WEITBLICKE - Dresden und Umgebung

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Labhards

WEITBLICKE Dresden und Umgebung

6,80 Euro

22 Aussichtspunkte und ihre Geschichten


Der mittelalterliche Höckrige Turm des Meißner Doms beeindruckt mit seinem schlanken, von einer Kreuzblume gekrönten Maßwerkturmhelm nach dem Vorbild des Freiburger Münsters.

Herausfordernde 397 Stufen zählt die Spitzhaustreppe durch die Radebeuler Weinberge.


I N H A LT Kuppel der Dresdner Frauenkirche Durch die „Steinerne Glocke“

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Turmtrio im Dresdner Süden Sehen und gesehen werden

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Ernemann-Turm der Technischen Sammlungen Dresden Markenzeichen einer Branche, einer Stadt

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Dachplattform des Lingnerschlosses in Dresden Das gerettete Juwel

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Turm der Kreuzkirche Dresden Dem Himmel ein Stück näher

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Türme des Meißner Burgberges Auf verschlungenen Wegen ans Ziel

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Leuchtturm Moritzburg Illusion in Perfektion

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EDI TOR I A L

Weinsichten in Radebeul Im Winzerparadies

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Malakowturm am Marienschacht in Bannewitz Überm Elbtal eine Festung

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Türme der Burg Stolpen Gepriesen und geächtet

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König-Friedrich-August-Turm Löbau Je weiter der Blick, desto freier das Herz

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Haselbergturm in der Königsbrücker Heide Die neue Wildnis der Lausitz

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Literatur und Quellen Impressum

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Beim weiten, unverstellten Blick in die Landschaft, über Städte, Flüsse, Seen, Wälder, breitet sich unweigerlich ein Gefühl der Ruhe aus. Wer hoch hinauf geklettert ist, um großartige Aussichten zu genießen, und die Geräusche des Alltags am Boden zurücklässt, dem offenbart sich von oben manch Neues und vieles, das sonst verborgen bleibt. Kein Wunder, dass Aussichtspunkte und -türme als Ausflugsziele unvermindert hoch in der Besuchergunst stehen. In Weitblicke haben 22 sehenswerte Orte in Dresden und der näheren, aber auch etwas weiteren Umgebung einen besonderen Auftritt. Bei ihren Touren von Aussicht zu Aussicht durch Ostsachsen wollten die Weitblicke-Autoren mehr wissen als die üblichen Fakten zu Turmhöhe und Anzahl der Stufen – wovon sie übrigens stolze 2.500 erklommen haben. Sie wurden fündig und erzählen Ihnen in zwölf Beiträgen kurzweilige, oft unvermutete Geschichten zu Bauwerken und Naturschönheiten. Im Zusammenspiel mit den ausdrucksstarken Bildmotiven des Dresdner Fotografen Sylvio Dittrich schauen die Artikel hinter dicke Mauern, in Vergangenheit und Gegenwart, auf Persönlichkeiten mit Charisma. Kurz und gut: Auf den folgenden Seiten möchten wir Sie inspirieren, Bekanntes und Unbekanntes aus einem neuen Blickwinkel zu entdecken – zuerst beim Lesen und bestenfalls im Anschluss mit eigenen Augen direkt vor Ort. Ihr Weitblicke-Team

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KUPPEL DER DRESDNER FRAUENKIRCHE

DURCH DIE „STEINERNE GLOCKE“ Zur Weihnachtszeit leuchtet alljährlich ein Herrnhuter Stern in der Laterne der Frauenkirche. Die Blicke wenden sich ihm ganz automatisch zu, egal ob die der Dresdner oder der abertausenden Touristen, die über die Märkte schlendern. 1,90 Meter im Durchmesser misst der einmalige Stern, eine Sonderanfertigung und einer der größten, der jemals die Herrnhuter Werkstätten in der Oberlausitz verließ. Seit 2004 krönt er im Advent die Kuppel des Gotteshauses, jenem Jahr, in dem die Frauenkirche mit dem Aufsetzen der Turmhaube ihre äußere Gestalt zurückerhielt.

Der Schmetterling-Stein, ein mehr als 90 Tonnen schweres Trümmerstück, kehrte während des Wiederaufbaus exakt eingepasst an seinen alten Platz unter der Spitze des Treppenturmes G zurück – eine technische Meisterleistung.

In der nun vollendeten ersten Dekade seit ihrer Weihe nach dem Wiederaufbau hat sich die Kirche nahtlos eingefügt, einerseits in die Silhouette der Stadt, in der sie so lange fehlte, andererseits in das geistige und kulturelle Leben. Zwischen 1993 und 2005 erwuchs aus den Trümmern, die der Zweite Weltkrieg hinterlassen hatte, ein Zeichen der Versöhnung, das heute als offenes Haus ein Ort des Glaubens und der Begegnung ist, aber auch eine beliebte Sehenswürdigkeit. Jedes Jahr strömen zwei Millionen Besucher in die Frauenkirche. Ein begehrter Platz ist dabei jener direkt unter der Turmhaube, die Aussichtsplattform in der Laterne. Allein die Vorstellung, mittendrin anzukommen im CanalettoBlick, verleiht dem Kuppelaufstieg den Reiz des Besonderen. Für einige Zeit dazuzugehören zu Bernardo Bellottos einzigartigem Panorama der barocken Dresdner Altstadt, das dieser 1748 als Hofmaler Augusts III. schuf. Sich nahezu auf Augenhöhe mit anderen „Größen“ wie dem Rathausturm, dem Hausmannsturm des Residenzschlosses oder dem Turm der Kathedrale wiederzufinden, 67 Meter über dem Boden. Nur wenig mehr als einen Katzensprung von der Elbe entfernt deren bogenförmigem Verlauf zu folgen, von Brücke zu Brücke, und darüber hinaus in allen Himmelsrichtungen den Horizont zu erahnen, über die Weinhänge der Lößnitz, die Dresdner Heide,


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Im Advent leuchtet alljährlich ein großer Herrnhuter Stern in der Laterne der Frauenkirche und bezaubert die vielen Besucher der Weihnachtsmärkte ringsum.


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Beim Aufstieg Ăźber die Wendelrampe schraubt sich der Bogengang mehrfach um den mehr als 20 Meter hohen Hauptkuppelraum, der Einblicke bis hinunter ins Kirchenschiff erlaubt.


den Freitaler Windberg. In der Draufsicht offenbart sich das engmaschige Netz der umliegenden Straßen, erstaunt manch lauschiger Innenhof, manch futuristische Häuserwand, die den Blicken vom Neumarkt verborgen bleiben, wo sich die nach historischem Vorbild wiedererstandenen Fassaden zeigen. Auf der Plattform erleben die Kuppel-Besucher gewissermaßen das Tüpfelchen auf dem i. Hinter ihnen liegt hier nämlich kein gewöhnliches Treppenhaus, das es gilt, möglichst rasch oder, der Puste zuliebe, gemäßigt zu durchqueren, um endlich die Tür zum Ausstieg öffnen zu können. Wer sich zum Eingang G der Frauenkirche begibt, für den wird der Weg zum Ziel, denn dieser windet sich direkt durch die unverwechselbare 12.300 Tonnen schwere Sandsteinkuppel hindurch, vorbei am mächtigen Hauptkuppelraum. Möglich wird das durch die beeindruckende Bauweise der Frauenkirche, die in einem Atemzug mit anderen bedeutenden Kuppelbauten wie dem Petersdom in Rom oder dem Dom in Florenz genannt wird. Zwei Schalen bilden das enorme Konstrukt und stehen für die herausragende, wagemutige Leistung des Ratszimmermeisters George Bähr, der die Kirche im 18. Jahrhundert plante. Ein Fahrstuhl erleichtert den ersten Teil des Aufstiegs bis in 24 Meter Höhe. Ab hier geht es zu Fuß weiter über die Turmstube zur Innenkuppel. Hinter dem verglasten Tunnelumgang, von einem Standpunkt über der höchsten Empore und über der Orgel, spannen sich nah wie nie die acht Kuppelbildnisse auf, die überlebensgroßen Darstellungen der vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes sowie die Allegorien der christlichen Tugenden „Glaube“, Liebe“, „Hoffnung“ und „Barmherzigkeit“. Unter ihnen staffelt sich der von den fünf Emporenebenen umschlossene Kirchraum, oben lässt sich über dem offenen Druckring die äußere Kuppel erahnen. Nun schließt sich die Chordachtreppe an, wo durch Gaubenfenster die Spitzen der Treppentürme A und G

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Auf der Aussichtsplattform befinden sich die Besucher 67 Meter über dem Neumarkt und können ihre Blicke über dessen wiedererrichtete Bauten, den Elbebogen, Alt- und Neustadt schweifen lassen.

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ins Auge fallen, dazwischen der geschwungene Kuppelanlauf. Durch dieses charakteristische Detail sticht die Frauenkirche im Vergleich zu ähnlichen Bauwerken hervor, verleiht es ihr doch die Form einer Glocke, was den ehrfurchtsvollen Beinamen „Steinerne Glocke“ erklärt. Zwischen den Schalen der Außenkuppel beginnt dann die weiß gekalkte Wendelrampe. Auf diesem breiten Gang, früher als „Eselsgang“ für den Transport von Baumaterial genutzt, werden gut 20 Höhenmeter überwunden. Da ist Kondition durchaus vonnöten, schließlich umrundet der 162 Meter lange Bogengang die gesamte Kuppel zweieinhalb Mal und das mit einer Steigung von 14 Prozent. Doch gemach, gemach, hier geht es nicht um Bestzeiten, sondern um beste Aussichten. Die bieten sich zur Linken nach draußen auf Elbe und Terrassenufer, denn nach und nach werden die Nischen der acht Hauptkuppelgauben geschnitten; gleichzeitig wird zur Rechten der innenliegende, aber dennoch von Tageslicht erhellte, überwölbte Hauptkuppelraum umkreist und erschließt sich so in seiner ganzen Dimension von beinahe 24 Metern. Ein aufgestelltes Trümmerstück fällt darin auf. Es stammt aus der alten Innenkuppel und lieferte beim Wiederaufbau wichtige Hinweise auf deren ursprüngliche Farbgebung. Noch ist die heutige Bemalung viel heller, doch auch diese wird mit den Jahren ganz natürlich nachdunkeln. Durch das Kuppelauge zeigt sich erneut das tief unten liegende Kirchenschiff. Engelsgleich schwebt dort manches Mal scheinbar himmlischer Gesang hernieder – es sind die Stimmen des Chores, der sich zu besonderen Anlässen im Hauptkuppelraum versammelt. Die Sänger bleiben für die Zuhörer im Kirchengestühl währenddessen unsichtbar. Dieses Klangerlebnis reizte schon Richard Wagner und inspirierte ihn zu mehreren Kompositionen speziell für diesen Ort, darunter „Das Liebesmahl der Apostel“,1843 in der Frauenkirche uraufgeführt. Für die Öffentlichkeit ist der Raum jedoch nicht zugänglich. Nach der Wendelrampe beschließen die letzten steilen Treppen den Aufstieg, der mit seinen unzähligen Eindrücken fast einem Museumsbesuch gleicht. Die Frauenkirche hat viele Geschichten zu erzählen. Zentral bleibt dabei die Botschaft von Frieden und Versöhnung, die allen Angeboten der Stiftung Frauenkirche innewohnt, seien sie geistlicher, touristischer oder musikalischer Natur.


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