HANDWERK: ZERLEGT ERGร NZT 3/10
DIE INFORMATION DES KURSZENTRUMS BALLENBERG
Kurszentrum Ballenberg, CH-3855 Brienz Telefon 033 952 80 40, Fax 033 952 80 49 info@ballenbergkurse.ch, www.ballenbergkurse.ch Handwerk, traditionelles Bauhandwerk, zeitgenรถssische Gestaltung
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Titelbild: Hut der Waadtländerinnen vor dem Chalet Schafroth
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Bild 1 bis 3: Einpacken, Verladen und Transportieren von Fertigchalets der «Parquet & Chalet – Fabrik Interlaken»
NORMIERT FLEXIBEL
Chalet in Unterseen bei Interlaken
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EDITORIAL HANDWERK 3/10
ZERLEGT ERGÄNZT NORMIERT FLEXIBEL
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Mit Handwerk 3/10 zeigen wir Baugeschichten aus verschiedenen Blickwin-
Wir freuen uns, wenn Sie mit uns weitergehen. Wir freuen uns, wenn Sie uns auch 2011 in unseren Plänen und Projekten unterstützen.
keln. Das Chalet als Inbegriff des Schweizerhauses war ursprünglich ein Exportartikel und schon früh wurde erkannt, dass ein Haus im Baukastensystem, vorgefer-
Ihr Adrian Knüsel,
tigt und transportbereit, erhebliche Vortei-
Leiter Kurszentrum Ballenberg
le für Macher und Nutzer mit sich bringt.
VOM VERWALTUNGSGEBÄUDE ZUM HAUS FÜR VOLKSKULTUR Am Beispiel des Chalet Schafroth zeiHandwerk 3/2010
gen wir auf, dass Umnutzung zu neuem Bauen beflügeln kann. Mit dem neu erfundenen «Chalet» von Gion Caminada für den Verwaltungsbau des Freilichtmuseums Ballenberg ist das Gelände des Eingangs West um einen wichtigen Kopfbau
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ergänzt worden. Gion Caminada hat zu Verkaufskataloge der «Parquet & Chalet – Fabrik Interlaken»
seinem Projekt einen Text geschrieben, den wir hier mit grossem Dank abbilden. Das
Kurszentrum
Ballenberg
wird
nächstes Jahr 15 Jahre am neuen Standort in Betrieb sein. In dieser Zeit konnten über 1800 Kurse mit mehr als 18’000 Teilnehmenden durchgeführt werden. Beim 10Jahr-Jubiläum konnten wir einen Lift einbauen. Jetzt planen wir einen neuen Medienraum und eine Vergrösserung des Saales im Obergeschoss. Dank dem von Ernst Anderegg angewandten Konstruktionsprinzip der gleichen Module sind Einbauten und Veränderungen einfach möglich.
Handwerk 3/2010. Herausgeber: Kurszentrum Ballenberg, CH-3855 Brienz, Telefon 033 952 80 40, Fax 033 952 80 49, www.ballenbergkurse.ch, info@ballenbergkurse.ch. Druck: Gisler Druck AG, Altdorf. Layout: Margret Omlin. Auflage 3000/3 Ausgaben jährlich. Abo Inland Fr. 38.–/Ausland Fr. 48.–. Einzelnummer Fr. 12.–
HOLZBAU: WANDELBAR, FÜR IMMER UND EWIG
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ARCHITEKTEN ENTDECKEN DAS BAUERNHAUS Zwei typische Exponenten dieser Zeit waren die beiden Berner Architekten von Graffenried und Stürler, deren 1844 veröffentlichtes Werk «Schweizerische Architektur oder Auswahl hölzerner Gebäude aus dem Berner Oberland» auf so grosses Interesse stiess, dass es mehrmals neu aufgelegt werden musste. Dem Zeichen der Zeit entsprechend wollten die beiden Autoren unter anderem Grundlagen bieten für Kreationen von Schweizer Häusern und damit einen Beitrag zur Befruchtung der neueren Baukunst leisten. Das Werk ist denn auch wichtig für die Entwicklung dieses künstlichen Bautyps. Das Titelbild des grossformatigen Buches zeigt neben einer schnörkelreichen Schrift in einer rahmenartigen
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Handwerk 3/2010
Umfassung eine Sennhütte bei Grindelwald. Der primitive, einräumige Rundholzblock mit einem gedeckten Vorplatz und steinbeschwerter Schindelbedachung steht vor einer malerischen Kulisse urtümlicher Titelblatt der Publikation «Schweizer Architektur» von C. A. von Graffenried und L. R. Stürler 1844
Bergwelt.
DAS «CHALET» ALS EINFACHE HOLZHÜTTE Der Begriff «Chalet» hat seinen Ursprung in der Romandie und wird im Kan-
Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ist ein vorwiegend in der Romantik wurzelndes Interesse am Bauernhaus zu beobachten. Künstler und Architekten, die sich mit dem Zeichnen von Fassaden, vorzugsweise von Holzbauten des Berner Oberlands, beschäftigten, sahen im traditionellen Bauernhaus bewundernswertes Anschauungsmaterial einer heilen Welt, die vom Untergang bedroht schien.
ton Waadt 1328 erstmals quellenkundig. «Chalet» ist vorerst auf die Alpgebäude beschränkt und meint einen primitiven Unterstand («abri sommaire d’alpage»). Der im heutigen Sinne verstandene Ausdruck «Chalet» meinte also seit dem 19. Jahrhundert jene zu einem eigenen Haustypus aus verschiedensten Elementen zusammengewürfelte Bauform, die kaum mehr markante Gemeinsamkeiten mit der ursprünglichen Architektur des Blockbaus
DAS CHALET: SEIT DEN ANFÄNGEN GEWERBLICH-INDUSTRIELL PRODUZIERT
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in den Schweizer Alpen aufwies. Als Vorläufer dieses modernen Chalet-Begriffs wird im 18. Jahrhundert in England der Ausdruck «Swiss cottage» oder «ornamental farm» verwendet. In Deutschland hingegen gebrauchte man weiterhin den Ausdruck «Schweizerhaus» oder «Schweizereien«, manchmal auch nur «Meiereien» genannt.
DAS SCHWEIZER CHALET ALS FERTIGHAUS Das grosse Interesse am Schweizer Haus hatte unter anderem dazu geführt,
Alle Bilder Seite 3 aus den Verkaufskatalogen der «Parquet & Chalet – Fabrik Interlaken»
dass auch ausländische Architekten damit begannen, Planaufnahmen von Bauernhäusern anzufertigen und ihre Werke zu publizieren. Die englischen Architekten Peter Frederick Robinson (1776–1858) und Thomas Frederick Hunt (1791–1831), um ten in ihren in den 1820er-Jahren erschienenen Musterbüchern Bauten im Schweizer Stil als Beispiele für verschiedene Anwendungsbedürfnisse vom Gartenhaus bis zum Hotelbau. Die Publikationen über das
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nur zwei von vielen zu nennen, publizier-
schliesslich dazu, dass die grosse Nachfrage mit einer industriellen Massenproduktion gedeckt werden musste. Das erste eigentliche Chalet ist wahrscheinlich das 1829 für Benjamin Delessert – ursprünglich ein Schweizer – in seinem Park von Passy in Frankreich erstellte Haus. Es wurde in der Schweiz gefertigt und in Einzelteilen auf den einige hundert Kilometer entfernten Bauplatz transportiert. Entwurfsarchitekten und ganze Unternehmen spezialisierten sich in der Folge auf diesen Bauzweig. Die Vorfabrizierung von Häusern und das Anbieten die-
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«Chalet» erweckten ein immer breiteres Interesse für diesen Haustyp und führten
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Bilder rechts und Seite 5 aus den Verkaufskatalogen der «Parquet & Chalet – Fabrik Interlaken» Bürgerliches Interieur um 1900 im Chalet Schafroth 2010
ser Fertighäuser in Katalogen stellten eine
Lande gehuldigt. Neben den Wohnhäusern
revolutionäre Neuerung dar und trugen
griff er auf alle erdenklichen Bauten von
wesentlich zur schnellen Verbreitung der
der Hundehütte übers WC-Häuschen bis
Chalets bei. Firmen wie Kaeffer & Cie prä-
hin zu Seilbahnstationen und Hotels über.
sentierten ihre Musterhäuser, die man
Selbst gestandene, vor mehreren Hundert
sich aus Katalogen selber zusammenstel-
Jahren gebaute Häuser in den hintersten
len konnte, an den Weltausstellungen.
Bergtälern
blieben
vom
Laubsägenstil
nicht verschont. Die im letzten Jahrhun-
SEILER INTERLAKEN: «CONSTRUCTION DE CHALETS SUISSE»
dert ins Leben gerufenen Weltausstellungen mit ihren «volkskundlichen Elementen» trugen das Ihre zu einer schnellen
Ein grosser Teil dieser in Verkaufska- Verbreitung der Chalet-Architektur bei. talogen angepriesenen Chalets wurde in Schweizer Betrieben vorgefertigt und nach Frankreich transportiert. So trägt eines
EIN CHALET FÜR DEN HERRN FABRIKANTEN
der zwischen 1855 und 1858 von der Fir-
Im Jahre 1872 liess sich der Textilfa-
ma Seiler in Frankreich errichteten Cha-
brikant Johannes Schafroth (1823–1893)
lets die Inschrift «Gebauen an der Aare
direkt neben seiner Fabrik ein Chalet er-
Strand, bring euch ein Gruss vom Alpen-
bauen. Der Auftrag an den Architekten
land». Die Firma Seiler, heute unter dem
Rudolf Roller lautete, eine herrschaftliche,
Namen HTI bekannt, wurde 1850 in Inter- repräsentative Villa im Schweizerhausstil laken als Parquetterie und Chaletfabrik
zu bauen. Das Resultat lässt sich sehen:
gegründet. Einer der Unternehmer der
ein reich verziertes Chalet in Blockbauwei-
Gründergeneration, Fritz Seiler, trat 1821
se. Wie bei der Fassadengestaltung wurde
als 18-Jähriger für vier Jahre in die
auch beim Innenausbau nicht gespart. Im
Schweizer Garde in Paris ein. Die Freund-
Haus finden wir auserlesene Parkettbö-
schaft mit Kaiser Napoleon III. brachte
den, in jedem Raum ein anderes Muster.
ihm das Privileg, in der Umgebung von Pa-
Das Chalet steht inmitten einer eindrück-
ris reich verzierte Garten- und Sommer- lichen Parkanlage mit Gartenhäuschen, häuschen, «des petites maisons suisse»,
künstlichen Grotten aus Duffstein und
zu erstellen. So ergab sich, dass die neu
Springbrunnen. Das Ganze war umgeben
gegründete
von Gemüse- und Obstgärten, Fischtei-
Fabrik
dank
Beziehungen
schon in ihren ersten Jahren des Beste-
chen, Pferdestallungen und Weiden. So
hens grosse Exporte nach Frankreich täti-
setzte Johannes Schafroth in die reale
gen konnte. In den folgenden Jahrzehnten
ländliche Umgebung von Burgdorf eine in
etablierte sich das Unternehmen zu einem
sich abgeschlossene, nahezu autarke,
der führenden Betriebe auf diesem Gebiet
künstliche ländliche Idylle. Das Anwesen
und erwarb sich einen Weltruf für Luxus-
blieb in der Folge im Besitz der Nachkom-
parkett und Chaletbauten.
men Schafroth, bis es 1937 an die Ein-
Ausgelöst durch den Chaletboom im
wohnergemeinde Burgdorf überging. Seit
Ausland wurde diesem «schweizerischen
1991 steht dieser prächtige Bau im Frei-
Nationalstil» allmählich auch im eigenen
lichtmuseum Ballenberg.
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Ende der 1990er-Jahre stösst die zeitgenössische urbane Kulturszene auf einen
Entwicklung vor gut zweihundert Jahren zu werfen.
Schatz, der bisher von vielen als ver-
Seit Mai 2010 ist auf dem Ballenberg
staubt, rückwärtsgerichtet und wenig in-
im Chalet Schafroth, einem herrschaftlich-
novativ angesehen worden ist: die Schwei-
städtischen Holzgebäude von 1872/73,
zer Volkskultur. Die Neugier auf die eige-
auf drei Stockwerken die Ausstellung
nen Wurzeln hat eine lebendige Vielzahl
«Schweizer Tradition: Chalet – Trachten –
von Formen der eigenen Tradition offen-
Volksmusik» zu sehen. Sie bietet interes-
bart, die nur wenig mit der über Jahr- sierten Besucherinnen und Besuchern eizehnte in der Tourismuswerbung zurecht-
nen guten Einblick in die Entstehung der
gestutzten Folklore zu tun hat. Ein Aus-
Schweizerischen Volkskultur. Das Chalet
druck dieses neuen Bewusstseins ist die
Schafroth ist für die Ausstellung ein idea-
Lancierung der mit Schweizer Symbolen
ler Ort: um 1900 – in der Zeit des aufkom-
trendig aufgepeppten «Swissness» als Mar- menden Heimatbewusstseins – entstanke und Exportschlager einer «zeitgeistigen»
den, dem Geschmack der Zeit entspre-
Design- und Souvenirkultur.
chend, an vielen Orten herrschaftlich kon-
Doch gleichzeitig erlebt auch die tradi-
zipierte Holzblockbauten als Villen des auf-
tionelle Schweizer Volkskultur eine grös-
strebenden Bürgertums; aus dieser Zeit
sere nationale Aufmerksamkeit: So wird
stammt auch das Chalet des Fabrikanten
zum Beispiel das Schweizerische Trach-
Schafroth, das ursprünglich in der Nähe
tenfest 2010 in Schwyz an einem Wochen-
des Bahnhofs Burgdorf stand.
ende von 75’000 Interessierten besucht und SF DRS überträgt das dreitägige Eidgenössische Schwingfest integral. Schweizer Volkskultur wird vor allem
MIT FREMDEM BLICK Lokales Brauchtum spielt in der alten Eidgenossenschaft in den Dörfern und auf
in Vereinen und im geselligen Zusammen-
dem Land seit jeher eine grosse Rolle.
sein gelebt. Das neu auflebende «Traditi-
Doch erst mit der Aufführung des ersten
onsbewusstsein» gibt uns Gelegenheit, ei-
Unspunnenfests, 1805, rücken Schwin-
nen kurzen Blick auf die Anfänge dieser
gen, Steinstossen, die prächtigen farbigen Sonntagstrachten,
Alphornblasen
und
Volksmusik ins öffentliche Bewusstsein. Bereits zu diesem ersten vom Berner Bild oben: Das Chalet Schafroth an seinem heutigen Standort im Freilichtmuseum Ballenberg. Foto: Ballenberg
Künstler Franz Niklaus König (1765–1832) und einem Berner Patrizier organisierten Alphirtenfest werden adelige Ehrengäste aus dem Ausland eingeladen. Diese ersten
Das Chalet Schafroth vom Architekten Robert Roller 1872 für den Textilfabrikanten Hans Schafroth in Burgdorf gebautes «Chalet suisse» am ursprünglichen Standort im herrschaftlichen Park in Burgdorf, 1910. Foto Schlossmuseum Burgdorf
CHALET SCHAFROTH: NEUE HEIMAT FÜR DIE VOLKSKULTUR
Touristen sind von den traditionellen Bräuchen der «Bergler» fasziniert. Bis heute ist diese Sicht von aussen immer wieder ein wichtiger Impuls für die Entwicklung der Schweizer Volkskultur und die Trachtenbewegung.
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FREMDE EINFLÜSSE WERDEN SCHWEIZERISCHES KULTURGUT Auch die Volksmusik, bis heute ein zentrales Element heimatverbundener Geselligkeit, entwickelt sich aus verschiedensten Quellen. Lokale Traditionen verbinden sich mit Einflüssen von aussen, die virtuos in die überlieferten Formen integriert werden. Die ländliche Gesellschaft war weder weltfremd noch abgeschlossen: Vor allem in Das Alphirtenfest von Unspunnen, 1905 Aus: Galatti, Wyss, 1993: Unspunnen. Unterssen
jungen Jahren sehen die meisten Männer und viele Frauen etwas von der Welt, sei es als Handwerker auf der Walz, als Söldner in fremden Kriegsdiensten oder als Dienstmagd bei vornehmen Herrschaften in der Stadt. So sind die Fasnachtsmusik «mit Trummele und mit Pfyffe» und die Tessiner Bandella von der Militärmusik der «fremden Dienste» und dem Schweizer Militärihre Wurzeln in der österreichischen Hackbrettmusik. Das «Örgeli» hält Mitte des 19. Jahrhunderts Einzug in die Volksmusik und wird als «Langnauerli» oder «Schwyzerörgeli» zu einem der tragenden Instrumen-
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spiel beeinflusst. Die Appenzellermusik hat
te der populären Musik auf dem Lande. Die Brüder Hermann aus Langnau lernen auf
Mit dem Örgeli im Gepäckwagen auf der Reise zum Trachtenfest Montreux 1934 Foto: Archiv Schweizerische Trachtenvereinigung, Bubikon
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Trachtenfest 2010 Schwyz Foto: Schweizerische Trachtenvereinigung, Bubikon
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ihren Reisen in grosse europäische Städte in Wien die Handorgel kennen und beginnen 1840 im Emmental die ersten «Langnauerli» nachzubauen.
DIE VIELFALT DER TRACHTEN DROHT ZU VERSCHWINDEN Im späten 18. Jahrhundert orientierte sich die Kleidermode der ländlichen Bevöl-
Traditionen der Volksmusik werden von
kerung am Vorbild der tonangebenden
Generation zu Generation weitergegeben.
städtischen Oberschicht. Nicht selten fin-
Auch das ist ein Grund für ihre sich dau-
den wir hier Einflüsse der höfischen Mode
ernd
aus Spanien und Frankreich, die schliess-
wandelnde
Lebendigkeit:
In
den
1920er-Jahren beeinflussen modische Tän-
lich auch in den Trachtenmoden der
ze wie der Foxtrott ganz selbstverständlich
Schweiz zu erahnen ist. In den ländlichen
auch die Volksmusik. Heute wird das Alp-
Gebieten ändert sich die Mode weniger
horn im Jazz eingesetzt. Der Rapper Bligg
schnell als an Fürstenhöfen und in den
spielt mit der Appenzeller Streichmusik.
Städten. Hier wird das «gute Gewand» über
In einem Raum in der Ausstellung im 2.
mehrere Generationen weitervererbt. Die
Obergeschoss des Chalet Schafroths finden
ersten Schweizer Reisenden des frühen
wir einen weiteren Hinweis auf den verspiel - 19. Jahrhunderts bestaunten die farben-
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ten Erfindungsreichtum der Volksmusik.
pentälern noch getragenen Trachten. Mit
chen werden Flöten, Hölzchen werden zu
der beginnenden Industrialisierung um
Maienpfeifen, Pflanzenteile dienen als Zun-
1850 setzt in der Schweiz die Modernisie-
genblätter und eine ganze Anzahl von Kü-
rung der Gesellschaft ein. In den nächsten
chengeräten können auch als Schlaginstru-
Jahrzehnten finden immer mehr Men-
mente eingesetzt werden. Dass diese Art
schen ihren Verdienst in Fabriken; alte
des Musizierens eine lange Tradition hat,
Traditionen – und Trachten – werden ab-
erfahren wir schon von Sebastian Virdung,
gelegt und verschwinden aus dem Alltag.
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der 1511 in einer Musiksammlung eine Rei-
Singen im Toggenburg um 1955 Foto: Archiv Schweizerische Trachtenvereinigung, Bubikon Der Taufpate als Brautführer und sein Göttikind aus Ruswil, Luzern 1794 Aus: Julie Heierli, 1922 – 32 Die Volkstrachten der Schweiz. Erlenbach-Zürich Innerrohoder Alltagstracht 1793 Aus: Julie Heierli, 1922 – 32 Die Volkstrachten der Schweiz. Erlenbach-Zürich Frauen in der Tracht von Dietikon am Trachtenumzug an der Landi 1939. Foto: Archiv Schweizerische Trachtenvereinigung, Bubikon
prächtige Vielfalt der damals in vielen Al-
Wer kein Instrument hat, improvisiert: Kno-
Als Ende des 19. Jahrhunderts die
he solcher «unnützen Instrumente» be-
Kulturwissenschaftlerin
schreibt.
(1859–1938) beginnt, sich für das Brauch-
Julie
Heierli
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tum zu interessieren, stellt sie fest, dass
Pfannendeckel als Lärminstrument
die alten Trachten in vielen Gebieten der Schweiz am Verschwinden sind. Bestenfalls werden sie noch im Speicher aufbewahrt. Heierli dokumentiert, sammelt und stellt ihre Recherchen in einem fünfbändigen Werk zusammen. Langsam beginnt sich – zu«Chlöpferli» aus Nusschale
erst wieder in den Kreisen der städtischen Oberschicht – ein Bewusstsein für das gefährdete Kulturgut zu regen. Erste kantonale
Das Talerschwingen ist eines der wenigen «Instrumente» die in der Schweiz «erfunden» worden sind.
Gruppen schliessen sich zu Trachtenvereinen zusammen. 1926 wird in Luzern die Schweizerische Trachten-
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vereinigung gegründet.
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Chlefeli aus der Innerschweiz
«Chistebass» – Die Verpackung des «Öreglis» kann auch als Schlaginstrument eingesetzt werden
Badri Redha Archäologischer Dienst Bern - Sammlung Freilichtmuseum Ballenberg
Selbstgeschnitzte Maienpfeife
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EINE NEUE BEWEGUNG Das Bewusstsein ist geweckt: Wo es
das «richtige Tragen» der Tracht vermit-
keine historischen Trachten gibt, werden
Trotz einer Vielzahl von Regeln und
neue geschaffen. Treibende Kraft der Be-
Vorschriften
wegung ist Ernst Laur jun. (1896–1968).
Trachtenvereinigung bis heute eine le-
Ab 1931 setzte er sich während dreissig
bendige Bewegung: Zahlreiche Veranstal-
Jahren als Obmann dafür ein, dass die
tungen wie Feste, «Stubete», Tanz- und
alten Herstellungstechniken für Stoffe,
Singsonntage über das ganze Jahr sind
Hüte, Schuhe, Schmuck und allem, was
ihr lebendiger Kern, der vor allem – aber
es für eine vollständige Tracht braucht, in
nicht ausschliesslich – in der ländlichen
Kursen gelernt werden kann. Mit der
Bevölkerung bis heute stark verankert
Schaffung des Heimatwerkes 1930 öffnet
ist.
er einen zusätzlichen Absatzmark für Produkte des traditionellen Handwerks. Einen Höhepunkt erlebt die Trachtenbewegung
an
der
Landesausstellung
Von links nach rechts , von oben nach unten
telt. ist
die
Schweizerische
Rosshaarhaube der Bernerinnen Coiffli der Schwyzerinnen Radhaube der St. Gallerinnen Kränzlitöchter aus Freiburg Appenzellerin aus Innerhoden schwarze Schnürmiedertracht der Urnerinnen
Die Schweizer Volkskultur erlebt in den letzten Jahren zunehmende Aufmerksamkeit: Designer übernehmen alte Techniken und interpretieren sie neu, sei
Bürgerliche Festtagstracht aus Schwyz Festtagstracht der Luzernerinnen
1939: Der tatkräftige Ernst Laur organi- es in Kleidung oder Gegenständen des siert den grossen Umzug mit einem riesi-
Alltags. In der populären Musik werden
gen Aufgebot von Trachtenleuten aus al-
alte Motive neu interpretiert. Ein schönes
len Regionen der Schweiz. Ein wichtiger
Beispiel ist das alte «Guggisberglied», das
Teil der «Landi» ist der «Trachtenhof».
von Musikern wie Chrige Lauterburg oder
Sein Motto «Die Tracht, das Kleid der Hei-
Stefan Eicher aufgenommen und zeitge-
mat» prägt als ideologisches Programm
mäss arrangiert wurde.
die Ausrichtung der Trachtenvereinigung
Volkskultur – das versucht die Aus-
für die nächsten Jahrzehnte. Das Tragen
stellung im Chalet Schafroth auf dem
der Tracht wird damit immer mehr zu ei-
Ballenberg zu zeigen – war immer eine le-
nem wertkonservativen Bekenntnis zur
bendige Bewegung, die Einflüsse von
Heimat. In Kursen und Richtlinien wird
aussen ganz selbstverständlich übernahm und den jeweiligen Bedürfnissen so anpasste, dass daraus neue Formen entstehen konnten. Diese Wandlungsfähigkeit macht es aus, dass Volkskultur eine Zukunft hat. An einem Trachtenfest in den 1970er Jahre Foto: Archiv Schweizerische Trachtenvereinigung, Bubikon Tanz des «Alewander» unter einer Wettertanne im Emmental, 1941 Foto: Archiv Schweizerische Trachtenvereinigung, Bubikon
Buiretracht aus Nidwalden
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NEUBAU VERWALTUNGSGEBÄUDE FREILICHTMUSEUM BALLENBERG
viergeschossige Gebäude überzeugte alle
VORGESCHICHTE
tion.
ben Projektvorschläge zu unterbreiten. Das von Gion Caminada vorgeschlagene Beteiligten schon bei der Modellpräsenta-
Nach der Schliessung des Kornhauses Burgdorf 2005 musste für die systema-
Gion A. Caminada, geboren 1957 in
Volksmusikinstrumenten eine neue Hei-
Vrin, ursprünglich gelernter Bauschrei-
mat gefunden werden. Das Freilichtmu-
ner. Nach dem Nachdiplomstudium in Ar-
seum Ballenberg kaufte die Sammlung für
chitektur an der ETH Zürich eröffnete er
einen symbolischen Betrag ohne genau zu
1998 sein eigenes Architekturbüro in Vrin.
wissen, wie diese Sammlung im Freilicht-
Durch die achtsame Planung und Umge-
museum
Handwerk 3/2010
GION CAMINADA
tisch aufgebaute Sammlung von über 600
werden
staltung seines Heimatdorfes erlangte er
könnte. Als dann gleichzeitig die Schwei-
Ballenberg
platziert
schweizweit Bekanntheit und Anerken-
zerische Trachtenvereinigung auf der Su-
nung. Er baute unter anderem das Ge-
che nach einem neuen Standort für ihre
meindehaus, das Schlachthaus und ver-
umfassende Sammlung das Freilichtmu-
schiedene
seum Ballenberg anfragte, ob eine Präsen-
schaftsgebäude neu. Vrin gilt auch über
Scheunen
und
Landwirt-
tation im Museum möglich wäre, befasste
die Landesgrenzen hinaus als Modell für
sich die GL intensiv und ernsthaft mit den
eine zukunftsgerichtete Dorfentwicklung
Möglichkeiten der Präsentierung dieser
im Alpenraum. Dafür wurde Caminada
Ausstellungsgegenstände. Der Bau einer
2004 von der Arbeitsgemeinschaft der Al-
Ausstellungshalle war schon früher in an-
penländer mit dem Arge-Alp-Preis ausge-
derem Zusammenhang als wenig sinnvoll
zeichnet. 2008 erhielt er den Deutschen
erachtet worden. Als Alternative bot sich
Kritikerpreis für Architektur. Zuletzt ent-
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das Chalet Schafroth an, weil dort einer- warf Gion Caminada einen Aufbahrungs-
Der Entwurf des neuen Verwaltungsgebäudes ist als eine Einleitung zu Ballenberg zu verstehen. Eine Einleitung soll zu etwas hinführen, ohne eine fertige Beschreibung zu liefern; sie darf auch nicht dem Anspruch vollständiger Darstellung folgen. Sie muss den Blick auf den Punkt hinlenken, um den sich alles dreht, ihn zumindest erahnen lassen. Und dieser Punkt liegt im Fall von Ballenberg im Bereich handwerklicher Kompetenz, die mit hoher materieller und konstruktiver Präsenz verbunden ist.
seits die Arbeitsbedingungen nicht ideal
raum, Stiv da morts in Vrin, das Mäd-
waren, andererseits bestand schon länger
cheninternat der Stiftsschule in Disentis.
der Wunsch, diese prachtvollen Gebäude
Caminada ist heute Professor für Archi-
den Besucherinnen und Besuchern zu-
tektur und Entwurf an der ETH in Zürich.
gänglich zu machen. So war es naheliegend, für die Verwaltungsaufgaben einen Neubau zu errichten. Die Standortabklärung führte zu dem gewählten Ort beim Eingang West. Nach der Klärung des Raumbedarfs musste das neu zu errichtende Gebäude sich optimal in das von Ernst Anderegg entworfene Ensemble des Eingangs, Werkhofs und Kurszentrums Ballenberg einfügen. In der Folge wurden drei Architekten eingeladen, zu den Vorga-
DAS «NORM-CHALET» NEU ERFINDEN: GRON-CAMINADA-VERWALTUNGSGEBÄUDE BALLENBERG
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SÄULE – NÄHE GEWINNEN Der Ort Das Freilichtmuseum Ballenberg erzählt uns Geschichten. Jedes Ob-
position ist damit garantiert. Die Fassaden
und Nutzer.
werden aus vorgefertigten und hochiso-
Ein Säulenraster und die daru ̈ ber ge-
erregen und uns an den ihm zugeordneten
spannten Träger strukturieren und teilen
Schauplatz zu fesseln. Die Botschaft, die
das Gebäude, bilden eine räumliche Figur.
brettern eingekleidet. Die Wahl des Mate-
vermittelt werden soll, wirkt dann am
Durch das tektonische Zusammenfu ̈ gen
rials fiel auf das regionale Fichtenholz. Die
stärksten, wenn eine Annäherung an die
von starren und stabförmigen Teilen soll
Idee besteht darin, das «gewöhnliche»
gesellschaftliche Wirklichkeit seiner Ent-
ein Gebilde von fast monumentaler Di-
Brett durch handwerkliche Sorgfalt auf ei-
stehungszeit gelingt. Das geschieht vor al-
mension entstehen. Die Präsenz und die
ne höhere Ausdrucksebene zu bringen. Aus Brett wird Form. Die Beschäftigung
lierten Holzelementen hergestellt. Aussen wird das Gebäude mit Massiv-
lem durch die Präsenz der vorhandenen
Atmosphäre von Material und Konstrukti-
baulichen Mittel. Fu ̈ r den Betrachter fin-
on sollen die Rationalität eines Verwal- mit dem Material fängt jedoch nicht erst
det bei diesem Prozess eine Umkehrung
tungsgebäudes verschleiern. Der Raum Die Nutzungen sind u ̈ ber
beim angelieferten Stapel an, sondern beim Baumstamm selbst.
ven Element. Die Dinge schauen ihn an.
vier Geschosse verteilt. Das Unterge-
Die Materialu ̈ bergänge, die Eckausbil-
Dieser Zustand erwirkt ein Gefu ̈ hl von
schoss bietet Platz fu ̈ r die Technik und fu ̈r
dungen oder die Fensterleibungen werden
Zeitlosigkeit. Daraus kann eine Lehre fu ̈r
Lagerräume. Im Eingangsgeschoss befin-
ähnlich wie Kleidernähte und -säume be-
das Hier und Jetzt bezogen werden.
den sich halböffentliche und dem allge-
arbeitet. Das aus dieser Art der Bearbei-
meinen Publikum dienenden Räume. Das
tung Gewonnene will mehr als nur ein Or-
Die einzelnen Bauten in Ballenberg
Handwerk 3/2010
werden. Eine Flexibilität in der Raumdis-
zugleich eine Möglichkeit fu ̈ r Betrachter
jekt versucht unsere Aufmerksamkeit zu
des Bildes satt. Er wird quasi zum passi-
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ist die Nähe zu den Dingen Voraussetzung;
sind unterschiedlich. Jeder Bau steht in
erste Obergeschoss ist fu ̈ r die Geschäfts-
nament sein. In der Tiefe von Gewebe und
seiner Art da und bedeutet fu ̈ r sich einen
leitung und die Verwaltung bestimmt. Und
Materialität sollen Kultur und Natur einen
Ernst der Sache ohne jeglichen Schein zur
im Dachgeschoss sind die Bibliothek und
symbiotischen Ausdruck finden.
Romantik oder Nostalgie. Eine mögliche
Räume fu ̈ r die Wissenschaft und Pädago-
Das
Verwaltungsgebäude
orientiert
Irritation findet sich nicht im Objekt sel-
gik untergebracht. Eine zentrale Treppe
sich nicht an den neuen Eingangshallen
ber, sondern auf der Seite derer, die mit ei-
verbindet die Geschosse miteinander. Vor
des Freilichtmuseums. Wie die Bauern-
ner adäquaten Begegnung Mu ̈ he bekun-
allem an diesem Ort soll die monumentale
häuser von Ballenberg soll es selbstbe-
den. In den Dingen steckt ihre (ehemals?)
Gebäudestruktur erfahrbar gemacht wer- wusst und mit Gelassenheit an dem ihm
lebendige Tradition. Diese Tatsache zieht
den.
sich wie eine Konstante durch alle Bauten
UG Archiv/Nebenräume
zugeordneten Ort sein und weder dem
In einem peripher gelegenen, betonier- Schema einer «zeitgemässen» noch dem ei-
hindurch. Eine hohe handwerkliche Sorg-
ten Massivkörper befindet sich der Flucht-
ner «zeitlos modernen» Architektur gehor-
falt, die nicht Selbstzweck war, sondern
weg. Diese Figur bildet mit den auf den
chen. ■
immer durch die örtlich herrschenden
Holzunterzu ̈ gen aufliegenden Betonplat-
Bedingungen ihres Ursprungsortes be-
ten die horizontale Gebäudeaussteifung.
stimmt wurde, unterstreicht diese Ebene.
Es besteht eine bewusste Trennung zwi-
Die Säule gilt uns als Metapher fu ̈r
schen der Primär- oder Tragstruktur (die
diese Sichtweise. Im Gegensatz zur Stu ̈ tze
fu ̈ r die «Ewigkeit» gedacht ist) und den Ele-
reduziert sich die Aussage bei der Säule
menten, die der Gebäudetechnik dienen.
nicht einzig auf die Dimension des Quer-
Die Räume innerhalb der Rasterstruk-
schnittes. Sie verweist auf ein Mehr. Die
tur können je nach Bedarf unterteilt oder
Kräfte, die in der Säule auf und ab zu flies-
fu ̈ r sich abgeschlossen werden. Dazu kön-
sen scheinen, emergieren aus Beziehun-
nen in den ausgesparten Schlitzen der Be-
gen zwischen Mensch und Material. Hier
tondecke Trennwandelemente eingelassen
1 OG Verwaltung/Betrieb
15
EG Sekretariat/Marketing
Handwerk 3/2010
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2 OG Bibliothek/Wissenschaft
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REPARATUR – VORBEUGEN IST BESSER Für das Freilichtmuseum Ballenberg
reits über eine ganze Menge Schutzmass-
museum Ballenberg verfügt über keine ei-
nahmen, so z. B. weite Dachvorsprünge,
gene Bauequipe. Eine der Bedingungen
Vor- und Klebdächer über den Fensterrei- zur Zeit der Gründung war, die anfallen-
stellt die Konservierung von Holzbauten
hen, Abdeckungen von dem Regen ausge-
den Bauarbeiten durch das einheimische
ein zentrales Thema dar. Die Feinde des
setzten Hölzern und Fassaden mit Schin-
Gewerbe ausführen zu lassen. Dabei ist es
Holzes sind die mechanische Abnutzung,
del- und Bretterverkleidungen. Das Risiko
von unschätzbarem Vorteil, dass das Ber-
der Abbau durch UV-Strahlung, Sonne,
lässt sich durch regelmässige, gründliche
ner Oberland eine über Jahrhunderte un-
Regen und Wind sowie durch Lebewesen
Kontrollen und sofortiges Reparieren von
gebrochene Handwerkstradition aufweist,
wie Pilze (z. B. Hausschwamm) und Insek-
Schäden auf ein Minimum reduzieren.
wie sie sonst in der Schweiz kaum noch zu
DIE GESCHICKTE HAND DES HANDWERKERS
Kurszentrum
ten (z. B. Holzwurm), Mäuse, Fledermäuse und Marder. Zusätzlich zu den üblichen Einflüssen sieht sich ein Freilichtmuseum
finden ist. Der Freilichtmuseum und das
Für den Wiederaufbau oder auch der
Kulturgut der Schweiz. Das traditionelle
Reparatur eines Holzhauses vor Ort ist ein
Handwerk wird bei uns täglich ange-
nen neuen Standort mit anderen topografi-
mit dem traditionellen Holzbau vertrauter,
der Bauten wesentlich verändert. Das Holz ist im Freilichtmuseum einer überdurchschnittlichen Abnützung ausgesetzt, einerseits durch den Besucherstrom und andererseits durch die natürliche Abtragung
Handwerk 3/2010
einen
tiert: Zum einen werden die Gebäude an ei-
setzt, und zum andern wird die Nutzung
des Holzes, wobei vor allem die sogenannten Verschleissschichten und nur selten das
Konstruktionsholz
betroffen
sind.
Schindelschirme und Bretterverschalungen wurden im traditionellen Hausbau ge-
16
leisten
mit weiteren Herausforderungen konfron-
schen und klimatischen Bedingungen ver- sehr zuverlässiger Zimmermann wohl die
zielt als konstruktiver Holzschutz eingesetzt.
DER KONSTRUKTIVE HOLZSCHUTZ Der Hauptfeind unserer Kulturgüter aus Holz ist die Feuchtigkeit. Zur Bekämp-
Holz ist als biologisches Material und damit dem Zerfall unterworfen. Je nach den klimatischen und anderen Bedingungen geht dieser Zerfall mehr oder weniger schnell vor sich. Holz kann sich über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende (z. B. im Moorboden) halten oder aber innerhalb einiger Monate zerfallen.
Ballenberg
wichtigen Beitrag für das immaterielle
fung existieren verschiedene Verfahren. Am wichtigsten ist die Unterlüftung gefährdeter Holzteile. Als flankierende Massnahmen kann man Sickerleitungen legen und exponierte Bauteile vor Rückprallwasser schützen. Der konstruktive Holzschutz spielt dabei eine wichtige Rolle. Die traditionellen Holzbauten verfügen nämlich be-
HOLZBAU IM UNTERHALT: SO VIEL/SO WENIG WIE NÖTIG
wichtigste Voraussetzung. Das Freilicht-
wandt, in Kursen weiter vermittelt und zusätzlich sorgfältig dokumentiert. ■
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Das Kurszentrum Ballenberg ist im Jahr 2011 seit 15 Jahren beim Eingang West des Freilichtmuseums Ballenberg in Betrieb. Nach 15 Jahren haben sich verschiedene Bedürfnisse zur Ergänzung des Angebots und Verbesserung der bestehenden Infrastruktur gezeigt. Das Kurszentrum Ballenberg ist nicht nur Ort für Kurse, sondern auch ein Ort der Bildung, der Dokumentation und des Informationsaustausches. Zwei Projekt planen wir 2011 zu realisieren:
15 JAHRE BALLENBERGKURSE.CH: DAS HAUS WÄCHST MIT!
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PROJEKT 1: SAALBAU Zurzeit sind wir bei Gruppengrössen
Die Medien sollten grundsätzlich in einem eigens dafür vorgesehenen Raum sein, wo
Filzen und Schmieden sogar Pendeln und
Lesen,
Wir feiern mit einem Fest: reservieren
Wünschelruten auf dem Programm. Tradi-
zitätsgrenzen. Wir stellen einen erhöhten
Sichten von Dokumenten in Ruhe jeder- Sie sich jetzt schon das Wochenende vom
tionen bleiben nur lebendig, wenn jüngere
Schreiben,
Recherchieren
und
Platzbedarf für grosse Gruppen fest. Fir- zeit möglich ist. Das Kurszentrum Ballen-
3./4. September 2011. Offene Tür, Attrak-
Generationen ein aussterbendes Handwerk
menanlässe, Vereinsversammlungen, Ver- berg entwickelt sich zunehmend auch zu
tionen, Feuerfest, Musik und mehr.
lernen oder die Verantwortung übernehmen
NEBEN NEUBAUTEN AUCH NEUE PROJEKTE
neration zu Generation bedeutet, dass von
bandstagungen sind vermehrt Ansprech-
einem Informations- und Kompetenzzen-
partner für Freilichtmuseum Ballenberg
trum. Ein Ausbau der entsprechenden In-
und Kurszentrum Ballenberg.
frastruktur erscheint uns folgerichtig.
der jetzt zur Verfügung stehende Saal in
für das Dorffest. Diese Weitergabe von Ge-
Das
REALISIERUNG
seiner Fläche verdoppeln. Wir planen eine
Über dem Eingangsbereich, zwischen
Kurszentrum
Ballenberg
Jahr zu Jahr mal etwas dazu kommen kann als
oder ein anderes Element fallen gelassen
Kompetenzzentrum für Handwerk und
wird. Traditionen werden immer wieder neu
kulturelle Traditionen
interpretiert. Auch neue kommen hinzu,
Schiebewand anstelle der fest eingebauten
Kurszentrum und Werkhof, wird ein neuer
Das Handwerk wird vom Meister zum
Halloween oder der Räbeliechtliumzug sind
Trennwände einzuziehen. Das im Zwi-
Raum eingeschoben (zurzeit unbenutzter
Lehrling weiter gereicht, das Wissen um die
heute feste Bestandteile des kulturellen
schenraum vorhandene Büro wird in die
freier Luftraum) der Einbau kann ohne
Herstellung von Trachten, die Schritte im
Jahreslaufs geworden, auch das jährliche
Halle verlegt.
aufwendige Vorarbeiten relativ einfach
Volkstanz, Wort und Klang des Jodellieds,
Seifenkistenrennen ist schon Tradition. In
realisiert werden. Wir haben bereits Zusa-
die Regeln des Hornussens werden von Ge-
Umsetzung der UNESCO-Konvention zur
mit einer Lautsprecheranlage und Ver- gen aus privaten Kreisen für Teile der ge-
neration zu Generation überliefert. Wer
Pflege des immateriellen Kulturerbes hat
dunklungsstoren versehen werden, so-
Brauchtum hört, denkt an Feste. Deren gibt
das Amt für Kultur des Kantons Bern das
es im Kanton Bern so viele wie Dörfer und
Kurszentrum Ballenberg mandatiert, ein
Weiler: die Brächete in Zäziwil, der Zibele-
Inventar der lebendigen Traditionen im
Der neue grosse Saal soll aber auch
dass das neu entstehende Raumangebot den heutigen Bedürfnissen (Meetings, Handwerk 3/2010
berg steht neben Glasblasen, Weissküferei,
von über 120 Personen an unseren Kapa-
Durch einen Umbau im OG lässt sich
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15 JAHRE KURSZENTRUM BALLENBERG
planten Projekte. Wir freuen uns über weitere Beiträge, Zuwendungen und Engagements.
Kongresse, Firmenanlässe und Feste) ent-
märit in Bern, die Harderposchtete in Inter- Kanton Bern zu erstellen. 2008 hat sich die
sprechen kann. Das Ziel ist, im Gelände
laken, der Foire de Chaindon in Reconvilier
des Freilichtmuseums Ballenberg über ei-
im Berner Jura, der früher als grösster
Konvention verpflichtet, ein nationales In-
nen Saal zu verfügen, in dem Versamm-
Bauernmarkt Europas galt, sind die be-
ventar des immateriellen Kulturerbes zu er-
lungen,
Weiterbildungsveranstaltungen
kanntesten. Doch wer kennt die Course aux
arbeiten. Die geplante «Liste der lebendigen
und Symposien für bis zu 200 Personen
oeufs in Loveresse oder den Andresler in
Traditionen in der Schweiz» baut auf kanto-
Schweiz mit der Ratifikation der UNESCO-
durchgeführt werden können (USP). Eine
Bönigen? Wer übt den Brauch des Maitann-
nalen Inventaren auf und wird repräsenta-
Ergänzung des Mobiliars (insbes. Stühle)
li-Stellens aus? Wer hat schon vom Glan-
tive Elemente des Kulturerbes aus allen
ist ebenfalls vorgesehen. Durch die Trenn-
dieren gehört, dem «Gurrli fiegge» zur Ver- Landesteilen beinhalten. Das Kurszentrum
wand können zwei Kurslokale unabhängig
edelung von Schürzen? Wer kennt Krugeln
Ballenberg verfügt bereits jetzt über eine
voneinander nach wie vor als Kursräume
und Ramsen – Spiele, die in einzelnen Ge-
umfangreiche Dokumentation zu traditio-
genutzt werden.
genden ganz einfach dazu gehören? Wie ei-
nellen Handwerkstechniken. Bräuche und
PROJEKT 2: MEDIENRAUM
ne gute Berner Ankezüpfe gebacken wird,
Jahresfeste, überlieferte Traditionen, kuli-
das weiss heute fast jede Frau und jeder
narische Spezialitäten, Wissen im Umgang
Das Kurszentrum Ballenberg verfügt
Mann. Eine Berner Rösti ist in jedem Koch-
mit der Natur – diese werden gegenwärtig in
über einen Bestand von über 1000 Bü-
buch zu finden, der Tête-de-Moine in allen
allen Regionen des Kantons Bern gesam-
chern zu unseren Kursthemen, diverse
Lebensmittelläden zu kaufen. Unbekannter
melt und dokumentiert. Sie alle sind von
Filme und eine Materialmustersammlung.
ist freilich das Wissen um die Herstellung
kultureller Bedeutung und verdienen Aner-
Die Bücher sind zurzeit in einem Kurs-
von Spanschachteln. Wie Spitzenklöppeln
kennung und Aufwertung. Das Inventar ist
raum untergebracht und somit für die
oder Holzschnitzerei kann es in Kursen ge-
ein erster Schritt dazu.
Kursteilnehmenden nicht frei zugänglich.
lernt werden, und im Kurszentrum Ballen-
Katrin Rieder, Historikerin, Projektleiterin ■
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Der Übersichtsplan zeigt die gaplanten Veränderungen: Rot markiert die neuen Bauteile, links das verlegte Büro des Hausdienstes, rechts der neu eingebaute Medienraum. Zwischen Bauabschnitt B und C die neue Trennwand im grossen «Saalbau».
Die Kraft im Hintergrund. Wir sind Partner des Kurszentrums Ballenberg. Weil das Handwerk stimmen muss. Überall und in jeder Branche.
2011: SAMMELN SIE EINBLICKE.
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