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TrendDesign 14. Juli 2013

O e h mi g e n s g e n u ssti p p

Meister der Massenware Ohne den Designer Dieter Rams sind iPhone und Co. undenkbar

Das kleine Haus des grossen Herrn Sapet Seit meiner Rückkehr aus den Frankreichferien bin ich sportlich enorm aktiv: Schon morgens ziehe ich grosse Bögen um meine Waage. Tagsüber trainiere ich Am-Spiegel-Vorbeirennen und Bauch-fest-Einziehen. Und am Abend, wenn andere im Fitnessstudio Gewichte stemmen, übe ich mich in der knallharten Disziplin des Kühlschranktür-Zudrückens. Wenn ich dieses Training eisern durchziehe, kann ich bald wieder in die Provence reisen. Ich schätze, so in 350 Tagen. Bleibt also genügend Zeit, um über all die netten kleinen Restaurants nachzudenken, in denen ich dann einzukehren gedenke. Eines liegt im Dorf Cucuron, heisst La Petite Maison und hat einen grossen Chef, was Können und Taille anbelangt. Wer sich bei Eric Sapet mittags einen Tisch im romantischen Hofgärtchen sichert und das Dreigangmenü ordert, muss nicht fürchten, hungrig aufzustehen. Eric Sapet hat die grosse klassische Butter­küche gelernt und in die leichte südfranzösische integriert. Auch Bonsai-Portionen sind seiBouillabaisse ne Sache nicht. aux Moules

Das Menü begann mit einer grossartigen Bouillabaisse aux Moules. Die Basis, der Fond, war aus den kleinen, würzigen Mittelmeerfischen gekocht, die zwischen den Klippen wuseln, den Poissons de Roche. Die Moules – kleine, feine – waren aus der Schale gelöst und reichlich vorhanden. Über allem lag der Duft von Orangen, denn Sapet hatte seine Suppe mit Zesten von der Schale aromatisiert. Nicht dieselbe, doch eine ähnliche Suppe möchte ich heute kochen, auf der Basis eines mir bekannten Rezepts. Das geht so: 1 Stange Lauch waschen und in Ringe schneiden. Von 1 Fenchelknolle die zartesten Teile in feine Streifen schneiden und zur Seite legen. Den Rest mit dem Lauch und einer geschälten Knoblauchzehe in Olivenöl andünsten. Mit 1 Teelöffel ­Safranfäden bestreuen. Mit 1 dl Weisswein und 5 dl Bouillon ablöschen (ich mische eine gute Gemüsebouillon mit einigen Löffeln konzentriertem Fischfond, den es bei der Migros gibt), eine Tomate halbieren und zugeben und alles bei milder Hitze etwa 15 Minuten leise köcheln. Inzwischen etwa 400 g kleine Moules oder Vongole in einem Topf erhitzen, bis sie sich öffnen. Aus der Schale lösen. Die Bouillon durch ein Sieb passieren, erneut erhitzen. Die Fenchelstreifen darin garen (auch andere Gemüse passen). Suppe abschmecken, Moules zugeben, Orangenschale darüberraffeln oder klein geschnittene Schale darüberstreuen und beim Geniessen an die Provence denken.

Dieter Rams war unter anderem Direktor der Designabteilung: Sortiment von Braun um 1970

Von Claudia Schmid

Seinen Namen kennen nicht alle, seine Produkte schon: Der 81-jährige Dieter Rams ist der Prototyp eines Gestalters, dessen Name hinter seinen Massenprodukten verschwand. Denn seine Karriere kam vor allem dank seiner Arbeit für den Haushaltgerätehersteller Braun ins Rollen. Rams, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Wiesbaden seine Ausbildung als Architekt und Innenarchitekt abschloss, ist ein Synonym für Braun geworden. Von 1955 bis zu seinem Ruhestand 1997 arbeitete er für das Unternehmen und entwickelte über 500 Produkte, die er selbst als «bescheidene Diener» bezeichnete. Diese hatten, wie er es in den Siebzigerjahren in seinen zehn Thesen zum Design formulierte, unter anderem unaufdringlich, langlebig, umweltfreundlich, ver-

ständlich und innovativ zu sein. Nach diesen Regeln gestaltete er Wecker, Feuerzeuge, Fernseher, Kofferradios, Zitronenpressen und den bekannten «Schneewittchensarg». Der Superfonograf, eine Kombination aus Radio und Plattenspieler, hatte einen Plexiglasdeckel, was damals ein Novum war, und läutete die Epoche der modernen Musikanlagen im Wohnbereich ein. Apple-Taschenrechner lehnt sich an Vorlage von Rams an

Die soeben auf Deutsch erschienene Monografie «So wenig Design wie möglich» zeigt viele Aspekte von Rams’ Leben und Werk. Ergänzt wird sie mit Fotostrecken über das Braun-Archiv oder Rams' Haus in Kronberg bei Frankfurt. Es ist das einzige, das der Architekt in seinem Leben gebaut und mit selbst entworfenen, weniger bekannten Möbeln, etwa Leder-

Foto: Braun

sesseln, bestückt hat. Die hinteren Kapitel des Buches, die sich Rams (auch farblich) zurückhaltender Gestaltungsphilosophie widmen, machen deutlich, welch grossen Einfluss der Designer heute auf die Gegenwart hat. Jonathan Ive etwa, der kreative Kopf von Apple, der das Vorwort geschrieben hat, ist ein bekennender Rams-Anhänger und hat ihm schon Fanbriefe und Apple-Produkte nach Deutschland geschickt. Rams’ Fähigkeit, einem Produkt genau die Form zu geben, die klar, knapp und eindeutig seinen Zweck vermittelt, verfolgt Ive auch bei seiner eigenen Arbeit. Ab und zu übernimmt er auch eine Idee von Rams. Die Tastaturen des virtuellen Apple-Taschenrechners etwa, wie es die meisten auf ihrem iPhone haben, ist an den berühmten runden Tasten der BraunRechner angelehnt. Auch für Naoto Fukusawa ist Rams ein Mentor.

Der Japaner, welcher mit seinen zurückhaltend gestalteten Haushalts- oder Schreibwaren für das Label Muji bekannt wurde (die Schweiz ist leider eines der wenigen Länder, wo es noch keine Muji-Läden gibt), ist wie Rams ein Detailgetriebener. «Ich erinnere mich, dass ich mich nicht nur von den genauen, funktionalen Details seiner Produkte angezogen fühlte, sondern auch von der Geschmeidigkeit und Zartheit», schreibt er im Buch. Wie kaum ein anderer älterer Designer, so das Fazit von Autorin Sophie Lovell, entspricht Rams’ Haltung der heutigen Gesellschaft, welche die Wegwerfgesellschaft infrage stellt. Insofern kommt heute niemand, der sich für langlebige Gestaltung interessiert, an ihm vorbei. S. Lovell, «Dieter Rams: So wenig Design wie möglich», Edel/­ Phaidon, 119 Franken, 390 Seiten

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tuelle Studie der Food and Agriculture Organisation (FAO) belegt. In den USA landet nahezu die Hälfte der produzierten Lebensmittel im Müll, in der Schweiz sind es rund 30 Prozent respektive zwei Millionen Tonnen – selbst für Dumpster Diver eine nicht zu bewältigende Menge. Noch überraschender als die Quantität ist die Qualität der weggeworfenen Nahrung. Wer die Videos auf den Websites der Abfalltaucher sieht, traut seinen Augen nicht: fleckenlose Früchte, keimfreie Kartoffeln, eingeschweisste Käse ohne jedwede Schimmelspuren, Gläser mit Konfitüre, Joghurt, das noch wochenlang verzehrt werden könnte.

Diese unerhörte Verschwendung von Warenwerten war es auch, die den deutschen Filmemacher ­Valentin Thurn dazu ermutigte, einen Film über das Thema zu drehen. «Taste the Waste» resultierte aus einer Fernsehreportage über Dumpster Diver, die er vor Drehbeginn für ein exotisches Grüppchen hielt. Doch als er gesehen habe, was die «Essensretter» aus den Containern gefischt hätten, «sogar Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum noch nicht einmal überschritten war», habe er sich gefragt, warum so viele Warenwerte vernichtet würden von «an sich ökonomisch denkenden Unternehmen. Dieser Logik wollte ich auf den Grund gehen.»

Fotos: Felix Mayr, Moritz Hager

Die Robin Hoods der Container

Kämpfen gegen die Verschwendung von Lebensmitteln (v. l.): Valentin Thurn, Regisseur «Taste the Waste», Lauren Wildbolz, Vegankitchenandbakery.ch, und David Gross (l.), Tobias Judmaier, Wastecooking.com

Nach einer Logik aber sucht man vergebens. Der Kern des Übels, so das Resümee des Filmemachers, ist, dass «wir den Bezug zur Basis unseres Lebens, der Nahrung nämlich, verloren haben».

Ein Verlust, der nicht unwiederbringlich sein muss. Es gibt politische Vorstösse, die mit Massnahmen und Gesetzen den Abfallberg verringern sollen. Im ­Juni fand an der Hochschule für

­Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften in Zollikofen BE eine Konferenz zum Thema «Strategien gegen Food Waste» statt, und Institutionen wie der WWF und die Schweizerische Gesell-

schaft für Ernährung haben Tipps für Verbraucher ins Netz gestellt, die ihnen zeigen, wie man Lebens­ mittel vollumfänglich verwerten kann (siehe Box Seite 59). In der Schweiz sind Menüs frisch aus dem Müll geplant

Auch Lauren Wildbolz möchte sich als Waste Cook weiterhin engagieren. Mit «Good Food for You for Free», wie sie ihr Projekt hinter der Hochschule der Künste am Zürcher Sihlquai nannte, will sie auf Tour gehen, an verschiedenen Orten der Schweiz Menüs frisch aus dem Müll anbieten und in Workshops zeigen, was sich aus Lebensmitteln, die man bereits weggeworfen hätte, noch alles machen lässt. Vielleicht gibt es dereinst Waste Diver, die ins Leere tauchen.


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