blieb er stehen und sah seine Kinder und seine Frau in ihren Zimmern friedlich schlafen. Plötzlich war ihm klar, dass er ihnen die Freiheit nahm, das zu tun, was sie tun wollten, so zu sein, wie sie sein wollten. Dass er ihnen die Zukunft


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nahm. Und dass er kein Recht dazu hatte. Dass sein Sohn vielleicht einmal sterben müsse wie so viele Mafiosi, die er sterben sah, oder wie die Rivalen, die er selber tötete. Da wusste er, dass es richtig war. «Ich wollte verhindern, dass andere Ichs geboren werden», sagt Luigi, «ich will diese Kette durchbrechen.» Nach seiner Selbstanklage blickt Luigi nun einer Gesamt-Haftstrafe von rund 30 Jahren entgegen, bald wird er in einem ersten Prozess letztinstanzlich verurteilt sein. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor nichts gegen ihn in der Hand gehabt.

schärft, nie alle Schüsse auf einmal abzugeben. Hast du nur noch einen im Magazin, schiesst du auf den Brustkorb, um deinen Verfolger zu stoppen. Bleiben dir zwei Schüsse oder mehr, kannst du dir den Luxus erlauben, ihm ins Knie zu schiessen. So wie damals, als er seinen Vater zu Boden schoss, vor seinem Haus in Crotone war das. Luigi hatte ihm von seinem Entschluss berichtet gehabt. Sein Herr war gekommen, ihn zu töten, seinen Sohn, den Abtrünnigen. Luigi hatte es geahnt. Sein Vater feuerte mit seiner Pistole auf ihn, bis der Hahn blockierte. Luigi war in De-

Erst mit dem Entschluss, Kronzeuge zu werden, hat Paola ihren Mann wirklich kennengelernt. Luigi schreibt sein Leben seither in Spiralblöcke. Neue Erinnerungsfetzen, in grünem Stift und krakeliger Handschrift, grossen Buchstaben. Gedankenskizzen. Manchmal möchte ich mir wie einem Computer mehr Speicher ins Hirn einbauen, sagt er, zu viel kommt hoch, zu viel muss er ordnen. Die Gedanken rasen in seinem Kopf. Manchmal wacht er morgens auf, und das Gehirn ist schon am Bersten. «Sandro inzwischen mein Freund», steht in seinem Block. Paola macht eine Pause. Wie war das, als du erfahren hast, dass du einen Mörder liebst, fragst du sie, draussen auf dem Balkon, bei einer Zigarette. Paola weint nur.

leer ist, taugt es immer noch als Waffe», sagt er und hebt es an wie eine Axt zum Schlag. Bei der anschliessenden Spass-Schiesserei tauchst du nur einen Sekundenbruchteil lang hinter der kleinen Mauer auf, die sonst die Essecke abgrenzt. Noch ehe du zielen kannst, spürst du den Treffer. Luigi hat dich auf die Stirn genau zwischen den Augen getroffen. Dann ist es zehn Uhr, Nachtruhe. Später am Abend, dem Abend vor deiner Abreise, sitzt du im Esszimmer, du hast noch am PC zu tun. Luigi ist müde, redet aber trotzdem mit dir. Es bleibt nicht mehr viel Zeit. So viele Sachen, die ihn umtreiben. Du chattest mit deiner Freundin, die gerade nach Afrika gereist ist, und dir wird bewusst, was Freiheit bedeutet. Luigi und Paola hatten gemeinsam beschlossen, den Kampf für ihre Freiheit bis zum Ende auszufechten. Nie wieder Mafia! Eine mafiafreie Welt! Syria solle einen Polizisten lieben können und Salvatore schwul werden, wenn er mag. Noch bei deinem letzten Besuch hat Luigi dir tapfer geschworen, nie aufzugeben, mit Trotz in der Stimme und Kraft. Jetzt hast du ihn manchmal wie ein Häuflein Elend erlebt.

«Die Aufnahme ins Kronzeugenschutzprogramm ist ein Papier, sechs Seiten, Wer keine halben Sachen mag, ein Vertrag zwischen kannLuigi KOLTund hier abonnieren, dem italieDu rauchst eine Zigarette mit ihm unter dem damits pünktlich nischen Staat. Erzum Fenster in der Küche. Flüchten komme nicht Das Abendessen ist fertig. «Wer eröffnet heuinfrage, antwortet er, während der Rauch te?», fragt Luigi in die Tischrunde. Zu jedem sich über ihm aus dem Haus schleicht. Monatsbeginn im hat ihn offen vor sich Essen wird ein Gebet gesprochen. Um Gott «Glaub mir, ich habe absolut keine Lust zu zu danken, aber nicht allzu sehr, denn Lusterben», sagt er, mit dem Rücken zur Wand. auf den Tisch gelegt. Briefkasten liegt. igi ist nicht sonderlich gläubig. Eher um die «Aber wenn es hilft.» Luigi wird immer kleiGemeinschaft zu ehren, zu feiern. Syria melner. Du sagst ihm, dass Salvatore und Syria ‹Streng vertraulich, det sich. «Danke für das leckere Essen, das ihn brauchen, dass Paola ihn braucht. «Ich du uns gegeben hast und für den Besuch, mit weiss», entgegnet er dir, und du weisst, dass Weitergabe verbodem wir unsere Zeit verbringen dürfen.» du nun nichts mehr sagen kannst. Dann bekreuzigen sich alle, und es wird auf ten›, steht darauf.» die Teller geschöpft. Du sitzt an deinem Rechner, suchst andere Am Nachmittag hat dir Luigi noch gezeigt, wie man schiesst. Vieles ist zu beachten: ein stabiler Stand, die Füsse so auf dem Boden, dass dich der Rückschlag nicht umwirft. Der vordere Fuss längs, der hintere quer zur Schussrichtung, die eine Hand am Abzug, die andere wölbt sich um die Schusshand. Damit es dir nicht vom ersten Schuss die Hand verzieht und auch der zweite Schuss sitzt. Wenige Millimeter sind entscheidend, sagt Luigi, so hat er es schon als kleiner Junge gelernt. Mit dem Auto fuhren sie ans Meer, alle möglichen Waffen auf dem Rücksitz, Pistolen, Maschinengewehre, die Kalaschnikow, später auch schwereres Kaliber. Flaschen und Öltonnen waren die Ziele. Als Luigi von seinem ersten Mord nach Hause kam, lobte ihn der Vater, «Bravo!», sagte er, der gleiche Vater, der ihn beschimpft hatte, wenn er als kleiner Junge sich das Knie aufgeschürft und vor Schmerz geweint hatte. Luigi hat dir auch einge-

ckung geblieben, zielte genau, traf das Bein. Notwehr, ein astreiner Freispruch. Eigentlich wäre es jetzt nach dem Essen Zeit für die Kinder, ins Bett zu gehen. Doch plötzlich sind da die Gewehre. Spielzeugwaffen, martialisch aussehend, aber kindgerecht aus buntem Plastik zusammenmontiert: eine gelb-schwarze mit rundem Magazin, zwölf Schuss, und eine blauorangene mit einem Einsteckmagazin wie ein Maschinengewehr. Sie stossen Schaumstoffröllchen aus. Normalerweise liegen sie in Salvatores Zimmer neben der Insektensammlung und den Comicheften. Luigi nimmt die blau-orangene hoch und doziert wieder: «Wenn dein Gewehr

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Bilder zu finden und chattest mit einer Welt von flirrender Hitze, staubigen Strassen und Moskitonetzen über dem Bett. Luigi steht neben dir. Er würde gerne ins Bett gehen, doch schlafen kann er ohnehin nur schwer, und ein kleiner Restzweifel bleibt. Ihr habt euch nur dreimal gesehen. Du hast ihm Fotos von deinen Eltern gezeigt, er kennt deine Freundin, er kennt dich, aber er weiss nicht, ob er glauben kann, dass du wirklich der bist, der du bist. Oder ob du nicht doch Böses im Schilde führst. Er kann das nie wissen, von niemandem. «Ich bin müde», sagt er und wünscht eine gute Nacht. Am nächsten Morgen umarmst du Luigi, deinen Freund, sagst ihm Auf Wiedersehen, bevor du die Tür hinter dir schliesst. Und während du die Treppen hinabsteigst, um nach draussen zu gehen, hallt das Wort Wiedersehen in deinem Kopf nach. Wie oft und wie leicht hast du es doch so schnell dahingesagt. Wiedersehen.


Fünf Waldspaziergänge Texte von Nathalie Bursać Bilder von Marvin Zilm lllustration Christoph Zedler

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Jürg Schlegel, Bannwald, 12.00 Uhr Moritz Ruoss, Buerwald Gösgen, 18.15 Uhr Pamela Käser, Bannwald, 14.00 Uhr Patrick Käser, im Auenwald an der alten Aare, 13.00 Uhr Thomas Wyss, Hardwald, 8.30 Uhr

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Obwohl er als Kreisförster seinen Job die meiste Zeit vom Schreibtisch aus erledigt, kennt er den Wald bis auf die letzte Tannennadel. Nun geht Jürg Schlegel in Pension. Zeit für ein Gespräch im Wald.

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ürg Schlegel, was ist für Sie ein wertvoller Baum? Das ist immer eine Frage der Perspektive.

Wie ist Ihre Perspektive? Da fragen Sie den Falschen. Warum? Der Kreisförster muss dafür sorgen, dass er möglichst viele berechtigte Interessen unter einen Hut kriegt. Er muss den Kompromiss finden. Dann frage ich den Kreisförster, der bald in Pension geht und keine diplomatische Antwort geben muss. Ich spiele Cello und darin steht ein 500 Jahre alter lateinischer Spruch: «Lebendig war ich in den Wäldern, mit scharfer Axt wurde ich gefällt, als ich lebte, schwieg ich, tot nun, singe ich süss.» Das zeigt das ganze Dilemma auf. Der Mensch hat schon immer Kulturlandschaft gepflegt und geprägt. Das heisst nicht, dass er einzelne Bäume nicht den Vögeln überlassen darf. Der Mensch hat die Aufgabe, nachhaltige Waldwirtschaft zu betreiben. Die sowohl das Bedürfnis nach Holz deckt, als auch die Arterhaltung wie auch den Schutz und die Erholung gewährleistet. Als Privatperson finde ich einen Ahorn schön, der zu einem Instrument verarbeitet werden kann. Ein Ahorn, der einem Forstbetrieb auch viel Geld bringt. Und das darf er auch. Aber ich finde auch eine alte Eiche mit dürren Ästen schön, die dem Specht dient.

nen das mehrere tausend sein. Die Forstkommission verkaufte das Holz lokal. Heute verkaufen wir Buchen nach China, Eichenholz nach Frankreich. Schweizer Holz war teuer. Heute müssen wir es zu verhältnismässig niedrigen Preisen ins Ausland verkaufen. Und natürlich müssen wir auch grosse Mengen liefern können. Mit welchen Herausforderungen haben Sie in Ihrem Beruf zu kämpfen? Den unternehmerischen Gedanken mit allen Bedürfnissen unter einen Hut bringen. Es gibt Leute, die stört es bereits, wenn Äste auf dem Boden liegen. Das sind sehr oft ältere Menschen, die den Krieg erlebt haben und als Kinder mit dem Leiterwagen Äste auflesen gingen, weil man Zuhause das Brennholz brauchte. Auf dem Land wurde damals mehrheitlich mit Holz geheizt. Für sie ist das dann Verschwendung? Ja. Ich kann es ja verstehen. Aber dieses Aufräumen kann heute keine Gemeinde bezahlen. Sind denn diese herumliegenden Äste schlimm für den Wald? Nein, im Gegenteil. Das sind Nährstoffe, die ganze Palette von Mineralien für den Waldboden. Dazu freut es allerlei nützliches Kleingetier.

Wald wächst, wird oft als Argument für Rodungen verwendet. Dabei braucht es den Wald gerade im Mittelland, um der Zersiedelung Einhalt zu gebieten. Sind Sie gerne im Wald? Ich bin gerne im Wald und bin mit dem Herzen nah beim Wald. Der Förster wird aber dennoch sagen, ich sei ein Theoretiker. Weil er der Meinung ist, dass der, der Bäume fällt, der Praktiker sei. Das mag stimmen. Doch immerhin habe ich – zwar erst mit 50 – einen Motorsägekurs sowie einen HandholzereiKurs absolviert. Das Baumfällen überlasse ich aber dann doch lieber den Profis. Denken Sie, die Oltner und Oltnerinnen interessieren sich für ihren Wald? Ich war schon mit Menschen im Wald, die sagen, sie gehen nie in den Wald. Solchen Leuten ist es auch egal, wie es im Wald aussieht, wie es dem Wald geht. Dann gibt es andere, die regelmässig gehen. Das sind oft die, die mit ihrem Hund jeden Tag den gleichen Weg nehmen. Die es dann völlig aus der Ruhe bringt, wenn plötzlich ein Baum quer über dem Gehweg liegt. Es gibt aber auch viel Anerkennung seitens der Bevölkerung.

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Es gibt Leute, die ketten sich an einen Baum, damit dieser nicht gefällt wird. Es ist letztlich der Entscheid des Waldeigentümers. Wenn es einem Waldbesitzer schlecht geht, und heute geht es vielen Waldbesitzern schlecht angesichts des globalisierten Holzmarktes, kann er sich ja vielleicht auf die Suche nach einem Baumsponsor machen. So könnte man einen Baum stehen lassen. Es gibt immer Leute, die unzufrieden sind und den ganzen Wald schützen wollen. Aber dann sollten sich diese Leute fragen, welches und wie viel Holz sie daheim brauchen. Das ist eine kritische Frage, die man eigentlich öfter stellen muss. Ende Mai gehen Sie nach 30 Jahren in Pension. Was hat sich in diesen Jahren verändert? Drei Viertel des Solothurner Waldes gehört den Gemeinden. Jede Gemeinde hatte früher ihre Forstkomission, die das Holz verkaufte. Heute macht das der Revierförster. Als ich vor 30 Jahren begann, gab es in fast jeder Gemeinde einen Förster. In den 80er-Jahren waren das in der Amtei Olten-Gösgen 16, heute sind es noch deren 6. Viele Gemeinden haben also forstlich fusioniert. Jetzt findet gerade wieder eine statt mit Olten und dem Unteren Hauenstein. Und die Revierförster haben welche Funktion? Sie sind Betriebsleiter. Früher hat man in den Revieren pro Jahr vielleicht ein paar Hundert Kubikmeter Holz aufgerüstet und heute kön-

Vor nicht allzu langer Zeit redeten alle vom Waldsterben. Das Waldsterben wurde vor 30 Jahren gross, auch weil die Medien dieses Thema überzeichneten. Aber man glaubte an das Waldsterben, weil in den Grenzgebieten zwischen der DDR und Tschechien durch das Verbrennen von Braunkohle sehr viel Schwefel ausgestossen wurde und deswegen viele Wälder starben. Auch bei uns nahmen die Emissionen zu und deshalb ging man davon aus, dass bei uns die Wälder auch sterben werden. Was aber nicht passierte. Dieser Hype hatte auch seine Vorteile: Man unternahm einige Anstrengungen, um das Waldsterben zu verhindern. Und man hat auch angefangen, den Wald genauer zu untersuchen. Seit dem Wirtschaftsaufschwung steigt die Stickstoffbelastung. Und das führt zu einem Nährstoffungleichgewicht. Und mit welchen Problemen hat der Wald noch zu kämpfen? Der Borkenkäfer kommt immer wieder. Dass er aber ständig latent vorhanden ist, das ist ein neues Phänomen. Das Eschensterben befällt momentan rasant vor allem die jüngeren Bäume. Man weiss nicht, wie das weitergeht. Man nimmt an, dass sich durch den internationalen Handel, schädliche Organismen über die ganze Welt verbreiten. Der Wald wächst, heisst es oft. Stimmt das? In gewissen Regionen wie im Tessin nimmt der Wald stark zu. Dort sind viele Alpen eingewachsen, weil sie nicht mehr bewirtschaftet werden. Genauso wie im Jura. Für das Mittelland stimmt diese Aussage hingegen nicht. Dass der

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Welcher Wald gefällt Ihnen am meisten? Da ich in der Nähe wohne, bin ich am häufigsten im Hardwald. Das scheint mir ein eher langweiliger Wald zu sein. Dadurch, dass dieser Wald 1967 eine grosse Sturmfläche war, hat man relativ viele Rottannen gesetzt und fast schon schematisch Laubholz angepflanzt. Aber auch der Hardwald hat sehr natürliche Ecken. Gegen die Bahnlinie hat es einen grossen Eibenbestand. Mir gefällt der Bannwald sehr gut. Jeder Wald hat seine Charaktereigenschaften.

Gibt es hässliche Wälder? Das gibt es bei uns fast nicht. Wenn auf sehr grossen Flächen nur Nadelholz wächst, kann man vielleicht von hässlichen Wäldern reden. Aber um so etwas zu sehen, müsste man ins Ausland. Grosse Flächen Reinbestände gibt es bei uns eigentlich kaum. Was waren Ihre letzten Amtshandlungen? Rodungen anzeichnen. Bei Winznau wird wegen Hochwasserschutz gerodet. Das sind spezielle Bäume, Weissweiden. Die kommen ganz selten vor, nämlich im Überschwemmungsbereich der Auen, wo man jetzt hunderte von Kubikmeter schlagen musste. Das ist schade, aber es hat seine berechtigen Gründe.

Jürg Schlegel (62) ist studierter Forstingenieur und hat sich als Kreisförster des kantonalen Amtes für Wald und Fischerei 30 Jahre lang um den Forstkreis Olten-Niederamt gekümmert.


Moritz Ruoss macht eine Zweitausbildung zum Forstwart. Zu seinem Job gehört nicht nur, Bäume zu fällen, sondern auch aufgebrachte Waldbesucher zu beruhigen.

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rüher war Holzfäller kein hochangesehener Beruf. Das waren Bauern oder meistens solche, die der Gesellschaft irgendwie zur Last fielen – die schwierigen Jungs. Geh in den Wald, tob dich dort aus, hiess es dann. Gross, dumm und stark. Mehr musste ein Waldarbeiter früher nicht sein. Ich glaube nicht, dass es viele andere Berufe gibt, die einem körperlich derart fordern. Aber die Ansprüche haben sich geändert. Heute wird ein Förster oder Forstwart wütend, wenn man ihn Holzfäller nennt. Ich bin in einem Forstbetrieb angestellt, einer sogenannten öffentlichen Forstbetriebsgemeinschaft. Wir kümmern uns um fünf Gemeinden und bewirtschaften 1'200 Hektaren Wald. Wir produzieren Stammholz, machen Brennholz, schneiden Maitannen, bessern Waldwege aus. Im Sommer pflegen wir den Jungwuchs, im Winter holzen wir. Die Werterhaltung des Waldes ist eine wichtige Aufgabe. Werterhaltung heisst auch, qualitativ gutes Holz heranzubringen, denn die Holzerei ist unser Kerngeschäft.

Ich empfinde viel Ehrfurcht für den Baum, den ich fälle. Ich schaue an ihm hoch und es ist nichts Kleines, was ich da sehe. Ich habe keine Angst davor, aber Respekt, weil ich weiss, wie gefährlich es werden kann. Der Baum hat etwas in sich, das unberechenbar ist, er birgt Geheimnisse. Je grösser der Baum ist, desto mehr reizt er mich. Als junger Forstwart ist es schöner, einen grossen, schwierigen Baum umzutun. Schöner als eine kleine Fichte, bei der man genau weiss, wie sie sich verhält. Wenn du einen Baum fällst, dann musst du bestimmte Vorkehrungen treffen. Du schätzt ihn ein. Du putzt seinen Wurzelstock, du schrotest ihn an, schneidest also seine Wurzelanläufe an, schaust, wo dein Rückzugsweg ist, für den Fall, dass Äste aus der Krone herunterfallen. In dieser Zeit bewegst du dich immer um diesen einen Baum herum. Du sägst den Fallkerb raus. Dir fliegen die Späne um die Ohren, die Motorsäge röhrt. Am Schluss kommt der Fällschnitt. Wenn du den Fällschnitt gemacht hast, die Keile gesetzt sind,

stellst du die Säge neben dich auf den Boden. Du rufst «Achtung!» und dein Ruf hallt durch den ganzen Wald. Die Kollegen machen die Motorsägen aus. Und in diesem stillen Moment hörst du nur noch das Klopfen, wenn du den Keil in den Baum schlägst. Der Baum bewegt sich. Du hörst, wie die Luft pfeift. Wenn er im 45Grad-Winkel zum Boden ist und seine schnellste Geschwindigkeit erreicht. Dann nimmt es alle Äste nach hinten und du kannst sehen, wie der Baum sich biegt und du hörst einen hohen feinen Luftzug. «Ssssssssssssssssst.» Dieser Moment ist sagenhaft, der ist schön. Und er ist vorbei, sobald der Baum auf dem Boden aufschlägt.

«Der Baum hat etwas in sich, das unberechenbar ist, er birgt Geheimnisse.» Physikalisch bewegst du relativ viel Gewicht. Mit ausgeklügelten Keilen und der passenden Fällmethode. Aber du gibst den Impuls. Du löst den Fall aus. Ich fühle keine Macht gegenüber diesem Baum. Aber ich bin derjenige, der dem Platz den Baum wegnimmt. Wenn ich am Holzen bin, gibt es Leute, die sich freuen. Die springen mir vor Freude fast in den fallenden Baum, weil sie früher auch einmal Bäume gefällt haben. Andere haben Angst vor mir. Wir hätten den Wald kaputt gemacht, ist ein häufiger Vorwurf, den wir Forstwarte hören.

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Ich kann es nachvollziehen, wenn jemand diese Meinung hat. Der Wald ist etwas sehr persönliches. Vor allem solche, die oft in den Wald gehen, nehmen Veränderungen stark war. Ich denke, viele Leute wollen sich im Wald erholen, weil dort noch alles in Ordnung ist. Für sie ist es ein Fluchtort. Eine Flucht vor dem Tempo, der Hektik. Und wenn sie dann sehen, wie der Baum, den schon ihr Grossvater kannte, an Seilen über den Waldboden geschleift wird, trifft sie das sehr. Der Wald im Mittelland würde fast nur aus Buchen bestehen, wenn man ihn nicht bewirtschaften würde. Wenn Spaziergänger mit mir diskutieren wollen, versuche ich, darauf einzugehen, ihnen unsere Gründe zu erklären. Bei einigen bringt es nichts zu diskutieren, die wollen nicht verstehen. Aber wir Forstwarte haben auch eine Verantwortung gegenüber den Besuchern. Ich will nicht der Böse sein im Wald. Ich erzähle gerne von meiner Arbeit, davon, was ich gelernt habe. Meine Freunde nennen mich dann auch gerne den «Holzhackerchnuschti». Aber ich gebe es gerne zu: Ich freue mich, wenn ich einen Baum umtun kann, wenn eine Motorsäge viel Kraft hat. Das muss man auch in diesem Beruf. Aber ich geniesse auch die andere Seite meiner Arbeit. Wenn ich an einer Jungwuchsfläche vorbei laufe, schaue ich sie mir genau an, schaue, wie andere ihre Arbeit machen. Suche etwas, das einzigartig ist. Eine Elsbeere zum Beispiel. Wenn ich seltene Baum- oder Straucharten sehe, empfinde ich Freude. Den seltenen Pflanzen gebe ich in der Jungwuchspflege gerne die Chance sich zu entfalten.


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Pamela Käser und Patrick Käser sind Mutter und Sohn. Und beide haben eine innige Beziehung zum Wald.

«Ich verstehe nicht, warum nicht mehr Leute in den Wald gehen, es ist doch so schön hier. Andererseits hab ich so den Wald fast für mich allein.» Pamela Käser, 70, Kräutersammlerin

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ch bin an der Südküste Englands aufgewachsen. Doch eines Tages hat mich die Liebe nach Olten geholt. Das war 1970. Olten gefällt mir sehr, auch wenn es nicht am Meer liegt. Aber ich habe ja den Wald. Seit ich hier bin, habe ich immer in seiner Nähe gewohnt. Am meisten gehe ich in den Bannwald. Hier kenne ich mich aus, hier gehe ich jeden Tag spazieren. Hier in der grünen Stille finde ich meine Ruhe und hierhin gehe ich auch, wenn es mir mal nicht so gut geht. Auf den oberen Waldwegen hat es praktische Baumstrunke, auf die ich mich oft setze um nachzudenken. Ich verstehe nicht, warum nicht mehr Leute in den Wald gehen, es ist doch so schön hier. Andererseits hab ich so den Wald fast für mich allein. Ich glaube, jede Pflanze, jeder Baum hat seine Schwingungen. Manchmal lege ich meine Hände auf die Rinde, versuche sie zu spüren. Ich glaube an Gott und dass eine göttliche Kraft in jedem Blatt, in jedem Baum und jedem Lebewesen vorhanden ist. Der Frühling ist meine liebste Jahreszeit. Alles spriesst und blüht, auch die Waldkräuter. Seit ich vor sieben Jahren einen Kräuterkurs besucht habe, interessiere ich mich für die essbaren Pflanzen, die auf der Wiese und im Wald wachsen. Ich habe zwar einen hübschen Blumen- und Gemü-

segarten daheim, dennoch komme ich nie mit leeren Händen von meinen Waldspaziergängen zurück. Kräuter bevorzugen schattige Plätze. Da kann es gut sein, dass ich auf der Suche mal von den Waldwegen abkomme. Ich bin keine verbissene Sammlerin, es macht mir einfach Spass, ich sammle die Kräuter während dem Spazieren einfach so nebenbei. Die Blätter der jungen Buche, Huflattich, Knoblauchrauke, Bärlauch, Walderdbeerblätter, Sauerampfern, Veilchen, junge Lindenblätter, Brennnesseln. Es ist erstaunlich, wie viele Pflanzen essbar sind und gleichzeitig eine ordentliche Portion Mineralstoffe und Vitamine in sich haben. Meine Kräuter und Pflanzen landen meistens im Salat. Die Geschmäcker sind dezent, manchmal süsslich, manchmal bitter. Es kam auch schon vor, dass ich Bauchschmerzen bekam, weil ich zuviel davon ass. Also machte ich einfach zwei, drei Tage Pause. Danach ging es meinem Magen wieder bestens. Ich glaube, früher hatte man ein ganz anderes Verhältnis zur Natur. Manchmal erzählen mir die Leute von ihrer Kindheit und wie daheim die Mutter regelmässig Wildkräuter zubereitet hat. Dieses Wissen verschwindet. Und wir sind es uns auch nicht mehr gewohnt, alles zu essen, was der Wald uns gibt.

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Patrick Käser, 42, Pilzsammler

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r nennt ihn «meinen Morchelstock». Und meint damit einen alten Ast, der ein wenig aussieht wie ein Gehstock. Patrick Käser hat ihn vor drei Jahren gefunden und seither nimmt er ihn immer mit, wenn er «in die Morcheln geht». Patrick Käser lacht, als würde er sich selbst nicht ganz so ernst nehmen, wenn er von seinem Morchelstock erzählt. Doch was es mit diesem Morchelstock auf sich hat, versteht man, sobald man den 42-Jährigen in den Wald begleitet. Es ist kurz nach Mittag in der Nähe irgendwo an der alten Aare. Patrick Käser hat soeben sein Auto parkiert, lässt seinen Hund Kaijo aus dem Kofferraum und greift nach einem kleinen Bastkörbchen, in dem ein Klappmesser liegt. Doch Käser zögert und legt den Korb wieder zurück und schliesst die Tür. «Muss ja nicht jeder wissen, dass ich Morcheln suchen gehe.» Und wieder lacht er. «Der Wald ist für alle da. Aber als Morchelsammler will ich lieber unbemerkt bleiben, nicht dass mir noch einer nachgeht.»

cheln wachsen. «Ich sehe vor meinem inneren Auge die umstehenden Bäume, ein wenig Bärlauch auf dem Boden und Geflechte, der Boden ist weich.» Es braucht viel Wissen und Erfahrung, um die Pilze zu finden, sagt Käser, der während seiner Ausbildung zum Gartenbauer mehr als 700 Pflanzen auswendig lernen musste. 150 Pilze kenne er, doch ausgelernt habe er wohl noch lange nicht. Am Sonntag ist der Wald voll mit Morchelsuchern, erzählt er. Deshalb geht er gerne unter der Woche, frühmorgens oder wenn sein Fischgeschäft in der Oltner Altstadt über den Mittag geschlossen hat. Nicht nur zum Sammeln, sagt er, sondern auch als Ausgleich zum Alltag. Das Telefon klingelt. Während Patrick Käser eine Bestellung entgegen nimmt, stützt er sich auf seinen Morchelstock. Plötzlich zeigt er damit auf eine Stelle auf dem Waldboden. «Morchelstrunke», wird er später erklären. «Hier wurde einer fündig, aber vielleicht hat er noch welche übrig gelassen.» Und tatsächlich dauert es keine zwei Minuten und Patrick Käsers Augen strahlen, als er zwischen grünen Blättern und Laub eine Morchel pflückt. Vorsichtig schiebt er mit seinem Morchelstock das Grün auf dem Waldboden zur Seite. «Viele Leute trampeln einfach rum beim Suchen und merken nicht, wenn sie auf die Morcheln stehen.» Zudem wolle er ja auch keine Spuren hinterlassen, erklärt Käser.

Wer keine halben Sachen mag, kann KOLT hier abonnieren, damits pünktlich zum Monatsbeginn im Briefkasten liegt. Sein Hund rennt übermütig voraus, er scheint genau zu wissen, wohin es gehen soll. «Der Wald war meine Kinderstube», erzählt Käser. Stundenlang habe er sich dort aufgehalten. Er war 14 Jahre alt, als er mit einem Freund beim Spielen auf Steinpilze stiess. Mit mehr als drei Kilo Steinpilzen seien sie aufgeregt auf die Pilzkontrollstelle in Olten geeilt. «Die haben gestaunt, als wir zwei Bengel mit diesem Riesenfund reintrampelten.» Seither sei er süchtig, süchtig nach dem Suchen. «Die Morchel ist ein spezieller Pilz, etwas ganz Besonderes. So filigran.» Sie habe etwas Gnomiges, etwas Elfiges. Jetzt im Frühling ist sie der erste Pilz, der wächst. Meist in den Auenwäldern, also in der Nähe von fliessendem Gewässer. Hier an der alten Aare machte Käser letztes Jahr seinen grössten Fund. 2,5 Kilo. Darunter war auch eine 30 Zentimeter hohe Morchel, die sei jedoch nicht mehr geniessbar gewesen. Gefreut hat sich Käser trotzdem, hat sich mit dem Prachtexemplar fotografieren lassen.

Käser bleibt stehen und entscheidet sich, den Gehweg zu verlassen und links in den Wald hinein zu stechen. «Hier habe ich letztes Jahr Morcheln gefunden. Mal schauen, ob ich dieses Jahr wieder Glück habe.» Man müsse präsent sein, wenn man Morcheln suchen gehe. Zugleich dürfe man aber nicht verbissen sein. Wer unbedingt Morcheln finden will, wird keinen Erfolg haben, sagt Käser. Vom Pilzsammeln im Schwarzwald hält er nicht viel. Oder von denen, die sich in Zehnerketten durch den Wald bewegen. «Das ist nicht Sammeln, das ist Ernten.» Patrick Käser geht gerne alleine. Und er weiss genau, wie der Platz aussieht, auf dem die Mor-

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Zwei Stunden später trägt er ein halbes Kilo Morcheln zurück zu seinem Auto. Vorsichtig hat er sie in seinen braunen Faserpelz eingewickelt. Er kann seine Vorfreude auf das Nachtessen kaum verbergen: «Feingehackte Zwiebeln, ein wenig Knoblauch, Butter. Schön anbraten. Dazu ein gutes Toastbrot.» Patrick Käser lächelt, verstaut seinen Morchelstock hinter dem Autositz und startet den Motor. Morgen will er wieder kommen. «Wer weiss, vielleicht regnet es über Nacht», sagt er. Manchmal, da gehe es schnell. Dann könne man den Morcheln beim Wachsen zusehen.

«Ich sehe vor meinem inneren Auge die umstehenden Bäume, ein wenig Bärlauch auf dem Boden und Geflechte, der Boden ist weich.»


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Thomas Wyss gehört zu denen, die bei jedem Wetter in den Wald gehen. Und dies immer in Begleitung seiner beiden Hunde.

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oraus geht der kleine Schwarze und hinterher trottet der kleine Weisse. Und ziemlich genau in der Mitte der Luftlinie zwischen den beiden spaziert Thomas Wyss, die zusammengeknüpften Hundeleinen hat er sich um den Nacken gelegt. Es ist irgendein Wochentag, der Hardwald ist ruhig an diesem Morgen, denn es sind Schulferien. Kein einziges Töffli knattert den KantiHoger hoch, kein Auto lädt müde Töchter und Söhne direkt vor der Schultreppe aus. Thomas Wyss wohnt nur ein paar Minuten vom Waldrand entfernt. Man könnte sagen, er sei ein Hündeler. Doch er sagt, er sei keiner. Das seien die, die mit ihren Hunden Kurse besuchen würden. Er war mit seinen nur im Welpenkurs. Er grüsst die anderen Spaziergänger mit Hund, wenn er an ihnen vorbeigeht. Im Wald macht man das so. Die Hunde grüssen sich dann meistens auch und meistens muss Thomas Wyss warten, bis die Hunde damit fertig sind. «Chömet Buebe!» ruft er dann, sagt «Tschüss Beatrice» oder «Adie» und geht weiter. Manchmal, da vergisst er die Leinen daheim. Und dann rufen ihm die anderen schon aus zweihundert Meter Entfernung entgegen, er solle doch bitte die Hunde an die Leinen nehmen. Thomas Wyss reagiert dann gelassen. Seine Hunde sind harmlos, sagt er. Das sieht auch ein Aussenstehender auf den ersten Blick. Der achtjährige Nanuk und der elfjährige Miles. Der kleine Schwarze und der kleine Weisse. «Er ist noch ein wenig müde», sagt Thomas Wyss über Miles, der sich manchmal bis hinter den Horizont zurückfallen lässt. Die Sonne steigt über den Hardwald, die Luft ist noch kalt. Wyss erinnert sich an seine Kindheit: «Wir waren immer draussen. Und abends um Sieben riefen unsere Mütter in den Wald, Essen ist fertig!» Baumhütten

immer draussen. Und abends um Sieben riefen unsere Mütter in den Wald, Essen ist fertig!»

hätten sie gebaut, hoch über dem Boden. Später dann, mit 13 oder 14 Jahren, haben er und drei Freunde eine Waldhütte errichtet. «Aber eine richtige, fünf auf fünf Meter! Wir haben sie mit Radio, Ofen und Möbeln eingerichtet, den Strom haben wir von einer Vereinshütte geholt, haben ein Kabel quer durch den Wald gelegt. Gemerkt hat das lange niemand.» Je älter die Buben wurden, desto mehr vernachlässigten sie die Hütte. «Manchmal wohnten Leute drin, die von Zuhause abgehauen waren.» Und irgendwann sei sie abgerissen worden. Wyss ist 56 Jahre alt. Er geht in den Wald, weil seine Hunde den Auslauf brauchen. Einmal am Morgen, einmal am Nachmittag. Manchmal, da schafft er es um sechs Uhr in

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der Früh, manchmal wirds auch Acht, so wie heute. Dann ist er vor dem Rausgehen ein 3-MinutenEi, trinkt einen Kaffee, schneidet ein Wienerli in Rädli, steckt die Wurststückli in einen Plastikbehälter und den schnallt er sich an den Gürtel. Er geht bei jedem Wetter in den Wald. Im Winter, da beobachtet er manchmal die grosse Maschine. Wie sie sich einen Weg durch den Hardwald bahnt, einen Baum greift, ihn absägt, ihn reinzieht, die Äste abschält und in Stücke schneidet. «Das ist eindrücklich, irgendwie auch ein wenig unheimlich. Dieses Halbdunkle und das Scheinwerferlicht.» Wyss zeigt auf die Spuren im Waldboden. «Hier ist sie lang gefahren.» Wyss passiert die Finnenbahn, ein paar Frühsportler drehen angestrengt ihre Runden. Er will zum Känzeli, einem kleinen Felsvorsprung hinter der Kanti. Von dort sieht man auf den alten SBB-Werkhof, sieht wie die Zeit vergeht und sieht an den Trimbacher Waldrand. «Dort hinten, dort steht mein Elternhaus.» Dort, in diesem Waldabschnitt habe er sehr viel Zeit verbracht. Wyss dreht sich um. «Buebe chömet!», ruft er, und geht den kleinen Waldweg zurück Richtung Waldrand. Man kann hören, wie sich die drei entfernen. Wie das Geräusch der Wurststückchen, die im Plastikbehälter hüpfen und das der Hundemarken, die an den Halsbänder klimpern, leiser wird.


SERIE

FILM

Danke, Jim Jarmusch Jetzt finden wir Vampire wieder toll. von Caspar Shaller

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lle Welt spricht, zu Recht, über die erfolgreiche, amerikanische TV-Serie «House of Cards» mit Hauptdarsteller und Co-Produzent Kevin Spacey. Das europäische Pendant «Borgen» jedoch spielt in derselben Liga und setzte in Sachen Authentizität, Dramaturgie und Schauspielerei neue europäische Massstäbe. «Borgen» ist eine spannende und temporeiche Politserie und gleichzeitig die umgangssprachliche Bezeichnung für den Kopenhagener Parlamentssitz Christiansborg, wo die Kunst der Macht ausgeübt wird. Besonders bemerkenswert ist die neue realistische Qualität, welche die Dänen in die Fernsehwelt eingeführt haben. Während die Amerikaner den künftigen Präsidenten über Leichen gehen lassen, inszenieren die Dänen Brigitte Nyborg, ihre erste fiktive Ministerpräsidentin – ein Jahr vor der tatsächlich gewählten ersten Frau an der dänischen Politspitze – in einem viel glaubwürdigeren Umfeld. Die liberale, idealistische Nyborg lernt fortlaufend in unheiligen Allianzen zwischen Politik, Wirtschaftsinteressen, persönlichem Karrieredenken und medialen Inszenierungen ihre Ziele zu erreichen – während ihr Privatleben sich ebenso glaubhaft verliert, wie der Zuschauer an Einblick in die wahren politischen Machtspiele gewinnt. (ys)

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chon wieder ein Vampirfilm – doch Jim Jarmusch ist nicht Stephanie Meyer, Tilda Swinton ist nicht Kirsten Stewart und Vampirismus ist keine plumpe Metapher für sexuelle Begierde. Ewig Blut trinkend durch die Nächte zu wandeln steht für Jarmusch für menschlichen Schöpfungsgeist. Die titelgebenden Liebhaber von «Only Lovers Left Alive» sind keine erotischen Halbgötter, die im Sonnenlicht funkeln, es sind die Liebhaber der Musik und der Literatur. Das Vampirpaar Adam (Tom Hiddleston) und Eve (Tilda Swinton) leben getrennt. Eve in Tangier, wo schon William S. Burroughs gewirkt hat, umgeben von Büchern. Adam zurückgezogen in der Heimatstadt des Souls, in Detroit, zwischen alten Gitarren und zerstörter Autoindustrie. Sie ernähren sich vorsichtig, heute ist menschliches Blut kontaminiert, Eve bezieht «the good stuff» von einem französischen Arzt, Adam holt es sich gleich selbst aus dem Krankenhaus, als Chirurg verkleidet – inklusive Namenstafel auf der der Name Dr. Faust steht. Solche Anspielungen durchziehen den ganzen Film, er ist eine einzige Liebeserklärung an die Kultur. Der wunderbare Soundtrack ist eine Ode an die amerikanische Pop- und Rockgeschichte. Als Eve Adam besucht, packt sie ihre Koffer mit nichts als Büchern,

Borgen (2010-2013, 30 Episoden in 3 Staffeln, Politdrama, DR1, Dänemark)

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Only Lovers Left Alive Drama / 2013/ GB, D 15. – 19. Mai im Kino Lichtspiele

ALBEN MEINES LEBENS

Wu-Tang Clan 36 Chambers Dieses Album war zwei Jahre in meinem Discman und wurde täglich durchgehört. Kein anderes Album nahm so einen grossen Stellenwert in meinem Leben ein.

minutenlang schwebt die Kamera über aufgeschlagenen Seiten, die auf Englisch, Deutsch, Arabisch oder Chinesisch beschriftet sind, jedes davon verdient gelesen zu werden. Auch die Airline, die Eve nach Detroit nimmt, verweist auf die Kunst, die Jarmusch wohl am nächsten liegt: Air Lumière, wie die Gebrüder Lumière, die den Film erfunden haben. So kann man den ganzen Film als Liebeserklärung an das Langsame, Poetische, Melancholische und zutiefst Menschliche lesen – etwas, was heute in Filmen immer seltener wird. So brauchte Jarmusch über sieben Jahre, um die Finanzierung des Films zu sichern – bei einem Budget von nur sieben Millionen Dollar, ein Bruchteil eines Hollywood Blockbusters. Als Bedingung wollten Investoren mehr Hollywood, mehr Action, mehr Drama, mehr Sex. Jarmusch reagierte, in dem er den Film weiter verlangsamte – zum Glück. Die Aura des Verlustes, die im Film allgegenwärtig ist, ist auch der Verlust der Kinokultur. Wie Adam und Eve, sind Liebhaber in den Schatten verdrängt – und doch die einzigen die noch wach sind.

von Skor

Nas Illmatic Ein Klassiker! Ich hör mir das Album heute gerne noch an und es wurde letzte Woche 20 Jahre alt. Wenn ich es mir anhöre, erinnere ich mich an den Duft dieser Zeit.

Snoop Dog Doggystyle Eines meiner absoluten Lieblingsalben. Kein einziger Skip-Track – diese Platte ist perfekt für ein BBQ unter der Sonne und zu kühlen Drinks.

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Bon Iver Bon Iver Das Album beruhigt mich und hat mich in gewissen Situationen auch schon zu Tränen gerührt. Eine ganz eigene Klangwelt, die mich berührt.

Kool Savas Der beste Tag meines Lebens Für mich immer noch eines der besten Deutschrap-Alben überhaupt. Zu dieser Zeit hab ich praktisch keinen Deutschrap gehört, dies änderte sich mit dieser Platte.


MUSIK

Holz-Brillen

Unbekannte Musikperlen Einmal Rock, einmal Pop und einmal Deathcore.

von Marc Gerber

Wer keine halben Sachen mag, kann KOLT hier abonnieren, damits pünktlich zum Monatsbeginn im Briefkasten liegt. © Matthias und Åsa Nyfeler

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mmer wieder passiert es, dass ich irgendwo in einem dunklen Keller sitze und eine gänzlich neue Band entdecke. Solche Bands findet man nicht auf Spotify. Es sind die Vorbands der Vorbands, es sind die Bands gegründet von Freunden, die nur Musik machen, um Spass zu haben. Oder um an einem Abend in der Woche dem Alltag zu entfliehen und im Bandraum zu proben.

body Out There. Abgesehen von ein paar Songs auf Mx3.ch ist mir die Band total unbekannt. Mit sanften Pop-Balladen und verschliffenen sphärischen Liedern faszinierten die Oberaargauer das Publikum (immerhin etwa 60 Leute) in der Traube in Langenthal. Auch die Länge des Konzerts beeindruckte, so spielten Anybody Out There etwas mehr als eine Stunde. Die erste EP soll im Sommer erscheinen.

Obwohl ich Langenthaler bin, musste ich bis ans M4Music-Festival nach Zürich reisen, um die Band Vapourtrail aus dem Oberaargau kennen zu lernen. Michael Siegenthaler und seine Bandkollegen machen Rock-Sound, der an die frühen Neunziger erinnert, als Bands wie Nirvana, Mudhoney oder Pearl Jam eine ganze Generation beeinflussten. Vapourtrail hat ausser ein paar selbst aufgenommenen Songs noch nichts vorzuweisen. Doch das erste Album soll kommen. Datum und Name sind unbekannt.

Die dritte Band, die mir nicht mehr aus dem Kopf geht, ist die Deathcore-Band Conjonctive aus Nyon, die mir eine Welsche Kollegin empfohlen hat. Nicht nur die Screams der Frontsängerin Sonia und des Frontsängers Randy sind Weltklasse, sondern auch die brachialen Gitarrenriffs, die auch zum Herzinfarkt führen können. Für Fans von Gojira oder Suicide Silence sind die Welschen Conjonctive keine Empfehlung sondern ein Pflichttermin. Diese Qualität erkannte auch die Jury des M4MusicFestivals und kürte ihren Sound zum «Demotape of the Year». Die 8000 Franken Preisgeld, habe ich gehört, investieren die Waadtländern in ihren Bandbus.

Eine Band, die ich erst vor Kurzem an einem Konzert im Kulturlokal Traube in Langenthal entdeckt habe, sind die Indie-Pop-Rocker Any-

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BESSER HOLZ IM GESICHT

ALS EIN BRETT VOR DEM KOPF

BARTLOME OPTIK AG

BRILLEN UND KONTAKTLINSEN HAUPTGASSE 33 - 4600 OLTEN


......................... KOLT liest .........................

BUCH

DIE KÄNGURUH-OFFENBARUNG

von Daniel Kissling

von Marc-Uwe Kling

Der Kabarettist und Musiker MarcUwe Kling hat mit seinen KänguruhBüchern grosse Erfolge gefeiert. Nun ist der dritte Teil erschienen. Wiederum müht sich der chaotische Kleinkünstler mit seinem Mitbewohner, dem kommunistischen Känguruh ab und zusammen ziehen sie in den Kampf gegen den Kapitalismus. Und einen Pinguin. Grossartig und sehr, sehr witzig. Kilian Ziegler, Kolumnist

DIE SACHE MIT DEM ICH von Marc Fischer

Fischer ist ein grossartiger Erzähler zwischen Literatur und Journalismus, der sich an Orte vorwagt, die andere gar nicht auf der Landkarte haben. Es gelingt ihm immer wieder das Kunststück, eine scheinbar alltägliche journalistische Situation in eine irrwitzig lustige, aber zutiefst wahre Geschichte zu verwandeln. Dieses Buch sammelt die Texte dieses leider viel zu früh verstorbenen Reporters. Matthias Sigrist, Co-Herausgeber

STERNSTUNDEN DER BEDEUTUNGSLOSIGKEIT von Rocko Schamoni

Michael Sonntag studiert Kunst. Er hasst Kunst. Er schweift durch St. Pauli, plakatiert und leidet. Hauptsächlich leidet er. An sich selbst, am Normalen, Bedeutungslosen, an der Liebe und an Magenproblemen. Ein klassischer Schamoni. Trocken, komisch, schräg und unverblümt begleitet man Sonntag durch den Nihilismus des Alltags. Christoph Haiderer, Layout

Generation Maybe

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ürde Jakob Fabian heute leben, man würde ihn wahrscheinlich als Hipster bezeichnen. Fabian, ein junger Erwachsener, noch keine 30 und Single, hat an der Uni Germanistik studiert und arbeitet jetzt als Werbetexter in Berlin, der kulturellen Welthauptstadt. Richtig glücklich macht ihn das jedoch nicht. Zusammen mit seinem Freund Labuse, dessen eigener Hochschulabschluss sich hinzieht, schlägt er sich die Nächte in zwielichtigen Etablissements um die Ohren, verheddert sich in Frauengeschichten, analysiert die Gesellschaft und sehnt sich nach Selbstverwirklichung. Würde Fabian heute leben (und in Olten), gut möglich, dass er mein Freund wäre. Fabian aber lebt nicht heute, sondern ist die titelgebende Hauptfigur des 1931 erschienenen Romans von Erich Kästner, welcher letzten Herbst in ungekürzter bzw. unzensierter Fassung unter dem Originaltitel «Der Gang vor die Hunde» neu aufgelegt wurde. Mit den Mitteln des Films, mit Montage, Zoom und Szenenwechsel macht der geistige Vater von «Emil und die Detektive», «Das fliegende Klassenzimmer» und «Pünktchen und Anton» dabei zum einen deutlich, dass er zu Unrecht nur auf seine Kinderbücher – egal wie unvergänglich sie auch sein mögen – redu-

ziert wird. Und zum anderen, dass die heutige «generation maybe» und die ein Jahrhundert zurückliegende «lost generation» der Zwischenkriegszeit Brüder im Geiste sind. «Möglich ist alles», erwidert Fabian in einem Nachtlokal, zu cool zum Tanzen, auf die Avancen eines leichten Mädchens, um danach seinen Job zu verlieren, sich Hals über Kopf zu verlieben und durch Geld- und andere Probleme ins Straucheln zu geraten. Das heutige Kulturproletariat lässt grüssen. Zugegeben, Fabian ist ein tragisches Buch. Doch wer Kästners «Geschichte eines Moralisten» – so der Untertitel – liest, wird gleichzeitig Zeuge einer Zeit, in der die Zuschauer einer offenen Bühne den Kandidaten Zuckerwürfel vor die Füsse werfen, wo Werbeslogans für Zigaretten ge-brainstormt werden und wo populistische Politiker nach der Macht greifen. Eine Welt, der unsrigen überraschend ähnlich, und ein Buch, das endlich wieder entdeckt werden sollte.

Erich Kästner

Der Gang vor die Hunde Atrium Verlag, Zürich 2013, 320 S.

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WO SPIELT DIE MUSIK?

AM TRESEN

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ie ist vermutlich die einzige Bar in der Stadt, die nur dann offen hat, wenn das Thermometer mindestens 18 Grad Celsius Lufttemperatur anzeigt.

Das ist kein Witz. Sie öffnet wirklich erst dann, wenn es 18 Grad warm ist – und zwar 18 Grad gemäss offiziellem Wetterdienst (steht so auf der Homepage). Manche wünschen sich wohl, die Limite würde auf 38 Grad gesetzt. Andere würden am liebsten schon im Januar unter Heizpilzen ihr Glühbier schlürfen und dabei die pittoreske Altstadtmauer instagrammen. Wiederum andere enthalten sich da einer Meinung und begnügen sich damit, dass sie hier einen halben Liter Guinness ab Fass für 8.50 Franken bekommen. Im Aarebistro allein auf einem Stuhl zu hängen und selbstzufrieden in den Sonnenuntergang zu blinzeln ist total okay. Laut «Hieeeeeer!» zu rufen, wenn die Bedienung mit dem Teller in der Hand «Kooontri Kaaaats» in die Gästeschar schreit, ist ein Versuch wert (vor allem, wenn man keine «Country Cuts» bestellt hat). Im Aarebistro zu sitzen, das sei fast wie Ferien zu machen, steht es auf dem grossen Plastikbanner neben dem Tresen. Womit wir wieder beim Thema wären. In den Ferien muss man nämlich auch mit unfairen Methoden kämpfen, wenn man zur besten Zeit einen Platz direkt am Wasser haben will. (nb)

Wer kennt schon Bands wie Nisennenmondai, Kotra, Jagwar Ma, Toronaut oder Forest Swords? Eben. Openair-Festivals wie das Gurten, St. Gallen oder das Heitere in Zofingen verkommen ja langsam aber sicher zum Massenauflauf des Partyvolkes. Um (gute) Musik gehts den meisten Besuchern dieser Openairs schon lange nicht mehr – die Partydomes zählen mehr. Doch es gibt, wie überall, Ausnahmen. Eine davon ist das kleine Festival im freiburgischen Düdingen, die Bad Bonn Kilbi. Tönt zwar danach, hat aber nichts, rein gar nichts mit einer Kilbi zu tun. Am «Bad Bonn» geht es schlicht um zwar grossteils unbekannte, aber herausragende Independent Musik von Elektro bis Metal. Das Festival ist fast ausverkauft, Tickets findet man in den einschlägigen Foren aber noch. Sich aber auch nur schon durch das Programm zu hören lohnt sich. Und an welchem Festival legt schon DJ Fett auf? Eben. (ms) Bad Bonn Kilbi, Düdingen, 29. – 31. Mai 2014 kilbi.badbonn.ch

MOST WANTED

Stadtbibliothek Das Buch der Bücher in der Stadtbibliothek ist momentan

Urs Widmers «Reise an den Rand des Wer keine halben Sachen mag, Universums»

Aarebistro an der Aare

kann KOLT hier abonnieren, damits pünktlich zum Monatsbeginn im Briefkasten liegt.

Es ist das Erinnerungsbuch an das Leben des Schriftstellers, eine Autobiographie. Und zugleich ist dies ein trauriger Zeitpunkt, dieses Buch zu erwähnen, ist doch Urs Widmer erst kürzlich verstorben.

Jugendbibliothek Die Fussball-WM 2014 lässt grüssen. Der meistverlangte Titel in der Jugendbibliothek ist momentan

«Der Traum vom Finale» von Luigi Garlando.

Dabei handelt es wieder um eine Reihe mit Comic-Elementen. Jedes Kind weiss halt: Geschichten lesen ist halt viel entspannender, wenn man dabei noch Bildchen anschauen kann. (nb)

www.bernheim.ch

U s ed den i m, Boy fr i en d fi t, r aw den i m : sie nennen es – wir haben es !

KOLT

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DER KOLTIGE MONAT

WILL SEIN BÜRO TEILEN.

AM LIEBSTEN MIT DIR DIREKT AN DER DÜNNERN IM ERDGESCHOSS DER LEBERNGASSE 17 TEILEN WIR UNSEREN PING PONG TISCH, UNSERE KAFFEEMASCHINE, DAS WC, DEN KÜHLSCHRANK, DIE SOFAS, DEN DRUCKER, WIRELESS/INTERNET, UNTEREINANDER MUSIK UND FILME, IDEEN UND INSPIRATIONEN. INTERESSE? Dann kontaktiere uns per Mail auf hallo@kolt.ch oder telefonisch auf 062 511 23 00

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Die Medienkritik kleine

B

esonders kritisch hört oder schaut man zu, wenn in den Medien über einen selbst berichtet wird. Oder über seine Stadt. Oder über sein Magazin. Deshalb ist die folgende Kritik vielleicht ein wenig gar sensibel gegenüber unserem öffentlich-rechtlichen Schweizerischen Radio und Fernsehen SRF. Trotzdem: Dessen Methodik zeigt im folgenden Kleinen exemplarisch die potenzielle Manipulationskraft durch Beschneiden oder Verdrehen von Aussagen. SRF berichtete am 2. April in der Sendung «Kulturplatz» über eine mögliche Schliessung des Oltner Kunstmuseums und sprach am 15. April in der Radiosendung «Tagesgespräch» mit Stadtpräsident Martin Wey über die Oltner Finanznot. «Kulturplatz» eröffnet die Sendung mit einer Kameraeinstellung auf die Oltner Kirchgasse, wo Moderatorin Eva Wannenmacher Passanten nach dem Standort des nahegelegenen Kunstmuseums fragt. Blöde Frage eigentlich, die dramaturgisch nur Sinn macht, wenn niemand die Antwort kennt. Dann wäre dies nämlich eine Aussage. Und tatsächlich: Bis auf eine Person wusste niemand, wo sich das Kunstmuseum befindet. Unglaubwürdig. Und wie sich herausstellte auch nicht richtig. Die meisten der ortskundigen Passanten wussten natürlich, dass sich das Kunstmuseum direkt vor ihrer Nase befindet. Diese Antworten wurden lediglich nicht gezeigt. Okay, kann man so machen – muss man aber nicht. In der gleichen Sendung wurden einzelne Mitglieder der Kulturlobby «Pro Kultur Olten» befragt. Der Beitrag handelte ausschliesslich vom Kunstmuseum, deshalb wurden auch nur diesbezüglich relevante Aussagen gezeigt. Unser Verlagsleiter beispielsweise antwortete auf eine konkrete Frage zum Thema Kulturkonzept, dass der Stadt Olten seiner Meinung nach ein Kulturleitbild fehle und ohne übergeordnete Strategie die vereinzelten, kleinen Sparmassnahmen willkürlich erschienen. Gezeigt wurde jedoch lediglich der zweite Teil des Satzes. Kann man machen – muss man aber nicht. Zwei Wochen später, im SRF-Tagesgespräch zitierte die Redaktorin Susanne Brunner aus dem Artikel «Lonely Tourist» der KOLT-Aprilausgabe und konfrontierte Martin Wey mit der Behauptung, dass selbst wir mit vernebeltem Blick über unsere Stadt berichten würden. Dass wir bewusst eine auswärtige und objektive Zürcher Journalistin beauftragt haben, zwei Tage in Olten zu verbringen und dass ihr «vernebelter» Blick quasi ihre Qualifikation war, davon war keine Rede. Die SRF-Redaktorin hat sich auf unsere Rückmeldung hin sehr freundlich entschuldigt. Wir haben die Entschuldigung angenommen. Schliesslich ging sie mit dem schmeichlerischen Vorschlag einher, einmal ein «Tagesgespräch» über KOLT zu machen. Klingt reizvoll, denn schliesslich ist die Sendung live – Aussagen beschneiden geht da nicht.

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Tag der offenen Tür. 24. Mai 2014, 10-16 Uhr

2 0 h re Ja llas Pa

Dunkelzelt:

Tauchen Sie ein in eine Welt ohne Licht.

Gratischecks:

Lassen Sie Ihre Haut, Venen und Augen prüfen.

OP-Feeling:

Schauen Sie hinter sonst verschlossene Türen.

Vortragsserie:

Lernen Sie von unseren Experten.

Und für einmal:

Unsere Ärzte grillieren für Sie!

Pallas Kliniken AG • Louis Giroud-Strasse 20 • 4600 Olten www.pallas-kliniken.ch • info@pallas-kliniken.ch • Gratis-Nummer 0844 555 000 KOLT

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O Mädchen, Mädchen, wie lieb' ich dich! Wie blickt dein Auge! Wie liebst du mich! Aus dem Mailied von Johann Wolfgang von Goethe

Frühlingsgefühle inklusive.

SIO AG Generalvertretung COVER Rötzmattweg 66 CH-4603 Olten T +41 62 207 07 07 F +41 62 207 07 00 info@cover.ch cover.ch

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