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Die Erkenntnis im Opaken

Indigener Widerstand gegen das Erbe des europäischen Aufklärungsgedankens: Die vielschichtige Malerei von DANIEL BOYD weitet die Perspektiven

Seit etwa zwei Jahrzehnten beschäftigt sich Daniel Boyd mit den komplexen kulturellen Praktiken der First Nations, der indigenen Gruppen in Australien. Mit seiner Arbeit setzt er diese Praktiken den aus Europa stammenden Methoden des Erzählens, der Geschichtsschreibung und der Malerei entgegen. Seine Gemälde und Installationen stellen das dominante Narrativ der australischen Geschichte infrage, das auch über das Medium der Malerei verbreitet wurde und aus der europäischen Perspektive der Kolonisten erzählt, in der die Zivilisation mit der Kolonisation beginnt. Die Geschichte der First Nations spielt darin keine Rolle.

Im Titel seiner Ausstellung im Gropius Bau bezieht sich Boyd auf den Begriff »Rainbow Serpent«, der die Ignoranz gegenüber der Pluralität indigener Gemeinschaften ausdrückt. Von Menschen, die nicht den First Nations angehören, wird er häufig fälschlicherweise für eine Reihe von Schöpfungsgeschichten verschiedener indigener Gemeinschaften in Australien verwendet, ohne die Besonderheiten ihrer Kosmologien anzuerkennen. Dabei sind die Mythen der First Nations so vielfältig wie ihre Gemeinschaften selbst. Es gibt mehr als eine australische Geschichte. Boyd weist mit dem Zusatz »Version« sowohl auf die Vielfalt der unterschiedlichen Kosmologien und Kulturen der First Nations hin, als auch auf die Geschichte der Gewalt und der kulturellen Vereinheitlichung hinzuweisen, denen sie im Zuge der Kolonialisierung ausgesetzt waren. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte ist ein wichtiger Teil von Boyds Arbeit. Er gehört zu den indigenen Gemeinschaften Kudjala, Ghungalu, Wangerriburra, Wakka Wakka, Gubbi Gubbi, Kuku Yalanji, Budjalung und Yuggera und hat Ni-Vanuatu-Vorfahren. Er lebt und arbeitet in Gadigal und Wangal

Country, Sydney. Seine Arbeiten zeichnen sich durch eine einzigartige Technik aus, beziehen sich auf Historienmalerei sowie Themen der klassischen Antike, der wissenschaftlichen und anthropologischen Ikonografie und der jüngeren visuellen Kultur. Sie thematisieren gleichzeitig das Erbe der Kolonialisierung und des damit verwobenen kulturellen und wirtschaftlichen Imperialismus.

In einer frühen Serie deutete Boyd Bildnisse von zentralen Figuren der Kolonisierung Australiens um und deckte damit die romantischen Vorstellungen von der australischen Nationenbildung und das künstlerische Erbe des Kolonialismus auf. In dem Gemälde »Sir No Beard« (2009) porträtierte er Joseph Banks, der James Cooks Reise mit der HMS Endeavour von 1768 bis 1771 von London nach Ozeanien und Australien finanzierte und begleitete. Boyds Version des Gemäldes verweist auf den Widerstandskämpfer Pemulwuy, einen Anführer der Bidjigal, der enthauptet und dessen Kopf an Banks in London geschickt wurde. Aktivist*innen der First Nations setzen sich für die Auffindung und Rückgabe an Australien ein. Seit den frühen 2010er-Jahren verwendet Boyd in seinen Gemälden Punkte aus Archivkleber, die er »Linsen« nennt. Zwischen den Punkten ist schwarze Farbe aufgebracht, die im Wechselspiel mit den Linsen die Bildoberfläche in Bewegung bringt. Diese Technik erzielt eine Darstellung, die sich auf Opazität konzentriert statt auf westlich geprägte Idealvorstellungen von Transparenz und Licht. Damit stellt er Resonanzen zum Werk des Dichters und Philosophen Édouard Glissant (1928–2011) her, von dem auch ein Porträt in der Ausstellung zu sehen ist. Glissant entwickelte die Vorstellung eines »Rechts auf Opazität«, das beinhaltet, nicht durch eine westliche Erkenntnistheorie der Transparenz definiert zu werden, die alle

Unterschiede einebne und auslösche. Opazität interessiert Boyd als Mittel des indigenen Widerstands gegen das Erbe des europäischen Aufklärungsgedankens und dessen Beharren auf Erleuchtung, Transparenz und Offenlegung. Zwei eigens für den Gropius Bau konzipierte Installationen bedecken die Fenster des ersten Obergeschosses sowie den Boden des Lichthofs und tauchen den Ausstellungsraum in ein Wechselspiel aus Licht und Dunkel.

Den gezeigten Gemälden in Öl, Kohle und Archivkleber liegen verschiedene visuelle Quellen zugrunde. Auf einem Bild sehen wir einen Mangrovensumpf – die üppigen Verflechtungen von freiliegendem Wurzelwerk in einer Wasserlandschaft. Mangrovenwälder werden für eins der wichtigsten Ökosysteme der Erde gehalten, da sie die Küsten vor Erosion und Wirbelstürmen schützen und die ökologische Vielfalt fördern. Das Bild bezieht sich auch auf ein Foto, das Boyd von einem Cousin aus Gimuy/Cairns im Norden Queenslands erhielt, wo der Künstler aufgewachsen ist. Viele Bilder haben mit der Geschichte von Boyds Familie und der von dieser erlebten Gewalt zu tun. Einige seiner Familienmitglieder gehören zu den sogenannten gestohlenen Generationen, Kinder der First Nations, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1970er-Jahre gewaltsam von ihren Familien getrennt wurden. Im Rahmen einer kolonialen Politik, die darauf abzielte, kulturelle Traditionen und Identitäten zu unterdrücken, wuchsen sie ohne Bezug zu ihrer Kultur auf.

Für andere Werke verwendete Boyd Fotografien als Quellenmaterial, die in kolonialen Kontexten aufgenommen wurden. Darunter befinden sich Bilder von einer Reise der London Missionary Society und der anglikanischen Kirche zur Pfingstinsel in Vanuatu, wo Boyds Ururgroßvater lebte, bevor er gewaltsam nach Queensland gebracht wurde. Australiens wirtschaftliches Kapital basiert historisch gesehen auf der unbezahlten Zwangsarbeit der unterdrückten First Nations und pazifischen Inselvölker. Die daraus resultierenden Ungleichheiten bestehen bis heute.

Andere Werke der Ausstellung, die in engem Austausch mit Daniel Boyd entstanden ist, beziehen sich auf das National Black Theatre of Gadigal und Wangal Country, Sydney, die Philosophin und Aktivistin Angela Davis oder Neokolonialismen, wie die Geschichte von Marlon Brandos Frau Tarita Teri’ipaia, die 1962 neben ihm die Rolle der exotischen Südseeschönheit in »Meuterei auf der Bounty« spielte, sowie auf Verbindungen zwischen den Landrechtsbewegungen in Australien und den amerikanischen Bürgerbewegungen für die Rechte von Schwarzen und Indigenen.

Daniel Boyd: Rainbow Serpent (Version) bis 9. Juli 2023

Gropius Bau gropiusbau.de

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