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Interview Kian Soltani

Nikolaj Lund

AUF DER STUHLKANTE

Ruhig und erhaben liegt das KKL in der Nachmittagssonne am Vierwaldstätter See. Erhaben recken sich auch die Berge ringsum am Horizont. Gruppen von japanischen Touristen halten ihre Selfie-Sticks am ausgestreckten Arm, um sich inmitten der Luzerner Panorama-Idylle abzubilden. Ganz unruhig hinter der Bühne im Kultur- und Kongresszentrum Luzern ist der 26-jährige Cellist Kian Soltani, wie er spät nachts nach seinem Konzert für dieses Interview gestehen wird: Es ist sein Debüt sowohl beim »Lucerne Festival« als auch mit den Wiener Philharmonikern unter Franz Welser-Möst. Antonín Dvořáks von ihm virtuos und tiefmusikalisch gestaltetes Cellokonzert durchlebt er dann wie in Trance. Sein Blick mit weit aufgerissenen Augen ist fernab in die Höhe gerichtet oder er lacht an den »schönen Stellen« – immer auf dem Klavierhocker in Bewegung – Dirigent und Konzertmeister zu. Ende November wird Kian Soltani sein erstes Konzert als »Junger Wilder« im KONZERTHAUS DORTMUND geben. Diese Rolle, sagt er, will er in den nächsten drei Jahren in Dortmund voll ausleben.

1000 Glückwünsche, das war ein großartiges Konzert!

Dankeschön!

Wie würden Sie Ihr Spiel selbst beschreiben – leidenschaftlich, kommunikativ?

Für mich ist Musik immer ein Miteinander, definitiv. Außer vielleicht bei den Bach-Solosuiten, da ist man alleine. Aber nicht einmal dann, sondern man tritt quasi in Dialog mit sich selbst und mit Gott, ob man an ihn glaubt oder nicht. Bach hat sie für Gott geschrieben. Beim Cellokonzert von Dvořák sind einem die Partner so genial zugeschrieben, dass der Solist mit jeder Gruppe des Orchesters zumindest einmal zusammenspielt, mit den Bläsern, mit der Flöte und auch mit dem Konzertmeister. Es war für mich ein hochemotionales Konzert, ein Riesending: zum ersten Mal mit den Wiener Philharmonikern und beim »Lucerne Festival«, dazu die Preisverleihung… Ich glaube, jetzt bin ich bereit für alles, was auch immer danach kommt.

Ein wenig »wild« sind Sie schon ...?

Wenn ich beim Spiel auf dem Stuhl herumrutsche – ich kann gar nicht anders. Das ist nicht einstudiert, die Musik lädt einfach dazu ein, ein Fest auf der Bühne. Man muss 100 Prozent dabei sein, und ich genieße den Moment, denn er kommt in dieser Form nie wieder. Dvořáks Cellokonzert ist als Bravourstück klar dafür geschrieben, dass der Cellist sämtliche Möglichkeiten des Instruments zeigt. Er will das Publikum mitreißen. Bachs Musik ist nach innen gekehrt, mit einer ganz anderen Art von Leidenschaft, ich liebe sie genauso sehr. Aber es ist ein ganz anderer Ausdruck, und man muss für jeden Komponisten eine eigene Ausdrucksweise finden.

Bach ist für Sie sehr wichtig…

Er nimmt einen großen Teil in meinem Leben ein. Aber etwa so, wie man sich einen Eisberg vorstellt: 90 Prozent dieser Musik habe ich unter der Oberfläche erlebt, zu Hause, allein in meinem Übezimmer. Das ist für mich eine Bereicherung, Meditation oder eine Art Therapie. Viel seltener habe ich Bach vor Publikum gespielt.

Ihr erstes Dortmunder Programm als »Junger Wilder« enthält ausschließlich persische Musik. Sind Sie als Sohn persischer Musiker in Vorarlberg mit beiden Kulturen groß geworden?

Die persische Musik kam eher später hinzu. Als Kind habe ich sie immer gehört, mein Vater hat oft zu Hause musiziert – im Ohr hatte ich die Klänge also von Anfang an. Aber erst seit ich als klassischer Musiker professionell Konzerte spiele, nehme ich auch persische Musik mit aufs Programm. Das ist für mich ein spannendes Projekt, und hier ist als großes Vorbild Yo-Yo Ma zu nennen, der in seiner Musik verschiedene Kulturen zusammenführt. Er inspiriert mich sehr, in diesem Sinn möchte ich selbst etwas aufbauen.

In Dortmund spiele ich im ersten Teil Werke klassischer iranischer Komponisten. Ihre Musik ist stark von der Volksmusik beeinflusst, aber dennoch in gewohnter Art und Weise notiert. Im zweiten Teil geht es darum, die originale persische Klangwelt zu zeigen. Mein Vater übernimmt die Führung. Ich werde Teil des Shiraz Ensembles und spiele die Kamantsche. Ihre Klangfarbe ist für den charakteristischen Ensembleklang wichtig. Sie ist dem Violoncello sehr ähnlich, und ich habe die Cello-Spieltechnik auf die Kamantsche übertragen.

Sie spielen auch in Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra …

Er war auf der Suche nach einem neuen Solocellisten, ich habe eine Audition gespielt und wurde für das erste Projekt eingeladen. Von da aus hat sich die Zusammenarbeit weiterentwickelt. Barenboim unterstreicht immer wieder das humanitäre Motto des West-Eastern Divan Orchestra: »equal in music« – in der Musik sind wir alle gleich. Außerdem spielen wir zusammen Klaviertrio, dazu gesellt sich noch sein Sohn Michael, ein toller Musiker und Mensch. Wenn Daniel Barenboim vor einem Orchester steht und Disziplin durchsetzen muss, dann ist das ein anderer Mensch als der, der am Klavier sitzt und Kammermusik macht. Dann ist er entspannter, vertrauter, enger.

Ist da Jacqueline du Pré noch irgendwie im Hintergrund?

Ja, er redet ständig von ihr, wenn wir Stücke spielen, die seine Erinnerung wecken. Das letzte Mal, dass er ernsthaft Klaviertrio gespielt hat, war ja mit Jacqueline du Pré und Pinchas Zukerman, etwa um 1970. Die Beethoven-Trios, die wir jetzt intensiv gespielt haben, hat er mit ihr aufgenommen.

Gibt es noch weitere große Cellisten-Vorbilder?

Da ist zum einen Steven Isserlis als absolute Autorität, wenn es um Interpretation geht. Er ist fast schon ein wenig konservativ und würde nie Dinge wie Yo-Yo Ma tun, wahrscheinlich sich auch nicht außerhalb der klassischen Musik bewegen. Die allererste Priorität für ihn ist: Was hat der Komponist gewollt und wie kann ich das am besten umsetzen? Ich selbst experimentiere gerne auch ein bisschen – es sind eher Improvisationen, die dann irgendwann auf Papier geschrieben werden. In dieser Hinsicht inspiriert mich Giovanni Sollima, der für mich ein absoluter Meister in dieser Art zu komponieren ist: ein großartiger Improvisator, der anschließend seine Einfälle aufschreibt, um auf diese Weise wahnsinnig tolle Stücke zu kreieren. Ich möchte genauso ein wenig ausbrechen und nicht immer die gleichen Stücke spielen, ich würde gerne mit etwas Eigenem beitragen. Idealerweise versuche ich die drei Seiten in mir zu vereinen: Mas kulturübergreifendes Element, Isserlis’ Interpretationsansatz und Sollimas Kreativität. Ich habe mich nun Jahre darum bemüht, meine Ernsthaftigkeit unter Beweis zu stellen. Vielleicht habe ich es mir jetzt verdient, auch wirklich neue Dinge ausprobieren zu dürfen – und immer noch ernst genommen zu werden. Hoffentlich!

Das Interview führte Jan Boecker.

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