Bodensee Magazin Spezial - Kartause Ittingen

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BODENSEE MAGAZIN SPEZIAL

5,– Euro / 6.– CHF

KARTAUSE ITTINGEN ENTDECKEN UND ERLEBEN KULTUR | NATUR | GASTFREUNDSCHAFT


ITTINGER PFINGSTKONZERTE SEIT 1995

Klingende Gärten. Klingende Räume. Klassisches Konzertfestival auf höchstem Niveau in faszinierender Umgebung. www.kartause.ch


Inhaltsverzeichnis D I E K A R TAU S E I T T I N G E N – E I N B E S O N D E R E R O R T . . . . . . . 4 Das einzigartige Kultur- und Seminarzentrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Kultur, Natur und Genuss – Ein vielfältiges Gesamterlebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 VON DE R BU RG Z UM K LO ST E R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Ittingen im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Der Kartäuserorden und sein Gründer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Der heilige Bruno . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 B E D E U T E N D E S K U LT U R D E N K M A L . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Ora et labora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 E I N E I D Y L L I S C H E G A R T E N A N L A G E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 In jeder Jahreszeit entdecken und erleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Grösste historische Rosensammlung der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Heilpflanzen, Küchengarten und Teekräuter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Garten-emenpfade durch die Klosteranlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Der Ittinger Wald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Landwirtscha und regionale Produkte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 G A S T F R E U N D S C H A F T . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 À la carte-Restaurant Mühle – Hier dreht sich alles um den Genuss . . . . . . . . . . . 32 Die Hotelzimmer – Zeitgenössische Mönchsklausen mit allem Komfort . . . . . . . 33 TA G E N I N I T T I N G E N . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Inspirierende Atmosphäre für kreatives Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Feste feiern in der Kartause Ittingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Tagen im Apfelgarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 F Ü R S O R G E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Traditionelle Fürsorge neu interpretiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Betreutes Arbeiten in der Kartause ist einzigartig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 D E N K L A N G D E R S T I L L E E N T D E C K E N . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Auf den Spuren der Mönche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Spirituelle Angebote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Feiern, beten, meditieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Spirituelle Orte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Unterwegs zur Mitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 K U N S T I N B E S O N D E R E R U M G E B U N G . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Neue Sichtweisen in altem Gemäuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Museumsangebote. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Kulturelle Vielfalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Erlebnisideen auf einen Blick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

Impressum: „Kartause Ittingen“ ist eine Publikation der Labhard Medien GmbH. Alle Rechte vorbehalten.

verlag@labhard.de www.labhard.de

ISBN 978-3-944741-40-6

Geschäsführer: omas Willauer, Gabriele Schindler

Herausgeber: Stiung Kartause Ittingen, Kunstmuseum urgau und Ittinger Museum, tecum – Zentrum für Spiritualität; Bildung und Gemeindebau Labhard Medien GmbH Max-Stromeyer-Straße 116 D-78467 Konstanz Tel. + 49 (0) 75 31/90 71-0

Projektmanagement: Katharina Schlude, M.A.

Fotos: Copyright: Stiung Kartause Ittingen, Kunstmuseum urgau und Ittinger Museum; S. 7: © Bildstein | Glatz; Fotos von: omas Bachofner, Markus Landert, Stefan Rohner, Corinne Rüegg, Helmuth Scham, Sandro Schmid, Falk von Traubenberg

Autoren: omas Bachofner, Carmen Himmel, Markus Landert, Corinne Rüegg

Druck: Ferdinand Berger & Söhne GmbH, Horn, Österreich

Gestaltung: Helga Stützenberger, Markdorf

Vertrieb: Labhard Medien GmbH, Kartause Ittingen

Inhalt | Kartause Ittingen 1



D I E KA RTAU SE I T T I N G E N – E I N B E S O N D E R E R O RT




Das einzigartige Kultur- und Seminarzentrum

A

ls ehemaliges Kloster und heutiges Kultur- und Seminarzentrum verbindet die Kartause Ittingen auf einzigartige Weise klösterliche Werte wie Kultur, Spiritualität, Bildung, Fürsorge, Gastfreundscha und Selbstversorgung. Traumhae Gärten mit über 1000 Rosenstöcken laden ein zum Flanieren, im Restaurant Mühle mit wunderschöner Gartenwirtscha werden die Gäste mit vielen hochwertigen Spezialitäten vom eigenen Gutsbetrieb verwöhnt. Die 68 stilvollmodernen Hotelzimmer in den beiden Gästehäusern, die gehobene Gastronomie verbunden mit einer herzlichen Gastfreundscha und die unverwechselbare Atmosphäre verführen zum Verweilen. Für Menschen mit einer psychischen oder geistigen Beeinträchtigung bietet die ehemalige Klosteranlage sinnvolle Beschäigung und ein behagliches Zuhause. Das Ittinger Museum gibt authentischen Einblick in das Leben der Kartäusermönche, die bis 1848 hier lebten, und das Kunstmuseum urgau ist präsent mit einer Sammlung und wechselnden Ausstellungen. Die evangelische Landeskirche pflegt am Ort die Spiritualität und bietet ein reichhaltiges Kursprogramm im Erwachsenenbildungsbereich. Regelmässig finden im idyllischen Ambiente hochkarätige klassische Konzerte statt. Die Kartause Ittingen gehört zu den bedeutendsten Kulturdenkmälern des Bodenseeraums.

6 Kartause Ittingen | Ein besonderer Ort


(links) Das Restaurant Mühle in der Kartause Ittingen mit dem beeindruckenden Mühlrad aus dem Jahr 1870. (unten) Bildstein | Glatz: LOOP, 2017, Kunstmuseum Thurgau, Kartause Ittingen. Präsentation im Aussenraum. (rechts) Steckborner Kachelofen von 1761 in der Tafelstube im Priorat.

Kultur, Natur und Genuss – Ein vielfältiges Gesamterlebnis Die stimmungsvollen Räume, die unterschiedlichen Festsäle und die prächtige Gartenanlage geben jedem Ereignis eine ganz spezielle Note. Auch für Seminare und Tagungen ist die Kartause Ittingen ein idealer Ort. Nebst der modernen Infrastruktur machen die attraktiven Rahmenprogramme wie auch die inspirierende Umgebung die Veranstaltungen garantiert erfolgreich. Und immer wieder überraschen Kunstwerke auch einmal dort, wo man sie nicht erwartet.



VO N D E R BU R G Z UM K L O ST E R Ittingen besitzt eine lange und wechselvolle Geschichte. Im Mittelalter stand hier ein Burgturm, der um 1150 zu einem Kloster umgewandelt wurde. Generationen von MÜnchen und ihre Nachfolger bauten an den Gebäuden weiter, was dem Ort heute seine einzigartige Vielfalt verleiht.


Ittingen im Wandel der Zeit

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ttingen ist ein Ort mit einer höchst wechselvollen Geschichte. Ursprünglich stand an Stelle des Klosters eine Burg. Über deren Aussehen ist kaum etwas bekannt. Am ehesten wird es ein einfacher Wehrturm mit einigen Nebengebäuden gewesen sein. Hier lebten die Herren von Ittingen, eine Familie des niederen Adels mit Besitzungen und Rechten in der nahen Umgebung. Diese Herren von Ittingen überführten ihre Besitztümer um 1150 in ein Chorherrensti nach der Regel des heiligen Augustinus und traten diesem selber bei. Eine erste Blüte verdankte das kleine Sti dem Aufstieg Frauenfelds zum habsburgischen Verwaltungszentrum im 14. Jahrhundert. Doch bald darauf folgte der Niedergang: 1420 gab es in Ittingen weder einen Propst noch einen Priester. Das Kloster stand kurz vor der Auflösung. Um dies zu verhindern übernahm 1461 der Kartäuserorden das Anwesen. Dank Stiungen und einer Ausdehnung der Einküne konnte eine solide Finanzierung des Betriebs sichergestellt werden, während die einziehenden Brüder für die geistliche Ernsthaigkeit sorgten.

10 Kartause Ittingen | Geschichte

Die Übernahme vollzog sich allerdings nicht ohne Widerstand. Die Kartäuser schlossen als streng kontemplativer Orden die Kirche für Aussenstehende und vor allem für Frauen, was gegen alte Rechte verstiess. Deshalb besetzten 1471 im sogenannten „Sitzstreik“ die Kirchgängerinnen des Nachbardorfes Warth die Kartäuserkirche. Sie forderten den Bau einer eigenen Kapelle, da sie nach der Aussperrung aus der Klosterkirche gezwungen waren, den Gottesdienst im über eine Wegstunde entfernten Uesslingen zu besuchen. Der Fall wurde vor die Eidgenössische Tagsatzung – der damals höchsten Regierungsund Gerichtsinstanz der Schweiz – gebracht, die die Kartäuser verpflichtete, in Warth eine Kirche zu bauen und einen Pfarrer einzustellen. Nur wenige Jahrzehnte später war die Kartause Ittingen gar vom Untergang bedroht. Die 1522 in Zürich einsetzende Reformationsbewegung um Ulrich Zwingli fand bald auch in der Herrscha urgau Anklang, was zu Unruhen und Bilderstürmen führte. Der urgau wurde als Untertanenland abwechslungsweise von den Innerschweizer Kantonen sowie Bern und


(links) Ansicht der Kartause um 1715, lavierte Tuschzeichnung. (oben) Während des Ittinger Sturms im Jahr 1524 wurde die Kartause Ittingen von aufständischen Bauern angezündet. Miniatur von Heinrich Thomann, 1605.

Zürich verwaltet, sodass in Frauenfeld Vögte der altgläubigen Kantone auf Verwalter von reformierten Ständen folgten. Beide Glaubensrichtungen versuchten das Untertanenland in ihrem Sinne zu beeinflussen. Als nun 1524 der katholische Landvogt beim Versuch, den Reformierten zu schaden, in Stein am Rhein einen reformierten Prediger gefangennehmen liess, rotteten sich über 3000 Menschen zusammen, um den Verhaeten zu befreien. Die aufgebrachte Menge zog der ur entlang in Richtung Frauenfeld. Da sie den Fluss nicht überqueren konnte, erzwangen die Aufständischen den Zugang zur Kartause, als Hunger und Durst die Meute zu plagen begann. Bald geriet die Situation ausser Kontrolle: Zwei Tage lang plünderten die Aufständischen die Vorräte des Klosters, zerstörten Bilder und Altäre, zogen den Mönchen ihre Kutte aus und setzten schliesslich das Kloster in Brand. Der Aufstand erregte in der Eidgenossenscha grosses Aufsehen. Auch die der Reform zugeneigten Kantone fürchteten die Sprengkra von spontanen Volksaufständen dieser Art. Daher wurde ein hartes Exempel statuiert: Die Anführer des „Ittinger Sturms“ wurden gefangengenommen und drei von ihnen in Baden hingerichtet.

Das weitere Schicksal des Klosters blieb aber für lange Jahre unsicher. Erst um 1550 konnte wieder ein geregelter Betrieb aufgenommen werden. Im 17. Jahrhundert setzte ein langjähriger Aufschwung ein, der bis ins späte 18. Jahrhundert reichte. Reiche Stiungen und eine florierende Landwirtscha ermöglichten Neu- und Umbauten der Gebäude. In diesen rund 150 Jahren erhielt das Kloster seine heutige Form und Ausstattung. Haupteinnahmequelle der Kartause war in jener Zeit der Weinbau und Weinhandel. Das Kloster bewirtschaete nicht nur die Weingärten des eigenen Hofs, sondern liess sich von den Bauern der Umgebung auch den Zehnten in Form von Trauben bezahlen. In guten Jahren wurden so über 400 000 Liter Wein gekeltert, wovon die grossen Keller – jetzt genutzt als Ausstellungsräume oder Bankettsäle – bis heute ein eindrückliches Zeugnis ablegen. 1798 läutete der Untergang der Alten Eidgenossenscha und die Errichtung der Helvetischen Republik auch für die Kartause

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(oben) Historische Ansicht der Kartause Ittingen, 18. Jahrhundert. (rechts) Gemälde zur Einkleidung der Kartäuser mit heiligem Bruno und seinen Gefährten, erste Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Ittingen schwierige Zeiten ein. Bedeutende Geldsummen aus dem Besitz des Klosters wurden beschlagnahmt, hohe Steuern mussten bezahlt werden. Der neu geschaffene Kanton urgau beschnitt die Rechte der Klöster immer mehr. 1836 verloren die Mönche ihre Eigenständigkeit endgültig, und 1848 – im Entstehungsjahr des Schweizerischen Bundesstaates – beschloss der urgauer Grosse Rat die Auebung der Klöster und die Verstaatlichung ihrer Güter. Die Mönche mussten die Kartause verlassen, womit in Ittingen das klösterliche Leben nach rund sieben Jahrhunderten sein Ende fand. Nachdem der Versuch des Kantons urgau, die Kartause in Eigenregie zu betreiben, in einem riesigen Betrugsskandal geendet hatte, wurden die Klostergüter 1856 an Private verkau. 1867 erwarb der St.Galler Bankierssohn Viktor Fehr Ländereien und Gebäude und begann hier einen landwirtschalichen Betrieb nach neuesten Erkenntnissen zu betreiben. Als studierter Agronom setzte er modernste Mittel ein, importierte aus England Landwirtschasmaschinen und setzte sich auch in der Politik für die Besserstellung der Bauern ein. Er und seine Nachkommen nutzten das Kloster über drei Generationen hinweg als herrschalichen Wohnsitz und bewirtschaeten den über 100 Hektar umfassenden Hof als Grossgrundbesitzer. Sie wohnten in den Gemächern des Priors und empfingen in den historischen Räumlichkeiten hochgestellte Gäste, so 1912 den deutschen Kaiser Willhelm II.. Im Jahr 1977 verkaue die Familie Fehr das Kloster an die eigens gegründete Stiung Kartause Ittingen, die hier seither erfolgreich ein Kultur- und Gastwirtschaszentrum betreibt.

12 Kartause Ittingen | Geschichte


Der Kartäuserorden und sein Gründer Lebens im Dienste Gottes. In der Gesellscha des Mittelalters spielte das Mönchtum eine wichtige Rolle. Benedikt von Nursia hatte im 6. Jahrhundert mit seinen Mönchsregeln der Idee eines gottesfürchtigen Lebens in einer klösterlichen Gemeinscha eine Form gegeben, die sich über ganz Europa ausbreitete. Klöster bildeten wichtige Verwaltungs- und Bildungszentren, die im Machtgefüge Europas eine zentrale Rolle spielten. Nicht allen Mönchen behagte die politische Bedeutung und die damit verbundene Betriebsamkeit der Klöster, und so wuchs im 11. Jahrhundert eine Bewegung heran, die den Rückzug in die Einsamkeit postulierte. Die geistlichen und religiösen Fragen sollten wieder in den Mittelpunkt des klösterlichen Lebens gestellt werden. Die Gründung des Kartäuserordens durch Bruno von Köln war Teil dieser Reformbewegung. Bruno zog sich 1084 zusammen mit sechs Gesinnungsgenossen in ein Bergtal bei Grenoble zurück, wo ein erstes Kloster, die Grande Chartreuse, entstand. Die Gruppe bildete eine streng organisierte Lebensgemeinscha, in der die Vorzüge des Einsiedlerlebens in Übereinstimmung gebracht wurden mit dem klösterlichen Ideal eines gemeinsamen

Guigo, der füne Prior der Neugründung, hielt 1121–1127 die „Consuetudines“ (Gebräuche) der Kartäuser fest. Das Regelwerk ist ein Lob auf die Einsamkeit und das Schweigen. Es beschreibt detailliert das Leben der Mönche und der Laienbrüder. Die Regeln erfuhren im Lauf der Zeit diverse Interpretationen und Ergänzungen. Ihre ursprüngliche Strenge jedoch wurde mit grosser Konsequenz aufrechterhalten: So nimmt der Kartäuserorden auch heute noch für sich in Anspruch, er sei nie reformiert worden, weil er nie deformiert gewesen sei. Bald breitete sich der Orden über ganz Europa aus. 1531, zur Zeit seiner grössten Ausbreitung, zählte er 195 Niederlassungen. Diese Zahl wurde zuerst durch die Reformation und dann im 18. Jahrhundert durch die Klosterauebungen von Joseph II. im Habsburgerreich, durch die Französische Revolution und den darauf folgenden Liberalismus stark dezimiert. Heute gibt es noch rund zwei Dutzend Ordenshäuser, nicht nur in Europa, sondern auch in den USA, in Südamerika oder gar in

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Blick in die Kirche der Kartause Ittingen. An den Wänden und der Decke finden sich die Fresken mit Erzählungen aus dem Leben des heiligen Bruno.

Der heilige Bruno Korea.

Erzählungen seiner Lebensgeschichte in den Deckengemälden der Kirche

Der heilige Bruno, geboren um 1030 in Köln, hatte zur Zeit der Ordensgründung bereits eine erfolgreiche kirchliche Karriere durchlebt. Nach Studien der eologie und der Philosophie in Köln und Reims wurde er 1056 zum Leiter der Domschule in Reims berufen, gehörte also zur gebildeten Oberschicht der Kirchenhierarchie. Nach Auseinandersetzungen mit weltlich gesinnten Kräen verliess Bruno seinen Posten und trat 1080 ins Benediktinerkloster Molesme ein. Vier Jahre später erlaubte ihm der Abt, sich aus dem Kloster zurückzuziehen, um eine Einsiedelei zu gründen. Unterstützt von Bischof Hugo von Grenoble zog er sich zusammen mit einigen Gleichgesinnten in ein abgeschiedenes Gebirgstal mit dem Namen „Chartreuse“ zurück. Bruno selber musste sein Kloster allerdings nach wenigen Jahren wieder verlassen. Er wurde 1090 von Papst Urban II., einem seiner ehemaligen Schüler, als Berater nach Rom berufen. Schon bald jedoch zog sich Bruno wieder aus Rom zurück und gründete in La Torre in Kalabrien eine weitere Kartause. Er starb am 6. Oktober 1101. Bruno wurde nie formell heiliggesprochen, seine Verehrung wurde aber 1514 von Papst Leo X. für den Orden und 1622 von Papst Gregor XV. für die ganze Kirche anerkannt. 14 Kartause Ittingen | Geschichte


Der heilige Bruno schaut auf die Wunder, die sich an der Quelle bei seinem Grab ereignen. Deckenfresko über dem Altar von Franz Joseph Hermann, dem Hofmaler des Fürstbischofs von Konstanz.

Westwand

Deckenfresko Mönchstor

An der Westwand wird gezeigt, wie der noch junge Bruno in Reims an der Beerdigung des wohl angesehenen Kirchenmannes Raymond Diocrès teilnahm, als sich der Tote plötzlich aufsetzte und mit schrecklicher Stimme schrie: „Ich bin vor Gott angeklagt, verurteilt und verdammt.“ Die Erfahrung, dass selbst ein Kirchenmann mit untadeligem Lebenslauf nicht in den Himmel kommt, bewog Bruno dazu, sein Leben radikal zu ändern und in die Einsamkeit zu ziehen.

1091 gründete Bruno eine weitere Kartause in La Torre in Kalabrien, wo er bis zu seinem Tod lebte. Das Deckengemälde zeigt, wie der Stier dieses Klosters, Roger von Sizilien, die Kartäusermönche besucht. Flankiert sind die Hauptbilder von ausgemalten Kartuschen, in denen Kirchenväter, Ordensgründer oder Propheten aureten. Gezeigt werden die Heiligen als Eremiten, wodurch ihre Vorbildhaigkeit für die Kartäuser hervorgehoben wird.

Deckenfresko Knechtentor

Fresko Altarraum

Nach der Gründung der Einsiedelei im Chartreuse-Tal wurde Bruno von Papst Urban II. nach Rom berufen und seine Kollegen blieben allein in der Wildnis zurück. Als sie zu verzagen begannen und die Gründung aufgeben wollten, erschien ihnen der Apostel Petrus. Er überreichte den Mönchen ein Marienbrevier, dessen Gebete ihnen die Kra für das Ausharren gab. Diese Geschichte thematisiert den Ursprung der kartäusischen Marienverehrung. Petrus und die Mönche stehen in einer monumentalen Fantasiearchitektur, über der Maria mit dem Kind auf einer Wolke schwebt.

Über dem Altarraum zeigt ein rundes Fresko die wunderbaren Heilungen, die Kranke am Grab von Bruno erfuhren. Solche Wunder waren die unabdingbare Voraussetzung für die kirchenrechtliche Anerkennung eines Heiligen. Die Darstellung Brunos folgt einer in der Barockzeit beliebten Standardformel für die Veranschaulichung der Sonderstellung von Heiligen: Er sitzt auf einer von Engeln getragenen Wolke und segnet die Pilger an seinem Grab.

Geschichte | Kartause Ittingen 15


BEDEUTENDES K U LT U R D E N K M A L In Ittingen wurde über 900 Jahre lang immer wieder gebaut. Als älteste bauliche Spuren finden sich noch Überreste des Wehrturms der Stierfamilie, die in die Klosteranlage verbaut wurden. Ebenso sind Eingriffe aus der Zeit der Gotik, der Renaissance und des Frühbarock zu finden. Prägend für das heutige Aussehen der Anlage sind aber die Anund Umbauten der Barockzeit, die das Kloster entscheidend veränderten. Die Qualität der Bauten, aber auch ihr hervorragender Erhaltungszustand macht die Anlage zu einem Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung.




Ora et labora

(oben und links) In diesen karg eingerichteten Klausen beteten und arbeiteten die Kartäusermönche. (unten) Memento mori, Klosterkirche.

B

ete und arbeite. Auf diese Kurzformel lässt sich das klösterliche Leben reduzieren. Dieses Motto lässt sich in Ittingen auch an der Anlage der Gebäude ablesen. Wer durch eines der Tore in der die Anlage umfassende Klostermauer tritt, gelangt zuerst in die Äussere Klausur, in jenen Bereich, wo Knechte und Angestellte arbeiteten und Geld verdienten. Das grosse Mühlrad im Restaurant oder die zwei Pferdeställe legen noch heute Zeugnis ab für die Bedeutung der landwirtschalichen Produktion für das Kloster. Etwas abgesetzt und vom Wirtschashof abgeschlossen, stehen dann die Kirche sowie die Wohn- und Arbeitsräume der Mönche. Wer das Mönchsgelübte abgelegt hatte, verliess diese Innere Klausur kaum je. Ungestört von der Betriebsamkeit der Welt, folgten die Mönche in Stille und Schweigen ihrer Suche nach Gott. Das Zentrum der Inneren Klausur bildet die Kirche. Hier trafen sich die Kartäuser drei- bis viermal täglich zum gemeinsamen Gottesdienst. Vom Hauptportal der Kirche bis zum Altar durchschreiten heute Besucherinnen und Besucher drei abgegrenzte Bereiche, deren Ausstattung immer reicher wird. Der Bereich unmittelbar nach dem Hauptportal diente Knechten und anderen mit dem Kloster in Beziehung stehenden Männern als Gottesdienstraum. Dann folgt, abgetrennt durch eine Schranke, der Chor der Laienbrüder, die sich wie die Mönche für eine vergleichbar strenge Lebensführung verpflichtet hatten, ohne aber das Priestergelübde abzulegen. Erst hinter dem Lettner öffnet sich dann der eigentliche Mönchschor, in dem die Kartäuser ihre Gottesdienste feierten.

Kulturdenkmal | Kartause Ittingen 19


Blick in die Klosterkirche mit ihrer beeindruckenden Rokoko-Ausstattung.

Höhepunkt des Kirchenraums ist der Hochaltar. Das Altarbild zeigt den heiligen Bruno, wie er mit seinen Büsserwerkzeugen in andächtiger Verehrung vor Maria kniet, über deren Haupt die heilige Dreifaltigkeit schwebt. Das Bild veranschaulicht die besondere Bedeutung, die die Mutter Gottes im Kartäuserorden geniesst. Das Bild ist Teil einer raumgreifenden barocken Altararchitektur aus Stuckmarmor, die durch die für die Ittinger Mönchsgemeinscha wichtigen Heiligenfiguren belebt wird: Der Kartäuserheilige Hugo von Lincoln mit seinem Schwan und der Unterstützer des Kartäuserordens, Bischof Hugo von Grenoble, flankieren das Altarbild als überlebensgrosse Standfiguren, während der Ittinger Kirchenpatron, der heilige Laurentius, sowie Johannes der Täufer das ausschweifende Gesims krönen. Letzterer ist für die Kartäuser deshalb wichtig, weil der heilige Bruno am Johannestag 1084 in die Einsamkeit gezogen ist, um seine klösterliche Gemeinscha zu gründen. Die prachtvolle Ausstattung der Kirche steht eigentlich im Widerspruch zum kartäusischen Armutsideal. Der hier betriebene materielle und künstlerische Aufwand diente allerdings nicht der persönlichen Bequemlichkeit oder der Ergötzung der Mönche. Er ist vielmehr ein angemessenes Mittel, um dem Gottesdienst höchste Feierlichkeit zuteilwerden zu lassen. Während die Klausen der einzelnen Mönche nur mit dem Nötigsten ausgestattet waren, entfaltete sich in der Kirche, dem geistlichen Mittelpunkt des Klosters, die ganze Pracht der Verheissungen eines gottgefälligen Lebens.

20 Kartause Ittingen | Kulturdenkmal


GESCHICHTE ERLE BEN Im ehemaligen Wohn- und Lebensbereich der Kartäusermönche ist seit 1983 das Ittinger Museum untergebracht, das der Geschichte des Ortes und den Eigenheiten des Kartäuserordens gewidmet ist. In den authentisch erhaltenen Räumlichkeiten öffnen sich lebendige Zugänge zu längst vergangenen Welten.

(oben) Das „Museum für Kinder“ bietet immer wieder abwechslungsreiche Veranstaltungen für junge Besucher. (unten) Das Prunkstück des reich ausgestatteten Refektoriums ist ein Winterthurer Kachelofen aus dem Jahr 1677.

Das reich ausgestattete Refektorium, die kargen Mönchszellen und die Kirche präsentieren sich so, als ob die Mönche noch in Ittingen leben und beten würden. Wer durch Kreuzgänge und Arbeitsräume wandelt, dem öffnen sich Einblicke in eine Welt, die aufgrund der strengen Ordensregeln der Kartäuser normalerweise verschlossen bleiben. Es gibt kaum einen anderen Ort, an dem sich klösterliche Lebensweise und Spiritualität lebendiger erfahren liessen. Moderne Vermittlungsinstrumente bringen dem Publikum die Schicksale von Menschen und Gebäuden näher. In der Mönchsstube kann man auf Bildschirmen in Handschriften blättern, die vor Jahrhunderten an dieser Stelle geschrieben wurden. Ein Audioguide bietet vielfältige Informationen zum Gesehenen und lässt den Besuch des historischen Ortes zu einem unvergesslichen Erlebnis werden.



E I N E I DY L L I S C H E G A RT E NA N L AG E Seit Jahrhunderten leben und arbeiten Menschen in der Kartause Ittingen und hinterlassen ihre Spuren. Im Lauf der Zeit ist eine eindrückliche Gartenanlage entstanden, in der sich Rebberge, Hopfen-, Gemüse- und Kräutergärten mit der Blütenpracht von Blumengärten zu einem einzigartigen Ganzen verbinden.


(oben) Lavendel und Rosen im Barockgarten. (klein) Hopfendolden kurz vor der Ernte Ende August.

In jeder Jahreszeit entdecken und erleben

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m Frühling und im Sommer können in den naturnah gepflegten Gärten die satten Farben von Lavendel und Pfingstrosen bestaunt, die üppigen Rosenstöcke rund um die ehemalige Klosteranlage und eine Fülle an Heilkräutern beschnuppert werden. Die Schafe und Pferde auf den Weiden wie auch die neugierigen Kälbchen im Gutsbetrieb wollen begrüsst werden. Im Hopfengarten erläutert ein Hopfenerlebnispfad, wie aus der grünen Kletterpflanze das schmackhae Ittinger Amber Bier entsteht, und im Herbst kann an der üppigen Pracht von erntereifen Früchten und Trauben entlanggeschlendert werden. Neben dem Rebhaus, verborgen unter einem Strauch, hört man das beruhigende Sprudeln der Quelle.

24 Kartause Ittingen | Der Garten

Wer sich sportlich betätigen will, steigt die 185 Stufen der Himmelsleiter im steilen Rebberg hinauf. Der malerische Blick auf die Kartause, über die ur bis nach Frauenfeld und zum Alpsteingebirge, zahlt sich aus. Der Ittinger Wald und die idyllischen ur-Wege animieren zum Joggen, Wandern, NordicWalken oder Reiten. Die Kartause verfügt zudem über eigene Fahrräder und E-Bikes, mit denen die Umgebung erkundet werden kann. Darüber hinaus laden die nahegelegenen Seen, wie der Nussbaumer- und der Hüttwilersee, die faszinierende Natur sowie die kulturellen Angebote im ganzen urgau zu überraschend vielseitigen Ausflügen ein.


(oben) Mönchshäuschen mit Rosen und Pfingstrosen im Frühsommer. (unten) Das Südtor, bewacht vom heiligen Bruno.

Grösste historische Rosensammlung der Schweiz Über 1000 Rosenstöcke mit mehr als 250 meist historischen Rosensorten verwandeln im Frühsommer die Anlage in einen romantischen Blütenzauber. Alle Rosen sind beschriet, und wer mehr erfahren möchte, nimmt die Publikation Die Rosen der Kartause Ittingen als Begleiter zur Hand. Zusammen mit der Rosengesellscha Winterthur pflegt die Stiung Kartause Ittingen die grösste historische Rosensammlung der Schweiz und macht sie der Öffentlichkeit zugänglich. „Alte“ Rosen werden mit Rosen, die in den letzten 150 Jahren gezüchtet wurden, auf sinnvolle Weise kombiniert. Farben und Formen der Blüten der mehrmals blühenden modernen Strauchrosen ordnen sich unauffällig in die Anlage ein und erzeugen im Herbst nochmals verereinzelte Farbakzente.


(oben) Barocke Formen vor einem der Mönchshäuschen. (rechts) Heilkräuter mit Beschriftungen aus dem Hortus sanitatis von 1496.

Heilpflanzen, Küchengarten und Teekräuter In der Tradition der mittelalterlichen Klostermedizin waren Heil- und Gipflanzen von zentraler Bedeutung. Die Gestaltung des Heilkräutergartens vor den Mönchsklausen wurde inspiriert von Aufzeichnungen aus dem Mittelalter, wie dem Hortulus von Abt Walahfrid Strabo und dem St.Galler Klosterplan aus dem 9. Jahrhundert sowie dem Hortus sanitatis, einem Standardwerk der historischen Pflanzenheilkunde aus dem 15. Jahrhundert. Rund 50 verschiedene, zum Teil seltene Waldoder schwierig zu kultivierende Wildpflanzen, zieren heute dieses Gärtchen. Das ymian-Beet zwischen zwei Mönchsklausen und auch das ymian-Labyrinth sind Orte der Selbstfindung und der Kontemplation. Erläuterungen zum Labyrinth finden sich auf Seite 45.

26 Kartause Ittingen | Der Garten

Der Küchengarten vermittelt die Vielfalt von Küchenkräutern und ausdauernden alten Gemüsesorten, wie sie von den Mönchen in Ittingen wohl kultiviert und täglich in der Küche verwendet wurden. Nebst diesen beiden Gärten werden auch die Teekräuterbeete entlang des Kartäuserwegs unter Mithilfe von betreuten Mitarbeitern gehegt und gepflegt. Hier gedeihen neben einer unglaublichen Fülle an verschiedenen Minzen weitere Tee- und Kräutersorten. Über 130 Kräuter werden in der Gärtnerei der Kartause Ittingen vermehrt und im Klosterladen zum Verkauf angeboten. Danebst sind auch spezielle Durosensorten angepflanzt worden für verschiedene Teemischungen und für die Herstellung des Ittinger Rosenblütengelées.


Aufmerksam lauschen die Besucherinnen, was zur Rose „Kartause Ittingen“ erzählt wird.

Garten-emenpfade durch die Klosteranlage TIPP In der Kartause Ittingen laden vier Garten-emenpfade zu einem Rundgang über die ganze Klosteranlage ein. Vier Persönlichkeiten erzählen Interessantes und Unterhaltsames zur Gestaltung, Nutzung und Geschichte der Gärten. Die attraktiv auereiteten Informationen gliedern sich in vier Bereiche: Garten und Landscha, Stille und Spiritualität, Kunst und Reflexion sowie Du und Genuss.

Den Audioguide und weitere Informationen zu den Themenpfaden gibt es beim Eingang in die Museen. Die AudioguideGebühr beträgt CHF 10.-- / 7.— und gilt gleichzeitig als Eintritt in die Museen.

Die emenpfade verführen zu einer vergnüglichen Exkursion an versteckte Orte. Hier lässt sich mehr über die Vielfalt der Gärten in der Kartause Ittingen erfahren.

Der Garten | Kartause Ittingen 27


Die Rosen im Barockgarten in schönster Blüte.

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Der Ittinger Wald Der Ittinger Wald ist eine Oase für Naturliebende und Erholungssuchende. Als erstes grösseres Waldreservat im urgau ist er heute ein wichtiger Mosaikstein in der Landscha von nationaler Bedeutung zwischen ur und Rhein. Mit seinen aussergewöhnlichen geologischen Verhältnissen, dem steten Wechsel an Standorten und dem Reichtum an Lebensgemeinschaen und Arten bietet der Ittinger Wald dem Besucher einen grossartigen Erlebnisraum und ist gleichzeitig ein Freilandlabor für Geologen und Biologen. Er zeigt sich überaus reich an Blütenpflanzen, Moosen, Pilzen und interessanten Pflanzengesellschaen. Seit vielen Jahren wird im Ittinger Wald nach alter Tradition jedes Jahr ein Kohlemeiler aufgebaut und feierlich in Betrieb genommen. Die qualitativ hochstehende Holzkohle aus Buchenholz ist im Klosterladen erhältlich. Bild: Kohlemeiler kurz vor dem „Anfahren“.


(oben) Eine der 60 Milchkühe beäugt den Fotografen neugierig. (unten links) Die in der Gärtnerei gezogenen Kräuter finden jeden Frühling regen Absatz im Klosterladen. (unten rechts) Ittinger RohmilchWeichkäsesortiment

Landwirtscha und regionale Produkte Selbstversorgung war für die Kartäuser Mönche eine Selbstverständlichkeit. Auch heute wird genutzt, was auf rund 100 Hektaren Feld, Rebberg, Wald und Gärten sowie in den Stallungen und Gewässern wächst und gedeiht. Während die Mönche in erster Linie sich selbst versorgen mussten, geht es heute darum, den Gästen in der Kartause hochwertige, lokal gewachsene und vor Ort veredelte Spezialitäten von höchster Qualität anzubieten. Die Milch der 60 Kühe wird in der eigenen Käserei zu Frischprodukten und acht verschiedenen Käsesorten verarbeitet, vom Weissschimmel-Weichkäse bis zum lang gereien Hartkäse. Mit der Molke, dem Restprodukt aus der Käserei, werden die Schweine gefüttert. In der eigenen Metzgerei wird das Kalb- und Schweinefleisch aus dem eigenen Gutsbetrieb unter

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anderem zu Rauchspezialitäten und Dauerwürsten verarbeitet. Auf den Äckern wachsen Brotgetreide, Ölsaaten und Viehfutter. Im Obstgarten reifen jedes Jahr Früchte zum Frischverzehr, für Süssmost, Dörrobst und für eine breite Palette an Edelbränden. Die Weintrauben aus den stiungseigenen Rebbergen ergeben jährlich rund 65’000 Flaschen Wein und werden in der eigenen Kellerei zu zwölf verschiedenen Weinspezialitäten gekeltert. Neben den Hauptsorten Pinot Noir und Müller-urgau werden sechs weitere Sorten angebaut. Das Angebot für die Gäste im Restaurant und für die Kunden, welche den Kartäuserwein zu Hause trinken, reicht vom Apéritifwein bis zu den schweren Roten, die zum Teil sogar in Fässern aus Ittinger Eichenholz heranreifen, oder zu einer edelsüssen Dessertvariante.


(oben) Drei Rotweine aus dem reichhaltigen Sortiment. (links) Ittinger Nussguetzli. (unten links) Apfel- und Birnbäume im Frühlingsblust. (unten rechts) Eine Müller-Thurgau-Traube kurz vor der Lese im Herbst.

In der Gärtnerei werden Küchen- und Teekräuter als Topfpflanzen vermehrt oder auf dem Feld ausgepflanzt, geerntet und gedörrt. Gemüse für die Küche und Schnittblumen für Dekorationszwecke werden frisch verwendet. Holzofenbrot aus eigenem Brotgetreide, Klostercake, Birnbrot und weitere Backwaren aus der Backstube ergänzen das reichhaltige Sortiment. Das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit bei der Pflege der Felder setzt sich fort bei der konsequenten Nutzung der kurzen Wege von der Urproduktion im Stall oder auf dem Feld bis zum Ort der Verbraucher. Auch die Energiegewinnung mittels Photovoltaik auf den landwirtschalichen Gebäuden, durch Solarkollektoren zur Warmwassergewinnung auf dem Dach des Keltergebäudes und mit einer Schnitzelheizung, gespiesen mit Brennholz aus den umliegenden Wäldern zum Heizen der Gebäude, zeigen die Sorgfalt im Umgang mit Ressourcen auf.

WEINDEGU STATION Der Weinbau spielt seit dem Mittelalter eine wichtige Rolle in der Kartause Ittingen. Bei einer Degustation in der modernen Kellerei erfahren die Gäste Wissenswertes über den Werdegang der Ittinger Weine und die hauseigene Kelterung. Bei der anschliessenden Verkostung werden die Weine zuerst mit den Augen, dann mit der Nase geprüft und schliesslich im Gaumen probiert. Von Juni bis Mitte September ist zusätzlich eine Führung durch die Rebberge buchbar.

Der Garten | Kartause Ittingen 31


G A ST F R E U N D S C HA F T

(oben) Auf dem Käsewagen präsentiert, warten die eigenen Spezialitäten auf Feinschmecker. (unten) In den milden Monaten lädt die lauschige Gartenwirtschaft rund um den plätschernden Brunnen zum genussvollen Verweilen ein.

À la carte-Restaurant Mühle – Hier dreht sich alles um den Genuss

TIPP: „0-K M-MENU“ Das Küchenteam der Kartause Ittingen verwöhnt die Gäste mit gesunden, saisonalen und mit grosser Sorgfalt zubereiteten Gerichten. Dabei richtet sich das Angebot, ganz im Sinne der klösterlichen Tradition der Selbstversorgung, nach den Erzeugnissen aus dem eigenen Gutsbetrieb. Im „0-Kilometer-Menu“, treffen 100 Prozent Eigenprodukte zu einer wahren Gaumenfreude zusammen. Die Zutaten sind von höchster Qualität und könnten frischer nicht sein, und der Beitrag zur Regionalität und CO2-Reduktion schmeckt erst noch hervorragend. Dazu begleitet ein authentischer Wein aus eigener Herstellung das Menu, serviert vom charmanten und kompetenten ServiceTeam.

32 Kartause Ittingen | Gastfreundschaft


Die Hotelzimmer – Zeitgenössische Mönchsklausen mit allem Komfort Zur Kartause Ittingen gehören 68 Hotelzimmer (111 Betten) in zwei Häusern, dem Oberen und dem Unteren Gästehaus. Angelehnt an die Kargheit einer Mönchszelle, gleichzeitig mit dem zeitgemässen Komfort eines 3*Superior-Hotels ausgestattet, werden die Doppel- und Einzelzimmer zu einem Ort der Stille und des Rückzugs. Die Gartenzimmer im Oberen Gästehaus bestechen durch ihre ruhige Lage, die naturnahe, behagliche Atmosphäre mit Fichtenholzboden und einem herrlichen Blick ins Grüne. Die Zimmer verfügen über raumhohe Fenster und Balkon oder Terrasse. Die Einzelzimmer mit Lärchenholz-Einrichtung konzentrieren sich auf raffinierte Art auf das Wesentliche. Mit puristischer Einfachheit, schlichten weissen Wänden und gegossenem Hartbetonboden stehen die grosszügigen DesignZimmer im Unteren Gästehaus für eine moderne Interpretation des klösterlichen Lebens. Die bewusste Reduktion des Intérieurs – als Erinnerung an das stille, einsame Leben der

Kartäuser Mönche – scha darin den behaglichen Luxus der Ruhe und Rückzugsmöglichkeit. Im Zentrum steht ein begehbarer Kubus aus Ulmenholz, der vom Badezimmer über den Schrank bis zum Fernseher alle notwendigen Funktionen beinhaltet. In Anlehnung an die Schrankbetten der ehemaligen Mönchsklausen, gilt der Kubus als architektonische Besonderheit, die zum Entdecken einlädt. Kann man den Tag besser starten, als mit einem gesunden, herzhaen Frühstück? Hier lockt eine Fülle an hausgemachten Köstlichkeiten. Wo immer möglich, sind die Produkte aus den eigenen Betrieben und somit automatisch saisonal – mit null Kilometern auf dem Gewissen. Knuspriges Brot aus dem Holzofen, Fleisch aus der eigenen Metzgerei, frische Milch direkt vom eigenen Gutsbetrieb, leckere Milchprodukte wie Joghurt, Butter, Molke und Käse aus der Käserei, Eier von den Freilandhühnern, Äpfel vom Hof, hausgemachte Konfitüre, Kräutertees aus der Gärtnerei und vieles mehr präsentiert sich stolz und üppig auf dem Frühstücksbuffet.

(unten) Ein Gartenzimmer im Oberen Gästehaus mit Blick ins Grüne. (links) Schon am Frühstücksbuffet präsentiert sich die Vielfalt.


TAG E N I N I T T I N G E N Inspirierende Atmosphäre für kreatives Denken Für Seminare, Tagungen und Workshops ist die Kartause Ittingen der ideale Ort in einer inspirierenden Umgebung. Bestens erschlossen, doch fernab vom Alltag, lassen sich kreative Ideen und neue Konzepte entwickeln und dank vielfältiger Angebote und Rahmenprogramme gemeinsame Erlebnisse schaffen. Teamförderung, kulturelle Aktivitäten und ausgewogene kulinarische Genüsse tragen dazu bei, die gesteckten Ziele befreiter zu erreichen. Alle 23 zur Verfügung stehenden Räume verfügen über Tageslicht und eine zeitgemässe Infrastruktur.

(oben) Frische Luft fördert kreative Ideen – eine Seminargruppe im Gärtchen vor einer Mönchsklause. (unten) Das Kurszimmer 1 im Oberen Seminar bietet Platz für 20 Personen.

34 Kartause Ittingen | Tagen


Feste feiern in der Kartause Ittingen Die Kornschütte und das Kellerhaus laden ein Die Kornschütte ist ein wunderschöner Bankettsaal für gesellige Feste aller Art. Die historische Holzdeckenkonstruktion und das durch die vielen Fenster strömende Licht geben dem Raum ein Ambiente zum Wohlfühlen. Das Foyer vor dem Saal eignet sich hervorragend für einen Aperitif vor dem Essen oder einen gemütlichen Umtrunk, um den Abend ausklingen zu lassen. Das Kellerhaus ist der ideale Ort für festliche Jubiläen, Galadinner und Hochzeitsfeiern. Der grosse Bankettsaal mit festlicher Atmosphäre besticht durch das hohe, helle Gewölbe und den edlen Terrakottaboden. Mit Kerzenschein und einer Blumendekoration aus der eigenen Floristik verwandelt sich der Gewölbekeller in einen äusserst romantischen Bankettsaal.

Tagen im Apfelgarten Wo frische Luft queres Denken unterstützt Der Apfelgarten, umsäumt von rund 150 Säulen- und zwei Hochstamm-Apfelbäumen, bietet einen erfrischenden Freiraum für kreatives Arbeiten. Der blaue Himmel, das saige Gras, die frische Lu und der Weitblick über Hopfenranken, ur und Wald, machen den Freiluraum zu einem atemberaubenden Erlebnis. Auch für Zeremonien unter freiem Himmel ist der Apfelgarten ein besonders stimmiger Ort.

Der Apfelgarten ist ein idealer Ort für eine Seminarsequenz im Grünen. Besonders stimmig ist er für eine Trauung unter freiem Himmel mit Blick über die Hopfen in die Weite des Thurtals.

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FÜRSORGE

Traditionelle Fürsorge neu interpretiert

(oben) Die Regenbogenforellenzucht wird gespiesen mit Wasser von der eigenen Quelle. (unten) Ein betreuter Mitarbeiter in der Schreinerei beim Zuschneiden von Schilf für ein Wildbienenhotel.

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Die klösterliche Tradition der Fürsorge wird in der Kartause Ittingen auf moderne Art gepflegt. Für 60 erwachsene Frauen und Männer mit einer psychischen oder geistigen Beeinträchtigung stehen geschützte Arbeitsplätze zur Verfügung. Neben der betreuten Wohnform werden sinnvolle, therapeutisch wertvolle und auf die individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse der einzelnen Personen ausgerichtete Tätigkeiten in verschiedenen Bereichen angeboten. Geschützte Arbeitsplätze werden in der Gärtnerei, bei der Umgebungspflege, in der Töpferei, Schreinerei, Malerei, Hauswartung, Hotelküche oder Lingerie sowie im Gutsbetrieb angeboten. Im Wohnheim sowie in der Wohntrainingsgruppe im Rebhaus finden 30 dieser Menschen inmitten der Kartause Ittingen auch ein Zuhause. Weitere 30 Personen, die im Alltag nicht allein bestehen können, kommen täglich von ausserhalb zur Arbeit im geschützten Rahmen.


(oben) Bei der Pflege der kleinen Herde Engadiner Schafe sind Menschen mit einer psychischen oder geistigen Beeinträchtigung miteinbezogen. (unten) Im Töpferatelier in einer ehemaligen Mönchszelle bekommt eine Tonente ihr farbiges Kleid.

Betreutes Arbeiten in der Kartause ist einzigartig Das Umfeld der Kartause Ittingen unterscheidet sich wesentlich von anderen sozialen Einrichtungen und Institutionen. Hier zu leben und zu arbeiten, ist für die beeinträchtigten Menschen eine einmalige Chance, dies nicht zuletzt, weil sie ungezwungen in Kontakt mit Restaurant- oder Hotelgästen, Seminarteilnehmern oder Besuchern von kulturellen Veranstaltungen kommen. Sie sind nicht ausgegrenzt, sondern mittendrin und Teil des Geschehens.

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DEN KLANG DER ST I L L E E N T D E C K E N Das Leben der Kartäusermönche war ganz der Kontemplation und der Suche nach Gott gewidmet. Wenngleich in Ittingen seit 1848 keine Mönche mehr leben, klingen die Stille und die Einsamkeit der Kartäuser nach. Auch heute noch kann man etwas davon spüren - und auf der eigenen Suche nach spirituellen Werten und Erfahrungen daran anknüpfen.


Auf den Spuren der MÜnche Die radikale Gottessuche der Kartäuser ist wie von einer anderen Welt. Sie befremdet und fasziniert auch heute noch.


Die Kargheit der Mönchszellen und Kreuzgänge zeugt heute noch von der radikalen Innerlichkeit der Kartäuser, die sich bei ihrer spirituellen Suche durch möglichst wenig äussere Einflüsse ablenken lassen wollten.

I

m Giebelbereich der Klosterkirche unter der Marienfigur befindet sich die Inschri „ECCE TABERNACULUM DEI CUM HOMINIBUS“, was so viel heisst wie: ‚Siehe, die Hütte Gottes bei den Menschen.’ Denkt man tiefer darüber nach, so kann man in diesem Zitat aus der Offenbarung des Johannes einen verwegenen Gedanken entdecken. Das Hauptportal der Klosterkirche markiert eine Schwelle. Diese Tür trennt den Wohnbereich der Mönche vom Wirtschashof. Wer durch dieses Tor tritt, betritt einen heiligen Raum, ist Gott näher. Die Kartäuser gingen folglich davon aus, dass ihre Kirche die Hütte Gottes bei den Menschen ist. Im Kloster, in dieser Hütte Gottes, ist man sehr nahe bei einem Stück Himmel auf Erden. Von dieser Tür sind es nur wenige Schritte zur Kirche. Hier kamen die Mönche täglich drei Mal zu Gebet und Gesang und zur Feier des Gottesdienstes zusammen. Hier pflegten sie in der Gemeinscha der Brüder ihre Beziehung zu Gott. Die Kirche ist der Ort der Begegnung, der Tempel, in dem Gott gegenwärtig ist. Die Kartäuser gingen in ihrer radikalen Gottessuche noch weiter. Eines ihrer hochgesteckten Ziele bestand darin: selber zum Tempel werden, in dem Gott wohnen kann! Diesem Ideal haben sie sich radikal verschrieben. Alle Ablenkungen, alles, was sie von diesem Sein in Gottes Gegenwart abhalten und abbringen könnte, versuchten sie aus ihrem Lebensrhythmus zu verbannen.

Im Kapitel 12 der Kartäuserregel heisst es: „Unser Bemühen und unsere Berufung bestehen vornehmlich darin, in Stille und Einsamkeit Gott zu finden.“ Schweigen, Stille und Ruhe sind für das Leben der Kartäuser von zentraler Bedeutung. Das einsame Leben in der Mönchszelle ist der Ort, wo sich das kontemplative Leben hauptsächlich abspielt. Dazu legen die Mönche ein strenges Schweigegelübde ab, und der Kontakt mit der Aussenwelt wird weitgehend abgebrochen. Dies alles bildet die Voraussetzung für ein Leben, dessen streng geregelte Abfolge von Arbeit, Studium, Kontemplation und Gebet als dauernder Gottesdienst verstanden wird. Stundengebete, Andachten, Meditationen und Studien zu fest definierten Zeiten strukturieren den Tag bis ins Detail. Sogar die Nachtruhe wird um Mitternacht durch einen über zweistündigen Gottesdienst in der Kirche unterbrochen. Gegessen wird zweimal täglich allein in der Zelle. An Sonn- und Feiertagen erhalten Tätigkeiten in der Gemeinscha mehr Raum: Neben einem zusätzlichen Chordienst in der Kirche treffen sich die Mönche im Refektorium zum gemeinsamen Mittagessen. Anschliessend begeben sie sich auf einen Spaziergang oder verweilen im Kreuzgarten. Diese Zeit nach dem Mittagessen ist die einzige Gelegenheit, bei der die Mönche miteinander sprechen. Im Kreuzgang und in den Mönchszellen erzählt die einfache Ausstattung der Räume noch heute von der Radikalität dieser strikten Lebensführung. Stille und Besinnlichkeit als wesentliche Lebensgrundlagen werden hier als Wert direkt sichtbar.

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Spirituelle Angebote im ehemaligen Kartäuserkloster

Die Kartause Ittingen bietet mit ihrer spirituellen Tradition einen idealen Rahmen, um sich mit aktuellen Fragen der Spiritualität und des Zusammenlebens auseinander zu setzen. Träger dieser Angebote ist das tecum – Zentrum für Spiritualität, Bildung und Gemeindebau. Seit 1982 ist tecum als Partnerbetrieb der Stiung Kartause Ittingen im ehemaligen Kloster ansässig, ursprünglich unter der Bezeichnung „Evangelische Heimstätte“. Die Büroräumlichkeiten befinden sich im sogenannten „Fehrenhaus“ der Kartause, südlich der Zufahrtsstrasse. „tecum“ ist Lateinisch und bedeutet: „mit dir“. Denn genau darum geht es: Menschen miteinander und mit Gott in Verbindung zu bringen. Die gemeinsame Suche nach einer zeitgemässen Spiritualität bringt verschiedenste Menschen für ein kürzeres oder längeres gemeinsames Wegstück zusammen. tecum ist zwar Teil der Evangelischen Landeskirche urgau, versteht sich aber als ökumenisch offene „Plattform“. Alle, die Stille und die Auseinandersetzung mit Glaubensfragen suchen, sind willkommen, unabhängig von einer bestimmten Konfession oder Religion.

„Heilwerden in Gottes Gegenwart“ sind einige der Angebote, die in diesen Bereich fallen.

BIL DUNG Die Bildungsangebote von tecum richten sich an Menschen, die sich schöpferisch und fundiert mit den Fragen des Lebens und ihres Glaubens auseinandersetzen möchten. Die Kursleiterinnen und Kursleiter aus verschiedenen Fachgebieten wollen dazu beitragen, dass sich Einsichten, Erfahrungen und Kompetenzen entfalten können. Im tecum verbindet sich Erwachsenenbildung mit spiritueller Orientierung und der Möglichkeit, sich im schönen Ambiente der Kartause zu erholen. Im Bildungsbereich finden sich Angebote wie Schreibwerkstätten, Kommunikationskurse, Kurse, die den Lebensphasen folgen (zum Beispiel Ehevorbereitung, paarlife, Alleinerziehende, Getrenntlebende und Geschiedene, Vorbereitung auf die Pensionierung), aber auch Angebote für Singles und spezifische emen für Frauen und Männer. Daneben werden emen wie Auseinandersetzung mit der biblischen Tradition, Zeitfragen, Ethik und interreligiöses Lernen aufgenommen. Vorträge, Lesungen und Konzerte runden das Angebot ab.

GEMEINDEBAU tecum nimmt vier Hauptaufgaben wahr:

SPIRITUA LITÄT Zur Kartause gehören Jahrhunderte des Gebets und der Stille. Daran knüp tecum bei der Gestaltung des geistlichen Lebens im ehemaligen Kloster an. Alte und neue Formen verbinden sich zu einer zeitgemässen christlichen Spiritualität. Stille Montage, Stille Wochenenden, Tage der Stille im Advent, Retraite zum Jahresanfang, Sommerliche Klangfarben, Einführung in christliche Meditation und Kontemplation, regelmässig angebotene Meditationen, Pilgertage und Seminare in der Reihe

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tecum unterstützt Menschen, die in Kirchgemeinden eine bestimmte Aufgabe erfüllen und sich dazu die nötigen Fähigkeiten aneignen wollen. Zusätzlich vermittelt tecum Impulse zur Förderung des Gemeindelebens.

GASTGRUPPEN Kirchliche Gastgruppen beider Konfessionen mit eigenem Programm buchen über das tecum-Sekretariat zu Vorzugsbedingungen. Das moderne Seminarzentrum der Kartause bildet einen idealen Rahmen für Retraiten von kirchlichen Gruppen und Behörden oder Kirchenchören.


Feiern, beten, meditieren Die Suche der Kartäuser nach Stille und Einsamkeit wird in Ittingen in moderner Form weiter gepflegt. Gebet und Gottesdienst sind noch immer ein wichtiger Grundpfeiler des Alltagslebens in der Kartause Ittingen. Die Klosterkirche ist das Herzstück der Kartause. In Momenten, wo in ihr Lieder erklingen oder Psalmen gebetet werden, entfaltet sie ihre ganze Kra und Schönheit und wird zum Ort der spirituellen Erfahrung. Zweimal pro Woche finden in der Klosterkirche Morgengebete statt, bei denen auch die Hotelgäste herzlich willkommen sind. Es ist eine besondere Erfahrung, sich wie die Mönche vor Jahrhunderten im altehrwürdigen Chorgestühl zum Gebet zu treffen. In der wärmeren Jahreszeit findet einmal in der Woche die Atempause am Mittag statt. Viele Besucherinnen und Besucher lassen sich spontan einladen und geniessen einen kurzen Moment der Unterbrechung, des Innehaltens und der inneren Sammlung in der Betriebsamkeit des Alltages. Daneben werden in der Klosterkirche spezielle Gottesdienste gefeiert, die das Angebot in den Kirchgemeinden ergänzen. Dazu gehören Segnungsfeiern, das österliche TaizéSingen und das offene Singen im Advent. Geführte Meditationen im Raum der Stille finden immer am zweiten Mittwochabend im Monat statt. Zeiten der Meditation sind wohltuende Momente der Entschleunigung und helfen, sich in die innere Achtsamkeit einzuüben. In den Meditationen wird am Erbe der Kartäuser angeknüp. Christliche Meditation und Kontemplation werden geübt, man geht von einem Wort aus der Bibel aus und lauscht in der Stille, was es einem zu sagen hat.

TIPP Die aktuellen Daten der Tagzeitengebete, Gottesdienste und Meditationen sind im Veranstaltungskalender der Kartause Ittingen aufgeführt, der an der Réception erhältlich ist. Im Internet gelangt man unter www.tecum.ch zur Agenda, die auf aktuelle Veranstaltungen und Kurse hinweist.

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TIPP

Spirituelle Orte Die Kartause Ittingen bietet im inneren Klosterbereich, aber auch ausserhalb der Klostermauern viele reizvolle Orte, die man auf eigene Faust entdecken kann und die einen auf der eigenen spirituellen Suche anregen können. Das jahrhundertelange Schweigen der Mönche ist an diesem Ort immer noch spürbar, strahlt ab von den Mauern, liegt in der Lu. Es lohnt sich, darauf zu lauschen. In sich hineinhorchen, den Weg zu sich selber finden, dem göttlichen Grund des Seins begegnen – gerade auch in der heutigen Zeit sind das grundlegende Erfahrungen, um sich in der Betriebsamkeit und Hektik nicht zu verlieren. Viele Menschen sagen, dass sie hier in eine andere Welt eintreten und etwas von dem spüren, wie die Welt sein könnte. Ein Ort des Friedens, ein kleines Stück Himmel auf Erden. Und manche sagen, dass für sie die Kartause Ittingen ein Ort der inneren Verwandlung ist. Hier kommen sie in Berührung mit etwas Grösserem – und gehen verändert weiter. Wer sich in die Klosterkirche setzt, kann viel entdecken. Über dem barocken Hochaltar leuchtet ein gelbliches Fenster, das „oculus Dei“, zu Deutsch „das Auge Gottes“. Frühmorgens bei Sonnenaufgang fällt durch dieses Fenster ein saner Lichtstrahl in den Kirchenraum – ein Bild stellvertretend dafür, dass die göttliche Wirklichkeit auch im Hier und Jetzt präsent ist. Wie

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Einer von vier Garten-Themenpfaden führt unter dem Stichwort „Stille und Spiritualität“ auf einen Rundgang durch die Klosteranlage. An verschiedenen Orten innerhalb und ausserhalb der Klostermauern kann man interessante Hintergründe erfahren und bekommt spirituelle Impulse zur eigenen Vertiefung. Der Audioguide und weitere Informationen sind beim Eingang in die Museen erhältlich.

die meisten Kirchen ist auch die Klosterkirche nach Osten ausgerichtet, zur aufgehenden Sonne hin. Das, was vom Osten kommt (Lateinisch „orient“) gibt uns Orientierung. An solch einem Ort stellen sich fast automatisch Fragen zu dem, was unser Menschsein ausmacht und trägt: Woran orientiere ich mich? Gibt es einen Bezugspunkt in meinem Leben, der ausserhalb von mir liegt? Woher wachsen mir Werte, Kra, Hoffnung zu? Oder genüge ich mir selber? Bin ich das Mass aller Dinge? Bin ich auf mich selbst zurückgeworfen? Nebst der Klosterkirche lädt der Raum der Stille ein, in das Schweigen und die Ruhe einzutauchen. In diesem Raum beim kleinen Kreuzgang wird die Lebensweise der Mönche erfahrbar. Wer sich auf einen Moment der Ruhe und Stille einlässt, kann erfahren, dass Schweigen mehr ist als nicht reden. Schweigen kann eine Form der Konzentration sein, die über den Zustand der Leere hin zum Wesentlichen führt und uns öffnet für die Gegenwart Gottes. In der Kartause tri man auf Schritt und Tritt auf beschauliche Orte: das Plätschern des Brunnens im Rosenpavillon des grossen Kreuzgartens, das ymian-Labyrinth, die Quelle ausserhalb der Klostermauer beim oberen Fischteich, der weite Ausblick von der Martinskirche über dem Rebberg ins Alpsteinmassiv.


Im Labyrinth unterwegs zur Mitte Innerhalb der Klostermauern, etwas versteckt hinter Rosen und Büschen, findet sich in der Kartause Ittingen ein Labyrinth, das 1999 durch das tecum und die Stiung Kartause Ittingen angelegt wurde. Gebildet wird die Figur durch kreisförmige, in die Mitte führende Wege, die durch Hunderte von ymianpflanzen begrenzt sind. Vom Rand bis zur Mitte misst das Labyrinth acht Meter Lulinie, doch auf dem Pfad sind 205 Meter bis ins Zentrum zu gehen. Das Labyrinth ist ein Ursymbol der Menschheit, das sich in vielen Kulturen findet. Das Gemeinsame an den unterschiedlichen Formen liegt darin, dass es sich stets um einen gewundenen Weg zu einer geheimnisvollen Mitte handelt. Als Symbol verstanden, kann dieser gewundene Weg zur Mitte als Sinnbild unseres Lebens gedeutet werden. Im Gegensatz zu einem Irrgarten, der verwirren will, führt der Weg des Labyrinths sicher zur Mitte. Obwohl der Weg keine Wahlmöglichkeiten kennt, ist er keineswegs übersichtlich. Es gibt weite und enge Kreise, Richtungswechsel und Wendepunkte. Bisweilen wähnt man sich am Ziel und ist es doch nicht. Schritt für Schritt geht es vorwärts. Alles dreht sich um die Mitte. Auf sie geht alles zu, aus ihr kommt alles. Angekommen in der Mitte, wird ein Marschhalt eingelegt, ein Moment des Innehaltens, der Leere, des Lauschens … Bleiben kann man nicht. Es braucht den Rückweg, der ebenso geduldig anzugehen ist wie der Hineinweg. Das Labyrinth in der Kartause ist ein Angebot zur Verlangsamung. Wer sich Zeit nimmt, kann etwas erfahren: über sich, über den Lebensweg und über den göttlichen Ursprung, aus dem alles Leben quillt und zu dem hin wir geschaffen sind. Manchmal lohnt es sich, einen Umweg zu machen.

DREI L ABYRINTHÜBUNGEN Einen Fuss vor den anderen setzen und langsam zur Mitte gehen. Im Zentrum die Eindrücke und Gedanken allmählich setzen lassen und sich dann auf den Rückweg machen. Das Gehen rhythmisieren: jeweils zehn Schritte gehen, dann still stehen und dreimal tief atmen, wieder zehn Schritte gehen, still stehen, usw. Dabei eine bewusst formulierte persönliche Frage innerlich mittragen, eine Herausforderung, ein Problem - und offen sein für Einfälle, Ideen und gute Gedanken. Auf dieselbe Art zur Mitte wandern und dabei Fragen bewegen. Beim Hineingehen „Woher komme ich?“, in der Mitte „Wer bin ich?“ und beim Hinausgehen „Wohin gehe ich?“. Anschliessend die Zeit reflektieren und nachklingen lassen. Dabei sich noch einmal bewusst machen, was einem nahegekommen ist.

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K U N ST IN BESONDERER UM G E BU N G Im gleichen Gebäudekomplex wie die historischen Räumlichkeiten des Ittinger Museums befinden sich die Ausstellungsräume des Kunstmuseums urgau. Seit 1983 werden hier Werke aus der kantonalen Kunstsammlung gezeigt und attraktive Wechselausstellungen veranstaltet.


Neue Sichtweisen in altem Gemäuer

E

in zentraler Ausgangspunkt für die Museumsarbeit ist der für ein Kunstmuseum doch nicht ganz gewöhnliche Ort. Das besondere Umfeld des ehemaligen Klosters legt die Auseinandersetzung mit besonderen emen nahe: Die eigene Sterblichkeit oder das Verrinnen von Zeit, aber auch die Eigenheiten von Idyllen und deren Entlarvung können hier in Ittingen in einzigartiger Weise behandelt werden. Die Attraktivität des Ortes ermöglicht es, dass immer wieder auch weltbekannte Künstlerinnen und Künstler zu einer Zusammenarbeit verführt werden können. Einen weiteren Schwerpunkt im Programm des Kunstmuseums bildet die Auseinandersetzung mit dem Schaffen von Künstlerinnen und Künstlern der Bodenseeregion. Die lebendige Kunstszene im weiteren Umfeld des Kunstmuseums bietet viele unkonventionelle Positionen, die im lebendigen Dialog mit dem globalen Kunstdiskurs stehen.

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Die Kunst von Aussenseitern ist ein drittes Kompetenzfeld des Museums. Den Kern dieser Aktivitäten bildet der im Museum deponierte Nachlass des Berlinger Malers Adolf Dietrich (1877–1957), um dessen Werk herum in den letzten 40 Jahren eine einzigartige Sammlung von naiver Kunst, Art Brut und anderen unkonventionellen Kunstäusserungen entstand. Die drei Schwerpunkte des Museums führen zu immer wieder attraktiven Werkkonstellationen. Da können die unkonventionellen Arbeiten eines Aussenseiters auf das Werk von weltbekannten Künstlern treffen, was die Auseinandersetzung mit der einen wie der anderen Haltung entscheidend bereichern kann. Dadurch wird ein Gang durch die Museumsräume zu einem anregenden und überraschenden Erlebnis, in dessen Verlauf sich selbst für Kunstkenner immer wieder neue Sichtweisen eröffnen.


Hannes Brunner – Der Sterndeuter

Joseph Kosuth – Der Denker Das Kunstmuseum urgau besitzt drei bedeutende Arbeiten des weltbekannten Konzeptkünstlers Joseph Kosuth. Im Grossen Ausstellungskeller liegt die Rauminstallation Eine verstummte Bibliothek und an der Fassade leuchtet das Werk Das Dasein und die Welt. Joseph Kosuth (*1945) gehört zu den Pionieren der Konzeptkunst der 1960er-Jahre. Für ihn und seine Kollegen ist die Sprache das Ausdrucksmittel des Künstlers. Dabei nutzt er keine eigenen Texte, sondern er grei auf Gedanken von Philosophen und Denkern aus mehreren Jahrhunderten zurück, etwa auf Johann Wolfgang von Goethe, Walter Benjamin oder Sigmund Freud. Sein Credo fasst er in der Feststellung zusammen: „Künstler arbeiten nicht mit Formen und Farben, sie arbeiten mit Bedeutung.“ Für die Arbeit an der Fassade der Kartause hat Joseph Kosuth ein Zitat des deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche ausgewählt: „Denn nur als ästhetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt“ ist da zu lesen. Wie ist das von Joseph Kosuth ausgewählte Zitat zu verstehen? Für Friedrich Nietzsche ist das „ästhetische Phänomen“ eine Fähigkeit. Er schreibt: „Im Grunde ist das ästhetische Phänomen einfach; man habe nur die Fähigkeit, fortwährend ein lebendiges Spiel zu sehen und immerfort von Geisterscharen umringt zu leben, so ist man Dichter; man fühle nur den Trieb, sich selbst zu verwandeln und aus anderen Leibern und Seelen herauszureden, so ist man Dramatiker“. Nietzsche versteht unter dem „ästhetischen Phänomen“ eine Fähigkeit, eine besondere Art, die Welt zu sehen, zu verstehen und sich in ihr zu bewegen. Nur durch die Kunst oder eine künstlerische Sichtweise im weitesten Sinne lassen sich das Dasein und die Welt überhaupt erfahren und verstehen, so kann Nietzsche in Kosuths Sinn verständlich werden.

Hannes Brunner bezieht sich in seiner Installation Sternennebel auf eine antike eorie der Sphärenharmonie: Pythagoras behauptete, dass jeder Stern wie jeder sich bewegende Körper einen von Grösse und Schnelligkeit abhängigen Klang erzeuge. Im Universum vereinigten sich diese Töne zu einer ununterbrochen erklingenden Musik. Diese Sphärenklänge könnten allerdings von den Menschen nicht wahrgenommen werden. Deshalb baut Hannes Brunner aus Dachlatten, Karton und Drähten absurd wirkende Sternbildersymbole. Jede Konstruktion wird durch eine Lautsprechergruppe aus Kartonschachteln bestimmt. Aus diesen erklingen die unhörbaren Sphärenklänge. Natürlich tönen aus den gebastelten Kartonschachtellautsprechern keine Musik und schon gar keine Sphärenklänge. Und ebenso wenig funktionieren die Dachlattenzeichnungen als Instrumente der Sternenforschung. Brunners Installation zielt vielmehr darauf ab, sichtbar zu machen, dass es auch in der heutigen Welt der Naturwissenschaen Unsichtbares und Unhörbares gibt. Das Kunstwerk will nicht selbst sichtbar machen oder belehren. Es will lediglich offenlegen, dass es durchaus Dinge geben könnte, die weder zu hören noch zu sehen sind – und die es dennoch gibt, wie die Sphärenklänge der Antike.

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Christoph Rütimann – Der Donnerkünstler Christoph Rütimanns Blechwand ist speziell für den Korridor des Museums geschaffen worden. Das Werk besteht aus fünf raumhohen Blechen, die in einem Traggestell frei hängen. Gehen Menschen am Objekt vorbei, beginnen die einzelnen Bleche zu vibrieren und erzeugen einen donnernden Klang. Früher nutzte Christoph Rütimann solche Bleche als Instrument in seinen Klangperformances. Hier im Museum können die Besucherinnen und Besucher die Bleche bespielen und so überraschende Klang- und Raumerfahrungen erleben. Eine weitere Wandarbeit von Christoph Rütimann findet sich im Foyer des oberen Gästehauses.

Jenny Holzer – Die Moralistin Die Bänke von Jenny Holzer im Klostergarten der Kartause Ittingen sind heimtückisch. Auf den ersten Blick sind sie ganz harmlos: Steinbänke in einem idyllischen Park mit einer Inschri versehen. Wer da neugierig mit Lesen beginnt, für den verwandelt sich die Parkbank mit einem Schlag in einen Ort des Schreckens. Die in den Stein geschriebenen Texte schildern Gewalt, Vergewaltigung, Tod; jede Bank aus einer anderen Perspektive, nämlich aus der Sicht des Opfers, des Täters und der eines Beobachters. Beim Lesen der Texte steigen im Kopf des Betrachtenden Bilder auf, genährt aus dem kollektiven Bildgedächtnis von Film, Fernsehen und Zeitung. Die Lücken im Text werden von der eigenen Fantasie gefüllt, wobei eine unüberwindbare Verschiedenartigkeit entsteht zwischen den inneren Bildern und der beschaulich unschuldigen Umgebung des Klostergartens. Die Störung der Idylle ist Programm und beginnt bereits im Titel Lustmord. Die Lustmordtexte entstanden als Reaktion der Künstlerin auf die Kriegsgeschehen in Ex-Jugoslawien im Jahre 1993, im Speziellen auf die Berichte und Zeugenaussagen, die von organisierten Massenvergewaltigungen und Sexualverbrechen in den Kriegsgebieten berichteten. Mit ihren Texten zwingt Jenny Holzer ihr Publikum, sich den eigenen Fantasien und Schreckensbildern zu stellen, da sie selbst keine Bilder liefert. Das Grauen wird nicht gezeigt, sondern hervorgerufen. Die Künstlerin nutzt nur Buchstaben, Wörter, Sätze: spröde kleine Formen ohne Sinnlichkeit. Erst unsere eigene Fantasie übersetzt die Worte in Bilder des Schreckens, in Gefühle der Abscheu und der Lust. Und so werden wir in der Auseinandersetzung mit den Arbeiten von Jenny Holzer immer auf uns selbst, auf unsere eigenen Gefühlswelten zurückgeworfen.

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Helen Dahm – Die Moderne Helen Dahm gehört zu den wichtigsten Künstlerpersönlichkeiten mit Wurzeln im urgau. Aufgewachsen in Kreuzlingen, erhielt sie eine erste akademische Ausbildung in Zürich, zog aber bald nach München, wo sie, angeregt durch die Expressionisten im Umfeld des Blauen Reiters, ihre Malerei in neue Bahnen lenkte. Das Selbstbildnis als Malerin von 1927 ist ein Dokument, welches die Künstlerin nach ihrer Ausbildungszeit in München in einer gefestigten und äusserst arbeitsreichen Lebensphase zeigt. Helen Dahm stellt sich selbstbewusst als Malerin dar, mit kritischem, ja strengem Blick und mit vier Pinseln in der Hand. Mit den reinen Farben am Pinsel bekennt sich die Künstlerin zu einer expressiven Ausdrucksform, und auch der kubistisch verschachtelte Hintergrund macht deutlich, dass in ihren Augen die akademischen Konventionen des Bildauaus und der Farbigkeit keine Gültigkeit mehr besitzen. Eine rote Rose, Symbol der Liebe, klemmt zwischen Staffelei und Leinwand: ein Hinweis auf die seelische Befindlichkeit der Künstlerin?

Adolf Dietrich – Der Naive Adolf Dietrichs Lebensgeschichte liest sich wie ein sentimentaler Roman. Aufgewachsen in armen, kleinbäuerlichen Verhältnissen verdiente er seinen Unterhalt als Waldarbeiter und Tagelöhner. Zum Malen und Zeichnen blieben ihm nur die Sonntage, und die Ratschläge von vorbeireisenden Künstlern bildeten seine einzige Ausbildung. Trotzdem entstand im Verlauf der Jahre eine stattliche Anzahl an Ölbildern, und auch der Erfolg kam in der Gestalt eines deutschen Kunsthändlers, der die Werke Dietrichs ab 1925 bald in ganz Deutschland verkaue. Heute gilt Adolf Dietrich als der wichtigste Schweizer Künstler des 20. Jahrhunderts, und seine Werke werden in Auktionen schnell einmal zu sechsstelligen Frankenbeträgen gehandelt. Im Kunstmuseum sind ständig Hauptwerke von Dietrich zu sehen, die nicht zuletzt auch Künstlerinnen und Künstler immer wieder neu in ihren Bann zu ziehen vermögen.

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Janet Cardiff – Die Verführerin

Hans Krüsi – Der Blumenverkäufer Viele Leute kannten Hans Krüsi als Blumenverkäufer an der Zürcher Bahnhofstrasse. Da ihm eine Gärtnerlehre verwehrt geblieben war, verdiente er jahrelang seinen Lebensunterhalt, indem er täglich von St.Gallen nach Zürich fuhr, um dort in der eleganten Einkaufsstrasse seine selbstgebundenen Blumensträusse anzubieten. Irgendwann um 1980 merkte er, dass sich mit dem Verkauf seiner selbstgezeichneten Postkarten oder Papierservietten mehr Geld verdienen liess. In der Folge entstand ein riesiges, mehrere 1’000 Arbeiten zählendes Werk, in dem eine überbordende Kreativität und Experimentierlust zum Ausdruck kommt. Seine Neuinterpretationen traditioneller Alpaufzugsbilder oder aber seine Fotokopien und Collagen gehören zu den überraschendsten Kreationen der Aussenseiterkunst. In Ittingen werden ständig wechselnde Werkgruppen von ihm gezeigt.

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Ein ganz spezielles Erlebnis bietet der Ittingen Walk der kanadischen Künstlerin Janet Cardiff. Ausgerüstet mit Kopörern und iPod begeben wir uns auf einen Weg durchs Kloster. Wie aus dem Nichts tritt plötzlich eine fiktive Person zu uns. Ihre Anweisungen führen uns in verborgene Winkel und Ecken. Nicht Daten und Fakten werden vermittelt. Die Begleiterin legt vielmehr einen poetischen Erzählstrang aus, der den Ort ganz neu und überraschend erleben lässt. Erzählungen, Geräusche und Klänge spannen einen Raum auf, der wie eine Parallelwirklichkeit die sichtbare Welt begleitet. Elemente aus Vergangenheit und Gegenwart – Fluglärm und das Schweigen der Kartausermönche, Kriegslärm und historischer Ittingersturm – mischen sich mit einer verführerischen Beziehungsgeschichte zu einer verwirrenden Erfahrung. Angesprochen auf den Ittingen Walk meint Janet Cardiff: „Meine Arbeiten erlauben es, sich zu vergessen, sich aber dennoch lebendig zu fühlen. Die ,Walks‘ lassen dich denken, du seist Teil einer anderen Person. Die Welt wird zum Film und du wirst Teil einer Traumsituation.“ Und wenngleich der Kopfhörer an der Kasse zurückgegeben wird, so behält die Welt nach dem Gang durchs Kloster wenigstens einen Hauch von Traumhaigkeit und Irrealität. Unauslöschbar bleibt eine Ahnung von der Zerbrechlichkeit und Scheinhaigkeit dessen zurück, was wir üblicherweise Realität nennen.


Zilla Leutenegger – Die Schattenspielerin Im dunklen Keller sitzt eine Frau auf der Treppe. Wobei – die Frau selbst ist gar nicht da! Nur ihr Schatten ist an der Wand zu sehen. Hier wippt die schöne Silhouette mit ihren schlanken Beinen auf der Treppenstufe vor und zurück, während ihre Hände um die Knie geschlungen sind. Später berührt sie ihre Zehen, spielt mit ihren Fingern, scheint ganz in sich selbst versunken zu sein. Was macht diese Frau, von der wir nur die Konturen kennen? Meditiert sie in der Stille und Einsamkeit des ehemaligen Kartäuserklosters? Oder sitzt sie nur da, in einem Moment der absichtslosen Unachtsamkeit? Langweilt sie sich gar, vergessen und allein in dieser dunklen Ecke des geheimnisvollen Raums? Der Schatten auf der Wand ist Teil der Arbeit Scala von Zilla Leutenegger, die die Künstlerin für den ehemaligen Weinkeller der Kartause geschaffen hat. „In meinen Arbeiten“, so die Künstlerin „geht es viel ums Alleinsein. Meine Figur ist immer allein.“ In ihrem Alleinsein ist die Figur ganz auf sich selbst zurückgeworfen und sie scheint immer ebenso anwesend wie abwesend zu sein. Fragen nach den Grundbedingungen menschlicher Existenz drängen sich auf. Der dunkle Keller steht nicht mehr nur für den Raum selbst, sondern auch für die Befindlichkeit des Menschen darin, und der Schatten wird zur Warnung davor, dass längst nicht alles, was sichtbar ist, auch der Realität entspricht.

Christine & Irene Hohenbüchler – Die Teamarbeiterinnen Im Projekt Wilde Gärten von Christine und Irene Hohenbüchler wurde 2003 die Frage nach Autorscha und Kreativität aufgeworfen. Die Zwillingsschwestern legten zusammen mit betreuten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kartause Ittingen auf dem Gelände des Klosters neun Gärten an. Deren Form und Inhalt wurden weitgehend durch die Betreuten bestimmt. Die kreativen Vorstellungen der Behinderten verbanden sich mit den ästhetischen Überzeugungen der Künstlerinnen zu einer Einheit. Diese Form der Teamarbeit nennen die Hohenbüchlers „multiple Autorscha“. Das Konzept einer multiplen Autorscha bricht nicht nur mit dem Geniekult in der Kunst. Es unterläu auch fundamental das Starsystem des heutigen Kunstmarkts. Heute gibt es nur noch einen letzten Überrest des Projektes zu bestaunen, etwa den Panther von Franz Spangaro. Um das Projekt im Museum dennoch sichtbar zu halten, entwickelten die Geschwister Hohenbüchler für das Museum ein Ausstellungsmöbel. Diese Möbelskulptur ist gleichzeitig künstlerisches Objekt und funktionales Präsentationsinstrument.

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(oben) Das Atelier im Kunstmuseum steht Kindern und Erwachsenen zur künstlerischen Betätigung offen. (unten) Nicht nur im Museum, auch auf dem Gelände der Kartause und dem nahegelegenen Wald finden Führungen statt.

Museumsangebote Was erleben im Museum? Kein Problem! Die Museen in der Kartause bieten vielfältige Angebote, um sich vertie mit Kunst oder mit Geschichte zu beschäigen: – Geführte Rundgänge öffnen die Augen für die Schönheiten von Bildern und die Lebensform der Mönche. – Vorträge und Diskussionen erschliessen die Geheimnisse von Kunst und Geschichte. – Im Atelier kann selbst Hand angelegt werden, damit Vergangenheit und Bildwirklichkeiten real werden. – Vernissagen bieten Gelegenheiten, für Begegnungen und Gespräche mit Kuratoren und Künstlern. Das reiche Programm zu den Angeboten findet sich unter www.kunstmuseum.ch. Schicken Sie uns Ihre Adresse auf sekretariat.kunstmuseum@tg.ch, und wir laden Sie gerne zu den Veranstaltungen ein.

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Kulturelle Vielfalt Ittinger Pfingstkonzerte und Ittinger Sonntagskonzerte

Die Kartause hat sich längst als ein Ort für hochkarätige klassische Konzerte etabliert. Die traditionellen Ittinger Pfingstkonzerte und die abwechslungsreichen Sonntagskonzerte ziehen jährlich Klassik-Liebhaber auch von weither an. Mit hervorragender Akustik in stimmungsvollem Ambiente sind die Konzerte ein wahrer Hörgenuss. Dank der hervorragenden Zusammenarbeit der Stiung Kartause Ittingen mit der professionellen und bestens vernetzten Hochuli Konzert AG sind immer wieder Welklassemusikerinnen und –musiker in der Kartause Ittingen zu Gast. Das ehemalige Kartäuserkloster gibt den KammermusikKonzerten den besonderen Rahmen. Inmitten der historischen Gebäude und der traumhaen Gärten klingt die Musik noch lange nach.

(oben) Pfingstkonzerte 2017 - Konzert in der Klosterkirche mit Isabelle Faust, JeanGuihen Queyras und Alexander Melnikov. (unten) Pfingstkonzerte 2017, Konzert in der Remise, auf der Bühne AKAMUS, Akademie für alte Musik Berlin.

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Erlebnisideen auf einen Blick Ittinger Museum – Das Leben der Kartäusermönche Auf einem Rundgang durch das authentisch erhaltene Kloster erfahren Sie mehr über die Lebenswelt der Kartäuser und die wechselvolle über 900-jährige Geschichte dieses Ortes. CHF 120.– pro Führung zuzüglich Museumseintritt. Pro Gruppe max. 25 Personen, Dauer 90 Minuten.

Unkonventionell kreativ – Malen mit Spielzeugautos und anderen Kuriositäten Freude am Experimentieren und Lust am Hantieren stehen im Zentrum dieses Workshops. Farbe und unübliche Werkzeuge werden garantiert zu überraschenden Farbspuren und Bilderfindungen animieren, sei dies als Einzelwerk oder als Gruppenbild – Malen oder Zeichnen ist nicht nur etwas für Geübte! Der Workshop in der Atelierklause soll ein farbiger Kontrast zum Alltag sein. Und wer weiss, vielleicht schmückt ein kreatives Werk später eine Wand bei Ihnen und erinnert daran, dass gelungene Resultate auch mit unkonventionellen Mitteln erreicht werden können. CHF 250.– für Workshop inkl. Material, für Gruppen bis 10 Personen, Dauer ca. 45 bis 75 Minuten.

Selber käsen leicht gemacht Alles beginnt mit einem Holzfeuer, einem grossen Kupferkessel, Rohmilch und Pilzkulturen. Wie daraus der würzige Burgherrenkäse entsteht, können Sie unter Anleitung unseres Käsemeisters selbst erleben – am Ende haben Sie etwa 6 kg Käse produziert. Bis zur gewünschten Reife bleibt er in unserem Keller (ca. 3 bis 6 Monate). Danach wird Ihnen der Laib zugeschickt, oder wir bereiten an Ihrem nächsten Anlass bei uns aus Ihrem Käse ein feines Fondue zu. CHF 700.– pauschal inkl. Degustation verschiedener Käsesorten während des Anlasses. Pro Gruppe max. 30 Personen, Dauer 1.5 bis 2.5 Stunden.

Erholungsraum und Waldreservat – Rundgang im Ittinger Wald Das Holz aus dem Ittinger Wald wurde bereits zur Klosterzeit zum Bauen und Heizen genutzt. Auf einem Spaziergang erleben Sie Lichtspiel, Atmosphäre, Farben, Du und Temperatur dieses

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einmaligen Erholungsraums. Sie erfahren viel über die Aspekte der Waldwirtscha, Flora und Fauna im Waldreservat, die Bedeutung des Waldes für das Kloster damals und heute. Interessant sind auch die Ratschläge des ehemaligen Klosterverwalters Josephus Wech aus dem Jahr 1745 zur Waldbewirtschaung. CHF 200.– pro Führung, pro Gruppe max. 25 Personen, Dauer ca. 60 Minuten.

Die Gärten der Kartause Ittingen – Idylle, Genuss, Inspiration Auf dem Spaziergang durch die eindrückliche Garten- und Klosteranlage erfahren Sie viel über Leben und Arbeit der Menschen an diesem Ort in vergangener Zeit und heute. Vom ymianLabyrinth über den Heilkräutergarten bis zu Obstplantagen und der grössten historischen Rosensammlung der Schweiz treffen historische Zeugnisse und heutige Nutzung unmittelbar aufeinander. Rebberge, Hopfen- und Gemüsegärten bilden mit der Blütenpracht von verschiedensten Blumen und Kräutern ein einzigartiges Ganzes. CHF 120.– pro Führung zuzüglich Museumseintritt. Pro Gruppe max. 25 Personen, Dauer 90 Minuten.

Ittinger Schnitzeljagd – Entdecken auf eigene Faust Die Ittinger Schnitzeljagd führt Sie an verschiedene, zum Teil verborgene Orte auf der ganzen Anlage, vom Gutsbetrieb über den Hof in die Gärten, zur Quelle, auf die Himmelsleiter, zu den Museen und zum Weiher. Mit einigem Kombinationsgeschick lernen Sie auf diese Weise versteckte Winkel der ehemaligen Klosteranlage kennen, die Ihnen sonst verborgen blieben. An der Réception wird Ihnen eine Karte ausgehändigt, auf Wunsch platzieren wir beim Ziel eine Belohnung für die Gruppe. CHF 7.– pro Person, ideal für 3 bis 12 Personen, Dauer ca. 60 Minuten.

Die Angebote können unter info@kartause.ch oder per Telefon +41 52 748 44 11 bestellt werden. Unser Team berät Sie gerne. Alle Veranstaltungen sind auf unserer Webseite www.kartause.ch zu finden – dort kann auch unser Newsletter abonniert werden.


Unsere hausgemachten Produkte finden Sie im Klosterladen oder online Ăźber unseren Web-Shop www.kartause.ch


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