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KONZERTRévolutionnaire!
Sieben Konzerte ergänzen in diesem Jahr die Freiluftoper auf dem Klosterhof und die Tanzproduktion in der Kathedrale. Der sie überwölbende thematische Bogen gibt die Festspieloper vor
Andrea Chénier, eine der grössten Opern des Verismo , ein Meisterwerk eines italienischen Komponisten, das zu einer Zeit in Frankreich spielt, die sich wenig später als der entscheidende historische, kulturelle und gesellschaftspolitische Wendepunkt im Europa der Neuzeit entpuppen wird. Musik aus Italien und Frankreich also sowie musikalisch revolutionäre Ideen sind im FestspielKonzertprogramm 2023 zu entdecken.
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Das Überwinden von Schranken der Konvention und eine neue Freiheit des Musizierens – diese revolutionäre Haltung prägt die beiden rahmenden Konzerte. A Day with Suzanne, mit dem das Konzertprogramm am 24. Juni in der Kirche St.Laurenzen eröffnet, verbindet nicht weniger als die Songs und Balladen des 2016 verstorbenen scher Freiheitsheld, ein Künstler, der so gut wie keine Schranken kennt, sowohl technisch auf Tuba und Serpent, einem Vorläufer der Tuba mit einer an eine Schlange erinnernden, geschwungenen Form, als auch stilistisch. Improvisation und Innovation, damit ist der Stil des Franzosen treffend charakterisiert. Für ihn schliessen sich alte Musik und Jazz nicht aus, im Gegenteil, in seinen Programmen und CD-Einspielungen zeigen sich ganz erstaunliche Ähnlichkeiten zwischen Musik des 16. und frühen 17. Jahrhunderts und dem Jazz. Beide Welten lässt Michel Godard auch in seinem Programm Le chant du Serpent mit Musik aus dem französischen Barock aufleben. Dafür schliesst er sich mit Spezialisten aus beiden Welten zusammen: mit einem Ensemble aus Countertenor, Gambe und Laute sowie mit der bekannten französischen Jazztrompeterin Airelle Besson.
Singer-Songwriters Leonard Cohen mit Chansons aus der franko-flämischen Renaissance. Der Kanadier Cohen, der im französischsprachigen Kanada, in Montréal, aufwuchs, war ein moderner «Troubadour», der sich selbst gerne als Chansonnier bezeichnete. Und tatsächlich war er in Frankreich äusserst beliebt, vielleicht gerade aufgrund der Nähe seiner Kunst zur Chanson-Tradition. Das Ensemble Phoenix Munich um den charismatischen Sänger und Lautenisten Joel Fredriksen lässt Cohen auf (viel!) ältere Generationen von Chansonniers und Singer-Songwriter treffen. Das bedeutet musikalische Begegnungen über die Jahrhunderte hinweg, das bedeutet ein Aufeinandertreffen von Cohens legendärem Suzanne und Orlando di Lassos berühmtem Chanson Susanne un jour aus dem 16. Jahrhundert – ein wahrlich «revolutionärer» Auftakt, der dem Konzertmotto alle Ehre macht!
Fesselnde und sinnliche Renaissance
und mündlich überlieferter Musik, zwischen vokalen und instrumentalen Traditionen. Selber bezeichnet sich das belgische Spezialensemble erfrischend unkonventiell als internationales «Rat Pack», als internationales Rudel Ratten aus der Alten Welt, das, ganz den intensiven Ausdrucksbereichen von Madrigalen des 16. Jahrhunderts verschrieben, zusammen durch Europa zieht. In Sfregio – Narben der Seele, ihrem Programm für den Auftritt in St.Gallen, bieten die «Ratas» mit vier Stimmen und den warmen Timbres von Gambe und Laute eine ganz persönliche Interpretation einer Reihe von Komponisten des 16. Jahrhunderts wie Cipriano de Rore, Orlando di Lasso, Philippe de Monte und weiteren, die sich und ihre Emotionen in einer ungemein fesselnden und sinnlichen Musiksprache ausdrückten.
Vorhang auf für Laute und Gambe menschlicher Gefühlswelten, wie sie in Werke von John Dowland, Marin Marais und weiteren barocken Kollegen eingingen. Die Debüt-CD des französischen Ausnahmelautenisten, dem grossen britischen Lautenisten und Komponisten des elisabethanischen Zeitalters John Dowland gewidmet, machte Dunford quasi über Nacht auch über die AlteMusik-Szene hinaus bekannt, er wurde gar als «Eric Clapton der Laute» gefeiert. In seinem Programm an den St.Galler Festspielen wird Dunford einen Schwerpunkt mit seinem Lieblingskomponisten Dowland bestreiten und eine Auswahl an Werken aus seiner erfolgreichen CD Lachrimae präsentieren. Im Konzert in der Stiftsbibliothek sind es Gambistin Lucile Boulanger und ihr farbstarkes Continuo, die nun Musik für Gambe, genauer französische Gambenmusik von Antoine Forqueray und Zeitgenossen, aufleben lassen. Forqueray war einer der letzten grossen Gambisten Frankreichs, hob sich aber durch die Einverleibung des virtuosen italienischen Stils noch von ihnen ab. Er versuchte all das auf seinem Instrument zu spielen, was die Italiener damals auf der Violine spielten. Mit seinen Kompositionen und Transkriptionen erweiterte er die Spieltechnik der Gambe in geradezu revolutionärem Ausmass
Barock im Jazz-Spiegel
Geprägt von der Verschmelzung der Gattungen, Epochen und Stile ist auch das Konzert-Finale, das ebenfalls in der Kirche St.Laurenzen stattfindet. Michel Godard ist so etwas wie ein musikali -
In emotionale Ausnahmezustände in der unvergleichlich herben, bittersüssen Tonsprache von Renaissance-Madrigalen führt das dritte Konzert in der Kirche St.Laurenzen. Ratas del viejo Mundo, 2017 vom Lautenisten Floris De Rycker gegründet, durchbricht gerne die Grenzen zwischen notierter
Die Schutzengelkapelle mitten im Klosterbezirk, die räumlich wie akustisch beste Voraussetzungen für ein intimes Soloprogramm bietet, wird auch in diesem Jahr zum Schauplatz eines solchen: Thomas Dunford, aktuell einer der vielseitigsten und gefragtesten Lautenisten, zeigt in Les voix humaines den ganzen Empfindungsreichtum
ST.GALLER FESTSPIELE
und stellte die Interpreten vor höchste Anforderungen. Ein musikalisches Feuerwerk in der Stiftsbibliothek dürfte also garantiert sein.
Abschieds- und Kathedralenmusik
Der langjährige Domorganist der Kathedrale St.Gallen Willibald Guggenmos verabschiedet sich mit seinem Rezital von den Festspielen, er wird diesen Sommer seinen Ruhestand antreten. Zu diesem Anlass hat Willibald Guggenmos ein Programm mit Musik aus Frankreich ausgewählt, dem Land, das so grossartige Orgelmusik hervorgebracht hat. Keine Abschieds-, aber ebenso Kathedralenmusik präsentieren das Sinfonieorchester St.Gallen und Chefdirigent Modestas Pitrenas in ihrem letzten Konzert vor der Sommerpause. Die epische 5. Sinfonie von Anton Bruckner ist mit ihrer erhabenen Architektur und den gewaltigen klanglichen Dimensionen Musik wie gemacht für diesen aussergewöhnlichen Sakralraum. (ff)
Konzerte
A Day with Suzanne
Chansons über die Liebe – Französische Renaissancelieder treffen auf Songs von Leonard Cohen Samstag, 24. Juni 2023
19 Uhr, Kirche St.Laurenzen
Ensemble Phoenix Munich
Joel Frederiksen, Gesang, Laute und künstlerische Leitung
Emma-Lisa Roux, Laute, Gesang
Hille Perl, Viola da gamba
Domen Marinčič, Viola da gamba
Festgottesdienst
Sonntag, 25. Juni 2023
10.30 Uhr, Kathedrale
Domkapellmeister Andreas Gut, musikalische Leitung
Capella Vocale Barock-PosaunenQuartett
Französische Revolution
Revolutionär neu – Orgelmusik aus
Frankreich
Sonntag, 25. Juni 2023
17 Uhr, Kathedrale
Willibald Guggenmos, Orgel
Sfregio – Narben der Seele
Emotionale Ausnahmezustände im franko-flämischen und italienischen Madrigal
Dienstag, 27. Juni 2023
19 Uhr, Kirche St.Laurenzen
Ratas del viejo Mundo
Floris De Rycker, Laute und künstlerische Leitung
Michaela Riener, Sopran
Soetkin Baptist, Mezzosopran
Anne Rindahl Karlsen, Alt
Tomàs Maxé, Bass
Salomé Gasselin, Viola da gamba
Anna Lachegyi, Viola da gamba
Festkonzert - Bruckner V
Anton Bruckner, 5. Sinfonie B-Dur WAB 105
Donnerstag, 29. Juni 2023
20 Uhr, Kathedrale
Modestas Pitrenas, Leitung
Sinfonieorchester St.Gallen
Les voix humaines
Menschliche Stimme – Geist, Esprit, Gefühlswelten
Sonntag, 2. Juli 2023
19.30 Uhr, Schutzengelkapelle
Thomas Dunford, Laute
Die Eroberung des Monsieur Forqueray
Virtuose Gambenmusik aus Frankreich und Italien
Dienstag, 4. Juli 2023
19 Uhr, Stiftsbibliothek
Lucile Boulanger, Viola da gamba
Pierre Gallon, Cembalo
Claire Gautrot, Viola da gamba
Romain Falik, Theorbe
Le chant du Serpent
Zeitenwenden: Improvisation, Innovation, Revolution – Musik aus dem 17. und 21. Jahrhundert
Donnerstag, 6. Juli 2023
19 Uhr, Kirche St.Laurenzen
Michael Godard, Serpent
Samuel Cattiau, Countertenor
Airelle Besson, Jazztrompete
Bruno Helstroffer, Theorbe
Atsushi Sakai, Viola da gamba interpretiert franko-flämische und