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Mortimer M. Müller
Ein Kitzbühel-Thriller
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Alle Rechte vorbehalten Copyright 1. Auflage © 2013 Berenkamp Copyright 2. Auflage © 2016 Berenkamp Wattens–Wien www.berenkamp-verlag.at ISBN 978-3-85093-307-0 EBook: ISBN 978-3-85093-535-7
Handlung und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar
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Meiner geliebten Schwester Elena für die ich schon lange ein erfolgreicher Schriftsteller bin
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Hauptpersonen Benjamin Natascha Sebastian Franz
Sicherheitschef der Seilbahn GmbH Kitzbühel Stellvertretende Sicherheitschefin Leiter des Pistendienstes Betriebschef
Andreas
Chefmeteorologe der ZAMG in Innsbruck
Doris Samantha Ferdinand
Hausfrau und Mutter aus Wien Doris’ sechsjährige Tochter Doris’ Ehemann, Architekt
Emma Matteo Rüdiger
Krankenschwester aus Südtirol Emmas Ehemann, Chirurg Pharmazeut aus Meran
Bernhard Anna Mathias
Kriminalkommissar aus Bayern Bernhards Partnerin Bayerischer Polizeivizepräsident
Raphael Sonja
Doktorand aus München Raphaels Freundin, Studentin
Sandra Michelle
16-jährige Schülerin aus Hamburg Sandras beste Freundin
Stefanie
Reporterin für ZDF Bayern
Martin
Priester aus der Schweiz
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Österreich, Skiregion Kitzbühel, Dreilseil-Umlaufbahn, Talstation Montag, 01. Januar, 08:10 Uhr Der späteste Morgen des Jahres begann mit einem solch prachtvollen Sonnenaufgang, dass man hätte meinen können, die Sonne wollte die Kürze des Tages durch einen beispiellosen Lichtertanz vergelten. Keine einzige Wolke zeigte sich am azurblauen Himmel, nicht einmal der Kondensstreifen eines Flugzeuges, als wäre die menschliche Spezies von gestern auf heute von der Erde verschwunden. Die von der Sonne beschienenen Berghänge glänzten im satten Gelb, wie gigantische Goldnuggets. Es herrschte eine derart beeindruckende Stille, dass der Eindruck entstehen konnte, nicht nur die Menschheit, sondern der gesamte Planet hätte beschlossen, den Neujahrsmorgen mit einem erholsamen Schlummer zu beginnen. Es riecht nach Frühling, stellte Benjamin Lehnwieser fest. Das pünktlich vor Weihnachten eingetretene Tauwetter hielt an, mittlerweile waren die Südhänge bis zur Waldgrenze hinauf frei von Schnee. Auch in den kommenden Tagen sah es nicht nach einer Wetteränderung aus. Die Temperaturen würden laut Prognosen sogar weiter steigen – ungewöhnlich, aber nicht außergewöhnlich. Benjamin schnupperte und drehte sich in Richtung Süden. Ein schwacher Windhauch, kaum mehr als ein sachtes Vibrieren der Luftmasse; aber er hatte ausgereicht, dass die Temperatur auf über tausendfünfhundert Meter Seehöhe nicht unter den Gefrierpunkt gefallen war. Traumhaftes Ski-, aber schlechtes Schneekanonenwetter. Benjamin betrachtete die schmalen, weißen Bänder an den Bergen ringsum, die sich in abstrakten Formen die ungustiös braune Gebirgslandschaft hinabschlängelten. Dank des frühen Kaltlufteinbruchs Ende November waren die Pisten ausreichend beschneit, aber in einigen Tagen würde es für die unteren Lagen kritisch werden. Blieb zu hoffen, dass die Rückkehr des Winters nicht zu lange auf sich warten ließ. –7–
Benjamin blickte auf die Armbanduhr. Es wurde Zeit für den monatlichen Kontrollgang; eine Aufgabe, die in sein Tätigkeitsfeld als Sicherheitschef der Seilbahn GmbH Kitzbühel fiel. Ohne Eile betrat er die Station. Er rechnete nicht damit, dass pünktlich um halb neun Horden an Wintersportlern die Seilbahn stürmen würden. Am Neujahrstag waren – wenigstens in den Morgenstunden – die meisten Pisten menschenleer. Dennoch wollte er nicht unter Zeitdruck geraten; die Betriebsführung legte großen Wert auf einen pünktlichen Beginn. Benjamin inspizierte die abgestellten Gondeln der DreiseilUmlaufbahn, den Verlauf von Trag- und Zugseil samt Spannhydraulik sowie die Überwachungseinrichtungen in der Halle. Zuletzt aktivierte er das elektrohydraulische Aggregat für die Garagierungsbrücke und fuhr die erste Kabine aus der Garage. Die Kuppelklemmen rasteten klaglos ein und hefteten sich vorschriftsmäßig ans Zugseil. Alles in bester Ordnung, der Seilbahnbetrieb konnte starten. Benjamin nickte Ibrahim zu, dem heutigen Liftwart der 3S-Talstation, und trat ins Freie. Für einen Moment hielt er inne, schloss die Augen und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen auf der Haut. Es schien einmal mehr ein ereignisloser und entspannter Arbeitstag zu werden. Gut so. Italien, Südtirol, Schlanders Montag, 01. Januar, 13:00 Uhr „Matteo, bitte, reiß dich zusammen!“ – „Was hast du, Emma? Ich wollte doch nur seine Aussage richtigstellen.“ „Sie sind unsere Gäste! Das gehört sich nicht.“ „Sei nicht so zimperlich. François hat sich sogar bedankt.“ „Aber nur, weil seine Frau daneben gesessen ist. Er wollte sich auf keine Diskussion einlassen.“ „Hör mal, Emma. Es ist doch lächerlich zu behaupten, James Watt hat die Glühbirne erfunden. Selbst ein Mittelschüler weiß, –8–
dass Edison und Swan die ersten brauchbaren Glühlampen hergestellt haben.“ „Also, ich habe es nicht gewusst. Nicht jeder ist so eloquent und belesen wie du.“ „Das ist doch kein Grund, eine falsche Aussage im Raum stehen zu lassen.“ „Der Ton macht die Musik. Deine Antwort klang ziemlich borniert.“ „Mach dich nicht lächerlich. Ich hab ihn völlig sachlich korrigiert.“ „Da ist dir wohl sein Gesichtsausdruck entgangen. Begeisterung sieht anders aus.“ „Und wie hätte ich es deiner Meinung nach bringen sollen? Als Witz?“ „Du hättest gar nichts sagen sollen.“ „Ist es der richtige Weg, Unwissenheit zu unterstützen, indem man sie ignoriert?“ „Nein. Aber man sollte lernen zu unterscheiden, ob die Richtigstellung einer Aussage notwendig oder entbehrlich ist. Es muss nicht immer alles der Wahrheit entsprechen. So kann man sich viel Ärger ersparen.“ Matteo seufzte ergeben. „Okay, gut. Ich gebe mich geschlagen. Ich werde den Mund halten, selbst wenn François behauptet, die Erde ist eine Scheibe.“ Emma verzog die Lippen. „Das will ich hoffen.“ Sie kehrten ins Wohnzimmer zurück, in dem die Gäste bereits sämtlichen Wein geleert hatten. „Liebe Emma, vielen Dank für die hervorragende Bewirtung. Das Essen war wie immer ausgezeichnet!“ Julie rieb sich den Bauch und strahlte Emma offen ins Gesicht. Zumindest sie schien nichts von der Auseinandersetzung der Gastgeber mitbekommen zu haben. „Danke.“ Emma nickte knapp, setzte sich auf ihren Stuhl und lächelte. „Es freut mich, wenn es meinen Gästen schmeckt.“ Rüdiger, mit knapp fünfundsechzig Jahren der Älteste in der Runde, ergriff das Wort. –9–
„Wir wollen euch einen Vorschlag machen“, sagte er und legte eine Kunstpause ein, bis er Matteos und Emmas volle Aufmerksamkeit genoss. „Julie, François und ich sind von Freitag bis Sonntag in Kitzbühel Ski fahren. Wir laden euch herzlich ein mitzukommen, die Kosten für eure Unterkunft übernehme ich.“ Matteo und Emma warfen einander einen flüchtigen Blick zu. „Ich bin nicht sicher, ob das eine gute Idee ist“, bemerkte Emma. „Du weißt doch, mein Knie …“ „Letztes Jahr gab es keine Probleme, erinnerst du dich nicht?“ „Stimmt, aber da war ich ein Jahr jünger.“ Rüdiger lachte hell auf. „Komm schon, Emma. Gegen mich bist du doch ein Jungspund. Wenn ich das schaffe, dann du erst recht!“ Matteo begegnete Emmas Blick erneut. Diesmal länger, eindringlicher. „Wir werden das noch besprechen“, sagte Emma. Deutschland, München, Untergiesing-Harlaching Mittwoch, 03. Januar, 08:45 Uhr „Steh auf, Schatz“, flüsterte sie ihm zu und knabberte an seinem Ohrläppchen. „Noch fünf Minuten, Sonja, bitte.“ „Kommt nicht in Frage. Ich will frische Brötchen zum Frühstück!“ „Ja, ja, schon gut“, sagte Raphael hastig, als Sonja mit ihren Fingern verführerisch seinen Lenden entlangstrich. Er gähnte ausgiebig, setzte sich im Bett auf und kratzte sich am Hinterkopf. „Soll ich auch Milch für ein Müsli besorgen?“ „Ja, gute Idee. Und wenn du schon dabei bist: Bring mir ein paar von den Apfelschnitten mit, die ich so gern habe.“ Raphael wälzte sich ächzend aus dem Bett und begann sich umständlich anzukleiden. „Du benimmst dich wie ein alter Mann“, spottete Sonja. „Nach deiner groben Behandlung fühle ich mich auch so.“ – 10 –
„Was? Der geile, erfüllte, tabulose Sex gestern Abend?“ „Nicht direkt. Du hast mich in der Nacht geschlagen.“ Sonja legte den Kopf schief. „Ernsthaft?“ „Ja. Es war so: Ich wache irgendwann in den frühen Morgenstunden auf, drehe mich um – du liegst natürlich wieder auf meiner Bettseite – und bekomme deinen Ellbogen ins Gesicht. Ich sage: ‚Aua!‘, aber du grummelst nur Unverständliches, gibst ein wunderbar attraktives Grunzen von dir und wendest dich ab. Ziemlich unverschämt, finde ich.“ „Oh. Tut mir leid.“ – „Ist das alles?“ „Na ja … Ich mag dich einfach so gern, ich will auch in der Nacht in deiner Nähe sein.“ „Jaja, wer’s glaubt. Ich verlange Schmerzensgeld!“ Auf Sonjas Zügen erschien ein laszives Grinsen. „Kann ich es auch mit Naturalien abgelten?“ „Nein. Wie wäre es am Wochenende mit Ski fahren – und du zahlst die Karten?“ Sonja griff nach einem Polster und warf ihn nach Raphael, der hastig einen Sprung zur Seite tat und seiner Freundin die lange Nase zeigte. „Mach, dass du nach draußen kommst, du Schuft!“, rief sie und streckte ihm die Zunge heraus. „Aber vergiss bloß meine Apfelschnitten nicht.“ Skiregion Kitzbühel, 3S-Bahn, Bergstation Mittwoch, 03. Januar, 10:00 Uhr „Sie haben die Zwanzigerpiste dicht gemacht.“ „Ehrlich?“ Benjamin zog die Augenbrauen hoch. „So arg?“ „Offenbar schon.“ Natascha Järvinen warf ihre langen, blonden Haare über die Schulter; in einer unglaublich erotischen Bewegung, wie Benjamin fand. „Im unteren Drittel gab es zu viele apere Stellen und nicht genug Schneereserven, um die Schäden zu reparieren. Da sind ihnen die Pisten auf der Streif wichtiger.“ – 11 –
„Klar“, brummte Benjamin und ging vor dem Notantrieb in die Hocke. „Was wäre Kitzbühel ohne Streif?“ „Fast so schlimm wie ein Fernsehabend ohne Bier.“ Benjamin wandte sich um und warf Natascha einen entsetzten Blick zu. „Ich bin empört“, sagte er. „Mich so früh am Morgen mit dieser Horrorvorstellung zu konfrontieren!“ „Ach, komm schon.“ Sie tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Nase. „Du weißt doch: Wenn dir das Bier ausgeht, schau einfach bei mir vorbei.“ Sie lächelten beide. Himmel, dachte Benjamin. Wenn ich im Sommer geahnt hätte, welches Klasseweib das Personalbüro als meine Stellvertretung einstellt, hätte ich meinem Waschbärbauch den Kampf angesagt. Natascha war Mitte zwanzig und damit mehr als fünfzehn Jahre jünger. Sie stammte aus Finnland, war in Österreich aufgewachsen und besaß einen Körper, auf den jedes Topmodel neidisch gewesen wäre. Dazu diese satten, blaugrünen Augen, die wie ein stiller Bergsee funkelten. Trotz ihrer gegenseitigen Sympathie hatte er noch keinen Vorstoß gewagt und es war bei gelegentlichen Flirts geblieben. Aber das würde sich ändern. Bei nächster Gelegenheit frage ich sie, ob wir etwas trinken gehen, schwor er sich zum wiederholten Mal. „Was ist jetzt mit dem Notantrieb?“, erkundigte sich Natascha und zwinkerte ihm zu. Benjamin wurde bewusst, dass er Natascha seit geraumer Zeit mit einem dämlichen Grinsen im Gesicht anstarrte. Verdammt, schimpfte er in Gedanken, senkte hastig den Blick und wandte sich um. Ich benehme mich wie ein Trottel! Wahrscheinlich bin ich ihr sowieso zu alt. „Tja, es springt nicht an“, entgegnete er mit betont gelassener Stimme. „Stromversorgung ist vorhanden, der Öldruck passt auch und die Anzeigen sind alle im Normbereich. Könnte an der Startautomatik liegen, die war schon mal defekt. Am besten, wir melden es der Technik, die soll sich das ansehen.“ „Geht klar. Wie lange hast du heute Dienst?“ – 12 –
„Normale Schicht. Also bis siebzehn Uhr.“ „Okay, ich auch. Mal sehen, ob ich den Abend wieder gelangweilt vor der Glotze verbringe.“ Jetzt, sagte eine eindringliche Stimme in Benjamins Kopf. Frag sie, ob sie mit dir ausgeht! „Ähm“, begann er und musste sich zusammenreißen, um nicht wie ein schüchterner Schuljunge auf seine Füße zu starren. „Solange du genug Bier daheim hast.“ Mist. Benjamin, du feige Sau! Ein schwaches Lächeln zeigte sich auf Nataschas Lippen. Nur schien es keine rechte Freude zu transportieren. „Ja“, sagte sie. „Das habe ich. Ohne Bier wäre der Abend noch einsamer.“ Kanada, Québec, Percé Mittwoch, 03. Januar, 09:30 Uhr Lokalzeit Henry Duvall starrte auf das Meer hinaus. Tiefe, dunkle Wolkenfetzen fegten über den Himmel, scharf kontrastiert von den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne. Der Sankt-Lorenz-Golf wirkte unruhig, eine nachtblaue, zerfurchte Fläche aus Tälern und Bergen mit einzelnen, sturmgepeitschten Schaumkronen. Der Rocher Percé, ein monströser Kalksteinfelsen, der nur bei Ebbe zu Fuß erreichbar war, erhob sich vor der Küste wie ein gigantisches, gestrandetes Raumschiff; unbeteiligt und starr inmitten des wirbelnden Chaos aus Wasser und Luft. Henry hatte erst vor einer Stunde mit seiner Tante in Gaspé telefoniert, kaum fünfzig Kilometer entfernt. Dort war es zehn Grad kälter und seit mehr als zwei Wochen fiel wieder Schnee. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die barokline Zone weiter nach Süden vordrang und auch in Percé die Temperaturen zu fallen begannen. Dennoch war der kommende Wetterumschwung harmlos gegen die Kräfte, die momentan über seinem Kopf werkten und – 13 –
die an einer ganz anderen Stelle ihre volle Macht entfalten würden. Henry hatte ein gutes Gefühl für das Wetter. Oft ahnte er Tage im Voraus, wenn ein markantes Wetterereignis bevorstand. Manche behaupteten sogar, er wäre ein auf der Erde gestrandeter Wettergott – oder zumindest ein Mensch, der einen besonders guten Draht in die Welt der atmosphärischen Geistwesen besaß. Vielleicht lag es an seinen indianischen Vorfahren, vielleicht an seiner Zeit als ehrenamtlicher Wetterbeobachter. Jedenfalls ging kaum eine seiner Prognosen daneben, seine Trefferquote war sogar höher als die des örtlichen Wetterdienstes. Henry fuhr sich mit der Hand durch die langen, dunklen Haare und schloss für einen Moment die Augen. Diesmal sah es übel aus, wirklich übel. Die Farbe und die Zugrichtung der Wolken, der mächtige Höhenwind und die extremen Temperaturgegensätze ließen nichts Gutes erahnen. Und dann war da noch das Meer. Henry hatte schon immer den Zeichen im Wasser besondere Bedeutung beigemessen. Ein düsterer Schleier durchzog die Wogen, ein erregtes Murmeln tanzte über die Wellen, das mit dem Geräusch der Brandung mitschwang, wie die schlecht gestimmte Saite einer Gitarre. Weniger als drei Tage, dachte Henry, als er sich abwandte und gegen den heulenden Wind gelehnt den Heimweg antrat. Europa steht ein schwerer Sturm bevor. München, Untergiesing-Harlaching Mittwoch, 03. Januar, 16:00 Uhr „Hast du das heute Morgen ernst gemeint?“ „Was denn?“ „Dass du Ski fahren gehen möchtest.“ „Ja, eigentlich schon. Ist eine Weile her, seit ich das letzte Mal auf der Piste gestanden bin. Außerdem waren wir erst ein einziges Mal zusammen Ski fahren. Das war Weihnachten vor einem Jahr, anlässlich unseres zweijährigen Jubiläums.“ – 14 –
Sonja grinste. „Ach ja, richtig. Du wolltest am Gipfel ein Foto von uns machen und hattest die Kamera im Schnee verloren.“ „Hey!“ Raphael kniff die Augenbrauen zusammen. „Wie du weißt, haben wir das Foto nachgeholt.“ „Stimmt. Fotografiert von einem vorbeikommenden Österreicher, der das Bild mit deinem Handy geschossen hat. Nur waren wir so verwackelt und unscharf, dass wir wie zwei Kobolde mit Gesichts-OP ausgesehen haben.“ Raphaels Mundwinkel wanderten nach oben. „Netter Vergleich, gefällt mir. Immerhin, das Wetter war doch traumhaft, oder?“ „Ja. War das in Kufstein oder Kitzbühel? Ich verwechsle die beiden Orte immer.“ „Kitzbühel. Ich kann mich erinnern, dass du die Rezeptionistin in unserem Hotel gefragt hast, was man hier in Kufstein alles erleben kann.“ „Die hat ein ziemlich pikiertes Gesicht gemacht – und gemeint, man sollte nicht unter Alkoholeinfluss Ski fahren.“ Sie lachten beide. Raphael nahm Sonja in den Arm und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. „Ich liebe dich, mein Schatz“, sagte er. „Ich dich auch.“ Sie drückte sich fest an ihn. „Also magst du mit mir am Wochenende die Pisten unsicher machen?“ „Wieder in Kitzbühel?“ „Ja, wenn du willst.“ „Gern. Mir hat es dort gefallen.“ „Gut.“ Raphael nickte und strich Sonja über die schulterlangen Locken. „Dann machen wir das. Wir suchen uns ein günstiges Quartier und fahren Freitagabend hin. Und diesmal achte ich besser auf die Kamera, versprochen.“
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Am ersten Wochenende nach Neujahr nähert sich ein heftiger Winterorkan Europa. Durch die Ferienzeit herrscht bei den Tiroler Schiliften Hochbetrieb. Die Kitzbüheler Dreiseil-Umlaufbahn ist noch in Betrieb, als der Orkan losbricht. Während die Bergung der übrigen Gondeln gelingt, kann Kabine vierzehn nicht in die Station geschleppt werden. Als sich der Schneesturm weiter verstärkt und das Mobilfunknetz ausfällt, sind die Fahrgäste auf sich allein gestellt – eingeschlossen in der bedrückenden Enge einer Seilbahngondel, umgeben von einem tobenden Winterorkan, dutzende Meter über dem Boden, ohne Kontakt zur Außenwelt, eingepfercht mit unbekannten Personen – unter ihnen ein Mörder.
Mortimer M. Müller wurde in Mödling, Niederösterreich geboren. Seit seiner Jugend schreibt er Lyrik, Kurzgeschichten und Romane in den Genres Thriller, Fantastik und Satire. Daneben ist er in den kreativen Bereichen Gesang und Fotografie aktiv. Er arbeitet und studiert an der Universität für Bodenkultur in Wien. Sein Kitzbühel-Thriller KABINE 14 wurde für den Friedrich-Glauser-Preis 2014, Sparte „Debütroman“, nominiert.
ISBN: 978-3-85093-307-0
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