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DIE RETTUNG DES KINOS?

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Artemis Fowl

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FILMSTART: 02.10.20

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Gal Gadot schlüpft zum zweiten Mal in die Rolle von Wonder Woman, in „Wonder Woman 1984“

Gal Gadot kehrt als Wonder Woman zurück in die Kinos - hoffentlich. Nach mehrmaliger, coronabedingter Startverschiebung gieren die Kinobetreiber nach Filmware, die endlich das zurückbringt, was Corona genommen hat: CASH! Aber klappt der Neustart?

RETTET SIE DAS KINO?

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Sie könnte vermutlich das Virus genauso effektiv vermöbeln wie ihre Filmgegner: Wonder Woman (Gal Gadot) kehrt auf die Leinwand zurück

Es liegt ein großes Fragezeichen über diesem bevorstehenden Kinoherbst: Zum einen ist unklar, ob bei einer Zunahme der CoronaInfektionen die Kinos wieder schließen müssten, zum anderen darf bezweifelt werden, ob in den USA die Kinos wieder in geeigneter Zahl aufsperren können. Erst dann nämlich werden die großen Studios ihre potenziellen Blockbuster freigeben, da man ihnen vorzugsweise weltweite Kinostarts ermöglichen will, um die Verluste durch Raubkopien in Grenzen zu halten.

Die Corona-Krise hat die Grundfeste der Lichtspieltheater erschüttert, und mit ihnen auch das Selbstbewusstsein einer ganzen Branche: Wo man früher mit stolz geschwellter Brust in Top-Courture über den roten Teppich stakste, sind solche Events heute verboten - rote Teppiche finden derzeit maximal ohne Publikum, ohne Fans und mit automatisierten Kameras statt - der Redakteur sitzt dabei in einem räumlich getrennten Studio und stellt seine Fragen. Das ist nicht das Showbusiness, wie wir es kennen.

Dass dies noch eine Zeit lang so bleiben könnte, ist allerdings anzunehmen.

CORONA-LOCKDOWN, KEIN FILMNACHSCHUB, BEGRENZTE SITZPLÄTZE. DOCH DAS WAR NOCH NICHT ALLES: DIE GRÖSSTE KRISE STEHT DEM KINO NOCH BEVOR.

Warner Bros.

Der verkopfte „Tenet“, der nun startet (siehe Seite 12) wird wohl nicht der Umsatzbringer sein, den man sich erwartet. Nächste Hoffnung: „Wonder Woman 1984“, in dem Gal Gadot zum zweiten Mal als Superheldin zu sehen sein wird. Der Überraschungsbonus aus dem ersten Film, der 2017 herauskam und alle Erwartungen übertraf, ist dahin, dazwischen liegen Umbrüche in Hollywood, die die MeToo-Bewegung eingeläutet hat, eine Pandemie, und die Gewissheit, dass Gal Gadot es beim zweiten Mal mindestens so gut machen muss wie in Teil eins. Was den wenigsten Sequels gelingt.

„Wonder Woman 1984“, angesiedelt im Jahr 1984, soll es für Warner und die Kinos richten. Mehrfach verschoben, wird nun ein Start am 2. Oktober angepeilt. Dann wird Wonder Woman wieder kämpfen. Die Superheldin sieht sich diesmal mit gleich zwei völlig neuen Gegnern konfrontiert: Max Lord und Cheetah. Mehr wird derweil zum Inhalt nicht kolportiert, alles muss geheim bleiben, schließlich sollen die Leute ja ins Kino gelockt werden. Wer den Trailer gesehen hat, weiß aber: Materialschlacht plus weibliche Reize, diese Kombination wirkt auch im PostMeToo-Skandal-Hollywood.

Der Film ist die große Herbsthoffnung der Multiplexe, die mangels Filmware derzeit ihren Planzahlen weit hinterherhinken. In Österreich hat die CineplexxKette - mit 70 Prozent unangefochtener Marktführer am Kinosektor - seine Mehrsaal-Kinos tageweise sogar geschlossen. Im ländlichen Raum Montag und Dienstag, im urbanen am Montag. Sogar der Umsatzbringer, die Kinowelt in der SCS, bleibt derzeit montags geschlossen. Kann das auf die Dauer gut gehen?

HILFERUFE Die Cineplexx-Gruppe hat schon Anfang August, bei der Wiedereröffnung der Standorte, einen Hilferuf an die Politik gesendet: „Wie in vielen anderen Branchen, ist durch die mehrmonatige Schließung ein enormer wirtschaftlicher Schaden entstanden. Bei rund 150.000 Besuchern, die wir durchschnittlich pro Woche üblicherweise ganzjährig zählen, haben wir nun Verluste, die wir nicht mehr aufholen können“, zeigt sich Christof Papousek, Vize-Chef bei Cineplexx, besorgt. „Um die nächsten Schritte zu planen und das Budget unter Einbeziehung etwaiger staatlicher Hilfen festzulegen, benötigen wir dringend Details, wie der Fixkostenzuschuss in seiner Verlängerung ausgestaltet sein wird. Drei Monate als Bemessungszeitraum für die Unterstützung sind nicht ausreichend, denn die gesamte Branche musste nicht nur mehr als drei Monate geschlossen halten, sondern verfügt Corona-bedingt nur über eine sehr eingeschränkte Anzahl an Film-Neuerscheinungen. Dies dauert sicher über mehr als sechs Monate an“, so Papousek. „Es bedarf aber auch weiterer Finanzierungsmöglichkeiten für Unternehmen. Aufgrund der temporären Corona-Verluste, die gesunde Unternehmen nun erleiden mussten, sind neue Finanzierungen für Projekte nur schwer zu erhalten. Die Garantien, die für die Überbrückungsfinanzierungen gewährt werden, müssen den Firmen auch in den Folgejahren für ihre Weiterentwicklung eingeräumt werden, sonst entsteht ein dramatischer Stillstand und Wettbewerbsnachteil gegenüber Unternehmen aus anderen Ländern“, fordert Papousek.

HIOBSBOTSCHAFTEN Und das sind nur einige Probleme der Branche, die sich beim hiesigen Marktführer besonders bemerkbar machen. Die größte Krise steht dem Kino allerdings noch bevor:

Es war eine Hiobsbotschaft, als der Disney-Konzern verkündete, seinen als Premium-Produkt angelegten Blockbuster „Mulan“, der mehr als 200 Millionen Dollar in der Herstellung gekostet haben soll, nun nach mehreren Kinostartverschiebungen ausschließlich beim hauseigenen Streaming-Dienst Disney+ zeigen zu wollen. Ab 4. September könne man in den USA den Film dort streamen, jedoch nicht im Rahmen des günstigen Abopreises, sondern um eine zusätzliche Leihgebühr von 29,99 Dollar. Das ist das überraschende Ergebnis einer Investorenkonferenz, die über den Vertrieb des potenziellen Blockbusters beraten hatte. Zuvor war der Film, der am 26. März 2020 in die Kinos hätte kommen sollen,

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Das Lachen wirkt ein wenig gequält: Christof Papousek (links) und Christian Langhammer leiten die Cineplexx-Gruppe - und bekommen angesichts fehlender Filmware und ungewisser Zukunft gerade viele Sorgenfalten.

wegen der Corona-Krise bereits mehrfach verschoben worden. Zuletzt hatte Disney den Film auf „Ohne Termin“ gesetzt.

Der Meinungsumschwung bei Disney betrifft zunächst die Märkte in Nordamerika, Australien, Neuseeland und einigen nicht näher genannten europäischen Ländern. Überall dort, wo Disney+ noch nicht verfügbar ist, soll der Film jedoch einen regulären Kinostart bekommen. In Deutschland und Österreich ist Disney+ bereits verfügbar. Insgesamt hat der Konzern inzwischen weltweit mehr als 60 Millionen zahlende Disney+-Kunden. Würden nur 10 Prozent dieser Kunden den zusätzlichen Leih-Betrag für „Mulan“ berappen, hätte das Studio mit 180 Millionen Dollar seine Kosten beinahe schon wieder eingespielt.

NEUE WEGE Bei Disney beteuert man indes, dass die aktuelle Maßnahme lediglich ein dem Virus geschuldeter Versuch ist, um „Mulan“ doch noch entsprechend breit anbieten zu können. Disney-CEO Bob Chapek betonte: „Wir wollen den Konsumenten dieses Angebot machen und daraus lernen“. Man verfolge jedoch keine generelle neue Vertriebsstrategie über Disney+, betont das Management. Kinobetreiber würde dies vermutlich verängstigen: Durch die Pandemie werden laufend Tabus der klassischen Filmverwertungskette gebrochen, Disneys Vorstoß ins Digitale gliche - wenn er Schule macht - einem Todesstoß für so manches Multiplex-Kino. Denn dort braucht man Blockbuster wie „Mulan“.

Sollte „Mulan“ also ein Einzelfall bleiben, der akuten Krise geschuldet? Oder ist es der Anfang vom Ende der klassischen Filmverwertungskette? Für letzteres spricht das Vorpreschen der Universal Studios, die einen folgenschweren Deal mit der größten US-Kinokette AMC abgeschlossen hat: Sie einigten sich darauf, dass Universal in den USA seine Filme bereits 17 Tage nach dem Kinostart in den Online-Verleih bringen kann. Bislang lag das Kinofenster bei durchschnittlich 75 bis 90 Tagen.

Dabei geht es um sogenannte Premium-Angebote, bei denen Filme für 15 bis 20 Euro ausgeliehen werden können - also zum Preis eines Kinobesuchs. Über die Konditionen für Europa soll in den kommenden Wochen verhandelt werden. Macht die Praxis Schule, stehen die Kinos mit dem Rücken zur Wand, und zwar weltweit. „Mit dieser neuen Vereinbarung möchte man natürlich dem Publikum das flexiblere Konsumieren von neuen Filmen ermöglichen und die Vereinbarung gilt vorerst nur für die USA“, sagt Christian Langhammer, Chef der Constantin- und Cineplexx-Gruppe. „Wir verfolgen die Verhandlungen für den europäischen Markt sehr genau, denn diese haben natürlich für die FilmAuswertung und alle beteiligten Akteure am Filmmarkt bedeutende Auswirkungen. Wir stehen vor einem chancenreichen, aber auch gefährlichen Wendepunkt“, so Langhammer.

Gezündelt mit der neuen Strategie hatte Universal bereits während des Lockdown: Als die Kinos geschlossen blieben, brachte Universal seinen Animationsfilm „Trolls World Tour“ im Frühjahr stattdessen in den OnlineVerleih. Das zahlte sich aus: In drei Wochen spielte der Film allein am USMarkt knapp 100 Millionen Dollar ein. Der Chef von NBCUniversal, Jeff Shell, machte daraufhin eine weitreichende Ankündigung: „Wir gehen davon aus, dass wir Filme in beiden Formaten veröffentlichen werden, wenn die Filmtheater wieder öffnen.“ Der Filmtheater-Betreiber AMC, zu dem in Deutschland die UCI-Kinos gehören, kündigte daraufhin an, gar keine Streifen des Studios mehr zu zeigen. Die nunmehrige Einigung auf ein 17-Tages-Fenster legt diesen Streit vorerst bei.

LÖSUNGEN „Für Cineplexx steht selbstverständlich das Kinoerlebnis unangefochten an erster Stelle“, betont Papousek. „Kinos spannen den Bogen von Kultur zu Unterhaltung und sind nach wie vor Erlebnisorte, an denen Gäste die Kombination aus einem attraktiven Filmangebot, modernster Technologie und höchster Qualität genießen. Wir hoffen, dass nicht nur Cineplexx, sondern alle Akteure in der Branche, in Österreich von der Politik als kleiner, aber wichtiger Wirtschaftszweig erkannt werden und mit staatlichen Unterstützungen die Corona-bedingte Krise meistern können. Es braucht aber dringend schnelle Lösungen“, so Papousek.

Schnelle Lösungen, die hätten derzeit nur die findigen und kräftigen SuperheldInnen parat: Wonder Woman könnte die Corona-Viren und ihre Trittbrettfahrer vermutlich ordentlich effektiv vermöbeln. Und dann die Leute zurück in die Säle bringen. Vielleicht erhört sie uns. O

Philipp Jelenska

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