Beteiligungsgemeinschaft iSd §9 Abs4 TS4
Umfang einer Beteiligungsgemeinschaft
Ulrich Petrag-Wolf*)
1.Der Fall
Die in §9 Abs6 Z3 KStG 1988 vorgesehene Ergebnisaufteilung für die Beteiligten der Beteiligungsgemeinschaft gilt nur für jene Beteiligungskörperschaft, die unmittelbar bzw mittelbar über eine Personengesellschaft von den Beteiligten der Beteiligungsgemeinschaft selbst gehalten wird. Auf unter dieser Beteiligungskörperschaft gelegene Gruppenmitglieder ist die gewöhnliche Regelung über die Ergebniszurechnung nach §9 Abs4 TS1 und TS3 KStG 1988 anzuwenden.
BFG 7. 9. 2023, RV/5100003/2020; Revision zugelassen.
§§9 Abs4, 9 Abs6 Z3 KStG 1988
Die Erstbeschwerdeführerin, die A-GmbH, ist seit der Veranlagung 2011 Gruppenträgerin einer Unternehmensgruppe iSd §9 KStG 1988, wobei diese Unternehmensgruppe vom Finanzamt 1 festgestellt wurde. Zu dieser Unternehmensgruppe hat auch die Drittbeschwerdeführerin, die B-GmbH, seit Gründung dieser Gruppe gehört. Mit Verschmelzungs- und Abtretungsvertrag vom 12. 6. 2017, abgeschlossen zwischen der C-GmbH, der D-GmbH, der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin, der E-GmbH, wurde die C-GmbH als übertragende Gesellschaft mit der D-GmbH als übernehmende Gesellschaft mit Stichtag 31. 12. 2016 gemäß Art I UmgrStG verschmolzen. In diesem Verschmelzungsvertrag war unter anderem vorgesehen, dass es zu keiner Kapitalerhöhung kommt, sondern dass die Gesellschafterin der untergehenden C-GmbH, die Erstbeschwerdeführerin, mit Anteilen der bisherigen Alleingesellschafterin an der D-GmbH, der Zweitbeschwerdeführerin, abgefunden wird und zwar mit der Hälfte von deren Anteilen. Nach dieser Verschmelzung haben sohin die Erstbeschwerdeführerin als auch die Zweitbeschwerdeführerin jeweils 50% der Anteile an der D-GmbH gehalten. Die Erstbeschwerdeführerin ist ab diesem Zeitpunkt zu 50 % unmittelbar an der Drittbeschwerdeführerin beteiligt und über die D-GmbH mittelbar zu 25% (50%-Beteiligung an der D-GmbH und hält die D-GmbH 50% der Anteile an der Drittbeschwerdeführerin) und stellen sich diese dargestellten Beteiligungsverhältnisse grafisch wie folgt dar:
Erstbeschwerdeführerin
A-GmbH (Gruppenträgerin)
Drittbeschwerdeführerin B-GmbH
Zweitbeschwerdeführerin E-GmbH
D-GmbH
*)Mag. Ulrich Petrag-Wolf ist Richter des Bundesfinanzgerichtes.
Auch die Zweitbeschwerdeführerin ist seit der Veranlagung 2006 Gruppenträger einer Unternehmensgruppe iSd §9 KStG 1988, die vom Finanzamt 2 festgestellt wurde. Mit Schreiben vom 21. 12. 2017 haben die Erst - und Zweitbeschwerdeführerin sowie die D-GmbH einen Antrag zur Begründung einer Beteiligungsgemeinschaft beim Finanzamt 1 sowie auch beim Finanzamt 2 wie folgt gestellt:
„Beteiligungsgemeinschaft zwischen der Erstbeschwerdeführerin als Hauptbeteiligte und der Zweitbeschwerdeführerin als Minderbeteiligte betreffend die D-GmbH als Beteiligungskörperschaft und Zurechnung des Ergebnisses der D-GmbH jeweils mit 50% an die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin.“
Mit Bescheid des Finanzamtes 1 vom 10. 1. 2018 wurde hinsichtlich der Unternehmensgruppe der Erstbeschwerdeführerin die Zugehörigkeit zu einer Beteiligungsgemeinschaft sowohl der Erstbeschwerdeführerin als Hauptbeteiligte und der Zweitbeschwerdeführerin als Minderbeteiligte gemäß §9 Abs9 KStG 1988 festgestellt.
Mit Feststellungsbescheid Gruppenmitglied 2017 wurde das im Jahr 2017 erzielte Einkommen der Drittbeschwerdeführerin zu 66,6667% der Erstbeschwerdeführerin als Hauptbeteiligte einer Beteiligungsgemeinschaft und zu 33,3333% der Zweitbeschwerdeführerin als Minderbeteiligte einer Beteiligungsgemeinschaft zugewiesen. Eine Begründung hat dieser Bescheid nicht enthalten.
Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht durch die drei Beschwerdeführer Beschwerde erhoben und eine ausschließliche Zurechnung des 2017 erzielten Einkommens der Drittbeschwerdeführerin an die Erstbeschwerdeführerin begehrt.
Mit Beschwerdevo rentscheidung vom 16. 10. 2019 gab das Finanzamt 1 dieser Beschwerde teilweise statt und wies vom Einkommen der Drittbeschwerdeführerin 75% an die Erstbeschwerdeführerin und an die Zweitbeschwerdeführerin 25% zu. Dagegen wurde fristgerecht ein Vorlageantrag eingebracht.
2.Die Entscheidung des BFG
Gemäß §9 Abs4 TS4 KStG 1988 kann eine finanzielle Verbindung auch dadurch hergestellt werden, dass eine Beteiligungsgemeinschaft insgesamt entweder unmittelbar oder mittelbar (über eine Personengesellschaft) mehr als 50% des Grund-, Stamm- oder Genossenschaftskapitals und der Stimmrechte an der Beteiligungskörperschaft besitzt. Außerdem muss zumindest ein Mitbeteiligter der Beteiligungsgemeinschaft eine Beteiligung und Stimmrechte in Höhe von 40% besitzen und andere Mitbeteiligte zumindest 15%.
Im gegenständlichen Fall wurde eine Beteiligungsgemeinschaft zwischen Erstbeschwerdeführerin als Hauptbeteiligte und der Zweitbeschwerdeführerin als Minderbeteiligte betreffend die D-GmbH als Beteiligungskörperschaft iSd §9 Abs4 TS4 KStG 1988 gebildet. Durch diese Beteiligungsgemeinschaft wurde die D-GmbH Gruppenmitglied der Unternehmensgruppe der Erstbeschwerdeführerin.
Die Bildung einer Beteiligungsgemeinschaft führt allerdings nicht dazu, dass der Hauptbeteiligte dieser Beteiligungsgemeinschaft nunmehr Mitglied zweier Unternehmensgruppen ist. Vielmehr hat die Bildung einer Beteiligungsgemeinschaft durch einen Gruppenträger einer bestehenden Unternehmensgruppe (eine Bildung einer Beteiligungsgemeinschaft auf Gruppenmitgliederebene ist seit dem AbgÄG 2010, BGBl I 2010/34 nicht mehr zulässig) zur Konsequenz, dass die bisher bestehende Gruppe erweitert wird, nicht aber dass eine neue – zweite – Unternehmensgruppe entsteht, weil die Beteiligungsgemeinschaft selbst nur ein Vehikel ist, um die erforderliche finanzielle Verbindung herzustellen.1)
1)Vgl Schlager, AbgÄG 2010: Abschaffung von „Gruppenmitglieder-Beteiligungsgemeinschaften", RdW 2010/330, 309; Haslehner, Die Rolle der Beteiligungsgemeinschaft in der Unternehmensgruppe, SWK 2010, 490.
Soweit sich die belangte Behörde mit Regelungen in den KStR 2013 auseinandersetzt, ist festzuhalten, dass vom Bundesministerium für Finanzen erlassene Richtlinien und Erlässe für die Verwaltungsgerichte keine Bindungswirkung entfalten, weil es sich dabei lediglich um einen Auslegungsbehelf der Finanzverwaltung handelt.2) Überdies kann aus den von der belangten Behörde zitieren Ausführungen der KStR 20133) nichts für den gegenständlichen Fall abgeleitet werden, weil einerseits weder die Erstbeschwerdeführerin noch die Zweitbeschwerdeführerin außerhalb der gebildeten Beteiligungsgemeinschaft an der D-GmbH beteiligt sind und sich das in dieser Randziffer angeführte Beispiel nur mit der Beteiligungskörperschaft befasst, für die die Beteiligungsgemeinschaft gebildet wurde.
Überdies sieht die in §9 Abs6 Z3 KStG 1988 enthaltene Regelung vor, dass bei Beteiligungsgemeinschaften das Einkommen des Gruppenmitglieds iSd Z1 und 2, an dem die Beteiligung besteht, den Mitbeteiligten im Ausmaß ihrer Beteiligung an der Beteiligungsgemeinschaft zuzurechnen ist. Daher gilt die in dieser Bestimmung vorgesehene Ergebnisaufteilung für die Beteiligten der Beteiligungsgemeinschaft nur für jene Beteiligungskörperschaft, die unmittelbar bzw mittelbar über eine Personengesellschaft von den Beteiligten der Beteiligungs gemeinschaft selbst gehalten wird. Die in §9 Abs3 TS3 KStG 1988 enthaltene Regelung gilt hingegen für die Frage, welche Beteiligungskörperschaft von der Ergebn isaufteilungsvorschrift des §9 Abs6 Z3 KStG 1988 umfasst ist, nicht.
Das BFG hat daher der Beschwerde stattgegeben und das von der Drittbeschwerdeführerin im Jahr 2017 erzielte Ergebnis ausschließlich der Erstbeschwerdeführerin zugerechnet. Da bis dato keine Rechtsprechung des VwGH zur Frage vorliegt, ob durch die Bildung einer Beteiligungsgemeinschaft durch den Gruppenträger einer bestehenden Unternehmensgruppe eine neue Unternehmensgruppe entsteht und welche Konsequenzen dies für die Ergebniszurechnung von Gruppenmitgliedern hat, die zum Teil an der Beteiligungskörperschaft, für die die Beteiligungsgemeinschaft gebildet wurde, „hängen“, wurde die Revision zugelassen. Es wurde aber keine Amtsrevision erhoben.
Auf den Punkt gebracht
Die Gruppenbesteuerung ist im Gegensatz zur früheren Organschaft vom Prinzip der Wahlfreiheit der beteiligten Körperschaften geprägt, ob diese – wenn sie die Voraussetzungen des §9 Abs4 KStG 1988 erfüllen – Mitglieder einer Unternehmensgruppe werden wollen oder nicht, was durch die Stellung des Gruppenantrages zum Ausdruck kommt.4) Dies muss auch für den Umfang der Einbeziehung von Gruppenmitgliedern im Wege einer Beteiligungsgemeinschaft gelten. Besteht daher zu einer Beteiligungskörperschaft bereits ohne Bestehen einer Beteiligungsgemeinschaft eine ausreichende finanzielle Verbindung zum Gruppenträger bzw zu einer beteiligten Körperschaft gemäß §9 Abs4 TS1 und TS3 KStG 1988 und wird für dieses Gruppenmitglied keine Beteiligungsgemeinschaft vereinbart, was gegenüber dem Finanzamt durch die Stellung eines entsprechenden Antrages zum Ausdruck gebracht wird, ist für die Ergebniszurechnung dieses Gruppenmitgliedes weiterhin die finanzielle Verbindung gemäß §9 Abs4 TS1 und TS3 KStG 1988 maßgebend.
2)Vgl zB VwGH 31. 1. 2018, Ra 2017/15/0038; 22. 6. 2022, Ro 2021/13/0022; 16. 1. 2023, Ra 2022/13/ 0104.
3)Rz1049 KStR 2013 lautet am Schluss wie folgt: „Sollte im Beispiel A an Gruppenmitglied C darüber hinaus auch unmittelbar zu zB 5% beteiligt sein, sind diese 5% verpflichtend im Gruppenantrag anzuführen, bei der Ergebnisaufteilung zwischen A und B zu berücksichtigen und der durchgerechneten Beteiligung von A in Höhe von 45% hinzu zu zählen (der Aufteilungsschlüssel zwischen A und B ergibt sich dann aus dem Verhältnis 50% zu 18%)."
4)Vgl Wiesner/Kirchmayr/Mayr, Praxiskommentar Gruppenbesteuerung2 (2008) K347; Vock in Lachmayer/ Strimitzer/Vock (Hrsg), Die Körperschaftsteuer – KStG 1988 (26. Lfg 2015) 9. Gruppenantrag §9 Abs8 KStG Tz827.
Umgründungsplan und doppelstöckige PublikumsMitunternehmerschaft
Doppelstöckige Publikums-Mitunternehmerschaft
Zusammenschluss mit am Stichtag nicht existierender Personengesellschaft
Klaus Hirschler/ Gottfried Sulz / Christian Oberkleiner / Lukas Bernwieser*)
Auch wenn auf die Personengesellschaft beim bloßen Beitritt eines Gesellschafters gegen Bareinlage zivilrechtlich das in der aufnehmenden Personengesellschaft vorhandene begünstigte Vermögen nicht übertragen wird, so verändert sich steuerrechtlich doch die Mitunternehmerschaft, und die bestehende überträgt begünstigtes Vermögen auf die erweiterte Mitunternehmerschaft. § 24 Abs 1 UmgrStG gilt in diesem Zusammenhang für den „Übertragenden“, womit nur jener Zusammenschlusspartner gemeint ist, der Vermögen iSd § 23 Abs 2 UmgrStG überträgt.
Überschießend erschiene es angesichts des Gesetzeswortlautes, der sich nur auf den begünstigtes Vermögen Übertragenden bezieht, die Zurechnungsvoraussetzungen auch bei jenen Zusammenschlusspartnern vorauszusetzen, die nicht begünstigtes Vermögen übertragen. Jedenfalls erforderlich ist jedoch, dass auch das nicht begünstigte Vermögen tatsächlich innerhalb der Neunmonatsfrist übertragen wird. Die zivilrechtliche Gründung einer Personengesellschaft erst nach dem Zusammenschlussstichtag ist unschädlich, denn der Umgründungsstichtag kann auf einen früheren Zeitpunkt gelegt werden und bewirkt ab diesem Tag die steuerliche Zurechnung. Tritt ein Gesellschafter im Rückwirkungszeitraum der Mitunternehmerschaft bei, ist dies angesichts des § 13 Abs 2 UmgrStG der Anwendbarkeit des Art IV UmgrStG abträglich. Allerdings besteht die Möglichkeit, diesen Beitritt selbst als Zusammenschluss zu werten und auf denselben Umgründungsstichtag rückzubeziehen. Voraussetzung dafür ist aber die Erstellung eines Umgründungsplanes nach § 39 UmgrStG. Damit gilt der Beitritt als auf den Zusammenschlussstichtag rückbezogen, eine Änderung der Mitunternehmerschaft zwischen Zusammenschlussstichtag und Vertragsabschluss tritt steuerlich nicht ein.
BFG 11. 10. 2023, RV/7101930/2013; Revision eingebracht (Amtsrevision). §§24 Abs1 iVm 13 Abs2 und 39 UmgrStG
1.Der Fall
Die Beschwerdeführerin (Bf) ist eine Kommanditgesellschaft, die sich an vier Kapitalgesellschaften mit Risikokapital als atypisch stille Gesellschafterin beteiligt hat. Gesellschafter der Bf (*Bf1* bzw *Bf1 KG*) sind die A-GmbH (*Kpl* GmbH) als Komplementärin und eine Vielzahl von Personen (167) als Kommanditisten, wobei im Firmenbuch nur die B-GmbH (*TH Kdt* GmbH) als Kommanditistin aufscheint („Treuhandkommanditistin“), die neben ihrem eigenen Kommanditanteil für sämtliche Kommanditisten („Treugeber“) die Anteile treuhändig verwaltet. Die Gese llschaft ist auf unbestimmte Zeit errichtet, aber frühestens nach zehn Jahren kündbar.
Die atypisch stillen Gesellschaftsverträge sind allesamt derart ausgestaltet, dass die Bf als stille Gesellschafterin am Gewinn und Verlust sowie im Abschichtungsfall am gesamten Unternehmenswert einschließlich Firmenwert und stiller Reserven beteiligt ist, wobei der Unternehmenswert in allen Fällen des Ausscheidens als Ertragswert nach dem DCF-Verfahren ermittelt wird. Die Verlustzuweisung erfolgt vorrangig an die Stille, ist aber
*)Univ.-Prof. MMag. Dr. Klaus Hirschler ist Professor an der WU Wien, Mag. Gottfried Sulz, Mag. Christian Oberkleiner, MAS und Mag. (FH) Lukas Bernwieser sind Partner der TPA Steuerberatung in Wien.
mit 185% der Einlage der Stillen begrenzt. Bei Ausscheiden ist die Stille nicht verpflichtet, ein negatives Kapitalkonto aufzufüllen. Kontrollrechte stehen der Stillen (also der Bf) wie einem Kommanditisten zu. Die Gesellschaft ist auf unbestimmte Zeit errichtet, aber frühestens nach sechs bis acht Jahren (Details sogleich) kündbar.
ZusammenschlusszudoppelstöckigerMU
167TreugeberKommanditisten
B-GmbH (Treuhänderin)
A-GmbH (Komplementärin)
ZS-Vertrag:25.6.2010 Umgründungsplan:18.5.2010 ZS-Stichtag:30.9.2010
ZS-Vertrag:29.6.2010 Umgründungsplan:31.5.2010 ZS-Stichtag:30.9.2010
AG3 (Geschäftsherrin)
GründungsKommanditistin
**Bf1** KG
0% GründungsKomplementär
atypischStille
MU3
atypischStille
MU4 AG4 (Geschäftsherrin)
2.Zusammenschluss Art IV UmgrStG (= HinzutrittTreugeber-Kommanditisten)
o) Vermögensverwaltende**Bf1**KG, infolge1.Zusammenschluss undAbfärbetheoriegemäß §2Abs.4EStG gewerblich
o) VorhererstellterUmgründungsplanentspricht Erfordernissendes §39UmgrStG
Gründung:4.11.2009 FB-Eintragung:10.11.2009
1.ZusammenschlussArt IV UmgrStG (=Beteiligungalsatypisch Stille)
atypischStille
MU1
atypischStille
AG1 (Geschäftsherrin)
MU2 GmbH2 (Geschäftsherrin)
ZS-Vertrag:25.6.2010 Umgründungsplan:20.5.2010 ZS-Stichtag:30.9.2010
ZS-Vertrag:22.6.2010 Umgründungsplan:31.5.2010 ZS-Stichtag:30.9.2010
Das Verhältnis zwischen der Bf und ihren Kommanditisten ist durch den Gesellschaftsvertrag der KG und den Treuhandvertrag geregelt, die aufeinander verweisen und damit eine Einheit bilden. Der Beitritt zur KG erfolgt mit Abgabe eines Zeichnungsscheines des Treugebers und nach Abschluss des Treuhandvertrages mit der Treuhandkommanditistin sowie Leistung der Einlage. Der Beitritt der Kommanditisten erfolgt im Wege des Zusammenschlusses (Art IV UmgrStG). Die Kommanditisten nehmen am Gewinn und Verlust der Gesellschaft uneingeschränkt teil, der Komplementär ist bloßer Arbeitsgesellschafter, erhält eine Geschäftsführungsvergütung, hat aber keinen Anspruch auf Vermögen und Ergebnis. Bei Ausscheiden eines Kommanditisten steht ihm die Abfindung des Verkehrswertes seines Anteils (ermittelt nach den Grundsätzen der Unternehmensbewertung) zu; ein negatives Kapitalkonto hat er nicht aufzufüllen. Die Gesellschaft ist auf unbestimmte Zeit geschlossen, doch besteht seitens der Komplementärin das Recht, bei Nichtaufbringen von 500.000 Euro Mindestkapital bis 30. 6. 2010 die Gesellschaft zu beendigen. Bis zum 31. 12. 202 0 besteht ein Kündigungsverzicht, bei Austritt vor diesem Datum ist ein Abschlag von 15% von der Abfindung hinzunehmen. Die Rechte der Kommanditisten übt die Treuhandkommanditistin in deren Interesse aus, insbesondere die Kontrollrechte sowie das Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung. Über Art und Ausmaß der Ausübung der Kontrollrechte, die die Treuhandkommanditistin im Interesse der Treugeber ausübt, entscheidet sie grundsätzlich selbst und hat darüber den Treugebern zu berichten. Der einzelne Treugeber kann die Treuhänderin aber auf seinen Anteil bezogen zu einem von ihrer eigenen Intention abweichenden Stimmverhalten anweisen (gespaltenes Stimmrecht). 25% der Treugeber können jedoch die Einberufung einer außerorden tlichen Gesellschafterversammlung verlangen. Ebenso kann ein Viertel der Treugeber eine Treugeberversammlung verlangen, die von der Treuhandkommanditistin sodann einzuberufen ist. Mit Mehrheit von über 51% kann die Treugeberversammlung von der Treuhandkommanditistin ein bestimmtes Verhalten verlangen, mit einfacher Mehrheit wird die Treuhandkommanditistin dazu verhalten, Maßnahmen der außerordentlichen Geschäftsführung abzulehnen.
Die Bf wurde mit Vertrag zwischen der *Kpl* GmbH als einziger Komplementärin und der *TH-Kdt* GmbH als einziger Kommanditistin vom 4. 11. 2009 gegründet und am 10. 11. 2009 ins Firmenbuch eingetragen.
Im ersten Halbjahr 2010 haben zahlreiche Personen Zeichnungsscheine unterschrieben, um der KG als weitere Kommanditisten beizutreten. Das Beitrittsprozedere gestaltete sich derart, dass der Zeichnungsschein und der Treuhandvertrag mit der *TH-Kdt* GmbH zu unterschreiben waren und nach Annahme durch die Treuhänderin die Einlage an sie zu leisten war (§4 Z2 des Gesellschaftsvertrages; §4 Z1 des Treuhandvertrages).
Der tatsächliche (zivilrechtliche) Beitritt erfolgt zu dem Zeitpunkt, in dem die Treuhänderin den Treuhandvertrag annimmt, denn gemäß §3 Z2 des Treuhandvertrages wird mit dessen Wirksamwerden der Treugeber an der KG nach Maßgabe des Treuhand- und des Gesellschaftsvertrages beteiligt. Steuerrechtlich soll der Tag des Beitrittes dadurch bestimmt werden, dass die Treuhänderin für alle Treugeber (ermächtigt durch §4 Z4 des Gesellschaftsvertrages) einen Umgründungsplan erstellt und einen Zusammenschlussstichtag festlegt. Aufgrund der Umgründungspläne ist steuerlich der 30. 9. 2009 als Zusammenschlussstichtag maßgeblich.
Die KG ist folgende atypisch stille Beteiligungen eingegangen: mit der *S1* AG (gegründet 2003, Zusammenschlussvertrag vom 25. 6. 2010, Umgründungsplan vom 20. 5. 2010), mit der *S4* AG (gegründet 1999, Zusammenschlussvertrag vom 25. 6. 2010, Umgründungsplan vom 18. 5. 2010), mit der *S2* GmbH (gegründet 2007, Zusammenschlussvertrag vom 22. 6. 2010, Umgründungsplan vom 26. 3. 2010), mit der *S3* AG (gegründet 2005, Zusammenschlussvertrag vom 29. 6. 2010, Umgründungsplan vom 31. 5. 2010). Die Zusammenschlüsse erfolgten laut Umgründungsplan jeweils zum 30. 9. 2009, die Einlage war jeweils bis zum 30. 6. 2010 (einlangend bei den Geschäftsherren) zu leisten. Die Umgründungspläne sind von den jeweiligen Geschäftsherren, der *Kpl* GmbH und der *TH-Kdt* GmbH unterschrieben.
Gleichlautend werden in all diesen Umgründungsplänen die Zusammenschlüsse zwischen der jeweiligen Geschäftsherrin und der *Bf1* zu atypisch stillen Gesellschaften als „erste Umgründung“ bezeichnet, die rückwirkend zum 30. 9. 2009 stattfindet.
Als „zweite Umgründung“ wird jeweils der „Zusammenschluss gemäß Artikel IV UmgrStG von *TH-Kdt* GmbH zur *Bf1*“ bezeichnet, der auch auf den 30. 9. 2009 rückwirkend stattfinden soll. Nach der Erklärung, dass erst der erste Zusammenschluss der Bf Betrieblichkeit und damit das Zusammenschlusserfordernis vermittle, findet sich noch der Satz: „Die *TH-Kdt* GmbH ist neben einer eigenen Einlage auch als Treuhänder für Treugeber tätig. Ein entsprechender Treuhandvertrag wurde abgeschlossen.“
Unter „Rechtsfolge“ wird in den Umgründungsplänen darauf verwiesen, dass die beiden Zusammenschlüsse denselben Mitunternehmeranteil zum selben Stichtag betreffen und deshalb ein Umgründungsplan nach §39 UmgrStG aufgestellt wird. „Auf diesen Umgründungsplan wird sowohl im ergänzten Gesellschaftsvertrag der *Bf1* als auch im atypisch stillen Gesellschaftsvertrag der [Geschäftsherrin] Bezug genommen.“
Für die rechtliche Würdigung insbesondere des zweiten Umgründungsschrittes sind folgende Passagen für den entscheidungsrelevanten Sachverhalt wesentlich:
• Der Zeichnungsschein sieht vor, dass „der Gesellschaftsvertrag der Bf und der Treuhandvertrag Bestandteil dieser Beteiligung“ sind. Außerdem bestätigt der Zeichner, dass seine Beteiligung ausschließlich aufgrund des Kapitalmarktprospektes erfolgt.
• Im Kapitalmarktprospekt findet sich zur Umgründung unter Punkt 2.5 „Art der Veranlagung“ nach Bezeichnung der Rechtsform (geschlossene Veranlagungsform als KG) der Passus: „Die Begründung der Beteiligung der Treuhänderin an der Gesellschaft auf Rechnung der Treugeber erfolgt zum Zusammenschlussstichtag auf der Grundlage der Zusammenschlussbilanz zu diesem Stichtag.“
• Der Gesellschaftsvertrag der KG enthält zur Umgründung unter §4 „Erbringung der Kapitaleinlagen“ in Z4 die folgende Bestimmung: „Die von der Treuhandkommandi-
tistin für Treugeber vorzunehmenden Kapitalerhöhungen an der Gesellschaft müssen nicht für jeden Treugeber einzeln vorgenommen werden, sondern können zusammengefasst zu entsprechenden Zeitpunkten und auch zu unterschiedlichen Stichtagen durchgeführt werden. Diese Beteiligungen der Treugeber werden nach Möglichkeit steuerrechtlich im Wege eines Zusammenschlusses gemäß Art IV Umgründungssteuergesetzes durchgeführt. Die Treuhandkommanditistin ist berechtigt, den jeweiligen Zusammenschlussstichtag unter Beachtung der Bestimmungen des Umgründungssteuergesetzes und eines zu erstellenden Umgründungsplans mit Wirkung für die Treugeber festzulegen, auch zu einem Stichtag vor der Eintragung der Gesellschaft in das Firmenbuch, sofern die Beteiligungen mit steuerlicher Rückwirkung auf einen Stichtag vor dem Tag der Firmenbucheintragung der Gesellschaft erworben werden bzw. wurden. Die Begründung der Beteiligung der Treuhandkommanditistin an der Gesellschaft auf Rechnung der Treugeber und/oder deren Erhöhung erfolgt auf den entsprechenden Zusammenschlussstichtag auf der Grundlage der Zusammenschlussbilanz zum entsprechenden Stichtag und des zu erstellenden Umgründungsplans unter Inanspruchnahme der steuerrechtlichen Begünstigungen des Umgründungssteuergesetzes."
• Der Treuhandvertrag enthält keine Bestimmungen zu Umgründungen. Die in früheren Treuhandverträgen (zB RV/7101922/2013, *Kpl*, §5 Z3) enthaltene ausdrückliche Ermächtigung der Treuhänderin, hinsichtlich der Gesellschaft oder des Vermögens der Gesellschaft Umgründungsmaßnahmen jeglicher Art durchzuführen, fehlt in diesem Treuhandvertrag.
Mit Meldung vom 30. 6. 2010 wurden die Zusammenschlüsse durch die KG dem Finanzamt gemeldet (dort eingelangt am 30. 6. 2010) und folgende Unterlagen übermittelt:
• eine Liste der Treugeber (Name, StNr, SV-Nr bzw FB-Nr, Höhe der Einlage);
• der Gesellschaftsvertrag der Bf;
• Ergänzungen zum Gesellschaftsvertrag (ausdrückliche Bezugnahme auf die Umgründungspläne);
• eine Zusammenschlussbilanz der „*Bf1* & atypisch Stille“ mit Werten von Null;
• Umgründungspläne aus den vier Zusammenschlüssen zu atypisch stillen Gesellschaften;
• Zusammenschlussverträge betreffend die atypisch stillen Gesellschaften;
• Zusammenschlussbilanzen betreffend die atypisch stillen Gesellschaften.
Die Umgründung betreffend, führt die belangte Behörde aus, sei aus der vorliegenden Meldung samt Beilagen die Erweiterung des Kommanditanteils der Bf nicht entnehmbar, die vorgelegten „Bilanzen“ wiesen die Werte von „Null“ auf. Eine nähere Auseinandersetzung mit diesen Bilanzen sei aber aufgrund des Fehlens grundlegender Anwendungsvoraussetzungen nicht mehr nötig. Auf Personen, die mit einer Geldeinlage beitreten, sei die Rückwirkung nicht anwendbar.
Zu Art23 UmgrStG führt die Bf aus, im KG-Vertrag sei vorgesehen, dass eine Beteiligung treuhändig über die Treuhandkommanditistin durch Einlageleistung möglich sei. Der belangten Behörde seien der Gesellschaftsvertrag der KG, die Höhe der Gesamteinlage der Treugeberkommanditisten, eine Liste aller Treugeber samt deren Einlage, die Umgründungspläne, die atypisch stillen Gesellschaftsverträge und die Zusammenschlussbilanzen vorgelegt worden. Mehr Unterlagen gebe es nicht. Der Gesellschaftsvertrag der KG enthalte alle notwendigen steuerlichen Bestandteile eines Zusammenschlussvertrages, einer expliziten Bezeichnung als solcher bedürfe es nicht; dass es sich um einen gesellschaftsrechtlichen Vorgang handle, sei klar erkennbar.1)
1)Vgl UmgrStR 2002, Rz1302.
Die Bilanzen weisen deshalb zum 30. 9. 2009 einen Wert von „Null“ auf, weil das Wirtschaftsgut erst eine logische Sekunde nach dem Zusammenschlussstichtag übergehe. Selbst, wenn die Bilanz falsch sei, führe das lediglich zum Bedarf, diese zu berichtigen, wozu sich die belangte Behörde aber nicht geäußert habe. Auch eine Aufforderung, fehlende Unterlagen nachzubringen2) sei nicht ergangen. Die Dokumentationsvorschriften seien kein Selbstzweck, sondern dienten dazu, nachvollziehen zu können, welche steuerlichen Ergebnisse den jeweiligen Vertragsparteien bis zum Zusammenschlussstichtag zuzurechnen seien und wie die Verhältnisse danach seien. Das gehe aus den übermittelten Unterlagen alles eindeutig hervor.
Vor dem BFG wurde weiters die Frage releviert, inwieweit den Vorschriften des §13 Abs2 iVm §24 Abs1 Z1 UmgrStG mit den Umgründungsschritten des Jahres 2009 entsprochen worden ist.
Diesbezüglich führt die belangte Behörde aus, der jeweils Übertragende müsse sowohl am Zusammenschlussstichtag als auch zum Zeitpunkt des Abschlusses des Zusammenschlussvertrages (zumindest wirtschaftlicher) Eigentümer des zu übertragenden Vermögens sein, wobei nicht zwischen begünstigtem und nicht begünstigtem Vermögen unterschieden werde.3) Bei Einbringungen, Zusammenschlüssen, Realteilungen und Steuerspaltungen müsse die übertragende Gesellschaft zum Umgründungsstichtag bereits existiert haben.4)
Nur dann, wenn wirtschaftliches Eigentum durch eine ertragsteuerlich zulässige rückwirkende Vermögensübertragung erfolge und damit eine zeitliche Doppelzurechnung desselben Vermögens ausgeschlossen sei, könne die Vermögensübertragung bereits vor der faktischen Existenz des Übertragenden stattfinden. Dies sei nicht gegeben, weil die KG erst mit Gesellschaftsvertrag vom 4. 11. 2009 gegründet worden sei (Firmenbucheintragung 10. 11. 2009), am Zusammenschlussstichtag 30. 9. 2009 noch nicht existent war und ihr Vermögen zu diesem Stichtag noch nicht zugerechnet werden konnte.
Weiters sei §13 Abs2 UmgrStG so zu verstehen, dass auch bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften eine Änderung der Gesellschafterstruktur zwischen Zusammenschlussstichtag und Vertragsabschlusstag für die Anwendung des Art IV UmgrStG schädlich sei. Gemäß des Grundsatzes der Stabilität der Vermögenszurechnung dürfe nämlich als Ausfluss der Bilanzbündeltheorie in diesem Zeitraum bei keinem Beteiligten eine Änderung der Vermögenszurechnung eintreten.5) Im Rückwirkungszeitraum seien 167 Treugeberkommanditisten beigetreten, wodurch ein Zusammenschluss scheitere. Nur dann, wenn die KG selbst durch Umgründung steuerlich rückwirkend zum 30. 9. 2009 hätte errichtet werden können, wäre ihr zu diesem Stichtag Vermögen zurechenbar. Mangels am Zusammenschlussstichtag existierender Mitunternehmerschaft auf Ebene der KG scheitere auch deren Erweiterung auf den besagten Stichtag. Demgegenüber führt die Bf aus, den GmbHs, an denen sie sich beteiligt habe, sei das Vermögen (der jeweilige Betrieb) am Zusammenschlussstichtag zweifelsfrei zuzurechnen gewesen. Die Einschränkung der Übertragbarkeit beziehe sich auf begünstigtes Vermögen, also den Fall, dass man sich an einer Mitunternehmerschaft beteilige: Bezo-
2)Vgl UmgrStR 2002, Rz791, 1339a.
3)Verweis auf Hübner-Schwarzinger/Six in Kofler, UmgrStG11 (2022) §23 Rz53 mit Verweis auf den Grundsatz der Stabilität der Vermögenszurechnung; UmgrStR 2002 Rz1344; Hofer/Kapferer in Bertl et al, Steuerlehre: Handbuch III3, 248f; Hirschler/Sulz/Knesl in Wiesner/Hirschler/Mayr, Handbuch der Umgründungen17, §23 Rz22; Walter, Umgründungssteuerrecht13 (2021) Rz600; UFS27. 1. 2012, RV/3543-W/08; 7. 2. 2012, RV/2580-W/08.
4) Hügel in Hügel/Mühlener/Hirschler (Hrsg), Umgründungssteuergesetz (1999) §39 Rz46.
5) Hirschler/Sulz/Knesl in Wiesner/Hirschler/Mayr, Handbuch der Umgründungen17, §24 Rz36.
gen auf diese Mitunternehmerschaft dürfe sich das Vermögen und die Gesellschafterstruktur im Rückwirkungszeitraum nicht geändert haben.6) Die Gründung im Rückwirkungszeitraum sei jedenfalls unschädlich.7) Bargeld müsse am Zusammenschlussstichtag noch nicht dem leistenden Treugeber zurechenbar sein.8) Nicht begünstigtes Vermögen müsse nur im Rückwirkungszeitraum tatsächlich übertragen werden.9) Darüber hinaus wäre unzweifelhaft eine Beteiligung jedes einzelnen Treugebers als stiller Gesellschafter an den Zielgesellschaften unter Anwendung des Art IV UmgrStG rückwirkend möglich gewesen; daran könne sich durch die Zwischenschaltung der KG nichts ändern.
Die belangte Behörde verkenne den Sachverhalt, denn in der „ersten Umgründung“ sei lediglich von den GmbHs begünstigtes Vermögen in die stillen Gesellschaften übertragen worden. Die Übertragende in den ersten Zusammenschlüssen sei eindeutig nicht die KG gewesen, deren Vermögen somit auf dieser Ebene nicht zu prüfen gewesen sei. Die „ersten Umgründungen“ bzw die davon betroffenen Jahre betreffend, gebe es rechtskräftige Feststellungsbescheide gemäß §188 BAO, an die im gegenständlichen abgeleiteten Verfahren Bindungswirkung bestehe.
2.Die Entscheidung des BFG
2.1.Beweiswürdigung des BFG
Der Sachverhalt ergibt sich aus den Gesellschaftsverträgen der atypisch stillen Gesellschaften und der Bf sowie aus den Treuhandverträgen zwischen den Treugeber-Kommanditisten und der Treuhänderin, weiters aus den vorgelegten bzw in FinanzOnline eingesehenen Bescheiden. Dass es sich um Risikokapital handelt, also in Gesellschaften mit hohem außersteuerlichem Risiko investiert wird, ergibt sich aus dem Geschäftszweck der Geschäftsherren der stillen Gesellschaften, deren Schwerpunkt in der Forschung, Entwicklung, Wachstums- und Hochtechnologie liegt.
Dass die „zweite Umgründung“ sich auf den Beitritt der Treugeber zur bestehenden KG bezieht, ergibt sich aus den vorgelegten Verträgen:
• Der Zeichnungsschein bezieht sich auf den Kapitalmarktprospekt und macht Gesellschaftsvertrag und Treuhandvertrag zur Vertragsgrundlage.
• Laut Kapitalmarktprospekt erfolgt der Beitritt der Treugeber im Wege des Zusammenschlusses.
• Gemäß §4 Z4 des Gesellschaftsvertrages soll der Beitritt der Treugeber im Wege des Zusammenschlusses erfolgen, und die Treuhänderin wird ermächtigt, in Abhängigkeit der zu schließenden atypisch stillen Beteiligungen den Zusammenschlussstichtag für alle Treugeber festzusetzen.
• Sämtliche Umgründungspläne führen an, da ss die Treuhänderin Einlagen für Treugeber tätigt.
• Der Meldung an das Finanzamt ist die Liste der Treugeber beigeschlossen.
Dass in den Umgründungsplänen iZm der zweiten Umgründung die Rede ist vom Zusammenschluss der *TH-Kdt* GmbH zur *Bf1*, kann vor dem Hintergrund der erwähnten Urkunden nur so verstanden werden, dass im zweiten Zusammenschluss die Treugeber beitreten. Die Treuhänderin selbst ist schon Gründungsgesellschafterin, ihr Zusammenschluss zur Bf wäre daher gar nicht möglich. Da auch die Erweiterung einer bestehenden Personengesellschaft den Zusammenschluss zu einer neuen Mitunter-
6)UmgrStR 2002, Rz1344; Kofler, UmgrStG11, §23 Rz56 unter Hinweis auf Hofer/Kapferer in HBStL III3, 254f.
7) Kofler, UmgrStG11, §23 Rz56.
8)UmgrStR 2002, Rz1344; Kofler, UmgrStG11, §23 Rz53.
9)UmgrStR 2002, Rz1373.
nehmerschaft bedeutet (siehe dazu unten), ist die Bezeichnung als Zusammenschluss der Treuhänderin zutreffend, denn sie verkörpert im Rahmen der zweiten Umgründung die Anteile der von ihr vertretenen Treugeber.
Da die Treuhänderin selbst nicht mehr beitreten kann, ergibt sich somit klar, dass der sie betreffende zweite Zusammenschluss die Treugeber bezeichnet. Sie werden im Umgründungsplan erwähnt, und die Liste der Treugeber wird mit den Umgründungsplänen dem Finanzamt gegenüber offengelegt. Dass die in früheren Treuhandverträgen enthaltene allgemeine Ermächtigung der Treugeberin, Umgründungsschritte vorzunehmen, im gegenständlichen Treuhandvertrag fehlt, ist angesichts der eindeutigen konkreten Bestimmungen in den übrigen Urkunden für die Umgründungen im Zuge der Gesellschafterbeitritte nicht relevant.
Nach diesen Ausführungen ist auch klar, dass diesem zweiten Umgründungsschritt die Zusammenschlussbilanz der „*Bf1* & atypisch Stille“ mit Werten von Null zuzurechnen ist und das Vermögen der übertragenden Gesellschaft abbildet.
2.2.Rechtliche Beurteilung des BFG
Materielle Voraussetzungen für einen Zusammenschluss nach Art IV UmgrStG sind gemäß §23 Abs1 UmgrStG, dass
• begünstigtes Vermögen (Betrieb, Teilbetr ieb, Mitunternehmeranteil, vgl §23 Abs2 UmgrStG)
• ausschließlich gegen Gewährung von Gesellschaftsanteilen
• tatsächlich übertragen wird
• aufgrund eines schriftlichen Zusammenschlussvertrages.
Dieser Zusammenschlussvertrag hat mindestens zu enthalten:10)
• die Parteien des Vertrages,
• die übernehmende Personengesellschaft,
• die Beschreibung des zu übertragenden Vermögens,
• den Zusammenschlussstichtag,
• die Methodik des Zusammenschlusses,
• die Vorsorgemethode gegen Verschiebungen stiller Reserven,
• die Form der Gegenleistung.
Nicht erforderlich ist die ausdrückliche Bezeichnung als Zusammenschlussvertrag. Es muss aber klar erkennbar sein, dass es sich um einen gesellschaftlichen Vorgang handelt; insbesondere müssen Beteiligungsverhältnisse, zu übertragendes Vermögen und Gegenleistung beschrieben sein.11)
Hinsichtlich des begünstigten Vermögens reicht es aus, wenn eine der am Zusammenschluss beteiligten Personen begünstigtes Vermögen (§23 Abs2 UmgrStG) überträgt.12) Dies ist aus der allgemein gehaltenen Formulierung, dass Vermögen iSd §23 Abs2 UmgrStG übertragen werden muss, auch klar ersichtlich. Nicht jede am Zusammenschluss beteiligte Person muss begünstigtes Vermögen übertragen.
Der Gesetzeswortlaut fordert die tatsächliche Übertragung des begünstigten Vermögens. Sowohl die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (266 BlgNR XVIII. GP) als auch die Verwaltungspraxis13) gehen von einem weiten Anwendungsbereich des
10)Vgl Hübner-Schwarzinger/Six in Kofler, UmgrStG12, §23 Rz48.
11)UmgrStR 2002, Rz1302.
12)HM, vgl zB Hübner-Schwarzinger/Six in Kofler, UmgrStG12, §23 Rz24 mit Hinweis auf den Willen des Gesetzgebers, 266 BlgNR XVIII. GP.
13)Vgl UmgrStR 2002, Rz1298.
Art IV UmgrStG aus. So soll nicht nur der Zusammenschluss mehrerer Personen zu einer Personengesellschaft, von denen zumindes t eine begünstigtes Vermögen überträgt, oder der Beitritt einer betrieblich tätigen Person zu einer Personengesellschaft erfasst sein, sondern auch die Erweiterung einer betrieblich tätigen Personengesellschaft um Personen, die selbst kein begünstigtes Vermögen übertragen, sondern nur eine Bar- oder Sacheinlage leisten.14)
Diese Sichtweise erscheint richtig, denn §23 Abs3 UmgrStG definiert Personengesellschaften als Gesellschaften, bei denen die Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) anzusehen sind, womit der Begriff der Personengesellschaft mit dem der Mitunternehmerschaft gleichgesetzt wird (266 BlgNR XVIII. GP, 32). Auch wenn auf die Personengesellschaft beim bloßen Beitritt eines Gesellschafters gegen Bareinlage zivilrechtlich das in der aufnehmenden Personengesellschaft vorhandene begünstigte Vermögen nicht übertragen wird, so verändert sich steuerrechtlich doch die Mitunternehmerschaft, und die bestehende überträgt begünstigtes Vermögen auf die erweiterte Mitunternehmerschaft. Dies ist der entscheidende Aspekt, denn das Erfordernis der tatsächlichen Übertragung ist nicht zivil- sondern ertragsteuerlich zu würdigen.15)
Gemäß §24 Abs1 Z1 UmgrStG sind hinsichtlich des Zusammenschlussstichtages, der Behandlung des Übertragenden und der zum Zwecke der Darstellung des Vermögens erstellten Zusammenschlussbilanz die §§13 bis 15 UmgrStG anzuwenden.
Nach §13 Abs1 UmgrStG kann die Umgründung auf einen Stichtag vor Unterzeichnung des Umgründungsvertrages rückbezogen werden, die Meldung der Umgründung muss jedoch innerhalb von neun Monaten nach dem Stichtag erfolgen. Inhalt der Meldung (§13 Abs1 dritter Satz UmgrStG) ist mindestens, dass die wesentlichen Daten des Einbringungsvorganges (Einbringender, übernehmende Körperschaft, Einbringungsvermögen und Stichtag) enthalten sind.16) Eine fehlerhafte Einbringungsbilanz führt nicht zum Versagen der Umgründung, vielmehr ist eine Bilanzberichtigung durchzuführen.17)
§24 Abs1 UmgrStG gilt für den „Übertragenden“, womit nur jener Zusammenschlusspartner gemeint ist, der Vermögen iSd §23 Abs2 UmgrStG überträgt.18) Für die anderen Zusammenschlusspartner, die kein begünstigtes Vermögen übertragen, kommt es zu einer separaten Würdigung.19)
§13 Abs2 UmgrStG sieht vor, dass Einbringungsstichtag nur ein Tag sein kann, zu dem das einzubringende Vermögen dem Einbringenden zuzurechnen war. Im Falle der Einbringung durch eine Mitunternehmerschaft gelten für die Frage der Zurechnung auch die Mitunternehmer als Einbringende.
Auf das begünstigte Vermögen bezogen bedeutet das einerseits, dass es sowohl bei Abschluss des Zusammenschlussvertrages als auch am Zusammenschlussstichtag dem Übertragenden zurechenbar sein muss, wobei eine übertragende Mitunternehmerschaft in diesem Zeitraum unverändert bestehen muss. Daraus ergibt sich andererseits, dass
14)Kritisch dazu Hübner-Schwarzinger/Six in Kofler, UmgrStG12, §23 Rz25.
15) Hirschler/Sulz/Knesl in Wiesner/Hirschler/Mayr, Handbuch der Umgründungen17, §23 UmgrStG Rz23; Walter, Umgründungssteuerrecht11, 578; Wundsam/Zöchling/Huber/Kuhn, UmgrStG5, §23 Rz19.
16) Furherr in Kofler, UmgrStG12, §13 Rz33; Hügel in Hügel/Mühlehner/Hirschler, UmgrStG §13 Rz49; Rabel/Eichinger in Wiesner/Hirschler/Mayr, Handbuch der Umgründungen16, §13 Rz25; Huber in Wundsam/Zöchling/Huber/Kuhn, UmgrStG5 §13 Rz16; Rabel, ÖStZ2008, 116 (117); Sulz/Oberkleiner in FS Tanzer, 209 (216f); aA Mayr/Petrag/Titz, RdW 2014, 103 (107) und dem folgend UmgrStR 2002 Rz785, wonach der Umgründungsvertrag, der Jahres- oder Zwischenabschluss und die steuerliche Einbringungsbilanz erforderlich wären.
17)VwGH 29. 1. 2015, 2011/15/0169.
18)Vgl Hirschler/Sulz/Knesl in Wiesner/Hirschler/Mayr, Handbuch der Umgründungen17, §24 Rz3; HübnerSchwarzinger/Six in Kofler, UmgrStG12, §24 Rz4.
19) Hübner-Schwarzinger/Six in Kofler, UmgrStG12, §24 Rz4.
eine Veränderung der Gesellschafterstruktur im Rückwirkungszeitraum – zB durch Gesellschafterwechsel20) – für das Wirksamwerden eines Zusammenschlusses nach Art IV UmgrStG grundsätzlich schädlich ist.
Neben der gesetzlichen Ausnahme des §13 Abs2 letzter Satz UmgrStG besteht noch eine systematische Ausnahme, die dem UmgrStG wesensimmanent ist. Fehlt zum Zusammenschlussstichtag die zivilrechtliche Vermögenszurechnung, kann die tatsächliche Zurechnung steuerlich dennoch vorliegen, wenn sie Folge der Rückwirkungsfiktion aus einer anderen Umgründung ist.21) So kann etwa in eine zivilrechtlich zum Einbringungsstichtag noch nicht existente GmbH Vermögen eingebracht werden, weil §14 Abs2 UmgrStG nicht auf die Existenz der aufnehmenden Gesellschaft abstellt (arg „als ob“, vgl VwGH 18. 10. 2012, 2012/15/0114).
Überschießend erschiene es angesichts des Gesetzeswortlautes, der sich nur auf den begünstigtes Vermögen Übertragenden bezieht, die Zurechnungsvoraussetzungen auch bei jenen Zusammenschlusspartnern vorauszusetzen, die nicht begünstigtes Vermögen übertragen.22) Allerdings schränkt die Verwaltungspraxis diesen Standpunkt ohnedies insoweit ein, als Bargeld von diesem Zurechnungserfordernis auszunehmen sei.23) Jedenfalls erforderlich ist jedoch, dass auch das nicht begünstigte Vermögen tatsächlich innerhalb der Neunmonatsfrist übertragen wird.24) Dieses Erfordernis ergibt sich schon aus dem Wesen des Zusammenschlusses, insoweit wird der Verwaltungsmeinung gefolgt.
So wie bei der Vermögenszurechnung ist auch auf die Mitunternehmerschaft bezogen die Rückwirkung durch Umgründungsvorgänge bedeutsam. Tritt ein Gesellschafter im Rückwirkungszeitraum der Mitunternehmerschaft bei, ist dies angesichts des §13 Abs2 UmgrStG der Anwendbarkeit des Art IV UmgrStG abträglich. Allerdings besteht die Möglichkeit, diesen Beitritt selbst als Zusammenschluss zu werten und auf denselben Umgründungsstichtag rückzubeziehen. Voraussetzung dafür ist aber die Erstellung eines Umgründungsplanes nach §39 UmgrStG.25) Damit gilt der Beitritt als auf den Zusammenschlussstichtag rückbezogen, eine Änderung der Mitunternehmerschaft zwischen Zusammenschlussstichtag und Vertragsabschluss tritt steuerlich nicht ein.
Unter einem Umgründungsplan versteht man die Abbildung mehrerer Umgründungsschritte, die dasselbe Vermögen zu einem einheitlichen Stichtag betreffen. Der Umgründungsplan ist von allen an der Umgründung Beteiligten sp ätestens am Tag der Beschlussfassung über die erste Umgründung festzulegen, und in allen Umgründungsverträgen muss auf diesen Plan Bezug genommen werden (§39 UmgrStG).
Zur Darstellung des Vermögens in den einzelnen Umgründungsbilanzen der auf denselben Stichtag bezogenen Umgründungen ist zu beachten, dass in einer Bilanz nur das Niederschlag finden kann, was am Bilanzstichtag im (wirtschaftlichen) Eigentum des Bilanzerstellers steht. Daher kann Vermögen, das aufgrund der anderen Umgründungen zum selben Stichtag rückwirkend erworben wird, in der jeweils eigenen Umgründungsbilanz nicht ausgewiesen werden.26)
Zum Vorgehen bei einem Mehrfachzusammenschluss führen die UmgrStR 2002 Rz1499 wörtlich aus: „Beteiligen sich mehrere Personen als atypische stille Gesellschafter an einem Unternehmen im Sinne des UGB, wird zur Vermeidung mehrfacher Zusammen-
20)UmgrStR 2002, Rz1344f.
21)Vgl Wundsam/Zöchling/Huber/Kuhn, UmgrStG5, §24 Rz39.
22)So grundsätzlich aber UmgrStR 2002 Rz1344.
23)UmgrStR 2002 aaO.
24)UmgrStR 2002, Rz1373.
25) Hirschler/Sulz/Knesl in Wiesner/Hirschler/Mayr, Handbuch der Umgründungen17, §24 Rz42.
26) Hübner-Schwarzinger/Kofler in Kofler, UmgrStG12, §39 Tz10.
schlüsse ein und derselbe Stichtag vereinbart und eine gemeinsame Meldung vorgesehen werden müssen. Es ist zulässig, für künftige Mitunternehmer einen Treuhänder auftreten zu lassen, selbst wenn die Treugeber im Zeitpunkt der Fassung des Umgründungsplanes noch nicht namentlich bekannt sind. Innerhalb der neunmonatigen Rückwirkungsfrist müssen die künftigen Mitunternehmer ihre Beitrittserklärungen abgeben und muss die entsprechende Meldung beim zuständigen FA erfolgt sein (siehe Rz1879ff).
Beispiel:
Rückwirkend auf den 31.12.01 soll unter Anwendung der neunmonatigen Rückwirkungsfrist im Sinne des Art. IV UmgrStG zuerst eine KG gegründet werden, der in einem zweiten Schritt zum selben Stichtag atypisch stille Gesellschafter beitreten. Umgründungssteuerrechtlich wird mit diesem Beitritt zur KG eine Mitunternehmerschaft gegründet.
Für die allenfalls noch nicht namentlich bekannten atypisch stillen Gesellschafter kann ein Treuhänder die an den Umgründungen beteiligten atypisch stillen Gesellschafter bei der Fassung des Umgründungsplanes vertreten. Bis zum 30.09.02 haben die atypisch Stillen ihre Beitrittserklärung abgegeben und die Einlage zu leisten und muss die Meldung beim zuständigen FA erfolgt sein."
Dieser Ansicht schließt sich das BFG an.
2.3.Rechtsfolgen für
den Sachverhalt
Die beiden Zusammenschlüsse, nämlich die „erste Umgründung“, also jeweils der Zusammenschluss der operativ tätigen Körperschaften mit der Bf zu atypisch stillen Gesellschaften, und die „zweite Umgründung“, also der Beitritt der Treugeberkommanditisten zur bestehenden KG, sind nach Ansicht des BFG sachlich miteinander verwoben, weshalb Umgründungspläne erstellt wurden . Diese Umgründungspläne erfüllen die gesetzlichen Voraussetzungen, denn sie beschreiben das Vermögen und die Umgründungsschritte, es wird in den Verträgen (Gesellschaftsvertrag der Bf und jeweiliger Zusammenschlussvertrag der atypisch Stillen) darauf Bezug genommen, und sie sind von allen Beteiligten (von den Treugebern durch die dazu ermächtigte Treuhänderin) unterschrieben.
Nach der Verwaltungspraxis27) ist weder das Bestehen einer Treuhandschaft noch das vorläufige Fehlen der Namen der beteiligten Gesellschafter schädlich. Tatsächlich liegen mit der fristgerechten Meldung der Zusamme nschlüsse sämtliche Unterlagen der Behörde vor, um die Zusammenschlüsse prüfen zu können. Auch die Zusammenschlussbilanz der Bf ist richtig, denn Vermögen, das erst im Rahmen der Umgründung von der Bf erworben wird, kann in ihrer Stichtagsbilanz noch nicht erfasst sein. Da sowohl die Übertragung der Betriebe im Rahmen der stillen Gesellschaften als auch der Beitritt der Treugeberkommanditisten zur KG zum Stichtag durch Zusammenschluss erfolgte, war das von der KG darzustellende Vermögen null.
Betrachtet man die vier als „erste Umgründungen“ erfolgten Zusammenschlüsse, so ist zunächst das Erfordernis der Übertragung begünstigten Vermögens gegeben. Dieses ist den Übertragenden auch zurechenbar, denn wie die Bf zutreffend ausführt, ist die Zurechnung des begünstigten Vermögens zur jeweiligen Geschäftsherrin unstrittig. Jede der vier Gesellschaften war sowohl am Zusammenschlussstichtag als auch am Tag der Vertragsunterzeichnung Eigentümerin des Betriebes, der im Rahmen des Zusammenschlusses zur atypisch stillen Gesellschaft übertragen wurde. Auch die weiteren Anwendungs- und Formalvoraussetzungen liegen zweifelsfrei vor.
Betrachtet man auf die ersten Umgründungen bezogen das Vermögen der Bf, so ist zunächst festzustellen, dass ihre Gründung nach dem Zusammenschlussstichtag
27)Vgl UmgrStR 2002, Rz1499.
unschädlich ist, denn der Umgründungsstichtag kann auf einen früheren Zeitpunkt gelegt werden und bewirkt ab diesem Tag die steuerliche Zurechnung. Weiters geht von der Bf nur eine Geldleistung aus; Bargeld ist vom Zurechnungserfordernis am Zusammenschlussstichtag ausgeschlossen. Was die erforderliche Gesellschafteridentität betrifft, so ist der Beitritt der Treugeberkommanditisten im Rückwirkungszeitraum dann unschädlich, wenn sie selbst im Rahmen einer Umgründung steuerlich bereits am Zusammenschlussstichtag als beigetreten gelten. Damit hängt die Wirksamkeit der ersten Umgründung auch davon ab, dass hinsichtlich der zweiten Umgründung alle Voraussetzungen erfüllt sind.
Wie bereits beweiswürdigend festgestellt wurde, kann mit der „zweiten Umgründung“ laut Umgründungsplänen nur der Beitritt der Treugeber zur bestehenden KG gemeint sein. Angesichts der eindeutigen Formulierungen in den vorgelegten Dokumenten, insbesondere §4 Z4 des Gesellschaftsvertrages der Bf, ist auch auf Ebene dieser zweiten Umgründung schriftlich und klar erkennbar festgehalten, dass es sich um einen gesellschaftlichen Vorgang handelt.28) Die am Zusammenschluss Beteiligten ergeben sich eindeutig aus den mit der Meldung vorgelegten Listen.
Damit sind die Formalvoraussetzungen im Rahmen der zweiten Umgründung gegeben. Auch die materiellen Voraussetzungen sind erfüllt, denn der Beitritt der Treugeber erfolgt zu einer KG mit vier Betrieben (die atypisch stillen Beteiligun gen) aufgrund eines schriftlichen Gesellschaftsvertrages (bestehend aus dem Zeichnungsschein, dem Treuhandvertrag und dem Gesellschaftsvertrag, die sowohl den Zusammenschluss beinhalten als auch auf die Umgründungspläne Bezug nehmen, zu deren Abschluss die Treuhänderin namens der Treugeber ermächtigt war). Auch eine Zusammenschlussbilanz liegt vor. Somit ist auf die beitretenden Treugeber die Rückwirkungsfiktion anwendbar, und sie gelten steuerlich bereits am 30. 9. 2009 als der KG beigetreten. Auf Ebene beider Umgründungen sind sämt liche Voraussetzungen erfüllt, ein Umgründungsplan ist vorhanden. Somit unterliegen alle von der Bf dem Finanzamt gemeldeten Umgründungen – jene der KG zu stillen Gesellschaften und jene der Treugeber zur KG – dem Art IV UmgrStG.
Die von der belangten Behörde vertretene Ansicht ist hingegen nicht einmal mit ihrem eigenen Vorgehen in Einklang zu bringen. Zwar befindet die belangte Behörde bereits im angefochtenen Bescheid die zweite Umgründung als misslungen. Dennoch greift sie in den Verfahren der Grundlagenbescheide diesen Mangel nicht auf, obwohl dieser auch auf die ersten Umgründungen ausstrahlen müsste. Nicht einmal im – bis zum 29. 9. 2023 offen gewesenen – Verfahren der *S4* AG & atypisch Stille29) wurde auch nur ansatzweise ein Mangel in der ersten Umgründung releviert.
3.Praxishinweise
Die vorliegende Entscheidung beinhaltet einige für die Umgründungspraxis bedeutsame Klarstellungen und Aussagen. Im Zentrum des Erkenntnisses des BFG steht aus Sicht des UmgrStG das mehrfache Übertragen des (un)mittelbar gleichen Vermögens auf einen rückwirkenden Stichtag, der zeitlich vor der zivilrechtlichen Gründung einer der an der Umgründung beteiligten Gesellschaften liegt. Zerlegt man den durchaus ko mplexen Sachverhalt in seine zentralen Bestandteile, so zeigt sich folgendes Bild:
• Vier – seit Jahren im Technologiebereich tätige – Kapitalgesellschaften suchen frisches Risikokapital. Die Tätigkeit der vier Kapitalgesellschaften ist eindeutig und unstrittig be-
28)UmgrStR 2002, Rz1302. 29)RV/1100432 – RV/1100440/2013.
trieblich, laut Sachverhalt bestehen auch keinerlei Zweifel am Vorliegen eines positiven Verkehrswertes dieser Betriebe.
• Im November 2009 wird eine vermögensverwaltende KG mittels Bareinlage durch zwei andere GmbHs gegründet.
• Diese vermögensverwaltende KG beteiligt sich an jeder der vier Kapitalgesellschaften jeweils als atypisch stille Gesellschafterin rückwirkend gemäß Art IV UmgrStG durch Leistung jeweils einer Bareinlage und wird damit steuerrechtlich selbst zu einer gewerblichen Mitunternehmerschaft, hält sie doch als atypisch stille Gesellschafterin insgesamt vier Mitunternehmeranteile an vier unstrittig gewerblich tätigen Mitunternehmerschaften, sodass sie selbst infolge der sog Abfärbetheorie als Mitunternehmerschaft anzusehen ist.30)
3.1.Hinzutritt einer noch nicht existierenden Personengesellschaft
Der Hinzutritt der vermögensverwaltenden KG zu den vier Kapitalgesellschaften erfolgt als Zusammenschluss nach Art IV UmgrStG auf den 30 9. 2009, und somit zu einem Stichtag vor (!) Gründung der vermögensverwaltenden KG.
• Voraussetzung für das Vorliegen eines Zusammenschlusses nach Art IV UmgrStG ist insbesondere, dass zumindest ein Vertragspartner begünstigtes Vermögen iSd §23 Abs2 UmgrStG auf die Personengesellschaft überträgt, andernfalls keine Mitunternehmerschaft entstehen könnte. Gleiches gilt auch für jede Erweiterung einer bestehenden Mitunternehmerschaft, wird doch hierbei fingiert, dass das Vermögen der bestehenden Mitunternehmerschaft bzw die an dieser bestehenden Mitunternehmeranteile ertragsteuerlich auf eine dadurch fiktiv neu entstehende Mitunternehmerschaft übertragen werden.
• Wie bereits oben festgehalten, sind die vier Kapitalgesellschaften jeweils betrieblich tätig, sodass für jede atypisch stille Gesellschaft letztlich das erforderliche begünstigte Vermögen iSd §23 Abs2 UmgrStG (hier konkret ein Betrieb) vorliegt. Am Vorliegen der erforderlichen steuerlichen Schlussbilanz und Zusammenschlussbilanz der jeweiligen Kapitalgesellschaft hat es ebenso wenig Zweifel gegeben wie an der Erfüllung der Vorsorge nach §24 Abs2 UmgrStG gegen die endgültige Verschiebung von Steuerlasten. Auch dass diese vier Betriebe jeweils am Zusammenschlussstichtag und am Tag des Abschlusses des Zusammenschlussvertrages im wirtschaftlichen Eigentum der vier Kapitalges ellschaften gestanden sind und von diesen auf die jeweilige atypisch stille Mitunternehmerschaft tatsächlich (iSd §24 BAO) übertragen wurden, war offensichtlich unstrittig, sodass die Betriebe seitens des jeweiligen Geschäftsherrn jedenfalls gemäß §24 Abs1 iVm §13 Abs2 UmgrStG rückwirkend auf den Zusammenschlussstichtag 30. 9. 2009, Tagesablauf, wirtschaftlich iSd §24 BAO übertragen werden konnten.
• Kritisch wurde von der Finanzverwaltung allerdings die Tatsache beurteilt, dass die vermögensverwaltende KG auf einen Stichtag VOR ihrer zivilrechtlichen Gründung jeweils die atypisch stille Gesellschaft/Mitunternehmerschaft durch Leistung einer Bareinlage mitgegründet hat. Vom BFG wurde diese kritische Beurteilung bzw die sich daraus ergebende Nichtanerkennung des rückwirkenden Zusammenschlusses nicht geteilt, sondern hinsichtlich des nicht begünstigten Vermögens „Bargeld“ als „überschießend“ bezeichnet. Die juristische Existenz eines Vertragspartners am Umgründungsstichtag ist keine conditio sine qua non für die Zulässigkeit der Umgründung auf diesen rückwirkenden Stichtag, wie zB das VwGH-Erkenntnis vom 18. 10. 2012, 2012/15/0114 zur rückwirkenden Einbringung in eine erst nach dem Einbringungs-
30)Vgl zur sog Abfärbetheorie zB EStR 2000, Rz5831a.
stichtag bar gegründeten aufnehmenden Gesellschaft zeigt. Dementsprechend ist auch die Folgeumgründung dieses eingebrachten Vermögens DURCH diesen zivilrechtlich noch gar nicht exis tenten Rechtsträger auf einen Tag vor seiner Gründung möglich.31)
• Wenn daher AUF eine am Umgründungsstichtag noch nicht existente Gesellschaft Vermögen durch Umgründung übertragen werden kann, muss daher konsequenterweise auch die Übertragung von Vermögen DURCH eine Gesellschaft, die am Umgründungsstichtag noch nicht bestanden hat, durch Umgründung zulässig sein, soweit dem nicht durch die Regelungen des UmgrStG selbst Grenzen gesetzt sind.
3.2.Wirtschaftliches Eigentum am Umgründungsstichtag
Eine derartige Grenze wäre insbesondere das Vorliegen wirtschaftlichen Eigentums am Zusammenschlussstichtag, wie dies für das begünstigte Vermögen iSd §23 Abs2 UmgrStG durch die Verweiskette des §24 Abs1 Z1 iVm §13 Abs2 UmgrStG unstrittig gefordert wird.32) Hinsichtlich des nicht begünstigten Vermögens ist dies gesetzlich keinesfalls so klar geregelt; insbesondere auch die UmgrStR 2002 in Rz1344 fordern für die Geldeinlage – im Gegensatz zu anderen nicht begünstigten Wirtschaftsgütern –NICHT, dass dieses Geld beim betreffenden Zusammenschlusspartner am Zusammenschlussstichtag bereits vorhanden gewesen sein muss.
Geld kann daher jedenfalls auch auf einen vor dessen Erwerb liegenden Zusammenschluss-Stichtag als Vertragsbestandteil des zu übertragenden Vermögens zugrunde gelegt werden; die sich aus der rückwirkenden Vereinbarung ergebende Forderung der übernehmenden Personengesellschaft ist aber jedenfalls durch eine tatsächliche bare Einlageleistung innerhalb von neun Monaten nach dem Zusammenschlussstichtag effektiv zu leisten.33) Im Übrigen stellt sich gerade im konkreten Fall bei einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft im Lichte des §32 Abs2 EStG ergänzend die Frage, ob nicht anstelle der Personengesellschaft eigentlich deren Gesellschafter die Adressaten der Beurteilung der Existenz am Zusammenschlussstichtag sind, werden doch diesen die Wirtschaftsgüter der Personengesellschaft ertragsteuerlich anteilig zugerechnet, sodass steuerlich diese die Träger der Einlageleistung sind; soweit ersichtlich waren die Gesellschafter der vermögensverwaltenden Personengesellschaft juristisch jedenfalls am Zusammenschlussstichtag 30. 9. 2009 existent.34)
3.4.Umgründungsplan und schädliche Gesellschafterstrukturänderungen
Der durch den zuvor beschriebenen Zusammenschluss nach Art IV UmgrStG entstandenen Mitunternehmerschaft sollen weitere Investoren – als Kommanditisten – hinzutreten. Dieser Hinzutritt soll ebenfalls auf den 30. 9. 2009 als Zusammenschlussstichtag erfolgen, was letztlich nur unter Anwendung des §39 UmgrStG möglich ist. Ohne den Umgründungsplan nach §39 UmgrStG wäre die Folgeumgründung wohl erst auf den 1. 10. 2009 möglich gewesen.
Infolge der beabsichtigten Erweiterung der bestehenden Mitunternehmerschaft (KG) durch diese neuen Investoren wird das gleiche Vermögen (nämlich die atypisch stillen Mitunternehmeranteile) – mittelbar anteilig der Betrieb der Geschäftsherrin (der jeweiligen
31)Vgl Hübner-Schwarzinger/Six in Kofler, UmgrStG12, §23 Rz56.
32)Vgl Hirschler/Sulz/Knesl in Wiesner/Hirschler/Mayr, Handbuch der Umgründungen Bd 2, §23 Rz22; Hübner-Schwarzinger/Six in Kofler, UmgrStG12, §23 Rz53 mwN.
33)Vgl UmgrStR 2002, Rz1373.
34)Zur ertragsteuerlichen Inexistenz der vermögensverwaltenden Personengesellschaft iZm Umgründungen vgl insbesondere die Aussagen der UmgrStR 2002 Rz726 iZm der Einbringung von Kapitalanteilen nach Art III UmgrStG.
betrieblich tätigen Kapitalgesellschaft) – ein weiteres Mal bewegt, nämlich von der durch den Erstzusammenschluss infolge Abfärbetheorie entstandenen Mitunternehmerschaft (der Mutter-KG) auf die jeweilige „Nachfolgemitunternehmerschaft“ (erweiterte MutterKG), sodass ein Hinzutritt auf den durch den Erstzusammenschluss bereits „besetzten“ Zusammenschlussstichtag 30. 9. 2009 nur da nn möglich ist, wenn die Kriterien des §39 UmgrStG erfüllt sind, dh ein Umgründungsplan VOR Abschluss des Erstzusammenschlussvertrages abgeschlossen wird, der sämtliche geplanten Umgründungen auf den 30. 9. 2009 enthält und von sämtlichen an den nachfolgenden Umgründungen beteiligten Vertragsparteien unterfertigt wird. Strukturell erfolgte im vorliegenden Fall der Abschluss von letztlich vier Umgründungspläne n durch die vier Geschäftsherren (je Geschäftsherr für dessen konkreten Betrieb ein Umgründungsplan), die KomplementärGmbH, sowie die Kommanditisten-GmbH im eigenen Namen hinsichtlich des ersten Zusammenschlusses zu jeweils einer atypisch stillen Gesellschaft (somit letztlich vier voneinander unabhängige atypisch stille Gesellschaften) und im fremden Namen als VollTreuhänderin all jener Personen, die mit dem zweiten Zusammenschluss der zuvor infolge Abfärbetheorie entstandenen mitunternehmerischen KG jeweils als weitere Treugeber-Kommanditisten und Mitunternehmer hinzutreten. Da diese Umgründungspläne laut Sachverhalt jeweils vor dem jeweils ersten Zusammenschluss abgeschlossen wurden, auf diese stets in den einzelnen Zusammenschlussverträgen Bezug genommen wurde und die jeweils zweiten Zusammenschlussverträge erst durch gemeinschaftliche Wirkung für alle – bis zum Ende der Neunmonatsfrist die jeweilige Einlage tatsächlich leistenden – Gesellschafter abgeschlossen sowie fristgerecht und vollständig gemeldet wurden,35) waren letztlich die Voraussetzungen für das Vorliegen einer gemäß §39 UmgrStG durch Mehrfachzug begründeten doppelstöckigen Mitunternehmerschaft gegeben.
Auf den Punkt gebracht
• Das vom UmgrStG begünstigte Vermögen iSd §23 Abs2 UmgrStG muss bereits am Zusammenschlussstichtag dem Übertr agenden als wirtschaftliches Eigentum zuzurechnen sein und mittels der Umgründung tatsächlich wirtschaftlich übertragen werden.
• Hinsichtlich des nicht von §23 Abs2 UmgrStG begünstigten Vermögens sieht das BFG generell kein Erfordernis für dessen wirtschaftliche Eigentumszurechnung zum Übertragenden am Zusammenschlussstichtag, zumal auch die UmgrStR 2002 Rz1344 zumindest für Geld eine derartige Zurech nung nicht fordern, wenn die tatsächliche Überweisung innerhalb von neun Monaten nach dem Zusammenschlussstichtag erfolgt.
• Mittels Umgründungsplans gemäß §39 UmgrStG kann vom UmgrStG begünstigtes Vermögen auch ohne („echtes“) Vorliegen wirtschaftlichen Eigentums am Umgründungsstichtag mit ertragsteuerlicher Buchwertfortführung (weiter) übertragen werden, wenn der rückwirkende Erwerb des wirtsc haftlichen Eigentums auf diesen Stichtag durch das UmgrStG systemimmanent infolge rückwirkender Vorumgründung fingiert wird. Denn neben der gesetzlichen Ausnahme des §13 Abs2 letzter Satz UmgrStG besteht noch eine systematische Ausnahme, die dem UmgrStG wesensimmanent ist: Fehlt zum Zusammenschlussstichtag zwar die zivilrechtliche Vermögenszurechnung, kann die tatsächliche Zurechnung steuerlich dennoch vorliegen, wenn sie Folge der Rückwirkungsfiktion aus einer anderen Umgründung ist.
35)Vgl dazu UmgrStR 2002, Rz1884.
Kalenderjahr als Berichtigungszeitraum gemäß §12 Abs10 UStG 1994
Kalenderjahr als Berichtigungszeitraum gemäß §12 Abs10 UStG 1994 auch bei abweichendem Wirtschaftsjahr
Barbara Wisiak*)
Kalenderjahr als Berichtigungszeitraum gemäß §12 Abs10 UStG 1994
1.Der Fall
Ist das vom Kalenderjahr abweichende Wirtschaftsjahr Veranlagungszeitraum, so tritt gem §20 Abs3 letzter Satz UStG 1994 in den einzelnen Bestimmungen dieses Bundesgesetzes an die Stelle des Kalenderjahres sinngemäß das vom Kalenderjahr abweichende Wirtschaftsjahr. Fraglich war, ob dies auch für Vorsteuerberichtigungen gem §12 Abs10 UStG 1994 gilt.
BFG 12. 12. 2023, RV/7104189/2019; Revision zugelassen.
§12 Abs10 UStG 1994
Die Beschwerdeführerin (Bf) hat in den Jahren 2004, 2005 und 2007 in einem umsatzsteuerpflichtig vermieteten Gebäud e Großreparaturen durchgeführt.
Im Jahr 2010 wurde der Bilanzstichtag der Gesellschaft auf den 30. 11. vorverlegt. Mit Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums am 1. 12. 2013 wurde das Gebäude gem §6 Abs1 Z9 UStG 1994 steuerfrei verkauft.
Die Bf vertrat unter Hinweis auf die Literatur1) die Ansicht, dass die Übertragung am 1. 12. 2013 dem Wirtschaftsjahr 2014 (Dezember 2013 bis November 2014) zuzurechnen sei, da auch in §12 Abs10 UStG für den Fall eines abweichenden Wirtschaftsjahres gem §20 Abs3 letzter Satz UStG 1994 statt des Begriffs „Kalenderjahr“ der des „Wirtschaftsjahres“ zu setzen sei. Damit wäre der Vorsteuerabzug des Jahres 2004 gar nicht mehr zu berichtigen, da bereits das abgelaufene Wirtschaftsjahr 2013 das neunte, auf das Jahr der erstmaligen Verwendung folgende Jahr darstellt.
2.Die Entscheidung des BFG
Das BFG legte die Bestimmungen der §§12 Abs10 und 20 Abs3 UStG 1994 nach dem Sinn und Zweck der Bestimmungen aus: Wird für ertragsteuerliche Zwecke ein abweichendes Wirtschaftsjahr gewählt, so wird die gesamte Buchführung auf das abweichende Wirtschaftsjahr abgestellt. Daher ist es zweckmäßig, auch die umsatzsteuerlichen Erklärungspflichten wie zB Melden des Umsatzes und der Vorsteuern usw an die Buchführung anzupassen.
Demgegenüber erfordern Berichtigungen gem §12 Abs10 UStG 1994 immer eine von der laufenden Buchführung unabhängige Berechnung, sodass keine Notwendigkeit besteht, für die Berichtigung dieselben Zeiträume zu wählen wie für das Ertragsteuerrecht.
Diese Ansicht wird auch in der Literatur geteilt.2)
Maßgeblich für die Entscheidung war wohl auch, dass im Zeitpunkt des Vorsteuerabzuges das Kalenderjahr für die Bf der Veranlagungszeitraum war und sie erst innerhalb
*)Dr. Barbara Wisiak ist Richterin des Bundesfinanzgerichts.
1) Mayr, Rz623 zu §12 in Scheiner/Kolacny/Caganek, Kommentar zur Mehrwertsteuer – UStG 199454 (2017).
2) Ruppe/Achatz, UStG 1994 5, §20 Tz15, vertreten die Ansicht, dass es bei allen Bestimmungen, in denen das Kalenderjahr sichtlich nicht als Veranlagungszeitraum gemeint ist, auch bei abweichenden Wirtschaftsjahren bei der Berechnung nach Kalenderjahren bleibt. Das gelte auch für die Fristberechnung nach §12 Abs10 UStG 1994. Auch Kollmann/Schuchter erachten in Melhardt/Tumpel, UStG3, §12 Tz477 für die Vorsteuerberichtigung ausschließlich das Kalenderjahr als maßgeblich.
Sanierbarkeit von Dreiecksgeschäften iSd Art25 UStG 1994
des Beobachtungszeitraumes auf ein abweichendes Wirtschaftsjahr gewechselt hat. Dieser Umstand rechtfertigte es für das BFG, für die Berichtigung weiterhin das Kalenderjahr heranzuziehen, da sich ansonsten der Berichtigungszeitraum verkürzen würde.
3.Praxishinweise
Im Beschwerdefall hat das BFG für die Berechnung der Berichtigung das Kalenderjahr herangezogen, weil der Berichtigungszeitraum mit Ablauf des Kalenderjahres begann. Würde man auf das abweichende Wirtschaftsjahr abstellen, hätte das zur Folge, dass der Berichtigungszeitraum zwar zu einem anderen Termin beginnt, aber dennoch volle 5/9/19 Jahre umfasst. Für den Fall, dass sich der Veranlagungszeitraum innerhalb des Berichtigungszeitraumes ändert, müsste allerdings ein Ausgleich geschaffen werden.
Auf den Punkt gebracht
Die Frist für die Vorsteuerberichtigung gem §12 Abs10 UStG 1994 endet mit Ablauf des fünften/neunten/neunzehnten Kalenderjahres, das dem Kalenderjahr der erstmaligen Nutzung folgt. Die Berechnung nach Kalenderjahren gilt auch bei abweichenden Wirtschaftsjahren.
Sanierbarkeit von Dreiecksgeschäften iSd Art25 UStG 1994
David Gerner*)
Sanierbarkeit von Dreiecksgeschäften iSd Art25 UStG 1994
Nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH 8. 12. 2022, C-247/21, Luxury Trust Automobil GmbH) stellt das nachträgliche Erfüllen einer für die Steuerschuldverlagerung auf den Empfänger einer Lieferung notwendigen Tatbestandsvoraussetzung (im konkreten Fall die Ausstellung einer vollständigen Rechnung) keine Korrektur, sondern die erstmalige Erfüllung der betreffenden Tatbestandsvoraussetzung dar, weshalb es auch zu keiner Wirkung für die Vergangenheit kommen kann. Im Falle der nachträglichen Erfüllung sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen bejaht das BFG im unten dargestellten Erkenntnis allerdings die ex nunc-Anwendbarkeit der Vereinfachungsregel für Dreiecksgeschäfte.
BFG 7. 12. 2023, RV/6100547/2015, Revision nicht zugelassen; 7. 12. 2023, RV/6101039/2015, Revision zugelassen.
1.Der Fall
Art25 UStG 1994
Im Rahmen einer bei der Beschwerdeführerin (Bf) durchgeführten Außenprüfung betreffend die Jahre 2011 bis 2014 wurde durch das Finanzamt festgestellt, dass die von der Bf ausgestellten Rechnungen nicht den Voraussetzungen des Art25 UStG 1994 für Dreiecksgeschäfte entsprechen. Konkret haben die Rechnungen weder einen Hinweis auf das Vorliegen von Dreiecksgeschäften noch auf den Übergang der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger enthalten. Das belangte Finanzamt hat die betreffenden Umsätze somit als „missglückte Dreiecksgeschäfte“ qualifiziert und entsprechend kumulative
*)Mag. David Gerner ist Richter des Bundesfinanzgerichtes.
Sanierbarkeit von Dreiecksgeschäften iSd Art25 UStG 1994
innergemeinschaftliche Erwerbe iSd Art3 Abs8 zweiter Satz UStG 1994 in Österreich, und somit jenem Land, das die von der Bf verwendete UID vergeben hat, festgesetzt. Der Vorsteuerabzug betreffend die entstandene Erwerbsteuer wurde unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH nicht zugelassen.
Als Reaktion darauf wurden von der Bf im Jahr 2015 Rechnungen ausgestellt, die alle geforderten Rechnungsmerkmale enthalten. Diese Rechnungen wurden den betroffenen Kunden zugestellt. Von der Bf wurde argumentiert, dass aufgrund dieser Rechnungen eine rückwirkende Sanierung der in de n Jahren 2011 bis 2014 ausgeführten „missglückten Dreiecksgeschäfte“ möglich sei. Alternativ sei diesen Rechnungen zumindest eine Wirkung dahingehend zuzustehen, dass sie zu einer ex nunc-Anwendbarkeit der Vereinfachungsregel für Dreiecksgeschäfte – und somit zum Wegfall der kumulativen innergemeinschaftlichen Erwerbe in Österreich – führen.
2.Die Entscheidungen des BFG
Strittig ist, ob die von der Bf im Jahr 2015 ausgestellten Rechnungen zur rückwirkenden Sanierung (RV/6100547/2015) oder zumindest einer ex nunc-Anwendbarkeit der Vereinfachungsregel für Dreiecksgeschäfte (RV/6101039/2015) führen (können).
2.1.Rechtslage
Art3 Abs8 UStG 1994 in der für die streitgegenständlichen Jahre maßgeblichen Fassung lautet:
„Der innergemeinschaftliche Erwerb wird in dem Gebiet des Mitgliedstaates bewirkt, in dem sich der Gegenstand am Ende der Be förderung oder Versen dung befindet. Verwendet der Erwerber gegenüber dem Lieferer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, so gilt der Erwerb solange in dem Gebiet dieses Mitgliedstaates als bewirkt, bis der Erwerber nachweist, daß (sic!) der Erwerb durch den im ersten Satz bezeichneten Mitgliedstaat besteuert worden ist. Im Falle des Nachweises gilt §16 sinngemäß.“
Art25 UStG 1994 in der für die streitgegenständlichen Jahre maßgeblichen Fassung lautet auszugweise:
„(1) Ein Dreiecksgeschäft liegt vor, wenn drei Unternehmer in drei verschiedenen Mitgliedstaaten über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen, dieser Gegenstand unmittelbar vom ersten Lieferer an den letzten Abnehmer gelangt und die in Abs.3 genannten Voraussetzungen erfüllt werden. Das gilt auch, wenn der letzte Abnehmer eine juristische Person ist, die nicht Untern ehmer ist oder den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwirbt.
Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs beim Dreiecksgeschäft
(2) Der innergemeinschaftliche Erwerb im Sinne des Art.3 Abs.8 zweiter Satz gilt als besteuert, wenn der Unternehmer (Erwerber) nachweist, daß (sic!) ein Dreiecksgeschäft vorliegt und daß (sic!) er seiner Erklärungspflicht gemäß Abs.6 nachgekommen ist. Kommt der Unternehmer seiner Erklärungspflicht nicht nach, fällt die Steuerfreiheit rückwirkend weg.
Steuerbefreiung beim innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen
(3) Der innergemeinschaftliche Erwerb ist unter folgenden Voraussetzungen von der Umsatzsteuer befreit:
[…]
e) die Steuer wird gemäß Abs.5 vom Empfänger geschuldet.
Rechnungsausstellung durch den Erwerber
(4) Die Rechnungsausstellung richtet sich nach den Vorschriften des Mitgliedstaates, von dem aus der Erwerber sein Unternehmen betreibt. Wird die Lieferung von der Betriebsstätte des Erwerbers ausgeführt, ist das Recht des Mitgliedstaates maßgebend, in dem sich die Betriebsstätte befindet. Rechnet der Leistungsempfänger, auf den die Steuerschuld übergeht, mittels Gutschrift ab, richtet sich die Rechnungsausstellung nach den Vorschriften des Mitgliedstaates, in dem die Lieferung ausgeführt wird.
Sind für die Rechnungsausstellung die Vorschriften dieses Bundesgesetzes maßgebend, muss die Rechnung zusätzlich folgende Angaben enthalten:
–einen ausdrücklichen Hinweis auf das Vorliegen eines innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäftes und die Steuerschuldnerschaft des letzten Abnehmers,
–die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, unter der der Unternehmer (Erwerber) den innergemeinschaftlichen Erwerb und die nachfolgende Lieferung der Gegenstände bewirkt hat, und –die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Empfängers der Lieferung.
Steuerschuldner
(5) Bei einem Dreiecksgeschäft wird die Steuer vom Empfänger der steuerpflichtigen Lieferung geschuldet, wenn die vom Erwerber ausgestellte Rechnung dem Abs.4 entspricht.
[…]“
2.2.Rückwirkung der im Jahr 2015 ausgestellten Rechnungen
Im ersten Fall (RV/6100547/2015) war strittig, ob die vom Finanzamt aufgrund der festgestellten Beteiligung der Bf an „missglückten Dreiecksgeschäften“ festgesetzten kumulativen innergemeinschaftlichen Erwerbe und die daraus entstehende, nach der Judikatur des EuGH nicht abzugsfähige, Erwerbsteuer durch die im Jahr 2015 ausgestellten Rechnungen rückwirkend beseitigt werden kann.
Diesbezüglich hat das BFG auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rs Luxury Trust Automobil GmbH (EuGH 8. 12. 2022, C-247/21) verwiesen, in welcher der EuGH zwei wesentliche Punkte festgehalten hat:
• Erstens, der Enderwerber im Rahmen eines Dreiecksgeschäfts ist nur dann wirksam als Schuldner der Mehrwertsteuer bestimmt worden, wenn die vom Zwischenerwerber (dh der Bf) ausgestellte Rechnung die Angabe „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“ iSd Art226 Nr11a der Mehrwertsteuersystemrichtlinie enthält. Es handelt sich hierbei um eine materielle Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Vereinfachungsregel für Dreiecksgeschäfte gemäß Art42 Buchst a der Mehrwertsteuersystemrichtlinie.
• Zweitens, eine ursprünglich ohne den obigen Hinweis ausgestellte Rechnung kann nicht später durch Ergänzung eines Hinweises darauf berichtigt werden, dass diese Rechnung ein innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft betrifft und dass die Steuerschuld auf den Empfänger der Lieferung übergeht. Vielmehr handelt es sich um die erstmalige Ausstellung der erforderlichen Rechnung, die keine Rückwirkung entfalten kann.
Das BFG kam somit zum Ergebnis, dass die in den Jahren 2011 bis 2014 ausgestellten (mangelhaften) Rechnungen nicht geeignet waren, den Übergang der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger zu bewirken, weshalb nicht sämtliche materiellen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Vereinfachungsregel für Dreiecksgeschäfte erfüllt waren. Die im Jahr 2015 ausgestellten Rechnungen entfalten nach der obig dargestell-
Sanierbarkeit von Dreiecksgeschäften iSd Art25 UStG 1994
ten Rechtsprechung des EuGH keine Rückwirkung auf die in den Jahren 2011 bis 2014 ausgestellten Rechnungen und können diese somit auch nicht rückwirkend berichtigen.
Ob gegen diese Entscheidung Revision erhoben wird, stand zum Zeitpunkt der Abgabe dieses Beitrages noch nicht fest.
2.3.Anwendbarkeit der Vereinfachungsregel für Dreiecksgeschäfte ab Vorliegen sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen
Im zweiten Fall (RV/6101039/2015) war strittig, ob die von der Bf im Jahr 2015 ausgestellten Rechnungen betreffend die in den Jahren 2011 bis 2014 ausgeführten Lieferungen dazu führen können, dass die Vereinfachungsregel für Dreiecksgeschäfte ab dem Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen (dh im konkreten Fall ab dem Vorliegen vollständiger Rechnungen) zur Anwendung gebracht werden kann, was – unter anderem – auch die Besteuerungsfiktion betreffend den kumulativen innergemeinschaftlichen Erwerb gemäß Art3 Abs8 zweiter Satz UStG 1994 auslösen würde.
Zu dieser Frage lässt sich aus dem Urteil des EuGH in der Rs Luxury Trust Automobil GmbH keine eindeutige Aussage gewinnen. Der EuGH hat in der Rz61 des betreffenden Urteils unter anderem wie folgt ausgeführt:
„Wie die Generalanwältin in den Nrn. 57 und 61 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist das nachträgliche Erfüllen einer für die Steuerschuldverlagerung auf den Empfänger der Lieferung notwendigen Tatbestandsvoraussetzung keine Korrektur. Es handelt sich um die erstmalige Ausstellung der erforderlichen Rechnung, die keine Rückwirkung entfalten kann.“
In den vom EuGH angesprochenen Schlussanträgen hat die Generalanwältin in der angeführten Rz61 wie folgt ausgeführt:
„Aus dem gleichen Grund lässt sich die Frage nach der Rückwirkung recht eindeutig beantworten. Eine solche (erstmalige) Rechnungsausstellung kann keine Rückwirkung entfalten. Erst mit einer entsprechenden Rechnung, die dem Empfänger zugeht, werden die Rechtsfolgen der Verwaltungsvereinfachungsregelung ex nunc ausgelöst.“
Während die Generalanwältin somit eine ex nunc-Anwendbarkeit der Vereinfachungsregel für Dreiecksgeschäfte explizit bejaht, bleibt der EuGH vage. Er führt lediglich aus, dass die „erstmalige Ausstellung der erforderlichen Rechnung“ keine Rückwirkung entfalten kann. Nach der vom BFG im gegenständlichen Erkenntnis vertretenen Auffassung erscheint es nicht sachgerecht, wenn man eine solche „erstmalige Ausstellung der gegenständlichen Rechnung“ (und somit das „nachträgliche Erfüllen einer für die Steuerschuldverlagerung auf den Empfänger der Lieferung notwendigen Tatbestandsvoraussetzung“) zwar zulässt, dieser Rechnung aber dann jede Wirkung für die Vergangenheit oder Zukunft abspricht. Somit ist das BFG zur Ansicht gelangt, dass ab Erfüllung sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen die Anwendbarkeit der Vereinfachungsregel für Dreiecksgeschäfte (inklusive der damit verbundenen Rechtswirkungen) möglich ist.
Ob gegen diese Entscheidung Revision erhoben wird, stand zum Zeitpunkt der Abgabe dieses Beitrages noch nicht fest.
Auf den Punkt gebracht
Eine rückwirkende Sanierung von „missglückten Dreiecksgeschäften“ scheidet nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rs Luxury Trust Automobil GmbH aus. Das BFG hat allerdings nunmehr – im Einklang mit den Ausführungen der Generalanwältin Kokott in den Schlussanträgen zur Rs Luxury Trust Automobil GmbH – eine ex nunc-Anwendbarkeit der Vereinfachungsregel für Dreiecksgeschäfte bejaht.
Gebrauchsabgabe ohne Gebrauchserlaubnis
BFG und Höchstgerichte
Der „Benutzer“ und die Aufhebung der Abgabenfestsetzung gegenüber einem Teil der Gesamtschuldner
Julia Cermak-Kapl*)
Für den Gebrauch von öffentlichem Grund in der Gemeinde, der als Verkehrsfläche dem öffentlichen Verkehr dient, ist im Vorfeld eine Gebrauchserlaubnis zu erwirken. Jedoch hat auch derjenige, der öffentlichen Grund der Gemeinde benutzt, ohne vorher eine Gebrauchserlaubnis zu erwirken, sowie derjenige, der zur Beseitigung der Einrichtungen verpflichtet ist und diese nicht nachweislich beseitigt, die Gebrauchsabgabe entsprechend dem gesetzlichen Tarif zu entrichten. Entscheidend ist, wer als Gebraucher bzw Nutzer dieser Verkehrsflächen iSd §9 Abs1a Wiener Gebrauchsabgabegesetz anzusehen ist.
Bei mehreren Verpflichteten liegt die Inanspruchnahme von Gesamtschuldnern im Ermessen des Abgabengläubigers. Im vorliegenden Fall hat das BFG im Hinblick auf die Festsetzung der Gebrauchsabgabe an die vier Beschwerdeführerinnen (Bf) als Gesamtschuldner entschieden, die Beschwerden zweier Bf gemäß §279 BAO als unbegründet abzuweisen und den Beschwerden der anderen beiden Bf Folge zu geben.
VwGH 12. 9. 2023, Ro 2021/13/0017, Zurückweisung der Parteienrevision; 19.10. 2023, Ro 2021/13/0016, Abweisung der Amtsrevision; BFG 23. 2. 2021, RV/7400142/2020, Revision zugelassen.
1.Der Fall
§§6 Abs1, 199 BAO; §§1, 9 Abs1a, 4 Abs7 Wiener Gebrauchsabgabegesetz 1966
Der Magistrat der Stadt Wien erteilte mit Be scheid vom 29. 6. 2016 der ersten Bf für das Bauvorhaben der zweiten Bf eine Gebrauchserlaubnis für die Aufstellung eines Gerüstes und die Ablagerung von Schutt auf näher bezeichneten Verkehrsflächen in der Zeit vom 7. 7. 2016 bis 30. 7. 2017. In der Folge wurde von der vierten Bf im Auftrag der zweiten Bf ein Gerüst aufgestellt und von dieser (zweiten Bf) als bauausführende Firma im Zuge der durchgeführten Bauarbeiten sowohl das Gerüst als auch die Verkehrsflächen im Rahmen der Bauarbeiten zur Ablagerung von Baumaterial und Schutt genutzt.
Nach Ablauf der Bewilligung erfolgten weitere Festsetzungen der Gebrauchsabgabe für den Gebrauch ohne Gebrauchserlaubnis für Juli 2017 bis Februar 2018. Diese erwuchsen in Rechtskraft.
Ein Antrag auf Verlängerung der Gebrauchserlaubnis wurde aufgrund von Zweifeln an der Zahlungsbereitschaft zurückgewiesen. Das Gerüst sowie die Lagerflächen wurden jedoch nicht geräumt, woraufhin der Magistrat der Stadt Wien mit Bescheid vom 16. 11. 2018 eine Gebrauchsabgabe für den Gebrauch ohne Gebrauchserlaubnis von März bis August 2018 gegenüber den vier Bf zur ungeteilten Hand festsetzte.
2.Die Entscheidung des BFG
§1 Wiener Gebrauchsabgabegesetz sieht vor, dass für den Gebrauch von öffentlichem Grund in der Gemeinde, der als Verkehrsfläche dem öffentlichen Verkehr dient, samt den
*)Mag. Julia Cermak-Kapl, MA ist Richterin des Bundesfinanzgerichts.
dazugehörigen Anlagen und Grünstreifen einschließlich seines Untergrundes und des darüber befindlichen Luftraumes im Vorfeld eine Gebrauchserlaubnis zu erwirken ist. Auf die Erteilung der Gebrauchserlaubnis besteht kein Rechtsanspruch.1)
Es hat jedoch auch derjenige, der öffentlichen Grund in der Gemeinde benutzt, ohne vorher eine Gebrauchserlaubnis erwirkt zu haben, sowie derjenige, der zur Beseitigung der Einrichtungen verpflichtet ist und diese nicht nachweislich beseitigt, die Gebrauchsabgabe entsprechend dem gesetzlichen Tarif zu entrichten.2)
In den Erläuterungen zu der mit LGBl 2013/11 eingeführten Bestimmung des §9 Abs1a Wiener Gebrauchsabgabegesetz wird ausgeführt: „In Zukunft soll die Abgabepflicht auch an den bloßen Gebrauch von öffentlichem Grund der Gemeinde anknüpfen. Wie in anderen Bereichen üblich (z.B. Parkometerabgabe) soll die Abgabe auch für den Zeitraum, in welchem öffentlicher Grund ohne Gebrauchserlaubnis benützt wird, vorgeschrieben werden. Festgestellt wird auch, dass wenn für ein und denselben Gebrauch in ein und demselben Zeitraum ein Antrag auf Gebrauchserlaubnis gestellt und bewilligt wird, die vom Antragsteller bereits nach diesem Absatz entrichtete Gebrauchsabgabe anzurechnen ist.“
Das BFG führte aus, dass das Gesetz keine besonderen Bestimmungen über die Person des für den Gebrauch Verantwortlichen enthält. Es stellte auf die ständige Rechtsprechung des VwGH zur Strafbestimmung des §16 Wiener Gebrauchsabgabegesetz3) ab, wonach die eigentümliche Bedeutung des Wortes „Gebrauch“ auf einen tatsächlichen Vorgang oder auf eine unmittelbare Tätigkeit, wie etwa auf den Aufbau eines Gerüstes oder auf das Ablagern von Schutt und dergleichen, verweist. Da es aber nicht Sinn und Zweck des Gesetzes sein kann, den unmittelbar Tätigen, wie etwa gar den Schutt abladenden Arbeiter oder den Gerüster, als Gebraucher anzusehen, ergibt sich, dass als Gebraucher derjenige in Betracht zu kommen hat, in dessen Auftrag bzw auf dessen Rechnung und Gefahr der Gebrauch durchgeführt wird. Feststellungen in dieser Richtung sind entbehrlich, wenn jemand sich selbst der Behörde gegenüber als Gebraucher bezeichnet, für sich um die Gebrauchserlaubnis ansucht und hiedurch zu erkennen gibt, dass er als Träger der Gebrauchsbewilligung mit den daraus entspringenden Rechten und Pflichten in Betracht kommt.4)
Das BFG schloss, dass weder aus den Materialien zu §9 Abs1a GAG noch aus der gesetzlichen Bestimmung selbst abgeleitet werden kann, dass durch die neu eingeführte Wendung „Derjenige, der öffentlichen Grund in der Gemeinde (§1) gemäß angeschlossenem Tarif benutzt ohne vorher eine Gebrauchserlaubnis erwirkt zu haben“ eine andere Bedeutung als der des bisher nur in §16 GAG verwendeten Wortes „Gebrauch“ beigemessen hätte werden sollen. Die Einführung dieser Bestimmung sollte gemäß den Erläuterungen lediglich dazu dienen, nunmehr auch für den Gebrauch einer Verkehrsfläche ohne Gebrauchserlaubnis eine Abgabepflicht zu begründen, die bis dahin nur für den Gebrauch von Verkehrsflächen mit Gebrauchserlaubnis bestand. Ein Gebrauch ohne Gebrauchserlaubnis konnte nämlich bis zur Einführung der Bestimmung des §9 Abs1a GAG nur nach §16 GAG bestraft werden. Mit dem Ersatz des Wortes „Gebrauch“ durch die Wendung „wer … benutzt“ war daher im Rahmen der Gesetzesänderung keinesfalls eine Bedeutungsänderung intendiert, weshalb es nach der Rechtsansicht des BFG auch keinen Grund gibt, von der vom VwGH in ständiger Rechtsprechung getroffenen Auslegung in Bezug auf die Bedeutung des Wortes „Gebrauch“ abzugehen.
1)§1 Wiener Gebrauchsabgabegesetz (GAG) 1966 idF LGBl 2016/61.
2)§9 Abs1a Wiener Gebrauchsabgabegesetz (GAG) 1966 idF LGBl 2016/61.
3)§16 Wiener Gebrauchsabgabegesetz (GAG) 1966 idF LGBl 2016/61.
4)Vgl VwGH 18. 3. 1953, 2731/50, Slg Nr729/F; 17. 5. 2004, 2003/17/0133.
In der Folge stellte das BFG fest, dass die erste und zweite Bf zusammengewirkt haben, indem die erste Bf bauausführend tätig war und die zweite Bf die Gebrauchserlaubnis erwirkte. Die zweite Bf hat durch das Ansuchen um eine Bewilligung unter Bekanntgabe der ersten Bf als Bauführerin zu erkennen gegeben, dass sie gemeinsam mit dieser den Gebrauch der gegenständlichen Verkehrsflächen ausüben werde. Da sich nach Ablauf der Bewilligung weiterhin Baumaterial und Teile der Baustelleneinrichtung auf den betreffenden Verkehrsflächen befunden haben, kommen auch beide Bf als Gebraucher bzw Nutzer für den bewilligungslosen Gebrauch der Verkehrsflächen in Betracht.
Im Hinblick auf die beiden anderen Bf erkannte das BFG, dass die von der zweiten Bf beauftragte vierte Bf weder beim Magistrat der Stadt Wien um die Erlaubnis zum Gebrauch von öffentlichem Grund angesucht hat, noch sie für die Lagerung von Baustoffen, Baugeräten, Schutt und dergleichen verantwortlich gewesen ist, auch wenn das aufgestellte Gerüst in ihrem Eigentum stand. Dadurch konnte die bewilligungslose Nutzung dieser nicht zugerechnet werden. Der Beschwerde der dritten Bf wurde ebenfalls stattgegeben, da diese nicht auf der Baustelle tätig geworden ist. Die Abgabenvorschreibung wurde gegenüber diesen beiden ersatzlos aufgehoben.
Da die erste und zweite Bf dieselbe abgabenrechtliche Leistung schulden, sind sie gemäß §6 Abs1 BAO5) als Gesamtschuldner anzusehen und liegt die Festsetzung zur ungeteilten Hand im Ermessen der Abgabenbehörde bzw des BFG. Das BFG betonte, dass wer nun tatsächlich im Innenverhältnis verpflichtet gewesen wäre, die Gebrauchsabgabe wirtschaftlich zu tragen, eine Frage darstellt, die im Rahmen des privatrechtlichen Schuldverhältnisses zu klären und nicht Gegenstand des gegenständlichen Verwaltungsverfahrens ist.
Das BFG ließ die ordentliche Revision zu, da eine Rechtsprechung des VwGH sowohl dahingehend fehlte, wer als Nutzer ohne Gebrauchsbewilligung iSd §9 Abs1a GAG anzusehen ist, als auch hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Frage, ob die in einem gemäß §199 BAO6) erlassenen Bescheid gegenüber einer Mehrheit von Gesamtschuldnern vorgenommene Vorschreibung einer Abgabenschuld im Rahmen des Beschwerdeverfahrens in der Weise abgeändert werden kann, dass die Abgabenvorschreibung gegenüber einem Teil der Schuldner aufgehoben wird.
3.Die Entscheidungen des VwGH
Der VwGH wies zunächst mit Beschluss vom 12. 9. 2023 die Revision der zweiten Bf zurück, da auch nach Aufforderung mittels verfahrensleitender Anordnung der der Revision anhaftende Mangel, nämlich die Bezeichnung der Rechte, in denen die revisionswerbende Partei verletzt zu sein behauptet, nicht erfolgte.7)
In der Folge bestätigte der VwGH das Erkenntnis des BFG und wies mit Entscheidung vom 19. 10. 2023 die Amtsrevision der zuständigen Magistratsabteilung als unbegründet ab, wobei er betonte, dass die Frage, wer Abgabepflichtiger iSd §9 Abs1a GAG sei, aus dieser Bestimmung und der Gesetzessystematik abzuleiten sei.8)
Nach den Erwägungen des VwGH sieht §9 GAG eine Abgabepflicht für die Nutzung des öffentlichen Grundes in der Gemeinde Wien sowohl aufgrund einer Gebrauchserlaubnis als auch ohne Gebrauchserlaubnis vor. Eine abgabenpflichtige Nutzung des öffentlichen
5)§6 Abs1 BAO idF BGBl 1980/151.
6)§199 BAO idF BGBl 1961/194.
7)VwGH 12. 9. 2023, Ro 2021/13/0017.
8)VwGH 19. 10. 2023, Ro 2021/13/0016.
Grundes liege dann vor, wenn öffentlicher Grund auf eine im angeschlossenen Tarif angegebene Art gebraucht bzw gemäß angeschlossenem Tarif benutzt werde.
Im Hinblick auf den Verweis der Amtsrevision auf die Bestimmungen der §§6 und 8 Abs2 GAG, die bei der Auslegung des Begriffes des Nutzers zu berücksichtigen seien, führte der VwGH aus, dass gemäß §8 Abs2 GAG die Wirksamkeit einer Gebrauchserlaubnis auf denjenigen Erlaubnisträger beschränkt sei, dem die Gebrauchserlaubnis erteilt worden sei. Es könne aber nicht angenommen werden, dass Personen, die nicht Erlaubnisträger sind, aber als deren „Auftragnehmer“ tätig werden, wie etwa Werkunternehmer im Rahmen eines Werkvertrags mit dem Erlaubnisträger als Besteller zusätzlich eine eigene Gebrauchserlaubnis erwirken müssten, um nicht den Tatbestand des §9 Abs1a oder §16 Abs2 GAG zu verwirklichen. Wie auch aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu §9 Abs1a abzuleiten sei, sei eine Gebrauchsabgabe für „ein und denselben Gebrauch in ein und demselben Zeitraum“ nur einmal zu entrichten. Derartige Personen seien als Erfüllungsgehilfen des Erlaubnisträgers von der Wirksamkeit der Gebrauchserlaubnis erfasst. Daraus ergebe sich, dass derartige Erfüllungsgehilfen einen „im §1 umschriebenen Gebrauch“ nicht (selbst) ausüben.
Betreffend die gleichzeitig mit der Einfügung der Bestimmung des §9 Abs1a neu gefasste Bestimmung des §6 GAG erwog der VwGH: „Diese Bestimmung unterscheidet zwischen (einerseits) jenem, der den Grund ohne Vorliegen einer Gebrauchserlaubnis genutzt hat, und (anderseits) dem Eigentümer (der zu entfernenden Sache); diese Personen werden mit dem Begriff „Verpflichtete“ zusammengefasst. Nach §9 Abs.1a Wr GebrauchsabgabeG 1966 (idF LGBl. Nr. 61/2016) ist aber nur derjenige abgabepflichtig, der den öffentlichen Grund benutzt. Der Eigentümer der Sache ist hingegen (als solcher) nach dieser Bestimmung nicht abgabepflichtig. §6 Wr GebrauchsabgabeG 1966 erwähnt neben dem Verpflichteten weiters dessen „Erfüllungsgehilfen (Beauftragten)“. Der Erfüllungsgehilfe ist demnach nicht als eine Person anzusehen, die den Grund (selbst) benutzt (vgl. auch die mit LGBl. Nr. 57/2019 eingefügte – Bestimmung des §6a Abs.1 Wr GebrauchsabgabeG 1966, die zwischen dem „Sondernutzer“ und seinem „Erfüllungsgehilfen (Beauftragten)“ unterscheidet).“
Der VwGH bestätigte die Entscheidung des BFG, dass auf Grundlage der zu §16 GAG ergangenen Rechtsprechung die vierte Bf keine Abgabenpflicht trifft, weil sie weder um die Erlaubnis zum Gebrauch von öffentlichem Grund angesucht hat, noch für die Lagerung von Baustoffen, Baugeräten, Schutt und dergleichen verantwortlich gewesen ist. Die vierte Bf als Erfüllungsgehilfin sei nicht als „Benutzer“ iSd §9 Abs1a GAG anzusehen, sodass sich für sie keine Abgabepflicht ergibt.
Auf den Punkt gebracht
Mit der Einführung der Bestimmung des §9 Abs1a GAG wurde auch für den Gebrauch einer Verkehrsfläche ohne Gebrauchserlaubnis eine Abgabepflicht begründet. Als Abgabepflichtige kommen jedoch nur diejenigen in Betracht, in deren Verantwortungsbereich die Erwirkung einer Gebrauchserlaubnis für eine Baustelleneinrichtung lag und nicht auch die unmittelbar auf der Baustelle Tätigen. Die Heranziehung von Abgabepflichtigen als Gesamtschuldner liegt im Ermessen des Abgabengläubigers. Wenn die Abgabenbehörde in einem einheitlichen Bescheid gemäß §199 BAO jedoch Personen zu Unrecht als Gesamtschuldner zur Entrichtung einer Abgabe verpflichtet, hat das BFG in seinem Erkenntnis die Abgabenvorschreibung diesen gegenüber aufzuheben und die Abgabenvorschreibung nur gegenüber den zu Recht als Gesamtschuldner Verpflichteten aufrecht zu erhalten.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Fristverlängerungsantrag als nachgeholte versäumte Handlung
BFG und Höchstgerichte Michael Rauscher*)
§308 Abs3 BAO verlangt für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, dass der Antragsteller im Fall der Versäumung einer Frist spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachzuholen hat. Das BFG hatte in zwei Erkenntnissen die Revision für zulässig erklärt, um die Rechtsfrage zu klären, ob bei Versäumung der Frist für die Einbringung eines Vorlageantrages das gesetzliche Erfordernis der „Nachholung der versäumten Handlung“ erfüllt ist, wenn gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag bloß ein Fristverlängerungsantrag für den Vorlageantrag (nicht aber der Vorlageantrag selbst) gestellt wird. Mit Erkenntnis vom 19. 12. 2023, Ro 2023/15/0019, hat der VwGH diese Rechtsfrage nun beantwortet.
VwGH 19. 12. 2023, Ro 2023/15/0019.
1.Die Entscheidungen des BFG
§308 Abs3 BAO
Das BFG hatte mit Erkenntnissen vom 8. 5. 2023, RV/2100178/2023 und RV/2100179/2023, in zwei (ein Ehepaar betreffenden) Fällen, in denen die Frist zur Einbringung von Vorlageanträgen versäumt worden war und deshalb Wiedereinsetzungsanträge gleichzeitig mit Fristverlängerungsanträgen für die Vorlageanträge gestellt worden waren, entschieden, dass die gesetzlichen Erfordernisse des §308 BAO nicht erfüllt seien, weil die Vorlageanträge nicht spätestens gleichzeitig mit den Wiedereinsetzungsanträgen nachgeholt worden seien. Dabei verwies das BFG auf den vergleichbaren Fall des Erkenntnisses vom 25. 2. 2020, RV/7100375/2017, in dem das BFG zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist entschieden hatte, dass die gesetzlichen Erfordernisse des §308 BAO nicht erfüllt seien, weil gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag bloß ein Fristverlängerungsantrag für die Beschwerde gestellt wurde.
2.Die VwGH-Erkenntnisse
Der VwGH hat die beiden Erkenntnisse des BFG mit Erkenntnissen vom 19. 12. 2023, Ro 2023/15/0019 und Ro 2023/15/0020, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. Der streitgegenständliche Antrag enthalte – so der VwGH in seiner Begründung zur Zl Ro 2023/15/0019 – alle Angaben, die ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §309a BAO zu enthalten habe. Vom Revisionswerber sei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erbr ingung einer Fristerstreckung zur Abgabe eines Vorlageantrages beantragt worden. Gleichzeitig habe er einen Antrag auf „Erstreckung der Frist zur Einbringung eines Vorlageantrages bis zum 15.03.2023“ gestellt, womit die versäumte Handlung nachgeholt worden sei.
Auf den Punkt gebracht
Wird die Vorlageantragsfrist versäumt und deshalb die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, so kann (spätestens gleichzeitig) mit dem Wiedereinsetzungsantrag ein Fristverlängerungsantrag für den Vorlageantrag gestellt werden. Der Fristverlängerungsantrag ist als „nachgeholte versäumte Handlung“ zu werten. Es ist anzunehmen, dass dasselbe sinngemäß auch für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist gilt.
*)Dr. Michael Rauscher ist Richter des Bundesfinanzgerichtes (Außenstelle Graz).
Formeller und materieller Empfänger im Zustellrecht
BFG
Markus Knechtl*)
und Höchstgerichte
1.Der Fall
Eine behördliche Erledigung wird nur dann wirksam, wenn sie dem „Empfänger“ auch zugestellt wird. Dies gilt sowohl für Zustellungen durch ein Zustellorgan als auch für elektronische Zustellungen. Kommt es zu Fehlern im Zustellvorgang, ist unter Umständen eine Heilung des Zustellmangels möglich.
VwGH 22. 11. 2023, Ra 2023/13/0048, Aufhebung; BFG 29. 3. 2023, RV/2100066/2022, Revision nicht zugelassen.
§§7, 13 Abs3, 16 Abs1 ZustG; §5b Abs3 FOnV 2006; §97 Abs1 und Abs3 BAO
Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die im Jahr 2014 errichtet wurde, hatte zunächst eine natürliche Person als Gesellschafter. In den Jahren 2018 bis 2020 kam es zu Abtretungen von Gesellschaftsanteilen. Letztlich waren eine irische Limited und eine natürliche Person die Gesellschafter der österreichischen GmbH.
Eine Meldung zum Wirtschaftlichen Eigentüm er Register (WiEReG) wurde nicht abgegeben.
Das Finanzamt forderte dahe r die Abgabe der WiEReG-Mel dung ein und drohte eine Zwangsstrafe an. Mit der Festsetzung der ersten Zwangsstrafe in Höhe von 1.000 Euro wurde gleich die nächste Zwangsstrafe in Höhe von 4.000 Euro angedroht und letztlich auch festgesetzt.
Innerhalb der Beschwerdefrist für die letzte Festsetzung wurde gegen sämtliche Bescheide eine Beschwerde erhoben. Hinsichtlich der ersten Bescheide wurde die Beschwerde als verspätet zurückgewiesen; die Beschwerde gegen die letzte Zwangsstrafenfestsetzung wurde als unbegründet abgewiesen. Das Beschwerdevorbringen, dass der neue Geschäftsführer (der Ehemann der früheren Geschäftsführerin) erst mit Übermittlung von neuen Zugangsdaten durch die Finanzverwaltung in die Databox einsehen konnte, weil durch einen Wechsel in der Geschäftsführung die Zugangsdaten verloren gegangen seien, wurde als unschlüssig qualifiziert, zumal alle Bescheide bereits kurz vor der Übermittlung der neuen Zugangskennungen abgerufen wurden.
Sämtliche Bescheide wurden in die Databox der GmbH eingelegt und waren an die Gesellschaft, zu Handen ihres Geschäftsführers, adressiert. Strittig war, ob die Zustellungen wirksam waren.
2.Die Entscheidung des VwGH
Die Androhung der Zwangsstra fe ist mit Setzung einer Frist von sechs Wochen vorzunehmen. Elektronisch zugestellte Dokumente gelten als zugestellt, sobald sie in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers gelangt sind. Als Empfänger ist im Zustellrecht im Allgemeinen der „formelle“ Empfänger gemeint; dieser ist von der Behörde in der Zustellverfügung zu bestimmen. In der Regel handelt es sich dabei um die Person, für die der Inhalt des zuzustellenden Dokuments bestimmt ist; dies muss aber nicht der Fall sein (zB gesetzlicher Vertreter, Zustellungsbevollmächtigter).
Ist der Empfänger keine natürliche Person, so ist das Dokument einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass die Behörde in der Zustellverfügung ein Organ der juristischen Person als „Empfänger“ bestimmt,
*)Mag. Markus Knechtl, LL.M. ist Richter des Bundesfinanzgerichts.
wodurch das betreffende Organ zum Empfänger im formellen Sinn wird. Wird ein Organ der juristischen Person als Empfänger bestimmt, ist es für die Wirksamkeit der Zustellung erforderlich, dass die Erledigungen in den Verfügungsbereich des genannten Vertreters (bei Zustellung im Wege von FinanzOnline also in dessen „Databox“) gelangt. Bei Zustellung der Erledigung in die Databox der Gesellschaft liegt eine wirksame Zustellung erst dann vor, wenn das Dokument dem in der Zustellverfügung genannten Empfänger (Geschäftsführer) tatsächlich zugekommen ist.
3.Praxishinweise
3.1.WiEReG – Meldeverpflichtung
Zur Sicherstellung der Aktualität des Wi rtschaftlichen Eigentümer Registers werden säumigen Rechtsträgern durch das Finanzamt Österreich Zwangsstrafen angedroht und festgesetzt, wenn der Pflicht zur jährlichen Meldung nicht nachgekommen wird. Vom WiEReG erfasste Rechtsträger sind insbesondere die ins Firmenbuch einzutragenden Gesellschaften, aber auch Vereine, Stiftungen, Fonds und Trusts, wenn sie vom Inland aus verwaltet werden.
Zumindest einmal jährlich ist die Identität der wirtschaftlichen Eigentümer durch den Rechtsträger festzustellen bzw zu erheben, dass keine Änderung der wirtschaftlichen Eigentümer eingetreten ist. Eine Meldebefreiung besteht beispielsweise für GmbHs, wenn alle Gesellschafter natürliche Personen sind.
3.2.Wirksamkeit von behördlichen Erledigungen
Ein Bescheid gehört (erst) mit seiner Erlassung dem Rechtsbestand an.
Erledigungen werden gemäß §97 Abs1 BAO dadurch wirksam, dass sie demjenigen bekannt gegeben werden, für den sie nach ihrem Inhalt bestimmt sind.1) Bei schriftlichen Erledigungen erfolgt die Bekanntgabe grundsätzlich durch Zustellung. Gemäß §97 Abs3 BAO ist auch eine automationsunterstützte Datenübertragung möglich. Die FinanzOnline-Verordnung 2006 stützt sich auf diese Bestimmung.
Bei Zustellungen handelt es sich um Realakte2) – durch körperliche Übergabe, durch Hinterlegung eines Schriftstückes oder durch das Einlegen von Dokumenten in einen elektronischen Speicher.
Die Frage, ob eine als Bescheid intendierte Erledigung wirksam geworden ist, ist nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Verwirklichung des den Tatbestand der Zustellung erfüllenden Sach verhaltes zu beurteilen.3) Eine Erledigung, die rechtlich nicht existent geworden ist, kann keine Rechtswirkungen entfalten und einer neuerlichen, wirksam gestalteten Erledigung mit Bescheidqualität auch nicht im Wege stehen.4)
3.3.FinanzOnline und Zustellungen
§5b Abs1 FinanzOnline-Verordnung 2006 (FOnV 2006), der unter anderem auf §§97 Abs3 und 98 Abs1 BAO gestützt ist, bestimmt, dass – nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten – Zustellungen an „Empfänger“, die Teilnehmer von FinanzOnline sind, elektronisch vorzunehmen sind.
Unternehmer, die wegen Überschreitens der Umsatzgrenze zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen verpflichtet sind, haben an der elektronischen Zustellung über FinanzOnline teilzunehmen und können auf diese nicht verzichten (§5b Abs3 FOnV 2006).
1)VwGH 23. 1. 2020, Ra 2019/15/0115.
2)Vgl VwGH 22. 2. 1996, 93/15/0195.
3)VwGH 19. 10. 2017, Ra 2016/16/0112. 4)VwGH 31. 3. 2004, 2003/13/0153.
Andere FinanzOnline-Teilnehmer können verzichten, wobei standardmäßig die elektronische Zustellung „aktiviert“ ist.5)
Jedem FinanzOnline-Teilnehmer steht zudem die Möglichkeit offen, eine E-Mail-Adresse anzugeben, um über die elektronischen Zustellungen informiert zu werden. Die zusätzliche Verständigung des Empfängers per E-Mail ist jedoch eine reine Serviceleistung, an die keine Rechtsfolge geknüpft ist.6)
Entscheidend für die Zustellung ist alleine der Zeitpunkt, in dem die Daten in der Databox einlangen. Auf das tatsächliche Einsehen in die Databox durch den FinanzOnlineTeilnehmer (zB Öffnen, Lesen oder Ausdrucken des Bescheides) kommt es nicht an.
Eine rechtswirksame Zustellung in die Databox kann aber nur dann vorliegen, wenn der Empfänger zur Databox auch einen Zugang hat, weil sich ein Speicherbereich, zu dem der Empfänger keinen Zugang hat, nicht als sein „elektronischer Verfügungsbereich“ verstehen lässt.7) Abruf- und Empfangsproblemen, die sich aus der Verwahrung und dem Gebrauch der dem Empfänger zur Verfügung gestellten Zugangsdaten ergeben, sind damit aber nicht angesprochen.
3.4.Adressierung an den „Empfänger“
„Formeller“ Empfänger
Als formeller Empfänger gilt die Person, welcher das Dokument zu übergeben ist. In der Zustellverfügung ist der formelle Empfänger angegeben.8) Ein berufsmäßiger Parteienvertreter (Zustellbevollmächtigter) ist ein Empfänger im formellen Sinn.9) Der Zustellungsbevollmächtigte ist in der Zustellverfügung als Empfänger zu bezeichnen, wobei eine Adressierung an die Partei zu Handen des Zustellungsbevollmächtigten ausreicht.10)
Auch ein §81 BAO-Vertreter ist ein Empfänger im formellen Sinn.11)
Eine fehlerhafte Zustellung löst im Einparteienverfahren (zB Verwaltungsverfahren) nicht den Beginn einer Rechtsmittelfrist aus. Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung gemäß §7 ZustG in dem Zeitpunkt dennoch als bewirkt, in dem das Dokument dem in der Zustellverfügung bezeichneten Empfänger tatsächlich zugekommen ist. Eine fehlerhafte Bezeichnung einer Person als Empfänger in der Zustellverfügung kann jedoch nicht heilen.12)
Elektronisch zugestellte Dokument müssen in die Databox des formellen Empfängers zugestellt werden; eine Heilung iSd §7 ZuStG kommt auch hier in Betracht.
„Materieller“ Empfänger
Als materieller Empfänger iSd Zustellrechts wird jene Person verstanden, für welche der Inhalt des zuzustellenden Dokuments bestimmt ist.13)
3.5.„Empfänger“ bei juristischen Personen
Ist der Empfänger keine natürliche Person, so ist das Dokument einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen (§13 Abs3 ZuStG). Bei einer juristischen Person, somit auch bei einer GmbH, hat die Zustellung an einen befugten Vertreter zu erfolgen. Diese Bestimmung richtet sich an den Zusteller.14) §13 Abs3 ZuStG trifft aber keine
5)BFG 16. 8. 2023, RV/5100407/2022.
6)Vgl Ritz/Koran, BAO7, §98 Tz4, BFG 28. 9. 2021, RV/7102314/2021; 18. 5. 2020, RV/6100235/2020.
7)VwGH 31. 7. 2013, 2009/13/0105.
8)ZB VwGH 13. 6. 2022, Ra 2021/01/0042.
9)ZB VwGH 22. 8. 2019, Ra 2018/16/0136
10)ZB VwGH 27. 9. 2023, Ra 2021/01/0195.
11) Drapela/Knechtl/Moser/Wagner, SWK-Spezial Die Feststellungserklärung 2022, 39 mwN.
12)ZB VwGH 13. 6. 2022, Ra 2021/01/0042; siehe auch Ritz/Koran, BAO7 ZustG, §7 Rz4.
13)ZB VwGH 15. 11. 2022, Ra 2022/13/0023.
14)VwGH 19. 12. 2000, 2000/14/0161.
abschließende Regelung darüber, an wen letztlich zugestellt werden kann. Es ist der Behörde freigestellt, bei der Zustellung eines seinem Inhalt nach für eine juristische Person bestimmten Schriftstücks entweder einen – individuell bestimmten – „zur Empfangnahme befugten Vertreter“ oder die juristische Person selbst als Empfänger anzugeben.15) Hat die juristische Person einen Zustellbevollmächtigten, ist diesem zuzustellen. Kann die Sendung nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf gemäß §16 Abs1 ZustG an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung). Dies gilt auch dann, wenn in der Zustellverfügung ein individuell bestimmter Vertreter genannt ist.16)
Hat die Behörde nicht bloß die juristische Person (ohne Nennung einer vertretungsbefugten Person) als Empfänger bezeichnet, sondern ausdrücklich – durch den Vermerk „z. Hd.“ – eine bestimmte natürliche Person als Organ der juristischen Person als Empfänger bestimmt, ist nicht die juristische Person, sondern das betreffende Organ „Empfänger“ im formellen Sinn17)
Die Beurteilung einer Person als Ersatzempfänger hat stets unter Bezugnahme auf den in der Zustellverfügung genannten Empfänger zu erfolgen. So ist etwa bei zwei Geschäftsführern einer GmbH der eine kein Ersatzempfänger für den anderen;18) ähnliches gilt etwa für eine Chefsekretärin eines Geschäftsführers einer GmbH für die an den Geschäftsführer privat bestimmten Sendungen.19)
Auf den Punkt gebracht
Die Aushändigung des zuzustellenden Dokuments erfolgt an den „formellen“ Empfänger, der auch gleichzeitig der materielle Empfänger sein kann (aber nicht notwendigerweise immer sein muss). Zustellungen in die FinanzOnline-Databox müssen in die Databox des zustellrechtlichen (formellen) Empfängers erfolgen, damit die Erledigung wirksam wird. Erfolgt die Zustellung an eine falsche Person, kommt eine Heilung des Zustellmangels in Betracht, wenn dem richtigen Empfänger das Dokument tatsächlich zukommt. Das Lesen eines elektronischen Dokuments durch den formellen Empfänger (Geschäftsführer), das fälschlicherweise in die Databox des materiellen Empfängers (GmbH) eingelegt wurde, kann zur Heilung eines Zustellmangels führen, wenn der Geschäftsführer dazu die Zugangsdaten der GmbH nutzt.
15)VwGH 28. 5. 2010, 2004/10/0082.
16)VwGH 28. 5. 2010, 2004/10/0082.
17)VwGH 21. 4. 2010, 2007/03/0173.
18)OGH 14. 9. 2000, 2 Ob 4/00b.
19) Stumvoll in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 II/2, § 16 ZustG Rz 18; Wessely in FrauenbergerPfeiler/Riesz/Sander/Wessely (Hrsg), Österreichisches Zustellrecht3 (2023) §16 ZustG Rz4.
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Meldepflichtverletzung nach §15 WiEReG
Meldepflichtverletzungen nach §15 Abs1 Z2 WiEReG – Strafpraxis und Grundsatzüberlegungen
Michaela Schmutzer*)
Gemäß §15 Abs1 Z2 WiEReG macht sich eines Finanzvergehens schuldig, wer seiner Meldepflicht (§5) trotz zweimaliger Aufforderung nicht nachkommt und ist bei vorsätzlicher Begehung mit einer Geldstrafe bis zu 200.000 Euro zu bestrafen. Wer die Tat grob fahrlässig begeht, ist mit einer Geldstrafe bis zu 100.000 Euro zu bestrafen. BFG 20. 4. 2023, RV/2300006/2022; Revision nicht zugelassen.
BFG 14. 12. 2023, RV/2300002/2023; 9.1.2023, RV/7300022/2023; RV/7300023/2023; Revisionen nicht zugelassen.
§§5 Abs2 Z1, 15 Abs1 Z2 WiEReG
1.Die Fälle
1.1.Fall 1: RV/2300002/2023
Am 13. 2. 2018 wäre eine Erstmeldung für die vom Beschwerdeführer (Bf) geführte GmbH nach §5 WiEReG vorzunehmen gewesen, die unterblieben ist.
Die Anmeldung vom 29. 5. 2018 wurde durch den Beschuldigten im Unternehmensserviceportal durchgeführt.
Am 18. 5. 2020 ist bei der Behörde eine neuerliche Anmeldung des Bf zu Finanzonline für diese GmbH eingegangen.
Am 10. 2. 2021 wäre wiederum eine jährliche Meldung nach §5 WiEReG zu erstatten gewesen, die ebenfalls unterblieben ist.
Am 28. 2. 2021 erging eine Erinnerung an die vom Bf vertretene GmbH, die zH des Bf adressiert und am 28. 2. 2021 an die Databox zugestellt wurde. Nach Auskunft der DIBEVerfahrensbetreuung vom 2. 2. 2022 wurde diese Erinnerung nicht gelesen und nach einem halben Jahr (am 5. 9. 2021) automatisch aus der Databox gelöscht.
Am 17. 5. 2021 wurde ein Bescheid über die Festsetzung einer Zwangsstrafe erlassen und an die Databox zugestellt. Er enthielt die Aufforderung, bis 8. 7. 2021 die versäumte Meldung vorzunehmen. Diese Aufforderung stellt die zweite Erinnerung da.
Mit Verständigung vom 26. 7. 2021 wurde gegen den Bf ein Finanzstrafverfahren anhängig gemacht und am 28. 7. 2021 nach Zustellung der Einleitung des Verfahrens die Nachmeldung vorgenommen.
Der Bescheid vom 17. 5. 2021 wurde erst am 18. 1. 2022 gelesen.
Der Beschuldigte wurde durch den Spruchsenat wegen vorsätzlicher Verletzung der Meldeverpflichtung verurteilt und über ihn eine Geldstrafe iHv 10.000 Euro verhängt sowie für den Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 14 Tagen ausgesprochen. Es wäre lediglich zu melden gewesen, dass sich nicht geändert habe.
*)Dr. Michaela Schmutzer ist Richterin des Bundesfinanzgerichtes.
1.2.Fall 2: RV/7300022/2023
Zu der nicht vorgenommenen Erstmeldung scheint im Register als Säumigkeitstag der 13. 2. 2018 auf. Die erste Mahnung wurde am 29. 8. 2018 an die SID (Subjekt-Identifikationsnummer) des steuerlichen Vertreters zugestellt, sie wurde am 29. 8. 2018 auch gelesen.
Die zweite Erinnerung wurde am 16. 1. 2019 wiederum an die SID des steuerlichen Vertreters zugestellt und am selben Tag gelesen. Am nächsten Tag wurde das Vollmachtsverhältnis beendet.
Am 21. 10. 2019 hat eine neue steuerliche Vertretung übernommen.
Am 25. 8. 2021 wurden gegen den Bf und den belangbaren Verband das Finanzstrafverfahren eingeleitet.
Am 1. 9. 2022 hat der Beschuldigte an die steuerliche Vertretung eine Mail geschrieben, dass eine Meldung nach dem WiEReG vorzunehmen sei und ua auch festgehalten, dass ihm eine Aufforderung zur Abgabe der WiEREG-Meldung nicht zugegangen sei.
Am 6. 9. 2022 wurde die Nachmeldung vorgenommen.
Der Beschuldigte wurde durch den Spruchsenat der grob fahrlässigen Meldepflichtverletzung schuldig erkannt und mit einer Geldstrafe iHv 6.000 Euro bedacht. Für den Nichteinbringungsfall wurde die Ersatzfreiheitsstrafe mit 15 Tagen bemessen.
Über den belangten Verband wurde eine Geldbuße iHv 5.000 Euro verhängt.
Der Amtsbeauftragte hat gegen das Erkenntnis, das auch Einstellungen der Verfahren zu anderen Anlastungen beinhaltet hat, Beschwerde erhoben, zudem wurde beantragt auf einen Schuldspruch wegen vorsätzlicher Verletzung der Meldepflicht zu verbösern. Auch in diesem Fall wäre zu melden gewesen, dass sich nichts geändert habe.
2.Die Entscheidungen
2.1.Rechtsgrundlagen
Gemäß §15 Abs1 Z2 WiEReG macht sich eines Finanzvergehens schuldig, wer seiner Meldepflicht (§5) trotz zweimaliger Aufforderung nicht nachkommt und ist bei vorsätzlicher Begehung mit einer Geldstrafe bis zu 200.000 Euro zu bestrafen. Wer die Tat grob fahrlässig begeht, ist mit einer Geldstrafe bis zu 100.000 Euro zu bestrafen.
Gemäß §5 WiEReG haben die Rechtsträger die in Abs1 dieser Bestimmung genannten Daten über ihre wirtschaftlichen Eigentümer an die Bundesanstalt Statistik Österreich als Auftragsverarbeiterin der Registerbehörde zu melden.
Abs2: Die Meldung der in Abs1 genannten Daten hat von den Rechtsträgern im elektronischen Wege über das Unternehmensserviceportal (§1 USPG) an die Bundesanstalt Statistik Österreich als Auftragsverarbeiterin der Registerbehörde zu erfolgen. Eine Übermittlung der Daten durch berufsmäßige Parteienvertreter gemäß §5 Abs1 Z2 USPG ist zulässig.
Gemäß §3 Abs3 WiEREG haben die Rechtsträger die Sorgfaltspflichten gemäß Abs1 zumindest jährlich durchzuführen und dabei angemessene, präzise und aktuelle Informationen über die wirtschaftlichen Eigentümer, einschließlich genauer Angaben zum wirtschaftlichen Interesse, einzuholen und zu prüfen, ob die an das Register gemeldeten wirtschaftlichen Eigentümer noch aktuell sind.
Gemäß §3 Abs1 VbVG ist ein Verband unter den weiteren Voraussetzungen des Abs2 oder des Abs3 für eine Straftat verantwortlich, wenn erstens die Tat zu seinen Gunsten begangen worden ist oder zweitens durch die Tat Pflichten verletzt worden sind, die den Verband treffen.
Abs2: Für Straftaten eines Entscheidungsträgers ist der Verband verantwortlich, wenn der Entscheidungsträger als solcher die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen hat.
Gemäß §8 Abs1 FinStrG handelt vorsätzlich, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.
Abs3: Grob fahrlässig handelt, wer ungewöhnlich und auffallend sorgfaltswidrig handelt, sodass der Eintritt eines dem gesetzlichen Tatbild entsprechenden Sachverhaltes als geradezu wahrscheinlich vorhersehbar war.
2.2.Objektiver Tatbestand, bewirkte Meldepflichtverletzungen
Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach §15 Abs1 Z2 WiEReG sind eine zumindest grob fahrlässige Verletzung einer Meldepflicht gemäß §5 WiEReG sowie zweimalige Aufforderungen dieser nachzukommen.
Die Aufforderungen, der versäumten Meldepflicht nachzukommen wurden jeweils über FinanzOnline in die Databox zugestellt, wobe i im ersten Fall der Beschuldigte die Zugangsdaten zur Databox hatte, im zweiten Fall der steuerliche Vertreter, der jedoch nicht mit einer Wahrnehmung der Meldung beauftragt war.
Die gesetzlichen Vorgaben für den objektiven Tatbestand waren in beiden Fällen erfüllt, die Schuldsprüche wurden durch das BFG berichtigt (siehe dazu Punkt 2.3.)
2.3.Täter und subjektive Tatseite
Beide Beschuldigte fungierten als handelsrechtlich Verantwortliche der Gesellschaften (im Fall 1 handelte es sich um eine KG und Co KG, im Fall 2 um eine GmbH) für die jeweils eine Meldeverpflichtung wahrzunehmen war.
Die GmbH traf in Fall 2 die Verbandsverantwortlichkeit für die durch ihren Entscheidungsträger rechtswidrig und schuldhaft begangene Meldepflichtverletzung.
Zu RV/2300006/2022, 20. 4. 2023 hat der VwGH in seinem ersten Erkenntnis zu einem Finanzstrafverfahren nach dem WiEReG ausgeführt:
„Es entspricht der Rechtsprechung (zur Wiedereinsetzung), dass etwa das ungeöffnete Liegenlassen eines zugestellten Poststückes den minderen Grad des Versehens übersteigt (vgl. VwGH 24.1.2023, Ra 2022/11/0197). Das ungelesene Ablegen oder Weiterreichen eines Schriftstückes durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter ist als auffallend sorglos zu werten (vgl. RIS-Justiz RS0036811; RS0116536). Dass bei der Kenntnis der Verpflichtung zur Meldung nach §5 Wi EReG 2017 das (bloße) Nicht Lesen einer wirksam in der Databox zugestellten Aufforderung – ohne Vorliegen rechtfertigender oder entschuldigender Umstände – den minderen Grad des Versehens überschreitet, ist jedenfalls vertretbar.“ 1)
Demnach wurde auch zu Fall 1 wiederum erkannt, dass der Beschuldigte grob fahrlässig als Verantwortlicher der Einhaltung der Meldepflicht der Gesellschaft gemäß §5 WiEReG zum 10. 2. 2021 trotz zweimaliger Erinnerung vom 28. 2. 2021 und vom 17. 5. 2021 im Zeitraum vom 8. 7. 2021 bis 28. 7. 2021 nicht nachgekommen ist.
Er hat es unterlassen, Einsicht in die Databox zu nehmen und war daher grob fahrlässig in Unkenntnis der an ihn ergangenen Erinnerungen.
1)VwGH 24. 8. 2023, Ra 2023/13/0066, siehe dazu auch Schmutzer, Meldepflichtverletzung nach §15 Wirtschaftliche Eigentümer Registergesetz (WiEReG) BFGjournal 2023, 135ff; Starl, Beharrliche Nichtabgabe der WiEReG-Jahresmeldung: Keine Kenntnis von den rechtswirksam zugestellten Aufforderungsschreiben, ZWF 2023, 260ff.
Im zweiten Fall wurde der Beschuldigte ua schuldig erkannt, gemäß §5 WiEReG vorsätzlich eine Meldepflicht verletzt zu haben, da zum 15. 1. 2018 eine Meldeverpflichtung gegeben war, zu der am 13. 2. 2018 die Säumigkeit eintrat und trotz zweimaliger Erinnerungen zwischen 26. 4. 2019 bis 6. 9. 2022 keine Meldung erstattet wurde.
Gemäß §28a Abs2 FinStrG iVm §3 Abs1 und 2 (VbVG) wurde die GmbH als belangter Verband (§1 Abs2 VbVG) für die Meldepflichtverletzung nach §5 WiEReG, begangen durch ihren Entscheidungsträger, nach §15 Abs1 Z2 WiEReG zu einer Meldeverpflichtung zum 15. 1. 2018, zu der am 13. 2. 2018 die Säumigkeit eintrat und trotz zweimaliger Erinnerungen zwischen 26. 4. 2019 bis 6. 9. 2022 vorsätzlich keine Meldung erstattet wurde, verantwortlich erkannt, da durch diese Tat eine Pflicht verletzt worden ist, die den Verband getroffen hat und der Entscheidungsträger die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen hat.
Verletzungen von Meldepflichten stellen nach ständiger Judikatur des VwGH Dauerdelikte dar, die erst mit Nachmeldung enden.2) Es ist daher hinsichtlich der subjektiven Tatseite auch relevant, dass trotz Einleitung des Finanzstrafverfahrens gegen den Beschuldigten und den belangten Verband noch fast genau ein Jahr vergangen ist, bis endlich eine Nachmeldung erfolgte.
Das Finanzvergehen nach §15 Abs1 Z2 WiEReG war mit Nichteinhaltung der mittels der zweiten Erinnerung gesetzten Frist vollendet, jedoch erst mit Nachmeldung beendet.
Da mit der Zustellung der Einleitungsverfügung bekannt war, dass ein Finanzvergehen verfolgt wird und dennoch wiederum nicht gehandelt wurde, liegt Vorsatz als subjektive Tatseite vor.
Ab Zustellung der Einleitung des Finanzstrafverfahrens an ihn hat es der Beschuldigte nach Ansicht des Senates somit zumindest ernstlich für möglich gehalten, dass ihn eine Meldeverpflichtung getroffen habe, der er bereits in einem Ausmaß nicht nachgekommen sei, dass Strafbarkeit eingetreten sei und er hat sich durch weiteres Nichthandeln wegen Unterlassung der Beendigung der Pflichtverletzung mit dieser auch abgefunden.
2.4.Strafbemessung
2.4.1.Rechtsgrundlagen
Gemäß §23 Abs1 FinStrG ist Grundlage für die Strafbemessung die Schuld des Täters.
§23 Abs2 FinStrG: Bei der Bemessung der Strafe sind die Erschwerungs- und die Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Dabei ist darauf Bedacht zu nehmen, ob es dem Täter darauf angekommen ist, sich oder einem Verband, als dessen Entscheidungsträger er gehandelt hat, durch die wiederkehrende Begehung der Tat eine nicht nur geringfügige fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Eine wiederkehrende Bege hung liegt vor, wenn der Täter bereits zwei solche Taten begangen hat oder einmal wegen einer solchen Tat bestraft worden ist. Ebenso ist bei der Bemessung der Strafe darauf Bedacht zu nehmen, ob die Verkürzung oder der Abgabenausfall endgültig oder nu r vorübergehend hätte eintreten sollen. Im Übrigen gelten die §§32 bis 35 StGB sinngemäß.
§23 Abs3 FinStrG: Bei der Bemessung der Geldstrafe sind auch die persönlichen Verhältnisse und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Täters zu berücksichtigen.
§20 Abs1 FinStrG: Wird auf eine Geldstrafe oder auf Wertersatz erkannt, so ist zugleich die für den Fall der Uneinbringlichkeit an deren Stelle tretende Ersatzfreiheitsstrafe festzusetzen.
2)Siehe zuletzt VwGH 22. 7. 2019, Ra 2019/02/0130; 17. 5. 2023, Ro 2021/13/0023; 29. 8. 2023, Ro2022/02/0013.
§20 Abs2 FinStrG: […] Bei Finanzvergehen, deren Ahndung in den Fällen des §58 Abs2 lita dem Spruchsenat vorbehalten ist, dürfen die Ersatzfreiheitsstrafen das Höchstmaß von je drei Monaten und bei den übrigen Finanzvergehen das Höchstmaß von je sechs Wochen nicht übersteigen.
Gemäß §21 Abs1 FinStrG gilt, hat jemand durch eine Tat oder durch mehrere selbständige Taten mehrere Finanzvergehen derselben oder verschiedener Art begangen und wird über diese Finanzvergehen gleichzeitig erkannt, so ist auf eine einzige Geldstrafe, Freiheitsstrafe oder Geld- und Freiheitsstrafe zu erkennen. Neben diesen Strafen ist auf Verfall oder Wertersatz zu erkennen, wenn eine solche Strafe auch nur für eines der zusammentreffenden Finanzvergehen angedroht ist.
Abs2: Die einheitliche Geld- oder Freiheitsstrafe ist jeweils nach der Strafdrohung zu bestimmen, welche die höchste Strafe androht. Es darf jedoch keine geringere Strafe als die höchste der in den zusa mmentreffenden Strafdrohung en vorgesehenen Mindeststrafen verhängt werden. Hängen die zusammentreffenden Strafdrohungen von Wertbeträgen ab, so ist für die einheitliche Geldstrafe die Summe dieser Strafdrohungen maßgebend. Ist in einer der zusammentreffenden Strafdrohungen Geldstrafe, in einer anderen Freiheitsstrafe oder sind auch nur in einer von ihnen Geld- und Freiheitsstrafen nebeneinander angedroht, so ist, wenn beide Strafen zwingend vorgeschrieben sind, auf eine Geldstrafe und auf eine Freiheitsstrafe zu erkennen. Ist eine von ihnen nicht zwingend angedroht, so kann sie verhängt werden.
Gemäß §28a Abs2 FinStrG sind für von der Finanzstrafbehörde zu ahndende Finanzvergehen von Verbänden sind die §§2, 3, 4 Abs.1, 5, 10, 11 und 12 Abs.2 des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes sinngemäß anzuwenden. Die Verbandsgeldbuße ist nach der für das Finanzvergehen, für das der Verband verantwortlich ist, angedrohten Geldstrafe zu bemessen. Im Übrigen gelten die Bestimmungen dieses Abschnittes, soweit sie nicht ausschließlich auf natürliche Personen anwendbar sind.
Gemäß §5 Abs1 VbVG sind bei der Bemessung der Höhe der Geldbuße Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Höhe der angedrohten Geldbuße bestimmen, gegeneinander abzuwägen.
Abs2: Die Geldbuße ist umso höher zu bemessen;
1.je größer die Schädigung oder Gefährdung ist, für die der Verband verantwortlich ist;
2.je höher der aus der Straftat vom Verband erlangte Vorteil ist;
3.je mehr gesetzwidriges von Mitarbeitern geduldet oder begünstigt wurde.
Abs3: Die Geldbuße ist insbesondere geringer zu bemessen, wenn
1.der Verband schon vor der Tat Vorkehrungen zur Verhinderung solcher Taten getroffen oder Mitarbeiter zu rechtstreuem Verhalten angehalten hat;
2.der Verband lediglich für Straftaten von Mitarbeitern verantwortlich ist (§3 Abs3);
3.er nach der Tat erheblich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat;
4.er die Folgen der Tat gutgemacht hat;
5.er wesentliche Schritte zur zukünftigen Verhinderung ähnlicher Taten unternommen hat;
6.die Tat bereits gewichtige rechtliche Nachteile für den Verband oder seine Eigentümer nach sich gezogen hat.
Gemäß §25 Abs1 FinStrG hat die Finanzstrafbehörde von der Einleitung oder von der weiteren Durchführung eines Finanzstrafverfahrens und von der Verhängung einer Strafe abzusehen, wenn das Verschulden des Täters geringfügig ist und die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat. Sie hat jedoch dem Täter mit Bescheid eine Verwarnung zu erteilen, wenn dies geboten ist, um ihn von weiteren Finanzvergehen abzuhalten.
2.4.2.Strafbemessung bei Fall 1
Die Meldepflichtverletzungen nach dem WiEReG sind unter hohe Strafdrohungen gestellt, daraus ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber diesen Meldeverpflichtungen besondere Wichtigkeit unterstellt, dem seitens der Meldeverpflichteten eben auch mit entsprechender Sorgfalt hinsichtlich der Wahrnehmung der ihnen übertragenen Pflichten begegnet werden sollte.
„Unbedeutende Folgen“ werden bei Verkürzungsdelikten am strafbestimmenden Wertbetrag festgemacht, dies kann naturgemäß auf Meldepflichtverletzungen nicht zutreffen.
Bei Unterlassung einer Meldung, dass keine Änderung eingetreten ist, kann man zwar von unbedeutenden Folgen ausgehen, jedoch sind für ein Absehen von einer Bestrafung zwei gesetzliche Vorgaben zu erfüllen und das Vorliegen des geringfügigen Verschuldens des Täters wird unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es bereits zur geforderten Meldung für das Jahr 2018 zu einer Versäumnis kam (die jedoch wegen einer Zustellproblematik nicht zu einer Bestrafung geführt hat) nicht erfüllt.
Eine Geldstrafe nach §15 WiEReG ist im Rahmen des freien Ermessens nach dem Verschuldensgrad eines Täters unter Berücksichtigung von Erschwerungs- und Milderungsgründen in der gesamten Bandbreite einer Strafdrohung ausmessbar.3)
§15 Abs1 Z4 WiEReG wurde 2023 dahingehend novelliert, dass nur noch eine unterlassene Offenlegung unter diese Norm fällt. Eine unrichtige oder unvollständige Meldung oder unterlassene Änderungen der Angaben über bereits offengelegte wirtschaftliche Eigentümer stellen jeweils (bei vorsätzlichem Verhalten) lediglich Finanzordnungswidrigkeiten mit einer Strafdrohung von (nur) bis zu 25.000 Euro dar.
Verfahrensgegenständlich war einer Meldeverpflichtung nachzukommen und lediglich bekanntzugeben, dass sich nichts geändert habe. Dieser Verpflichtung ist der Bf schon 2018 bei der Erstmeldung nicht ordnungsgemäß nachgekommen und eben 2021 wiederum nicht. Nach den Vorgaben für eine Strafbarkeit dieser Unterlassung bestand das strafbare Verhalten jedoch lediglich in einem Zeitraum von drei Wochen bis zur Nachmeldung, wobei der Handlungspflicht fast ein halbes Jahr nicht nachgekommen wurde.
Fahrlässig begangene Finanzordnungswidrigkeiten sind dem Finanzstrafsystem fremd.
Wenn man jedoch die Strafdrohung für eine Finanzordnungswidrigkeit rein gedanklich auf ein grob fahrlässiges Verhalten zu einer unterlassenen Meldung trotz zweimaliger Erinnerung umlegt, ergäbe sich eine Anna hme einer Strafwürdigkeit im Fall einer Meldepflichtverletzung zu einer Meldepflicht, dass sich ohnehin nichts geändert habe, bis 12.500 Euro.
Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es hinsichtlich der Gesellschaft zu keinen weiteren Finanzvergehen kommen wird, da sie bereits aufgelöst wurde, das Verschulden zwar nicht unbedeutend ist, jedoch die Folgen der Meldepflichtverletzung in diesem Fall nur in der Verletzung einer „Formerfüllungsverpflichtung“ zu sehen sind und den nicht mehr bestehenden spezialpräventiven Überlegungen zur Person des Bf, der sich in einem langen Erwerbsleben bisher nichts zu Schulden kommen hat lassen, wie der Berücksichtigung seiner allerdings mehr als durchschnittlich gu ten Einkommenslage, hat der Senat eine Geldstrafe von 3.000 Euro als angemessen erachtet.
Die Ersatzfreiheitsstrafe wurde auch den gesetzlichen Vorgaben des §20 FinStrG folgend, wonach bei beantragter Zuständigkeit des Spruchsenates stets zu beachten ist, dass die Ersatzfreiheitsstrafdrohung bei sechs Wochen verbleibt, überproportional zum Ausspruch des Spruchsenates auf drei Tage reduziert.
3)Zu Zwangsstrafen in WiEReG-Verfahren siehe VwGH 15. 12. 2022, Ra 2022/13/0023.
2.4.3.Strafbemessung bei Fall 2
Als mildernd wertete der Spruchsenat beim Beschuldigten den ordentlichen Lebenswandel, die inhaltlich geständige Verantwortung und den Umstand, dass letztlich die WiEReG-Meldung erstattet wurde; erschwerend, das Unterbleiben der WiEReG-Meldung über mehrere Jahre.
Hinsichtlich der Geldbuße des Verbandes wurde zudem mildernd berücksichtigt, dass der Beschuldigte als geschäftsführender Gesellschafter gleichzeitig bestraft wurde (Milderungsgrund nach §5 Abs2 Z6 VbVG).
Der Senat des BFG kam zum Schluss, dass dem Beschuldigten Vorsatz als Schuldform anzulasten ist und den belangten Verband demnach eine Verbandsverantwortlichkeit für eine durch seinen Entscheidungsträger vorsätzlich begangene Meldepflichtverletzung trifft, womit sich die Strafdrohung verdoppelt hat. Gemäß §21 Abs1 FinStrG war über den Beschuldigten zudem eine einheitliche Geldstrafe für die Verletzung der Meldeverpflichtung und die durch ihn begangenen Finanzvergehen der Finanzordnungswidrigkeiten (acht Taten) bei einer weiteren durch ihn vertretenen Gesellschaft auszumessen.
Die Geldstrafe wurde mit 15.000 Euro bestimmt (30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) und die Geldbuße mit 6.000 Euro.
Auf den Punkt gebracht
• Eine Geldstrafe nach §15 WiEReG ist im Rahmen des freien Ermessens nach dem Verschuldensgrad eines Täters unter Berücksichtigung von Erschwerungs- und Milderungsgründen in der gesamten Bandbreite der jeweiligen Strafdrohung ausmessbar.4)
• Die Ersatzfreiheitsstrafdrohung beträgt bei Zuständigkeit des Spruchsenates nach §58 Abs2 lita FinStrG drei Monate, bei beantragter Zuständigkeit des Spruchsenates nach §58 Abs2 litb FinStrG jedoch nur sechs Wochen.
• Beim Zusammentreffen von Vergehen nach dem FinStrG mit einer Meldepflichtverletzung nach dem WiEReG wird die höchste Strafdrohung regelmäßig nach dem WiEReG bestehen, daher ist eine Geldstrafe nach §15 WiEReG iVm §21 Abs2 FinStrG zu bestimmen.
• In Verwaltungsstrafverfahren bestehen Strafdrohungen pro begangener Tat. Das FinStrG sieht jedoch eine einheitliche Geldstrafe für alle begangene Finanzvergehen vor, über die jeweils in einer Entscheidung abzusprechen ist.
• Demnach decken die exorbitanten Strafdrohungen des WiEReG auch ab, dass „Multifunktionäre“ Meldeverpflichtungen zu mehreren von ihnen vertretenen Gesellschaften nicht nachkommen können.
• Mildernd wurde durch das BFG bisher die schlechte wirtschaftliche Lage eines Beschuldigten oder eines belangbaren Verbandes berücksichtigt.
• Weitere Milderungsgründe waren Unbescholtenheit, Geständnis, der Umstand, dass lediglich zu melden war, dass sich nichts geändert habe, rasche Nachmeldung nach tatsächlicher Kenntnisnahme der Verletzung der Meldeverpflichtung trotz der Erinnerungen, keine spezialpräventiven Überlegungen mehr, wenn der vertretene Verband aufgelöst wurde oder den Beschuldigten bereits altersbedingt wegen Ausscheidens aus handelsrechtlichen Verpflichtungen auch keine Meldeverpflichtungen mehr treffen können, entgeltlose Übernahme der Meldeverpflichtung durch einen Vertreter, bereits erfolgte Entrichtung der Zwangsstrafen durch den Vertreter, der entgeltlos tätig wurde.
4)Zum Thema Strafbemessung siehe auch Trettenhahn/Zauner, BFG: Strafbemessung bei Meldepflichtverletzung gem §15 Abs1 Z2 WiEReG, ZSS2023, 86ff.
• Erschwerend wäre das Zusammentreffen mit anderen Finanzvergehen, höheres Verschulden wegen längeren Untätigbleibens trotz Kenntnis der Erinnerungen, einschlägige Vorstrafe, Meldepflichtverletzungen bei mehreren vertretenen Verbänden, gänzlich unterlassene Nachmeldung.
• Die bisher durch das BFG ausgesprochenen oder bestätigten Geldstrafen und Geldbußen für grob fahrlässige Verletzungen der Meldeverpflichtung nach §5 WiEReG betragen 3.000 Euro bis 5.000 Euro. Zu vorsätzlichen Meldepflichtverletzungen gibt es bisher kein Judikat zu einer Strafbemessung für ein einzelnes Vergehen dazu.
• Zu bedenken ist jedoch, dass das BFG keine eigene Spruchpraxis zu Strafen nach dem WiEReG oder FinStrG schaffen kann, da eine Bindung an die Sache des Verfahrens, vorgegeben durch ein Erkenntnis der Finanzstrafbehörde (des Einzelrichters oder des Spruchsenates) und einen Anfechtungsumfang, besteht und oft ein Verböserungsverbot greift. Bei reinen Strafbes chwerden eines Beschuldigten, eines belangten Verbandes sind mitunter nur weitere Milderungsgründe berücksichtigbar.
• §23 Abs4 FinStrG mit der Bestimmung einer Mindestgeldstrafe für Verkürzungsdelikte kann bei einer Meldepflichtverletzung keine Anwendung finden, gibt jedoch ebenfalls die Vorstellung des Gesetzgebers von seinen Mindestansprüchen an eine Sanktion wieder und kann daher in die Betrachtungen für eine Entscheidungsfindung für eine angemessene Strafe miteinbezogen werden. Ebenso kann gedanklich bei einer Strafbemessung miteinbezogen werden, dass der Gesetzgeber nunmehr eine deutliche Abstufung in den Strafdrohungen bei Unterlassung einer Offenlegung eines wirtschaftlichen Eigentümers und einer Unterlassung der Meldung von Änderungen zu bekannten wirtschaftlichen Eigentümern vorgenommen hat.
• Von geringem Verschulden als Anspruchserfordernis für ein Absehen von einer Bestrafung nach §25 FinStrG kann nur dann gesprochen werden, wenn das Verhalten des Täters erheblich hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten üblichen Unrechts- und Schuldgehalt zurückbleibt.5)
• Die exorbitant hohen Strafdrohungen sind auch bei generalpräventiven Überlegungen zu berücksichtigen.
5)VwGH 16. 9. 2010, 2010/09/0141.
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