3 minute read
Magie und Disziplin
MAGIE UND DISZIPLIN
Wenn Sol Gabetta mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter derLeitung von Daniele Gatti auf der Konzerthaus-Bühne steht, ist ihr letzterBesuch hier fast neun Jahre her. Schon damals wurde die gebürtige Argentinierinals »Cello-Königin« gefeiert – ein hart erkämpfter Titel.
Für jeden Cellisten gibt es Situationen, bei denen es nur heißen kann: die Zähne zusammenbeißen. Nochmal so schlimm, wenn sie einen während des Auftritts ereilen. »Es gibt da einen typischen Riss unter dem Fingernagel, der außerordentlich schmerzt«, sagt Sol Gabetta. »Oft versuche ich, den Schmerz psychologisch zu behandeln und denke zum Beispiel an eine Balletttänzerin, die viel stärkere Schmerzen hat und trotzdem tanzt. Der Kopf spielt bei so etwas eine große Rolle.«
Klassikstars wissen oft, wie man sich selbst austrickst und sich in Disziplin übt. Üben ist überhaupt das Stichwort: Ohne konzentrierte tägliche Stunden am Instrument geht nichts, und wenn die musikalischen Exerzitien nicht mit Spaß und Ehrgeiz einhergehen, wird es nichts, zumindest mit der ganz großen Karriere. Sol Gabetta aber kann von jeher schon große Begeisterung und den unbedingten Willen aufbringen, sich kompromisslos für die Musik einzusetzen. Natürlich ist ihr Terminplan etwas lichter geworden, jetzt, seit sie vor rund zwei Jahren Mutter geworden ist. Weniger stressig ist der Alltag aber nicht. Sie gibt kaum Interviews und weniger Konzerte, reist mit einer Nanny und kümmert sich trotzdem noch intensiv um den Nachwuchs. Auf das tägliche Üben verzichtet sie allerdings nicht, und das seit ihrer Kindheit. In ihren Teenagerjahren nimmt es beängstigende Ausmaße an: Bis zu 14 Stunden am Tag sitzt sie am Instrument. »Mit 17 war ich an der Grenze zur Magersucht«, gibt sie zu, die bedenkliche Entwicklung vor lauter Einsatz und Konzentration damals kaum registrierend. »Mental war ich in dieser Zeit so stark wie nie.«
Die zierliche, temperamentvolle Sol Gabetta ist immer in Bewegung. Man kennt sie als Moderatorin des Medienmagazins »Klick-Klack« im Bayerischen Rundfunk. Als Leiterin des von ihr gegründeten »Solsberg Festivals« in der Schweiz holt sie jedes Jahr Klassikstars in die Oberrhein-Region. Viele davon sind gute Freunde, mit denen sie immer wieder gern Kammermusik macht. Selbstverständlich hat sie in ihrer jungen Karriere die großen Wettbewerbe für sich entschieden, die sich allesamt als Türöffner er- wiesen haben: den »Tschaikowsky-Wettbewerb« in Moskau und den »ARD-Wettbewerb« in München zum Beispiel. Erst im letzten Jahr ist mit dem »Herbert-von- Karajan-Preis« wieder eine neue Auszeichnung hinzugekommen. Dass sie mit ihrem Engagement nicht durch die Decke geht, dafür sorgt in ihrem Leben schon immer ihr Cellolehrer und Mentor Ivan Monighetti. »Er war schon damals wie ein zweiter Vater für mich und passt immer noch auf mich auf. Manchmal war es hart zu lernen, dass ich mir für manches Zeit lassen muss. Monighetti hat mir beigebracht, geduldiger zu sein.« Liegen die Wurzeln dieses großen Temperaments in Argentinien? Tief im Herzen des Landes, in der Stadt Villa Maria, ist Sol Gabetta geboren. Die Familie zieht dann nach Madrid, wo sie die berühmte Reina Sofia School of Music besucht. Später geht es in die Schweiz, an die Musikakademie in Basel.
Viel Sport muss Sol Gabetta nicht einplanen, sie hat ja ihr Cello, das von Konzert zu Konzert getragen werden will. Genaugenommen sind es jetzt zwei, zu ihrem Guadagnini-Instrument von 1759 ist ein weiteres, von Matteo Goffriller 1725 hergestelltes hinzugekommen. Das ältere Instrument, etwas forscher im Klang, kommt wohl auch zum Einsatz, wenn Gabetta das erste Cellokonzert von Camille Saint-Saëns spielt, gemeinsam mit der Sächsischen Staatskapelle. Diese Musik steckt ihr sozusagen in den Genen: »Das Saint-Saëns-Konzert war das erste überhaupt, das ich mit einem Orchester gespielt habe.« Sie ist damals erst zwölf. »Mein Lehrer ließ mich so viel üben – er sorgte dafür, dass ich alles über das Stück wusste, selbst über alle Orchesterstimmen. Ich kann immer noch fast alle Instrumentenparts mitsingen, wenn ich das Cellosolo spiele.« Das leicht gefügte Konzert, das Daniele Gatti der existenziellen Sinfonie Nr. 5 von Mahler gegenüberstellt, hat schon oft zu Verdächtigungen eingeladen, so unkompliziert wie es sich gibt. »Es ist ein sehr transparentes Stück – aber wenn Stücke so sind, ist es für den Solisten viel wichtiger, daraus etwas ganz Besonderes zu machen, etwas Magisches.« Im Jahr 2006 hat Sol Gabetta das Konzert auf CD eingespielt. Seitdem hat sich ihre Technik durch unermüdliches Üben noch mehr verfeinert. »Es ist wichtig, an sich selbst zu arbeiten, aber ohne sich kaputt zu machen«, meint sie. Kann sie sich heute tatsächlich auch manchmal zurücklehnen und das eigene Tun genießen? Ja, gerade bei Saint-Saëns. »Das heißt, dass ich mich wirklich auf die Musik konzentrieren kann. Zum Spielen ist das ein so wunderschönes Stück!«