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In den Minen mit Cecilia
IN DEN MINEN MIT CECILIA
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Uli Weber · Decca Classics
Keine andere Sängerin hat so viele Vokal-Edelsteine zu Tage gefördert wie Cecilia Bartoli. Mit einem Vivaldi-Programm kehrt sie nun zu dem Komponisten zurück, mit dem alles begann.
Fast 20 Jahre ist es her, dass diese CD für mächtig Furore sorgte – und das gleich in zweierlei Hinsicht: »The Vivaldi Album« hieß die Scheibe und verhalf einer Mezzosopranistin zum Durchbruch, die wenig später – neben Anna Netrebko – zur berühmtesten Sängerin unserer Zeit avancieren sollte. Die Rede ist von Cecilia Bartoli. Was für eine Stimme war hier zu hören: vibrierend, mit substanzvoller Tiefe und atemnehmender Gelenkigkeit, »mit der die Sängerin die barocken Affekte mit lupenreinen Läufen ziert«, wie es damals in einer der zahllosen hymnischen Rezensionen zu lesen war. Eine Sensation war aber nicht nur dieser vitale, mit ansteckender Freude Koloraturen feuernde Mezzo, sondern auch das Repertoire der CD: Antonio Vivaldi – ausgerechnet! Sicher, mit seinen »Vier Jahreszeiten« ist er unsterblich geworden, auch wenn die manchmal ein trauriges Dasein als lieblos runtergenudelte Fahrstuhlmusik fristen. Dass er aber an die 50 Opern komponiert hat – nach eigenem Bekunden sollen es unglaubliche 94 sein –, von denen immerhin 16 vollständig in Vivaldis eigener Handschrift erhalten sind, war eher Experten bewusst. Erst durch Bartolis vehementen Vokaleinsatz wurde bekannt, was da für Juwelen in den Archiven schlummern. Und mit der Platte hat sie eine wahre Vivaldi- Renaissance losgetreten, ohne die editorische Großtaten wie die epochale Vivaldi-Edition beim Label Naïve undenkbar gewesen wären.
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Dieser Mut zum abseitigen Graben, die Neugierde auf Neues und die Empathie mit den vergessenen Genies ist längst zum Markenzeichen der Mezzosopranistin geworden: Auf Vivaldi folgte Gluck, von dem zwar die Reformopern ihren festen Platz in der Musikgeschichte hatten, aber die italienischen Arien? Fehlanzeige! Bei Bartoli wurden auch sie zum Kassenschlager. Ähnliches gelang ihr mit dem Album »Mission«, das sie der Musik Agostino Steffanis widmete. Noch so ein Name, der höchstens Eingeweihten bekannt war. Nur Dank Bartoli durften wir die Vielseitigkeit dieses Komponisten hörend erfahren, der vor allem durch seine Fähigkeiten in der Orchestrierung und der Behandlung der Instrumente überrascht. Sehr oft stellt er der Gesangsstimme ein solistisches Begleitinstrument zur Seite: Die Solotrompete schmettert in kriegerischen Stücken, die Theorbe begleitet melancholische Lamenti, die Gambe setzt sparsame Akzente in verinnerlichter Melancholie.
Ebenso spektakulär sind die PR-Gags, mit denen »La Gioa«, wie sie auch von Freunden genannt wird, auf ihre Entdeckungen aufmerksam macht: Fürs Cover-Foto von »Opera proibita« sprang sie, wie einst Anita Ekberg, in die Fontana di Trevi; ein anderes Mal grinste sie uns diabolisch mit Glatze und einem Kruzifix bewaffnet von überlebensgroßen Werbetafeln entgegen; und für ihr Album »Maria« wurde gar ein riesiger
Truck zum »Museo mobile« und fuhr die darin installierte Maria-Malibran-Ausstellung 20.000 Kilometer quer durch Europa. Fast vergisst man bei so viel Erfolg, wie viel Aufwand in jedem dieser Projekte steckt. »Einige dieser Stücke sind in den letzten 300 Jahren kein einziges Mal aufgeführt worden«, erinnert sich Cecilia Bartoli an den langwierigen Entstehungsprozess der Aufnahmen etwa der Kompositionen von Caldara. »Es war daher viel Arbeit, sie überhaupt wieder ans Tageslicht zu befördern.« Unnachgiebig stöberte sie in den Mottenkammern der Musikgeschichte, schürfte dabei immer tiefer, wie Tolkiens Zwerge in den Minen von Moria, stets auf der Suche nach den schimmerndsten, kostbarsten Schätzen.
Begonnen hat das alles mit Antonio Vivaldi, der eine ganze Entdeckungs-Lawine ins Rollen gebracht hat. »Dabei habe ich meine Sängerlaufbahn ja mit Belcanto gestartet, mit Rossini und Donizetti«, erinnert sie sich an diesen etwas untypischen Karriereverlauf. »Dann aber habe ich mich entschieden, mich nicht ganz konventionell über den frühen Verdi zu Puccini vorzuarbeiten. Die Musikgeschichte beginnt nicht erst um 1800. Also bin ich musikhistorisch rückwärtsgegangen, zu Mozart und Haydn, dann bis zum Barock, zu Händel und Vivaldi. Jetzt begegne ich mit all dem Wissen über die vorangegangenen Epochen wieder dem Belcanto.« Doch Bartoli wäre nicht Bartoli, hätte sie nicht auch dabei fundamental Eigenes hinzuzufügen: »Wir müssen den Mut haben, auch Belcanto historisch korrekt aufzuführen. Wir werden so viele neue Nuancen, neue Farben in dieser vertrauten Musik entdecken!« Das hat sie vor einigen Jahren im Konzerthaus schon bewiesen, als sie mit Vincenzo Bellinis »Norma« ihren persönlichen »Rollen-Mount-Everest« bestiegen hat. Nun schließt sich am selben Ort mit Vivaldi für sie ein Karriere-Kreis.