Nr. 19 (39) 7,50 € / 8.– CHF
UM SCHWUNG
POLITISCHE POSITIONEN Mehr Umbruch wagen
STRATEGIEN&STANDPUNKTE Stimmen der Region
BAUEN, WOHNEN, ARBEITEN Wandel im Schnellverfahren
Wirtschaftsmagazin BODENSEE
Labhards
BODENSEE W I R T S C H A F T S MAGAZIN
B u s i n e s s M a g a z i n e L a k e C o n s ta n C e
2022
UMSCHWUNG
DIE TITELSTORY
Nordwesthaus Rohner, Fußach Seit dem Jahr 2000 „schwebt“ das Hafengebäude auf dem Areal und verschafft der Eigentümerin Maria Rohner die notwendige Übersicht. Nun war eine Ergänzung gefragt: ein neues Gebäude als Treffpunkt am Hafen mit Doppelnutzung: einerseits Bootshaus, andererseits Clubhaus für Veranstaltungen. Und: Es sollte ein architektonisches Statement werden, das dennoch Bezug nimmt zu seinem Umfeld aus Wasser, Natur und Schiffen: ein geheimnisvolles und anziehendes Objekt.
Schwebende Lichtskulptur am Wasser Bis zur Grenze des statisch Machbaren ist die Tragstruktur aufgelöst, die amorphen Betonwände wirken wie filigrane Adern, wie Wasserpflanzen, die in die Höhe wachsen. Die äußere Hülle aus transluzentem Glas mit einer Kristallstruktur schafft ein Maximum an Belichtung und eine faszinierende Form der Transparenz und Durchsicht. Durch die Form der Betonträger und die eisblumenartig texturierten Glasscheiben – Ice Age Glas, nach einer jahrhundertealten Verfahrenstechnik hergestellt – entsteht eine ständig wechselnde Belichtungssituation. Tags wird der Innenraum zum Kaleidoskop der Umgebung, während Reflexionen der umgebenden Wasserflächen das Äußere „bewegen“. Nachts macht ein ausgeklügeltes Beleuchtungskonzept das Nordwesthaus zur weithin sichtbaren Lichtskulptur am Wasser. Architektur als Poesie.
Baumschlager Eberle Architekten Millenium Park 20 A-6890 Lustenau Tel. +43 5577 63051-0 office@be-lustenau.com www.baumschlager-eberle.com
Foto: Rafi Eltec
Editorial Impressum Im Gespräch Zahlen zur Bodenseeregion Albert Weber ATM BioLAGO cyberLAGO ETO Gruppe Druckhaus Konstanz First Tax Geberit Good Stock Holenstein Huber Watches ifm electronic Ingun Institut für Schlaf und Regeneration Interview Nicole Razavi, Ministerin Landesentwicklung Wohnen BW Interview Verena Bentele, VdK Deutchland Interview Prof. Dr. Klaus Töpfer Interview Steffen Braun, Fraunhofer IAO i+R Industrie- & Gewerbebau Kärcher Labhard Medien Marquardt MZ Mosbrugger Zinsmaier OMNI PC Pinto / Businesspark Konstanz Prinoth RAFI Eltec Regio TV Ritz Friedrichshafen Schindler Parent Schunk solarLAGO Stadtwerke Konstanz südmail-Arriva Takeda Teledata WPB Wirtschaft und Projekt Beratung AG
1 144 7 4 115 42 90 88 26 83 140 6, 20 60 98 136 34 28 40 8 10 12 14 18 32 71 33 16 36 94 35 109 119 112 25, 38 121 92 96 43 100 114 144
POLITIK, WIRTSCHAFT & BILDUNG Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg Handwerkskammer Konstanz IHK Bodensee-Oberschwaben IHK Hochrhein-Bodensee Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung Internationale Bodensee-Hochschule Internationale Bodensee Konferenz Interreg Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein Karrieremesse Regionalbahn Thurbo Regionalbüro für berufliche Fortbildung
TAGUNGSHÄUSER & TOURISMUS Bodensee.de BODENSEEFORUM KONSTANZ Convention Partner Vorarlberg Mainau musicalpeople Verband für Tourismus-Wirtschaft
DEUTSCHLAND Bad Saulgau Engen Konstanz Pfullendorf Radolfzell Singen Wirtschaftsförderung Bodenseekreis Wirtschaftsförderung WIS GmbH Landkreis Sigmaringen Wirtschafts- und Innovationsförderungsgesellschaft Landkreis Ravensburg Überlingen
SCHWEIZ Arbon Amt für Wirtschaft und Arbeit Thurgau (AWA)
ÖSTERREICH
44 62 64 68 66 52 54 48 46 61 58 61 72 82 76 80 78 83 74 84 118 104 86 116 99 102 110 120 122 106 124 130 126
Bregenz
132 134
FÜRSTENTUM LIECHTENSTEIN
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Foto: Eduard Hueber, archphoto © Baumschlager Eberle Architekten
Inhalt
Zahlen & Fakten EINWOHNER & FLÄCHE Bevölkerung (Stand 2019) Prognose 2030 Fläche Einwohner je km² Anteil der 20- bis 64-jährigen an der Bevölkerung
4.147264 4.473.069 14.457 km² 314,30 61,30 %
Quelle: www.statistik-bodensee.org/ index.php/arbeitsmarktmonitor.html; Stand November 2021; Foto: SPOT 6-Aufnahme, © Airbus DS 2017
TOURISMUS & BILDUNG Übernachtungen in der Hotellerie (Betriebe ab 10 Betten, 2019) REGIO Bodensee 21.536.633 Hochschullandschaft REGIO Bodensee (2015) 120.678 Studierende Universitäten (7) 66.667 weitere Hochschularten (25) 54.011
WIRTSCHAFTSKRAFT ARBEITSLOSE Bruttoinlandsprodukt zu laufenden Marktpreisen je Einwohner Deutsche REGIO Schweizer REGIO Vorarlberg Liechtenstein
(Stand Okt. 2021)
66.000 € 41.400 € 79.700 € 49.000 € 150.900 €
Deutsche REGIO Schweizer REGIO Vorarlberg Liechtenstein
2,6 % 2,3 % 5,5 % 1,5 %
EIN- UND AUSPENDLER Einpendelnde Grenzgänger nach Herkunftsländern (2019) aus Deutschland 24.956 (davon 20.721 in die Schweizer REGIO) aus der Schweiz 13.586 (davon 13.030 nach Liechtenstein) aus Österreich 17.251 (davon 7.581 in die Schweizer REGIO, 8.763 nach Liechtenstein) aus Liechtenstein 1.607 (davon 1.556 in die Schweizer REGIO)
OHNE GRENZE Für den Bodensee existieren keine Grenzverträge zwischen den drei Anrainerstaaten Deutschland, Österreich und der Schweiz. Insofern ist die gesamte Seefläche genau genommen ein „internationales Gewässer“, mit Ausnahme des Bereichs Untersee / Konstanzer Trichter. Der Bodensee zählt also völkerrechtlich zum größten Teil nicht zur Staatsfläche von Deutschland, der Schweiz oder von Österreich. Das spiegelt sich in den Köpfen der Menschen wider: Der Bodensee ist kein nationalstaatliches Randgebiet, sondern ein großer Lebensraum, an dem das eine nahtlos in das andere übergeht.
„Schlummernde Reserven wecken und Potentiale heben“ IM GESPRÄCH | Nicole Razavi MdL ist seit Mai 2021 Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen des Landes Baden-Württemberg. Wir sprachen mit ihr über die Themen Wohnungsbau, Flächenverbrauch und die Besonderheiten der Bodenseeregion.
Foto: BGÜ
Wohnungsneubau der Baugenossenschaft Überlingen (BGÜ)
Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich das alles positiv auswirken wird. Klar ist aber auch: Ohne die Kommunen und ohne das Engagement privater Investoren werden wir das Problem nicht lösen. Wir sind zwar das Land der Häuslebauer, aber das Land ist sicher nicht der bessere Häuslebauer. Foto: Fraunhofer ISE
Nicole Razavi MdL ist seit Mai 2021 Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen des Landes Baden-Württemberg.
Frau Razavi, der Bodensee-Raum ist eine wirtschaftlich starke Region mit hoher Lebensqualität, aber auch steigenden Lebenshaltungskosten, insbesondere wegen der Kosten für Miete und Immobilien. Unternehmen und Kommunen fürchten, dass sich das zum Standortnachteil entwickeln könnte, weil Fachkräfte sich gegen die Region entscheiden und gut ausgebildete, einheimische junge Leute aus der Region abwandern müssen. Wie kann man dem von Seiten des Landes entgegenwirken? Wohnungspolitik ist in der Tat auch Standortpolitik. Das gilt für den Bodensee-Raum in ganz besonderem Maße. Wenn es sich Fachkräfte nicht mehr leisten können, mit ihren Familien in der Nähe ihres Arbeitgebers zu wohnen, dann wird das für die Menschen, aber auch für die Wirtschaft zum Problem und für die betroffenen Städte und Gemeinden zum Standortnachteil. Die Lösung kann nur lauten: mehr Wohnraum schaffen. Viele Kommunen haben das begriffen. Überall da, wo es Städten und Gemeinden gelingt, mehr Wohnraum zur Verfügung zu stellen, sorgt dies für Entlastung und bremst zumindest den Anstieg der Mieten. Wir als Land helfen den Kommunen, wo wir nur können, um – gerade im Innenbereich - schlummernde Reserven zu wecken und Potentiale zu heben. Zugleich haben wir - trotz angespannter Haushaltslage - die Förderung des sozialen Wohnungsbaus in den letzten Jahren erheblich hochgefahren, um dem Rückgang beim Bestand an Sozialwohnungen, deren Belegungsbindung ja stets irgendwann ausläuft, zu stoppen.
Mit welchen Mitteln kann man den Bau von Wohnraum beschleunigen? Gibt es zum Beispiel bürokratische Hürden, die die Situation unnötig verschärfen und abgebaut werden müssten? Die allermeisten Vorschriften haben – jede für sich genommen - durchaus ihren Sinn, aber in der Summe werden sie zum Problem. Wir werden daher prüfen, wo wir Vorschriften entschlacken, Genehmigungsverfahren beschleunigen und Verwaltungsstrukturen verbessern können. Dabei sollte es meines Erachtens keine Denkverbote geben. Wir werden unsere Ideen dazu in absehbarer Zeit vorlegen. Damit wollen wir die Diskussion beleben und in eine konstruktive Richtung lenken. Viele Arbeitnehmer werden auch nach den CoronaMaßnahmen zumindest zum Teil im Home-Office bleiben. Welche Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt bzw. auf den Bedarf nach Büroraum könnte das haben? Die Corona-Pandemie hat die Art, wie wir leben und arbeiten, verändert. Das wird sicher Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt haben und bietet auch Chancen. Wenn der Bedarf nach Büroraum dauerhaft sinkt, kön-
Foto: Stadt Friedrichshafen
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Woran es am meisten mangelt, sind baureife Flächen.«
Der Laubenhof in Konstanz
Wohnungsbau in Friedrichshafen
reduzieren, und dazu stehen wir auch. Auch bei der Gestaltung von Gewerbegebieten ist Phantasie, sind neue Ideen gefragt. Diesen Bewusstseinswandel müssen wir einleiten und konstruktiv begleiten.
nen aus Bürogebäuden unter Umständen Wohngebäude werden. Und wenn es mehr Homeoffice gibt, stärkt dies den ländlichen Raum als Wohnund Lebensmittelpunkt. Wir sollten die Auswirkungen der Pandemie also als Chance begreifen und daran arbeiten, dass wir die einzigartige Stärke Baden-Württembergs erhalten: Diese Stärke besteht darin, dass bei uns das Leben und das Arbeiten nicht nur in den Ballungsräumen stattfindet, sondern wir einen starken ländlichen Raum haben, was Wirtschaftskraft und Lebensqualität angeht. Für die Deckung der Nachfrage an Gewerbeimmobilien bedarf es bebaubarer Flächen, die nicht nur am Bodensee rar sind. Welche flächeneffizienten Lösungen könnten dazu beitragen, auch in touristisch bedeutsamen Regionen den Bedarf für das Gewerbe bereitzustellen? Woran es am meisten mangelt, sind baureife Flächen. Gerade rund um den Bodensee ist dies ein großes Problem, wie ich von Besuchen vor Ort weiß. Der Boden ist der Schlüssel und die Kommunen sind unsere Beine auf dem Weg zu mehr Wohnraum. Deshalb unterstützen wir zum Beispiel finanzschwächere Gemeinden beim Erwerb von Flächen für Wohnraum mit unserem Grundstückfonds. Außerdem wollen wir den Städten und Gemeinden mehr Möglichkeiten an die Hand geben, auf unbebauten und brachliegenden Grundstücken Wohnraum zu schaffen, wenn diese Grundstücke im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegen. Da geht es zum Beispiel um erweiterte Vorkaufsrechte für die Gemeinden und auch darum, dass man leichter vom Bebauungsplan abweichen kann, wenn damit mehr Wohnraum geschaffen wird. Was das Gewerbe angeht: Flächeneffiziente Lösungen sind natürlich auch in diesem Bereich die besten Lösungen. Wir wollen den Flächenverbrauch
Welche Zukunftsfragen werden bei der Erstellung eines neuen Landesentwicklungsplanes gestellt, insbesondere mit Blick auf die sich verändernden klimatischen Verhältnisse? Der Landesentwicklungsplan (LEP) ist die Landkarte für das Baden-Württemberg der Zukunft. Eine solche Landkarte zu zeichnen, ist ein komplexes Unterfangen. Der geltende Landesentwicklungsplan hat uns viele Jahre als Rahmen für die Landesentwicklung gute Dienste geleistet. Er war klar, aber nicht zu starr und ließ dem Land Raum zum Atmen. Aber dieser LEP ist jetzt fast 20 Jahre alt. Die Welt der 2020er Jahre ist nicht mehr die Welt des Jahres 2000. Manche gesellschaftlichen Veränderungen kann der bisherige LEP nicht mehr so abbilden, wie wir das brauchen. Die Anforderungen und Aufgabenstellungen etwa im Bereich Digitalisierung, Klimaschutz, Mobilität sind heute ganz andere. Deshalb gehen wir dieses Projekt jetzt an. Mein Ziel ist es, dass wir diese wahre Generationenaufgabe mit breiter Beteiligung vorantreiben und zusammen erfolgreich schaffen. Wir wollen den Plan von Anfang an transparent und im Dialog erarbeiten. Es kann gar nicht anders sein, dass wir dabei auch auf Konflikte verschiedener Interessen in unserer Gesellschaft stoßen. Fläche ist ein knappes Gut. Die Flächenansprüche sind groß und vielfältig. Wir brauchen dringend mehr Wohnraum. Die Energiewende verlangt Flächen für Solar- und Windkraftanlagen. Wir wollen leistungsfähige Verkehrswege. Zugleich wollen wir aber auch die Eingriffe in Natur und Landschaft begrenzen. Und selbstverständlich brauchen auch Industrie und Gewerbe Entwicklungsflächen, damit Wachstum und Innovation buchstäblich Platz haben. Die Landes- und die Regionalplanung spielen eine entscheidende Rolle beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Der Ausbau hier in Baden-Württemberg ist notwendig, um unsere Klimaziele zu erreichen und in Zukunft unsere Industriestandorte zu erhalten. Der Koalitionsvertrag setzt das Ziel, mindestens zwei Prozent der Landesfläche für erneuerbare Energien zur Verfügung zu stellen. Ich verstehe es als die gemeinsame Aufgabe der Landesregierung und der Regionen, für eine gute Umsetzung dieses Ziels zusammenzuarbeiten. Wir werden dabei die Eigenheiten der jeweiligen Regionen berücksichtigen. Wichtig ist, dass die unterschiedlichen Raumnutzungsansprüche und Belange jeweils in den Blick genommen und abgewogen werden. Dann werden wir am Ende erfolgreich sein.
Interview Nicole Razavi, Ministerin Landesentwicklung Wohnen BW | Menschen & Innovationen 9
„Nichts über uns ohne uns“ IM GESPRÄCH | Barrierefreiheit und und die Möglichkeit zur Teilhabe sind Teil zukunftsorientierter Lösungen im Bauwesen und in der Städteplanung. Wire sprachen mit VdK-Präsidentin Verena Bentele.
Verena Bentele Die gebürtige Lindauerin ist vierfache Weltmeisterin und 12-fache Paralympics-Siegerin im Skilanglauf und Biathlon und seit Mai 2018 Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland. Der größte Sozialverband Deutschlands mit mehr als 2,1 Millionen Mitgliedern vertritt die sozialpolitischen Interessen von allen, die sonst nicht gehört werden.
Frau Bentele, am 20. Mai 2021 wurde im deutschen Bundestag das sogenannte Barrierefreiheitsstärkungsgesetz verabschiedet, als Umsetzung des European Accessibility Act (EAA) in nationales Recht. Vielen geht das Gesetz aber nicht weit genug. Wie beurteilen Sie das Gesetz? Die Umsetzung des EAA in nationales Recht ist für Menschen mit Behinderungen in Deutschland von größter Bedeutung, denn sie können wegen fehlender Barrierefreiheit viele Produkte und Dienstleistungen nicht nutzen. Bestimmte Produkte und Dienstleistungen müssen nun Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllen. Insofern begrüßt der VdK das Gesetz, denn erstmals werden auch private Anbieter dazu verpflichtet, diese in barrierefreier Form anzubieten. Trotzdem ist es sehr bedauerlich, dass nicht auch die bauliche Umgebung der Dienstleistungen und Produkte von Banken, Geschäften und Verkehrsunternehmen barrierefrei zugänglich sein muss. Dabei ist das die Voraussetzung, damit sie von behinderten Menschen überhaupt gefunden und selbstbestimmt genutzt werden können. Die EU-Richtlinie hätte das ermöglicht. So ist beispielsweise ein barrierefreier Fahrkartenautomat, der nur über Stufen zu erreichen ist, für viele Menschen mit Mobilitätseinschränkung unzugänglich und damit nicht nutzbar. In vielen Gebäuden der Privatwirtschaft sind Hindernisse wie Stufen, zu enge Türen, kaputte oder nicht-existente Aufzüge bittere Realität. Von einer umfassenden Barrierefreiheit profitieren neben Menschen mit Behinderungen zudem viele weitere Gruppen wie Ältere, Schwangere, Eltern mit Kinderwagen, Reisende mit Gepäck etc.
10 Menschen & Innovationen | Interview Verena Bentele, VdK Deutschland
Das Gesetz enthält zudem zahlreiche Ausnahmeregelungen für Kleinstunternehmen. 90 Prozent der Firmen zählen aber zu diesen Kleinstunternehmen, das Ziel des Gesetzes – die Barrierefreiheit bestimmter Produkte und Dienstleistungen – rückt damit leider in weite Ferne. Österreich hat gezeigt, dass es auch anders geht und dass mit Beratung, Förderprogrammen und Übergangsfristen die Privatwirtschaft zu Barrierefreiheit durchaus verpflichtet werden kann. Absolut unverständlich ist für mich, dass im Gesetz für Selbstbedienungsterminals wie zum Beispiel Bankautomaten eine Übergangsfrist von 15 Jahren festgelegt wurde. Das bedeutet, dass es bis 2040 dauern wird, bis auch diese Geräte dann endlich verpflichtend barrierefrei sein müssen. Damit bleiben viele Menschen mit Behinderung bis Mitte 2040 von der Nutzung ausgeschlossen. Stadtplaner und Architekten scheinen nicht immer einen Blick dafür zu haben, was Barrieren sein könnten. Gibt es Ideen und Möglichkeiten, wie sich Verantwortliche einen geschulten Blick dafür aneignen könnten? Und wie könnten sich Betroffene schon im Vorfeld auf solche Situationen vorbereiten? Getreu dem Motto „Nichts über uns ohne uns“ muss man die Betroffenen von Anfang an einbeziehen und nicht einfach über ihre Köpfe hinwegplanen. Die VdKLandesverbände sind in dem Bereich sehr aktiv. Im VdK Bayern gibt es zum Beispiel das Ehrenamt der „VdK-Berater/-innen für Barrierefreiheit“. Nach einer Ausbildung besuchen die Ehrenamtlichen öffentliche Einrichtungen in ihrer Region, um zu testen, wie gut
Alltag ohne Hindernisse: Barrierefreiheit beim ÖPNV und Arbeitsplatz.
diese für Menschen mit Behinderung zugänglich sind und um Verbesserungen vorzuschlagen. Sie gehen mit Vertretern aus der Stadt- und Ortsverwaltung durch ihre Gemeinden und spüren Hindernisse vor Ort auf. Dazu gehören beispielsweise zu schmale Gehwege, nicht abgesenkte Bordsteine, zu enge Behindertenparkplätze, fehlende oder zu steile Rollstuhlrampen, fehlende Erklärungen in Blindenschrift und vieles mehr. All das wird vermessen und in einem Fotoprotokoll dokumentiert. In Zusammenarbeit mit Vertretern aus der Gemeinde werden dann Vorschläge und Lösungen erörtert. So kann dann manche Barriere abgebaut werden. Die Bedürfnisse von Menschen mit Handicap sind sehr individuell, sei es in Hotels, in der Gastronomie oder im Einzelhandel. Wo finden Hoteliers etc. Unterstützung, vor allen Dingen hinsichtlich einer fachlichen Beratung? Und gibt es eine Kompromiss-Lösung, die für alle so etwas wie den kleinsten, aber auch guten gemeinsamen Nenner darstellt? Touristische Anbieter und der Einzelhandel können sich zum Beispiel an die Behindertenbeauftragten der Stadt Singen und des Landkreises Konstanz wenden, um sich dort zu Fragen der Barrierefreiheit kompetent informieren und beraten zu lassen. Auch der DEHOGA Baden-Württemberg verfügt über eine Beratung zur Barrierefreiheit. Zudem fördert BadenWürttemberg Maßnahmen zur Barrierefreiheit von kommunalen Tourismuseinrichtungen, wie z. B. Wanderwege, Kurparks, Hallen- und Freibäder, über das sogenannte Tourismusinfrastrukturprogramm. Einen kleinsten gemeinsamen Nenner für alle Menschen mit Behinderung gibt es aus meiner Sicht nicht, dafür sind ihre Bedürfnisse, wie Sie selbst sagen, zu individuell. Was aber neben Barrierefreiheit auf jeden Fall hilft, ist die detaillierte und verlässliche Information über die Situation vor Ort, sei es in Unterkünften, Gaststätten, Geschäften, von Sehenswürdigkeiten, Wanderwegen und vielem anderen mehr. Je genauer Rollstuhl- und Rollatoren-Nutzer, Blinde und Seheingeschränkte, Schwerhörige und Gehörlose sowie Menschen mit kognitiven Einschränkungen und ihre Begleiter darüber wissen, was sie an Barrierefreiheit vorfinden, umso besser können
sie entscheiden, ob Angebote für sie geeignet sind oder nicht. Hier empfiehlt sich die Zertifizierung nach dem bundesweit einheitlichen Kennzeichnungssystem „Reisen für Alle“, in dessen Rahmen besonders geschulte Testpersonen die Situation vor Ort ermitteln. Für die Beratung und Unterstützung von interessierten Anbietern, die sich kennzeichnen lassen wollen, steht die Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg zur Verfügung. Dürften Sie sich eine barrierefreie, inklusive Gesellschaft ausmalen, wie würde diese aussehen? Inklusion und Barrierefreiheit gehören für mich untrennbar zusammen, denn das gemeinsame Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung ist nur möglich, wenn Barrieren abgebaut werden – architektonisch und in den Köpfen. Außerdem ist in Deutschland fast jeder Vierte über 60 Jahre alt und zunehmend auf Barrierefreiheit angewiesen. 2040 werden mehr als 30 Prozent der Bevölkerung über 60 Jahre alt sein. Auch diese demografische Entwicklung zeigt, dass Barrierefreiheit jetzt endlich ernst genommen werden muss. In meiner Vision einer barrierefreien und inklusiven Welt ist die rechtliche und politische Gleichberechtigung und das alltägliche zwischenmenschliche Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung gelebte Praxis. Alle Lebensbereiche sind vollständig und flächendeckend barrierefrei gestaltet, so dass ausnahmslos alle Menschen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Informationen in Gebärden- und leichter Sprache werden selbstverständlich sein, Menschen mit Behinderungen können ein selbstbestimmtes Leben führen, wie andere auch. Kinder mit und ohne Behinderung wachsen zusammen auf, besuchen die gleichen Schulen und haben die gleichen Chancen auf eine Ausbildungs- und Arbeitsstelle. Für Architekten, Stadt- und Verkehrsplaner, Programmierer und viele andere Berufsgruppen wird Barrierefreiheit ein selbstverständlicher Teil Ihrer Ausbildung sein und sie werden sich verwundert fragen, wie man früher überhaupt auf die Idee kam, Projekte zu planen und umzusetzen, die einen Teil der Bevölkerung ausgeschlossen haben. Interview Verena Bentele, VdK Deutschland | Menschen & Innovationen 11
Um|bruch ['ʊmbrʊx], der; -[e]s, Umbrüche ['ʊmbrʏçə]: grundlegende Änderung: die Entdeckung des Atoms kennzeichnet einen Umbruch in der Geschichte der Naturwissenschaften; das gesamte Gesellschaftssystem befindet sich in einem massiven Umbruch. Syn.: ↑ Übergang, ↑ Umsturz, ↑ Veränderung, ↑ Verwandlung, ↑ Wandel, ↑ Wandlung, ↑ Wende
„Uns steht ein schneller Umbruch bevor“ IM GESPRÄCH | Am Rande des Bodensee Business Forum 2021 im Graf-Zeppelin-Haus in Friedrichshafen sprachen wir mit Herrn Prof. Dr. Klaus Töpfer über die Rolle der Städte und Kommunen beim schwierigen Weg in die Klimaneutralität.
Prof. Dr. Klaus Töpfer ist DiplomVolkswirt und Politiker. In seiner Tätigkeit als Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (1987-1994) und Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP; 1998-2006) in Kenia hat er die globale Umweltpolitik mitgeformt. Er lehrte zudem an Hochschulen in Deutschland und China zu Themen der Wirtschaft, Raumforschung, Landesplanung, Umwelt und nachhaltigen Entwicklung.
Deutschland sah sich lange in der Rolle des Vorreiters beim Klimaschutz. Beim Bodensee Business Forum in Friedrichshafen sagten Sie, unser Lebensstil sei nicht globalisierungsfähig. Warum? Unser Lebensstil ist nicht globalisierungsfähig, weil wir nach Effizienz streben, nicht aber nach Suffizienz. Wir haben unseren Stil zu leben sehr lange externalisiert, in materieller und sozialer Hinsicht und auf Kosten der Umwelt. Die Zeiten, in der das abgefedert wurde, sind längst vorüber. Was wir Menschen tun ist wider die Natur. Wir denken linear statt in Kreisläufen. Es steht uns also auch ein Umbruch bevor, wie wir denken müssen. Was könnte diesen Umbruch kennzeichnen? Jede Transformation kann über eine lange Zeit oder umbruchartig gedacht werden. Ich denke, es steht uns ein schneller Umbruch bevor. Die Idealvorstellung, eine Transformation langsam zu gestalten, hat sich noch nie als Erfolgsrezept erwiesen. Wir werden diese Umbruchssituation demokratiefähig machen müssen, das ist die große Herausforderung. Es gibt Skeptiker, die meinen, in einer parlamentarischen Demokratie sei
12 Menschen & Innovationen | Interview Prof. Dr. Klaus Töpfer
das nicht zu bewältigen. Das sehe ich nicht so. Politik ist so herausfordernd wie nie zuvor. Sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu berufen, hilft da nicht unbedingt weiter, schon weil es die eine Wissenschaft nicht gibt. Ich bin ein Schüler Karl Poppers. Nichts ist wahr, sondern nur nicht widerlegt. Wir müssen schlicht fehlerfreundlicher agieren. Bisher agieren wir eher fehlerresistent, aber das schafft nur Alternativlosigkeiten. Welche Rolle können die Städte und Kommunen dabei spielen? Ich bin überzeugt davon, dass die kommunale Ebene bei diesem Prozess von größerer Bedeutung sein könnte als es Bundesländer oder der Nationalstaat sein werden. Den Bürgermeistern wird die besondere Verantwortung zuteil, ihre Bürger mitzunehmen, ohne dabei etwas zu beschönigen. Aus diesem Zusammenspiel der kleinen Dinge könnte etwas Großes entstehen. Dass dieser Umbruch kommt und ein Prozess der Veränderung ablaufen wird, das ist sicher. Da müsste es jedem klar sein, dass es doch besser ist, ihn mitzugestalten. Sonst gestaltet er uns.
Der Umbruch findet also weniger global, sondern auf regionaler Ebene statt? Die Städte und Kommunen haben unglaubliche Transformationsaufgaben zu bewältigen, viel mehr noch Bauen und Nachverdichten, was derzeit am meisten diskutiert wird. Diese Aufgaben kann niemand in New York bei der UNO übernehmen. Die Frage, was aus unseren Kommunen wird, stellt sich überall, auch hier am Bodensee. Beim Blick auf den Einzelhandel sieht man den Wandel von einem Hol- zu einem Bringsystem. Was tun mit unseren einstigen Toplagen in der City? Da herrscht vielerorts Leerstand. Wir reden hier auch von einer Entwertung von Immobilien. Langfristig zu planen wird problematischer, umso wichtiger, dass wir den Weg, wohin wir möchten, genau kennen und eine stärkere Diskussion führen über die Rolle der Städte. Die Frage nach zukünftiger Mobilität kommt da ins Spiel. Ich glaube nicht, dass wir eine Mobilitätswende hinbekommen, wenn wir weiterhin nur aus der Sicht des Individualverkehrs denken. Das alles kann man nicht aus einer globalen Brille betrachten, sondern muss die regionalen Gegebenheiten berücksichtigen. Ich wohne in Höxter, und auf der anderen Seite der Weser ist die Firma Stiebel Eltron, ein Hersteller von Warmwasser- und Heizgeräten. Die verdoppeln jetzt ihre Kapazitäten, das ist ein boomender Markt. Der dezentralen Energieproduktion kommt eine wichtige Rolle zu, wenn man CO2-neutral werden möchte. Was wir auf dem Gasmarkt bzw. mit Russland derzeit erleben wirkt wie ein Abschiedskampf von jemanden, dem klar wird, dass er sein Monopol verliert. Jeder Umbruch sorgt für Dynamik im Markt und bringt neue Chancen, für neue und etablierte Unternehmen, selbst für bisherige Monopolisten. Mit ZF Friedrichshafen steht auch hier vor Ort ein großes Unternehmen vor einem solchen Umbruch. Bei ZF wird dieser sogar sehr konsequent sein – aus der Erfahrung der einstigen Umstellung von Zeppelin auf Automobile, wie es heißt. Ohne Details zu kennen und von weiter Ferne würde ich behaupten, dass dies der einzig erfolgreiche Weg sein wird. Es heißt nicht zu Unrecht „In der allergrößten Not, bringt der Mittelweg den Tod“. Es macht keinen Sinn, nur die Hälfte von etwas zu machen. Auch die Übergangfristen sollten nicht zu lang sein, wenngleich das für die in ganz Süddeutschland starke Automobilbranche eine große Herausforderung darstellt. Insbesondere für jene Unternehmen, für die Resilienz bisher kein Thema war.
Weit in die Zukunft gedacht wird bei der Regionalplanung. Wie bringt man Wachstum und Nachhaltigkeit zusammen? Wachstum ist ja an sich kein negatives Signal. In der Natur herrscht permanentes Wachstum. Das allerdings immer in einem Kreislauf. Um Wachstum und Nachhaltigkeit zusammenzubringen, sollte man zumindest versuchen, ein geschlossenes Kreislaufsystem aufzubauen. Wir haben in Deutschland mit der Verpackungsverordnung mal eine solche Kreislaufwirtschaft erfunden. Bis heute ist die Entsorgungswirtschaft ein Wachstumsmarkt. Ich finde es richtig, dass die EU in ihrem Green Deal nicht nur über Energie oder Landwirtschaft spricht, sondern die Frage nach einer Kreislaufwirtschaft aufwirft. In der Natur existiert kein Abfall. Dieser entsteht nur, wenn man wie wir linear denkt. Eine Bremse im Umbruch sind lange Planungsphasen. Nicht selten ist die verbaute Technik dann schon veraltet. Wie könnte man aus diesem Dilemma herauskommen? Wir haben ein Rechtssystem, in dem die Umsetzung von Entscheidungen Zeit kostet. Dass zum Zeitpunkt des Bauens bereits eine bessere Technik auf dem Markt ist als es die bei Planung war, ist bei unseren Umsetzungsfristen ziemlich wahrscheinlich. Diese kleinen Windkraftanlagen würde so niemand mehr bauen heute. Man könnte jetzt sagen, wir haben die Standorte, also lass uns dort größere hinstellen. Das hieße aber, dass eine Nachbesserung der ursprünglichen Planung generell als Teil des Rechts implementiert werden müsste. Das könnte man als Beschneidung bisheriger Einspruchsrechte betrachten, auch wenn ich das nicht so sehe. Aber man darf ja auch mal etwas Utopisches denken.
Klaus Töpfer als Teilnehmer einer Podiumsdiskussion beim Bodensee Business Forum im Graf ZeppelinHaus in Friedrichshafen.
Fotos: Chris Flemming
Sie sprachen von Suffizienz. Was denken Sie diesbezüglich beim Thema Wohnungsbau? Betrachtet man die Suffizienz beim Thema Wohnen, bleibt ein Blick auf die Entwicklung nach der Wohnfläche pro Einwohner in den vergangenen Jahrzehnten nicht aus. Dieser Anstieg ist erheblich. Wenn unsere Ansprüche weiter ansteigen und das als gerechtfertigt angesehen wird, dann werden wir nie genug haben. Das Zusammenleben wird eine größere Bedeutung bekommen, dafür muss man sich mit den Werten und Idealen anderer auseinandersetzen und diese respektieren. Wir sind eine Gesellschaft, in der unterschiedlich gedacht wird und trotzdem gemeinsam gehandelt werden kann.
Interview Prof. Dr. Klaus Töpfer | Menschen & Innovationen 13
„Wir sollten Umbrüche positiv verstehen“ IM GESPRÄCH | Klimawandel, neue Arbeitswelten und Digitalisierung – die Städte und Kommunen der Zukunft werden anders aussehen, als sie es heute tun. Wir sprachen darüber mit Steffen Braun vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO.
Dipl.-Ing. Steffen Braun Direktor Forschungsbereich „Stadtsystem-Gestaltung“ am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Stuttgart. Er ist seit 2016 Mitglied des Direktoriums am Institut und hat bereits 2011 die Fraunhofer-Initiative Morgenstadt mitbegründet, in der bereits zahlreiche Forschungsund Modellprojekte für klimagerechte und smarte Städte in Deutschland und Europa initiiert wurden.
Copyright: © Xoio GmbH
www.muse.iao.fraunhofer.de
Herr Braun, in deutschen Städten und Kommunen wird aktuell viel gebaut. Werden die zukünftigen Herausforderungen an Gebäude in ausreichendem Maße berücksichtigt? Bei rund 90 % der Neubauten wohl noch nicht. Wir bauen meist auf herkömmliche Weise und erfüllen eben die heutigen Vorgaben. Zukunftsfähig zu bauen wäre es, wenn die Gebäudearchitektur unterschiedliche Nutzungen, sprich die Veränderungsprozesse eines Gebäudes über 50/100 Jahre zulässt. Technologieoffenheit ist ein weiterer Punkt – ich nenne das strategische Vorrüstung, d.h. man muss vorausdenken, was hinsichtlich Gebäudetechnik und Infrastruktur nötig werden könnte. Da wären zum Beispiel neue Anforderungen durch E-Mobilität, um nur eines von vielen Themen zu nennen. Und es geht um die eingesetzten Materialien und Bauverfahren, die Gebäude für zukünftige Anforderungen und weniger klimaschädliche Emissionen zu ertüchtigen. Außerdem wird noch viel zu wenig verstanden, was sich in Zukunft außer Verkehr und Parkplätzen im Umfeld eines Gebäudes, also der städtischen Umgebung, abspielen wird. Sind wir zu langsam in der Umsetzung notwendiger innovativer Ansätze? Es fehlt vor allem am Verständnis für den Wandel, auch wenn der Anteil derjenigen, die diese Veränderungsprozesse verstehen, wächst. Wir optimieren im Klei-
nen, planen aber kaum die übergreifenden großen Themen voraus. Diese Trägheit kommt auch dadurch, dass wir mit unserer guten Bürokratie sehr strukturiert und hierarchisch sind in unseren Verwaltungsprozessen. Das sorgt für Stabilität, ist aber weniger geeignet für den Wandel. Jedoch gibt es auch diejenigen, die mutig etwas ändern wollen. In Konstanz begleiten wir die Quartiersentwicklung „Am Horn“, ein Modellprojekt des Bundes. Dabei ist die Zielstrebigkeit der Stadt Konstanz, welchen Weg sie bestreiten möchte – Stichwort Klimaneutralität bis 2035 – durchaus beeindruckend. Dieses Projekt kann auch eine Blaupause für weitere größere Entwicklungen im dicht besiedelten Bodenseeraum sein. Dennoch – müssten wir in diesen Prozessen konsequenter sein? Harte Brüche waren in der Vergangenheit immer jene, die das System auf ein höheres Level gebracht haben: Stichwort Sprunginnovationen. Wir sollten versuchen, aus diesen Erfahrungen zu lernen. Und Umbrüche positiv verstehen, anstatt aus ihnen Krisen zu machen und zum alten Zustand zurückkehren zu wollen. Die Akzeptanz für Veränderungsprozesse in der Wirtschaft und in der Gesellschaft wächst zunehmend, besonders das Interesse an echter Mitgestaltung. Aufgrund komplizierter demokratischer Strukturen darf man da nicht im Status Quo verharren.
© Ramboll Deutschland GmbH
Ökologisch wertvoller, gemeinschaftlich genutzter öffentlicher Raum in der Stadt
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Ich sehe große Umbrüche auf die Nutzung des öffentlichen Raums auf uns zukommen.«
In Ihrem Forschungsbereich ist auch die Fraunhofer-Initiative Morgenstadt angesiedelt. Was macht die Stadt der Zukunft aus? Die Fraunhofer-Initiative Morgenstadt ist eine gemeinsame Innovationsplattform der Fraunhofer-Gesellschaft mit aktuell zehn Instituten und vielen Partnern, um interdisziplinär und themenübergreifend zu forschen. Daraus sind bereits zahlreiche Kooperationen, Start-ups und Leuchtturmprojekte entstanden. Für die Stadt von morgen sehen wir neben den weniger wahrnehmbaren Änderungen im Energiesystem und Versorgungsstrukturen beispielsweise große Umbrüche für die Nutzung des öffentlichen Raums zukommen. Da werden nicht nur ein paar Parkplätze weggenommen, sondern wir werden die Innenstadt quasi neu erfinden – nur Handel war gestern. Mit innovativen Flächennutzungskonzepten, die sich dynamisch, sogar tageweise verändern können. Ein Morgenstadt-Szenario als Teil der Mobilitätswende zeigt die mögliche Umnutzung von Straßenflächen. Bei entsprechender Effizienz zukünftiger Mobilitätsdienste könnten wir diese auf der Hälfte heutiger Fläche bewältigen, auch Parkplätze brauchen wir bei autonomen Shuttles kaum noch. Das hieße konkret, bis zu einem Zehntel einer Stadtfläche wie Friedrichshafen wäre für andere Zwecke nutzbar, zum Beispiel für grüne Infrastrukturen, Wohnraum oder ganz neue Funktionen. Und erste Transformationsprozesse in diese Richtung können aus der Bürgerschaft angestoßen werden und mit den kommunalen Leitplanken für Daseinsvorsorge ergänzt werden. Sind diese Prozesse auf ländliche Regionen übertragbar? Die Prinzipien, die dahinter liegen, klingen meist urban, sind aber genauso in Regionen, die kleinstädtisch oder dörflich geprägt sind, möglich. Es ist immer eine Frage des Handlungsspielraums. Eine Altstadt ist in ihrem Bestand viel stärker fixiert, bietet aber auch in den Erdgeschosszonen vielfältige Möglichkeiten. Egal, ob Altstadt oder Gebäude aus den 50er Jahren, wir müssen mit dem Bestand arbeiten und ihn möglichst werthaltig gemeinwohlorientiert entwickeln. Es darf auch nicht länger um Stadt versus Land gehen, beispielsweise wird der Bodenseeraum als große zusammenhängende Agglomeration alle Qualitäten bedienen: urban wie ländlich - über neue Mobilitätsangebote zu Wasser und zu Lande (und vielleicht in der Luft) eng vernetzt.
Inwieweit findet der Klimawandel Berücksichtigung? Er hat oberste Priorität, wenn wir unseren Enkeln lebenswerte Städte hinterlassen wollen. Es wird zum Beispiel einen starken Wandel hin zu Kreislaufprozessen in der Bauwirtschaft geben. Es laufen erste Modellprojekte in Deutschland, ganze Stadtteile aus Holz zu bauen. Ein Kompetenzstandort beim Bauen mit Holz hier in der Region ist Vorarlberg. Denkbar wäre ein Wissenstransfer von dort in die gesamte Bodenseeregion für die Städte der Zukunft. Dabei geht es auch um Oberflächen und die Frage: Wie gestalte ich klimaaktive Fassaden und Dächer? Da sehe ich auch die Immobilien- und Bauwirtschaft in der Pflicht, mutig neue Lösungen zu etablieren. Klimaneutrales Wohnen muss der neue Standard sein. Wie geht man mit den Bestandsbauten um? Uns fehlt noch das Verständnis, wie wir die Modernisierung von Bestand industriell leisten können. Wir haben unglaublich kleinteilige Prozesse. Wenn wir innerhalb von 20 Jahren den gesamten Bestand modernisieren wollen, brauchen wir neue Verfahren, mit denen das mit hoher Geschwindigkeit teilautomatisiert für jedes Gebäude bedarfsgerecht funktionieren kann. Das ist eine Aufgabe der Bauindustrie, die wir aus anderen Branchen übertragen sollten. Und wir sollten über intelligente Nachverdichtung und Aufstockung mit Leichtbauprinzipien nachdenken. Der Tourismus am Bodensee ist ein starker Wirtschaftszweig, aber auch ein saisonaler und darüber hinaus krisenanfällig, wie die Pandemie zeigte. Was wären da Denkansätze? Wir haben am Fraunhofer IAO seit vielen Jahren den Forschungsverbund „Future Hotel“ für die Zukunft in Hotellerie und Gastgewerbe: Ein Hotel ist nicht mehr nur Hotel, sondern eine gemeinwohlorientierte Immobilie, die auch zusätzliche Funktionen übernehmen kann. In einer Innenstadtlage könnten das zum Beispiel Co-Working-Spaces sein – oder Innovationszentren. Auch saisonal könnte ein Hotel eine neue Funktion bekommen wie Serviced Living. Vieles, was sich während Corona an Zwischenlösungen aufgetan hat, ist auch eine Chance, zukünftig ganzheitlich zu planen. Da lohnt es sich, über neue Partnerschaften und hybride Betreibermodelle nachzudenken. Interview Steffen Braun Fraunhofer IAO | Menschen & Innovationen 15
Testen leicht gemacht INGUN PRÜFMITTELBAU | Der Prüfmittelspezialist Ingun feiert dieses Jahr sein 50-jähriges Bestehen. Das Unternehmen sorgt für die optimale Verbindung zwischen Testpunkt und Testsystem. Namhafte Betriebe auf der ganzen Welt vertrauen den Qualitätsprodukten aus Konstanz.
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olfgang Karl und Werner H. Heilmann gründeten 1971 die „Ingenieur Union“ in Konstanz und begannen mit der Produktion von gefederten Kontaktstiften und ersten Prüfadaptersystemen. Inzwischen arbeiten 400 Menschen in mehr als 65 Ländern für das international erfolgreiche Unternehmen, das nach wie vor ausschließlich „Made in Germany“ am Firmenhauptsitz in Konstanz produziert. „Seit fünf Jahrzehnten entwickeln wir bei Ingun leistungsfähige Prüftechnik für elektrische und elektronische Produkte. Smartphones, autonomes Fahren und Fortschritte in der Medizintechnik – all diese Entwicklungen sind ohne geeignete Prüftechnik kaum denkbar. Wir sind daher stolz, dass wir unsere Kunden weltweit mit zukunftsorientierten und zuverlässigen Prüflösungen unterstützen können und auf diese Weise die Welt von morgen aktiv mitgestalten“, sagt Geschäftsführer Armin Karl.
Partner für Technologien der Zukunft Ein sicheres Gespür für Visionen und Innovationen kennzeichnet den Erfolgsweg von Ingun. „Als Innovationsführer setzt das Unternehmen auf Lösungen, die noch nicht existieren und schlägt dabei neue Wege ein, um die Visionen von heute zur Realität von morgen werden zu lassen“, heißt es in einer Pressemitteilung. Ingun bezeichnet sich darin nicht nur als Wegbereiter für 5G, sondern versteht sich als lösungsorientierter Partner für Unternehmen in allen Branchen. „Wir wollen unseren Kunden das Testen so leicht wie möglich machen“, erklärt Jochen Müller, Mitglied der IngunGeschäftsleitung. „Deshalb bieten wir innovative, modulare und passgenaue Lösungen für eine Vielzahl von Branchen und Anwendungen an. Auf diese Weise tragen wir zur Verlässlichkeit und Robustheit von Fortschrittstechnologien bei.“
PRÜFADAPTER-KITS, AUSBAUZUBEHÖR UND KONTAKTSTIFTE Im Jubiläumsjähr präsentiert sich Ingun nicht nur mit einem neuen Internetauftritt, sondern launcht auch seinen Onlineshop für das laut Unternehmensangaben „weltweit größte Portfolio an Prüfadapter-Kits, Ausbauzubehör und Kontaktstiften“. Zusätzlich ermöglicht eine gesonderte Jubiläumswebsite einen Blick in die Vergangenheit und Zukunft. 28 Menschen & Innovationen | Ingun
Mobilfunk und Telekommunikation Immer mehr Daten werden mit hoher Geschwindigkeit zwischen einer stetig wachsenden Menge von Geräten übertragen – über Smartphones, Smartwatches und neue Gadgets. Funk- und Kommunikationsnetze werden kontinuierlich ausgebaut und damit dichter und schneller. Eine Leistungsdichte, die nur mit verlässlichen, miniaturisierten Kontaktierlösungen erreicht werden kann.
Automotive & E-Mobilität Hybridtechnologie, Elektrifizierung, Informationsmanagement und ganzheitliche Vernetzung stellen im Inneren des Autos der Zukunft hohe Anforderungen an elektrische und elektronische Komponenten. Die Baugröße von Einheiten reduziert sich, Pads und Rastermaße werden kleiner und erschweren somit die Kontaktierung. Hohe Ströme müssen auf wenig Fläche übertragen werden, ohne Abstriche in Sachen Qualität. Hinzu kommt eine stärkere Vernetzung durch 5G und V2X-Kommunikation. Ein umfassendes Portfolio passender Prüflösungen zur Kontaktierung von Steckverbindern und Konnektoren im Fahrzeug sichert Verlässlichkeit und Performance für hohe Datenraten und hohe Frequenzen.
INGUN verfügt über Lösungen zur Kontaktierung, die schon jetzt die Anforderungen von morgen erfüllen: Prüftechnik, die sich durch eine hohe und über die Lebensdauer konstante Hochfrequenz-Leistung auszeichnet – mit kosteneffizienten Kontaktstiften für Messtechnik, Mobilfunk und PCBs im Bereich Telekommunikation. Dank kontinuierlicher Forschung sowie kundenindividueller Entwicklung von Kontaktstiften, Ausbauzubehör und Prüfadapter-Kits schafft INGUN die Voraussetzungen für Innovation im Bereich Telekommunikation. So wird bereits an Lösungen zur Kontaktierung für den auf 5G folgenden Standard 6G geforscht.
Hinzu kommen Kontaktierlösungen für die Batterietechnik – innovative Kontaktstifte, die hohe Ströme verlässlich und wirtschaftlich übertragen und so die technologische Reifung von Elektroautos unterstützen. Denn nicht nur die Erhöhung der Batteriekapazität, auch die Kontaktierung von Schnellladesystemen mit hoher Amperezahl stellt eine Herausforderung für die Prüftechnik dar.
Medizin & Industrie Auch in der Medizintechnik werden Geräte und Ausrüstungen zunehmend vernetzt, Datenaufkommen und -verfügbarkeit steigen, der Operationssaal wird digitalisiert – mit besonders hohen Anforderungen an Produkte, insbesondere bei lebensrettenden Systemen. Hier ist allerhöchste Qualität von Prüfmitteln und -lösungen gefordert. Neben dem Einsatz spezieller Materialien ist eine lange Verfügbarkeit und Lieferfähigkeit der Kontaktierlösungen von teilweise über 10 Jahre und mehr ein Schlüsselfaktor der Produktsicherheit. Trends wie die Nutzung von künstlicher Intelligenz, elektronische Implantate, der Einsatz hochpräziser Kameratechnik und Robotik, aber auch digitale Hörgeräte, stellen Unternehmen vor neue Herausforderungen. Produkte und Kontaktierlösungen von INGUN tragen auch in Zukunft dazu bei, Leben zu retten und zu verbessern.
Ingun | Menschen & Innovationen 29
Erneuerbare Energien Nachhaltige Energiekreisläufe sind ein Schlüssel für eine lebenswerte Zukunft. Smart Energy bedeutet, dass Energie nicht nur alternativ „gewonnen“, sondern effizienter gespeichert und übertragen werden muss. Das gilt im Besonderen für die beiden Technologien Windkraft und Solarstrom, die mit Herausforderungen bezüglich der Prüfung von Elektrik und Elektronik einhergehen. INGUN liefert die passende Prüftechnik, um die Energiewende auch global zum Erfolgsprojekt zu machen. Im Anwendungsbereich der erneuerbaren Energien werden häufig Kontaktstifte mit geringer Federkraft für die ICTPrüfung eingesetzt. Daneben spielen Hochstromstifte eine große Rolle – mit passgenauen Serien sorgt INGUN für eine verlässliche Kontaktierung und Energieübertragung. Zum Portfolio gehören außerdem Lösungen für Vierpolmessverfahren, die bei der Kontaktierung von Batteriezellen zum Einsatz kommen.
Luft- und Raumfahrt Die Luft- und Raumfahrt ist eine Leitanwendung mit höchsten technologischen Anforderungen. INGUN setzt auf enge Zusammenarbeit mit Aerospace-Unternehmen, um bestmögliche Prüflösungen bereitstellen zu können. Ein vorherrschender Trend ist auch hier die anhaltende Miniaturisierung elektronischer Bauteile – bis hin zum Wegfall der Pads aus Platzgründen und einem Rastermaß von nur noch Bruchteilen von Millimetern. Auch aufwändige Tests in Klimakammern und weitere spezielle Prüfungen gehören zum Anforderungsprofil der Luft- und Raumfahrt. INGUN verfügt über die entsprechende Labortechnik, zum Beispiel für ESD-, Schirmdämpfungs- und Hochstrommessungen. Hinsichtlich der Bandbreite der eingesetzten Lösungen spielen Hochfrequenz-Lösungen eine große Rolle, zum Beispiel für Steckverbinder wie SMA und SMP sowie für hohe Sendeleistungen, die für eine robuste Kommunikation im und zum Weltraum unabdingbar sind. 30 Menschen & Innovationen | Ingun
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Human Recharging Schlaf ist die Königin der Regeneration INSTITUT FÜR SCHLAF UND REGENERATION | Als Ex-Fußballbundestrainer Jürgen Klinsmann Psychologen mit ins Betreuerteam der „Mannschaft“ brachte, wurde er belächelt. Heute sind diese im Spitzensport längst etabliert. Vergleichbar wird das mit „Recovery experts“ rund um das Thema Schlaf passieren – so sieht es der Gesundheitswissenschaftler und Gründer vom „Institut für Schlaf und Regeneration“, André Alesi. Und was für den Sport gilt, ist auch für Unternehmen von großer Bedeutung, entsteht doch durch übermüdete Arbeitskräfte, allein in Deutschland, jährlich ein volkswirtschaftlicher Schaden von rund 60 Milliarden Euro.
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en Schwerpunkt der wissenschaftlichen und praktischen Arbeit des Instituts für Schlaf und Regeneration bildet daher die betriebliche Gesundheitsvorsorge und -förderung. Denn längst legen junge Fachkräfte nicht mehr nur Wert aufs Gehalt, sondern streben nach einer ausgewogenen Work-Health-Balance. Zum Angebot des Unternehmens gehören Fachvorträge, Schulungen und Workshops, sowohl in den Betrieben vor Ort als auch online. Zudem ist das Institut mit Partnern auch auf Ausstellungen und Gesundheitstagen präsent. Schlafsprechstunden wiederum sind vor allem für eine individuelle Beratung und Diagnostik vorgesehen. Ganz neu ist eine 3D-Online-Erlebniswelt rund um das Thema Schlaf (www.institut-schlaf.de). Mit entsprechendem Zugang kann man dort virtuell unterschiedliche Räume betreten und präventive Maßnahmen rund um den Schlaf spielerisch erlernen.
Zielgerichtete Beratung An der Sporthochschule promoviert André Alesi derzeit zur Fragestellung der Korrelation zwischen Schlaf und e-Sport. Neben Firmen wie u.a. Airbus, den Fischerwerken und zahlreichen KMU berät das „Institut für Schlaf und Regeneration“ auch Spitzensportler, z.B. die Pro-Biathletin Janina Hettich.
Bei allen Angeboten wird von André Alesi und seinem fünfköpfigen Team zunächst die Zielgruppe klar analysiert. Denn während sich die einen mit häufigen Reisen und Jetlag herumschlagen müssen, wie es oft bei Führungskräften der Fall ist, leidet der Schlaf anderer unter Bereitschaftsund Schichtzeiten oder körperlich belastenden Arbeitsplätzen ohne Raum
BUCHTIPP Bei BodyLIFE Medien erschien 2021 das Fachbuch „Endlich richtig ausgeschlafen: Bewährte Konzepte für gute Nächte“ von André Alesi und Dr. med Lutz Graumann (ISBN 3982219302, Paperback 14,99). Aktuell arbeitet André Alesi an einem Kinderbuch zum Thema Schlaf.
für regelmäßige Erholungspausen. Schlafprobleme werden zudem durch zu wenig Bewegung wegen vornehmlich sitzenden Tätigkeiten, Blaulicht ausstrahlende Bildschirme und die ständige Erreichbarkeit auch nach Feierabend verursacht. „Jede Berufsgruppe benötigt eine eigene Herangehensweise und Ansprache“, weiß André Alesi aus langjähriger Erfahrung. „Die Frage nach den geeigneten Maßnahmen zur Verbesserung des Schlafes wird jeweils gruppenspezifisch oder individuell gewählt.“ Nach einem einführenden „Sensibilisierungs-Kickoff“ für die Thematik Schlaf, folgt bei Bedarf auch der Einsatz von diagnostischen Produkten. Dabei handelt es sich um Wearables zur Messung von Vitaldaten wie Puls oder Körpertemperatur sowie um Produkte zum Monitoring von Herz- und Atemfrequenz und der nächtlichen Bewegungen des Körpers auf Basis von 24-Std.-EKGs. „Über Algorithmen werden die Schlafphasen hochgerechnet“, so Alesi, „und die Maßnahmen individuell in Auswertungsgesprächen festgelegt und besprochen. Die Menschen sind empfänglicher für empfohlene Maßnahmen, die auf persönlichen Daten basieren, als nur pauschalen Ratschlägen zu folgen. Wer sich im Schlaf sehr häufig dreht und wälzt, der versteht den Grund seiner Erschöpfung.“ Werden dabei medizinische Problematiken festgestellt, kann der Betroffene mit seinen Daten auch den Betriebs- oder Hausarzt aufsuchen. „Denn eines ist klar: die Diagnosen stellt immer noch der Arzt“, so Alesi. „Wir verfolgen einen präventiven Ansatz.“
Licht und Raum für Erholung Seit 16 Jahren beschäftigt sich Alesi mit dem Thema Schlaf in all seinen Facetten. Um diese Vielschichtigkeit abzudecken, greift das Institut für Schlaf und Regeneration zusätzlich auf das Know-how externer Experten aus den verschiedensten Bereichen zurück. Eine große Rolle spielt zum Beispiel die Bürobeleuchtung. „Licht ist insbesondere hinsichtlich des inneren Zyklus der Mitarbeiter von hoher Bedeutung“, so der Schlafexperte. Dafür werden zum Beispiel Raumgestalter und Innenarchitekten mit einbezogen. „Ein Ansatz ist die Etablierung bio-dynamischer Lichtkonzepte mit einem sich über den Tag verändernden Farbverlauf.“ Ein weiteres Thema sind Ruhe- und Erholungszonen im Unternehmen – darunter zu verstehen sind allerdings mitnichten Räume für unausgeschlafene Mitarbeiter. „Recharging the people who power the world“, so nennt Alesi den Leitgedanken, der hinter diesem Konzept steckt. Ein Ort, an dem der körpereigene Akku aufgeladen werden kann, mit Klängen Hirnfrequenzen stimuliert und so Konzentration, geistige Ausdauer und Stressabbau unterstützt werden. Aber auch ein Ort, an dem in Ruhe nachgedacht oder gearbeitet werden kann – Deep Working, um den Worten André Alesis zu folgen.
Wie wichtig kurze Erholungspausen sind, insbesondere für Menschen in Berufen mit hoher Verantwortung, belegt folgender erschreckender Fakt: Im Straßenverkehr gibt es mehr Todesopfer aufgrund von Sekundenschlaf zu beklagen als aufgrund von Fahren unter Alkoholeinfluss. „Zu unseren Klienten zählen dementsprechend Piloten, Ärzte und Speditionen“, so Alesi. „Auch wer in der Nacht arbeitet hat es viel schwerer, rechtzeitig und zielgerichtet auf neue Situationen zu reagieren. Viele folgenschwere Unfälle geschehen in der Nacht, Beispiele sind die Reaktorunfälle in Tschernobyl und Harrisburg oder das Tankerunglück der Exxon Valdez.“ Von daher sei es sinnvoll, regelmäßig Pausen einzulegen – Zeit für Powernapping. Dabei geht es weder darum, einfach nur mal zu liegen, noch ein längeres Schläfchen zu machen. Vor allem die Umgebung sollte mit Bedacht gewählt werden, so Alesi. „Powernapping bedeutet nicht nur Schlaf, sondern vor allem einfach mal in geeigneter Atmosphäre die Augen schließen zu können und sich aus dem Feuerwerk an Informationen auszuklinken.“ Die Achtsamkeit auf die richtige Atmung mit ihrem Einfluss auf das vegetative Nervensystem und damit auf An- und Entspannung sei dabei von elementarer Bedeutung. „Mit dem Erlernen von beruhigenden Techniken hat man eine Gesundheitswaffe an Bord, die nichts kostet“, erklärt der Schlafexperte. Statt zwischendurch zu regenerieren werden Aufgaben allerdings meist mit Gewalt zu Ende gebracht. „Das ist leider typisch für unsere Kultur.“ Eine Aufgabe des Instituts sehen Alesi und sein Team daher auch darin zu sensibilisieren und ein Bewusstsein für Pausen, für Schlaf und Regeneration zu schaffen. Bei Arbeitgebern und Mitarbeitenden. „Das widerspricht keineswegs dem Leistungsgedanken, ganz im Gegenteil“, so Alesi. „Denn letztlich ist es doch so, dass jeder ständig auf den Batteriestand seines Handys achtet, anstatt einen anderen, viel wichtigeren Akku im Blick zu behalten: den physischen und psychischen.”
Institut für Schlaf und Regeneration GmbH Bahnhofstraße 21 D-78713 Schramberg www.institut-schlaf.de www.sleep-consulting.de Institut für Schlaf und Regeneration | Menschen & Innovationen 41
POLITIK, WIRTSCHAFT & BILDUNG In Bildung zu investieren heißt Zukunft sichern – dieses Credo gilt für alle Länder rund um den Bodensee. Ein Abbild dessen ist das umfangreiche Studienangebot der „Bildungsregion Bodensee“, das durch die internationale Zusammenarbeit von 30 Hochschulen im Netzwerk Internationale Bodensee-Hochschule ermöglicht wird. Die internationale Bedeutung ihrer Arbeit im Blick haben immer auch die Institutionen aus Wirtschaft und Politik in der Vierländerregion Bodensee. Insbesondere die Internationale Bodensee-Konferenz (IBK) steht seit 50 Jahren stellvertretend für die erfolgreiche grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der „Modellregion Bodensee“ – und geht im Jubiläumsjahr 2022 auf Tour rund um See.
Foto: Airbus DS 2019
Klaus-Dieter Schnell, Leiter der IBK-Geschäftsstelle
50 Jahre Internationale Bodensee-Konferenz
Sarah Hauser, Leiterin der Koordinationsstelle für Aussenbeziehungen Kanton St.Gallen
IM GESPRÄCH | 50 Jahre Internationale Bodensee-Konferenz (IBK) – der kooperative Zusammenschluss der an den Bodensee angrenzenden und mit ihm verbundenen Länder und Kantone setzt sich seit fünf Jahrzehnten für den Erhalt und die Förderung der Bodenseeregion als attraktiven Lebens-, Natur-, Kultur- und Wirtschaftsraum ein. Wir sprachen mit Klaus-Dieter Schnell, dem Leiter der IBK-Geschäftsstelle, und Sarah Hauser, der Leiterin der Koordinationsstelle für Aussenbeziehungen des Kantons St.Gallen, der 2021 den Vorsitz inne hatte, und Mitglied der Steuerungsgruppe zum IBK-Jubiläum. Seit 50 Jahren arbeiten die Bodenseeanrainer im Rahmen der IBK intensiv an gemeinsamen Aufgaben. Kann man behaupten, dass die Region ein Vorbild für eine länderübergreifende Zusammenarbeit ist? HAUSER: Wir nennen uns nicht umsonst „Modellregion Bodensee“ und sind so eine Art Labor, was länderübergreifende Zusammenarbeit angeht. Seit nun 50 Jahren gehen uns die Themen nicht aus. Die Herausforderungen in dieser Region sind groß – wenn ich da etwa an die grenzüberschreitende Erschließung des öffentlichen Verkehrs denke. In der IBK treffen unterschiedliche Stufen der europäischen Integration aufeinander. Wir haben die Schweizer Kantone als Nicht-EU-Mitglieder, Vorarlberg, Baden-Württemberg und Bayern als Teile der EU sowie das Fürstentum Liechtenstein als EWR-Mitglied. Trotz dieser verschiedenen Ausgangslagen konnten wir uns mit dem Leitbild für die Bodenseeregion oder auch mit der Bodensee Agenda 21 vor einigen Jahren gemeinsam stark positionieren. SCHNELL: Am Bodensee gibt es starke Wirtschaftsräume, einen lebhaften Arbeitsmarkt, attraktive Gemeinden und eine hohe Umweltqualität. Dafür Sorge zu tragen ist eine gemeinsame Aufgabe. In Sachen nachhaltiger Entwicklung hat die IBK bereits vor rund 20 Jahren mit der Bodensee Agenda 21 den ersten grenzüberschreitenden Agendaprozess in Europa angestoßen. Vier verschiedene nationale Rechtssysteme, die Regeln zweier europäischer Wirtschaftsräume und die Ziele von zehn regionalen 48 Politik, Wirtschaft & Bildung | IBK Internationale Bodensee-Konferenz
Regierungen zusammenzubringen, ist in der Tat herausfordernd. Es gibt aber Angelegenheiten, die man gemeinsam lösen muss, wie die Verkehrsinfrastruktur um den See und natürlich den Schutz des Bodensee selbst. Welche Themen stehen derzeit im Fokus? HAUSER: Ein Anliegen der IBK ist es, die Wahrnehmung der Bodenseeregion in den nationalen Zentren zu verbessern. Dort wird unser Raum bisher noch nicht als das gesehen, was er wirklich ist. Die hohe Wirtschaftskraft des Bodenseeraumes – schon die des Rheintals für sich allein genommen ist enorm – wird in den Hauptstädten noch nicht wie gewünscht erkannt. Mit der Regierungskommission Bodensee, die im Frühjahr 2022 als Pilot an den Start gehen wird, haben wir nun eine institutionelle Anbindung der IBK an die nationale Ebene an der Hand. Vor allem bei Themen, die eine weitergehende Bearbeitung auf nationaler Ebene bedürfen, können in einem solchen Gremium Lösungen erarbeitet werden. Kantone und Bundesländer haben oft einfach nicht die Kompetenz dazu. Das ist ein Projekt, an dem wir schon lange arbeiten. 2019 sind wir mit einer IBK-Delegation aus Regierungsmitgliedern nach Bern gefahren und haben den damaligen Wirtschaftsminister und heutigen Bundespräsidenten Guy Parmelin sowie den Außenminister Ignazio Cassis getroffen, um für ein internationales Gremium für den Bodenseeraum zu werben. Und mit Hilfe Berns konnten die anderen Außenministerien nun von der Dringlichkeit eines solchen Gremiums überzeugt werden.
SCHNELL: Beim Thema Verkehrsinfrastruktur werden die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten deutlich. Die Fernverbindungen in die umliegenden Zentren sind eine Angelegenheit des Bundes und der nationalen Bahnen. Den Regionalverkehr bestellen die Bundesländer und Kantone, für die grenzüberschreitenden Busverbindungen können auch kleinere regionale Einheiten oder Städte zuständig sein. Für das Verkehrssystem als Ganzes müssen wir aber übergreifend Lösungen anstreben. In der Schweiz hat es in den letzten Jahren ganz gut funktioniert, die regionalen Vorstellungen in die nationalen Konzepte zur Entwicklung der Bahninfrastruktur zu bekommen. Auf der deutschen Seite dagegen weniger. Von Berlin aus betrachtet sind wir ein Randgebiet – und nicht etwa ein international eng verflochtener Wirtschaftsraum mit über vier Millionen Bewohnern. Auch deswegen ist die Bodenseegürtelbahn bis heute nicht elektrifiziert und die wichtige Südbahn erst jetzt. HAUSER: Diese Nichtbeachtung des Bodenseeraumes war auch lange in der Schweiz so. Als ökonomisch starke Grenzräume wurden Basel und Genf angesehen. Während der Pandemie änderte sich das etwas, weil vor allem der Kanton St.Gallen und das Bundesland Vorarlberg im Rheintal eng miteinander verflochten sind. Die Grenzräume sind stärker in das Bewusstsein der nationalen Zentren getreten. Man kann die Herausforderungen am Bodensee allerdings auch nicht eins-zu-eins gleichsetzen mit denen eines städtisch grenzüberschreitenden Raumes wie Basel.
Stichwort Internationale Bodensee-Hochschule (IBH): Die soll jetzt nach 2O Jahren als IBK-Projekt eigenständig werden. SCHNELL: Ja, die Hochschulen gründen dazu eine Rechtsform als Europäischer Verband für transnationale Zusammenarbeit (EVTZ) – der erste Verband dieser Art im Bodenseeraum. Dennoch haben IBK und IBH weiterhin eine enge Verbindung, mit einem Kooperationsabkommen und mehrjährigen Leistungsvereinbarungen, sprich die Länder und Kantone geben nach wie aus ihren Wissenschaftsetats der IBH die finanziellen Mittel, um bestimmte Ziele und Projekte umzusetzen, die einen Mehrwert für die Hochschulen und die Region erbringen. Ist die IBH das Paradebeispiel der IBK für eine erfolgreiche grenzüberschreitende Zusammenarbeit? HAUSER: Wenn man auf die 50 Jahre der IBK zurückblickt, ist das schon ein herausragendes Leuchtturmprojekt. Die Bildung ist in unserer Region die wichtigste Ressource. Wir verfügen über eine Exzellenz in der Region, die europaweit eine gute Stellung hat und die wir vernetzen wollen. SCHNELL: Die IBK hat mit diesem Projekt dafür gesorgt, dass diese Hochschul-Kooperation ins Rollen gekommen ist. Daraus sind etwa die IBH-LABs als mehrjährige Konsortien zur regionalen Themen entstanden, die spürbaren Effekt auf die Region mit viel Praxisbezug haben. Die LABs tragen auch zur Sichtbarkeit der Region auf Bundesebene bei. Dort wird die Exzellenz unserer Hochschulen natürlich registriert, was auch national von Bedeutung ist.
Foto: Achim Mende – Vorarlberg-Tourismus
Foto: Guido Kaspaer
SCHNELL: Die Grenzregion am Bodensee verfügt über keine klare Metropole, wie etwa Genf oder Basel es sind – trotz der Nähe und Strahlkraft des Metropolitanraumes Zürich. Es sind hier aber die regionalen Zentren, die ebenfalls viele Funktionen einer Metropole abbilden. St.Gallen ist Sitz des Bundesverwaltungsgerichts, Vaduz nationale Hauptstadt, es gibt mehrere bedeutende Messestandorte und hochrangige kulturelle Einrichtungen und in Konstanz liegt eine der besten Universitäten Deutschlands. Man kann diese metropolitanen Funktionen aber nicht einfach addieren, sondern man muss
sie auch miteinander vernetzen. Das schafft Sichtbarkeit. Einige dieser Themen hat die IBK angepackt, zum Beispiel mit dem Aufbau und der Unterstützung des Hochschulverbunds im Bodenseeraum. Dabei ist es wichtig, dass auch Zürich als globaler Wissenschaftsstandort Mitglied der IBK ist. Beim Thema Verkehr muss man sogar noch großräumlicher denken, bei anderen Projekten dagegen eben ein bisschen kleiner.
Wirtschaftskonzil Bodensee 2015-2018 – ein Kooperationsprojekt der IBK
1972 Gründung der Bodenseekonferenz, insbesondere wegen des gemeinsamen Umwelt- und Gewässerschutzes IBK Internationale Bodensee-Konferenz | Politik, Wirtschaft & Bildung 49
Foto: Winterhalter Gastronom GmbH
Der Spülmaschinenhersteller Winterhalter war eines von 40 KMU, die sich an den IBH-Labs beteiligten.
Reallabore der Region INTERNATIONALE BODENSEE-HOCHSCHULE | Die Digitalisierung des Mittelstands, Technologien für ein selbstbestimmtes Wohnen und Leben, Konzepte für die Nahtstellen der Bildung: Fünf Jahre lang hat die Internationale Bodensee-Hochschule in den „IBH-Labs“ Forschende, Unternehmen und Zivilgesellschaft eng verzahnt, um regionale Lösungen für diese Herausforderungen zu finden. Im Jahr 2022 gehen die Innovationsnetzwerke mit neuen Themen in die zweite Runde.
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as haben ein Landwirt aus dem Rheintal und ein Waschmaschinenhersteller aus Oberschwaben gemeinsam? Auf den ersten Blick wenig. Und doch sind sie beide auf ihre Weise von der Digitalisierung getroffen, und beide sind von dem Wunsch angetrieben, ihre Marktführerschaft auch unter gänzlich veränderten Vorzeichen zu wahren. Verdunova und Winterhalter heißen die beiden Unternehmen, und beide gehörten zu den rund 40 kleinen und mittelständischen Unternehmen der Vierländerregion, die in den vergangenen Jahren Teil des Innovationsnetzwerks KMUdigital waren. Die Fragestellung des Netzwerks lautete: Wie viel Digitalisierung muss und wie viel passt in den Mittelstand? KMUdigital war eines von drei „Labs“, welches das Interreg V-Programm Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein (siehe S. 46) in den vergangenen fünf Jahren gefördert hat. In diesen Real-Laboratorien sollten im Zusammenspiel zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesell54 Politik, Wirtschaft & Bildung | Internationale Bodensee-Hochschule IBH
schaft technologische und soziale Innovationen entstehen, die einen spürbaren Einfluss auf die Region haben können. Dazu arbeiteten 16 Hochschulen aus den vier Ländern des IBH-Verbunds – Deutschland, Liechtenstein, Österreich und die Schweiz – gemeinsam mit 114 Praxispartnerinnen und -partnern. Das Fazit fällt erfreulich aus: Als „Leuchtturmprojekt“ lobt etwa BadenWürttembergs Kultusministerin Theresia Bauer die „enge und grenzüberschreitende“ Zusammenarbeit.
Überlebensfrage für die Hidden Champions Die wichtigste Erkenntnis des KMUdigital-Labs liegt für dessen Leiter Oliver Haase, Informatikprofessor an der HTWG Konstanz, darin, dass die eigene Fragestellung inzwischen überholt sei: „Die Frage nach dem Muss stellt sich nicht mehr. KMU müssen maximal viel digitalisieren – das ist zu einer Überlebensfrage geworden.” Dies gelte nicht zuletzt für die traditionsreichen Hidden Champions der Region, die über unbe-
Grafik: IBH / Carsten Pikolin
strittene Exzellenz in der stetigen Optimierung ihrer Produkte verfügen, sich aber zuweilen schwer mit der Etablierung neuer, datengetriebener Anwendungen oder auch ganz neuer Geschäftsmodelle täten. „Hier sind wir noch nicht Weltspitze“, mahnt Haase. Winterhalter, einer der Weltmarktführer beim gewerblichen Spülen, ist ein Mutmacher. Bereits 2016 hat man als Erster im Markt ein „Pay per Use“-Angebot auf den Markt gebracht, das sich jetzt auszuzahlen scheint.
Doch den einen Fahrplan, das allgemeingültige Standardrezept für eine erfolgreiche Digitalisierung gibt es nicht – auch dies ist ein Ergebnis der Arbeit im Lab. Vielmehr komme es auf die individuelle unternehmerische Entscheidung und häufig auch das nötige Quäntchen Risikobereitschaft an. Klarer ist der Forderungskatalog für die digitale Agenda Bodensee, den Unternehmen und Forschende gemeinsam aufgestellt haben: Er umfasst unter anderem den Datenschutz und die Cybersicherheit, den Roll-Out des 5G-Netzes und die digitale Bildung.
Feldforschung: Jürgen Prenzler (Ostschweizer Fachhochschule, li.) und sein Team testen gemeinsam mit Beni Dürr (Verdunova) Digitalisierungsoptionen für die Landwirtschaft.
Foto: IBH / Hannes Thalmann
Auch auf die Landwirtschaft der Region kommt die Digitalisierungsfrage schneller als geglaubt zu, schließlich wird sie in ihrer kleinteiligen Struktur nur mit Hilfe einer intelligenten Steuerung ihrer Produktionsprozesse wettbewerbsfähig bleiben können. Ein Team von Forschenden hat dazu eine Reihe von Prototypen getestet: ein intelligentes Erntemesser, mit dem man anhand der Schnittführung erkennen kann, ob gerade ein guter oder schlechter Broccoli geschnitten wurde;
oder ein Zähler mit Lichtschranke, der die Stückzahl misst; oder ein Hacksystem, das über ein Kamerasystem Unkraut erfasst. 30 Prozent mehr Gewinn haben die Vertragslandwirte von Verdunova damit erzielt. Ein Best-Practice-Beispiel für viele Gemüse- und Obstbauern in der Vierländerregion und darüber hinaus.
Internationale Bodensee-Hochschule IBH | Politik, Wirtschaft & Bildung 55
Vom Hörsaal zum Pitch Apropos Bildung: Um die Überwindung von Nahtstellen und Bruchstellen des Lernens ging es im Lab „Seamless-Learning“. Für die innovativen Unternehmen der Region sind exzellente Arbeitskräfte von existenzieller Bedeutung, die duale und universitäre Ausbildung bewegt sich im internationalen Vergleich fraglos schon auf hohem Niveau. Doch auch hier schlummert im Miteinander von Wissenschaft und Praxis noch viel Potential – wie das Lab-Projekt „Agiles Projektmanagement“ gezeigt hat. Das Stichwort „agil“ ist in aller Munde, die universitäre Ausbildung indes bereitete bislang auf die interdisziplinäre Teamarbeit und ständige Kommunikation mit Kunden noch nicht ausreichend vor. Ein im Projekt von Forschenden der HTWG Konstanz weiterentwickeltes Modul für Masterstudierende der Informatik fasst zwei Seminare zusammen und verlegt sie zum Großteil zu Softwareunternehmen in der Umgebung, wo Studie-
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rende in Teams um real existierende Kundenprojekte pitchen. „Der Nerd, der allein im Keller vor seinem Bildschirm hockt, passt eher nicht in ein agiles Team“, fasst Stephan Strittmatter, Talentscout beim Softwarehaus Sybit aus Radolfzell das veränderte Jobprofil zusammen. Er nutzt die Kooperation erklärtermaßen natürlich auch, um Talente an sein Unternehmen zu binden. Für viele Studierende stellt aber nicht erst der Übergang in die Arbeitswelt, sondern schon die akademische Abschlussarbeit eine Hürde dar. Ein an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften entwickeltes Programm hilft nicht nur dabei, die Thesis zu strukturieren, sondern gibt auch Hilfestellung bei disziplinspezifischen Formulierungen – eine echte Erleichterung für Studierende wie Dozierende, die pro Jahr etwa 1.500 Mal genutzt wird.
Der Nerd, der allein im Keller vor seinem Bildschirm hockt, passt eher nicht in ein agiles Team.«
Foto: IBH / Hannes Thalmann
Stephan Strittmatter, Talentscout Sybit
Nun gilt es, Geschäftsmodelle zu entwickeln, insbesondere für die sozialen Millieus, in denen das Geld nicht locker sitzt.« Guido Kempter, Leiter des Forschungszentrums „Nutzerzentrierte Technologien“ an der FH Vorarlberg
Beratung auf der Baustelle: Lab-Leiter (2. v. li.) Guido Kempter mit Vertretern der Gemeinde Balzers (Fürstentum Liechtenstein).
Was bedürftigen Menschen wirklich nützt Wie technologische Innovationen ein trotz Alter und Einschränkungen selbstbestimmtes Leben unterstützen können, war das Thema des „Living Lab AAL“. Zwar haben inzwischen viele Anbieter angesichts einer massiv alternden Bevölkerung das Marktpotential für Lösungen rund um das Ambient Assisted Living (AAL) erkannt, darunter auch die großen amerikanischen Technologieplattformen. Doch längst nicht alles, was angeboten wird, ist auch sinnvoll, angemessen und zukunftsfähig. Und so verstanden die IBHForschenden ihre Aufgabe hier nicht zuletzt in der konkreten Beratung von Bauvorhaben in der Region. 257 Wohnungen in allen vier Ländern der Region sind auf diesem Weg mit Bewegungsmeldern und Lichtschranken, mit Apps für die Lichtsteuerung oder Sensoren, die den Co2-Gehalt messen, auf Herz und Nieren geprüft worden. Knapp 900 Menschen haben davon direkt in ihrem Alltag profitiert, hinzu kommen die Besucher und Besucherinnen der Technologie-Schauräume, die unter anderem in Kempten und Tuttlingen entstanden sind. Für so viel Praxiswirkung wurde das Lab 2020 in Österreich zu einem der 30 erfolgreichsten von über 2.000 Interreg-Projekten gewählt. „Nun gilt es, Ge-
Foto: IBH / Hannes Thalmann
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schäftsmodelle zu entwickeln, insbesondere für die sozialen Millieus, in denen das Geld nicht locker sitzt“, fordert Guido Kempter, Leiter des Forschungszentrums „Nutzerzentrierte Technologien“ an der FH Vorarlberg und Leiter des Labs.
Neue Netzwerke starten 2022 Durchaus möglich, dass die Gesundheitswirtschaft auch in den kommenden Jahren einen Schwerpunkt der Innnovationsforschung rund um den Bodensee bilden wird. Denn die Labs gehen in die zweite Runde. „Digital Health“, „Zukunft der Arbeit“, „Mobilität der Zukunft“ sowie „Wege zu einer nachhaltigen Bodenseeregion“ heißen die vier Oberthemen, für welche die IBH um Vorschläge gebeten hat – unter anderem im Rahmen eines zweitägigen Ideenworkshops mit über 180 Teilnehmenden. Im Jahr 2022 sollen erneut drei Konsortien ihre Arbeit aufnehmen – dann unter neuem Namen. Denn nachdem die IBH über 20 Jahre lang ein Projekt der Internationalen Bodensee-Konferenz (IBK) war, wird sie nun in Form eines Europäischen Verbunds für territoriale Zusammenarbeit (EVTZ) eigenständig. Damit verknüpft ist ein Namenswechsel: Aus der IBH wird der Wissenschaftsverbund Vierländerregion Bodensee.
Text: Jens Poggenpohl Jens Poggenpohl ist freier Journalist und beobachtet für die Internationale BodenseeHochschule Bildung, Wissenschaft und Forschung in der Vierländerregion Bodensee.
Kontakt und Informationen www.bodenseehochschule.org info@bodenseehochschule.org
Internationale Bodensee-Hochschule IBH | Politik, Wirtschaft & Bildung 57
Wiederverwendbare Verpackungen aus Bio-Baumwolle: Die Konstanzer Gründerin Hema Kumar behauptet sich erfolgreich am Markt.
People, Planet & Profit
Hema Kumar im Gespräch mit IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx
Mit nachhaltigen Ideen Geld verdienen IHK Hochrhein-Bodensee | Gesellschaft und Wirtschaft stehen vor einer gewaltigen Aufgabe – der ökologischen Transformation. Der bereits spürbare Klimawandel bereitet den Menschen Sorgen, die Politik räumt dem Klimaschutz zurecht höchste Priorität ein. Parallel zu diesem wachsenden Bewusstsein für mehr Nachhaltigkeit entsteht seit einigen Jahren ein neuer Wirtschaftszweig: Unternehmen, die sich explizit mit nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen befassen und erfolgreich am Markt behaupten. So auch die Konstanzer Gründerin Hema Kumar. Mit ihrem Unternehmen FabRap sagt sie dem Verpackungswahn – nicht nur zu Weihnachten – den Kampf an. Wie? Sie verkauft wiederverwendbare und damit nachhaltige Geschenkverpackung aus Bio-Baumwolle. Mit IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx hat sie darüber gesprochen, wie sie auf ihre Idee gekommen ist und warum unsere Zukunft nur eine nachhaltige sein kann.
Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee www.konstanz.ihk.de
Claudius Marx: Frau Kumar, mit Ihrem Unternehmen FabRap möchten Sie Geschenkpapier aus Papier und Folie überflüssig machen und setzen auf Verpackungen aus Stoff. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen? Dachten Sie vom Prinzip der Nachhaltigkeit zum Produkt oder suchten sie umgekehrt für ein bestehendes Produkt eine nachhaltige Lösung? Hema Kumar: Das ist eine lange Geschichte. Schon als Kind habe ich Geschenke in bunte Stoffe eingepackt, einfach, weil ich es schön fand. Doch meine Idee für FabRap kam viel später. Mein Fokus lag erst einmal bei der Bio-Baumwolle. Vor 12 Jahren, als ich noch in Saigon lebte und meine Kinder klein waren, suchte ich nach Babybekleidung aus Bio-Baumwolle. Viele Menschen haben keine Vorstellung davon, mit wie vielen
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Chemikalien Baumwolle behandelt wird. Das wollte ich meinen Kindern nicht anziehen. Also habe ich ein Unternehmen für Babybekleidung aus Bio-Baumwolle gegründet. Ich lernte in dieser Zeit viel über zertifizierte Bio-Baumwolle. Sie kamen also über die Bio-Baumwolle zu Ihrer Idee für FabRap? Genau, aber auch weil ich in Vietnam gesehen habe, dass die Menschen ihre Geschenke in erster Linie in Cellophan-Folie einpacken. Das verursacht viel Müll und ist schlecht für die Umwelt. Das geht auch anders, dachte ich mir und so entstand die Idee für FabRap. Ich habe einige Prototypen entwickelt und getestet. Die Rückmeldungen waren super.
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Die Menschen sind für nachhaltige Produkte mittlerweile sehr offen. Wir haben den richtigen Zeitpunkt für wiederverwendbare Geschenkverpackungen getroffen.«
Der Ruf nach mehr Nachhaltigkeit ist inzwischen omnipräsent - ich könnte mir also vorstellen, dass Ihre Geschäftsidee recht erfolgreich ist? Ja, die Menschen sind für nachhaltige Produkte mittlerweile sehr offen. Wir haben den richtigen Zeitpunkt für wiederverwendbare Geschenkverpackungen getroffen. 2019 haben wir losgelegt und trotz Coronakrise und geschlossenem Einzelhandel sind unsere Verkäufe jedes Jahr um 40 Prozent gestiegen. Gratulation! Beim Thema Geschenkpapier sehe ich immer meine Oma vor mir, wie sie unter dem Weihnachtsbaum das bunte Papier, das wir Kinder aufgerissen hatten, mit ihren alten Händen glattgestrichen hat, um es später noch einmal zu verwenden. Und dann denke ich: Wir waren alle schon mal sehr viel nachhaltiger, wir haben es nur vergessen. Absolut richtig, wir haben uns an die Wegwerf- und Konsumgesellschaft gewöhnt. Aber es muss ja nicht zwingend so weitergehen. Wir können uns auch wieder umgewöhnen. Es ist schön zu sehen, wie überall neue Ideen für Nachhaltigkeit entstehen. Gerade bei Gründungen spielt das Thema Nachhaltigkeit eine große Rolle. Nachhaltige Produkte und Dienstleistungen sind die Zukunft. Mit dem Klimaschutz haben wir eine der größten Herausforderungen überhaupt zu bewältigen. Die Wegwerf- und Konsumgesellschaft verursacht zu viel CO2, belastet die Umwelt und verschmutzt unsere Natur. Dass dieser Weg so nicht weitergehen kann, müsste mittlerweile jedem klar sein.
zugeben. Da nachhaltige Produkte zwar länger halten, aber auch teurer sind, ist es wichtig, früh zu testen, ob es eine Kaufbereitschaft gibt. Ich denke, Gründerinnen und Gründer sind gut beraten, wenn sie die drei P im Blick behalten: People, Planet und Profit. Und was wäre Ihre Botschaft an Unternehmen, die weiterhin nur auf das dritte P, den Profit setzen? Ich bin mir sicher: Wenn ein Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit nicht ernst nimmt, wird es irgendwann nicht mehr da sein. Die Konsumenten ändern sich, die Generationen. Vieles wird in Frage gestellt, nicht zuletzt im Zuge des Klimawandels. Die Coronakrise hat das Thema zusätzlich befeuert. Ein nachhaltiges Leben: Das wird unser Weg sein und Länder wie Deutschland können der Vorreiter sein. Sie sind Australierin. Wie kam es dazu, dass Sie Ihr Unternehmen in Konstanz gegründet haben? Das hatte unterschiedliche Gründe. Wir haben zuvor in Berlin gelebt. Wir lieben diese Stadt, haben dort ein großes Netzwerk, aber es war schwer, sich zu organisieren, etwa Beratungstermine zu bekommen. Deswegen haben wir uns entschieden, nach Süddeutschland in die Nähe zur Schweiz zu ziehen. Konstanz ist es dann geworden. Hier habe ich sehr viel Unterstützung und Ermutigung erfahren, gerade von der IHK. Ohne diese Unterstützung hätte ich meine Idee nicht so schnell und erfolgreich umsetzen können. Ich fühle mich hier angekommen. Dafür bin ich sehr dankbar.
Hema Kumar (50) wurde in Nordindien geboren. Mit neun Monaten zogen ihre Eltern mit ihr und ihrer Schwester nach London, wo sie die nächsten Jahre verbrachte. Mit neun ging die Familie nach Australien, wo Kumar ihren Schulabschluss machte und ein Wirtschaftsstudium absolvierte. Ihr Weg führte sie und ihren Mann mit den gemeinsamen Kindern nach Dubai und Saigon, wo Kumar ihr erstes Unternehmen gründete: Eine Firma für Babykleidung aus Bio-Baumwolle. Seit 2014 leben sie in Deutschland, zuerst in Berlin, seit 2018 in Konstanz.
Sitz der IHK HochrheinBodensee im BODENSEEFORUM KONSTANZ
Die Mehrheit der Menschen befürwortet ja einen nachhaltigen Lebensstil, nur im Alltag fällt es ihnen schwer, sich von ihren Gewohnheiten zu lösen. Ich halte hier Ihr fröhlich buntes Tuch in Händen - viele verbinden aber Nachhaltigkeit spontan mit grau, langweilig und spaßbefreit, fürchten Verzicht und Einschränkung. Dabei geht es nicht primär darum, auf etwas zu verzichten, wir müssen Dinge einfach anders machen. Die Fahrt mit einem Elektroauto macht ja nicht weniger Freude als die mit Verbrennungsmotor. Gleiches gilt für Kleidung. Sie kann schick und nachhaltig sein. Mein Produkt gibt es in vielen Farben. Die Zeit, in der Öko-Pullover nur beige und braun waren, sind längst vorbei! Was würden Sie Unternehmen raten, die noch nicht so recht wissen, wie sie das Thema Nachhaltigkeit umsetzen können? Ein Produkt darf nicht nur nachhaltig, sondern muss auch profitabel sein. Ein nachhaltiges Produkt funktioniert nur, wenn die Leute bereit sind, dafür Geld ausIHK Hochrhein-Bodensee | Politik, Wirtschaft & Bildung 67
TAGUNGEN & TOURISMUS Die Menschen am Bodensee sind Experten, wenn es darum geht, gute Gastgeber zu sein. Kaum eine Region ist zugleich touristisch so bedeutsam und ökonomisch so stark wie die Bodenseeregion. Das spiegelt sich auch in der Tagungskultur der Region wider. Die Infrastruktur und Tagungshäuser in den Städten rund um den See bieten Möglichkeiten für Kongresse jeder Art und Größe und müssen einen Vergleich mit dem Angebot in den großen Metropolen nicht scheuen. Und sie bieten sowohl für Urlaubsgäste als auch für die Teilnehmer eines Kongresses Einzigartiges: die Inspirationsquelle See.
Die ideale Kombination: Hybride Veranstaltungen
Foto: Philipp Uricher
BODENSEEFORUM KONSTANZ | Das BODENSEEFORUM KONSTANZ ist als noch junges Haus bestens für Anforderungen hybrider und digitaler Veranstaltungen ausgestattet. Die umfangreiche Konferenztechnik und das erprobte Know-how ermöglichen die aktive Teilnahme und den gezielten Austausch – egal ob vor Ort, zuhause, im Büro oder unterwegs.
hybriden Veranstaltungen darf dabei nicht unterschätzt werden und trägt einen großen Teil zum Gesamterlebnis der Veranstaltung bei. Das Haus erweist sich hier mit seiner modernen Ausstattung und dem fundierten und erprobten technischem Know-how als idealer Standort.
H
ybride Veranstaltungen sind innovative Formate, die hochwertigen Inhalten eine größere Reichweite ermöglichen, die Realitäten erweitern und mit interaktiven Präsentationen bereichern. Dabei unterstützt das BODENSEEFORUM KONSTANZ seine Kundinnen und Kunden bei der Realisierung ihres hybriden Events – vom detaillierten Ablaufplan bis zum virtuellen Applaus. Das visuelle Element und technische Equipment von digitalen und
76 Tagungen & Tourismus | BODENSEEFORUM KONSTANZ
Auch Messen und Ausstellungen leben nicht nur von präsentierten Produkten und aufwändigen Messeständen. Wichtig ist vor allem der persönliche Kontakt. Um diesen direkten Austausch auch während einer hybriden Messe herzustellen führt das BODENSEEFORUM KONSTANZ die nächste Generation von Messen, Tagungen und Networking ein - maßgeschneidert für die neue Realität mit vor-Ort und gleichzeitig virtueller Teilnahme an einer Veranstaltung.
Ziel ist es, Veranstaltungen im realen Raum digital zu erweitern und weitere Begegnungen zu schaffen.«
Foto: Philipp Uricher
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Das BODENSEEFORUM KONSTANZ am Ufer des Seerheins
Reale Veranstaltungen im digitalen Raum erweitern mit Hilfe der Plattform allseated
Mit der virtuellen Plattform allseated ermöglicht das BODENSEEFORUM KONSTANZ Mobilität und Interaktion zwischen Eventteilnehmenden in einem digitalen Zwilling, also einem virtuellen Raum. Ziel ist es, Veranstaltungen im realen Raum digital zu erweitern und weitere Begegnungen zu schaffen. Besonders die Mobilität in Verbindung mit der Interaktion per Videokonferenz in der virtuellen Welt ist einzigartig auf dem Eventmarkt. Als Avatar kann der Eventteilnehmende den virtuellen Raum, basierend auf der getreuen Abbildung des Hauses, frei erkunden. Das Besondere daran ist die zufällige Begegnung von Avatar zu Avatar, ganz wie in der realen Welt. Wie beim Live Event, kann durch Workshops, Bühnenvorträge, Gruppen- oder Einzelgespräche mit anderen Eventteilnehmern interagiert werden. Allseated exVo ergänzt das Live Event zusätzlich, indem es Reichweite, Kommunikationsmöglichkeiten und Interaktivität einer Veranstaltung vergrößert und der Branche durch zusätzliche Chancen und Sicherheit ganz neue Businessmodelle aufzeigt. Bereits vor der
Veranstaltung können Kundinnen und Kunden über eine virtuelle Sight Inspection die gebuchten Räume im gewünschten Set-up in 3D besuchen. Caterer, Ausstatter und Veranstalter treffen sich virtuell in der Location um das Event gemeinsam vorab zu planen – effektiv, kollaborativ und beeindruckend! Ein großes Plus ist der Aspekt der Nachhaltigkeit. Mit weniger Teilnehmenden vor Ort reduzieren sich automatisch CO2-Emissionen, die durch Anreise, notwendige Transporte oder Müllproduktion entstehen würden. Hybride Veranstaltungen sind flexibel: Auf sich kurzfristig ändernde Teilnehmerzahlen, Anforderungen an Interaktivität und Kommunikationsmöglichkeiten kann schnell reagiert werden. Inhalte der Veranstaltung lassen sich einfach und multimedial weiterverbreiten. Sind Teilnehmende unentschlossen, so können sie vorerst virtuell an der Veranstaltung mitwirken. Überzeugt das Veranstaltungskonzept, nehmen sie live an einer Folgeveranstaltung teil. Grenzenloses Eventdesign – von der Planung mit einem Eventcanvas Workshop, der technischen Ausstattung, dem Online-Marketing bis hin zum reibungslosen Ablauf der gesamten Veranstaltung – das Team des BODENSEEFORUM KONSTANZ hilft Ihnen jede Art von Event zu einer unvergesslichen Veranstaltung zu machen, ob digital, hybrid oder in Präsenz.
BODENSEEFORUM KONSTANZ Reichenaustraße 21 D-78467 Konstanz Tel. +49 7531 12728 0 info@bodenseeforum-konstanz.de www.bodenseeforum-konstanz.de BODENSEEFORUM KONSTANZ | Tagungen & Tourismus 77
Alles richtig gemacht!
Neueröffnetes Einkaufszentrum Cano
IM GESPRÄCH | Der Singener Oberbürgermeister Bernd Häusler ist im Juli für eine zweite Amtszeit wiedergewählt worden. Dies ist ein guter Zeitpunkt, um eine Zwischenbilanz zu ziehen und auf die Ziele für die zweite Amtszeit sowie anstehenden Projekte zu blicken.
Der Singener Oberbürgermeister Bernd Häusler
Herr Häusler, Ihre erste Amtsperiode als Singener Oberbürgermeister liegt hinter Ihnen. Wie sieht Ihr Fazit aus? Konnten Sie Ihre Ziele erreichen? Ich denke, wir können sehr zufrieden sein, wie sich die Stadt in den vergangenen acht Jahren entwickelt hat. Wir konnten gemeinsam mit dem Gemeinderat und der Verwaltung viele Dinge auf den Weg bringen. Ich denke hier beispielsweise an den Prozess zum Integrierten Stadtentwicklungsprozess (ISEK) oder die Entwicklung der Innenstadt mit dem CANO und dem Bahnhofsvorplatz. Dazu kommt die Hegaustraße, die nach der Umgestaltung jetzt richtig einladend ist. In den letzten Jahren ist die Urbanität in der ganzen Innenstadt deutlich gestiegen. Insgesamt spürt man, dass sich die Menschen immer wieder gerne dort aufhalten.
die wir sukzessive umsetzen. Und klar ist auch: Ohne die Entscheidung für das CANO hätten wir den Bahnhofsvorplatz nicht erneuern können und wer weiß, ob Karstadt dann geblieben wäre. Eine Fußgängerzone, die praktisch erst ab der Hegaustraße anfängt, ohne attraktiven Zugang vom Bahnhof her, möchte ich mir nicht vorstellen. Zudem zeigt sich jetzt in der Pandemie, dass unsere Innenstadt eben durch die eingeleiteten Maßnahmen resilienter ist als das in vielen anderen Städten der Fall zu sein scheint. Dieser Effekt ist in Anbetracht der Herausforderungen durch die Pandemie und den zunehmenden Onlinehandel nicht zu unterschätzen. Ich bin auch sehr froh, dass es uns gelungen ist, das Hospiz auf dem Wetzstein-Areal zu realisieren. Hier können Menschen würdevoll und in bestens integrierter Lage ihren letzten Lebensweg gehen.
Also haben Sie alles richtig gemacht? Es hat sich gezeigt, dass die strategischen Weichenstellungen, die wir insbesondere in der Innenstadt vorgenommen haben, sich jetzt auszahlen. Sowohl mit dem ISEK-Prozess als auch mit dem Einzelhandelskonzept und dem Innenstadtentwicklungskonzept haben wir eine konzeptionelle Grundlage erarbeitet,
Singen ist mittlerweile auch ein stark gefragter Wohnstandort. Wie gehen Sie damit um? Wir merken in der Tat, dass die Nachfrage nach Wohnraum in den letzten Jahren sehr stark zugenommen hat. Sobald wir Neubaugebiete vermarkten, übersteigt die Nachfrage das Angebot um ein Vielfaches. Wir haben mit dem Gemeinderat deshalb Vergabekriterien
102 Standort D-A-CH-LI | Singen (Hohentwiel)
Visualisierung Bauvorhaben Wehrdstraße
für städtische Bauplätze entwickelt, um eine möglichst objektive Auswahl treffen zu können. Aber natürlich können wir nur einen kleinen Teil der Nachfrage bedienen. In den letzten Jahren haben private Bauträger und unsere hiesigen Wohnbaugenossenschaften allerdings in gewaltigem Umfang neuen Wohnraum in der Stadt geschaffen oder sind gerade dabei. Insgesamt sind seit 2018 in Singen ca. 1.000 Wohnungen genehmigt worden. Ich denke hier z.B. an die Wehrdstraße oder die Karl-SchneiderStraße, wo gerade gebaut wird. Das Kunsthallenareal, der Malvenweg, der Herz-Jesu-Platz, die Praxedisgärten und das Hofquartier sind schon fertiggestellt. In den nächsten Jahren werden weitere Wohnungen unter anderem auf dem Scheffelareal entstehen, wo ein Sanierungsgebiet ausgewiesen wurde. Das wird ein größeres Projekt, das diesem Teil der Innenstadt ein ganz neues Gesicht geben wird. Wohnen ist sicherlich eine Daueraufgabe. Wo sehen Sie denn sonst die größten Aufgaben und Herausforderungen für Ihre zweite Amtszeit? Die Herausforderungen in Singen sind nicht losgelöst von den großen Themen, mit denen unsere Gesellschaft insgesamt konfrontiert ist. Ich habe deshalb im Wahlkampf gesagt, dass die Stadt Singen bis 2035 klimaneutral werden soll. Das wird mit Sicherheit nicht einfach, aber wir müssen die notwendigen Weichenstellungen jetzt konsequent vornehmen. In vielen Bereichen sind wir ja schon gut unterwegs, etwa mit der bereits umgesetzten Umstellung der Straßenbeleuchtung auf LED oder im Bereich der Mobilität. Mit dem Ausbau der Fahrradwege und –straßen hatten wir einen vielversprechenden Anfang und erweitern das Netz weiter. Die nächste
Neubauten auf dem Kunsthallenareal der Baugenossenschaft Oberzellerhau
Generation der Stadtbusse wird ab 2026 klimaneutral fahren. Schon heute bieten wir ein 365-Euro-Jahresticket und ein 1-Euro-Ticket an. Aktuell läuft die Fortschreibung unseres Klimaschutzkonzeptes. In dem Zusammenhang wird auch erstmals ein kommunaler Wärmeplan erstellt, der dazu beitragen soll, eine klimaneutrale Wärmeversorgung zu erreichen. Und wir unterstützen Unternehmen bei der naturnahen Gestaltung ihres Firmengeländes. Unabhängig davon möchte ich, dass unser Hallenbad, das in die Jahre gekommen ist, durch ein neues Bad ersetzt wird, eine dreiteilige Sporthalle für den Schulsport und eine neue Feuerwehrwache gebaut wird. Und zu guter Letzt wollen wir die im letzten Jahr abgebrannte Scheffelhalle neu bauen. Diese Maßnahmen sind wichtig für die Menschen in unserer Stadt, werden finanziell aber anspruchsvoll, zumal die Pandemie uns massive Einnahmeverluste beschert hat. Wie sind denn die Aussichten für den Wirtschaftsstandort Singen? Unsere Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren immer wieder sehr robust und gleichzeitig dynamisch gezeigt. Die aktuellen Probleme, die aus Unterbrechungen bei den Lieferketten oder fehlenden Frequenzen im Handel durch den zunehmenden Onlinehandel resultieren, werden wir hoffentlich bald hinter uns lassen. Ich bin davon überzeugt, dass der Standort seine traditionellen Stärken, wie z.B. die Lagegunst oder ein gut ausgebildetes Mitarbeiterpotential, bald wieder voll ausspielen kann. Wir sind mit Hochdruck dabei, unser Gewerbegebiet „Tiefenreute“ und das Wohngebiet „Bühl“ zu erweitern. Die Voruntersuchung für eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme wird im Frühjahr 2022 abgeschlossen sein. Zudem hat der Gemeinderat gerade einem Nachtragshaushalt zugestimmt, so dass wir weitere 7,5 Mio. Euro für den notwendigen Grunderwerb zur Verfügung haben. Ziel dieser Maßnahme ist es, den stetig hohen Bedarf an gewerblichen Flächen langfristig befriedigen zu können. Sofern die Grundeigentümer mitmachen, entsteht hier ein modernes Entwicklungsgebiet für die Zukunft unserer Stadt.
Neugestaltung des Bahnhofvorplatzes Singen (Hohentwiel) | Standort D-A-CH-LI 103
SCHWEIZ
Foto: Agentur BBK, Daniel Schmid
Die Schweizer Anrainer-Kantone am Bodensee St.Gallen, Appenzell, Thurgau und Schaffhausen sind international bekannt für ihre Spezialitäten (im Bild die Macardo Swiss Distillery in Amlikon-Bissegg, Thurgau). Das wirtschaftliche Rückgrat der Region bilden neben der Nahrungsmittelindustrie die starken Ostschweizer Branchen Maschinenbau, Elektronik, Fahrzeugbau, Bankenwesen, Textilindustrie und die Forschung. Nach dem Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen Schweiz-EU fußt die Zusammenarbeit der exportorientierten Unternehmen weiterhin im Wesentlichen auf die bilateralen Vereinbarungen aus den Jahren 1999 und 2004.
Thurgau – vernetzt gut! Wertvolle Netzwerke, zielgerichtete Wirtschaftsförderung und innovative Projekte geniessen im Kanton Thurgau einen hohen Stellenwert. Während sich das Thurgauer Technologieforum mit seinen interdisziplinären Veranstaltungen und seinem bemerkenswerten Wissenstransfer seit über 20 Jahren etabliert hat, gewinnen der «Smarte Thurgau» oder Organisationen wie das «Startnetzwerk Thurgau» und das Innovations-Netzwerk Ostschweiz «INOS» zusehends an Bedeutung. Im Thurgau denken und handeln wir vernetzt – im Wissen, dass wir gemeinsam noch besser und stärker sind. Werden auch Sie Teil unserer Innovationskraft! Wir freuen uns auf Sie.
Swiss Future Farm macht Smart Farming für die Praxis greifbar
Thurgauer Technologieforum gibt Impulse zur wissenschaftlichen Entwicklung von Lösungen und Produkten ➔ technologieforum.ch
Inno-Pack.Net stärkt die Innovationskraft in der Verpackungsbranche ➔ inno-pack.net
INOS
Digitalisierungsinitiative Bodensee
fördert mit etablierten Partnerschaften systematisch die Innovationskraft von Ostschweizer Unternehmen und stärkt deren Wettbewerbs fähigkeit ➔ inos.swiss
fördert grenzüberschreitende Digitalisierungs-Aktivitäten im Wirtschaftsraum Bodensee ➔ bzi40.eu
Digitalisierungsinitiative Bodensee der IBK
wifoe.tg.ch
➔ swissfuturefarm.ch
Lignum-Ost stärkt nachhaltig die Wertschöpfungskette Holz – vom Baum bis zum fertigen Holzfabrikat ➔ lignum-ost.ch
KarriereThurgau Thurgau Wissenschaft
lanciert die berufliche Zukunft im Thurgau und offeriert wertvolle Jobtipps ➔ karriere-thurgau.ch
bildet ein Netzwerk von wissenschaftlich arbeitenden Institutionen und macht ihre Arbeit sichtbar
Kompetenznetzwerk Ernährungswirtschaft sorgt für Wissenstransfer entlang der ErnährungsWertschöpfungskette
➔ thurgauwissenschaft.tg.ch
➔ ernaehrungswirtschaft.ch
Smarter Thurgau schafft Rahmenbedingungen für die effiziente, breit abgestützte Digitalisierung
Digital Campus Thurgau
➔ smarterthurgau.ch
initiiert die Auseinandersetzung mit Themen, die für Kanton und Region von Bedeutung sind
vermittelt digitale Kompetenzen und verbindet innovative Forschung mit Unternehmen ➔ digital-thurgau.ch
Digital Campus Thurgau
Think Tank Thurgau ➔ thinktankthurgau.ch
Startnetzwerk Thurgau unterstützt junge Unternehmen bei der Realisierung innovativer Geschäftsideen ➔ startnetzwerk.ch
LIECHTENSTEIN Das kleine Fürstentum Liechtenstein am Ufer des Alpenrheins ist als Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) stark in europäische Strukturen integriert und Teil des EU-Binnenmarktes. Mit dem Nachbarland Schweiz ist die „konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratisch-parlamentarischer Grundlage“ (im Bild der Liechtensteiner Landtag und das Regierungsgebäude in Vaduz) in einer Wirtschafts-, Zoll- und Währungsunion verbunden. Volkswirtschaftlich bedeutsam sind neben dem Bankenwesen auch die stark auf den Export orientierten Unternehmen im Industriesektor wie Hilti, thyssenkrupp Presta und Hilcona.
Neue Perspektiven auf dem deutschen Markt FIRST TAX | Der anstehende Generationenwechsel und die Übertragung von Unternehmen auf die Erben sowie die Notwendigkeit der Absicherung von Familien in Deutschland bietet eine große Chance für Liechtenstein. Traditionell stellen die familiengeführten Unternehmen (der sogenannte „Deutsche Mittelstand“) das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft dar und hier stehen große Veränderungen an, aus der sich neue Perspektiven für den Stiftungsstandort Liechtenstein ergeben.
N
ach Schätzungen des Deutschen Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn stellt sich in den nächsten fünf Jahren das Nachfolgethema für mehr als 150.000 mittelständische Unternehmen mit rund 2,4 Mio. Beschäftigten in Deutschland. Die Generation, die diese Unternehmen in den letzten Jahrzehnten erfolgreich aufgebaut hat, erreicht das Rentenalter und möchte das Unternehmen auf die nächste Generation in der Familie übertragen. Nicht immer gelingt dies aber, weil etwa junge Familienmitglieder andere berufliche Wege verfolgen oder möglicherweise nicht über die notwendigen Qualifikationen verfügen. Zudem stellen sich Fragen zum Erhalt der Unternehmen wie auch der privaten Vermögen der Unternehmer, welche häufig auch in Immobilien investiert sind.
140 Standort D-A-CH-LI | First Advisory Group
Stiftungen stellen eine Lösung dar Die Übertragung von Unternehmen sowie auch Immobilien und anderen Vermögensgegenständen auf eine Stiftung stellt eine mögliche Lösung für diese Nachfolgeproblematik dar. Die rechtzeitige Übertragung von Vermögen auf eine (Familien-) Stiftung vermeidet, dass das Vermögen des Unternehmers im Todesfall in die Erbmasse fällt und zwischen den Erben verteilt wird. Zudem wird vermieden, dass sich die Erben unter Umständen in langjährigen und teuren rechtlichen Auseinandersetzungen über die Auslegung des Testaments und die rechtmäßige Aufteilung des Vermögens streiten.
Liechtenstein: Attraktives Regime für Familienstiftungen Liechtenstein hat eine mehr als 90-jährige Erfahrung im Bereich von privatnützigen Stiftungen und bietet zivilrechtlich ein sehr flexibles, aber modernes Stiftungsrecht mit einer zeitgemäßen Governance an. Steuerlich ist Liechtenstein in voller Übereinstimmung mit allen internationalen Steuerstandards, unter anderem auch durch den Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen sowie Informationsaustauschabkommen mit den wichtigen Handelspartnern, so auch mit der Schweiz und Deutschland. Privatnützige Stiftungen, wie etwa Familienstiftungen, unterliegen in Liechtenstein wie generell auch die operativ tätigen Unternehmen nur einer sehr moderaten Ertragsbesteuerung von 12,5 %. Zudem sind Dividendeneinkünfte sowie Gewinne aus dem Verkauf von Anteilen an Kapitalgesellschaften steuerbefreit auf Ebene der Stiftung. Liechtenstein erhebt zudem keine Quellensteuern auf Ausschüttungen der Stiftung an Begünstigte.
Moderate Ertragsbesteuerung bei Unternehmensträgerstiftungen
Bei einer Stiftung handelt es sich um eine juristische Person mit eigener Rechtsfähigkeit, die aber keine Anteilseigner hat, sondern Begünstigte. Der Unternehmer als Stifter kann in den rechtlichen Gründungs-Dokumenten der Stiftung bestimmen, wer die Begünstigten der Stiftung sein sollen (wie etwa bestimmte Familienmitglieder) und wie sie langfristig finanziell abgesichert werden durch Zuwendungen aus der Stiftung. Zudem haftet eine Stiftung grundsätzlich nicht für etwaige Verbindlichkeiten des Gründers / Stifters und dient somit auch dem Vermögenschutz (der sogenannten „Asset Protection“).
Neben der Nutzung von Familienstiftungen, die der Absicherung der Familie dienen und Anteile an Unternehmen halten können, können in Liechtenstein aufgrund des flexiblen Stiftungsrechts auch Unternehmensträgerstiftungen errichtet werden, die selber ein Gewerbe kaufmännischer Art betreiben dürfen, sofern die ordnungsgemäße Verwaltung des Stiftungsvermögens dies erfordert. Auch in diesen Fällen findet die sehr moderate Ertragsbesteuerung von 12,5 % Anwendung.
Zusätzliche legitime steuerliche Vorteile für deutsche Stifter und Begünstigte Im Gegensatz zu Stiftungen mit Sitz oder Geschäftsleitung in Deutschland fallen bei einer liechtensteinischen Stiftung nicht die deutschen Ersatzerbschaftsteuern an (fingierter Erbanfall alle 30 Jahre für Stiftungen, welche zu einem signifikanten Liquiditätsabfluss auf Ebene der deutschen Stiftung führen kann).
Konkrete Möglichkeiten in Liechtenstein
Familienstiftung zum Erhalt des Vermögens und der finanziellen Absicherung der Familie
Unternehmensstiftung, die selber unternehmerisch tätig ist und dem langfristigen Erhalt des Unternehmens dient
Gemeinnützige Stiftung, um wohltätige Projekte und Organisationen weltweit langfristig zu unterstützen
Nutzung von «Private Label» Investmentfonds
First Advisory Group | Standort D-A-CH-LI 141
Dr. Ulrich Stertkamp Deutscher Steuerberater Rechtsanwalt
Herr Dr. Stertkamp ist auf deutsches und liechtensteinisches sowie internationales Steuerrecht spezialisiert. Er berät Privatpersonen, Unternehmer sowie vermögensverwaltende Strukturen. Darüber hinaus konzentriert sich seine Tätigkeit auf die steueroptimierte Nachfolge planung von Familienunternehmern und vermögenden Privatpersonen.
Eine Deutsche Stiftung würde zudem auch einer höheren Ertragsbesteuerung unterliegen, im Vergleich mit einer Stiftung in Liechtenstein. Neben der Körperschaftsteuer plus Solidaritätszuschlag von zusammen 15,825 % fällt unter Umständen auch die Gewerbesteuer an, die je nach Lage in Deutschland bis zu 17 % betragen kann. Solange die Stiftung in Liechtenstein keine Betriebsstätte in Deutschland unterhält, kann die zusätzliche deutsche Gewerbesteuer vermieden werden. Dies gilt auch für den Fall, dass Liegenschaften in Deutschland gehalten werden und die liechtensteinische Stiftung mit den Einkünften aus deren Vermietung der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht in Deutschland unterliegt. Im Weiteren kann unter bestimmten Voraussetzungen bei einer Schenkung von Betriebsvermögen auf eine Stiftung in Liechtenstein von schenkungs- und erbschaftsteuerlichen Regelungen Gebrauch gemacht werden, die die deutsche Schenkungs- und Erbschaftssteuer in legitimer Weise signifikant reduzieren. Da Liechtenstein Mitglied im EWR ist kann eine Stiftung rechtlich auch so errichtet werden, dass die jährliche steuerliche Zurechnung der Einkünfte der Stiftung an die deutschen Stifter und Begünstigen nach den Regeln der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung vermieden wird (vollständige Abschirmwirkung der Stiftung für deutsche steuerliche Zwecke).
„Private Label“ Investmentfonds Abschließend sei darauf hingewiesen, dass Liechtenstein auch im Bereich von Investmentfonds rechtlich wie steuerlich attraktive Alternativen für in Deutschland ansässige Unternehmer und Familien bietet, um Vermögensgegenstände zu halten und auf die nächste Generation zu übertragen. Gemeint ist dabei das regulatorisch attraktive liechtensteinische Investmentfondsrecht, welches insbesondere die Nutzung von „Private Label“Fonds im Sinne von Alternativen Investmentfonds zwecks Nachfolgeplanung erlaubt, nicht zuletzt auch im Verbund mit Stiftungslösungen.
142 Standort D-A-CH-LI | First Advisory Group
Ertragsteuerlich sind die Einkünfte von Investmentfonds in Liechtenstein steuerbefreit. Sie unterliegen – je nach Einordnung des Liechtensteiner Investmentfonds aus deutscher steuerlicher Sicht – unter Umständen der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht in Deutschland nach dem neuen Investmentsteuergesetz (InvStG 2018). Diese Steuerpflicht der Fonds würde sich aber nur auf bestimmte deutsche Einkünfte beschränken, wie insbesondere Einkünfte aus der Vermietung von in Deutschland belegenen Liegenschaften sowie Dividenden von in Deutschland steuerlich ansässigen Kapitalgesellschaften. Alle anderen Einkünfte des Investmentfonds – wie etwa Zinsen, Einkünfte aus der Vermietung von Liegenschaften außerhalb Deutschlands und Dividenden von nicht in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaften – wären steuerfrei auf Ebene des Investmentfonds.
First Tax Trust reg. Wuhrstrasse 6 LI-9490 Vaduz Tel. +423 2363000
Beethovenstrasse 19 CH-8002 Zürich Tel. +41 44 283 12 50 firsttax@first.li www.first.li
FAZIT Liechtenstein bietet mit seinem zeitgemäßen, und doch langjährig erprobten Stiftungsrecht und einem breiten Gestaltungsangebot im Bereich der Investmentfonds deutschen Unternehmern und vermögenden Privatpersonen sehr attraktive Lösungen für anstehende Nachfolgeplanungen. Diese gute Ausgangslage bietet für Liechtenstein in naher Zukunft große Chancen im Wettbewerb der Anbieter von zeitgemäßen, steuerlich vollkommen legitimen Vermögensplanungen.
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Als unabhängiger, international ausgerichteter Finanzdienstleister basieren alle Dienstleistungen auf den Grundwerten Sicherheit, Selbstbestimmung und Privatsphäre. Diese Grundwerte bilden seit über 60 Jahren das Fundament der First Advisory Group. An den Standorten in Vaduz, Genf, Hong Kong, Singapur und Zürich bietet die Gruppe ihren Kunden auf deren persönliche Bedürfnisse zugeschnittene Lösungen rund um den Vermögensschutz, die Vermögensberatung und die Vermögensstrukturierung.
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First Advisory Group Wuhrstrasse 6 LI-9490 Vaduz Tel.+423 236 3000 www.first.li
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