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Wider das Vergessen

Warum in Lichterfelde ein neuer Gedenkort für die NS-ZWANGSARBEIT entstehen sollte

Vor einigen Jahren entdeckten engagierte Bürger*innen in Lichterfelde-Süd Baracken aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Dass sich an dieser Stelle ein Kriegsgefangenenlager befunden hatte, war bekannt; dass sich davon Bauten erhalten haben, jedoch nicht. Die Ausstellung dokumentiert diesen Fund, der im Kontext einer geplanten Bebauung erfolgte, anhand aktueller Fotos. So lassen sich auch die historischen Baracken verorten.

Im Zentrum der Ausstellung steht das Kriegsgefangenenlager Lichterfelde, in dem von 1940 bis 1945 vor allem Franzosen interniert waren: die Vorgeschichte des Ortes, der Bau und Ausbau des Lagers, die Bewachung sowie die Arbeit und das Alltagsleben. Neun exemplarische Biografien geben den beschriebenen Erfahrungen ein Gesicht. Zudem sind originale Bausteine aus dem Lager ausgestellt. In der zweiten Kriegshälfte brannten die meisten Holzbaracken infolge von Luftangriffen nieder. Die Kriegsgefangenen mussten einige Gebäude aus Stein neu errichten. Der noch an den Objekten haftende Mörtel ist ein authentisches Relikt der Arbeit der Internierten.

Mehrere Exkurse ordnen das Lager in den historischen Kontext ein. Der Komplex in Lichterfelde-Süd gehörte zum »Stammlager III D« (kurz: Stalag III D), ein Netzwerk von Kriegsgefangenenlagern im Großraum Berlin. Außerdem geht es um andere Kriegsgefangene im Gewahrsam der Wehrmacht, allen voran sowjetische Staatsbürger*innen, die das deutsche Militär in weiten Teilen verhungern ließ. Die Ausstellung wirft die wichtige Frage auf, inwiefern die Arbeit von Kriegsgefangenen völkerrechtlich gedeckt war oder als Zwangsarbeit zu werten ist.

Der letzte Abschnitt führt in die Gegenwart: Auf dem Gelände sollen Wohnungen gebaut und die historischen Baracken größtenteils abgerissen werden. Zentrales Element ist der Film »Lichterfelde-Süd –(k)ein Ort der Erinnerung« von Studierenden des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität. Sie interviewten verschiedene Akteur*innen, die sich mit dem ehemaligen Lagergelände auseinandersetzen. Eine Baracke des Lagers soll als Gedenkort erhalten bleiben – doch viele Fragen sind ungeklärt, und niemand möchte die Trägerschaft übernehmen. Die Ausstellung leistet einen wichtigen Beitrag zur Debatte, wie die Gesellschaft mit diesem historischen Ort der NS-Herrschaft umgeht.

Text ROLAND BORCHERS, Kurator

Vergessen und vorbei? Das Lager Lichterfelde und die französischen Kriegsgefangenen bis 31. Mai 2023

Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit ns-zwangsarbeit.de

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