Die Sitautionistische internationale in aktuelle Raumproduktion

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Fragmente der Situationistischen Internationale in aktueller Raumproduktion


Abb. 0: (Deckblatt) Debord und Jorns Fin de Copenhague (1959). Ein Buch über Zweckentfremdung.

Fragmente der Situationistischen Internationale in aktueller Raumproduktion

Bachelorarbeit Jörg Schrader Betreuung; Gast.-Prof Julian Petrin, M. A.Carina Eckart Universität Kassel Fachbereich 06 - Arechitektur, Stadt- und Regionalplanung, Landschaftsplanung September 2014


Inahltsverzeichnis 1. Einleitung

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2. Geschichte und Entstehung der Situationistischen Internationale 2.1 Vorgängergruppen 2.2 Geschichte der Situationistischen Internationale 2.2.1 I Phase - Gründung und Orientierung 2.2.2 II Phase - Praxis der Theorie 2.2.3 III Phase - Auflösung

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3. Theorie 3.1 Gesellschaftskritik 3.1.1 Gesellschaftliche Vorbedingungen 3.1.2 Das Spektakel und die Gesellschaft des Spektakels 3.1.3 Kritik des Alltags 3.1.4 Aufhebung der Kunst 3.2 Zur Situation und der Konstruktion von Situationen 3.3 Zum Unitären Urbanismus 3.4 Planerische Aussagen in Schriften der SI 3.4.1 Situationistische Position zum Verkehr 3.4.2 Die Gesellschaft des Spektakels 3.5 Kritik an Theorie der Situationisten

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4. Situationistische Praxis 4.1 Psychogeographie 4.2 Dérive 4.3 Détournement 4.4 New Babylon als konkrete Stadtutopie 4.5 Erkenntnisse und Eigenschaften situativen Handelns

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5. Aktualität Situationistischer Praxis 5.1 Lesezeichen Salbke von KARO* Architekten 5.2 Das Küchenmonument von Raumlabor 5.3 Enzie von PPAG Architekten 5.4 Relevanz situativer Erscheinungen in aktueller Raumproduktion 5.5 Unbedachtetes

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6. Fazit

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7. Quellen- und Literaturverzeichnis

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8. Abbildungsverzeichnis

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9. Anhang

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Abb 1: Das Album der Electropopband Brockdorff Klang Labor mit dem Titel Debord

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1. Einleitung „La Spectacle general“ sind die letzten Worte im Lied Debord der Leipziger Electropop Band Brockdorff Klanglabor. Gesprochen wurde dies vom gleichnamigen Mitglied der Situationistischen Internationale (SI). Was hat die Band getan? Sie nutzen eine Originalaufnahme Debords, in der er über gesellschaftliche Verhältnisse seiner Zeit spricht und übersetzen es durch die Einbettung in ihr Lied in die Gegenwart. Ob dies im Sinne der SI gewesen wäre, oder ob Brockdorff Klanglabor sie damit zum Teil des von der SI kritisierten Spektakels gemacht hat bleibt zu hinterfragen. Aber Brockdorff Klanglabor hat die Praxis der Zweckentfremdung der SI verstanden und für sich genutzt. Jene 1957 gegründete Gruppe radikaler Gesellschaftskritiker, Philosophen und Künstler, ist Bezugspunkt für viel nachfolgende Generationen. Sie hinterlässt eine umfangreichee Sammlung an revolutionären Ideen, Theorien und Schriften und kann nur mit ihren radikalen Ansichten zum gesellschaftlichen und kapitalistischen System verstanden werden. Dabei agierten sie stets an den Grenzen zwischen Philosophie, Politik, Kunst und Stadt. „Mehr als jede Avantgarde, hat sich die SI mit räumlichen Fragestellungen beschäftigt, was sie so ergiebig für den Architektur- und Stadtdiskurs macht“ (Ngo 2007: 20). Neben der seit einigen Jahren erscheinenden Zeitschrift für Stadtforschung dérive aus Wien, einer gesamten ArchPlus Ausgabe aus dem Jahr 2007 sind es kulturelle

Erscheinungen und Fixpunkte wie das oben beschriebene Lied, welche auch im heutigen Kontext die Auseinandersetzung mit den situationistischen Ideen fordern. Ziel meiner Arbeit ist es die theoretischen Hintergründe der SI vorzustellen und zu verstehen versuchen. Dafür ist es wichtig, eine Übersicht im Dschungel der Anmerkungen, Verweise und Schriften zur SI zu gewinnen. Im Anschluss daran werde ich versuchen den räumlichen Bezug zur Praxis der SI herzustellen. Die so gewonnenen Erkenntnisse über die Eigenschaften der Situationistischen Logik werden auf drei exemplarisch ausgewählte Projekte gelegt, um zu erkennen, welche Fragmente der Situationistischen Idee auch in der aktuellen Planungspraxis vorhanden sind. Diese Arbeit wird deswegen anhand der politischen-theoretischen Hintergründe und der Methoden der SI untersuchen, inwieweit ausgewählte im Kontext der Stadt agierende Projekte situationistische Elemente übernommen haben. Aufgrund der radikal gesellschaftskritischen Haltung der SI werde ich an machen Stellen eine subjektive Haltung einnehmen. Meine Arbeit verfolgt nicht das Ziel eines empirischen Beweises, sondern möchte Verbindungen suchen, zwischen einer längst aufgelösten aber immer noch sehr präsenten Gruppe aus den 1960er Jahren und gegenwärtiger Raumproduktion.w 3


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2. Geschichte und Entstehung der Situationistischen Internationale Die Situationistische Internationale ist geprägt durch ihre Vorgängergruppen und ihr Geschichte. Im folgenden wird es einen Überblick über deren Entwicklung und wichtigsten Themen geben.

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2.1 Vorgängergruppen Abb. 2: (vorherige Seite) Lettristen im Café Chez Moineau in Paris

Lettristische Internationale Die Kathedrale Notre-Dame in Paris wurde 1950 zum ersten national bekannten Schauplatz von Lettristen. Als eine vierköpfige Gruppe verkleideten sich die weitgehend unbekannten Teilnehmenden als Dominikaner Mönche und unterbrachen die Ostermesse mit eine blasphemischen Rede. Bevor er selbst zu dieser Gruppe stieß, verging noch ein Jahr. Als Debord 1951 die Filmfestspiele von Cannes besuchte und sich gelangweilt von ihnen abwandte, entdeckte er die Gruppe von Lettristen aus Paris, die das Ziel verfolgten die Filmfestspiele zu stören. Debord gesellte sich zwar zur Gruppe, war jedoch auch von ihnen schnell gelangweilt (vgl. Ford 2007: 14ff ). Bereits ein Jahr später (1952) gründet Guy Debord mit der Lettristische Internationale (LI) eine Abspaltung der Lettristischen Gruppe. Ziel der LI war es neue Formen revolutionärer Subjektivität zu erforschen. Bevorzugtes Mittel für diese Forschung der Lettristen aus SaintGermain war es, sich durch die Stadt treiben zu lassen. Dabei lehnten sie den bis dahin modernen Surrealismus ab und stellen erstmals Ansprüche zur Verbindung von Gesellschaft und Kunst (vgl. Baumeister et al. 2013: 19).

Auch die Revolutionierung des Alltagslebens von einem passiven zum aktiven Status, was sich später als ein wichtiger Bestandteil der SI herausstellte, war hier schon zu finden. Plattform zur Verbreitung ihrer Ziele und Arbeiten war die Potlacht. Dies war eine Zeitschrift, die kostenlos verteilt, plakatiert und ohne Copyright versehen war. Der Name bezieht sich dabei auf ein indigenes Wort, welches eine Anti-Ökonomie bezeichnet. Die LI selbst bezeichnete ihre Mitglieder als „enfants perdu(e)s“ (vgl. Baumeister et al. 2013: 20), was übersetzt verlorene Kinder bedeutet. Neben dieser Übersetzung wird es aber auch als ein Begriff für eine auf feindlichen Gebiet verlorene militärische Einheit bezeichnet, die das Gelände erkunden meint (vgl. Baumeister et al. 2013: 20). Und genau so sahen sich die Mitglieder der LI vermutlich auch, als eine Gruppe die das „Gelände“ des 20. Jahrhunderts erkundet, welches nach dem zweiten Weltkrieg, aber vor allem nach dem Niedergang der ArbeiterInnenbewegung in Trümmern lag. Die radikale Entwicklung und die Aktivitäten stagnierten und es es machte den Anschein, dass LI zerfällt. Auch wurde sie ihrem internationalen Anspruch bestehend aus Vertretern

Jørgen Nash Das Allroundtalent Jorgen Nash, bürgerlich Jørgen Jørgensen arbeitete als Ziegenhirte, Holzfäller, Boxer, Zirkusartist, Seemann. Während der Besetzung Dänemarks durch Deutschland war er als Widerstandskämpfer aktiv. Während eines Sabotageaktes gegen die nationalsozialistische Herrschaft wurde er in Berlin-Moabit in U-Haft genommen. Nash, Bruder von Asgar Jorn, machte besonders als Gründer der „Zweiten Situationistischen Internationale“ auf sich aufmerksam, die er nach seinem Ausschluss aus der SI 1962 gründete (vgl. Baumeister 2005: 46). 6


verschiedener Nationalstaaten nicht gerecht. Zudem wurden sie dem eigenen Anspruch nicht gerecht, keine negative Oppositionsgruppe zu sein, sondern eine aktive Gruppe die immanent ihre Systemkritik inhaltlich, organisatorisch und praktisch betreibt. Um dies zu erreichen schloss sich die LI mit anderen KünstlerInnen zur SI zusammen. Widersprüchlich muss dabei betrachtet werden, dass die LI Kunst stets kritisierte und überwinden wollte. Dabei kritisiere die LI die Kunst doch eigentlich und wollte sie überwinden. Neben anderen Nachteilen wie der zahlenmäßigen Unterlegenheit in der neuen Gruppe, erhofften sie sich jedoch eine wirkliche Internationale zu werden und sich in inhaltlichen Fragen durchsetzten zu können. Dabei sollten ihr vertiefende theoretische Diskussionen und Ergebnisse von praktischen Experimenten helfen (vgl. Baumeister et al. 2013: 20f). Mouvement International pour un Bauhaus Neben der LI war das von Asgar Jorn gegründeten Mouvement International pour un Bauhaus (MIBI) die zweite an der Gründung der SI beteiligte Gruppe. Ende Dezember 1953 fanden sich Künstler der Grupper CoBrA und Art Nu-

clear in der Schweiz zur Gründung zusammen. Genauso wie die LI vertrat die MIBI ein radikale Gesellschaftskritik. Im Gegensatz zur LI konzentrierten sie sich aber weniger auf urbane Aktivitäten, sondern vielmehr auf die von ihnen produzierten künstlerischen Werke. 1956 erschien die einzige Ausgabe ihrer Zeitschrift Eristica (vgl. Ford 2007: 42). Jorn stellte zusätzlich den Kontakt zur LI her (vgl. Baumeister et al. 2013: 36f). SPUR Die deutsche Sektion der SI, die Gruppe SPUR aus München, fand 1960 zur SI. In ihren Forderungen stellten sie vor allem einen künstlerischen Anspruch an die SI, sodass vor allem AvantgardkünstlerInnen für eine Revolution mobilisiert werden. Dem Proletariat, und hier unterscheidet sie sich am stärksten von allen anderen Sektionen innerhalb der SI, trauten sie einen Umsturz nicht zu (vgl. Baumeister et al. 2005: 46). Sie forderte eine „Compact city“ und übernahmen städtebauliche Vorstellungen der DDR, denen Funktionalismus inhärent war (vgl. McDonough 2009: 117f). Aufgrund er inhaltlichen Differenzen kann nachvollzogen werden, dass die Mitglieder der Gruppe SPUR

Michele Bernstein Die an der Pariser Sorbonne studierte und während der Nazi-Herrschaft ihren Namen verbergende Bernstein war SI-Mitglied der ersten Stunde. Während sie kleinere, stringente Texte gegen das Künstlertum in der Situationistische Internationale veröffentlichte, schrieb sie zwei Romane und trug mit deren Erlös zur Finanzierung der SI bei. Zumeist übernahm sie jedoch redaktionelle Aufgaben (vgl. Baumeister 2005: 40). Zwar ist Bernstein in der hier angegebenen Literatur durch Fotos oder in Erwähnungen ständig präsent, schlussendlich gibt es jedoch wenige bekannte Texte und keinen eigenen theoretischen Bezug zu urbanen Themen. 7


nicht lange in der SI verweilen. Zusammen mit Jørgen Nash gründeten sie die Zweite Situationistische Internationale. COBRA Coppenhagen-Brüssel-Amsterdam hieß der Zusammenschluss von ca. 100 Personen aus den drei genannten Städten. Sie bildeten ein dezentrales Netzwerk mit avantgardistischen, revolutionären künstlerischem Ansprüchen (vgl. Ford 2007: 42). Zwei der Gründer waren Constant, der von Amsterdam aus seine Einstellung zu radikal gesellschaftlichen Visionen äußerte, und Jorn, welcher in Copenhagen arbeitete. Die Vielfalt von verschiedenen Künstlern und Ansichten hatte zur Folge, dass sich in ihren Meinungen sehr heterogene Gruppe bildete, die sich jedoch schon 1951 auflöste und später z.T. im MIBI aufging (vgl. Ford 2007: 44f; vgl. Orlich 2011: 116).

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“Das Spektakel ist das Kapital, das einen solchen Akkumulationsgrad erreicht, daß [sic] es zum Bild wird” (Debord 1996: 27).

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2.2 Geschichte der Situationistischen Internationale 2.2.1 I Phase – Gründung und Orientierung (1957-1962) Die Erkenntnise der Lettristischen Internationale, dass sie ihrem Anspruch einer tatsächlichen Internationalen nicht gerecht werden und sie sich personell und inhaltlich nicht weiterentwickelten, führe zu einem Zusammenschluss der LI mit anderen europäischen Gruppen und Künstlern aus Ungarn, Skandinavien, Deutschland und Tunesien, vor allem aber der „Mouvment International pour un Bauhaus“ und der „Londerner Gesellschaft für Psychogeographie“. Dies geschah am 27. und 28. Juli 1957 bei einer Konferenz in der norditalienischen Stadt Cosio D‘Arroscia. Die im ersten Jahr zahlreich beigetretenen Mitglieder entschlossen sich dazu, jährlich eine Konferenz in wechselnden europäischen Städten abzuhalten, um ihren internationalen Anspruch noch zu intensivieren. Die einzelnen Sektionen der jeweiligen Länder blieben einstweilen autonom in ihren Aktivitäten. Um eine Koordinierung der verschiedenen Aktionen zu ermöglichen, setzten sie einen nach dem Delegiertenprinzip besetzen Zentralrat ein, der sich alle drei Monate traf (vgl. Baumeister et al. 2013: 24). Abb. 3: Gründungstreffen der SI in Cosio di Arroscia

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Der inhaltliche Schwerpunkt lag vor allem auf der Aufhebung der Kunst, der Kritik des Alltags und der Konstruktion von Situationen. Die „internationale situationniste“ (Situationistische Internationale) heißt die auf französisch herausgegebene Zeitung der SI, die als Kommunikationsplattform zur Außenwelt diente. Bereits in dieser Phase kam es vermutlich zu den schon angedeuteten Konflikten bezüglich der strategischen Ausrichtung innerhalb der SI, was die Gründung einer „Zweiten Situationistischen Internationalen“ zur Folge hatte. Die treibende Kraft war Jørgen Nash (Bruder von Asger Jorn), der eine künstlerische Ausrichtung der SI zum Ziel hatte. Auch die Münchner Gruppe SPUR schloss sich der zweiten SI an (vgl. Baumeister et al. 2013: 24). Im Jahr 1959 zeigte Constant im Rahmen einer Ausstellung Entwürfen und Skizzen zu Utopischen Stadtmodellen, die er später New Babylon nannte (vgl. Baumeister et al. 2005: 15). Wahrscheinlich sind diese Megastrukturen auch Bezugspunkt für die von Archigram entwickelten Strukturen. Nach zwei Konferenzen (1961 in Göteborger und 1962 in Antwerpen) und nach intensiven demokratischen Debatte, ist ab 1962 eine inhaltliche Angleichung der verschieden Strömungen und Positionen auszumachen, sodass von einer gemeinsamen inhaltlichen Basis die Rede sein kann. Durch diesen Fortschritt war die Existenz des Zentralrates hinfällig. Zusammenfassend ist erneut die inhaltlich Konzentrationauf die Aufhebung der Trennung zwischen Kunst, Politik und dem Leben zu nennen. Mit Schriften und Comics wollten


sie zur Zerstörung des „herrschenden Stumpfsinns des Warenalltags“ beitragen. Für ein besseres Verständnis ist zu betonen, dass die SI sich selbst aber auch als Teil des Warenalltags

sah und somit auch ein Teil der zu bekämpfenden Verhältnisse ausmachte (vgl. Baumeister et al. 2013: 25ff ).

2.2.2 II Phase - Praxis der Theorie (1962-1968) In dieser Phase beschäftigte sich die SI intensiv mit ihren theoretischen Analysen im Kapitalismus, der zu dieser Zeit auf seinem bisherigen Höhepunkt befand und dem damit verbundenen Spektakel der Waren- und Bildwelt. Neben dem revolutionären Handbuch der Lebenskunst für die jungen Generationen von Raoul Vaneigem veröffentlichte Debord eines seiner bekanntesten Werke Die Gesellschaft des Spektakels, in dem er mit 221 Thesen das bestehende Gesellschafts- und Wirtschaftssystem analysiert. Außerdem beobachtete die SI Aufstände und Aktionen von ArbeiterInnen sehr genau (z.B: Amsterdam 1966 und den USA 1967). Mit den beiden Schriften „Adresse an die Revolutionäre Algeriens und aller Länder“ und „Der Klassenkampf in Algerien“ unterstrichte die SI ihren internationalen Anspruch auch über Europa hinaus (vgl. Baumeister et al. 2013: 25ff ). In das Blickfeld der Öffentlichkeit gelangt die SI mit dem Straßburger Skandal. Diese gegenwärtig nur auf die Flugschrift „Über das Elend im Studentenmilieu“ verkürzte Episode hatte einen längeren Vor- und Verlauf: Nach einem 1963 durch die SI veröffentlichten Briefwechsel zwischen Abraham A. Moles, Doktor der Philosophie und der Physik sowie Ingenieur und Assistent an der Strassburger Universität war, und Guy Debord als Vertreter der SI, in dem sich beide Akteure heftig über die

Bedeutung von Situationen stritten (vgl. Debord 1963), kam es zu mehreren Zwischenfällen: 1965 störte eine Gruppe von Studenten ein Gespräch zwischen Molers und einem kypernetischen Bildhauer. Ein Jahr später bewarfen der SI nahestehende Studierende den zum Professor ernannten Mole bei seiner Antrittsvorlesung mit Tomaten. Abb. 4: Die Gesellschaft des Spektakels

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Abb. 5: v.l.n.r.: Debord, Bernstein, Jorn

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Eine Gruppe von Studierenden schaffte es die Mehrheit in der Studierendenvertretung zu erlangen und konnte somit auch über die finanziellen Ressourcen verfügen. Die mit der SI sympathisierenden Studierenden ersuchten die SI um Rat, wie man einen größtmöglichen Skandal erzeugen könnte. Nach anfänglichen Zögern übernahm Mustapha Khayati, ebenfalls Mitglied der SI die Aufgabe und organisierte im wesentlichen den Straßburger Skandal (vgl. Ford 2007: 128f). Er verfasste die Broschüre „Über das Elend im Studentenmilieu, betrachtet unter seinen ökonomischen, politischen, sexuellen und besonders intellektuellen Aspekten und über einige Mittel diesen abzuhelfen“ und veröffentlichte diese mit einer Auflage von 10.000 Stück, was vollständig von der Studie-

rendenvertretung der Straßburger Universität finanziert wurde. Hervor trat dabei der inhaltliche Bezug auf die Rolle der StudentInnen als zukünftige passive SpezialistInnen , die selbst nur Produkt einer kapitalistischen Warenwelt seien. Die erste Verteilaktion wurde mit einer Geschichtseinheit über die proletarische Organisationsform begleitet. Einen Tag später gab es eine Pressekonferenz zu Erläuterung dieser Aktion. Mehrtägige Unruhen an der Universität führten dazu, dass ein Gericht die Univeritätsleitung mit der Beaufsichtigung der Studentenvertretung beauftragte. Die mediale Öffentlichkeit war enorm. Dabei wurden die Situationisten als Hauptverantwortliche dieser Aktion dargestellt, was ihnen wiederum unfreiwillig einen neuen Kult bescherte, denn überall


in Frankreich wurde aufrührerische oder unzufriedener Gruppen und Jugendliche als Situationisten beschrieben (vgl. Ford 2007: 128ff ). Auch als der Skandal als beendet erklärt wurde, verbreiteten sich seine Folgen weiterhin: Der nun als beendet erachtete Skandal trug weitere Früchte. In anderen Ländern Europas keimten bereits Jugendbewegungen auf. In Frankreich sorgten verschiedene, mit der SI sympathisierende Gruppen für Unruhe, während die SI weiterhin verschiedene realpolitische, Aktivitäten von ArbeiterInnen in Frankreich, aber auch Einschätzungen zum Nahost-Konflikt oder dem Vietnamkrieg beobachtete (vgl. Baumeister et al. 2013: 29). Durch die Episode des Straßburger Skandals ist es nicht verwunderlich, dass die SI stark an den Unruhen im Mai 1968 in Paris beteiligt war. Als inhaltlichen Orientierungspunkt, Vorbild für Aktionen (wie in Straßburg) kam es an mehreren Universitäten in Frankreich zu Konflikten zwischen Studierenden und Autoritäten, beispielsweise auf der Pariser Sorbonne. Nach mehrtägigen Straßenschlachten wurde am 13.Mai 1968 die Sorbonne besetzt und auch für ArbeiterInnen geöffnet. Nun erhielt die Revolte eine gesamtgesellschaftlichen Wende. Es schlossen sich GymnasiastInnen, RockerInnen,

arbeitslose Jugendliche und ArbeiterInnen an. Die SI war ein Teil des Besetzungskomitees der Sorbonne. Die Revolte sprang auch auf die Fabriken im ganzen Land über, die mit ausufernden Streiks produktionsunfähig gemacht wurden. Die Verkettung von verschiedensten Aktionen wurde durch den Rat zur Aufrechterhaltung der Besetzungen, der zu einem wesentlichen Bestandteil aus Situationisten bestand, koordiniert und verteilte massenweise Flugblätter, Comics und schrieb Telegramme. Dies führte zu eine Besetzung der Schlüsselindustrien und dem ersten Generalstreik Frankreichs. All dies geschah ohne Unterstützung der Gewerkschaften und der kommunistischen Partei. Dies ging soweit, dass Staatspräsident De Gaulle eine gewaltsame Niederschlagung der Revolte ankündigte. Die reformistische Beilegung des wilden Streiks1 wurde schlussendlich mit Lohnzugeständnissen und Neuwahlen erreicht. Die SI wurde wiederum für den Aufruhr verantwortlich gemacht. Besonders ernüchtert war die SI jedoch nach dem misslungenen Versuch der Umsturzes nicht, da sie es als einen Erfolg ansah, dass im gesamten Frankreich nun Personen mit revolutionären Bewusstsein leben würden (vgl. Baumeister et al. 2013: 30ff ).

2.2.3 III Phase - Auflösung (1968-1982) Der Revolutionsversuch in Frankreich war zwar nicht erfolgreich aber global wurde von der SI viel revolutionäres Potential gesehen. Gerade in Italien schien die Verhältnisse für einen Umsturz besonders günstig zu sein. Dies unterstrich die SI indem sie ihre jährliche Kon-

ferenz 1969 in Venedig abhielt. Seit den Geschehnissen in Frankreich hatte die SI viele SympatisantInnen und BeobachterInnen. Das „Revolutionieren“ mutierte zu einer Art Mode , mit dem sich unterschiedliche Gruppen schmückten. Auch kam die Vorstel13


lung auf, dass die Maiunruhen in Frankreich durch die SI initiiert und organisiert wurden sowie an jedem beliebigen Ort wiederholbar wären. „Dies lähmte die SI von innen heraus, [die ein Teil der] spektakulären Bilder der Moderne“ geworden war (Baumeister et al. 2013: 35). Dagegen konnte auch die Debatte um die inhaltliche Ausrichtung 1970 nichts ändern. Ein Teil der SI versuchte unvermindert die inhaltliche Ausrichtung voranzubringen und verschwieg auch die nach eigener Ansicht vorhandenen Ohnmacht nicht. Im Jahr 1972 löste sich die SI schließlich auf. Viele der Mitglieder wurden von der SI ausgeschlossen. Die wenigen verbliebenen Mitglieder suchten neue Aktivitäten in anderen Bewegungen auf. Was die SI von anderen linksradikalen Strömungen trennte, war ihr ständiger Bezug zur Revolution und zu Verbindung von Theorie und Praxis sowie ihr hoher räumlicher Bezug (vgl. Baumeister et al. 2013: 35). Es wird deutlich, wer die Situationisten waren. Eine marxistische und revolutionäre Gruppe, welche nur eines im Sinn hatte: Die Überwindung des modernen Kapitalismus mit samt ihrer Ausprägung der Gesellschaft des Spektakels. Wenngleich sie äußerst konsequent vorgingen, wie bei den Ausschlüssen zu sehen war, so sind sie dennoch nicht dogmatisch und kritisieren nicht nur den Kapitalismus des Westblocks, sondern auch die bestehenden sozialistische Staaten und Regimen. 1 Ein Streik, der nicht auf Grundlage gesetzlicher Streikbedingungen beruht.

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„Wir meinen zunächst, dass die Welt verändert werden muss. Wir wollen die größtmöglich emanzipatorische Veränderung der Gesellschaft und des Lebens, in die wir eingeschlossen sind“ (Debord 1995: 28).

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3. Theorie Eine Vielzahl von unbekannten Begriffen erschwert zun채chst den Einstieg in die Gesellschaftskritik der Situationisten. Diese werden definiert und im Anschluss in die Theorie der SI eingeordnet

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Abb. 6a: (vorherige Seite) SI Konferenz in Göteburg

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Konstruierte Situation: Die kollektive Organisation einer kurzfristig durch das Spiel und die Leidenschaft bestimmten Lebensumgebung (vgl. Situationistische Internationale 1995a: 51; Schneider 2003: 5).

Spektakel Von der SI genutzter Begriff um die Besetzung der Freizeit durch die Welt der Waren zu kritisieren.

Situationistisch Die Theorie oder Praxis der Situationisten betreffend.

Freizeit Die durch das Spektakel besetzte Sphäre der Reproduktion.

Situationismus Der Situationismus ist ein von den der Situationisten gebildeter Begriff, der eine nicht existierende Doktrin voraus setzt (vgl. Situationistische Internationale 1995a: 51; Baumeister et al. 2013: 22f).

Psychogeographie Praxis der SI um die das Gefühlverhalten der Individuen in der gebauten Umwelt zu erforschen (vgl. Situationistische Internationale 1995a: 51).

Ausschluss Praxis der SI zur Entfernung von Mitgliedern. Ritual artige Handlung der Selbstreinigung (vgl. Baumeister et al. 2013: 23).

Dérive Methode des schnellen Durchschreitens abwechslungsreicher urbaner Räume zum Zwecke der Psychogeographie (vgl. Situationistische Internationale 1995a: 51; Baumeister et al. 2005: 185).

Unitärer Urbanismus Theorie der SI, welche sich im Kern an der Konstruktion von dynamischen Verbindung der Umwelt, also nicht an der physischen Struktur der Stadt, orientiert (vgl. Baumeister et al. 2005: 231; Ngo 2007: 20; Situationistische Internationale 1995a: 51).

Détournement Methode zur Zweckentfremdung verschiedener ästhetischer Elemente zum Zwecke der kulturellen Aneignung (vgl. Situationistische Internationale 1995a: 51; Baumeister et al. 2005: 186).


3.1 Gesellschaftskritik 3.1.1 Gesellschaftliche Vorbedingungen Die Gründung der SI im Jahr 1957 geschah in einem Umfeld, das nicht an Revolutionen in den mitteleuropäischen Staaten denken lies. Gerade einmal ein Jahrzehnt nach dem zweitem Weltkrieg galt die Revolution, also die grundlegende Veränderung der bestehenden Verhältnisse, als etwas rohes und abschreckendes, was vor allem im Ostblock und in „unterentwickelten“ Ländern von Belang sei, nicht jedoch in Mitteleuropa. Es war deshalb nicht das Ziel der SI eine ausformulierte „religionsartige“ Revolutionstheorie zu erarbeiten, sondern das „unbewusste, verdrängte, verloren geglaubte Begehren mit seinen subversiven Praxen […] aufzuspüren […] (Baumeister et al. 2013: 9). Geprägt war die Zeit durch heterogene Erfahrungen der Résistance und der NS-Präsenz. Vor diesem Hintergrund sind auch die Philosophen jener Jahre eingeflossen: Jean-Paul Sartre ist einer der bekanntesten ehemaligen Exilphilosophen Frankreichs. Er kritisiert den US- Amerikanischen Kapitalismus, der sich nach dem zweiten Weltkrieg Europa einverleibte. Satre richtete sich gleichzeitig gegen den autoritären Staatssozialismus des Ostblocks. Ein weiterer wichtiger Philosoph für die SI ist Henri Lefèbvre. Der heute vor allem durch die „Recht auf Stadt“-Bewegung bekannte Marxist und Autor von La révolution urbaine1 hatte wesentlichen Einfluss auf die SI und ihre Revolutionstheorie, insbesondere mit seiner „Kritik des Alltagslebens“ und der thematisierten „Entfremdung des Individuums“. Anfang der 1950er Jahre trug er wesentliche Bestandteile

zur Theorie der SI bei (vgl. Baumeister et al. 2013: 19). Der Ausschluss von SI-Mitgliedern gehörte faktisch zur Tagesordnung. Diese „Selbstreinigungsfunktion“ war auch unter den Mitgliedern umstritten und nahm z.T. groteske Ausmaße an (vgl. Baumeister et al. 2013: 23). So gab es in der französischen Ausgabe der „international situationniste“ eine Kategorie mit dem Titel „Die letzten Ausschlüsse“ oder „Die neusten Ausschlüsse“, welche die Namen, der Ausgeschlossenen verkündeten und auch begründeten (vgl. Situationistische Internationale o.J.a; vgl. Situationistische Internationale o.J.b). Dem Anspruch der Internationalität, der schon dem Namen der SI inhärent ist, hatte zweierlei Auswirkungen. Zum einen ist ihr Schauplatz, wenn auch mit Fokus auf die Städte, immer global geprägt. So nahmen sie z.B. Stellung zu den Kämpfen der ArbeiterInnen in Algerien (vgl. Baumeister et al. 2013: 25ff ). Zum anderen ist diese Internationalität die Folge ihrer Tradition zur ArbeiterInnenbewegung. Mit dem Bezug zur der politischen Organisation der Kommunistischen Internationale, der sich schon in ihrer Namensgebung äußerte, stellten sie diese Tradition unmissverständlich heraus (vgl. Hess 2012: 290). Ihre Mitglieder stammten aus verschiedenen Ländern und ihr Austausch verlief u.a. mit der japanischen Gruppe ZenGakuRen (Dachverband japanischer StudentInnen).

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3.1.2 Das Spektakel und die Gesellschaft des Spektakels Die Kritik am Spektakel ist ein wesentlicher Baustein in der Situationistischen Theorie. Ausgehend von der seit den 1920er Jahren einsetzenden Massen- und Überproduktion, die sich spätestens nach dem zweiten Weltkrieg global durchgesetzt hat (vgl. Baumeister et al. 2013: 40), beschreibt und kritisiert sie die veränderte Art der Waren- und Produktionsverhältnisse. In einer Alltagswelt, in der für eine „ungeheuren Warenansammlung“ (Marx 1968) ein Markt erzeugt werden muss, müssen die Waren den Konsumierenden ins Auge fallen. Hierzu wird eine ständige Flut von Bildern erzeugt, die selbst schon als Realität erscheint. Diese Bilder, welche der Unterscheidung der Waren dienen, sind das Spektakel der Gesellschaft. Oder um es mit den Worten Debords auszudrücken: „Das Spektakel ist der Moment, worin die Ware zur völligen Besetzung des Gesellschaftlichen Lebens gelangt ist“ (Debord 1996: 35). Die Waren werden zu einer Macht, die alle sinnlichen Erfahrungen der Individuen überlagert und einen ständigen Prozess des Austauschs von Geld

und Ware benötigen. Dabei bietet die Warenwelt nicht nur Vorteile1, sondern erzeugt eine „Vielzahl von Kontroll- und Zugriffsmöglichkeiten [die] jede Tätigkeit in eine Warenform umgießt“ (Ballhausen 2012: 47). Der Austausch und die Kommunikation der Menschen findet nun in jeglicher Hinsicht über den Tausch von Waren und Geld statt. Im Gegensatz zum Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, in dem die Menschen vor allem aus Sicht der Warenproduktion als ArbeiterInnen notwendig waren, gilt nunmehr mindestens das gleiche Augenmerk auf dem Individuum als KonsumentIn. Das Spektakel durchzieht alle gesellschaftlichen Bereiche: Kunst, Kultur, Religion,Wissenschaft, Politik (Schneider 2003: 6). Dabei wird der/die Einzelne auf eine „Ware-Geld Beziehung“ reduziert und in seinen Optionen zum eigenen Handeln stark eingeschränkt, da das Individuum vollkommen vom Spektakel vereinnahmt ist. Gerade in der Freizeit (und vor allem bei Fernsehen, Radio, Film) macht sich diese Vereinnahmung und Passivität bemerkbar. Aber auch in der Bilderwelt der Architektur

Guy Debord Bei Recherchen zu den Situationisten tauchte besonders häufig ein Name auf: Guy Debord (vgl. Debord 1996, 1995c; Grigrat et al. 2006). Er war an den vielen bekannten Werken der SI beteiligt oder schrieb sie selbst. Im Gegensatz zu anderen Situationisten war er von der Gründung bis zur Auflösung Mitglied der SI war. Deswegen gilt er als eine Leitfigur, die er nie sein wollte. Zusammen mit mit Asgar Jorn war er die treibende Kraft für die Gründung der SI. Viele der eingebrachten Ideen und Vorstellungen wurden bereits in der LI entwickelt. Debord drehte mehrere Filme mit denen er die Passivität der Zuschauer durchbrechen wollte. Sein theoretisches Hauptwerk Die Gesellschaft des Spektakels ist weit bekannt und immer wieder Bezugspunkt. Der 1931 Cannes geborene Debord, nahm sich 1994 nach schwerer Krankheit das Leben (vgl. Baumeister et al. 2005: 36). 20


„Heute gelingt es der herrschenden Klasse, die Freizeit zu nutzen, die das revolutionäre Proletariat ihr abgerungen hat, indem sie einen breiten industriellen Freizeitsektor entwickelt, der ein unübertreffliches Werkzeug zur Verdummung des Proletariats durch Subprodukte der mystifizierenden Ideologie und des bürgerlichen Geschmacks darstellt“ (Debord 1995b: 40f).

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und dem Städtebau spielt dieses Spektakel eine Rolle. Im Großen und Ganzen sind Gebäude und Immobilien nur Waren, die sich auf einem Markt beweisen müssen. Dies meint auch Debord, wenn er vom Kapitalismus schreibt, der den Raum für seine Bedürfnisse neu gestaltet (vgl. Debord 1996: 147). Der heutige Begriff des Spektakels ist hingegen ein anderer. Während die SI das Spektakel für die Normalität hält, die jegliche sinnlichen Erfahrungen und direkte Kommunikation durch ihre Bilder überstrahlt, beschreibt der Begriff in der allgemeinen Verwendung heute eher ein Event oder eine besondere Erscheinung (vgl. Schneider 2003: 6). Anfang der 80er Jahre entwickelte sich der Begriff zu einem unscharfen Instrument zur Formulierung von Kritik (vgl. Gilles Dauvé 2000: 116). Im Folgenden wird der Begriff Spektakel im Sinne der SI verwendet. Die Theorie der Gesellschaft des Spektakels ist dabei kein Selbstzweck oder mit wissenschaftlicher „Neutralität“ belegt, vielmehr ist sie eine eindeutige Stellungnahme (vgl. Baumeister et al. 2013: 45). Die SI steht mit ihrer Revolutionstheorie ganz in der Tradition der Marxistischen Wert- und Warenkritik ohne sie zu kopieren, sondern um sie weiterzuentwickeln. Der Kern der Spektakelkritik ist, wie bereits angesprochen, die Be-

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ziehung der Subjekte, Menschen, zueinander, die nur noch auf die Beziehung und den Austausch von Waren reduziert ist. Marx beschreibt in seinen Analysen zum Warenfetischismus die Welt als eine „ungeheure Warenansammlung“ (Marx 1968). Verbindend dazu beschreibt Debord das Leben der Gesellschaft als „als eine ungeheure Sammlung von Spektakeln“ (Debord 1996: 13).2 In der marxistischen Theorie ist der Begriff der Entfremdung zentral. „Für Marx war der kapitalistische Arbeiter durch fremde Arbeitsanweisungen unselbständig und machtlos, durch die Ausbeutung enteignet und durch fehlende Selbstverwirklichung für eine fremde Macht instrumentalisiert worden“ (Schneider 2003: 8). Diese Trennung und Entfremdung zeigte sich zunächst in der Arbeitswelt, schlug später aber auf alle Lebensbereiche um. Sie verdeutlicht sich auch in der Stadtplanung, in der sich ebenfalls eine starke räumliche Unterteilung zwischen Arbeit und Freizeit manifestierte (vgl. Schneider 2003: 8). Die Ähnlichkeit zur Marxschen Formulierung bestätigt die Tradition, in die sich die SI stellt und zeigt, dass sie jene Kritik auf die Zeit des Consumer Kapitalismus hebt. 1 Die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen ist nur ein „Beiwerk“. Anlass der Produktion ist die Akkumulation (Anhäufung) von Kapital (vgl. Baumeister et al. 2013: 39).


3.1.3 Kritik des Alltags In der Kritik des Alltags setzt sich die Kritik an der Gesellschaft des Spektakels fort. Zunächst wird sich auch hier wieder auf Marx bezogen, welcher den Standpunkt vertrat, dass der Tag im Wesentlichen in zwei Bereiche gegliedert ist: Die Lohnarbeit und die Freizeit (Reproduktion). Letztere sei vor allem zu Entwicklung der freien Persönlichkeit vorhanden. Dies sieht die SI anders. Die Freizeit (inklusive Aktivitäten wie Essen, Schlafen, Bilden, Weiterbilden) dient tatsächlich nur der Reproduktion für die Lohnarbeit und wird hierbei durch den Kapitalismus im Wesentlichen vorbestimmt. Das ist auch der Grund weshalb die spektakuläre Gesellschaft nur vom Austausch der Waren geprägt sei und die Individuen in eine Passivität verfallen. Im Gegensatz zur ArbeiterInnenbewegung, die sich auf die Verkürzung von Arbeitszeit, Verbesserung von Arbeits- und Lohnbedingungen konzentriert, schwenkt die SI zum Bereich der Freizeit über (vgl. Baumeister et al. 2013: 97ff ). Hier entsteht die Idee, dass das Leben nur im Alltag geändert werden kann. Dieser gilt als Fokus ihres politischen Kampfes.

Menschen sollen selber aktiv werden, indem sie aus der passiven Rolle der KonsumentInnen heraustreten und aktiv ihre gesellschaftliche Umwelt beeinflussen, also die Spielregeln ihres alltäglichen Lebens verändern (vgl. Schneider 2003: 8). Mit dieser Idee bezieht sich die SI auf Henrie Lefèbvre. Gerade in der Anfangszeit, zwischen 1957 und 1961, standen sich Debord und Lefèbvre nahe. Dies macht sich auch in dem Konzept der „Situation“ bemerkbar. Von Lefèbvre stammt auch die Arbeit mit dem Titel „Kritik des Alltagsleben“ über die Vorstellung, dass der Alltag ebenso ein Kampfplatz wie die Arbeitswelt sei (vgl. Ford 2007: 119). Die Verbindung von Lefèbvre und Debord ging so weit, dass er an einem Seminar Lefèbvres teilnahm. Aber nur, indem er seinen Vortrag von einem Tonbandgerät abspielen ließ (vgl. Debord 1995a: 105).

Raoul Vaneigem Raoul Vaneigms Werk Das Handbuch der Lebenskunst für die jungen Generationen erschien 1976 zwei Wochen nach der Veröffentlichung von Debords Die Gesellschaft des Spektakels und bildet eines der Hauptwerke der SI (vgl. Ford 2007: 111). Raoul Vaneigem war bis 1970 ein wichtiges Mitglied der SI und trug mit Schriften wie Elementarprogramm des Büros für einen Unitären Urbanismus und Anmerkungen gegen den Urbanismus stark zur Auseinandersetzung der SI mit dem Urbanen Raum teil. Tatsächlich gründete er 1961 zusammen mit Attila Kotanyi das Büro für einen Unitären Urbanismus (vgl. Baumeister 2005: 36). 23


3.1.4 Aufhebung der Kunst

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Kunst ist für die SI die gesellschaftliche Sphäre, die Literatur, Musik, Theater und ebenso Architektur beinhaltet (vgl. Baumeister et al. 2005: 106). Zwar gibt es unterschiedliche Strömungen und sehr heterogene Haltungen zum Thema „Aufhebung der Kunst“. In den Debatten hat sich aber die in der Gesellschaft des Spektakels und den Rapport zur Konstruktion von Situationen manifestierte Haltung Debords, zumindest für die SI, durchgesetzt. Kunst hat den Vorteil gesellschaftliche Verhältnisse abbilden zu können, ohne selbst komplett Teil der Produktivkräfte zu sein. Deswegen muss sie den rationalen und wissenschaftlichen Regeln nicht folgen und sie zeigt somit objektive Alternativen sowie Handlungsfreiheit auf. Kunst bietet die Möglichkeit sinnliche Erfahrungen zu machen und kann es durch ihre ästhetischen und medialen Möglichkeiten schaffen Produktionsverhältnisse vorzuführen und die gesellschaftliche Organisationsstruktur zu beeinflussen. Dies ist auch ihre vorrangige Aufgabe, so die SI (vgl. Baumeister et al. 2013: 121). Wenn nun aber, wie bereits beschrieben, die gesamten gesellschaftlichen Sphären durch das Spektakel besetzt sind, kann Kunst ihren Anspruch erfüllen? Dies sieht die SI nicht so. Kunst ist zur Ware geworden, KünstlerInnen verkaufen ihre Arbeitskraft und Kunst schafft es nicht mehr sinnliche Erfahrungen zu vermitteln. Es gibt zwei Möglichkeiten wie die Kunst damit umgehen kann: Kunst selbst wird zu einem Bild und Bilder sind im Endeffekt der höchste Akkumulierungsgrad des Kapitals. Dies heißt Kunst wird zum Spektakel (Debord 1996: 27). Die andere Möglichkeit ist die Aufhebung der Kunst.

Dies ist im wesentlichen eine ästhetische Veränderung in der ebenso Literatur, Gemälde etc. existieren, die jedoch durch kollektive Aneignung bestimmt sind und keinen Warenwert erfüllen müssen (vgl. Baumeister et al. 2013: 121ff ). Die Grenze zwischen Kunst und Leben wird aufgelöst (vgl. Schrage 1998: 12). Ein Beispiel: Debords 90-Minütiger Film „Geheul für de Sade“ ist ein Spielfilm, der es schaffen sollte die reinen KonsumentInnenen einer Spektakelwelt aus ihrer Rolle zu holen. Der völlig ohne Bilder auskommende Film enthält Textfragmente, die von fünf abwesenden und gelangweilt wirkenden Personen vorgetragen werden und schließt mit einer 26 Minuten langen Schwarzphase. Völlig ohne Bilder und bunte Farben verwehrt der Film den RezipientInnen die gewöhnliche Betrachtungsweise und verhindert eine Kommunikation. Die ZuschauerInnen müssen selber zu ProduzentInnen werden, indem sie sich den Inhalt selbst erschließen müssen. Dies ist auch eine bewusst konstruierte Situation Debords (vgl. Grimberg 2006: 181f). Auf psychologische Ansätze, die ein Bestandteil der SI sind wird nicht eingegangen. Sie scheinen zum einen nicht zentral für das Verständnis der SI im allgemeinen und zum anderen nur am Rande für den Bezug zum städtischen wichtig zu sein.


„Die Unveränderbarkeit von Kunst – oder von irgendetwas anderem – hat keinen Platz in unseren Überlegungen“ (Debord 1995b: 42).

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3.2 Zur Situation und der Konstruktion von Situationen Die Situation ist eines der zentralen Wörter in der SI und teilweise nicht vom Unitären Urbanismus zu trennen. Der Begriff bedeutet „Lage“ oder „Stellung“ und ist geographisch und militärisch konnotiert. Situation wurde schon von der LI verwendet. Ein weiterer Hauptgedanke, auf den sich auch die Praxis der SI, bezieht ist die Konstruktion von Situationen. Alle jene Praktiken kennzeichnen sich im Wesentlichen durch die Herstellung einer „[...] kurzfristige[n] Lebensumgebungen und ihrer Umgestaltung in eine höhere Qualität der Leidenschaft“ (Debord 1995b: 39) zum Ziel. Aufgrund der monotonen Lebensumgebungen der Individuen, die durch das Spektakel, den Kapitalismus und dessen Manifestation in der gebauten Umwelt entstanden ist, benötigt es neue „geordnetet Interventionen“ (Debord 1995b: 39), um gegen die materielle Ausstattung und das Verhalten, welches dabei hervorgerufen wird, anzukämpfen. Bei der Konstruktion werden Materialien, Beteiligte, deren Organisationsformen, vorhandene Stimmung einbezogen. Dazu gehört auch die kollektive Stimmungen, die einen Qualitativen Moment erzeugen3 Der neu zu schaffende Moment ist nicht von irgendwelchen Herrschenden oder Produzierenden zu erzeugen und von KonsumentInnen zu erleben. Diese bereits beschriebene Entfremdung wird aufgehoben: D ie KonstrukteruInnen sind gleichzeitig auch KonsumentInnen. Da sich diese Praxis vor allem im Kollektiv und im Urbanen abspielen soll, wird hier eine kollektive Raumgestaltung der eigenen KonsumentInnen gefordert. Die Ästhetik der Moderne hat sich zur Aufgabe 26

gemacht Emotionen zu fixieren. Wenn jedoch, so die SI, die Emotionen vergänglich sind, wie könnten die Ästhetiken ihrer Aufgabe dann erfüllen. Für Unveränderbarkeit sei jedenfalls kein Platz in einer durch den Unitären Urbanismus geprägten Welt (vgl. Debord 1995b: 42). Situationen werden durch sämtliche künstlerische Mittel und spielerische Aktionen konstruiert. Es geht nicht um empirische Versuche oder maschinelle Eingriffe, von denen man keine Überraschung erwarten könne (vgl. Situationistische Internationale 1995b: 48). Vielmehr soll ein begünstigtes Aktionsfeld die Begierde4 von Menschen erlebbar werden zu lassen. Es existiert keine konkrete Anleitung zur Konstruktion von Situationen (vgl. Sadler 1998: 105) und setzt eine kollektive Vorbereitung und Durchführung voraus. Außerdem unterscheidet Debord in der Anfangsphase zwischen verschiedenen Akteuren, welche zur Konstruktion einer Situation nötig seien: Einen Leiter (1.), der für die Koordination und Vorbereitung zuständig ist. Letzteres kann auch mit der Unterstützung von . direkt Beteiligten (2.) geschehen. Sie erarbeiten das kollektive Projekt mit und setzen es praktisch um. Die passiven ZuschauerInnen (3.), haben die Situation nicht mit konstruiert, sind aber zu ihrer Handlung nötig (vgl. Situationistische Internationale 1995b: 49). Diese Konstellation ist jederzeit veränderbar. Mit der Zeit werden immer neue und vielfältigere Situationen und Pläne von Situationen entstehen. Die Konstruktion von Situationen ist ein wesentlicher Forschungsbestandteil des Unitären Urbanismus und der Forschung der SI (vgl. Debord 1995b: 41).


Was die SI dabei schafft, ist ein Novum. Sie verlässt die Vorstellung, dass der Raum ein „neutraler Behälter sozialer Beziehungen“ sei (Schrage 1998: 13), wie es die CIAM sah. Dadurch tritt die SI zu der Erkenntnis über, dass ein Raum ein Terrain im Kampf der sozialen Verhältnisse ist. Sie weichen ebenso von der Idee ab, dass nur das Gebaute, also das Architektonische, die sozialen Beziehungen beeinflusst. Mit dieser Vorstellung und dem Begriff „Situation“ sind sie in ihrer Zeit allerdings nicht allein. In vielen politischen und geistigen Strömungen wurde der Begriff Situation verwendet (vgl. Baumeister et al. 2013: 19): Jean-Paul Satre brachte seine Werke unter dem Namen „Situations I-VIII“ heraus und verwendet den Begriff in Bezug auf Freiheit und Verbindlichkeit (vgl. Ford 2007: 54). Für ihn sind Situationen eine „bestimmten Lage, in der man sich befindet, und [die] Freiheit, darauf zu antworten“ (Ohrt 1990: 162ff ). Für die SI ist in Abgrenzung dazu wichtig, dass man nicht einfach in eine Lage gerät um darauf reagieren zu können, sondern

dass man agiert, also jene Lage selbst konstruiert. Der Bezug zu Marx, der von „Lebenssituationen“ spricht, kann ebenso hergestellt und den sozialen Charakter der Situation unterstreichen (vgl. Baumeister et al. 2005: 43). Besonderen Einfluss hatte auch hier wieder Henri Lefèbvre. Mit seinem Konzept der Momente spielte er eine wichtige Rolle für die SI (Ross o.J.). 1 2 3 4

Die Revolution der Städte Die Zweckentfremdung als umfassende Praxis der SI ist auch in ihren literarische Arbeiten zu sehen. Hier besteht ein gewisser Zusammenhang mit der Theorie der Momente von Lefebvre Aufgrund der kapitalistischen konnotation wird bewusst das Wort Bedürfnisse vermieden.

Asgar Jorn Asgar Jorn war Mitglied der kommunistischen Partei Dänemarks. Dies prägte bereits während seiner Ausbildung zum Lehrer und seines zehn monatigen Kunststudiums seine politischen Vorstellungen. So schloss er sich auch der Widerstandsbewegung gegen die nationalsozialistische Okkupation Frankreichs an. Als eine treibende Kraft gestaltete er die Gruppe CoBrA entscheidend mit (vgl. Ford 2007: 44). Auch deren Nachfolgeorganisation MIBI organisierte er und verhalf ihr durch regen Briefkontakt zwischen ihm und Guy Debord zu einer Fusion mit der Lettristischen Internationale (vgl. Baumeister et al. 2005: 36f). Er gilt somit als eines der wichtigsten Mitglieder der Situationistischen Internationale. 1961 kam er seinem Ausschluss zuvor und verließ freiwillig die SI. Anschließend gründete er gemeinsam mit seinem Bruder Jørgen Nash die Zweite Situationistische Internationale, eine auf Künstler ausgerichtete Gruppe. Trotz des Austritts blieb der endgültige Bruch mit der SI aus. Weder zur Organistaion selbst noch zu den Mitgliedern wie Debord verlor er je das gute Verhältnis und finanzierte deren Aktivitäten mit. Nach Krankheit verstarb, der 1914 in West-Jüland geborene Jorn im Alter von 59 Jahren (vgl. Ford 2007: 47).

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3.3 Zum Unitären Urbanismus Wie bereits gezeigt wurde, geht die Konstruktion von Situationen mit dem Unitären Urbanismus einher. Unter der Anwendung aller Kunstrichtungen und Techniken werden auch die Formen der Architektur und des Urbanismus zweckentfremdet (Détournement) um dem Ziel der situativen , der spielerischen und experimentellen Städte näher zu kommen. Die kleinstmögliche Einheit ist nicht mehr das Haus mit dessen Grundriss, sondern die Folge aufeinanderstoßender Stimmungen, also der konstruierten Situation. „Die Genossen, die eine neue, freie Architektur fordern, müssen verstehen, daß [sic] sie zunächst nicht mit Linien und freien poetischen Formen [spielen] , sondern vielmehr mit den Wirkungen der Stimmung von Zimmern, Gängen, Straßen u.s.w., [...]“ (Debord 1995b: 40). Es ist also „kein neuer Stil gemeint, sondern die Aufgabe von Architektur und Städtebau [...]“ (Hess 2012: 290). Einher geht damit, dass das Verständnis von Stadt als ein Urbanes Netz verstanden wird, in dem die größte Aufgabe in der Erzeugung neuer spannender Situationen besteht. Die Menschen sollen im riesigen urbanen Spielplatz1 [auf verschiedene „Viertel“ mit verschiedenen Stimmungen treffen (vgl. Debord 1995b: 39). So können die Individuen durch psychogeographische Erkundungen, dem Dérive und Détournement unendlich umherschweifen (vgl. Sadler 1998: 117). Sie selbst sorgen durch Überraschungen für Stimmungswechsel, erkunden ihre eigenen Wünsche und leben eine direkte Kommunikation mit ihren Mitmenschen. Der Unitäre Urbanismus ist das „Ergebnis einer kollektiven Kreativität neuer Art“ (Nieuwenhuys et al. 1958) und wird nur mit Vorschlägen 28

für Experimente, der psychogeografische Forschung, umgesetzt. Das Wort unitär ist im als Synonym für das Wort einheitlich zu verstehen. Einheitlich meint in diesem Kontext, dass der Fokus von dem gleichartigen isolierten Leben auf „den einheitlichen Gebrauch der situationistischen Mittel verlagert“ wird (Debord 1995b: 42). Unitär also, da es einen Umfassenden Perspektivenwechsel gibt (vgl. Sadler 1998: 117). Insgesamt überschneiden sich die SI und Lefebvre darin, dass es durch die Urbanisierung einen Wendepunkt in der Geschichte geben würde, durch den die Menschen sich „von der Unterdrückung durch die christliche Arbeitsethik befreien und einen freien Ausdruck der menschlichen Wünsche“ erlangen würden (Schrage 1998: 13). Planerisch gesehen werden Wohnungs-, Verkehrs- und Freizeitprobleme zusammen mit sozialen, psychologischen und künstlerischen Perspektiven gelöst (vgl. Nieuwenhuys et al. 1958). Dies bedeutet eine Abkehr vom funktionalistischen Städtebau (vgl. Ford 2007: 82) sowie vomKapitalismus und der Bürokratie (vgl. Sadler 1998: 120). Es gilt jedoch zu diskutieren, ob die Handlungsfelder der SI vor allem „performative Aktionen und städtebauliche Interventionen“ (Hess 2012: 290) waren. Bereits hier deutet sich an, das die Differenzierung von Begrifflichkeiten und eine Kenntnis des politischt heoretischen Hintergrund der SI nötig sind um sie in die Gegenwart einordnen zu können. Charles Fourier, ein utopische Sozialist des 19. Jahrhunderts, entwarf eine auf das Soziale ausgerichtet architektonische Einheit. Obwohl er mit seiner konkreten Idee der Phalanstère nicht


die Aufhebung von Arbeit und Freizeit betrieb, so wird bei seiner Utopie der soziale Aspekt stark in den Mittelpunkt gerückt (vgl. Sadler 1998: 118). 1

Das Spiel wird „ohne Wettkampf und nicht getrennt vom sonstigen Leben“ definiert. (Debord 1995b: 40.; vgl. Sadler 1998: 120)

„Wir müssen die Parolen des unitären Urbanismus, des experimentellen Verhalten, der hyper-politischen Propaganda und der Konstruktion von Stimmungen durchsetzten“ (Debord 1995: 44).

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3.4 Planerische Aussagen in Schriften der SI In vielen Schriften stellen die Situationisten direkten und indirekten Bezug zum konkreten städtischen Raum her. Sie analysieren und bewerten ihn. Dies könnte für eine genauere Be-

trachtung und Kenntnis der SI hilfreich sein. Im Folgenden werden deshalb drei Texte der SI auf ihren Gehalt zum städtischen Raum geprüft.

3.4.1 Situationistische Position zum Verkehr Für die SI war das Automobil eines der Hauptfeindbilder. Ihre Positionen zum Verkehr beziehen sich daher zum Großteil auf die Kritik dessen und streifen dabei auch andere Themen. Zunächst einmal sei das Auto, nicht wie ursprünglich anzunehmen ein nützliches Transportmittel, sondern das höchste Gut des entfremdeten Lebens. Damit ist es nur ein Ausdruck davon, dass nicht das Bedürfnis der Menschen nach Mobilität wichtig ist, sondern das Auto vor allem für den wirtschaftlichen Wohlstand geschätzt wird. Es diene auch nicht dem Vergnügen, sondern der Mobilität zwischen Arbeit und Wohnen und verkürzt das freie Leben (vgl. Debord 1959). Die Gestaltung der Architektur passt sich dem Auto an und nicht den gesellschaftlichen Bewegungen. Auch wenn man das Thema Auto-

mobil nicht ignorieren darf, so sei dessen Einfluss auf die Gestaltung der Umwelt zu groß. Perspektivisch solle das Auto verschwinden, indem es innerhalb „gewisser neuer Siedlungen sowie einiger alter Städte“ verboten wird. Die zu der Zeit der SI aktuelle Planung unterschätze auch den technischen Fortschritt. „So werden wahrscheinlich einige von den Modellen von individuellen Hubschraubern, [...] schon in den nächsten 20 Jahren in der Öffentlichkeit verbreitet werden“ (Debord 1959). Im Unitären Urbanismus bilden die Bereiche Wohnen, Arbeit und Freizeit eine Einheit der menschlichen Umwelt, sodass die Fahrt mit dem Auto zum tatsächlichen Vergnügen wird. Bis es so weit sei, wäre ein über alle Bauwerke erstreckender Spielpaltz das mindeste zu verwirklichende (vgl. Debord 1959).

3.4.2 Die Gesellschaft des Spektakels Dies Gesellschaft des Spektakels ist eines der Hauptwerke der SI. Das 1967 veröffentlichte Werk besteht aus 221 fragmentarischen Thesen, die immer wieder den Bezug auf den Urbanismus oder die Stadt nehmen. Das siebte von insgesamt neun Kapiteln trägt den Titel „Die Raumordnung“. Durch die kapitalistischen Produktionsverhältnissen verliert der 30

Raum seine eigentlich individuelle Bedeutung und wird vereinheitlicht. Mit dieser Vereinheitlichung und Banalisierung wird auch die Autonomie und die Qualität der Orte aufgelöst (These 165). Der Urbanismus erhält die Bezeichnung als freier Raum der Ware, der durch den Kapitalismus vereinnahmt wird und die Beziehung zur natürlichen und menschlichen Um-


welt kappt und somit eine absolute Herrschaft entwickelt (These 169) (Debord 1996: 146). Er führt aber auch, so Debord, zu einer Isolation der Menschen untereinander. Die Integration, die für das weitere Bestehen unerlässlich sei, vollzieht sich über den Konsum in Betrieben, Kulturzentren, Wohnsiedlungen, die allesamt nur aus diesem Grund entstanden sind. Der Kapitalismus verändert und gestaltet den Raum für seine Bedürfnisse (These 172). Auch die „Diktatur des Automobils“ und die „Herrschaft der Autobahn, die alte Zentren sprengt [...]“ (Debord 1996: 150) sind Teile der Ansicht Debords und meinen, dass die gesamten städtischen Milieus durch das Automobil zerstört werden (These 174). Im Gegensatz zu diesen Zentren stehen die Trabantenstädte, die getreu dem Motto „Hier wird nie etwas geschehen so wie hier nie etwas geschah“ (Debord 1996: 152) gebaut wurden (These 177). Neben doieser Kritik formuliert Debord die Forderung nach einem „beweglichen Raum des Spiels“ (Debord 1996: 153) (vgl. Debord 1996: 145ff ). Am klarsten beschreibt Debord seine eigentliche Idee vom Urbanismus in der These 179. Hier ist der deutliche Verweis auf die Situation, in Form des „vollstreckbaren Dialogs“, heraus zu lesen: Im gesamten Kapitel wird eine Kritik am Urbanismus und dem Zusammenleben der Menschen skizziert. Der vom Kapitalismus geprägter Raum, der sich in monotonen Wohnsiedlungen manifestiert, sei für die Vereinsamung der Menschen verantwortlich die er für seine Reproduktion benötigt. Die Interaktion der Individuen erfolgt durch den Konsum der von ihnen erschaffenen Produkte. Auch den

motorisierten Individualverkehr kritisiert der deutlich. Wenn auch nicht in jener scharfen Formulierung ist die Kritik an den Moderne heute breiter Konsens.

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3.5 Kritik an Theorie der Situationisten Es gibt ebenso Kritik daran, dass die SI in ihrer Gesellschaftsanalyse und -kritik zwei große Themenfelder ausgelassen hätte. Gemeint ist die Shoha und die Geschlechterverhältnisse. Gegenüber den Differenzen der Geschlechter, gerade in den 60er Jahren, weiß die SI in ihren Texten nichts zu berichten. Trotz der Auseinandersetzung der 68er Bewegung erwähnt die SI diese Differenz auch im Nachgang nicht. Auffällig ist zudem, dass auf vielen Gruppenfotos auch Frauen zu sehen sind, diese in der Bildunterschrift allerdings nur als „unbekannte“ genannt werden. Oft sei, so Baumeister, Michele Bernstein auch als Freundin Debords bezeichnet wurden, als wäre dies eine herausgehobene Stelle. „Von Guy Debord sprach niemand als der Freund von Michele Bernstein“ (Baumeister et al. 2013: 218). Ihr Aufgabenbereich war auch, wie in Kapitel 2 beschrieben, weniger ein inhaltliche/philosophischer, sondern vielmehr ein redaktioneller Natur. Die Filme der SI und insbesondere Debords verschwiegen jegliche homosexuelle und genderspezifische Aussagen (vgl. Baumeister et al. 2013: 219). So blieb die SI auf diesem Themengebiet stumm. Ungewöhnlich für eine so radikale Gruppe in marxistischer Tradition, die während der 68er Bewegung aktiv war. Obwohl die SI sonst so stark in ihrer Kritik an der Arbeiterklasse war und genau herausarbeite warum sie gescheitert war und wie iher derzeitige Lage war, blendet die SI die genaue Analyse des Nationalsozialismus aus. Sie unternimmt keinen Versuch zu erklären, warum es in Deutschland möglich gewesen ist die massenhafte Vernichtung von Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen etc. zu organisieren. 32

Stattdessen beschreibt sie jegliche Nationalistischen, nationalsozialistische Momente als Faschismus, ohne jegliche Differenzierung vorzunehmen (vgl. Grigrat et al. 2006: 219ff ).


„Die größte revolutionäre Idee über den Urbanismus ist selbst weder urbanistisch noch technologisch oder ästhetisch, sondern die Entscheidung, den Raum nach den Bedürfnissen der Macht der Arbeiterräte, der antistaatlichen Diktatur des Proletariats, des vollstreckbaren Dialogs vollständig wiederaufzubauen“(Debord 1996: 153).

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4. Situationistische Praxis Die Situationistische Internationale nahm immer wieder Bezug zum städtischen Raum. In Filmen, Broschüren und Plakaten tauchen im Hintergrund oder als Hauptthema städtische Bilder auf. Stadt, so die Ansicht der SI, sei „ein neuer Schauplatz kultureller Operation“ um Momente und Situationen für ein „bewusst gelebtes Leben zu schaffen“(Schrage 1998: 13). Damit geht einher, dass das der urbane Raum als Ort des Konfliktes sozialer und politischer Interessen verstanden wird. Die Unterscheidung dieser Arbeit in einen theoretischen und einen praktischen Teil wäre entgegen der Vorstellung der SI. So galt in ihren Überlegungen doch „die Spaltung zwischen Theorie und Praxis [… als...] Felsen, der der alten revolutionären Bewegung den Weg versperrte“ (AFGES 1995: 229).

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4.1 Psychogeographie Abb. 6b: (vorherige Seite) Umherschweifende Lettristen vor dem Café Le Mabillon (19521954)

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Die Konstruktion von Situationen im Urbanen Raum ist eingebettet in das Konzept der Psychogeographie und in die Idee zur Konstruktion eines Raumes dynamischer Beziehungen (vgl. Schrage 1998: 19). Es sollen die Wirkungen der „bewußt oder unbewußt eingerichteten geographischen Umwelt“ (Debord 1995b: 40) untersucht werden. Dabei werden die aktuellen Stadtbilder beobachtet und Hypothesen für neue situationistische Stadtkonzepte erstellt. Détournements und Dèrives sind Bestandteile, sozusagen Forschungsinstrumente, der Psychogeographischen Forschung, die als erweiterte Wissenschaft verstanden werden. Beide Begriffe zielen darauf ab „konkrete Interventionen im Urbanismus“ auszuüben. Die Psychogeographie impliziert die Theorie vom Unitären Urbanismus (vgl. Schrage 1998: 19). Die SI bezieht sich mit ihrem Konzept auf die Freilegung des Unbewussten, also dem psychoanalytischen Konzept von Freud. Das Konzept steht ganz bewusst der Vorstellung des idealisierten Menschen und dessen vorhersehbaren Handlung von Corbusier entgegen. In seinem Raumverständnis sei alles vorher geplant und jeglicher Konflikt mit der Natur, mit dem Raum oder den herrschenden Verhältnissen wird ausgeblendet (vgl. Sadler 1998: 77f). Die Psychogeographie bereitet darauf vor, die Stadt als eine Anhäufung von Situationen zu erstellen. Der objektive und subjektive Anspruch der Psychogeographischen Forschung seid dabei ein besonderer Reiz (vgl. Sadler 1998: 81). Überhöhung und Beschönigung einer „diskontinuierlichen und subjektiven Erfahrung

des urbanen Raums“ (Schrage 1998: 19) führen dazu, dass nicht mehr die gebaute, materielle Umwelt im Vordergrund der Erfahrungen steht, sondern den einzigartigen und zufälligen Charakter urbaner Situationen (vgl. Schrage 1998: 19). Die Psychogeographie ermöglicht die Wahrnehmung der Stadt nicht mehr über Macht und Waren, sondern über individuelle Wahrnehmung des Raums im alltäglichen Leben. Manifestiert hat sich die Psychogeographie durch die Praxis des Dérives und des Détournements sowie in psychogeographischen Karten. Dies Karten zeigen jene Orte, an denen sich die PsychogeographInnen aufgehalten und die Gefühle eines bestimmten Millieus wahrgenommen haben. Die durch Protokolle vermerkten Ergebnisse werden in Landkarten dargestellt und können sinnliche Punkte in der Stadt aufzeigen, emotionale Knotenpunkte in der Stadt aufdecken und dadurch besonders geeignete Orte für die Konstruktion von Situationen empfehlen (vgl. Steiner 2007b: 50; vgl. Baumeister et al. 2005: 52). Der bekannteste psychogeographische Stadtplan ist The Naked City. The Naked City Schon vor der Gründung der SI wurde ein psychogeographischer Stadtplan durch die MIBI veröffentlicht. The Naked City1 von Debord ist eine aus 19 Fragmenten des Pariser Stadtplans (Plan de Paris; im frz. Orig.) bestehende Karte, welche durch unterschiedlich geformte Pfeile verbunden sind. Während die einzelne Fragmente „atmosphärische Einheiten“ verschiedener Pariser Stadtteile darstellen, missachten die roten Verbindungspfeile völlig die


ursprüngliche Struktur, die Logik und somit die Zweckmäßigkeit des Originals. Die jeweilige Richtungsänderung, welche immer richtig sei, fungierte wie eine Art Drehscheibe. Diese Metapher ergibt sich aus dem Untertitel des Plans Plaques Tournantes (zu deutsch ‚drehbare, mit Schienen versehene Drehscheibe‘) (vgl. McDonough 2007: 56f). Die einzelnen Fragmente der Collage verschwimmen zu einer neuen und individuellen Karte (vgl. Ballhausen 2012: 46). Die Gewalt, die bei der Fragmentierung der ursprünglichen Karte angewandt wird, verweist auf die Gewalt des Originals (vgl. McDonough 2007: 57). Debord bemängelt schon in seinem Werk Einführung in eine Kritik der städtischen

Geographie dass „plötzliche Stimmungswechsel auf einer Straße in einer Entfernung von nur wenigen Metern; die offensichtliche Aufteilung einer Stadt in einzelne, scharf unterscheidbare psychische Klimazonen; [...] der anziehende oder abstoßende Charakter bestimmter Orte“ (Debord 1955) nicht beachtet wird. Außerdem werden in herkömmlichen Stadtplänen all jene Konflikte unterdrückt, die mit dem Produktionsverhältnis einher gehen und die den Raum somit homogenisieren. Die Antwort Debords auf dieses Verschweigen von Konfliktlinien ist ein Plan, der selbst nicht einfach nur die Ungleichheiten beschreibt, sondern sie ebenso bekämpft, indem allein durch den Plan neue Abb. 7: The Naked City

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Situationen konstruiert werden. Im Gegensatz zu anderen kognitiven Karten analysiert The Naked City nicht den sozialen Raum, sondern formt ihn bereits neu (vgl. McDonough 2007: 58). Debord folgt damit dem Gedanken, dass Raum nicht nur soziale Verhältnisse widerspiegelt, sondern sie ebenso produziert (vgl. McDonough 2007: 58). Der Raum wird zu „einem Element sozialer Praxis“ (McDonough 2007: 58). Gefühle in einer Karte zu verorten war bereits das Ziel von Madelein de Scudéry. Mit ihrer Catre du Tendre verortete sie verschiedene Gefühle im Land der Zärtlichkeiten. Mit ihr konnte man eine fiktive Reise durch die Welt der Emotionen unternehmen. Die um das Jahr 1650 entstandene Karte entsprang zwar einem völlig anderen Kontext, aber auch sie besitzt identisch mit The Naked City nicht den Anspruch ein abstraktes Werkzeug zu sein, sondern eine Erzählung des geographischen Raums zu formen. Im Gegensatz zu Kevin Lynch geht es zusammenfassend bei The Naked City nicht nur um die Abbildung von Raum, sondern auch um dessen Beeinflussung. Während Lynch mit seinen Karten die bessere kognitive Wahrnehmung und optimierte Orientierung in der Stadt verfolgte (vgl. Diaconu 2010: 126), galt für die SI ein eher labyrinthisches, zufälliges Verständnis von Stadt. Gleichzeitig ist Naked City die Verbesserung des guide psychogeographie de paris, der 1956 von Debord erstellt wurde (vgl. McDonough 2007: 56). 1 Origional Titel: The Naked City Illustration De L‘hypothése Des Plaques Tournantes En Psychogeographique

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Abb. 8: Carte du Tendre

Abb. 9: Guide PsychogĂŠographique de Paris

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4.2 Dérive Dérive kommt aus dem Französischen und bedeutet in seinem etymologischen Ursprung ableiten oder herleiten. Es ist eine Praxis, die sich durch die Geschichte der SI zieht und oft mit dem Wort des „umherschweifen“ beschrieben wird (vgl. Debord 1995b: 41; vgl. Steiner 2007a: 28; vgl. Situationistische Internationale 1995a: 51). Umherschweifen „ist sowohl die Praxis eines leidenschaftlichen Ortswechsels durch eine schnelle Veränderung der Stimmung als auch ein Mittel zur Erforschung der Psychogeographie und der situationistischen Psychologie“(Debord 1995b: 41). Es ist weder zufällig noch absichtslos. Es ist leidenschaftlich und das „magisch anmutendes Nachspüren der vorhanden Ströme und Einflüssen der Städtischen Geographie“ (Ballhausen 2012: 44) wird durch spontane Begebenheiten und Begegnungen charakterisiert (vgl. Ballhausen 2012: 44). Es bedingt die Verbindung mit der „städtischen Gesellschaft“ (vgl. Situationistische Internationale 1995a: 51) und wird als experimentell bezeichnet, was den besonderen Charakter zur Psychogeographie herstellt (vgl. Situationistische Internationale 1995a: 51). Das Dérive impliziert das Spielverhalten durch die Idee des Homo Luden, des spielenden Menschen, und stellt damit klar, dass es „in jeder Hinsicht den klassischen Begriffen der Reise und des Spaziergangs entgegenstellt“ (Debord 1995c: 64). Eigentlich ist es weniger das Ziellose, was das Dérive ausmachen würde, sondern gegensätzlich des Umherschweifen und das Suchens nach „psychogeographischen Variationen“ (Debord 1995c: 64). Der Verzicht auf die gewöhnlichen Bewegun40

gen, Beziehungen, Arbeits- und Freizeitaktivitäten um sich gänzlich auf die „Anregungen des Geländes und den ihm entsprechenden Begegnungen“ (Debord 1995c: 64) einzulassen ist eine Bedingung für ein erfolgreiches Dérive. Die Anzahl der Personen ist nicht entscheidend, allerdings seien mehre Gruppen je zwei bis drei Personen, die optimale Größenordnung für einen Dérive. Durch den Vergleich der verschiedenen Erfahrungen der einzelnen Gruppen können „objektive Schlüsse“(Debord 1995c: 65) gezogen werden. Zeitlich gesehen sind [Dérives] sehr flexibel, Debord beschreibt jedoch das Optimum als „die Zeitspanne zwischen zwei Schlafperioden“ und „die letzten Nachtstunden […] im allgemeinen als ungünstig.“ (Debord 1995c: 65). Der Prozess kann aber durchaus auch mehrere Tage oder Wochen andauern (Schrage 1998: 16; Debord 1995c: 66). Der „Spielraum“ (Debord 1995c: 66), also jenes Gebiet in dem das Umherschweifen stattfindet ist die Großstadt mit ihren Vororten bis hin zu einem „Viertel oder sogar ein einziger Häußerblock[sic]“ (Debord 1995c: 66). Der Bezug zur erweiterten Wissenschaft der Psychogeographie wird hergestellt, indem Debord darauf verweist, dass das Umherschweifen die erste Möglichkeit ist die „moderne Stadt aufzuzeichnen“ (Debord 1995c: 67). „Im Gegensatz zum passiv erlebten Spektakel setzt [...] Debord[...] somit auf beständige Intervention, auf permanente Einmischung“ (Ballhausen 2012: 44). Es ist gleichzeitig Untersuchung und Beeinflussung des Urbanen Raums. Die räumliche und konzeptionelle Erforschung der Stadt erfolgt nun über individuelle Erfahrungen.


„Wieder der Morgen in denselben Straßen. Wieder die Müdigkeit so vieler ähnlich verbrachter Nächte. Es ist ein Spaziergang der wirklich lange gedauert hat … Es ist wirklich schwer, eher zu trinken … Wir sind eingeschlossen. Wir sind getrennt. Die Jahre vergehen, und wir haben nichts verändert“ (Debord 1995: 98).

Résumé eines Dérives, welcher nicht zur Zufriedenheit Debords verlaufen ist

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„Ihre Methodik des Dervie wurde vor allem durch Lucius Burckhardts Spaziergangswissenschaften“ fortgeführt, schrieb Martin Gebhart in seiner Bachelorarbeit (vgl. Gebhart 2010: 54). Ich hege meine Zweifel an dieser Hypothese: Der Zufall beim Dérive und beim Spazieren ist ein anderer. Während beim Spazieren einzig der Zufall zum tragen kommt, fügt sich beim Dérive noch der Wille zu Veränderung und zur bewussten Konstruktion von Situationen hinzu. Diese Bedingung führt dazu, dass sich das „Umherschweifen grundsätzlich von dem […] Spaziergehen unterscheidet“ (Debord 1995c: 65). Auch schreibt Martin Schmitz1 [ in einer EMail an den Autor dieser Arbeit, dass die Verbindung eher problematisch sei, da sich Burckhardt auf das „Planen und Bauen“ konzentrierte (Schmitz 2014). Debord wehrt sich dagegen mit den Surrealisten verglichen zu werden, die 1923 in einer durch den Zufall ausgewählte Stadt „herumirrten“ (Debord 1995c: 65). Nach Diaconu (vgl. Diaconu 2010: 122) gibt es im wesentlichen zwei unterschiedliche Bedeutung von Dérive. Zum einen das der physischen Bewegung, zum anderen jenes einer passiven Person, welche sich auf Abwegen befindet. Im Bezug zum Flaneur unterscheidet er vor allem die Geschwindigkeit der Bewegung und den Anlass. Der Flaneur sei „in Begleitung einer Schildkröte“ (vgl. Diaconu 2010: 126) im städtischen Raum unterwegs und suche nach Zerstreuung (vgl. Diaconu 2010: 126). Der Flaneur präsentiert sich und sein Gut, die Zeit.

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Gegensätzlich dazu wird der Urbane Raum im Anspruch der SI schnell durchschritten. 1 Dozent an der Kunsthochschule Kassel, Autor und Verleger zahlreicher Bücher von und über Lucius Burckhardt auf den die Promenadologie, sowie die damit verbundene Spaziergangswissenschaft zurück geht.


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4.3 Détournement Die Zweckentfremdung (Détournement; im Orig.) ist ein weiteres, zentrales Element der SI, die mit dem Dérive und der Psychogeographie in Verbindung steht (vgl. Debord et al. 1995: 23). Die Methode hat einen Wandel in ihrer Ausprägung erlebt. Während sie 1956 noch als eine die Bedeutung von Elementen verändernde Praxis galt (vgl. Debord et al. 1995: 23), wurde sie in den 1958 erschienen Definitionen als eine Zweckentfremdung vorgefertigte Elemente für eine „höhere Konstruktion der Umwelt“ beschrieben (Situationistische Internationale 1995a: 51). Die wohl „wirksamste Methode zur Sabotage des Spektakels“ (Stahlhut et al. 2007: 25) entledigte sich der „Gleichgültigkeit gegenüber den sinnentleerten Original“ (Debord et al. 1995: 21) und setzte ihm eine situationistische Anwendung gegenüber (vgl. Debord et al. 1995: 24). Das Détournement ist „gezielte Neuverwendung etablierter Elemente“ (Ballhausen 2012: 43). Jedes Element wird seiner ursprünglichen Bedeutung entledigt und „zugleich durch Reorganisation in einen neuen organisatorischen ganzheitlichen Zusammenhang gegliedert“ (Ballhausen 2012: 43). Sie werden also mit einer anderen Funktion wieder in das System zurück geführt. Es wirkt fast so als wenn die SI die Welt die sie kritisiert unmittelbar an sich reißt in dem direkt zerschnitten und die eigenen kreativen Produkte herzustellen (vgl. Ballhausen 2012: 43). Diese Praxis des Détournement ist beliebig oft wiederholbar, technisch einfach und vielfältig einsetzbar. Détournement gelangt durch seine Anonymität schnell zu einem kollektiven Ausdruck und gleichzeitig impliziert es eineVerbindung zum Spiel (vgl. Schrage 1998: 23). 44

In der Gebrauchsanweisung für die Zweckentfremdung wird die Unterscheidung in „geringfügige und die mißbräuchliche [sic] Zweckentfremdung“ (Debord et al. 1995: 20) getroffen. Geringfügige Zweckentfremdung bezieht sich auf Objekte, die selbst eine geringe Bedeutungsebene besitzen und entfremdet werden. Zweitere sind mit einer hohen Bedeutung aufgeladene Elemente, welche durch eine neue Zusammenstellung zweckentfremdet werden (vgl. Debord et al. 1995: 20). Die wirksamste Art der Zweckentfremdung sei im Film möglich (vgl. Debord et al. 1995: 23). Dabei kann auf politische Aktionen ausgeweitet und auf eine Reihe von Elementen übertragen werden. Diese wären z.B. „beliebiges Herbeizitieren von anderen Texten, Zweckentfremdungen der Sprache selbst durch Buchstabengedichte, das Übermalen, Auseinanderschneiden und Zusammenkleben von bestehenden Kunstwerken, die Zweckentfremdung von Comic strips durch das Verwenden alter Filme und TV-Werbung“ (Stahlhut et al. 2007: 25). Debord meint aber auch, dass die Zweckentfremdung „mit allen gesellschaftlichen und rechtlichen Konventionen zusammenstößt“ (Debord et al. 1995: 23). Der städtische Bezug in den Schriften der SI zum Thema Détournement ist zunächst einmal erstaunlich gering (Schrage 1998: 23). Möglicherweise liegt es daran, dass die Bandbreite der Zweckentfremdung wie oben beschrieben sehr groß ist. Ein sympathischer Vorschlag für eine Zweckentfremdung wird im Potlacht no. 23, der Zeitschrift der LI vorgeschlagen „Put switches on the streetlamps, so lighting will be under


control“ (Sadler 1998: 110). Es sind anarchisch anmutenden Besonderheiten, die die SI so interessant machen (vgl. Sadler 1998: 110). Im Grunde genommen ist auch The Naked City eine Zweckentfremdung des Stadtplans von Paris und hat somit, wie bereits beschrieben, einen städtischen Bezug. Auch das Dérive als eine Praxis des schnellen Durchschreitens von Raum ist eine Art Zweckentfremdung, indem der urbanen Raum zur Konstruktion neuer Situationen genutzt wird (vgl. Schrage 1998: 23). Die Zweckentfremdung bildet einen integralen Bestandteil der Pychogeographie sowie des Dérive und findet seine Vorläufer schon in den Collagen der Dadaisten und Surrealisten (vgl. Ford 2007: 41), auf die an dieser Stelle zugunsten der Komplexitätsreduktion dieser Arbeit nicht genauer eingegangen werden kann.

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4.4 New Babylon als konkrete Stadtutopie Mit dem Projekt New Babylon schuf der niederländischen Künstlers Constant Nieuwenhuys einen Entwurf für eine situationistische Stadtutopie. Im Konzept zu New Babylon sollte die Aufteilung zwischen Arbeit, Freizeit sowie öffentlichen und privaten Raum nicht mehr bestehen. Der flexible und dynamische Raum des Entwurfs enthielt sowohl private als auch öffentliche Bereiche. Dabei verbinden sich verschiedene vertikale und horizontale Elemente zu einer Megastruktur. Mit Hilfe der einfachen Konstruktion kann die Struktur des Raums immer wieder verändert werden. BewohnerInnen und BewohnerInnen könnten ihrer automatisieren Arbeitswelt entkommen und ihre Fantasie durch eine spielerische oder träumerische Art ausleben, indem sie die Konstruktion Abb. 10: Collage New Babylon

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auch selbst verändern. Einen großer Anteil an Stadtgestaltung käme den Berufssituationisten zu. Sie würden durch ihr Studium der Psychogeographie ein besonders intensives Wissen über die Gestaltung von New Babylon haben und damit New Babylon ständig verändern. New Babylon entsprach mit dieser Dynamik auch der situationistischen Idee der Flüchtigkeit des Kunstobjektes (vgl. Kleinschmidt 2008: 5) Auch die klassische Stadt-Land Aufteilung sollte überwunden werden. New Babylon hätte weder eine Zentrum noch eine Peripherie (vgl. Schrage 1998: 22). Ausgangspunkt war die bereits beschriebene Kritik der Situationisten an der Stadt der 1960er Jahre, die durch die Moderne, also dem monotonen Wohnungsbau, den wachsenden


Autobahnkomplexen und dem weiter ansteigenden Tourismus in eine Krise geraten sei. Gleichzeitig gab es aber auch Überschneidungen mit den Ideen von Le Corbusier, aleiner der bedeutendsten Vertreter der CIAM, und von Constants New Babylon. New Babyon sollte auf Pfeilrekonstruktion (Pilotis) errichtet werden, eine so charakteristische Eigenschaft der Architekturen Corbusiers. Der Verkehr wurde ebenso konsequent von den sozialen Räumen der Menschen getrennt: Ebenerdig fuhren die Autos und darüber erstreckte sich die Struktur New BabylonsWie der Corbusiers [Plan Vision] wurde auch New Babylon über ganze Städte oder Regionen, in diesem Fall Amsterdam und das Ruhrgebiet, gelegt (vgl. Gebhart 2010: 54).

Wesentlichen Einfluss für Constants „architektonische und gesellschaftliche Utopie“ (Ford 2007: 79) hatte, wie auch bei anderen Situationisten, das Konzept des homo ludens“, welches einen Kontrapunkt zur effektiv nützlichen Gesellschaftsstruktur darstellt (vgl. Ford 2007: 77). Es galt die Vorstellung, dass ein befreiter Urbanismus, der sich ständig veränderter, Lebensraum des spielenden Menschen, homo ludens, sei (vgl. Schrage 1998: 22). Ursprüngliche beziehen sich der homo ludens auf eine 1938 veröffentlichte Theorie von Johan Huizingas, nach welcher dem Spiel eine große Bedeutung für die Entwicklung der Menschen innewohne (vgl. Ford 2007: 77). Ein weiterer wichtiger Gedanke Constants war das Labyrinth. Es steht als Synonym für die Abb. 11: Modell New Babylon

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situationistische Idee von Raum, die vielfältige Situationen und Möglichkeiten bietet und somit auch die Grundlage für ein spielerisches Verhalten sei. Der positiv konnotierten Unübersichtlichkeit begegnet man durch das Umherschweifen (Dérive) (vgl. Gebhart 2010: 12). Durch Größe und schnelle Veränderung entstehen ungeheure Menge an neuen Situationen, die immer wieder durch Dérives erforscht werden sollten. New Babylon kann als Anwendung des Dérive gesehen werden (vgl. Schrage 1998: 19). Teils tauchten schon in der Phase der Vision Befürchtungen auftraten, dass New Babylon selbst zum Spektakel werden würden (vgl. Kleinschmidt 2008: 5).

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„Da New Babylon leicht als phantastischer Traum abgetan werden könnte, betonen wir nachdrücklich, dass es vom technischen Standpunkt her durchführbar und vom menschlichen Standpunk her wünschenswert ist; vom gesellschaftlichen Standpunkt wird es unumgänglich sein“ (Nieuwenhuys 1959).

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4.5 Erkenntnisse und Eigenschaften situativen Handelns Die Gedanken der SI zum urbanen Raum sind eng mit ihrer Gesellschaftskritik verbunden. Ihre durch Marx beeinflusste Kritik gegenüber dem Kapitalismus haben sie auf die Sphäre der Freizeit ausgedehnt. Das Spektakel, welches nötig ist um auch in der Zeit der Reproduktion die Menschen zum Konsum von Gütern zu bewegen, ist die Ursache für die Entfremdung der Menschen untereinander und von Ihrer Umwelt. Die so isolierten Individuen konzentrieren sich nur auf das durch den Warenfetischismus mögliche Spektakel. Laut SI hat sich diese Entfremdung auch baulich manifestiert. „Der Urbanismus ist diese Inbesitznahme der natürlichen und menschlichen Umwelt durch den Kapitalismus“ (Debord 1996: 146). Die Situationisten begründen ihre Kritik am Urbanismus insbesondere an der Moderne daran, dass „ihre schöpferische Kraft verloren“ gegangen sei (Debord in Diaconu 2010: 125). Aufgrund der Analysen und der Ansichten entstand eine Praxis der Situationisten, die sich vor allem daran orientierte Situationen zu konstruieren, welche die sinnliche Erfahrung innerhalb der Stadt (wieder) möglich machen: Zur Herstellung „[...] kurzfristige[r] Lebensumgebungen und ihrer Umgestaltung in eine höhere Qualität der Leidenschaft“ (Debord 1995b: 39), beschrieb Debord diese Auffassung. Sie nutzen vor allem künstlerische und spielerische Mittel um diese Ziel verfolgen zu können. Der urbane Raum sollte im Sinne der SI kein funktionaler Ort sein, sondern sich durch soziale Interaktion produzierten Und dadurch ebenso Ausdruck des Kampfs sozialer Verhältnisse

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werden. Dies ist ein klarer Paradigmenwechsel zur bisherigen Auffassung von Raum. Es soll gelingen die Trennung zwischen Kunst, Politik und Ökonomie aufzuheben. Die Kunst an sich könne dabei, trotz ihres hohen Potentials, nicht das Mittel zur Lösung sein, da sie selbst ein zu großer Teil des Spektakels ist. In eine kollektiven Praxis wird die Entfremdung zwischen denen, welche die Stadt konstruieren und denen, die sie konsumieren, aufgehoben. Die Produktion von Raum entzieht sich der Herrschaft des Kapitals. Mit dem Unitären Urbanismus manifestieren die SI ihre gesamte Gesellschaftskritik auf den städtischen Raum: „Die größte revolutionäre Idee über den Urbanismus ist selbst weder urbanistisch noch technologisch oder ästhetisch, sondern die Entscheidung, den Raum nach den Bedürfnissen […] des vollstreckbaren Dialogs vollständig wiederaufzubauen“ (Debord 1996: 153). In der Architektur verbinden sich soziale Fragen mit jenen der „ästhetischen Gestalt [und] der Lebenswirklichkeit“ (Stahlhut et al. 2007: 25). Mit der Praxis des Dérive und des détournement, als Bestandteil der psychogeographischen Forschung hat die SI den Unitären Urbanismus, „den wir als die Konstruktion eines dynamischen Milieus in Verbindung mit Verhaltensstilen verstehen“ (Debord et al. 1995: 25) praktiziert. Während die Psychogeographie das Freilegen des unbewussten ist, bezieht sich Dérive auf eine gewissen Flüchtigkeit und auf die Stadt als Ort nomadischer Bewegungen (vgl. Schrage 1998: 19).


Der Zufall und die Kreativität sind die Bestandteil des Fortschritts, der eher „in der Herstellung von aufregenden Situationen als in der von aufregenden Formen lieg[t]“ (Debord 1995b: 40). Zufall ist aber nicht als eine unorganistierte und ziellose Form zu sehen, sondern als das gesuchte Ergebnis. Ebenso darf die Kreativität nicht falsch verstanden werden. Es handelt sich nicht um die Schaffung neuer kreativer Räume im Sinne der Kreativwirtschaft. Auch die Formulierung Produktion von Raum hat eine ökonomische Verlautbarung. Im Unterschied zur Produktion von Objekten, hat die Produktion von Raum wenig damit gemein. Christopher Dell, ein Stadttheoretiker, unterscheidet zwischen Produktion von Objekten und Produktion von Raum. Ersteres geschieht ohne die Mitbestimmung der organisatorischen Form. D.h. das Objekt wird hergestellt. Auf welche Weise und zu welchem Zweck ist für den Produzenten unerheblich. Während die Produktion von Raum die organisatorische Produktion ebenso einschließt wie eine Produktion des Sozialen (vgl. Dell 2014: 243) Stadt zu einer Experimentierwelt, die auf das Soziale und Kollektive ausgelegt ist und sich ständig in Veränderung befindet (vgl. Karow-Kluge: 102). Der Raum wird zu „einem Element sozialer Praxis“ (McDonough 2007: 58). Ähnlich zu Constant in seinem Entwurf New Babylon ist die SI an einem flexiblenund dynamischen Raum interessiert, der zwei Funktionen erfüllt: Er bildet sozial gesellschaftliche Verhältnisse ab und wird dadurch neu geformt. Wie schon gezeigt, ist auch ein militärischer

Charakter in den Schriften der SI auszumachen. Die eigene Bezeichnug als „enfants perdu(e)s“ bezieht sich semiotisch auf militärisch verlorene Einheiten auf fremden Gebiet. Die Rethorik und Poesie Debords weißt eindeutige „militärisches Vokabular“ (Ballhausen 2012: 43) ein.

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5. Aktualität Situationistischer Praxis Die nun folgenden Beispiele zeigen wie Projekte den situationistischen Ideen zugeordnet werden können. Bei meinen Recherchen nach geeigneten Projekten tauchten viele von architecktonischer Art auf. Sie zu betrachten und zu beleuchten wäre spannend und zielführend, wurde aber schon mehrfach getan. Die nachfolgenden drei beschriebenen Beispiele befinden sich zwar auch im architektonischen Maßstab, stehen aber für eine urbane Praxis ganz im Sinne der SI, indem sie sich zunächst nicht auf bauliches beziehen, sondern der Konstruktion neuer Situationen widmen. Da ihre Charaktere sich an den im festgelegten Eigenschaften Situativen Handelns beschreiben lassen, tragen sie viele oder alle Bausteine der situationistischen Idee inne. Bei der Analyse der Projekte stand die Frage im Vordergrund, inwiefern sie situationistisch sind? Um dem Ergebnis schon teilweise vorweg zu greifen, kann schon an dieser Stelle gesagt werden, dass die Projekte teilweise gar nicht so „situationistisch“ sind, wie vielleicht zu Beginn gedacht werden kann, obwohl sich die Mitwirkenden oft aktiv auf situationistische Quellen beziehen.1 Wenn die Projekte nun schon keinen reinen sitautionitischen sind, muss ihnen dennoch zugestanden werden, dass durch sie die situationistische Auffassung von Stadt und Raum zumindest fragmentarisch umgesetzt wurde. Dies möchte ich im folgenden Kapitel näher beleuchten. 1 Gemeint ist das Lesezeichen Salbke aus der ArchPlus ausgabe 183 vom Mai 2007 und die Enzis aus der Zeitschrift des Schweizer Architekturmuseum SAM, ebenfalls aus dem Jahr 2007. 53


5.1 Lesezeichen Salbke von KARO* Architekten Abb. 12: (vorherige Seite)

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Magdeburg 2004: Hauptstadt Sachsen-Anhalts, ca. 230.000 EinwohnerInnen. Die Stadt spielt bei der der Debatte um schrumpfende Städte einen tragenden Part. . Im Stadtteil Salbke sind nach der Wende im Jahr 1989 rund 80% der Gebäude durch Leerstand gekennzeichnet. Die ehemalig stark industriell geprägte Nutzung ist nun von „Wegzug, Leerstand und extremen Arbeitslosigkeit“ (KARO* - *Kommunikation *Architetktur *RaumOrdnung o.J.) geprägt. An der Brachfläche im Ortskern, die vormals eine Bibliothek beherbergte, sind alle bis auf einen ansässigen Einzelhändler gewichen. Schon in der DDR waren die Häuser dort unsaniert und ein Brand Ende der 1980er Jahre führte zu einem kompletten Abriss der Stadtteilbibliothek im Kern des Orts. Der kulturelle Identifikationspunkt an prominenter Stelle war verloren (vgl. KARO* - *Kommunikation *Architetktur *RaumOrdnung o.J.). In Salbke und anderen schrumpfenden Regionen schien das „Temporäre zur Permanenz“ zu werden, in der es möglicherweise eine „flüchtige“ Urbanität und einen situativen Urbanismus gibt (vgl. Rettich 2007: 120). In der skizzierten Gemengelage wurde erst einmal nicht mit einer bauliche Veränderungen eingegriffen. Es war zu Beginn nicht klar, ob am Ende überhaupt eine Gebäude entstehen würde. Im Mittelpunkt lag das „Untersuchen, Herstellen und Ordnen von Beziehungen“ (vgl. Rettich 2007: 120). Die erste Grundidee bestand darin, das Buch als Zeichen für eine Nutzung der Brachfläche zu verwenden. Es sollte ein Lesezeichen entstehen, welches für die Transformation der Fläche steht. Es gab einen öffentlichen Entwurfspro-

zess. Die Konstruktion des favorisierten Entwurfs wurde, ebenso wie der Entwurfsprozess in „Kommunikations- und Interaktionsschleifen“ (Rettich 2007: 120) mit den Beteiligten erarbeitet. Darunter waren AnwohnerInnen, MitarbeiterInnen der Stadtverwaltung, ein Getränkehändler, der Leergutskisten zur Verfügung stellte und die gesamte Stadt, die Bücher spendete (vgl. Rettich 2007: 120). Es entstand eine Freiluftstadtteilbibliothekt, die mit improvisierten Mobiliar ausgestattet zwei Tage den „Austausch von Gedanken über den Austausch von Büchern“ organisierte (Rettich 2007: 120). Entstanden ist ein aus Bierkisten bestehende Bibliothek mittels „einer langen Bücherwand mit Bühne“ (KARO* - *Kommunikation *Architetktur *RaumOrdnung o.J.). Was wurde hier nun gemacht? KARO* Architekten haben einen situativen Ansatz gewählt um eine strategisch wichtige Fläche im Ortskern einer schrumpfenden Stadtteils von Magdeburg zu transformieren. Ihr Augenmerk lag dabei zunächst nicht auf der ästhetischen, funktionalen Ebene.1 Allein das Statement, dass „öffentlicher Raum ein Zustand ist, der mehr in seiner Nutzung als in seiner baulichen Manifestation zum Ausdruck kommt“ (Rettich 2012: 194) belegt ein Gespür für die einen an der Situation angelehntes Planungsverständnis. Es ging um einen Ansatz, der die Beziehungen zwischen den Menschen verändern sollte. Die durch den strukturellen Wandel gekappten Beziehungen sollten wieder geknüpft werden. Diese Intervention, die auf einer kollektiven Stadtproduktion beruht, holte mit Kreativität den Ort zurück in das Bewusstsein der An-


wohnerInnen und testete dessen Nutzung im Alltagsleben (vgl. Rettich 2014). Die Beteiligten haben „Ihr Lesezeichen“ mit Hilfe der ArchitektInnen zunächst konstruiert, um später dort „konsumieren“ zu können. Konsumieren nicht im Marktsinn, sondern im Sinne des Verweilens, des Austausch von Büchern und Gedanken. Die kurzfristige Intervention legte also keinen Wert auf ein durch Waren produziertes Spektakel. Zusammenfassend lässt sich also bestätigen, dass viele Eigenschaften bei diesem Projekt zu finden sind, die für einen starken Bezug zu situationistischen Idee sprechen. Im Hintergrund diese Auffassung von Raum steht allerdings die beuyssche Idee der sozialen Plastik und dem Verständnis von Gesellschaft als Skulptur. Auch bei dem zu betrachtenden Projekt galt es laut Ausruf etwas zu kreieren, „an der jeder kreativ mitgestalten kann“ (Rettich 2007: 119). In einer Stadt der Möglichkeitsformen, die durch ihren heterogenen Charakter dazu einlädt weitergebaut zu werden, ist diese Soziale Plastik ein Kernpunkt. Der Ansatz der Sozialen Plastik, der das Konzept einer konstruierten Situation impliziert, war ein Intuitiver. Erst im Nachgang haben die KARO* Architekten den theoretischen Background zu ihre Arbeit entdeckt. Sie würden das Lesezeichen Salbke aus den genannten Gründen ausdrücklich nicht als „situationischtisch“ bezeichnen, sondern als situativ (vgl. Rettich 2014, 2007: 120). Dies zeigt wie nah die verschiedenen Definitionen beieinander liegen. Die gesamte Intervention war auf einen offenen Ausgang angelegt und folgte einer performativen auf Kommunikation angelegten Planungs- und

Abb. 13: Brachfläche

Abb. 14: Temporäre Bebauung

Abb. 15: Freiluftbibliothek

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Raumauffassung. Der Anstoß war temporär, die Nutzung auf Probe, das Ergebnis und die Wirkung sollten dauerhaft sein. (vgl. Rettich 2014). Heute steht an der Stelle des Lesezeichens eine Freiluftbibliothek nach einem Entwurf der KARO* Architekten. Diese nun permanente Architektur, die ebenfalls unter Beteiligung der BürgerInnen erarbeitet wurde, enthält neben einer Holzfassade zum Abmilderung des Straßenlärms auch eine modernistische Recyclingfassade. Der Buchbestand wuchs durch Spenden auf 40.000 Bücher an und eine eine 30 Meter langen Sitzbank wurde errichtet. Die zu jeder Zeit frei zugängliche Architektur wurde inzwischen stark beschädigt. Es gab eine breite Debatte in der Fachöffentlichkeit über die Zugänglichkeit von öffentlichen Räumen, die Wirkungen von Interventionen und ob die bürgerlicher Grundidee die richtige Wahl war. Dabei drehte sich die Diskussion auch darum ob diese „negative“ Aneignung Grund dafür sein kann, die Fläche durch einen privaten Sicherheitsdienst sichern zu lassen oder ob genau jene Aneignung Ausdruck sozialer Verhältnisse sei, welchen man auf anderen Wege, ggf. auch polizeilich begegenen sollte (vgl. Thein 2011; vgl. Rettich 2012: 188ff ). 1 „Im Grunde geht es hier […] schon gar nicht um die Aufforderung, Architektur aus Bierkisten herzustellen.“(Rettich 2007: 120)

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Portrait KARO*: Die Beteiligten KARO* Architekten verstehen sich selber als ArchitektInnen, konzentrieren sich bei ihren Projekten an erster Stelle nicht auf das Gebaute, sondern eher auf die vorgefundene Situation (vgl. Rettich 2007: 120). KARO* steht für Kommunikation, Architektur und RaumOrdnung. Ihr Mitbegründer Stefan Rettich hat am Lesezeichen für Salbke mitgearbeitet. Für ihn bilden vor allem der Rapport über die Konstruktion von Situationen und die Theorie des Umherschweifens Bezugspunkte zur SI. Die Einführung des Begriffes Situation mit dem nicht ausschließlich baulichen Verständnis von Handlungsmöglichkeiten ist ein wichtiger Pfeiler seiner Arbeiten. Damit keinen „Rückgriff auf die Soziologie“ zu nehmen ist ihm wichtig (Rettich 2007: 120). Insgesamt scheint die SI mit ihren sehr theoretischen Ansätzen, ihrer radikalen Gesellschaftskritik und ihrem elitär, egozentrischen Auftreten für seine Arbeiten keine übermäßige Bedeutung zu haben. Zwar seien theoretische Grundlagen sehr wichtig, allerdings spielt Kevin Lynch mit seinen fünf Ebenen der Raumwahrnehmung eine größere Rolle. Seine Interventionen stellen auch strukturelle Kritik dar. Er kritisiert, dass mit dem Lesezeichen Salbke im Prinzip eine „neoliberale“ und ausschließlich punktuell verändernde Intervention durchgeführt wurde. Der Staat ziehe sich aus der Verantwortung zurück und die gesamtstädtische Perspektive fehle leider oft (vgl. Rettich 2014).


Abb. 16: Freiluftbibliothek mit „positiver“ Aneignung

Abb. 17: Freiluftbibliothek mit „negativer“ Aneignung

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5.2 Das Küchenmonument von Raumlabor Seit 2006 machen Raumlabor mit ihrem Küchenmonument auf sich aufmerksam. Eine mobile Skulptur mit zwei verschiedenen Komponenten: Ein umgebauter, innen mit grauem Filz, außen durch eloxiertem Stahlblech ausgekleideter Bauwagen beinhaltet eine Garderobe und eine Gebläsetechnik. Er fungiert als Eingang und Stauraum für die zweite Komponente. Eine „pneumatische Raumhülle“ , also eine Blase aus „transluzenten, faserverstärkten PE-Folie“ (Apuzzo et al. 2008: 98), die mithilfe eines Ventilators aufgeblasen wird. Aufgestellt an Orten deren Potential unterschätzt wird, an „sogenannte Nicht-Räume oder Unorten“ (Apuzzo et al. 2008: 98). Die elastische Struktur sorgt für ein passgenaue Blase, die sich an außen liegenden, bestehende Objekte anpasst und sie im Inneren abbildet. Außen- und dem Innenraum sind durch die PE-Folie klar zu unterscheiden, doch die Flexibilität der Blase und ihre Transparenz lassen Innen und Außen kommunizieren, die Grenzen verschwimmen und eine neue Qualität von Raum entstehen. Der Innenraum der Blase biete die unterschiedlichsten Nutzungsmöglichkeiten. Von einem „Bankettsaal für Festessen, zum Konferenzraum, Kino, Konzertsaal, über ein Ballhaus, Schlafsaal, zur Boxarena bis zum Dampfbad“. Je nach Nutzung finden 25 bis1 50 Personen in der Blase platz (vgl. Raumlabor Berlin o.J.a). Was sind die Ziele Raumlabors von dieser Skulptur? Es geht um die „Konstruktion einer temporären Gemeinschaft“ die nach „emotionalen Ankerpunkten“ im öffentlichen Raum Ausschau hält und Menschen dazu einlädt diesen „aktiv mitzugestalten“ (Apuzzo et al. 2008: 98ff ). Der Name „Das Küchenmonu58


Abb. 18: Dinner im K端chenmonument

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ment“ stammt aus der Nutzung als Ort zum gemeinschaftlichen Kochen. Eine Aktivität, die viel vom kulturellen Gestus zeigt, die verbindet aber auch Ort für Auseinandersetzung sein kann, an dem Privates und Öffentliches miteinander verschwimmt (vgl. Apuzzo et al. 2008: 98ff ). Raumlabor schafft es eine „kurzfristige Lebensumgebung“ zu kreieren, in der es möglich ist eine „höhere Qualität der Leidenschaft“ (Debord 1995b: 39) zu erzeugen. Der nicht nur funktional, sondern auf Emotionen, Austausch und soziale Verbindungen ausgelegter, temporärer Ort ist ein Zeugnis von einem Raumverständnis zur kollektiven und sozialen Praxis. Das von Raumlabor selbst als Skulptur beschriebene Monument ist ein künstlerisches Mittel zu Intervention an verschiedenen, aus der städtischen Logik gefallenen Orten. Die Standortwahl ist also weder zufällig noch beliebig. Die Begegnungen, die Gespräche und vor allem die Ergebnisse, die sich in diesem Raum ergeben sind zufälliger Natur. Die Aktivität des Kochens und des gemeinsamen Essens lässt zudem die Grenze zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen verschwinden. Die eigentliche Besonderheit und Einzigartigkeit des

Küchenmonuments wird in den sozialen Beziehungen innerhalb der „pneumatische Raumhülle“ (Apuzzo et al. 2008: 98) erzeugt. Es wird ganz bewusst eine neue Situation konstruiert, an der sich der flexible und dynamische Raum anpassen kann. Raumlabor spielt deshalb auch weniger die Rolle des architektonischen Entwerfens oder die der Planung, als vielmehr die Rolle eineR KuratorIn des öffentlichen Raums. „Eigentlichen Handlungsfeld vielfältiger Interaktionen zwischen Stadtbewohnern und Stadtbenutzern“ (Raumlabor Berlin o.J.a) werden kuratiert. Interessanterweise ist dies eine konkrete Umkehrung von Constans New Babylon Rezeption. Während er mit Megastruktur ähnlichen Elementen arbeitet, nimmt Raumlabor einen sehr sanften und behutsamen Eingriff vor. Im Küchenmonument von Raumlabor lassen sich einige Fragmente der SI finden.

Abb. 19: Nutzungen im Küchenmonument

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Portrait Raumlabor Neben den Übereinstimmungen mit situationistischen Fragmenten des Projekts Küchenmonument, lassen sich auch in Eigendarstellung des Büros noch einige weitere und sehr direkte Aussagen diesbezüglich finden. Die acht im kollektiven Netzwerk zusammenarbeitenden ArchitektInnen konzentrieren sich auf „eine auf den Moment bezogene partizipative Baupraxis im urbanen Raum“ (Raumlabor Berlin o.J.b). In der Praxis der SI sehen sie eine neue Auffassung von Architektur und Stadtplanung, die „künstlerisch-interventionistischen Handlungen“ provozierte (vgl. Apuzzo et al. 2008: 134). Die Konstruktion von neuen Situationen in ganz verschiedenen, meist schwierigen urbanen Kontexten verbinden sie mit einer Erzählung über die Geschichte des Ortes und sehen ihre eigenen architektonische Praxis weniger als abgeschlossenen Entwurf, sondern als „performativen und installativen Rauminterventionen, die sich aus der jeweiligen Geschichte des Ortes und seinen Veränderungen ableiten“ (Apuzzo et al. 2008: 134). Für Raumlabor sind Fragestellungen „in Bezug auf Territorien, Gewohnheiten, Vorurteile und Klischees, Eigentumsverhältnisse und soziale Verhaltensmuster sowie hierarchische Entscheidungsstrukturen und ästhetische Vorstellungen“ (Apuzzo et al. 2008: 134) von Bedeutung. Der öffentliche Raum, so Raumlabor, wird „sozial hergestellt und strukturiert die Gesellschaft“ (Apuzzo et al. 2008: 134). Die Bipolarität des öffentlichen Raums findet sich auch in The Naked City wieder. Die SI war der Ansicht, dass sie mit ihrer

Praxis den öffentlichen Raum, in dem soziale und gesellschaftliche Verhältnisse manifestiert sind, abbildet, ihn aber gleichzeitig auch formt. In ihrem Projekt white spots zweckentfremdet Raumlabor identisch aussehende Autos in ihrer Funktion als Transportmittel und führt eine streng durchgeplante Choreographie mit ihnen durch. Ziel war es die Funktion von Toleranz im urbanen Raum zu erforschen (vgl. Apuzzo et al. 2008: 138). Die vielen Fragmente der SI kann man sowohl aus dem Portrait über Raumlabor als auch aus dem Projekt Küchenmonument herauslesen, sodass ein eindeutiger Bezug zu erkennen ist. Nicht umsonst hieß der Antrittsvortrag von Markus Bader als Gast.-Prof an der Universität Kassel im Rahmen der Veranstaltungsreihe Fusion „Situationen Konstruieren“.

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5.3 Enzie von PPAG Architekten Mitten in Wien zwischen der historischen Altstadt, der Einkaufviertel um die MariaHilferstraße und dem Parlament ligt das Museumsquartier (MQ) Wien. Die ehemalige Hofstallung ist nun Kunst- und Kreativquartier mit hohem Anspruch. Neben den Leopoldmuseum und dem Museum für moderne Kunst befindet sich auch das österreichische Architekturmuseum im MQ. Regelmäßig finden dort Veranstaltungen statt und im Sommer ist es ein beliebter Aufenthaltsort. Die Qualität des Ortes ist durch seine zentralen Lage und den vielen Angeboten zu begründen. Ein weiterer, wesentlicher Bestandteil ist sicherlich auch die Hofmöblierung. Die 2002 von PPAG Architekten entwickelten Enzis dienen als multifunktionale Hofmöbel (vgl. Schweizerisches Architekturmuseum 2007: 12). Sie „ermöglicht unzählige Kombinationen“ und laden zum „sitzen, liegen, chillen, plaudern, picknicken, einfach genießen“ ein (vgl. PPAG SHOP gmbh 2014). Dies kann als entscheidende Auswirkungen auf die umliegenden Cafés, die BesucherInnenzahlen der Museen und die Atmosphäre im MQ mit sich bringen Jedes Jahr wird über die neue Farbgebung der Enzisim Internet abgestimmt. Seit 2007 werden die Nachfolger namens Enzo auch an private Personen verkauft (vgl. PPAG SHOP gmbh 2014). „Sie bringen Farbe, Rhythmus, Abwechslung, Spaß und das Labyrinthische in die geistige Leere des Kunstreservats.“ (vgl. Tabor: o.J.). Mit ihren 80kg sind die Enzis auch relativ leicht und können in äußerst kurzer Zeit in verschiedene Positionen bewegt werden. Was die PPAG Architekten geschaffen haben ist eine durch Zufälligkeit und Spontanität 62

geprägte Situation. Aufgrund der vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten assoziiere ich mit diesen Stadtmöbel, die sich immer wieder verändernden Stadtutopie New Babylon. Die „Nutzung ist unbestimmt, offensichtlich so weit vielfältig“ (vgl. Tabor: o.J.), dass eine große Zahl an Kombinationsmöglichkeiten bestehen: „Stege, Tribünen, Höhlen, Podeste, Mulden, Hügel, Gruppen, Urhütten, Insel, Palisaden, Kreise, Labyrinthe, Bühnen, Sitzlandschaften, Schlafkojen, Altäre, Theken, öffentliche Sépareés“ (vgl. Tabor: o.J.) sind Möglichkeiten für ihre Anordnung. Einige von ihnen sind hier abgebildet. Die NutzerInnen haben die Möglichkeit ihre konkrete Umgebung selbst zu gestalten. Der Raum, in dem die Enzis stehen, ist starr. Durch sie wird er jedoch ergänzt und flexible Charaktere in der Anordnung der Enzis können entstehen, indem die Nutzenden die „Benimm-Dich-wie-Du-willst-Freiheit“ (vgl. Tabor: o.J.) genießen können. Ob dies aber geschieht ist meiner Ansicht nach fraglich. Das privatwirtschaftlich geführte Unternehmen MQ legt die Regeln für die Nutzung fest. Während meiner dortigen Aufenthalte veränderten sich die Standorte der Enzis nur gering. Zwar wurden sie rege genutzt, ich konnte aber kaum Menschen beobachten, die sie für ihre Zwecke veränderten. Auch sah ich keinerlei der hier abgebildeten Kombinationen. Falls es Veränderungen gab, dann flächendecken im gesamten MQ. Dies wirft die Vermutung auf, das die Enzis nicht von den Nutzenden selbst, sondern von den Angestellten des MQs bewegt wurden. Wenn im MQ-eigenen Journal geschrieben steht, dass das MQ sowohl „optimale Räume


für die Kunst als auch spektakuläre Räume für die Besucher“ bietet, bleiben Assoziationen zur Kritik der SI an der Gesellschaft des Spektakels nicht aus. Der Sinn der Enzis besteht sicherlich darin eine gute Atmosphäre herzustellen, aber wohl eher aus den Gründen eines verbesserten Kulturkonsums und um Wien ein Branding als kulturelle und lebenswerte Stadt zu geben. Damit wird auch die touristische Attraktivität erhöht. Mit dem Ende des Warenfetischismus und der Entfremdung hat dies wenig zu tun. Davon unberührt bleibt, dass die konzeptionelle Idee und die Entwicklung des MQ eine Erfolgsgeschichte zu sein scheint und den einzelnen Personen vor Ort eine hohe Aufenthaltsqualität bietet.

Abb. 2023: Enzis im Museumsquartier Wien

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Abb. 24: Collage der Kombinationsmรถglichkeiten von Enzis im MQ

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5.4 Relevanz situativer Erscheinungen in aktueller Raumproduktion Der Erfolg der Situationisten unter zeitgenössischen KünstlerInnen, ArchitektInnen und StadtaktivistInnen beruht eventuell nur auf deren erfolgreichen Medienstrategie. Zumindest handelte die SI getreu dem Motto: „bleibe verhältnismäßig unbekannt, verbreite Gerüchte, lass wichtige Hinweise fallen, übertreibe kräftig eine Stärke, sei extrem und verursache Skandale“ (Ford 2007: 173). Wie könnte man auch einer so radikalen wie unmissverständlichen Forderung wie „Ne travaillez jamais – arbeite nie“, die Debord 1952 an eine Hauswand schrieb, widerstehen (vgl. Stahlhut et al. 2007: 25)? Möglicherweise ist es aber auch die anhaltende Nostalgie die mit der 68er Bewegung und somit auch mit der SI verbunden ist (vgl. Ford 2007: 181). Dennoch sind sie der breiten Masse relativ unbekannt und bleiben in allgemeinen geschichtlichen Betrachtungen weitestgehend ungenannt. Mit ihrer Art „mehr Gerüchte als Gewissheit“ (Stahlhut et al. 2007: 24) zu verbreiten, haben sie es dennoch geschafft einen Mythos um sich aufzubauen, der trotz oder gerade wegen der zahlreichen Veröffentlichungen aus unterschiedlichen Disziplinen nicht aufgelöst wurde (vgl. Ballhausen 2012: 43; vgl. Ford 2007: 174). Die drei aufgeführten Projekte zeigen exemplarisch, welche verschiedenen Interessen, Ideen und Gedanken in verschiedenen situationistisch anmutender Raumproduktion stecken können. Von situationistisch kann daher in einem realpolitischen Arbeitsklima wohl nur sehr selten die Rede sein. Vielmehr sollte man in solchen Fällen von dem durch Anh-Linh

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Ngo richtigerweise geforderten situativen Urbanismus sprechen, denn dieser scheint eine Gemeinsamkeit vieler, auch der drei vorgestellten Projekte, zu sein. Eine an der Konstruktion von Situationen orientierter Urbanismus versteht sich als ein Ermächtigungs- und Ermöglichungsurbanismus, der eine perfomative sowie prozess- und handlungsorientierte Politik beinhaltet. Ausgehend von einer „Raumproduktion und Raumnutzung von kleinsten Maßstab […] hin zu ganzen Siedlungen und städtischen Kontexten“ (Ngo 2007: 20) könnte diese Art von Urbanismus reichen. Hiermit wäre ist Unitärer Urbanismus, zumindest teilweise erfüllt und praktiziert, nur „unter umgekehrten Vorzeichen“ (Ngo 2007: 20). Er wäre bestimmt vom „Handeln in flüchtigen Netzwerken“ (Ngo 2007: 21) und der Sensibilisierung für die Konstruktion von Situationen, in der die selbst gestaltete mit Kreativität gefüllte Stadt abgebildet wird. Wenn Ngo allerdings mit der Überwindung der Entfremdung einen „kreativen, flexibilisierten Menschen, der in der heutigen Netzwerkgesellschaft“ (Ngo 2007: 20) arbeitet meint, dann ist das eine ungenügende Auseinandersetztung mit dem Begriff der Entfremdung. Zwar wäre, wie von der SI gefordert, die Sphäre zwischen Arbeit und Alltag aufgehoben, die kapitalistische Verwertungslogik hingegen nicht. Deshalb meint der Soziologe Klaus Ronneberger ganz richtig: „Der Kreative mit seinen vielfältige stellt einen wichtigen Sozialtypus für den gegenwärtigen Kapitalismus dar“ (Ronneberger 2011: 44).


In der Gegenwart ist eine einheitliche Planung schon deshalb schwierig, da es in unserer heterogenen Gesellschaft viele individuelle Wünsche und Sehnsüchte gibt, die schwer festzustellen sind und ebenso schwer in feststehende, für Planung relevante Handlungen umgesetzt werden können (vgl. Boeckel et al. 2007). Aktivitäten eines situativen Urbanismus sind derweil nur in bestimmten Milleus, das heißt vor allem ohne Arme und AuslänaderInnen, vorhanden (vgl. Fezer et al. 2007: 92). Heute kann man einige situative Fragmente in Planung und Architektur wiederfinden, die sich vor allem auf eine „breite Praxis performativer Interventionen von Architekten und Künstlern“(Urban Catalyst mit Jesko Fezer 2013: 177) beziehen. Performativ meint eine aus der Kunsttheorie stammende Praxis, die zum Beispiel auch auf die Soziale Plastik von Aktionskünstler Joseph Beuys bezieht (vgl. Altrock 2014: 21). Performativ kann mit den englischen Begriffen [to enable] und [to perform], also dem Ermöglichen und dem Ausführen übersetzt werden (vgl. Kleist et al. 2007: 19). Interessanter Weise beschreibt Uwe Altrock in seinem Text „Das Ende der Angebotsplanung? Instrumente der Planung im Wandel“ ebenfalls das angeführte Beispiel des Lesezeichen Salbke (vgl. Altrock: 19). Würde man davon ausgehen, dass das das Lesezeichen Salbke den Ansprüchen eines situativen Urbanismus entspricht, könnte man aus diesen Grund auch davon sprechen, dass er bereits in der Theorie der Planungsinstrumente angekommen ist. Eine so transformierte situationistische Praxis enthält

jedoch sicherlich „kaum mehr etwas von jenem subversiven Charme des dem Dérive anhaftenden Zustand des Noch-nicht“ (Müller 2007: 81). Bereits jetzt, meinen Fezer und Heyden, ist der situativen Urbanismus längst die „entscheidende Produktivkraft“ und viel präsenter als „normative und hierarchische Planung“ (Fezer et al. 2007: 93). Situativer Urbanismus muss „(kultur-)ökonomische und politischen Einschränkungen [...] überschreiten“ (Fezer et al. 2007: 93), um umfänglich die individuelle und kollektive Raumproduktion abzubilden. Das dies eine Abkehr von „vergangener Wohlfahrtsstaatlichkeit guten Glaubens“ (Fezer et al. 2007: 93) sein kann, zeigt auch das Selbstverständnis von Raumlabor und einer „aktivierende Planung“ (Raumlabor Berlin o.J.). Eine an der Situation, den sozialen Verbindungen und der individuellen und kollektiven Praxis orientierte Stadtproduktion erscheint als äußerst reizvoll. Sie geht aber auch mit einem Rückzug des Wohlfahrtstaates einher und erinnert an den aktivierenden Sozialstaat, der beständig mit der Aufforderung zum eigenständigen Aktiv werden an neoliberale Handlungsweisen assoziiert werden kann. So reflektiert Architekt Rettich im Gespräch auch selbstkritisch das Lesezeichen Salbke als ein punktuelles Projekt, welches sich neoliberaler Logik unterwirft (vgl. Rettich 2014). In diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung zwischen Selbstverwirklichung der Beteiligten und Herrschaftsausübung durch den gegenwärtigen Kapitalismus schwierig, meint Fezer(vgl. Fezer et al. 2007: 93): Herrschaft wird dadurch ausgeübt, dass sie sich

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an betriebswirtschaftlicher Selbstverantwortung orientiert und diese einfordert (vgl. Fezer et al. 2007: 93). Würde man, dem situativen Urbanismus den Status eines Paradigmas anerkennen, müsste man weiterhin auch erklären, warum in legale und illegalen Formen unterschieden wird. Welche Berechtigung besitzen kreative, eigenverantwortliche Projekte wie „Lofts, Strandbars“ gegenüber „Wagenburg“, „Street-Art oder räumlicher Selbstorganisation migrantischer Akteure“ (Fezer et al. 2007: 93)? Sprich: Wo lässt man einen situativen Urbanismus gewähren und wo nicht? Heutzutage endet der situative Urbanismus dort, wo die erneuerten Nutzung den Boden wieder für den Markt nutzbar gemacht hat (vgl. Hess 2012). Ein aktivierender Sozialstaat muss deshalb vor allem ein ermöglichender Staat sein, der auch marginalisierte Gruppen, also nicht nur Baugruppen und Kreativklasse, berücksichtigt (vgl. Fezer et al. 2007: 93). Die Aufgaben der Planenden verändern sich unter einem solchen Stadtverständnis ebenso. Ihre Aufgabe bestünde nicht mehr darin fertige Entwürfe und Pläne zu präsentieren und durchzusetzen, sondern darin „Eine Produktion von Raum, die wiederum zur Produktion von Räumen anregt“ (Kleist et al. 2007: 19) und einen Urbanismus, der zum Ermöglichen und zum Ausführen anregt, zu gestalten. Dies würde bedeuten, dass aktuelle Planung durch to enable und to perform charakterisiert wird und dadurch performative Züge trägt (vgl. Kleist et al. 2007: 19). PlanerInnen wären also sowohl In-

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itiatorInnen und Anwälte für die Aneignung von städtischen Räumen (vgl. Ngo 2007: 20), Autoren der Erzählungen von Orten und zudem Nutzer, die zum großen Teil an der Raumproduktion mitwirken (vgl. Misselwitz et al. 2007: 86). Oft liegt aber auch ein ganz anderes Verständnis der Rollenverteilungen vor. Gruppen wie Collective CIT oder EXYZT bestehen aus Personen, welche zur Hälfte professionelle Fachleuchten zur anderen Hälfte aber auch StadtaktivistInnen mit politischen Anspruch sind (vgl. Bader 2014). Dies kann aber gerade bei Zwischennutzungen zu Schwierigkeiten führen, da für FlächeneigentümerInnen politische Konflikte ein hohes Risiko darstellen (vgl. Misselwitz et al. 2007: 85). Planung an sich sei trotz der situativen Herangehensweise nicht weniger wichtig. Sie hätte nicht mehr die Aufgabe Idealformen zu finden und den Raum als neutral zu erachten. Visualisierungen der Planung seien Teil des Findungsprozesses urbaner Konflikte (vgl. Dell 2014: 252).


„11. Eine konstruierte Situation ist ein Mittel, sich dem unitären Urbanismus zu nähern und dieser bildet die unerlässliche Grundlage für die Entwicklung der Konstruktion von Situationen als Ausdruck von Spiel und Ernst einer freieren Gesellschaft“ (Nieuwenhuys 1958).

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5.5 Unbedachtetes Politische Dimension Ausgehend von der Marxschen Waren- und Wertkritik haben die Situationisten viele gesellschaftlichen Verhältnisse in Frage gestellt und mit der Gesellschaft des Spektakels eine genaue Analyse des Kapitalismus der Nachkriegszeit vorgeschlagen. Sie wurden mit ihren umfassenden Werken und ihrer Radikalität ein Anziehungspunkt für Kreative und Intellektuelle. Je beliebter sie in den verschiedenen Disziplinen, wie Kunst-, Kultur-, Medien-. Politikwissenschaften oder auch der Architektur und Raumplanung, wurden, „desto weniger Beachtung fand allerdings die radikale Gesellschaftskritik“ (Grigrat 2013: 10). Entweder wurde die „Analysen mit samt der marxschen Tradition [...] nicht beachtet [oder] in völlig andere Kontexte gesetzt“ (Grigrat 2013: 10). Die radikalen politischen Dimensionen bleiben also oft außen vor (vgl. Hess 2012). Überhöhung Debords Eine Kritik, die gelegentlich genannt wird, ist die Überhöhung Debords. Sicherlich war er ein wesentlicher Bestandteil der SI, indem er von der Gründung bis zur Selbstauflösung Mitglied blieb. Auch hatte er einen großen Anteil an den bekannten Hauptwerken der SI, wie der Zeitschrift Situationistische Internationale, das Buch Die Gesellschaft des Spektakels oder den Rpport über die Konstruktion von Situationen. Gleichzeitig war es seine selbst inszenierte Art sowie sein autoritärer und elitärer Charakter, der ihn als Hauptfigur etablierte (vgl. Rettich 2014). Seine Archivierungsstrategie (er schickte

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viele Artikel der SI an verschiedene Zeitungen) waren eine wirksam organisierte Medienkampagne, mit der er sich selbst ein Denkmal setzte (vgl. Ford 2007: 173).


Abb. 25: Exemplarisch: Der Fokus liegt auf Guy Debord

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Abb 26: Eine Parole Debords: Arbeite nie!

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6. Fazit

Durch die Betrachtung der theoretischen Hintergründe der SI wurde ein umfassendes Bild ihrer Gesellschaftskritik und ihrer Weltvorstellung gezeichnet. Ich habe die gesamte Gesellschaftskritik mit ihren revolutionären, marxistischen Ansichten beschrieben, um klar zu machen was in heutigen Projekten nicht mehr existiert: Situationisten. Die Frage von Stefan Rettich, im Rahmen eines Gesprächs, ob mir ein Situationist bekannt sei (vgl. Rettich 2014), zementiert die Annahme, dass ausschließlich Fragmente der SI in der heutigen Stadtplanung zu finden sind. Dabei ist schon Stadtplanung der falscher Begriff, da sich Stadtproduktion und Raumproduktion für dieses Thema besser eignen. Den revolutionären und kapitalismuskritischen Ansätzen der SI wird die heutige Raumproduktion jedoch nicht gerecht. Neben dem Einfluss von vielen anderen Theorien, der Skepsis vor politischer Artikulation, der Inbesitznahme durch einen modernen Kapitalismus und der Verbindung zum Planungsinstrument, kann man nur im Einzelfall beurteilen ob man das jeweilige Projekt wirklichen einem situationistischen, also unitärem Urbanismus zuordnen ist. Deshalb wurde der Vorschlag von Anh-Linh Ngo, Chefredakteur der Arch+, aufgenommen und von einem Situativen Urbanismus gesprochen, der an der Konstruktion von Situationen angelehnt ist. Dies belegen auch die drei ausgewählten Beispiele. Sie bezeichnen sich durch eine bewusste Herstellung von sozialen Beziehungen aus, unterscheiden sich aber im Zweck und im Anlass der Herstellung. Den wichtigen Bestandteil einer kollektiven Raumproduktion konnten sogar nur zwei dieser Projekte, das Lesezeichen Salbke und das Küchenmonumen, erfüllen. Nun hat der theoretische Anteil an dieser Arbeit einen großen Raum eingenommen und andere Bereiche dahinter zurücktreten lassen. Wie zum Beispiel die Aufgabe ein umfassendes, empirisches Bild über Bü73


Abb 27: Das Album der Electropopband Brockdorff Klang Labor mit dem Titel Debord und den vom Spektakel befreiten Menschen?

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ros, Akteure oder Initiatoren einer situativen Praxis zu entwickeln. Die Beschreibungen der gewählten Projekte sind mindestens so fragmentarisch wie die Eigenschaften der Situationisten, die sie widerspiegeln. Dennoch war der theoretische Anteil wichtig, um die Hintergründe zu verstehen und eine Differenzierung treffen zu können. Doch wie konnte es passieren, dass ich mich immer wieder auf soziologische und gesellschaftliche Fragestellungen fokussiert habe? Die Situationisten und die vorgestellten Projekte bezogen sich nur zu einem geringen Teil auf ästhetische Komponenten. Es ging meist darum wie Raum produziert wird. Durch wen, mit welcher Absicht und mit welchem Ergebnis? Diese Fragestellungen sind wichtig, um beurteilen und diskutieren zu können, welche Fragmente der SI in aktueller Planung vorhanden sind und ob sie auch im emanzipatorischen Sinne der SI genutzt werden, oder eine neue Form der Produktionsverhältnisse darstellen. Fragmente wie die kollektive Raumproduktion, flexiblen Raumgestaltung und konstruktion von Situationen sind zur Genüge vorhanden. Die Konzentration auf die Situation, also die oftmals performativ und kommunikativ angelegte Planung, zielt genau darauf ab, was die SI wollten: Eine „[...] kurzfristige Lebensumgebungen und ihrer Umgestaltung in eine höhere Qualität der Leidenschaft“ (Debord 1995: 39). Ob die Raumproduktion aber den Kapitalismus und das Spektakel überwindet, so wie es die SI wollte, bleibt fraglich. Spannend bleibt weiterhin zu beobachten, wie aktivistische Gruppen agieren werden. Das Statment des CIT Collective aus der dérive Ausgabe von 2013 „Wir wollen keine Hilfestellung fürs Leben im Kapitalismus anbieten“ (CIT Collective et al. 2013: 21) lässt jedoch eine spannende Entwicklung erwarten. 75


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8. Abbildungsverzeichnis Abb. 0: Debord und Jorns Fin de Copenhague (1959). Ein Buch über Zweckentfremdung: http:// www.cutupcity.com/wp-content/uploads/2013/03/15.jpg, zuletzt geprüft am 21.08.2014. Abb 1: Das Album der Electropapban Brockdorff Klang Labor mit dem Titel Debord: http://www.brockdorff.com/wp-content/uploads/2012/10/FdW-Cover-Vinyl.png, zuletzt geprüft am 01.09.2014. Abb. 2: Lettristen im café Chez Moineau in Paris: http://www.parisphoto.com/agenda/ed-van-derlsken#AOuYOb9kiVyxXCVC.jpg, zuletzt geprüft am 01.09.2014. Abb. 3: Gründungstreffen der SI in Cosio di Arroscia: http://presstletter.com/wp-content/uploads/2012/05/Pinot.jpg, zuletzt geprüft am 01.09.2014. Abb. 4: Die Gesellschaft des Spektakels: http://evelyn.smyck.org/wp-content/uploads/2006/11/debord_sofs.jpgr.com/wp-content/uploads/2012/05/Pinot.jpg, zuletzt geprüft am 21.08.2014. Abb. 5: v.l.n.r.: Debord, Bernstein, Jorn: http://www.editions-allia.com/files/note_3635_pdf.jpeg, jpg, zuletzt geprüft am 21.08.2014. Abb. 6: SI Konferent in Göteburg: Schrage 1998: 54 Abb. 6: Umherschweifende Lettristen vor dem Café Le Mabillon (1952-1954): Read more at http://www.parisphoto.com/content/events_images/725/file/slideshow/52287a7c6 ad89730_0.083141001376670454.jpg, zuletzt geprüft am 01.09.2014. Abb. 7: The Naked City: http://www.laciudadviva.org/blogs/wp-content/uploads/2010/05/thenaked-city-1957-guy-debord.jpg, zuletzt geprüft am 01.09.2014. Abb. 8: Carte du Tendre: http://mappingweirdstuff.files.wordpress.com/2009/06/debord-guide1. jpgloads/2010/05/the-naked-city-1957-guy-debord.jpg, zuletzt geprüft am 01.09.2014. Abb. 9: Guide Psychogéographique de Paris: http://mappingweirdstuff.files.wordpress. com/2009/06/debord-guide1.jpgloads/2010/05/the-naked-city-1957-guy-debord.jpg, zuletzt geprüft am 01.09.2014. Abb. 10: Collage New Babylon: Sadler 1998: 154 Abb. 11: Modell New Babylon: http://38.media.tumblr.com/tumblr_m57fdsJsbw1r70t2xo1_1280.jpg, zuletzt geprüft am 01.09.2014. Abb. 12: Add On 20 Höhenmeter Begehbare Installation in Wien (2005): http://www.wien.gv.at/ ma53/rkfoto/2005/794g.jpg, zuletzt geprüft am 02.09.2014. Abb. 13: Brachfläche: KARO* (o.J.) Abb. 14: Temporäre Bebauung: KARO* (o.J.) Abb. 15: Freiluftbibliothek: KARO* (o.J.) Abb. 16: Freiluftbibliothek mit „positiver“ Aneignung 83


Abb. 17: Freiluftbibliothek mit „negativer“ Aneignung: http://3.bp.blogspot.com/_mC9c3H3-sbI/ TUpSyieOmEI/AAAAAAAAAKU/O3RkpHRsl4I/s1600/leseze.jpg, zuletzt geprüft am 02.09.2014. Abb. 18: Dinner im Küchenmonument: http://raumlabor.net/wp-content/uploads/2006/06/kmo_ weba4.pdf, zuletzt geprüft am 02.09.2014. Abb. 19: Nutzungen im Küchenmonument: http://raumlabor.net/wp-content/uploads/2006/06/ kmo_weba4.pdf, zuletzt geprüft am 02.09.2014. Abb. 20-23: Enzis im Museumsquartier Wien: Privatfotos Sira Möller Abb. 24: Collage der Kombinationsmöglichkeiten der Enzis im MQ: http://www.enzis.at/media/ pdf/Enzi%20f%C3%BCr%20Alle%20Kombinatorik_Ab.pdf, zuletzt geprüft am 02.09.2014. Abb. 25: Exemplarisch: Der Fokus liegt auf Guy Debord: http://dberentzen.de/images/DebordHP1. JPG, zuletzt geprüft am 02.09.2014. Abb 26: Eine Parole Debords: Arbeite nie!: http://38.media.tumblr.com/18c8afbebad2f2a63d5fd3787 a11f0a7/tumblr_mn03rseAI51qaripuo1_1280.jpg, zuletzt geprüft am 02.09.2014. Abb 27: Das Album der Electropopban Brockdorff Klang Labor mit dem Titel Debord und den vom Spektakel befreiten Menschen?: http://ecx.images-amazon.com/images/I/7131ojmLuEL._ SL1200_.jpg, zuletzt geprüft am 02.09.2014.

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9. Anhang Markus Bader – Raumlabor Gespräch am 24.07.2014 Interviewprotokoll mit Markus Bader – Raumlabor Datum: 24.07.2014 Uhrzeit: ca. 14.00-15.00 Uhr Dauer: ca. eine Stunde Ort: Osthang Project Mathildenhöhe Darmstadt Kontext: Markus Bader, gegenwärtig Gast.Professor für Urbane Praxis an der Universität Kassel, ist mit seinem Labor „Raumlabor Berlin“ bekannt für eine Vielzahl an Urbanen Interventionen, mit künslerischen und architektonischen Anspruch. Im Rahmen des Projektes Unsichtbare Stadt im WiSe 13/14 erwähnte er die Situationisten. Ich habe ihn auf dem „Osthang Project“ auf den Mathildenhöhe in Darmstadt getroffen und ein offenes Gespräch mit ihm über das dortige Projekt und die Situationisten geführt. Fragen und Antworten sind hier Stichpunktartig aufgeführt.

Jörg Schrader (JS) Was macht denn für dich eine Situation aus? Markus Bader (MB) Situation ist an Zeit und sozialen Charakter gebunden (JS) War euer im Büro (Raumlabor) „situationistisch“ zu arbeiten? (MB) • zunächst ist es kein Büro(!) • wurde bewusst RaumLABOR genannt • ging zu Beginn darum schnell Handlungs-

fähig zu werden • SI war von Kindheitserfahrungen der Nachkriegsmoderne mit vielen Freiräumen geprägt

(JS) So richtig bekannt ist die SI aber dennoch nicht. (MB) • doch, SI ist Fixpunkt für viele • Verweis auf die Wiener Aktionisten • Collective CIT und EXYZT • letztere haben 2011 in Warschau ein UFO gebaut • hatte starke Verbindungen zu SI • erinnert auch an Cedric Price • beide Gruppen sind halb Professionell und halb Aktivisten • Verweis auf Publication „Actin in Public 2008“ (JS) Wie kommt man dazu von jemanden für ein Projekt beauftragt zu werden. So wie die von dir genannten Gruppen als auch mit eurem Projekt „Monuments“? (MB) • Sehr unterschiedliche Stadtbedürfnisse, Verallgemeinerung schwierig • meist Aufgabe von Kuratoren Bezüge zu den Künstlern zu finden • Monuments eine Art von Kulturproduktion • Monuments war fast militärisch durchorganisiert • wurde als Spektakel angekündigt 85


(JS) Welche langfristige Wirkung haben solche temporären Projekte im öffentlichen Raum? (MB) • Architektur ist kein fertiges Produk • weiß oft selbst nicht welches Ergebnis entsteht • muss auch nicht sein, dass man vorher alles weiß

Nacharbeit: EXYZT Projekt von 2011 http://www.exyzt.org/ ufo/ Off-Architektur: Off-Architektur bezeichnet eine neue Art von Architekten-Szene. Büro ist nicht mehr Büro. Büro ist Ausstellungsraum, Plattform, Bar. Bislang bilden sich diese Szenen außerhalb institutionalisierter Strukturen in Arch+ 166

Stefan Rettich – Karo Architekten am 26.08.2014 Interviewprotokoll mit Stefan Rettich – Karo Architekten Datum: 26.08.2014 Uhrzeit: 12.03-13.10 Dauer: 67 Minuten Ort: Telefonisch Kontext: Mit dem Lesezeichen Salbke hat haben Stefan Rettich (KARO* Architekten) und Projektpartner (Bürgerverein Salbke, Fermersleben, Westerhüsen e.V. ) ein vielfach ausgezeichnetes Projekt bearbeitet. Durch einen Artikel in der ArchPlus 187 von 2007 mit dem Titel „Möglichkeiten Situativen Handelns“ und die Erwähnung in einem von Uwe Altrock verfassten Text mit dem Titel „Das Ende der Angebotsplanung. Planungsinstrumente im Wandel“ bin ich auf dieses Projekt und eine Mögliche Verbindung mit der SI aufmerksam geworden. Ziel des Gespräch ist es einen genaueren Eindruck über das Lesezeichen Salbke und seine situativen Fragmente sowie die allgemeine Hal86

tung von Stefan Rettich zur SI zu erfahren.

Jörg Schrader (JS) Würden Sie das Projekt als von den Ideen der SI beeinflusst beschreiben? Wenn ja an welcher Stelle? Stefan Rettich (SR): • Würde es als situativen (!) Urbanismus beschreiben • SI sehr elitär, sehr auf sich bezogen • besser Beuys soziale Plastik • Situation herstellen Material zweckentfremden • interessant an der SI vor allem Rapport über die Konstruktion von Situationen und Theorie des Umherschweifen • sind jedoch sehr theoretisch geblieben • Grund warum die Künstler die SI verlassen haben. • > wenig demokratische Haltung > kritische Analyse jedoch gut • z.B. The Naked City spannend die „blinden Flecken“ zu thematisieren • > Verweis auf Strombadeliou • Instrument der Interventionen und Zwek-


• • • •

centfremdung > Intuitiv in der täglichen Arbeit darauf gestoßen > Interventionen als Kommunikatives Element, ungewohnte Situation KARO* vollzog erst die Praxis und lernte anschließend die Theorie kennen in bestimmten sozialen Stimmungen, also z.B. nach der Wende 1989 entsteht dies Intuitiv Ausgangslage: Waren nicht in der Lage dieses Phänomen als Architekten formulieren zu können

(JS) Wie wird die kommunikative Ebene wieder hergestellt? (SR) • Gekappte Beziehungen wieder aufbauen, nachdem viele Institutionen und Menschen in Ostdeutschland abgewandert sind • Lesezeichen für Salbke: Wollte Erkenntnisse mit Leuten spiegeln. • Wie hat es Beuys geschafft, dass 7000 Bäume gepflanzt werden? Wie sieht dies aus? > gezielte Provokation > Erfolg durch einen kleineren Steinhaufen > Kunstwerk als Wiederkennung > Dauerhaftigkeit • > Karo* keine Künstler • verschiedene Dimensionen der ehemaligen Bibliothek • > bürgerliches Instrumentarium für Interessieren, aufgeschlossene Bürgerschaft • möglicherweise die Falsche Wahl für diesen Ort (JS) Welche Politische/Gesellschaftspolitische

Auswirkungen hat diese Projekt oder welche wollten Sie erreichen? (SR) • Gegen Planungsparadigma aufbegehren und etwas entgegengesetzt • > echte Partizipation • Intervention ist auch Strukturelle Kritik. Punktuelle Veränderung des Systems • SI weltfremd • > Salbke „Neoliberal reagiert“ • keine gesamtstädtisches Denken mehr. Es werden nur bestimmte Punkte verändert, den Rest überlässt man der Zeit • Unterschied zu Wohlfahrtsstaat, der probiert Stadt insgesamt zu entwickeln • nur unter dem Gesichtspunkt der Ökonomie (Akkupunktur) > Problem unlösbar (JS) Kann man diese Projekt nicht auch unter dem Schlagwort `Performative Stadtplanung` verorten? • > auf jeden Fall performativ • trat in einer Bruchsituation auf • 60er Happening, Sit-In sind ebenfalls performativ SR: Partizipation • INSEK nur mit bestimmten Steakholdern notwendig und Information alle BürgerInnen • Planung denkt Gemeinwohl mit > Kompetenz für den städtischen Raum „einklagen von Partizipation ist oft Partikularinteressen“ • Analytische Ebene: „Begriff der Situation einführen. Wie man es Herstellt. Kognitive Ebene der Stadt“ 87


• kritische Selbstbestimmung schaffen • SI mit Analysen sehr wichtig, allerdings ist Lynch da besser, denn er zeigt die 5 Ebenen der Raumwahrnehmung. • SI kam in den Jahren nach der Jahrtausendwende wieder auf • > Mystifizierung

• > breiten Praktikern ist die SI nicht bekannt. Über die Architekturtheorie wird es wahrscheinlich mehr verbreitet. In Planungstheorie spielen sie keine Rolle. • Alle sollten sie kennen aber im kritischen Diskurs

Martin Schmitz - E-Mail -------- Original-Nachricht -------Betreff: Re: Interviewanfrage Datum: Wed, 13 Aug 2014 12:03:37 +0200 Von: Martin Schmitz <hallo@martin-schmitz.de> An: Joerg Schrader <schrader-joerg@gmx.de> Lieber Jörg Schrader, die Arch+ wollte und konnte die Ansätze von Lucius Burckhardt offensichtlich nur unter dem Dach der Situationisten unterbringen. Ich finde das eher problematisch. Lucius Burckhardt hat die Situationisten natürlich gekannt, aber ausgeklammert wie den Flaneur als literarische Figur, um zu Aussagen zu gelangen, die sich mit unserer Wahrnehmung, der Mobilität und den Rückkopplungen auf das Planen und Bauen beschäftigen und im Prinzip nichts anderes bedeuten, als eine Weiterführung der Urbanismuskritik der 60/70er Jahre, die er ja auch schon seit den 1950er Jahren vorausgedacht hat. In dieser Hinsicht bleiben die Situationisten zwar „kritisch“ aber sehr abstrakt. Daher ist das auch nicht meine Disziplin. Aber schauen sie mal hier: http://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Ausstellung_in_Basel_zu_Situationisten_27550.html Ich denke, die haben es schon mal versucht, auf das Gebiet vorzudringen, was sie interessiert. Nun gehe ich für einen Monat in die Ferien und bin im Wintersemester wieder an der Kunsthochschule Kassel zu finden. Viel Erfolg und beste Grüße!

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Martin Schmitz Dresdener Straße 31 D-10179 Berlin (Mitte) 030 / 262 00 73 Fax 23 00 45 61 www.martin-schmitz-verlag.de


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Ehrenwörtliche Erklärung Hiermit versichere ich, Jörg Schrader, die vorliegend Arbeit mit dem Titel „Fragmente der Situationistischen Internationale in der aktuellen Raumproduktion“ selbstständig und nur mit Hilfe der angegebenen Hilfsmittel erstellt zu haben.

Ort/Datum

Unterschrift

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