Magazin 63. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen, 3.-8. Mai 2018

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Internationale Kurzfilmtage Oberhausen 3. — 8. Mai 2018

Die Kurzfilmtage: 500 Filme, 50 Länder Fünf Wettbewerbe: Persönlich, schräg, kompromisslos Zwischen MTV und YouTube: 20 Jahre MuVi-Preis für das beste deutsche Musikvideo Revolutionäre mit der Kamera: Was die 68er mit dem Kino machten Plus: Archive, Lectures, Profile, Festival Bar …

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Still: She Made Integer It, Lud tincidunt. Mônaco,Cras GB/TR dapibus 2017

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Vorwort Wer schon immer mal aus dem Kino kommen und sagen wollte: „Wow, so etwas habe ich noch nie gesehen!“, der ist bei den Kurzfilmtagen richtig. Hier versammeln sich jedes Jahr Filmemacher aus mehr als 50 Ländern: Nachwuchs, der sich austobt und einfach mal ausprobiert, was das Medium Film so alles kann, oder erfahrene Filmemacher, die ihre eigene Vision verfolgen und sich den Zwängen des kommerziellen Kinos nie gebeugt haben. Eines ist garantiert: Von den Filmen, die die Kurzfilmtage zeigen, wird man immer wieder überrascht. Auch dieses Jahr stehen rund 500 Filme auf dem Programm. Die Kurzfilmtage zeigen Filme aus den 60er Jahren, als die Filmemacher den Aufstand gegen das Kinosystem probten. Sie zeigen die besten aktuellen Kurzfilme aus NRW, Deutschland und der Welt, Musikvideos, Kinderfilme, mischen Kino und Performance, laden Filmemacher ein, ihre Arbeiten selbst dem Publikum vorzustellen – ein sechstägiges Happening rund um den kurzen Film, das voller Anregungen, Entdeckungen und nicht zuletzt Vergnügen steckt. Die 64. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen freuen sich auf viele neugierige Besucher! WESTART BEI DEN 64. INTERNATIONALEN KURZFILMTAGEN OBERHAUSEN

WER GEWINNT ? Die Westart-Zuschauerjury entscheidet, welcher der Filme aus dem NRW-Wettbewerb den Westart-Zuschauerpreis erhält.

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© WDR/Ben Knabe

Westart, 40 Minuten Kultur aus und für den Westen, präsentiert von Siham El-Maimouni. MO 22.40 Uhr im WDR FERNSEHEN

20 Jahre MuVi-Preis

Das andere Kino

Profile: Vier Werkschauen

Mit auf- und zuklappenden Garagentoren fing alles an: Vor 20 Jahren verliehen die Kurzfilmtage erstmals den MuVi-Preis für das beste deutsche Musikvideo. Auf Videoportalen wie YouTube erlebt das oft totgesagte Genre derzeit eine wild wuchernde Renaissance.

Hellmuth Costard schickte einen sprechenden Penis nach Oberhausen, und auch auf den Festivals in Hamburg und Knokke suchten junge Filmemacher nach Wegen, ihre Filme in politische Waffen zu verwandeln. In unserem Themenprogramm blicken wir auf die 68er im Kino zurück.

Im deutschen Niemandsland, auf der Theaterbühne oder in der Pariser Kunstszene: Die Filmemacherin Eva Könnemann findet überall das Schräge im Alltäglichen. Wir widmen ihr eine Werkschau – genau wie Louise Botkay, Salomé Lamas und dem Künstlerduo Mona Vătămanu/ Florin Tudor.

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Don’t (Daniel Freitag), Daniel Freitag, D 2017. Still: Hannes Meier

MuVi-Preis

Zwischen MTV und YouTube Der erste MuVi-Preis ging an ein paar Garagentore in der hessischen Provinz. Die klappten nämlich im Takt von Sensoramas Stück Star Escalator wie von Geisterhand geführt auf und zu, was der Jury so gut gefiel, dass sie Michel Klöfkorns und Oliver Husains Clip 1999 als bestes deutsches Musikvideo auszeichneten. Was damals allenfalls zu ahnen war: Wenige Jahre später war die glamouröse Welt des Musikvideos nicht mehr dieselbe. Die kriselnde Musikindustrie strich die Millionenbudgets für ihre Clips zusammen, das Musikfernsehen wandelte sich zur Abspielstätte von Seifenopern und wichtige Clip-Regisseure wie Michel Gondry oder Chris Cunningham fanden eine neue Heimat im Erzählkino oder in der Kunstwelt. Dem MuVi-Preis, weltweit der erste seiner Art, konnte dies allerdings nur wenig anhaben. Zum einen gab es in Deutschland ohnehin nie die großen Budgets, mit denen Clips von Michael Jackson oder Björk gemästet wurden, und zum anderen ging es beim MuVi von Anfang an um künstlerische Originalität. Und die war schon immer auch für kleines Geld zu haben.

Seit 20 Jahren zeichnen die Kurzfilmtage mit dem MuVi-Preis das beste deutsche Musikvideo aus. Ein Grund zum Feiern.

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Am Anfang wurde in Oberhausen trotzdem darüber gestritten, ob man Musikvideos überhaupt als Kunstform auszeichnen darf – schließlich wurden sie mehrheitlich von einer Industrie hergestellt, um Produkte zu verkaufen. Mitte der 2000er Jahre hatte sich diese Diskussion erledigt, weil es keine kommerziellen Abspielflächen für deutsche Clips mehr gab. Stattdessen entstanden immer mehr Videos in Kunsthochschulen oder Heimarbeit, als Experiment, Fingerübung und aus Liebhaberei. Wobei der MuVi-Preis schon immer das Experimentelle im Populären suchte und umgekehrt: Unter den Preisträgern finden sich Spielereien für den Gute-Laune-Avantgardisten Chilly Gonzales (Take Me To Broadway; Regie: Nina Rohde) ganz selbstverständlich neben hypnotischen Bastelarbeiten wie Oliver Pietschs Maybe Not (Catpower), einem Kompila­ tionsfilm, der unzählige Fensterstürze aus Kinofilmen aneinanderreiht.

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Der MuVi-Wettbewerb hat sich nicht nur zu einem festen Treffpunkt der Musikvideo-Szene entwickelt, sondern auch zu einem Schaufenster sämtlicher künstlerischer Kurzfilmformen. In den vergangenen 19 Ausgaben liefen hier klassische Erzähl- und Dokumentarfilme (Die Zeit heilt alle Wunder von Wir sind Helden; Regie: Cornelia Cornelsen und Florian Giefer), Animations- und Experimentalfilme aller Art oder schräge Tanzfilme wie Bestes Deutsches Musikvideo von Luigi Archetti und Bo Wiget. Seit etwa zehn Jahren macht sich in der Auswahl zudem der Aufstieg von Videoportalen wie YouTube bemerkbar. Dort verzeichnen Clips Zugriffszahlen, von denen das Musikfernsehen nur träumen konnte, und im Gegensatz zu den Fernsehsendern MTV und Viva verfügt das Internet über eine ausgeprägte Nischenkultur, in der gerade auch künstlerische Clips gedeihen können. Schon deswegen ist das Musikvideo quicklebendig und erlebt eine wild wuchernde Renaissance. Mit dem MuVi-Preis wird das gewürdigt und gefeiert – die nächsten 20 Jahre können kommen.

Wie haben sich Aussehen und Verwendungsweisen des Musikvideos durch die Entstehung von Videoportalen verändert? Simon Reynolds (Autor von Retromania), Marisa Olson (Begründerin des Begriffs Post Internet Art und Gründungsmitglied des Nasty Nets) und Christian Höller (springerin) geben auf einer Podiumsdiskussion Antworten. Zum Festival erscheint das Buch zum Thema: after youtube – Gespräche, Portraits, Texte zum Musikvideo nach dem Internet. Köln: StrzeleckiBooks. Termine MuVi-Preis: Samstag, 5. Mai, 22 Uhr Internationale Clips: Sonntag, 6. Mai, 22 Uhr MuVi 14+: Sonntag, 6. Mai, 14.30 Uhr


Profile

Die Tragöden aus der Stadt, Eva Könnemann, D 2008

In den Profilen stellen die Kurzfilmtage einzelne Filmemacher vor und zeigen jedes Jahr eine andere Mischung aus Entdeckungen, Szenestars und Klassikern.

Ach, wie schön ist es am Niederrhein Auf halbem Weg zwischen Dinslaken und Wesel liegt die kleine Ortschaft Emmelsum. Hier gibt es weder Briefkasten noch Bushaltestelle, und auf der offiziellen Internetpräsenz von Emmelsum steht nur, dass es über Emmelsum nicht viel zu sagen gibt. Für Eva Könnemann war gerade das der Grund, an den Niederrhein zu fahren und ihre Kamera auf diesem Fleckchen Erde aufzustellen. In ihrem Film Das offenbare Geheimnis kann man vor allem sehen, dass die Emmelsumer nicht zu wenig versprochen haben; aber Könnemann macht daraus ein höchst amüsantes Selbstgespräch über die unendlichen Möglichkeiten eines Ortes, an dem verlässlich nichts Besonderes passiert. Mit viel Humor nähert

sich die Filmemacherin, die für ihre Expedition ins NRW-Flachland den Deutschen Kurzfilmpreis bekam, auch den Theaterproben, auf denen der Regisseur Laurent Chétouane mit dem Schauspieler Fabian Hinrichs sämtliche Rollen von Shakespeares Hamlet einstudiert (Die Tragöden aus der Stadt), und drei Franzosen, die ihr erzählen, wie sie die Pariser Kunstwelt mit Aktionen einer frei erfundenen Künstlergruppe foppten (Happy Problem). Spätestens jetzt fragt man sich, wie viel Fiktion in Könnemanns sehr dokumentarisch anmutenden Filmen steckt: Ist Emmelsum am Ende überall?

Drei weitere Profile sind den Filmemacherinnen Louise Botkay (Brasilien) und Salomé Lamas (Portugal) sowie dem rumänischen Künstlerduo Mona Vătămanu/Florin Tudor gewidmet. Botkay hinterfragt in ihren eindringlichen Videos das Verhältnis zwischen „erster“ und „dritter“ Welt, Lamas schaut auf die grausame

Kolonialgeschichte ihres Heimatlandes und Vătămanu/Tudor rufen uns das Erbe des osteuropäischen Kommunismus in Erinnerung.

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Energie ist soziale Innovation Wir gestalten das Energiesystem der Zukunft. Dabei rücken wir die Dimension der sozialen Nachhaltigkeit stärker in den Fokus und leisten so einen Beitrag zum gesellschaftlichen Gelingen des künftigen Energiesystems.

Termine 3. - 7. Mai, täglich zu wechselnden Zeiten Public Face II. Kinetische Lichtskulptur des Künstlerteams Julius von Bismarck, Benjamin Maus und Richard Wilhelmer. Seit 2015 unterstützt die innogy Stiftung im Rahmen der Kooperation dynamis die Energieavantgarde Anhalt bei der Umsetzung eines dezentralen Energiesystems in der gesamten Region Anhalt. Der überdimensionierte Smiley visualisiert die Energiedaten der Region durch sich wandelnde Gesichtsausdrücke. Foto: Thomas Ruttke


Internationaler Wettbewerb: Durch die Schneekugel Wer es in diese Auswahl schafft, steht in einer Reihe mit Martin Scorsese, George Lucas, Agnès Varda oder Adina Pintilie, der aktuellen Gewinnerin des Goldenen Bären. Jedes Jahr bewerben sich mehrere tausend Filmemacher aus aller Welt, etwa 60 werden ausgewählt und vom Festival nach Oberhausen eingeladen, ihre Filme dem Publikum persönlich vorzustellen. Also trefft die Stars von morgen, solange sie noch Geheimtipps sind: zum Beispiel C. J. Obasi, der in Hello, Rain drei mit magischen Pop-

Perücken bekrönte Frauen durch eine unbestimmte nigerianische Zukunft schickt. Oder Anssi Kasitonni, der dem orientalischen Märchen von der Wunderlampe in Saladdin Castique einen sehr speziellen finnischen Dreh verleiht. Oder vielleicht Tomoyasu Murata: Der japanische Puppenanimateur erzählt in A Branch of a Pine Is Tied Up die herzzerreißende Geschichte eines jungen Mädchens, das mit Hilfe einer Schneekugel nach seiner vom Tsunami verschluckten Zwillingsschwester sucht.

Apartment Monologue, H. Schattanik/R. Szczesny, D 2018

Deutscher Wettbewerb: Vom Aufflackern der Liebe Du bist ganz entspannt. Deine Augenlider werden schwer. Ich zähle jetzt bis fünf. Für Screen haben Christoph Girardet und Matthias Müller die Archive nach Hypnose-Filmen durchstöbert und einlullende Tonschnipsel mit neuen Bildern kombiniert. Sie lassen Spiralen kreisen und Lichtkegel pendeln, aber auch Schneetreiben oder Sandverwehungen wirken bei ihnen plötzlich hypnotisch. Wobei die zwei Dutzend Wettbewerbsfilme natürlich gerade den Blick für die Vielfalt des deutschen Kinos öffnen sollen. Einen filmischen Sog kann man nämlich auch mit den Linien erzeugen, die im Animationsfilm The Train, The Forest auf weißer Fläche auseinanderstieben und durcheinanderwirbeln; oder mit einer Urlaubsgeschichte, die, wie in Das satanische Dickicht – DREI, in ruhigen Schwarzweiß-Bildern vom Aufflackern der Liebe erzählt.

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Wie man das beste deutsche Musikvideo produziert, lehrt einen YouTube noch nicht. Aber dank Dennis Todorovićs Clip zu Erdmöbels Tutorial immerhin, wie man auf Kommando weint. Und es funktioniert – jedenfalls bei Corinna Harfouch, Annika Meier und einigen anderen großartigen Schauspielerinnen, die sich freundlicherweise als Versuchskaninchen zur Verfügung stellen. Auch sonst ist die DIY-Ästhetik gut vertreten: Oliver Pietsch legt Yves Tumors Limerence über die schönsten Duschszenen der Filmgeschichte, Ulrike Göken/Jo Zimmermann haben für Schlammpeitzigers Damenbartblick junge Menschen mit Pusteblumen, Mandarinen oder falschen Wimpern gekreuzt und Sandra Hüller übt sich in Daniel Freitags Don’t als Superheldin im silbernen Kostüm. Trotz des Staraufgebots ist der Jury der schöne Schein auch beim 20. MuVi-Preis weitgehend egal. Stattdessen geht es um die kreative Explosivität des Untergrunds. Beim MuVi Online-Publikumspreis kann zusätzlich jeder im Netz mit abstimmen. MuVi Online Voting: 5. April – 5. Mai, www.muvipreis.de

NRW-Wettbewerb: Flüsterton des Märchens Fasse dich kurz! Die Aufforderung des Dokumentarfilms von Johannes Klais und Florian Pawliczek (Dortmund) verweist nicht nur darauf, dass wir uns bei den Kurzfilmtagen befinden: In den stillen Straßen einer Ruhrgebietsstadt sind die gelben Telefonzellen längst überflüssig geworden und kommentieren - wie die Einwohner - den Wandel der Zeit. Eine mysteriöse Metamorphose durchläuft hingegen die traumwandelnde Protagonistin im Spielfilm von Dragana Jovanović (Hürth); On the Other Side of the Pillow a Rose Was Blossoming erzählt im verheißungsvollen Flüsterton von märchenhaften Begebenheiten. Dass wir beim diesjährigen NRW-Wettbewerb nicht immer sicher sein können, was wir sehen, führt uns schließlich Julia Weißenberg (Köln) in Hallstatt erleben vor. Dort wechseln schleichend Ansich-

ten eines österreichischen Bergdorfes mit seinem gleichnamigen Duplikat in der chinesischen Provinz Guangdong, bis die Grenzen des Wahrnehmbaren verschwimmen. Seit 1998 gibt es bei den Kurzfilmtagen ein Programm für Filme aus NRW, dem Bundesland mit den meisten Filmstudenten. Hier findet sich das ganze Spektrum der Filmbranche und öffnet uns die Augen für Neues wie für scheinbar Altbekanntes.

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Spelliasmous, Ben Garfield, Kuba/GB 2017

Termine 3. - 8. Mai täglich zu wechselnden Zeiten

MuVi-Preis: Anleitung zum Unglücklichsein

Fasse Dich kurz!, J. Klais/F. Pawliczek, D 2018

Die besten, persönlichsten, schrägsten und kompromisslosesten neuen Filme aus der ganzen Welt.

Tutorial (Erdmöbel), Dennis Todorović, D 2018

From the Dark Depths, Kiri Dalena, PHL 2017

Wettbewerbe

Kinder- und Jugendkino: Weltreise mit Freunden Ein kleines koreanisches Mädchen streunt im Animationsfilm Seesaw durch einen Ferienort. Es sucht nach Freunden, findet aber nirgendwo richtig Anschluss und vergnügt sich stattdessen allein. Dann sieht es ein anderes Mädchen, das ihrem Teddy das Wippen beizubringen versucht – und ein neues Abenteuer beginnt. Die Filme des Kinder- und Jugendfilmwettbewerbs sind wie eine Reise um die Welt: Sie kommen von überall her und lassen uns Bekanntschaft mit Menschen schließen, die uns fremd und zugleich vertraut vorkommen. So wie die drei kubanischen Freunde, die im Dokumentarfilm Spelliasmous die Abenteuer von Harry Potter, Ron und Hermine nachspielen; oder die französische Familie, die in Pépé le morse Abschied vom verstorbenen Großvater nimmt. Gezeigt werden 37 Filme aus 21 Ländern, nach Altersstufen ab drei Jahren sortiert, in den Wettbewerbsjurys sitzen Kinder und Jugendliche und wählen die Preisträger aus.


Das Feuilleton im Radio

Kurzfilmtage 1969

Mit frdl. Genehmigung von Liam Young

Thema

Am 6. Mai um 22 Uhr gibt der australische Architekt eine „Lecture“ Deutschlandfunk Kultur berichtet von den Kurzfilmtagen Oberhausen

Fazit Kultur vom Tage Montag bis Sonntag, 23.05 Uhr Kompressor Das Kulturmagazin Montag bis Freitag, 14.07 Uhr Vollbild Das Filmmagazin Samstag, 14.30 Uhr

Drei Fragen an Liam Young Was können wir von den Städten in Sci-Fi-Filmen lernen? Science-Fiction-Welten lassen sich auch als Baustellen für politische, ökologische oder wirtschaftliche Kräfte verstehen. Die Geschichten, die wir in ihnen erzählen, schieben sich zwischen die Wirklichkeit und die Fantasie, sie sind ein Medium, in dem wir eine Welt erkunden können, die wir sonst kaum zu fassen bekämen.

Sind Städte bald ein Medium totaler Überwachung? In vieler Hinsicht sind sie das bereits jetzt. Es gibt immer mehr automatisierte Abläufe, die große Datenmengen benötigen, um funktionieren zu können. Diese Technologien versprechen, uns das Leben zu erleichtern, aber dazu müssen sie vorhersagen, was wir brauchen und wann wir es brauchen. Früher konnte man sich solchen Systemen noch entziehen. Bald müssen wir jedoch bei Facebook sein, um unsere Gasrechnung zu bezahlen, oder bei Google, um ein Buch aus einer Bibliothek auszuleihen.

Lässt sich die Zukunft der Stadt am Computer berechnen?

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Algorithmen steuern schon heute Verkehrsleitsysteme oder überwachen Stromnetze für uns. Doch diese Systeme sind nicht neutral, sondern bilden eine versteckte Agenda ab, die sich oft nicht mit der Natur des öffentlichen Raums verträgt. Beispielsweise basieren die Algorithmen von Gesichtserkennungssoftware auf rassischen Merkmalen und selbstfahrende Autos fällen Entscheidungen nach den moralischen Vorgaben ihrer Programmierer. Smarte Großstadttechniken wie diese haben so tiefgreifende philosophische Auswirkungen, dass Software-Ingenieure mit ihnen überfordert sind.

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22.02.18 12:34

Revolutionäre mit der Kamera Thema: Abschied vom Kino – Knokke, Hamburg, Oberhausen (1967-1971) Das kann kein Zufall sein, dachten sich die Studenten, dass die Welt in Aufruhr ist und diese tragbaren Kameras für wenig Geld zu kaufen sind. Also gingen sie mit ihren 16mm-Kameras auf die Straßen, um Proteste und Polizeigewalt zu filmen und das Kino in eine politische Waffe zu verwandeln. Im Grunde nahm die 68er-Generation damit schon vorweg, was im Arabischen Frühling mit dessen millionenfach verbreiteten Handyfilmen geschehen sollte, nur dass es damals noch keine vergleichbare Plattform für dieses „andere Kino“ gab. Was es gab, waren Wochenschau, Tagesschau und Filmfestivals wie die Kurzfilmtage. Aber selbst die sahen plötzlich wie Papas Kino aus. Unser Kurator Peter Hoffmann zeigt im diesjährigen Themenprogramm, wie die Filmemacher ab 1967 Abschied vom alten Kino nahmen. Sie führten ihre Filme mit 16mm-Projektoren in privaten Häusern vor und gründeten die Hamburger Filmschau, ein Festival, das alle eingereichten Filme zeigte und so die angebliche Zensur durch Auswahlgremien unterlief. Hellmuth Costard schickte 1968 in

Besonders Wertvoll einen sprechenden Penis nach Oberhausen, um das Festival und das System der deutschen Filmförderung zu sprengen, und auf dem Experimentalfilmfestival im belgischen Knokke wurden Ideen für ein Kino geboren, das eine Brücke in die Kunstwelt schlägt. Lutz Mommartz führte in einer Düsseldorfer Künstlerkneipe sein Zweilandwandkino auf einander gegenüberstehenden Leinwänden vor und wurde damit vom Fleck weg für die im selben Jahr stattfindende Documenta engagiert. Allerdings gingen längst nicht alle Filmemacher diesen Weg, und oft hielten gerade die schärfsten Kritiker des Kinosystems am Kino als Aufführungsort ihrer Filme fest. Ein besonders schönes Beispiel dafür ist Ernst Schmidts Ja/Nein (Vorhangfilm): Das Bild eines sich öffnenden Kinovorhangs wird auf den realen Vorhang im Kino projiziert und zwar möglichst so, dass beide Vorhänge gleichzeitig auseinandergleiten. Termine 3. – 7. Mai täglich zu wechselnden Zeiten

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Mika Taanila, Foto: Daniel Gasenzer

Festival Bar: Entspannte Nächte mit ausgesuchter Live-Musik

Lectures: Eintauchen in Gedankenwelten

Ott aus Mülheim, das sich mit mit Steffen Roth (LiveDrummer) und DJ Phil Stuck noch zwei Gäste aus der Republik eingeladen hat. Der Eintritt ist frei. Zentrum Altenberg, Hansastr. 20, Oberhausen Termine werden auf www.kurzfilmtage.de und www.facebook.com/kurzfilmtage bekanntgegeben.

Conditional Cinema: Ein anderes Kino ist möglich Muss das Kino so aussehen, wie es das gerade tut? Welche Alternative bietet das Kino zu VR, Internet usw.? Mika Taanila stellt in den nächsten drei Jahren in Oberhausen alte und aktuelle Beispiele „live“ hergestellter Kinoerfahrungen vor. So entstehen Peter Millers Filme erst während der Vorführung, etwa, indem er den Vorführer in Stained Glass per Zwischentitel anweist, die Linse des Projektors zu entfernen. Bereits aus dem

Filmoteca de Catalunya: BiBiCi Story, Carles Durán, E 1969

Die Festival Bar ist der perfekte Treffpunkt, um einen Festivaltag ausklingen zu lassen. Die Stimmung ist so, wie man es sich bei Gästen aus aller Welt erwartet: freundlich, babylonisch und ausgelassen. Hier mischen sich Gäste und Publikum, es ist der Ort zum Entspannen, Live-Musik hören und Tanzen. Das Programm ist eine bunte Mischung aus Stars wie DJ Hell, internationalen Filmemachern, die sich ans DJ-Pult wagen, und lokalen Größen wie dem DJ Thorsten PopMissile aus Duisburg und dem Essener DJ KaterCarlos. Ebenfalls mit dabei ist das Label Ana

Auch die Lectures lassen sich unter das Stichwort „Anderes Kino“ einreihen, denn sie sind eine Mischung aus Video-JockeySet, Performance und Vortrag – und damit die ideale Bühne für Filmemacher, die gleichzeitig Autoren, Künstler, Musiker, Aktivisten oder, wie Liam Young, Architekten sind. Young (Australien) taucht in seiner Lecture in fiktive Architekturwelten ein, mit denen er die Zukunft computergesteuerter Megastädte vorherzusagen versucht, Roee Rosen (Israel) widmet sich dem Phänomen „Fake News“ in Kultur und Politik und Marisa Olson (USA) sucht nach den Selbstwidersprüchen der boomenden Wellness-Bewegung im Internet. Termine: 4. - 6. Mai jeweils 22 Uhr

Wir fördern das Gute in NRW.

BIT.REFLECTION, kreative Inspiration für NRW, gefördert durch die NRW.BANK Kreativität ist eine der Grundlagen gesellschaftlicher Entwicklung, die es wert sind, gefördert zu werden. Für Inspiration sorgt die NRW.BANK z. B. mit einer Installation des Medienkünstlers Julius Popp in Münster. Das Kunstwerk ist nur eines von vielen sozialen und kulturellen Projekten der NRW.BANK und eine Bereicherung für unsere Region. www.nrwbank.de/kreativität

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Jahr 1988 stammt Owen O’Tooles Filmers’ Almanac, für den über 200 Teilnehmer jeweils an einem anderen Tag des Jahres einen kurzen Super8-Film drehten und diesen mit der Post an O‘Toole schickten; der fügte die Schnipsel schließlich zu einem kollektiven Zufallswerk poetischer Begegnungen zusammen. Termine: 4. - 6. Mai zu wechselnden Zeiten

Archive: Eine Zensur findet (nicht) statt Als Casablanca nach dem Krieg in die deutschen Kinos kam, strichen die Übersetzer die Nazis einfach aus dem Film. So dreist ging es im Festivalbetrieb zwar nicht zu, aber auch hier kursierten gelegentlich unterschiedliche Fassungen ein- und desselben Werks – und sei es nur, dass sich die Untertitel in Deutschland, England oder Frankreich unterschieden. Tobias Hering zeigt in „re-selected“, warum es wichtig ist, die Filmgeschichte auch als Geschichte einzelner Filmkopien zu schreiben: Oft lässt es tief blicken, wer was wann sehen durfte oder eben nicht. Auch zwei Filmarchiven, die ihre Arbeit in Oberhausen an herausragenden Filmbeispielen vorstellen, ist das Zensurproblem nicht fremd: Das Slovak Film Institute zeigt Filme aus den 60er und 70er Jahren, die Filmoteca de Catalunya stellt einige unter der FrancoDiktatur entstandene Werke vor. Die diesjährige Reihe wird durch das südkoreanische ACC Film and Video Archive sowie die Cinémathèque de la Ville de Luxembourg komplettiert. Termine: 6. und 7. Mai zu wechselnden Zeiten


Foto: Adriana Bianchedi

Kurz gefragt

Simon Reynolds, Autor von „Retromania“ und Mitglied der diesjährigen MuVi-Jury

Mika Taanila, Künstler, Filmemacher und Kurator des „Conditional Cinema“-Programms

Wie nostalgisch sind Videoportale?

Was ist live cinema?

Jahren an, alte Top of the Pops-Shows oder auch mal verwackelte Aufnahmen von Raves aus den 90ern. Manchmal stoße ich dabei auf alte Dinge, die ich noch nicht kannte – konkrete Musik aus Kroatien oder Avantgarde-Animationen. Aber selbst hier steigt in mir das romantische Gefühl einer verpassten Zukunft auf und verleiht den Entdeckungen eine wehmütige Qualität.

Foto: Jean Paul und Laurent Torno

PS122, New York

Videoportale wie YouTube sind nicht zwangsläufig nostalgisch, obwohl sie zu großen Teilen archivarisch funktionieren. Wie alle populären Medien sind sie Spiegel: Wie man sie nutzt, zeigt dir, an welchem Punkt du im Leben bist. Während meine elf- und 18-jährigen Kinder YouTube in einem total gegenwärtigen Sinn verwenden, jage ich, ein Mann mittleren Alters, dort im Wesentlichen verlorenen Zeiten hinterher. Ich schaue mir Kinderprogramme und Werbespots aus den 70er

Filme zu schauen, hat immer auch etwas mit Raum und Zeit zu tun; das Wo und Wie spielt beim Filmerlebnis eine wichtige Rolle. In unseren turbulenten Zeiten wird der Begriff „Live Cinema“ oft gleichbedeutend mit einer Überfülle an Bildern und Tönen wie bei einem psychedelischen Trip verwendet. Ja, der Betrachter sollte die Erzählung selbst vollenden und seinen privaten Director‘s Cut erstellen können – aber am besten in der stillen Architektur eines abgedunkelten Kinos. Dies ist das Potential von „live cinema“: Filme, die ruhig sind, als Prozess funktionieren, den kreativen Zufall ins Spiel bringen, sich abseits ausgetretener Pfade bewegen und einfach hier und jetzt passieren – ohne großes Aufheben.

Film ab für alle! Für mehr barrierefreies Filmvergnügen.

Marisa Olson, Künstlerin und Kuratorin, gibt am 4. Mai eine „Lecture“ zum Thema Wellness im Internet

Wann ist Wellness schlecht für uns? www.aktion-mensch.de/tipps-barrierefreie-videos

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Derzeit gibt es einen großen Trend, Wellness und alles, was damit zusammenhängt, zu Geld zu machen: von Essen und Kleidung bis zu Apps, die uns sagen, wann wir schlafen und wie wir atmen sollen. Ich merke, dass ich zwischen den Extremen schwanke. Einerseits gefällt mir, dass wir uns auf unser Wohlbefinden konzentrieren, anderseits neige ich zum

Zynismus angesichts der vielen nutzlosen und überteuerten Produkte auf dem Markt. Wichtig ist die Wortwahl. Bei Wellness sollte es darum gehen, dass wir uns gut fühlen und nicht darum, hart gegen uns selbst zu sein. Und es sollte darum gehen, aufmerksam zu sein statt neue Wege zu finden, vor unseren Problemen davonzulaufen.

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Kurz Kurz Film Film Tage Nächte

Im Festivalkino

Träger

Hauptförderer

Förderer

Projektförderer

Hauptsponsor Kinderund Jugendkino

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essen

Retrospektive anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung www.josefalbers.villahuegel.de

16. 6. –—— 7.10. 2018 Abb.: Josef Albers, Study for Homage to the Square, 1972 © 2018 The Josef and Anni Albers Foundation / VG Bild-Kunst

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Herausgeberin Internationale Kurzfilmtage Oberhausen gGmbH Grillostraße 34 46045 Oberhausen T +49 (0)208 825-2652 F +49 (0)208 825-5413 info@kurzfilmtage.de www.kurzfilmtage.de

Festival vorbei? Die Highlights aus Oberhausen am 8. und 9. Mai in 3sat

Hauptsponsor

Medienpartner

ViSdP Dr. Lars Henrik Gass Redaktion Michael Kohler, Sabine Niewalda Redaktionsassistenz Nicole Christina Bacher Autoren Fiona Berg, Michael Kohler

Anzeigen MaschMedia Marketing & PR Marcus Schütte, Anja Keienburg, Laura Wiehn info@masch-media.de www.masch-media.de Gestaltung nondesign, Köln Druck BasisDruck

3sat | Das Programm von ZDF ORF SRG ARD

Fotos Stills: Filmemacher Seite 12, 17: D. Gasenzer, www.danielgasenzer.com

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Stadtplan

A | Lichtburg Filmpalast Elsässer Str. 26 www.lichtburg-ob.de

B | Kino im Walzenlager Zentrum Altenberg Hansastr. 20 www.walzenlagerkino-ob.de

C | Festival Bar Zentrum Altenberg Hansastr. 20

D | Festival Space Langemarkstr. 22 E | Festival Zentrum Langemarkstr. 19-21

FAQs Wie erfahre ich, was wann läuft? Das komplette Programm der Kurzfilmtage steht ab Mitte April auf www.kurzfilmtage. de online.

Wie komme ich an Eintrittskarten? Die Kurzfilmtage finden in zwei Kinos statt, dem Lichtburg Filmpalast und dem Kino im Walzenlager in Oberhausen. Tickets gibt es an den Kinokassen, telefonisch unter 0208 824290 (Lichtburg Filmpalast) und 0208 8597877 (Kino im Walzenlager) oder online über www.kurzfilmtage.de. Der Vorverkauf beginnt Mitte April. Achtung: Alle Vorstellungen sind ab 18, mit Ausnahme des Kinder- und Jugendkinos.

Was kosten die Eintrittskarten?

Wer erhält ermäßigte Karten?

Einzelticket: 8 € / ermäßigt 7 € Kinder- und Jugendkino: Kinder 3 € / Erwachsene 4 € Jede Vorführung besteht aus mehreren Filmen und dauert etwa 90 Minuten.

Leistungsempfänger, Schüler (ab 18), Studenten mit Ausweis und Gruppen ab zehn Personen. RUHR.TOPCARD-Inhaber erhalten 50 % Ermäßigung auf ausgewählte Vorstellungen. Infos auf www.ruhrtopcard. de.

Sechserticket: 40 € / ermäßigt 35 € Für ein Sechserticket bekommt man sechs Einzeltickets an der Kinokasse. Man kann damit alleine sechs Vorstellungen oder mit fünf Freunden eine Vorstellung besuchen. Festivalpass: 90 € / ermäßigt 70 € Mit dem Festivalpass kann man sich Tickets für alle Filmprogramme der Kurzfilmtage an den Kinokassen abholen – wer also will, kann jeden Tag von 10.30 Uhr morgens bis 24 Uhr abends im Kino verbringen.

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06. MAI BIS 16. SEPTEMBER 2018 Ein Ausstellungsprojekt der RuhrKunstMuseen

Kino-Adressen Lichtburg Filmpalast Elsässer Straße 26, 46045 Oberhausen www.lichtburg-ob.de Kino im Walzenlager Zentrum Altenberg, Hansastraße 20, 46049 Oberhausen www.walzenlagerkino-ob.de

RUHRKUNSTMUSEEN.COM

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www.museum-ludwig.de

Emigration Günter Peter Straschek 3. 3. – 1. 7. 2018 Credit: Bustamante, Farocki und Straschek am Set von Labriola, 1970. Foto: Michael Biron.

Film Politik Gefördert von | Funded by

Kooperationspartner

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