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Compliance Offi cer – Von der Pfl icht zur Kür

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Köpfe & Karriere

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Dieser Artikel ist der subjektive Versuch des Autors, die aktuelle Situation der österreichischen Compliance Offi cer einzufangen. Neben einer kurzen Ist-Analyse werden Denkanstöße zur Weiterentwicklung der Funktion gegeben, von der reinen „Pfl ichtübung“ hin zum strategisch anerkannten Partner der Unternehmensführung.

Von Martin Schwarzbartl

Einleitung

War Compliance vor einigen Jahren noch ein Modewort und für Unternehmen abseits des Banken- und Versicherungssektors relativ neu, hat das Thema in Form von Compliance-Beauftragten bzw ganzen Compliance-Abteilungen inzwischen Einzug in die mittelständischen und großen Betriebe Österreichs gehalten. Damit stellt sich die Frage, ob und wie die Compliance in den Unternehmen tatsächlich angekommen ist. Hat sich die Organisationseinheit bzw das Aufgabengebiet gut etabliert und integriert oder gibt es Verbesserungsbedarf? Hört man sich in der Compliance-Community um, kann man leicht zum Ergebnis kommen, dass durchaus noch erhebliche Entwicklungspotenziale bestehen. Die „Pfl icht“, nämlich die grundsätzliche Implementierung von Compliance-Programmen ist erfolgt. Nun kommt der möglicherweise schwierigere Teil, die „Kür“. Sie besteht darin, Compliance in ein anerkanntes strategisches Leistungselement innerhalb der Organisation zu transformieren.

Alle Leser, die der Meinung sind, sie hätten die Compliance-Aktivitäten in ihrem Unternehmen bereits zum fi nalen Reifegrad entwickelt, können diesen Artikel bereits hier beenden. Aber wer kann das wirklich von sich behaupten?

Bestandsaufnahme

Im letzten Herausgebermeeting dieser Zeitschrift wurde der aktuelle Status quo der Compliance in Österreich angeregt diskutiert. Die allgemeine Conclusio war, dass durchaus noch Entwicklungspotenziale vorhanden sind – unter anderem fi el auch die Umschreibung „FeigenblattCompliance“.

Alles in allem hat mich diese Diskussion sehr nachdenklich gestimmt. Zugegebenermaßen verfestigte sich auch bei mir in den letzten Jahren der Eindruck, dass sich Compliance Offi cer häufi g in der Rolle des Verwalters von Vorschriften positionieren, anstatt als proaktive, strategische Berater der Führungsebene aufzutreten.

Zieht man das klassische Compliance-Haus mit seinen drei Kernbereichen Prävention, Früherkennung, Reaktion heran, wird der Schwerpunkt zu oft auf den rein präventiven Bereich gelegt. Überspitzt formuliert wäre die Haltung eines solchen Compliance Offi cers die folgende: „Ich verfasse Richtlinien und halte dazu Schulungen ab. Sollte ich um Rat gefragt werden, antworte ich eher konservativ, um ja kein Risiko einzugehen. Hinweisen aus der Wistleblowerhotline gehe ich nicht selbst nach, sondern überlasse es anderen (Revision, Personalabteilung, Externe), da Compliance ja positiv wahrgenommen werden soll.“

Ist dies der legitime Zugang zur Compliance-Funktion oder sollte die Anspruchshaltung eine andere sein?

Der Leser erkennt schnell, welche Meinung ich zum Rollenbild eines Compliance Offi cers habe: Wer als Compliance Offi cer die Komfortzone nicht verlässt, genießt zwar den Vorteil eines ruhigen Arbeitslebens, darf sich aber nicht wundern, wenn Geschäftsleitung und Kollegen ihn nicht als wertschöpfenden Faktor für das Unternehmen anerkennen.

Starten wir daher den Versuch, über Möglichkeiten nachzudenken, wie man die Compliance von der „Pfl ichtübung“ zum „strategisch anerkannten Partner“ weiterentwickeln kann.

Der mögliche Weg zum Erfolg

Grundsätzliches

Es gibt auch heute noch die eine oder andere Unternehmensleitung, die eine Compliance-Funktion einrichtet, ohne sich mit dem Thema Compliance wirklich anfreunden zu können. Der vielzitierte „Tone from the Top“ ist dann nicht im notwendigen Ausmaß vorhanden. In einem derartigen Unternehmen ist jeglicher Versuch, eine funktionierende Compliance aufzubauen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Jegliches diesbezügliche persönliche Engagement geht hier jedenfalls ins Leere. Daher kann ich nur empfehlen, in einem solchem Unternehmen die Compliance-Funktion nicht auszuüben.

Die nunmehr aufgezählten Ansätze basieren ausschließlich auf persönlichen Erfahrungen und haben keine Garantie auf Erfolg (Disclaimer!).

Mögliche Erfolgsfaktoren

Rollentausch

Es ist immens wichtig zu verstehen, wie ein Geschäftsführer/Vorstand denkt. Daher empfehle ich gedanklich in die besagte Rolle zu schlüpfen und aus dieser Perspektive heraus das Thema Compliance zu beleuchten. Was sind die klassischen Erfolgsfaktoren, die eine Geschäftsleitung treiben? Welche Themen sind wirklich wichtig und von Bedeutung (zB Verkaufszahlen, Wachstum, Kostenminimierung)? Welchen Beitrag liefert dazu die Com

Praxisbezug

© AdobeStock

pliance? Erschwert oder verhindert sie vielleicht sogar das Erreichen wirtschaftlicher Ziele?

Basierend auf den persönlichen Ergebnissen dieses Perspektivenwechsels lassen sich Maßnahmen und Wege ableiten, wie man eine Compliance bei der Geschäftsleitung themenspezifi sch positionieren könnte.

Bei der Transformation dieser Ideen in die Unternehmenswelt muss man sich im Klaren sein, dass die oberste Führungsebene in der Regel mit klassischen „Alphatieren“ besetzt ist. Diese nehmen die Entscheidungskompetenz für sich in Anspruch (auch wenn sie möglicherweise nicht entscheidungsfreudig sind).

Strategisch relevante Themen erkennen und besetzen

Getrieben und gemessen werden Führungskräfte in der Regel vom bzw am geschäftlichen Erfolg. Ist bei manch anderer Overhead-Abteilung (zB Recht oder Controlling) vielleicht noch ein gewisser Mehrwert für die Geschäftsleitung ableitbar, so wird dieser bei einer ausschließlich auf präventive Themen fokussierten Compliance im Verborgenen bleiben. Unannehmlichkeiten, die man verhindert, bevor sie überhaupt eintreten, werden naturgemäß nicht als wertsteigender Beitrag verbucht.

Ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg ist meines Erachtens die persönliche Wahrnehmung und Präsenz bei der Geschäftsleitung. Um dieser Anspruchshaltung aus der Compliance heraus gerecht werden zu können, bedarf es eines sehr proaktiven Ansatzes, der weit über die präventive Tätigkeit hinausgeht.

Gerade in der Compliance ist es notwendig und auch möglich, sich Themengebiete im Unternehmen zu suchen, die von Relevanz sind und und hohe Verbesserungspotenziale haben. Derartige Themengebiete proaktiv aufzugreifen und entsprechend zu lösen, bringt Anerkennung und Akzeptanz.

Unternehmen und Strukturen verstehen

Diese Empfehlung mag zwar banal und selbstverständlich klingen, das entsprechende Wissen ist jedoch in der alltäglichen Praxis oft nicht vorhanden. Tatsache ist, dass man als Compliance Offi cer oft schon deshalb nicht ernst genommen wird, da man ja „vom Geschäft ohnehin nichts versteht“.

Schafft man es bei seinem unternehmensinternen Gesprächspartner durch Praxisbezug und Interesse an seiner jeweiligen Tätigkeit zu punkten, erhöht sich die Wahrnehmung und das Image enorm. Damit einhergehend besteht die Notwendigkeit, fortwährend im Unternehmen aktiv unterwegs zu sein. Die Möglichkeit, das Gespräch mit den Mitarbeitern und der Führungsebene zu suchen, ergibt sich beispielsweise aus dem Thema „Compliance-Risikoanalyse“ heraus. Mit einem proaktiven Beratungsansatz bietet sich die Möglichkeit, die wirklichen Herausforderungen zu identifi zieren und zu verstehen. Die Compliance-Funktion bietet die Möglichkeit, sich auf unkompliziertem Weg einen tiefgreifenden Gesamtüberblick über die Tätigkeiten des Unternehmens zu verschaffen. Ein Umstand, den man unbedingt nützen sollte und der auch für einen zukünftigen Karriereverlauf sehr hilfreich sein kann. Der Hauptzweck eines Unternehmens ist in der Regel die erfolgreiche nachhaltige Teilnahme am wirtschaftlichen Leben, sprich Geld zu verdienen. Dieser Tatsache muss man sich insbesondere auch als Compliance Offi cer tagtäglich gewärtig sein.

Aus diesem Faktum heraus sollte man sich als Compliance Offi cer jedenfalls mit dem Unternehmenszweck identifi - zieren können. So ist man beispielsweise als Pazifi st in einem Rüstungskonzern eher nicht die Idealbesetzung in dieser Funktion.

Am Geschäftsleben teilzunehmen bedeutet, laufend Risiken einzugehen. Die besondere Herausforderung eines Compliance Offi cers ist es, Risiken zu erkennen, zu adressieren und im Idealfall Lösungswege zu erarbeiten. Mehrwert und einen Beitrag zum Unternehmenserfolg liefert man, indem man proaktiv bei schwierigen Geschäftskonstellationen alternative, regelkonforme Konzepte erarbeitet. Dass dies oft nicht einfach ist, ist selbstredend. Und gerade deshalb ist dieser Ansatz wichtig.

Compliance muss natürlich aber auch den Mut haben, bei Geschäftsfällen, wo ohne regelkonformes Verhalten kein Erfolg zu erzielen ist, eine entsprechend klare Position einzunehmen.

Basierend auf meinen persönlichen Erfahrungswerten war es möglich, in über 95% der an mich herangetragenen Fälle alternative Wege zu erarbeiten, um die angestrebten Geschäfte doch abwickeln zu können. Der wirkliche steinige und harte Weg waren die verbliebenen 5%. Es bedarf einer harten Haut und etwas Durchhaltevermögen, bis erfolgsgetriebene Manager zu überzeugen sind, dass manche Dinge einfach rechtlich nicht darstellbar sind. Man erhöht in diesen Fällen zwar kurzfristig nicht seinen Beliebtheitsfaktor, erarbeitet sich jedoch mittel- bis langfristig den notwendigen Respekt und Anerkennung.

Verständliche, klare Kommunikation

Ich habe in meiner langjährigen Praxis leider zu oft erlebt, dass simple Anfragen einfacher Mitarbeiter (zB „Darf ich diese

Einladung annehmen?“) in einer mehrseitigen juristisch ausgefi nkelten Antwort abgearbeitet werden. So eine Antwort mag zwar formaljuristisch sauber sein und den Ersteller vor dem Vorwurf der Falschberatung schützen, dem Empfänger hilft sie in der Regel aber nicht weiter.

Antworten sind themenspezifi sch und Adressatenbezogen einfach zu halten. Ein klares „ja“ oder „nein“ und eine kurze unprätentiöse Begründung bzw ein Alternativvorschlag, wie es gehen könnte, bringen dem Empfänger einen tatsächlichen Mehrwert.

Elevator Speech

Als „Elevator Speech“ (deutsch: Fahrstuhlpräsentation) wird die kurze (nur den Zeitraum einer Fahrstuhlfahrt dauernde), überzeugende Darstellung einer Idee bezeichnet. Trainings für derartige Situationen hielt ich zu Beginn meiner berufl ichen Laufbahn für überfl üssig, da mir das Szenario einfach unrealistisch und völlig praxisfern erschien. Ich habe meine Meinung zur Notwendigkeit, jederzeit eine Elevator Speech abliefern zu können, dramatisch geändert.

Zwischenzeitlich hatte ich unzählige Situationen (nicht zwangsweise im Lift), in denen ich in einem sehr begrenzten Zeitraum (oft innerhalb von 15 bis 20 Sekunden) kritische Themenstellungen punktgenau adressieren musste. Dies ist schon deshalb eine immense Herausforderung, weil es zwangsläufi g bedeutet, auch bewusst Informationsverluste in Kauf zu nehmen. Für jeden gelernten Juristen aber auch Betriebswirt ein wahrer Albtraum. Hier braucht es den Mut zur Lücke.

Versetzen wir uns – wie bereits weiter oben ausgeführt – in die Situation eines Vorstandes, der am Tag unzählige Termine mit einer entsprechenden Informationsfl ut hat. Wenn man es nicht schafft, wesentliche Informationen kompakt zu kommunizieren und sich stattdessen in minutenlangen Vorträgen verliert, hat man letztlich nichts kommuniziert. Das Gegenüber konnte und wollte die Information nicht mehr aufnehmen.

Klare, prägnante Ansagen mit klaren, prägnanten Lösungsideen sind der Weg zum Erfolg. Dies gilt meines Erachtens selbstredend nicht nur für das gesprochene Wort, sondern auch für die schriftliche Kommunikation, insbesondere E-Mails. Seitenlange Schriftsätze bergen das hohe Risiko in sich, schlichtweg nicht gelesen zu werden.

Ich kann nur dringend empfehlen, sich die Fähigkeit und den Mut zur kompakten, prägnanten Kommunikation anzueignen und diese auch entsprechend zu nützen. Für alle „Absicherungsfanatiker“ sei der Hinweis erlaubt, dass man die ausführlichen juristischen Abhandlungen auch als Anhang der prägnanten Zusammenfassung mitsenden kann.

Die unangenehmen Themen des Unternehmensalltags

Es mag zwar befremdlich klingen, aber gerade die rechtlich kritischen Themen können entscheidend zum Erfolg der Compliance-Abteilung beitragen. Ich kann nur jedem Compliance Offi cer wärmstens empfehlen, sich insbesondere den wirklich unangenehmen Vorkommnissen wie beispielsweise Mitarbeiterbetrug, Kartellrechtsverletzungen, Strafverfahren gegen das Unternehmen intensiv zu widmen. Bei diesen Themenstellungen ist der Aufmerksamkeitslevel in den Führungsetagen in der Regel sehr hoch. So unangenehm und unbeliebt diese Themen auch sein mögen, sie sind von besonderer Relevanz und haben ein hohes Potenzial, den Mehrwert einer Compliance sichtbar zu machen.

Es sei an dieser Stelle jedoch die Wahrung ausgesprochen, dass die Befassung mit diesen Themenstellungen auch mit einem hohen Risiko verbunden ist. Die unternehmensinterne Fehlertoleranz liegt hier in der Regel bei null. Demgemäß sind hier starke Nerven und eine sehr hohe Professionalität gefragt. Liefert man hier hochwertige Ergebnisse, seien sie noch so unangenehm, erwirbt man sich hohe Akzeptanz und das Vertrauen der obersten Führungsebene.

Und ebendieses Vertrauen ist das wichtigste Asset eines Compliance Offi cers. Nur mit diesem Vertrauen ausgestattet wird man in der Lage sein, notwendige Themenstellungen der Compliance, welche für die Geschäftsleitung von untergeordneter Bedeutung sein mögen (zB Mitarbeiterschulungen, Risikoanalysen) voranzutreiben und durchzusetzen. Diese Themengebiete des Compliance-Hauses sind es jedoch, die den tatsächlichen Erfolg und Mehrwert einer ComplianceOrganisation ausmachen.

Conclusio

Will man seine Compliance-Funktion mit Engagement und Empathie ausleben, so liegt es an einem selbst, was man daraus macht. Keinesfalls sollte man die Geschäftsleitung dafür verantwortlich machen, wenn man sich im Unternehmen nicht gut durchsetzen kann. Auch für die Compliance besteht die Notwendigkeit, einen positiven Mehrwert für das Unternehmen zu liefern. Selbstverständlich muss man jeden Tag aufs Neue unter Beweis stellen, dass die ausgeübte Tätigkeit wichtig und notwendig ist. Es gibt unzählige Möglichkeiten, sich in einem Unternehmen als Compliance Offi cer zu positionieren. Der tägliche Weg aus der eigenen Komfortzone heraus gepaart mit dem notwendigen Engagement ist der Weg zum Erfolg.

Der Autor Martin Schwarzbartl begann seine berufl iche Laufbahn 1993 als Steuerfahnder in der Finanzverwaltung und baute ab 2003 mit eine Compliance-Organisation im Finanzministerium auf. Ab 2006 war Schwarzbartl bei EY tätig, zuletzt als Geschäftsführer Fraud Investigation & Dispute, Compliance Services. 2012 wechselte er als Chief Compliance Offi cer zur ÖBB. Seit 2017 ist er für die Novomatic AG tätigt und trägt die konzernweite Verantwortung für den Bereich Group Compliance, Internal Audit und Risk Management.

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