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ATOM EGOYAN über seinen neuen Film „Guest of Honour“
INTERVIEW
BEREITS GESTARTET
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David Thewlis waltet in „Guest of Honour“ seines Amtes als Lebensmittelkontrolleur
Filmladen
Jim (David Thewlis) ist gestorben, und hat verfügt, dass nur ein ganz bestimmter Pfarrer die Trauerrede halten darf. Wieso, das versucht seine Tochter Veronica (Laysla De Oliveira) herauszufinden - und im Gespräch mit dem Geistlichen wird viel gesprochen über Jims einstigen Beruf als Lebensmittelkontrolleur in Restaurants: Er hat die Betriebe auf Einhaltung der Hygienestandards überprüft (und nicht selten grauenvolle Entdeckungen in den Küchen gemacht). Genau deshalb war Jim nicht immer ein gern gesehener „Guest of Honour“ (derzeit im Kino), ein Ehrengast. So nennt der kanadischarmenische Regisseur Atom Egoyan sein neues Werk, es ist irgendwo an der Grenze zwischen Thriller, Komödie und Drama angesiedelt, und es erzählt nicht nur von schlechten Restaurants, sondern auch von der Persönlichkeit seiner Hauptfigur, über die so manches Ungeahntes ans Licht kommt. Und auch, dass Veronica für ein Sexualverbrechen ins Gefängnis ging, das sie gar nicht begangen hat, trägt nicht unbedingt zur Normalisierung der Lage bei.
celluloid: Wie so oft in Ihren Filmen mischen Sie die Genres, diesmal ist Ihr Film wie ein Befundbericht über Familie, Elternschaft, Macht und Missbrauch. Woher stammt die Idee?
Atom Egoyan: Die Idee rührt aus meiner eigenen Elternschaft, ich habe überlegt, was ich alles über meinen Sohn weiß, und was nicht. Was muss ich als Elternteil wissen, was darf ich wissen und was nicht? Wie weit reicht meine Verantwortung als Vater? Darüber hinaus arbeitete mein Sohn bei einem französischen Restaurant in unserer Heimatstadt Toronto und erzählte mir eines Tages von diesem Lebensmittelkontrolleur, der seinem Boss ordentlich zu schaffen machte. An jeder Kleinigkeit nörgelte er herum. Ich hörte mir all diese Geschichten genau an, und stellte bald fest, dass es wichtig ist, dass es Menschen gibt, die solche Macht und Kontrolle haben - denn sie arbeiten penibel, damit sie unsere Sicherheit ge-
Familie, Tod und Restaurant-Kontrolle: Der kanadische Regisseur Atom Egoyan über „Guest of Honour“, seinen neuen Kinofilm.
ÜBER SO MANCHES SPRICHT MAN NICHT
währleisten. Man muss manche Küchen wirklich sehr genau kontrollieren.
Zugleich ist der Kontrolleur nicht in der Lage, seine eigene Familie unter Kontrolle zu halten. Ein schöner, dramaturgischer Widerspruch…
Ich begann, an diese sehr traurige, aber völlig plausible Falle zu denken, in der sich der Vater und die Tochter befanden, dass da etwas in ihrem Leben passiert war, das katastrophal gewesen ist. Es gibt Dinge, die ein Vater einer neunjährigen Tochter nicht sagen kann, aber die Tochter kreierte trotzdem Bilder, die ihr später unglaublich schaden sollten. Das Vater-Tochter-Verhältnis ist in „Guest of Honour" der Schlüssel.
Jim und Veronicas gemeinsame Zeit ist schwebend in den Film integriert. Manifest werden die Erinnerungen lediglich im Gespräch mit dem Geistlichen, das sich wiederkehrend durch den Film zieht.
Wenn ich eine solche Situation im Drehbuch beschreibe, dann sind es immer diese Bilder in den Rückblenden, die mir auch die Form für den Film diktieren. Es ist aber niemals klar für den Zuschauer, wie genau diese Beziehung aussieht, und ich glaube, darin liegt die Energie dieses Films. Es muss Geheimnisse geben.
Mit David Thewlis haben Sie nicht nur einen bekannten Mitwirkenden der „Harry Potter“-Filme gecastet, sondern auch einen herausragenden Schauspieler, das kann er hier zeigen.
Als ich ihm das Drehbuch schickte, und er zusagte, war ich ganz aus dem Häuschen. Wir trafen uns und es war fantas-
Atom Egoyan: „In einem Film muss es Geheimnisse geben“
Katharina Sartena
tisch. Man kann schwer beschreiben, wie es ist, mit jemandem zu arbeiten, bei dem die Performance so natürlich aus ihm herauskommt, als brauche er gar keine Anleitung. Und auch diese Intimität mit der Kamera, die David herstellen kann. Die Art und Weise, wie er die Vielzahl seiner unterschiedlichen Gefühle vermitteln kann, ist so inspirierend. Das war ein absoluter Höhepunkt für mich.
Wie konstruiert man dieses Vor- und Zurückgehen in der Zeit, für das Sie schon 1998 für „The Sweet Hereafter“ zwei Oscarnominierungen erhalten hatten?
Es ist ein System, bei dem die Schauspieler genau darüber informiert sein müssen, an welchem Punkt der Handlung sie sich gerade befinden, sonst funktionieren Zeitsprünge im Film nicht. Die Schauspieler müssen sich komplett die Orte und Szenen, die gedreht werden, zu eigen machen, sie verinnerlichen, und jede Verwirrung muss ich ihnen nehmen. Es ist ein sehr aufwändiger Prozess, den ich auch in Proben vorantreibe.
Der Film streift viele universelle Themen, darunter auch das Thema Elternschaft, das die meisten Menschen angeht.
Man macht Filme nur dann, wenn man sicher ist, dass sie ihr Publikum finden können. Deshalb sind die Themen wichtig. Man muss genug Vertrauen haben, dass die Geschichte, die man erzählt, auch eine Bedeutung für andere Menschen haben kann. Familienangelegenheiten gehören da sicher dazu. Vor allem, wenn es sich um die unausgesprochenen Angelegenheiten handelt, die es in jeder Familie gibt. Es sind Dinge, über die man nicht spricht, die letztlich aber die Macht haben, ganze Familien zu zerstören.