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Tägerwilen
Das Wachstum wird weitergehen
Nach 25 Jahren im Amt hört der Tägerwiler Gemeindepräsident Markus Thalmann im Sommer 2021 auf. Ein Gespräch über ein Vierteljahrhundert in der Thurgauer Gemeinde.
Gemeinde Tägerwilen Gemeindeverwaltung Bahnhofstrasse 3 CH-8274 Tägerwilen Tel. +41 (0) 71 6668020 gemeinde@taegerwilen.ch www.taegerwilen.ch
Markus Thalmann Gemeindepräsident markus.thalmann@ taegerwilen.ch Herr Thalmann, seit 25 Jahren sind Sie Gemeindepräsident bzw. -ammann von Tägerwilen. Was hat sich in Tägerwilen am augenscheinlichsten geändert? Es lohnt sich ein Blick in das Wirtschaftsmagazin Bodensee aus dem Jahr 1996. Tägerwilen hatte damals 3.085 Einwohner. Stand 31. Oktober 2020 sind es 4.899, das ist ein Zuwachs von 58.8 %. Das Gute daran ist, dass wir auch wirtschaftlich mitgewachsen sind. 1995 gab es in Tägerwilen etwa 1.200 Arbeitsplätze in rund 160 Betrieben. 2020 waren es 3.000 Vollstellen und 440 Betriebe. Zwischen 800 und 900 Pendler kommen tagtäglich aus Konstanz, um in Tägerwilen zu arbeiten. Als ich am 1. Juni 1995 angefangen habe, lag der Anteil ausländischer Mitbürger*innen in Tägerwilen bei 20 %, davon rund die Hälfte Deutsche. Heute hat fast jeder vierte Einwohner einen deutschen Pass. Und noch einige aussagekräftige Zahlen: Der Steuerfuß in Tägerwilen für juristische Personen lag 1995 bei 321 %. Heute sind es 255,2 %! Der aktuelle Gemeindesteuerfuß von 33 % ist, verglichen mit anderen Thurgauer Gemeinden, der zweitniedrigste Wert. Das lockt weiterhin Unternehmen wie auch Privatpersonen nach Tägerwilen. 1995 gab es noch keinen Anschluss ans Autobahnnetz, und im Zusammenhang mit der Neutrassierung der damaligen Mittelthurgaubahn, heute ein Teil der Thurbo, wurde 2001 ein neuer, unterirdischer Bahnhof eingeweiht. 2004 hat die Ortsbusverbindung Kreuzlingen-Tägerwilen ihren Betrieb aufgenommen. Wir sind mittlerweile verkehrstechnisch sehr gut erschlossen. Sehen Sie denn in absehbarer Zeit ein Ende des Tägerwiler Wachstums kommen? Im Zonenplan, der 2015 genehmigt wurde, sind die Weichen für die Zukunft bereits gelegt worden, so dass sich mein Nachfolger in den nächsten zehn Jahren nicht mit einer Ortsplanung befassen muss. Es gibt zahlreiche Bauprojekte für weitere Wohneinheiten, und ich denke, in spätestens zwei Jahren wird Tägerwilen mehr als 5.000 Einwohner haben. Darüber hinaus gibt es innerorts noch weiteres Potential. Leerstand gibt es momentan keinen in Tägerwilen. Seit 1980 ist Tägerwilen durchgängig gewachsen, und ich gehe davon aus, dass das noch 10 Jahre so weiter gehen wird.
Ein solches Wachstum bringt auch gesellschaftliche Veränderungen mit sich. Wie beurteilen Sie diese? Die Bevölkerung war und ist offen für diesen Zuzug. Was auch daran liegt, dass die Beteiligung am Gemeindeleben groß ist. Vor 18 Jahren habe ich den Verein „Solar Tägerwilen“ gegründet, und schon damals waren von den fünf Gründungsmitgliedern drei Deutsche. In Tägerwilen gibt es heute rund 40 Vereine, 1995 waren es etwa 30. Vieles, was heute wie selbstverständlich da ist, gab es damals nicht: den heute zweitgrößten Verein, den Unihockeyclub Tägerwilen, die Dreifach-Turnhalle, den Kindertreff, die familienergänzende Kinderbetreuung der Schule für rund 50 Kinder. Letzteres war für viele jetzige Einwohner ein entscheidender Faktor, nach Tägerwilen zu ziehen. Es gibt auch eine privat geführte Kinderkrippe. Tägerwilen ist da vorangeschritten.
Foto: Ulrich Riebe Der heutige Gemeindesteuerfuß von 33 % ist, verglichen mit anderen Thurgauer Gemeinden, der zweitniedrigste Wert. Das ist dem Tägerwiler Wirtschaftswachstum zu verdanken und lockt natürlich weiterhin Unternehmen wie auch Privatpersonen an.
Markus Thalmann Gemeindepräsident
Wie erklären Sie sich den Erfolg von Tägerwilen über einen so langen Zeitraum? Ein Grund dafür ist sicherlich die direkte Seelage in der Nähe der Städte Kreuzlingen und Konstanz. Die Stadt Konstanz ist nicht zuletzt wegen der Universität attraktiv für junge Leute. Auch die Mittelschule und die Pädagogische Hochschule in Kreuzlingen sind wichtige Argumente, sowohl für Schweizer als auch für ausländische Mitbürger*innen, hier zu wohnen und zu arbeiten. Unsere Infrastruktur zur Versorgung mit Dingen für den Alltag ist mittlerweile sehr gut. Als ich 1995 anfing, gab es noch keine Migros, aber einen kleinen Coop. Es gibt eine vielfältige und gute Gastronomie. Man muss sich für all diese Anliegen nicht zwangsläufig ins Auto setzen, wie es anderswo im ländlichen Bereich nötig ist.
Sie erwähnten bereits die Nähe zu Kreuzlingen und Konstanz, mit denen Tägerwilen eng verknüpft ist. Welche Rolle spielt das in Ihrer Arbeit? Die internationale Zusammenarbeit in der Grenzlandkonferenz mit den Konstanzer Oberbürgermeistern seit 1995, Horst Eickmeyer, Horst Frank und Uli Burchardt, ist ein spannender Aspekt. Mit dem Konstanzer Oberbürgermeister und vor allem mit dem Baubürgermeister habe ich öfter Kontakt als zu so manchem Stadtpräsidenten im Thurgau. Schon wegen des Tägermooses gibt es enge Verflechtungen. Ich war auch eine Zeit lang Präsident des Agglomerationsprogramms Kreuzlingen-Konstanz, das die Verkehr- und Siedlungsentwicklung von zehn Gemeinden in beiden Staaten aufeinander abstimmt.
Die weltweite Pandemie 2020 und die damit verbundenen Begleiterscheinungen haben vielerorts Schwächen, aber auch Stärken offengelegt. Wie war das in Tägerwilen? Wir hatten in Tägerwilen fast schon ein Überangebot an Helfer*innen. Die Gastronomie stellte sich um auf Take-away, die Gemeindeverwaltung war über Mail und Telefon immer erreichbar. Die Tägerwiler Unternehmen, aber auch die Privatleute, haben die Pandemie bisher ganz gut überstanden. Die Arbeitslosigkeit ist bisher nicht gestiegen. Auch die Investitionen der Gemeinde müssen nicht zurückgestellt werden, was ich im Übrigen auch für einen Fehler halten würde. Nach meinem Kenntnisstand hat auch das Homeschooling gut funktioniert. Die Schulen haben für diejenigen, die keinen ständigen Zugriff auf einen Computer hatten, Laptops zur Verfügung gestellt.
Was würden Sie rückblickend als den größten Erfolg Ihrer Amtszeit bezeichnen? Gibt es Meilensteine, die Sie besonders hervorheben würden? Meilensteine gab es zahlreiche. Hervorzuheben sind die Neutrassierung der Bahn mit neuem unteririschem Bahnhof und die damit verbundene Erweiterung der Sportplatzanlage mit neuem Clubgebäude. Das neue Badegebäude am Seerhein mit optimaler Ufergestaltung sowie die Sanierung der Ruine Castell. Der Bau der Dreifachsporthalle war für die sporttreibenden Vereine ein wichtiger Schritt. Es entstanden neue Abteilungen und so war der Turnhallenraum ab der Einweihung 2005 bereits voll genutzt. Der Wunsch einer Mehrzweckhalle steht schon seit Jahren auf der Liste. Seit den 1950er Jahren ist die über 100 Jahre alte Bürgerhalle, vorher als Turnhalle genutzt, unsere Veranstaltungshalle und bietet Platz für 300 Personen. Heute haben wir aber dreimal so viele Einwohner wie in den 1950er Jahren. Deswegen befasse ich mich schon seit zehn Jahren mit dem Projekt Mehrzweckhalle. Ein besonderer Erfolg in diesem Zusammenhang ist die Sicherung des Landes, das für diese Mehrzweckhalle vorgesehen ist. Dafür wurde zwei Jahre lang mit der Erbengemeinschaft verhandelt, letztlich haben wir es geschafft, das Land für vergleichsweise wenig Geld kaufen zu können. Ich hoffe, dass wir noch während meiner Amtszeit vom Amt für Raumentwicklung die Bewilligung für eine Teileinzonung der gekauften Parzelle erhalten. Mein Nachfolger kann dann den Wettbewerb in die Wege leiten. Wenn alles planmäßig verläuft, könnte 2023 eine Urnenabstimmung stattfinden. Ein weiterer Meilenstein ist die überarbeitete Gemeindeordnung, die vom Souverän 2018 genehmigt wurde. Unter anderem wurde für gewisse Geschäfte, die Urnenabstimmung eingeführt, so auch für Kredite ab 2 Millionen Franken. Einbürgerungen müssen nicht mehr an der Gemeindeversammlung zur Abstimmung gebracht werden, sondern können durch eine öffentliche Auflage ersetzt werden. Vor wenigen Monaten wurde die Biogasanlage in Betrieb genommen. Dieser Entstehungsprozess mit all den Hürden beanspruchte rund 10 Jahre.
Neues Badi Ruine Castell
FACTS & FIGURES
Gemeinde Tägerwilen, nahe am Seerhein gelegen, ist der westliche Nachbarort von Kreuzlingen und Konstanz. Bei der Gründung des nordseits des Rheins gelegenen Klosters Petershausen durch den damaligen Konstanzer Bischof Gebhard II. ist die Schenkung eines Landgutes bei Tegirwilare durch eine Edelfrau, datiert im Jahre 990, erwähnt. Municipality Located close to the Seerhein, Tägerwilen lies west of Kreuzlingen and Constance. When the Monastery of Petershausen was founded north of the Rhine by Constance’s former Bishop Gebard II, mention was also made of a noblewoman donating a country estate near Tegirwilare in 990.
Gemarkungsfläche 1.158 ha davon Wald 428 ha Gewässer 4 ha Siedlungsfläche 143 ha Landwirtschaftsflächen 574 ha Unproduktive Vegetationsflächen 9 ha Surface area 1,158 ha Forests 428 ha Lakes and rivers 4 ha Residential area 143 ha Agricultural area 574 ha Non-productive vegetation 9 ha
Höhe Hauptstrasse 420 m.ü.M. Altitude Main road 420 m above sea level
Gesamtzahl Bevölkerung 4.899 (31. Oktober 2020) Total population 4,899 (October 31, 2020)
Arbeitsstätten und Beschäftigte ca. 440 Unternehmen mit ca. 3.200 Arbeitsplätzen Places of employment and employed persons Approx. 440 companies with approx. 3,200 employees
Haushaltsvolumen 16 Millionen CHF Budget volume CHF 16 million
Steuersätze (Kanton, Gemeinde, Schule) 2019 Ohne Kirchensteuer 241%, mit Kirchensteuer, katholisch 257%, mit Kirchensteuer evangelisch 261%, Juristische Personen 259,3% Tax rates (canton, municipality, school) in 2019 Excluding church tax 241%, including church tax, roman Catholic 257%, including church tax, protestant 261%, legal persons 259.3%
Verkehrsverbindungen (Richtung) Bus: Ortsbus nach Kreuzlingen | Zug-Linien: Schaffhausen – Rorschach – St.Gallen, Weinfelden – Kreuzlingen – Konstanz | Autobahnanschluss A7 Richtung Zürich | Zollübergang nach Konstanz Transport connections Bus: Local bus to Kreuzlingen | Rail lines: Schaffhausen – Rorschach – St.Gallen, Weinfelden – Kreuzlingen – Constance | Motorway A7 to Zurich | Border crossing to Constance
Schulen/Hochschulen Kindergärten | Volksschule | In Kreuzlingen Kantonsschule und Pädagogische Hochschule | Sport- u. Internationale Schule | In Konstanz Fachhochschule und Universität Schools/universities Nursery schools | Primary school | In Kreuzlingen: Cantonal school and University of Teacher Training | Sports school and international school | In Constance: University of Applied Sciences and University
Kunst/Kultur Alte Säge | Burgruine Castell | Müller-Thurgau-Haus | In Kreuzlingen: Puppen- und Seemuseum | Museum Rosenegg, Bodensee Planetarium und Sternwarte und Theater an der Grenze | In Konstanz: Stadttheater und vieles mehr Art/culture “Alte Säge” | Castell castle ruin | Müller Thurgau building | In Kreuzlingen: Puppet Museum | Lake Museum | Rosenegg Museum| “Theater an der Grenze” | In Constance: Town theatre and much more
Genehmigung Bauanträge Baugesuchsverfahren dauern 4-6 Wochen (ohne Einsprachen, nur kleinere Gewerbebauten); bei größeren Gewerbebauten 2-3 Monate Approval of building applications Planning application procedure lasts 4-6 weeks (without objections, only smaller commercial buildings); for larger commercial buildings, 2-3 months
Besondere Stärken/Vorzüge der Gemeinde Übersichtliche Strukturen | Kurze Verbindungswege zur Verwaltung | Gute Schulen | Attraktives Angebot für familienergänzende Kinderbetreuung | Alles für tägl. Gebrauch| Sportclubs mit Anlagen | Aktives Vereinsleben | Soziale Einrichtungen: Heime und Spitex Specific strong points/advantages of the municipality Transparent structures | Unbeaurocratic public authorities | Excellent schools | Attractive choice of complementary childcare for families | Has everything for daily consumer needs | Sports clubs with requisite facilities | Active club life | Social institutions: Care centres and Spitex outpatient service
Zusammensetzung des Gemeinderates 2019-2023 Gemeindepräsident Markus Thalmann (parteilos) | Gemeinderäte Monika Kramer (CVP), Jean-Michel Farine (parteilos), Daniel Merk (SVP), Thomas Gerwig (CVP) Constitution of the municipal council 2019–2023 Mayor Markus Thalmann (independent) | Councillors Monika Kramer (CVP), JeanMichel Farine (independent), Daniel Merk (SVP), Thomas Gerwig (CVP)