von
Dr.med.vet
Hans Christ
Acht Kaiserschnitt-Geburten
Ich mache oft Wanderungen und finde, Bergbauern behandeln ihr Vieh noch gut. Was meinen Sie? Dr. H. C.: Wer so wie ich zur Zeit täglich auf mehreren Almen herumgondelt, weil es da ein lahmes Pferd, dort eine Kuh mit Euterentzündung und hier ein Schwein mit Rotlauf zu behandeln gilt, dem wird vor Augen geführt, wie vorteilhaft unsere kleinbäuerliche Struktur für das Wohlbefinden der Tiere ist. Kein Vergleich zu Landwirtschaften in anderen EU-Ländern. Da hat noch fast jede Kuh, trotz Ohrmarke und elektronischer Registrierung, einen klingenden Namen, der oft auf das Tier selbst Bezug nimmt: eine „Scheck“ zeigt logischerweise eine starke Fleckenfärbung, eine „Dunkle“ ein ebenso passendes Haarkleid, „Gams“ nennt der Bauer gerne lebhafte Kühe, „Butter“ heißt die gute Melkerin und „Gräfin“ oder „Stolz“ eine selbstbewusste Kuh. Daneben gibt es noch zahlreiche traditionelle Namen wie „Tapfer“, „Mernhof“, „Goldin“, „Finster“, „Blas“, „Edelweiß“ und „Enzian“. Die Tiere kennen ihre Namen und reagieren drauf. Vielleicht nicht wie ein dressierter Hund, aber immerhin. Sie drehen sich um und wissen, dass es um sie geht. Während in Kanada, wie ich selbst erlebt habe, Milchkühe, die auf mehr als neunzig Liter Tagesleistung getrieben werden, nach dem vierten Kalb, also mit sieben Jahren, völlig ausgelaugt sind und geschlachtet werden müssen, hat meine älteste Patientin ihren achtzehnten Geburtstag noch in aller Frische erlebt. Auch widernatürliche Methoden wie der Embryotransfer, der nur durch übermäßigen Hormoneinsatz erst möglich wird, hat zumindest bei den Bergbauern keine Verbreitung gefunden. In Belgien werden so schwere Rassen gezüchtet, dass das Muttertier nur mit Kaiserschnitt entbinden kann. Ich habe Kühe gesehen, die bereits acht solcher Operationen hinter sich hatten. Zu männlichen Kälbern von milchbetonten Rassen, die wegen ihres geringen Fleischwertes in vielen Agrarindustrien im Krankheitsfall nicht behandelt, oder, noch grausiger, einfach nicht gefüttert werden, bis sie sterben, wird bei uns selbstverständlich noch der Tierarzt gerufen. Wir sollten daher dankbar sein, dass es noch Bergbauern gibt, die sich bemühen, den Tieren eine angenehme Lebensspanne angedeihen zu lassen.
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Natur
Schöne, starke
Hüpfer
O.: Die hübsche Sumpfschrecke (li.) und die hochalpine Keulenschrecke (re.) Die gefürchtete Wüstenheuschrecke am Sprung. Dr. Armin Landmann auf der Pirsch im Pitztal. Li.: Der „Warzenbeißer“, die bissigste Heuschrecke Tirols.
verputzen. Dabei sind unsere heimischen Heuschrecken faszinierende Tiere. Sie singen mit den Flügeln, hören mit den Beinen und können aus dem Stand das 30fache ihrer Körperlänge überspringen.
Zu Unrecht sind sie in Verruf geraten, als biblische Plagegeister, die ganze Landstriche verwüsten und Ernten Der Heuschreck ist für weite vor nicht der beste. Zwar sind Strecken der Welt ein ungeheurer Schrecken. Denn dieser unwillkommne Pilger ist ein gefräßiger Vertilger. Und fällt er übers Grüne her, dann wächst dort bald kein Grashalm mehr“, dichtete der deutscher Lyriker Eugen Roth. Schließlich gehörten in früheren Zeiten wandernde Heuschrecken, wie die Wüstenheuschrecke oder die Europäische Wanderheuschrecke, zu den größten Naturkatastrophen, die die Menschheit je heimsuchten. In der Bibel sind die hungrigen Schwärme, die täglich bis zu zwölf Stunden fliegen und dabei 100 Kilometer zurücklegen, sogar eine der zehn Plagen, die über Ägypten hereinbrechen. Doch obwohl Heuschrecken bei uns schon lange keinen Schaden mehr anrichten, sondern, wenn in großer Artenvielfalt und Dichte vorhanden, vielmehr ein Zeichen für wertvolle Lebensräume sind, ist ihr Ruf nach wie
sie vom Namen her jedermann bekannt, „wie viele Heuschrecken es gibt oder wie ihre Lebensgewohnheiten sind, wissen jedoch die wenigsten“, erzählt der Tiroler Biologe Dr. Armin Landmann. Er weiß, die ersten echten Heuschrecken gab‘s bereits vor 250 Millionen Jahren. Heute unterscheidet die Wissenschaft zwischen den Langfühlerschrecken, zu denen die Grillen und Laubheuschrecken gehören, und Kurzfühlerschrecken wie den Grashüpfern. Aktuell sind weltweit zwischen 22.500 und 27.000 Spezien bekannt. In unserem Land fühlen sich überschaubare 140 Arten wohl, in Tirol sind es 81, wie in Landmanns neuem Buch „Die Heuschrecken Tirols“ (Berenkamp Verlag, Co-Autor: Thomas Zuna-Kratky) nachzulesen ist. Sein anschauliches Werk zeigt, dass die „Hüpfer“ keineswegs nur Plagegeister, sondern auch schön, vielfältig, interessant und als wichtige
Fotos: Ch. Böhm, Sonja Loner, Getty Images, dpa, Fotolia
TIERARZT
Bei uns sind 140 Heuschrecken-Arten heimisch
Elemente im Naturhaushalt besonders schutzbedürftig sind. Aber leider hat vor allem die Vernichtung ihrer Lebensräume durch Intensivierung der Landwirtschaft bereits zum großräumigen Rückgang vieler Heuschreckenarten geführt. So ist der bis zu vier Zentimeter große „Warzenbeißer“, der seinen Namen einem alten Volksglauben verdankt, zunehmend selten auf unseren Wiesen anzutreffen. „Früher ließen die Menschen das kräftige Insekt an Warzen knabbern, in der Hoffnung, der ätzende Magensaft würde die unschönen Hautwucherungen verschwinden lassen“, erklärt der Buchautor. Auch die schöne gelbrot-gescheckte „Sumpfschrecke“, die nasse Wiesen liebt, lässt sich bei uns nur noch selten blicken. Andere Arten, wie etwa die „Sibirische Keulenschrecke“, sind zwar noch häufig, ihre Beobachtung ist jedoch aufgrund ihres bevorzugten Lebensraumes mit einigen Mühen verbunden. „Dieser echte Almjodler, der durch seinen wetzenden, lauten Gesang auffällt, fühlt sich nur in den Alpen und dort bis auf über 3.000 Meter Seehöhe heimisch“, so der Fachmann. Heuschre-
sektenlarven. Auch Kannibalismus ist üblich, da tote oder wehrlose Tiere oft von Artgenossen bis auf den Kopf auf-
gefressen werden. Allgemein bekannt sind Heuschrecken aber vor allem wegen ihres gewaltigen Sprungvermögens von bis zu mehreren Metern und der Fähigkeit, mit ihren Flügeln oder Beinen spezifische Töne hervorzubringen, die in Relation zur Körpergröße ungeheuer laut sein können. So ist der Gesang des eineinhalb Zentimeter kleinen „Weinhähnchens“ in lauen Sommernächten bis über 200 Meter weit zu hören. Besonderheiten gibt‘s aber auch über ihre Gehörorgane zu berichten. „Langfühlerschrecken lauschen mit den Beinen, da ihr Ohr am Knie sitzt. Bei den Kurzfühlerschrecken befindet es sich auf der Körperseite, sie hören also quasi mit dem Bauch“, erzählt der Biologe. Die Rekordweitspringer könnten auch bald verstärkt auf unseren Tellern landen. Denn die Welternährungsorganisation (FAO) schlägt den Heuschreckenverzehr ausdrücklich als Beitrag zur Lösung des Hungerproblems vor. „Von 200 Tieren kann ein Mensch einen Tag leben“, heißt es. „Ich habe selbst schon welche probiert. Sie schmecken leicht nussig“, berichtet Armin Landmann. Hwie
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cken sind längst nicht alle reine Vegetarier. Neben Gräsern verzehren sie saftige Kräuter, dazu Spinnen und In-
Die schlimmste Plage Ein Wanderheuschreckenschwarm kann tatsächlich Furcht einflößende Ausmaße erreichen. So geschehen im Jahr 1784 in Südafrika, als 300 Milliarden Tiere eine 3.000 Quadratkilometer große Fläche heimsuchten und dort täglich 600.000 Tonnen Pflanzen verputzten, bevor der Wind sie aufs Meer hinaustrieb. Ertrunken an Land gespült, sollen sie sich dann auf einer Länge von 80 Kilometern einen Meter hoch aufgetürmt haben. Hierzulande war die Wanderheuschrecke noch bis weit ins 19. Jahrhundert eine reale Gefahr. Zuletzt zog 1875 ein Milliardenheer von Rumänien aus die Donau hinauf und vernichtete großflächig unsere Ernten. Doch das ist Vergangenheit. Heute dringen die Tiere nur noch selten und in kleiner Stückzahl bis zu uns vor.