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TOMMys Musik: ZukunfTsblick

tommy bLicKt zum jubiLäum in die zukunfT

lieber Curt, 250 ausgaben, das ist ein durchaus stattliches jubiläum! als du das licht der welt erblicktest, waren oasis gerade auf dem peak und Radiohead beglückten uns mit ihrem Meisterwerk „ok Computer“. britania war cool, aquas „barbie girl“ war es nicht, depeche Mode schenkten uns „Ultra“, prodigy schafften es in deutschland in die Charts und justin Timberlake tanzte komisch bei *NsyNC.

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In normalen Zeiten wäre dies ein prächtiger Zeitpunkt für einen Blick zurück in die Vergangenheit, liebevolle oder auch grenzwertige Anekdoten auszugraben und alle Mitwirkenden hochleben zu lassen. Doch die Zeiten sind alles andere als normal und es scheint sinnvoller einen Blick in die musikalisch-kulturelle Glaskugel zu wagen. Diese Pandemie hat leider kaum Antworten parat, viel mehr wirft sie eigentlich nur Fragen auf. Ziemlich visionär stellte der Z-Bau gleich am Anfang der Pandemie die Frage: Gegenwartskultur: Nice to have oder gesellschaftlich relevant? Dazu komme ich aber später. Was hatten wir nicht für interne Diskussionen im April 2020. Wie wird sich der Musikmarkt entwickeln? Was macht so ein Lockdown mit der Kreativität der Künstler*innen? Wann im Herbst 2020 kann die Kultur wieder starten? Wie wird es dann sein? Kommen die Goldenen 20er? Werden die Bürger*innen den Stellenwert der Kultur endlich so bewerten, wie es wir Kulturschaffende schon immer tun? Stimmt der, mit Verlaub komplett beschissene Spruch: In jeder Krise steckt eine Chance? Wird diese Zäsur die gesamtgesellschaftliche Solidarität stärken? Aber die Kulturschaffenden werden diese Solidarität doch zumindest untereinander leben, oder? Als vor wenigen Wochen das Klassik Open Air im Luitpoldhain endgültig abgesagt wurde, war der Aufschrei groß und das zurecht. Wie, wo und weshalb sich 8.000 Besucher*innen auf einem Gelände dieser Dimension anstecken können, bleibt sicherlich das Geheimnis der Entscheider*innen. Eigentlich bin ich kein allzu großer Freund von Äpfel vs. Birnen-Vergleichen, aber es drängt sich natürlich die Frage nach 15.000 Fans in der Allianz Arena während der EM auf. Was folgte, war ein Protestbrief der Orchestervorstände der Philharmonie und des Staatstheaters. „Erneut diesem Fest der Musik beraubt zu werden, ist für uns eine niederschmetternde Erfahrung, denn es hindert uns nachhaltig, den lang ersehnten und dringend notwendigen Kontakt zu unserem Publikum wiederaufzubauen.“ – Dieses Zitat aus dem Schreiben an Kulturstaatsminister Bernd Siebler zeigt die gewaltige Diskrepanz zwischen den Realitäten der Kulturschaffenden in dieser Pandemie. Während die einen um ihre Existenz bangten und teilweise immer noch bangen, lamentieren Musiker*innen in Festanstellung über eine Erfahrung, derer sie beraubt wurden. Ist beides nicht schön. Man kann aber durchaus verstehen, wenn jetzt die freie Musiker*innenszene nicht direkt in Tränen ausbricht, ob der Probleme der beiden großen Orchester in unserer beschaulichen Frankenmetropole. Die kreative Nutzung des Lockdowns war eine schöne Vision, aber auch ziemlich blauäugig. Angst ist in der Regel kein guter Begleiter beim Schreiben und in meiner Wahrnehmung war der musikalische

Output der vergangenen 16 Monate eher nicht die kreative Explosion. Da fehlt vielen Bands natürlich das Spielen vor Publikum und nur netflixen macht auch noch kein Opus Magnum. Wann sich das ändern wird, steht für mich noch in den Sternen. Mir fehlt hier die Fantasie, mit Hunderten anderen, eng an eng stehend und die Zeilen meiner Lieblingsband grölend, in einem Club zu stehen. Und mit einer Maske auf einem Stuhl ein Konzert zu verfolgen, ist im Staatstheater besser vorstellbar als im Club Stereo. Die Konsequenz könnte durchaus sein, dass der Musiker*innennachwuchs schwindet. Zwei Jahre ohne Shows zu spielen ist für alle eine lange Zeit – für die Jugend fast schon eine Ewigkeit. Und was nützen noch so gut gemeinte Kulturförderprogramme, wenn man mit 30 anderen eine Rap-Show im Sitzen erlebt? Klar, die Band kann davon die Proberaummiete stemmen, aber der von Don McLean besungene Tag, an dem die Musik stirbt, ist zumindest nicht mehr utopisch. Ganz ehrlich, da hilft nur Impfen. Damit rettest Du die Kultur und sendest ein solidarisches Zeichen, das so dringend in diesen Zeiten benötigt wird.

Was wird denn nun aus den goldenen 20ern? Ich glaube schon, dass eine Öffnung aller Clubs, ohne Auflagen, erst mal eine Explosion des Nachlebens bewirken wird. Doch diese lange Zeit der sozialen Isolation hat mit den Menschen auch was gemacht. Gerade jene in den Endzwanzigern könnten durchaus Gefallen an einem eher ruhigeren Leben gefunden haben. Die Tatsache, dass Sommerevents wie das STRANDKORBFESTIVAL nicht gleich auf Anhieb ausverkauft sind, nährt diese These. Die Kultur wird sich nachhaltig ändern. Vielleicht wird sie besser, vielleicht wird sie schlechter. Vielleicht wird sie älter, vielleicht wird sie jünger. Vielleicht wird sie versöhnlicher, oder auch wütender. Letztendlich wird sich das alles in der Zukunft zeigen, aber ein Zurück zum Status Februar 2020 kann ich mir nur schwer vorstellen. Jetzt zurück zum Plakat am Z-Bau: Ist Gegenwartskultur nice to have oder gesellschaftlich relevant? Aus der Sicht eines Kulturschaffenden ist sie natürlich gesellschaftlich relevant. Wie wäre unser Leben ohne Konzerte, ohne Museen, ohne Galerien oder ohne Lesungen? Es wäre auch ein Leben, nur nicht so schön. Nichtsdestotrotz mussten wir alle die vergangenen 17 Monate fast ohne auskommen und auch wenn es nicht schön war, trat die Kultur im Schatten der Ereignisse eher in den Hintergrund. Dies gilt es jetzt zu ändern. Die Kultur braucht Unterstützung – natürlich auch finanziell. Sie braucht aber auch euch. Eurer Fanliebe, eure Emotionen und eure Anwesenheit. Denn nur ihr könnt der Kultur die gesellschaftliche Relevanz geben.

Lasst uns alle hoffen und daran arbeiten, dass die Schäden, die die vergangenen Monate der Kultur zugefügt haben, reparabel sind. Wir müssen den Künstler*innen wieder den Mut und die Zuversicht geben, diesen waghalsigen Ritt in und durch das kulturelle Schaffen zu wagen. Denn der Glaube an sich selbst ist grundlegend.

lasst uns unser leben wieder schön machen.

ToMMy wURM geboren zwei Sommer nach dem Summer o Love, lebt in unserer meist schönen Frankenmetropole. Er ist Musiker, schreibt Texte und veranstaltet Kultur. Er gibt seine Erfahrungen an junge Bands weiter und arbeitet unentwegt daran, Nürnberg den Platz auf der Kulturlandkarte zu geben, den es verdient hat. Und ja, hier ist noch einiges zu tun.

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