4 minute read

MaTThIas egeRsdöRfeR

mattHias egers egersdörfer:

br klassik

Advertisement

Seit einigen Jahren suche ich schon Trost und Kraft in der klassischen Musik. Als Heranwachsender ignorierte ich diese hohe Kunst. Mein Vater hörte zu der Zeit oft seinen Hayden, seinen Schubert und seinen Bach. Mir blieb der Zugang zu großer Orchester- und Opernmusik, generell Musik auf klassischen Instrumenten fremd und fast unangenehm. Die Ablehnung resultierte wohl aus einer milden Form der Renitenz gegenüber dem Erzeuger und seinen Neigungen. Inzwischen habe ich ein Alter erreicht, in dem das Bücken zum Schnürsenkelbinden an manchen Tagen eine kleine Anstrengung bedeutet. Leichter, so erscheint es mir jedenfalls, kann ich heute den halbtiefen Graben eines Vorurteils überspringen, ohne dabei ins Straucheln zu geraten. Gestern hörte ich wieder den Hayden auf Bayern 4 und gedachte wohlwollend meines Vaters und seines Besitzanspruches an dem großen Komponisten. Freilich erlaube ich mir immer wieder auch einmal kurze akustische Stippvisiten in die Klangwelten von zeitgenössischem Jazz und unregelmäßig auch Pop. In der Phase meiner späteren Jugend lauschte ich oft und gern den musikalischen Werken des amerikanischen Trompeters Miles Davis. Allein das physische Vorhandensein dieser Tonträger erzeugt bei mir jetzt schieres Glück, das mich freundlich über die Vergänglichkeit und das Rasen der Zeit hinweg schwindelt. Aber als ein wirkungsstarkes Medikament gegen die Zumutungen der zersplitterten Realitätskulisse helfen nur abgehangene, ernste Klänge, deren Absicht über eine dumpf-rhythmische Penetration des äußeren Gehörgangs hinausgeht. Komme ich beispielsweise in den huldvollen Genuss, dass mir Grigori Lipmanowitsch Sokolow zwei Bagatellen von Beethoven auf dem Klavier vorzaubert, merke ich, wie sich tiefe Falten auf meiner Stirn plötzlich auswölben und meine Haut sich weich und herzenswarm glättet. Wichtig dabei ist, dass die Musikstücke vom Radiosprecher in ernstem Sinn angekündigt werden. Ich höre gern Herren oder Damen mittleren Alters zu, die ich mir mühelos in tadelloser Erscheinung vorstellen kann. Diese Personen feilen regelmäßig ihre Fingernägel. Davon gehe ich aus, obwohl ich nur die Stimmen derjenigen höre und kein Bild vor mir habe und obwohl ich selbst nicht in der Lage bin, mir selbst auch nur einen kleinen Fingernagel zu feilen. Wollte man durch Folter eine Aussage von mir erpressen, würde es genügen anzudeuten, dass man mir gleich meine Fingernägel feilen wolle. Sofort wäre ich zu jeder Aussage bereit. Gleichwohl bewundere ich bei anderen Menschen akkurat gefeilte Nägel wie die Pirouetten eines Eiskunstläufers oder den Appetit derjenigen Person, die bei einem Wettbewerb im Wurstwettessen gewonnen

hat. In meiner Vorstellung machen diese meinerseits hochgeschätzten Radiosprecher nach dem Aufstehen zwölf Kniebeugen am geöffneten Schlafzimmerfenster und fragen nach der Hauptspeise im Restaurant unauffällig nach einem Zahnstocher, ohne diesen Begriff direkt zu benutzen. Ich sehe, dass meine favorisierte Sprecherin sich zu Hause einen Einkaufszettel schreibt. Sie notiert „500 g festkochende Kartoffeln“, weil die Person ein Borschtsch kochen will und diese Angabe aus ihrem Kochbuch übernommen hat. Dann bemerkt die Holde aber, dass Kartoffeln noch vorrätig sind, sie also keine Kartoffeln zu kaufen braucht. So dann schreitet die Frau flink zum Schreibtisch, öffnet die Schublade, entnimmt dieser ein 30 cm langes Holzlineal mit Hilfe dessen sie die „500 g festkochende Kartoffeln“ mit geradem Strich auf dem Zettel wieder durchstreicht. Auf keinen Fall möchte ich, dass ein Stück des Herrn Sokolov angesagt wird in der Art, wie man auf einem Bierfest für Ruhe sorgt, weil der leicht angesoffene Onkel auf dem Kamm ein altes Seemannslied zum Besten geben möchte. Aber genau solche Unarten schleichen sich seit einiger Zeit in mein klassisches Radioprogramm. Ich höre Sokolov. Sokolov spielt Mozart. Die Piano Sonate 2 in F, K.280: 1. Allegro assai. Ein junger Rettich hat vorher aus der Lamäng heraus den Sokolov angesagt. Ohne Spannung im Rückgrat macht er das. Seine Arme hängen lang und schluffig an seinem Leib herunter, während er ganz unangestrengt und leicht funny aufgedreht ins Mikrofon spricht. Jetzt höre ich zwar, wie der Sokolov mit voller Hingabe den Mozart spielt und ihn transzendiert und in Meerestiefe begreift und ergründet und ihn neu erfindet. Gleichzeitig werde ich aber nicht die Vorstellung los, dass sich der junge Kerl währenddessen einen rosafarbenen Kaugummi in den Mund gesteckt hat und taktlos mit den Fingern schnippt. Neuerdings säuseln mir junge Dingelchen in aufgesetzter Laune zwischen Beethoven und Ligeti lapidare Unsinnigkeiten vor, als ginge es darum, mich ein wenig aufzuheitern. Ich sehe es genau vor mir. In den Sprechpausen legt die Frau ihre Füße auf den Tisch. Die Lederfransen wackeln an ihren kleinen Stiefelchen, die sie auf dem Tisch abgelegt hat. Sie dattelt ununterbrochen an ihrem Handy herum. Jetzt macht sie ein Foto von ihren Beinen auf dem Tisch und den Fransenstiefeln und postet es sogleich auf Instagram. Zwischenzeitlich flötet sie ein Sonett an. Sie spricht von einem Hammerklavier als meinte sie ein Longboard. Das schlimmste ist, ich fühle mich von ihr geduzt. Sie sagen es nicht direkt. Doch! Sie sagen es direkt und schamlos. Erst gestern hat mich ein Bürschchen und ein Girlie auf meinem Bayern 4 Klassiksender geduzt. Ich war kurz davor in den Radio hineinzutreten! Da steht eine Absicht dahinter. Die haben Angst, dass ihnen die Greise wegsterben, bevor die Kindertotenlieder zu Ende gesungen wurden. Die möchten ums Verrecken die Zuhörerschaft verjüngen. Deswegen führen sie sich auf wie auf einem Fest im Schullandheim zwischen der Musik, die sie mehr oder weniger in Kauf nehmen. Die schieben den Wagner in die Waschanlage und schäumen den Johann Sebastian Bach mit ihrem fröhlichen, unseriösen Geplapper, und lassen heißes Wachs darüber laufen und fönen die scharfen Kanten rund. Ich möchte verdammt nicht noch einmal siebzehn sein. Und ich möchte auch nicht mehr wie ein siebzehnjähriger angesprochen werden. Verfluchte, verschissene Scheiße!

FebRUaR/MäRz MiT egeRs Auch beim Egers wurden die Auftritte abgesagt. Wann und wie es weiter geht, findet man bei curt und auf www.egers.de Dafür gibt HINTERHAUSGESCHICHTEN-Videos auf Egis Facebook-Account: www.facebook.com/watch/matthias.egersdorfer Und im März gibt´s zwei Drehtage für den nächsten „Frankentatort“. Weiterhin: „MaTThias egeRsdöRFeR eRzählT beTThUpFeRl“ 14 fränkische Geschichten zur Nacht für große und kleine Ohren. Format: Audio CD, Laufzeit ca. 60 Minuten. www.br.de/betthupferl

This article is from: