3 minute read

Flüchtiger Moment

Vier junge Architekturstudenten gründen 1905 die Künstlergruppe Brücke. Während seine Kollegen zu Weltruhm gelangen, schlägt FRITZ BLEYL einen anderen Weg ein

Der 7. Juni 1905 gilt als eines der wichtigsten Daten in der Kunstgeschichte der europäischen Moderne. An diesem Tag gründeten vier junge Männer in Dresden die Künstlergruppe Brücke, der sich in den folgenden acht Jahren ihres Bestehens eine Reihe weiterer Künstler anschloss. Die Gründungsmitglieder Fritz Bleyl, Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff verband das Architekturstudium, doch sie verfolgten andere Ziele: Gemeinsam wollten sie neue künstlerische Wege beschreiten und sich aus dem starren Korsett des konservativen Kunstbetriebs befreien. Die Umsetzung ihrer Vorstellungen erschien in der wilhelminischen Ära geradezu revolutionär, und so waren die Werke rund um das Gründungsjahr von einer besonderen Aufbruchstimmung geprägt.

Mit »1905: Fritz Bleyl und der Beginn der Brücke« widmet sich das Brücke-Museum diesem historischen Moment. Die anfänglichen Aktivitäten der Gruppe und ihr Drang nach Veränderung werden in acht Ausstellungskapiteln begreifbar. Von gemeinsamen Atelierabenden über die ersten Ausstellungen bis hin zum Anwerben neuer Mitglieder, die mitunter als Sponsor*innen wirkten, verfolgte die Brücke von der ersten Stunde an innovative Ansätze. Die Geldgeber*innen erhielten Mitgliedskarten und Jahresgaben, was an institutionelle Fördervereine von heute denken lässt. Und auch die Werke selbst basierten auf neuartigen Ideen: Mit den »Viertelstundenakten« beispielsweise hielten die Künstler den flüchtigen Eindruck eines Aktmodells in einer kurzen Zeitspanne fest – ein Kontrast zu den akribisch ausgeführten Zeichnungen des akademischen Studiums.

Das Brücke-Museum präsentiert frühe Werke und Dokumente aus der eigenen Sammlung, von denen etliche seit Jahrzehnten nicht gezeigt wurden. Einige der über 140 Exponate lassen sich mitnichten dem deutschen Expressionismus zuordnen, für den die Brücke gewissermaßen synonym steht. Denn zu Beginn ihres Schaffens experimentierten die Künstler mit unterschiedlichen Stilen. So lehnen sich Tuschezeichnungen und Holzschnitte an den damals im Trend liegenden Japonismus und dessen dekorative und reduzierte Bild- und Formensprache an. Als Inspiration deutlich erkennbar ist auch der Jugendstil, den die vier Gründer beispielsweise während ihres Studiums in Ornamentkursen kennenlernten. Auch das Schaffen anderer Künstler übte Einfluss auf die Brücke aus. Besonders beeindruckt waren sie von der dynamischen Malweise Vincent van Goghs, dessen Werk sie in der Dresdener Galerie Arnold, einer der führenden Galerien moderner Kunst, 1905 erstmals zu Gesicht bekamen. Die Adaption des pastosen und unvermischten Farbauftrags mithilfe kraftvoller Pinselstriche ließ Emil Nolde, der 1906 der Gruppe beitrat, spotten: »Ihr solltet euch nicht Brücke, sondern van Goghiana nennen.«

Noldes Zeit in der Gruppe war von kurzer Dauer: Nach rund zwei Jahren verließ er die Brücke wieder aufgrund persönlicher Differenzen. Von ebenso kurzer Dauer war Fritz Bleyls Mitgliedschaft. Er trat aus der Gemeinschaft aus, um einen bürgerlichen Lebensweg mit Familie einzuschlagen. Als einziger unter den Gründungskünstlern verfolgte er eine Laufbahn als Architekt und fand nur noch wenig Zeit für die eigene künstlerische Praxis. Dabei zeigt sich in seinem Œuvre ein großes Talent. Besonders eindrucksvoll sind etwa seine pointillistischen Aquarelle von 1907, die sommerliche Temperaturen auf dem Land spürbar machen. Für die Brücke setzte er entscheidende Impulse. Sein Interesse an der Druckgrafik gab den entscheidenden Ausschlag für die ersten Geschäftsgrafiken. Die große Anerkennung, die die anderen später erhielten, erlangte Bleyl nie – nicht nur weil er die Gruppe früh verließ, sondern auch weil er an seinen künstlerischen Vorbildern festhielt.

Ein eigenes Kapitel widmet sich der ersten Brücke-Ausstellung. Sie fand 1906 an einem unkonventionellen Ort statt – im Showroom einer Lampenfabrik in Dresden. Mit dem Konzept folgte die Brücke einem Ansatz, den bereits die Impressionisten in Paris etabliert hatten: eine von Künstler*innen selbst initiierte und organisierte Werkpräsentation. Sie führte – vorerst nur in Dresden – zu weiteren Ausstellungsbeteiligungen und gilt aufgrund ihres außergewöhnlichen Charakters und des innovativen kollektiven Ansatzes als wegweisend für das 20. Jahrhundert. Werke dieser historischen Schau stehen neben einer großflächigen Installationsansicht, die einen Eindruck der ursprünglichen Präsentation vermittelt.

»1905: Fritz Bleyl und der Beginn der Brücke« schließt eine Trilogie ab, die markante Jahre der Brücke in den Fokus rückt. Zuvor widmete sich das Brücke-Museum bereits dem Jahr 1913, in dem sich die Künstlergruppe auflöste, sowie 1910, der Hochphase der künstlerischen Zusammenarbeit. Einen Einblick in das Geschehen dieser Jahre bieten darüber hinaus die ausstellungsbegleitenden Zeitungen, wobei die neue Publikation dieser Reihe erstmals gemeinsam mit einem weiteren Haus herausgegeben wird: den Kunstsammlungen Zwickau. Die Stadt in Sachsen ist der Geburtsort von Fritz Bleyl, und das Museum besitzt einen besonders umfangreichen Bestand zu seinem Werk. Die Ausstellung, die dort vom 18. Februar bis zum 29. Mai 2023 läuft, lohnt einen Ausflug nach Zwickau.

1905: Fritz Bleyl und der Beginn der Brücke bis 4. Juni 2023 Brücke-Museum bruecke-museum.de

This article is from: