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kuf: InTeRVIeW J. MaRkWIRTh

im gespräcH: jürgen markWirtH, eHemaLiger Leiter des KuLturamts

herr Markwirth, sie sind schon sehr lange im aMt für KuLtur uNd freizeit (Kuf) tätig und haben es gut 15 jahre lang geleitet. wie wäre ihr ausstand ohne corona-Limitation ausgefallen? Ich hätte im vergangenen Jahr noch einmal ganz bewusst die vielen Veranstaltungen und Einladungen besucht, wäre auf „Abschiedstournee“ zu den verschiedenen Teams des Amtes gegangen und natürlich hätte es ein größeres Abschiedsfest mit Kolleg*innen, Weggefährt*innen und Kooperationspartner*innen gegeben – durch all das hat das Corona-Virus einen dicken Strich gemacht und wie bei vielen anderen, die im letzten Jahr in den „Ruhestand“ gegangen sind, wird es wohl beim online-Abschied bleiben. das Kuf wurde und wird immer mit dem schlagwort „soziokultur“ überschrieben. was versteht man darunter? Das KUF ist ein „Kind“ der vom damaligen Schul- und Kulturreferenten Prof. Dr. Hermann Glaser entscheidend geprägten neuen Kulturpolitik der 1970er Jahre. Glaser ist einer der Väter der Soziokultur – ein weit gefasster Kulturbegriff. Slogans wie „Kultur von allen, Kultur für alle“ oder „Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik“ skizzieren die Ideen. Das hat mich wie viele andere damals begeistert und tut es auch heute noch – deshalb hat mich das KUF auch nie mehr losgelassen. Begriffe, Inhalte und Rahmenbedingungen haben sich immer wieder verändert und entsprechend auch unsere Arbeit. Aber die Grundideen sind aktuell wie eh und je. Nicht zufällig haben wir uns als KUF deshalb in vielen Themen der Kulturstrategie und der Kulturhauptstadtbewerbung wie Menschenrechte, Diversität, Teilhabe, Inklusion oder Nachhaltigkeit wiedergefunden. Mit seinen verschiedenen Arbeitsbereichen – von den Kulturläden über das Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne, das Inter-Kultur-Büro, die Kinderkultur und die Deutsche Akademie für Fußballkultur bis zur Musikschule und den Koordinierungsaufgaben im Bereich der kommunalen Integrationspolitik oder der kulturellen Bildung – steht das KUF für wichtige kultur- und gesellschaftspolitische Themen. Nürnberg hat eine große „Kultur der Kulturläden“. sind wir im bereich soziokultur besonders gut aufgestellt? Darum wird Nürnberg noch immer vielfach bundesweit beneidet. Während hier neue Einrichtungen wie die Kulturwerkstatt Auf AEG eröffnet wurden, war andernorts der Rotstift am Werk. Aber die Kulturladen-„Kette“ ist nicht so flächendeckend, wie man sich das einmal vorgestellt hat. Die bestehenden Häuser und Ressourcen sind ausgelastet und können den vielen neuen Ideen und Initiativen nicht immer so gerecht werden, wie wir selbst uns das wünschen würden. Nicht umsonst steht der Wunsch nach Frei- und Ermöglichungsräumen ganz oben auf der kulturpolitischen „Wunschliste“. Mit Projekten wie der „KommVorZone“* in der Südstadt wollen wir dem noch mehr gerecht werden. Und ich freue mich, dass das KUF aktuell den Auftrag hat, ein Konzept für ein Leerstandsmanagement zu entwickeln – mit dem „Raumkompass“* als erstem sichtbaren Zeichen.

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*KoMMvorzoNe // instagram.com/kommvorzone_nbg / siehe auch S. 70 *rauMKoMpass // www.raumkompass.nuernberg.de Weil es so gut passt: curt ist bei beiden Projekten Medienpartner.

was sind die größten hürden, mit denen man im Kulturbereich in Nürnberg zu kämpfen hat? Generell genießt der Kulturbereich noch nicht die gesamtgesellschaftliche Wertschätzung, die ihm nach meiner Überzeugung zukommt, das wird in der Corona-Situation doch leider sehr deutlich. Aber oft merkt man ja erst, wie wichtig manche Dinge sind, wenn man sie nicht mehr hat – insofern hoffe ich hier auf eine positive Lehre aus Corona. Spezielle „Nürnberger Hürden“ sehe ich dabei nicht. Generell müssen wir uns alle immer wieder aufs Neue anstrengen, breite Bevölkerungskreise für die Kultur zu gewinnen. die bewerbung zur europäischen Kulturhauptstadt hat viele kulturelle dinge – auch finanziell – ermöglicht. das ist vorbei, und nun auch noch die pandemie. Machen sie sich sorgen um die finanzierung und budgets der Kuf-einrichtungen, aber auch um die der großen paläste der hochkultur? Tatsächlich hat die Kulturhauptstadtbewerbung viel frischen Wind in die Stadt gebracht und Dinge befördert und ermöglicht, die sonst nicht möglich gewesen wären – auch für das KUF. Projekte wie das „Bewerbungsbuch der Kinder“, das Ergebnis eines breit angelegten Projekts mit unterschiedlichsten Partnern war, die schon erwähnte „KommVorZone“ oder das „Global Art Festival“ haben dank der Bewerbung Fahrt aufgenommen. Die Bewerbung war eine große Hoffnung für die Stadt im Allgemeinen und die Kultur im Besonderen. Natürlich mache ich mir jetzt angesichts der unübersehbaren finanziellen Auswirkungen der Pandemie Sorgen. Als städtische Kultureinrichtungen müssen wir bereits jetzt deutliche Abstriche bei Personal- und Sachkostenbudgets machen, Großprojekte sind auf Eis gelegt. Erfreulicherweise hat der Stadtrat aber die Zuschüsse an die freie Kulturszene nicht gekürzt – ein wichtiges Zeichen, wie ich finde. Hoffen wir, dass die Kommunen Unterstützung vom Bund bekommen, damit es nicht zu noch schmerzhafteren Einschnitten kommt. Kultur und soziokultur unterliegen einem permanenten wandel. im Laufe ihrer amtszeit, was hat sich am meisten verändert? Die kulturelle Landschaft ist in den letzten Jahrzehnten immer reichhaltiger und vielfältiger geworden, soziokulturelle Einrichtungen und Angebote sind zunehmend zum selbstverständlichen Teil der Kulturszene geworden. Das war in den Anfangsjahren anders, ich erinnere mich noch gut an Schließungsdiskussionen zu Kulturläden, zum KOMM und so weiter. Gleichzeitig ist auch die Stadtgesellschaft selbst bunter geworden. So hat z.B. bald jede*r Zweite in Nürnberg familiäre Wurzeln anderswo in der Welt. Vielfalt wird zunehmend als selbstverständlich und als Chance begriffen. Gerade in den letzten Jahren gibt es außerdem viele neue kulturelle Initiativen unterschiedlicher Art, die ihren Platz in der Nürnberger Kulturlandschaft suchen. Je ausdifferenzierter die Gesellschaft ist, desto ausdifferenzierter sind auch die Erwartungen an bestehende kulturelle Einrichtungen, aber auch auf Förderung und Unterstützung neuer Projekte. Um vielfältige Bevölkerungskreise zu erreichen, muss sich die Kultur insgesamt entsprechend „aufstellen“ was Angebot, Teams, Förder- und Unterstützungsstrukturen, aber z.B. auch die öffentlichkeitsarbeit angeht. gelebte kulturelle vielfalt fehlt und fehlte selten so sehr wie seit März 2020. was macht der Lockdown mit der soziokultur, wie kann integration im Lockdown gelebt werden? und wie sehr wirft uns das zurück? Der Lockdown trifft viele unserer Angebote „ins Herz“ und damit auch die vielen Nutzer*innen. Nähe, Austausch und Begegnung sind essentiell – und das Gegenteil von Abstandhalten, Hygienevorgaben und Distanz. Stadtteilfeste oder die „Friedenstafel“ zur Menschenrechtspreisverleihung leben davon, dass unterschiedlichste Menschen nah zusammenkommen. Beim Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne geht es darum, Dinge anzufassen und

zu spüren und durch gemeinsames Tun Erfahrungen zu machen – ganz schwer unter Pandemiebekämpfungsvorgaben. Damit wir möglichst viele Kinder erreichen und nicht nur die, deren Eltern Kultur wichtig ist, kooperieren wir viel mit Schulen und Kindertagesstätten, wie z.B. beim KinderKunstRaum oder dem Programm MUBIKIN – wenn die aber geschlossen oder nicht im Regelbetrieb sind, bleiben die Türen auch für außerschulische Angebote zu. Die Corona-Beschränkungen verschärfen vielfach bestehende Ungleichheiten – in der Schule, aber sicher auch im Bereich außerschulischer kultureller Bildung. Hoffen wir, dass auch unsere Angebote wieder möglich werden, wenn Schulen und Kindertagesstätten wieder öffnen. Spannend wird es aber auch sein, ob und wie sich das Verhalten der Nutzer*innen und Besucher*innen durch die Pandemie verändert hat. Das wird vermutlich nicht gleich wieder so sein wie vorher. wir bei curt staunen immer wieder, wie viele einrichtungen und veranstaltungen am Kuf festgemacht sind. wie kann man da den überblick behalten? Ich staune auch oft, was sich die Kolleg*innen und unsere Kooperationspartner*innen immer wieder einfallen lassen. Aber mit guten Kontakten zu den jeweiligen Kolleg*innen und regelmäßiger Kommunikation habe ich es noch immer geschafft, zumindest den Grob-Überblick zu behalten. was ist oder wird die wichtigste baustelle für ihre*n Nachfolger*in? Der weitere Umgang mit den Herausforderungen und Folgen der Corona-Pandemie und die Entwicklung angepasster Angebote wird sicher die nächsten Monate prägen. Und vermutlich wird das noch eine Weile das berühmte „Fahren auf Sicht“ sein, das wir seit März 2020 praktizieren. Danach gibt es jede Menge Ideen zur Weiterentwicklung der verschiedenen Arbeitsbereiche im Amt, die die oder der Neue dann mit den jeweiligen Kolleg*innen vertiefen kann. Ein wichtiges Stichwort ist dabei auf jeden Fall das Thema Digitalisierung in all seinen Facetten – die letzten Monate haben gezeigt, was da alles möglich ist: Livestreams wie z.B. von der Gala zur Verleihung der Deutschen Fußball-Kultur-Preise, den digitalen „Sternenhaus“-Adventskalender, die Digital Edition von „NUEJAZZ“ und viele andere digitale Angebotsformate ebenso wie die Nutzung von Videokonferenzen oder mobiles Arbeiten von zu Hause aus. Gleichzeitig ist aber auch deutlich geworden, was in dem Bereich noch getan werden muss. was die vielen orte und veranstaltungen angeht, an denen das Kuf beteiligt ist – gibt es einen jürgen-Markwirth-Liebling? Nein, den Liebling gibt es so nicht. Ich mag das alles, was im und um das KUF herum geschieht und freue mich über Angebote, die sich seit vielen Jahren bewährt haben, ebenso wie über neue Ideen. Ich habe es dabei immer als unsere Aufgabe gesehen, Kultur zu ermöglichen und Ideen zu befördern. Im Rückblick denke ich da z.B. gerne an die Entwicklung der „Türkei Filmtage“ von der Idee einer Gruppe junger türkeistämmiger Kino-Enthusiasten im damaligen Kulturladen Rothenburger Straße zum späteren „Filmfestival Türkei Deutschland“. Und persönlich erinnere ich mich auch gerne noch an die „Südwind“-Konzertreihe mit Musik aus aller Welt, die ich vor meiner Zeit als Dienststellenleiter über etliche Jahre gestaltet habe. privat: wofür nehmen sie sich jetzt zeit? und bleiben sie der Kultur weiterhin erhalten? Da kann ich nahtlos anknüpfen. Ich freue mich darauf, auf Konzerte und Festivals zu gehen, wenn das wieder möglich ist. Für Karten aus dem Vorjahr für Auftritte des senegalesischen Sängers youssou N´Dour in Wien oder für Zucchero in der Arena von Verona gibt es hoffentlich im Laufe des Jahres Nachholtermine. Ein Stapel Romane und Sachbücher wartet auch darauf, gelesen zu werden. Auch Ausstellungen und Kinos werde ich bestimmt öfter besuchen

als in den letzten Jahren. Perspektivisch kann ich mir auch sonst vieles vorstellen. Aber jetzt ist dann erst mal Abschalten und Nichtstun angesagt. Eigentlich wollte ich gleich auf längere Wohnmobil-Reisen durch Europa gehen, aber auch das blockiert Corona vermutlich wohl noch eine Weile. Ein erstes Reiseziel wird auf jeden Fall Südfrankreich sein – da zieht es mich seit jungen Jahren immer wieder hin. curt und das Kuf, das passt ja ganz oft wunderbar. wir sehen uns selbst als teil der Kultur. wie nehmen sie curt wahr? Genau so sehe ich Euch auch! curt ist das „Zentralorgan“ der Nürnberger Kultur in ihrer ganzen Breite geworden. Vielen Dank dafür! Den aktuellen curt werde ich mir auch im Ruhestand immer holen, um auf dem Laufenden zu bleiben. vielen dank für die präzise analyse! da helfen wir doch gerne mit einem ruhestands-abo ;)

jürgeN MarKwirth, Jahrgang 1955, ist nach dem Studium als Diplom-Pädagoge an der Universität Bamberg 1992 gleich beim Amt für Kultur und Freizeit (kurz KUF) gelandet, das ihn dann ein Berufsleben lang nicht mehr losgelassen hat. Lange Jahre war er dort für den Bereich „Kulturelle Ausländerarbeit“, der später zum InterKultur-Büro wurde, zuständig, später übernahm er die Leitung der zusammengelegten Abteilung „Kulturläden und InterKultur-Büro“. Nach einer Zeit als stellvertretender Dienststellenleiter übernahm er 2006 die Leitung des Amtes, zunächst kommissarisch, dann ab 2008 auf Dauer.

Alle Einrichtungen des KUF sind aufgrund der aktuellen CoronaMaßnahmen bis mindestens 7. März 2021 für veranstaltungen und Treffen aller Art geschlossen.

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