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Ohne Netz und doppelten Boden
OHNE NETZ UND DOPPELTEN BODEN
Wer die frühe Janine Jansen, das »Mädchen mit dem Perlenohrring«, kennenlernen möchte, muss zurückgehen in die Zeit vor 2010. Damals hat sie tatsächlich ein bisschen so ausgesehen wie die Protagonistin des berühmten, 1665 entstandenen Gemäldes von Jan Vermeer van Delft. Und teilt sich mit ihr bis heute die unmittelbare Verbindung zum Publikum.
Die Ähnlichkeiten zwischen Janine Jansen und dem berühmten »Mädchen mit dem Perlenohrring« sind dem Journalisten Robert Fraunholzer aufgefallen. Etwas pausbäckig, aufgeweckt, neugierig und hübsch, muss Vermeers »Mädchen« nicht viel tun, um das Auge des Betrachters auf sich zu lenken. Sie stellt einen unmittelbaren Zugang zu ihm her. Diesen direkten Draht zu ihrem Publikum hat auch Janine Jansen. Alle Barrieren sind vergessen, besonders die zur Musik selbst, wenn sie zur Violine greift. Wie sie das schafft? Durch pure Emotion und passioniertes Musizieren.
Damals, als der Filmemacher Paul Cohen sie 2010 in einem Porträt darstellte, war sie eine junge Frau, die nach Perfektion suchte, die für die Musik brannte, von Auftritt zu Auftritt eilte und sich nebenbei noch in vollen Zügen dem Marketing hingab. Das allerdings hat seinen Tribut gefordert. »Wenn man seinen Beruf so liebt wie ich, dann kann es schon passieren, dass man zu verschwenderisch mit seinen Kräften umgeht«, sagt Janine Jansen. »Zumal das Musizieren mir immer so viel Energie gegeben hat. Aber ich bin damals zu weit gegangen und war erschöpft.« Das Ergebnis ist kein Burnout, sondern eine handfeste Krise. Was folgt, ist ein halbes Jahr Pause, eine Reduktion der Konzertverpflichtungen und die Suche nach einer neuen Balance zwischen Beruf und Freizeit – falls man bei einer Vollblut-Geigerin überhaupt solch eine Unterscheidung machen kann. Eigene Grenzen akzeptieren, das hat Janine Jansen erst lernen müssen. Gar nicht so einfach für eine Künstlerin, die so grenzenlos spontan ist wie sie. Einfach raus auf die Bühne und losgespielt, alles an Gefühl investieren, was abrufbar ist – das ist ihre Devise. Kein Wunder, dass ihr Publikum sie gerade dafür auf der ganzen Welt liebt.
Wie alles anfing, daran erinnert sich Janine Jansens erste Geigenlehrerin, Coosje Wijzenbeek, ganz genau. »Sie war ein süßes kleines Mädchen, mit einem ziemlich runden Kopf und Holzschuhen an. Recht schüchtern.« Die Geige war zunächst viel zu groß für sie. »Es ging einfach darum, wunderbare Musik zusammen zu machen.« Die Kammermusikzusammenkünfte der Jansens in Utrecht sind auf vielen Videobändern dokumentiert. Was sollte man in dieser Familie anderes werden als Musikerin? Der Großvater war Chorleiter, die Mutter singt, der Onkel Peter Kooij ist ein angesehener Bach-Bariton und hat über 100 CDs aufgenommen. Ihr Vater Jan spielt Cembalo und war in Utrecht Organist.
Aus dem schüchternen Mädchen wird um das Jahr 1994 herum eine der vielversprechendsten Schülerinnen des Geigers Philippe Hirschhorn. Besonders in der ehemaligen UdSSR gilt er noch heute als Legende. »Ich könnte nie so spielen wie sie«, gesteht er und ist begeistert von Janines Hingabe. »Meine erste Unterrichtsstunde bei ihm war, wie soll ich sagen, mit so viel Energie und Intensität geladen, was seine Person betraf«, erinnert sich Janine Jansen. »Wie er dachte, wie er auf Musik reagierte«. Hirschhorn wird die prägende musikalische Instanz für sie. Von ihm lernt sie, kompromisslos ihren Weg zu gehen und ihren Willen durchzusetzen. 1998, zwei Jahre nach dem frühen Tod Hirschhorns, schließt Janine Jansen ihr Studium in Utrecht ab. Ihr Debüt-Album erscheint fünf Jahre später beim Londoner Label Decca. Seitdem hat sie vor allem Repertoire- Schlachtrösser aufgenommen, mit den renommiertesten Orchestern und Dirigenten. Der ungeheure Erfolg, den sie in den darauffolgenden Jahren hat, ist einem perfekten, ja schon fast bedenklich ungezügelten Marketing zu verdanken. Im Internet wird sie zum »meist heruntergeladenen« Klassikstar, zur »Königin der Downloads«.
Eines der Meisterwerke, die Jansen im Repertoire hat, ist natürlich auch das Konzert von Jean Sibelius. »Es ist ein unglaublich expressives Stück. In meiner Jugend habe ich die Aufnahme von Frank Peter Zimmermann oft gehört – und auf den Moment gewartet, bis ich selbst in der Lage bin, es zu spielen. Es hat diesen dunklen, skandinavischen Tonfall.« Zwei Dinge passen wunderbar zu Sibelius. Da wäre zum einen Jansens Stradivari »Rivaz, Baron Gutmann« aus dem Jahr 1707, über die sie sagt: »Sie besitzt in jeder Lage einen tiefen, warmen Klang. Ich genieße wirklich jeden Tag mit ihr.« Zum anderen hat sie zum Radiosinfonieorchester des Schwedischen Rundfunks eine besondere Beziehung. »Auch mein schwedischer Mann, der Cellist und Dirigent ist, hat viel mit diesem Klangkörper zu tun. Auf Tournee bin ich aber zum ersten Mal mit diesem Orchester.«
Ein bisschen Angst – oder sagen wir besser Respekt – hat Janine Jansen vor Sibelius’ Konzert immer wieder. Diese langen Bögen, diese virtuosen Anforderungen! Doch egal, ob alles Technische ideal gelingt: Es ist etwas anderes, das ihr Geigenspiel darüber hinaus auszeichnet. Man muss da zum Beispiel ihren Kammermusikpartner Maxim Rysanov fragen, den ukrainischen Geiger und Dirigenten. »Es ist aufregend, mit ihr zu musizieren, weil sie so gut kommuniziert. Sie kann voraussehen, was du spielen wirst, weil sie dich kennt und versteht. Das ist ihre Gabe.« Solokonzerte mit Orchesterbegleitung macht das stets zu großen musikalischen Erlebnissen. »Sie spielt Konzerte wie Kammermusik. Das ist ein großes Plus für Janine, als Musikerin. Sie geht auf die Bühne und interpretiert ein Stück als Ganzes. Nicht wie Musiker, die nur ihren eigenen Part im Auge haben.« Mit dieser Art des Musizierens wird jeder Auftritt von Janine Jansen zum unvergleichlichen, unmittelbar packenden Ereignis. Ihre Wünsche für die Zukunft? »Ich bin sehr glücklich, dass ich Musik teilen darf. Die Violine ist meine Stimme. Ich hoffe sehr, dass ich mein ganzes Leben lang musizieren kann.«