Susanne Kalss
Beschlussmängel in Personengesellschaften
Roman Perner/Zurab Simonishvili
Das neue EU-Umgründungsgesetz
Anita Gassner
Grenzüberschreitende nicht verhältniswahrende Spaltungen
Fabian Aubrunner/Susanne Reder
MiCAR: Das Whitepaper bei sonstigen Kryptowerten
Jakob Jaritz
Sanktionen und Sorgfaltspflichten
Susanne Kalss
Unternehmensstiftungen in Europa
Fabian Aubrunner/Georg Brameshuber/Florian Ebner
Tagungsbericht zur 1. Digital Assets Rechtstagung
Aus der aktuellen Rechtsprechung
OGH-Entscheidungen zu Personen- und Kapitalgesellschaften sowie Genossenschaften
Unternehmensrecht aktuell
Wichtige Gesetzesvorhaben im Überblick
Österreichische und europäische Finanzmarktaufsicht
Herausgegeben von Nikolaus Arnold und Susanne Kalss GesRZ
52. Jahrgang / Juni 2023 / Nr. 3
Relevante Fragen und aktuelle Entwicklungen im Konzern
Der Konzern im Gesellschaftsund Steuerrecht inkl.
Ergänzungsband 2023
RUHM | KERBL | BERNWIESER (HRSG.)
2023
1.168 Seiten, geb. + 264 Seiten, kart. 978-3-7073-4727-2
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Steuern. Wirtschaft. Recht.
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Long Time No See (Fragen zu virtuellen Versammlungen)
Die Durchführung der Versammlungen von Gesellschaftern und Organmitgliedern in virtueller (oder – in jüngerer Zeit auch vermehrt – hybrider) Form wurde in Zeiten von COVID-19 zum Regelfall. Die Grundlage virtueller Versammlungen wurde pandemiebedingt durch das COVID-19-GesG samt näherer Ausgestaltung durch die COVID-19-GesV geschaffen. Diese Sonderregelungen laufen allerdings mit Ende Juni 2023 aus. Die Abhaltung virtueller Versammlungen hat sich in der Praxis durchaus bewährt. Es soll daher auch in Zukunft ermöglicht werden, virtuelle und hybride Gesellschafterversammlungen abzuhalten. Zu diesem Zweck wird ein eigenes Bundesgesetz über die Durchführung virtueller Gesellschafterversammlungen (Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz – VirtGesG) geschaffen (im Zeitpunkt der Drucklegung lag die RV 2094 BlgNR 27. GP vor; die Ausführungen beziehen sich daher auf den dort vorgeschlagenen Gesetzestext).
Das VirtGesG gilt nur für Gesellschafterversammlungen (iwS). Die ausdrückliche Ermöglichung virtueller Versammlungen von Organmitgliedern, so wie dies das COVID-19-GesG vorgesehen hatte, fehlt daher. Das ist auf den ersten Blick schwer nachvollziehbar. Die Gesetzesmaterialien führen dazu aus, dass es durch das VirtGesG zu keinerlei Einschränkungen von bereits bisher bestehenden Möglichkeiten kommen soll, Versammlungen ohne Anwesenheit der Teilnehmer abzuhalten. Dies werde auch für Versammlungen von Organmitgliedern durch §1 Abs8 VirtGesG klargestellt (ErlRV 2094 BlgNR 27. GP, 2). Es ist zwar richtig, dass zu Organsitzungen (insb zum Aufsichtsrat) bereits bisher vertreten wurde, dass die Grundsätze des §2 COVID-19-GesV verallgemeinerungsfähig sind (Kalss in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3 [2021] §93 Rz6). Es wurde dazu aber auch ausdrücklich die Hoffnung geäußert, dass vergleichbare Regelungen auch nach den COVID-19-Sonderbestimmungen bestehen bleiben (N. Arnold, PSG4 [2022] §28 Rz28a). Der Gesetzgeber hat damit die Chance ausgelassen, die Zulässigkeit von virtuellen und hybriden Versammlungen von Organmitgliedern ausdrücklich zu verankern. Wäre die Rechtslage schon bisher so klar und eindeutig gewesen, dass Versammlungen von Organmitgliedern jedenfalls in virtueller oder hybrider Form abgehalten werden können, wären die Sonderregelungen für Versammlungen von Organmitgliedern im COVID-19-GesG gar nicht erforderlich gewesen. Offen bleibt damit nämlich auch, ob der Gesetzgeber eine Verankerung der Zulässigkeit von Versammlungen von Organmitgliedern in virtueller oder hybrider Form in der Rechtsgrundlage des Rechtsträgers (Satzung, Gesellschaftsvertrag etc) ausdrücklich für erforderlich ansieht oder ob Versammlungen von Organmitgliedern auch ohne Verankerung in der Satzung (iwS) möglich sind.
In der Firmenbuchpraxis werden Regelungen zur Möglichkeit der Abhaltung von Versammlungen von Organmitgliedern in virtueller oder hybrider Form regelmäßig akzeptiert. Das ist auch gut und praxiskonform. Es besteht aber keine allgemeine gesetzliche Bestimmung (wie §1 Abs8 VirtGesG vermuten lässt), nach der virtuelle und hybride Versammlungen von Organmitgliedern bei allen Rechtsformen auch ohne Verankerung in der Satzung etc ausdrücklich für zulässig erklärt werden. So lautet §28 Z3 PSG bspw, dass ein Stiftungsorgan, das aus mindestens drei Mitgliedern besteht, seine Beschlüsse schriftlich fassen kann, wenn kein Mitglied widerspricht; zu Sitzungen von Organen enthält es keine Regelung. Die insoweit verbleibende Rechtsunsicherheit hätte man im VirtGesG leicht beseitigen können.
Generell entfallen ist die Möglichkeit der Abhaltung virtueller Versammlungen ohne Verankerung im Gesellschaftsvertrag. Die Abhaltung von Gesellschafterversammlungen in virtueller oder hybrider Weise setzt damit auch die Aufnahme entsprechender Bestimmungen in den Gesellschaftsvertrag voraus.
Das VirtGesG fordert bei Gesellschafterversammlungen für die virtuelle Teilnahme das Bestehen akustischer und optischer Zweiwegverbindungen in Echtzeit. Die Möglichkeit, dass einzelne, höchstens jedoch die Hälfte der Teilnehmer, die nicht über die technischen Mittel für eine akustische und optische Verbindung mit der virtuellen Versammlung verfügen oder diese Mittel nicht verwenden können oder wollen, nur akustisch zugeschaltet sind (siehe §2 Abs2 COVID-19-GesV), ist damit entfallen.
Das VirtGesG unterscheidet zwischen einfachen virtuellen Versammlungen (§2 VirtGesG), moderierten virtuellen Versammlungen (§3 VirtGesG) und hybriden Versammlungen (§4 VirtGesG). Im Gesellschaftsvertrag kann (muss aber nicht) vorgesehen werden, dass stets eine Versammlung durchzuführen ist, bei der sich die einzelnen Teilnehmer zwischen einer physischen und einer virtuellen Teilnahme entscheiden können (hybride Versammlung) oder bei der die Entscheidung, ob eine hybride Versammlung durchgeführt wird, dem einberufenden Organ überlassen wird. Zum Ministerialentwurf (271/ME 27. GP, online abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/ME/271) wurden 60 Stellungnahmen eingereicht (siehe https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/ME/271?selectedStage=101). Diese fallen überwiegend positiv aus. Mehrfach wird aber die Sorge geäußert, dass etwa ältere Personen, die nicht über die technischen Möglichkeiten verfügen, an virtuellen Versammlungen teilzunehmen, kein Recht darauf haben, die Abhaltung einer (zumindest) hybriden Versammlung zu verlangen. Diese Sorge ist berechtigt. Bei Beschlussfassungen über Satzungsänderungen, die virtuelle Versammlungen ohne Möglichkeit des Verlangens auf Abhaltung in hybrider Form vorsehen, sollten die betroffenen Gesellschafter eine Anfechtung des Änderungsbeschlusses in Erwägung ziehen, wenn ihren berechtigten Einwendungen nicht Rechnung getragen wird. Auch die Treuepflicht kann es gebieten, auf Mitgesellschafter Rücksicht zu nehmen und ihnen eine Teilnahme an Versammlungen auch in Zukunft jedenfalls zu ermöglichen.
3/2023 133 Editorial
Die Gesellschaft ist für den Einsatz von technischen Kommunikationsmöglichkeiten nur insoweit verantwortlich, als diese ihrer Sphäre zuzurechnen sind (§2 Abs4 VirtGesG). Nach den Gesetzesmaterialien soll die Anfechtung eines Gesellschafterbeschlusses etwa dann möglich sein, wenn die von der Gesellschaft eingesetzte Videokonferenz-Software oder ihr Server versagt hat, nicht aber dann, wenn ein teilnehmender Gesellschafter individuelle Verbindungsprobleme hatte. Derartige Verbindungsprobleme sollten aber, so die Gesetzesmaterialien, insb bei einem überschaubaren Teilnehmerkreis zum Anlass für eine kurze Unterbrechung der virtuellen Versammlung genommen werden, um dem betroffenen Gesellschafter einen neuerlichen Verbindungsaufbau zu ermöglichen (ErlRV 2094 BlgNR 27. GP, 2f). Frei nach Eugen Roth: „Kurz ist ein sehr verschwommenes Wort.“
Das Risiko eines Ausfalls der Internetverbindung, des Überschreitens eines Datenvolumens, des Absturzes des eigenen Computers etc liegt damit weitestgehend beim einzelnen virtuell teilnehmenden Gesellschafter. ME ist das ein wesentlicher Schwachpunkt des Gesetzes. Dem einzelnen Gesellschafter wird es bei Vorliegen technischer Probleme nicht etwa ermöglicht, sich zumindest neuerlich telefonisch zuzuschalten. Das Gesetz fordert nämlich (im Gegensatz zur COVID-19-Rechtslage) –wie bereits erwähnt – immer eine akustische und optische Zweiwegverbindung in Echtzeit. So manche virtuelle Versammlung der letzten beiden Jahre konnte für die teilnehmende Person dadurch „gerettet“ werden, dass diese auf eine gute alte Telefonverbindung zurückgegriffen hat. Dieses Risikos muss sich der Gesellschafter bewusst sein und er sollte gerade bei heikleren Sitzungen dann, wenn eine persönliche Teilnahme möglich ist, eine solche (selbst oder über einen bevollmächtigten Vertreter) in Erwägung ziehen oder auf andere Weise für eine Art Sicherheitsnetz sorgen (etwa durch die Möglichkeit, einen anderen bevollmächtigten Vertreter zuzuschalten).
Das Gesetzesvorhaben ist grundsätzlich zu begrüßen. Einzelne Schwachstellen, die sich schon aus den Erfahrungswerten der letzten zwei Jahre deutlich zeigen, sollten aber nicht erst bei der geplanten Evaluierung im Jahr 2028 (siehe §8 Abs2 VirtGesG) behoben werden.
Wien, im Juni 2023 Nikolaus Arnold
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134 3/2023 Editorial
Steuern. Wirtschaft. Recht. Am Punkt.
UmgrStG | Umgründungssteuergesetz 2023 12. Aufl. 2023 1.682 Seiten, geb. digital erhältlich € 255,–€ 204,– * *Abopreis
Inhalt
Aus der aktuellen Rechtsprechung
Kernbereichslehre im Zusammenhang mit der Umgründung einer KG (OGH 24.3.2023, 6 Ob 233/22s, mit Anmerkung von Julia Nicolussi)........180
Zur Auslegung eines Personengesellschaftsvertrages nach einem Gesellschafterwechsel (OGH 17.2.2023, 6 Ob 211/22f, mit Anmerkung von Veronika Kubasta)................................................................................186
Auslegung des Gesellschaftsvertrages einer stillen Gesellschaft (OGH 17.2.2023, 6 Ob 11/23w)....................... .........191
Einlagenrückgewähr im Einzelfall verneint (OGH 9.8.2022, 6 Ob 234/21m, mit Anmerkung von Helene Hayden)................................191 Auslegung eines GmbH-Gesellschaftsvertrages:
Entsendungs- oder Nominierungsrecht (OGH 18.11.2022, 6 Ob 42/22b, mit Anmerkung von Susanne Kalss)..........................................................193
Zur Verjährung von Bereicherungsansprüchen für eine gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstoßende Gebrauchsüberlassung an einem Penthouse (OGH 18.11.2022, 6 Ob 112/22x, mit Anmerkung von Roman Alexander Rauter).........................................195
Aufforderung an den Geschäftsführer, gemäß § 88 Abs 3 GmbHG die Auflösung der Gesellschaft beim Firmenbuch anzumelden (OGH 18.11.2022, 6 Ob 179/22z).... ...........200
Entsprechende Betätigung des gewerberechtlichen Geschäftsführers im Betrieb (OGH 18.11.2022, 6 Ob 182/22s)....... ......200
Keine Amtshaftung für den Revisionsverband (OGH 14.7.2022, 1 Ob 91/22x, mit Anmerkung von Martin Oppitz)......................................201
Wirksame Zustellung an eine GmbH (OGH 21.11.2022, 8 Ob 139/22g)...212
Bestellung eines Nachtragsliquidators (OGH 27.1.2023, 1 Ob 242/22b)...212
Impressum
Periodisches Medienwerk: Der Gesellschafter – Zeitschrift für Gesellschafts- und Unternehmensercht. „Der Gesellschafter“ ist zu zitieren: GesRZ Kalenderjahr, Seite. Grundlegende Richtung: Diese Fachzeitschrift befasst sich mit Problemen auf allen Gebieten des Gesellschaftsund Unternehmensrechts anhand von Theorie und Praxis. Sie erscheint sechsmal jährlich, und zwar im Februar, April, Juni, August, Oktober und Dezember. Jahresabonnement 2023 (6 Hefte) zum Preis von € 224,20 (Print) bzw. € 258,– (Print & Digital) – jeweils inkl. MwSt., exkl. Versandspesen. Einzelheft 2023: € 53,60 (inkl. MwSt., exkl. Versandspesen). Unterbleibt die Abbestellung, so läuft das Abonnement um jeweils ein Jahr zu den jeweils gültigen Konditionen weiter. Abbestellungen sind nur zum Ende eines Jahrganges möglich und müssen bis spätestens 30. November schriftlich erfolgen. Nachdruck – auch auszugsweise – ist nur mit ausdrücklicher Bewilligung des Verlages gestattet. Es wird darauf verwiesen, dass alle Angaben in dieser Fachzeitschrift trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung des Verlages, der Herausgeber oder der Autoren ausgeschlossen ist.
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ISSN 0250-6440
Herausgeber und Redaktion:
Rechtsanwalt Dr. Nikolaus Arnold, 1010 Wien, Stoß im Himmel 1 Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Susanne Kalss, LL.M., 1020 Wien, Institut für Unternehmensrecht, WU, Welthandelsplatz 1
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DVR 0002356
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Herstellung Inhalt 3/2023 135
Long Time No See (Fragen zu virtuellen Versammlungen) ... 133 THOMAS BARTH / BENEDIKT HIRSCHLER Unternehmensrecht aktuell ......................................................... 136 SUSANNE KALSS Beschlussmängel in Personengesellschaften vor Gerichten und Schiedsgerichten..................................................................... 141 ROMAN PERNER / ZURAB SIMONISHVILI Das neue EU-Umgründungsgesetz.............................................. 148 ANITA GASSNER Überprüfung des Aufteilungsverhältnisses bei grenzüberschreitenden nicht verhältniswahrenden Spaltungen ................. 153 FABIAN AUBRUNNER / SUSANNE REDER MiCAR: Das Whitepaper bei sonstigen Kryptowerten ............ 158 JAKOB JARITZ Sanktionen und Sorgfaltspflichten .............................................. 166 SUSANNE KALSS Unternehmensstiftungen in Europa –nachhaltig ausgerichtete Eigentümer .. 173 FABIAN AUBRUNNER / GEORG BRAMESHUBER / FLORIAN EBNER Tagungsbericht zur 1. Digital Assets Rechtstagung .................... 177
NIKOLAUS ARNOLD
OGH
Unternehmensrecht aktuell
THOMAS BARTH UND BENEDIKT HIRSCHLER *
EU-Umgründungsgesetz
* Am 26.4.2023 wurde die Regierungsvorlage betreffend ein Bundesgesetz über grenzüberschreitende Umgründungen von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union (EUUmgründungsgesetz – EU-UmgrG)1 in den Nationalrat eingebracht. Durch das EU-UmgrG soll die Mobilitätsrichtlinie2 umgesetzt werden.
Im EU-UmgrG sollen alle Bestimmungen über die grenzüberschreitende Umwandlung, Verschmelzung und Spaltung – im Unterschied zu den rein inländischen Umgründungen –in einem einheitlichen Gesetz normiert werden.3 Wie bei nationalen Umgründungen sind diese Umgründungsarten auch nur auf Kapitalgesellschaften anwendbar. Bisher war ausschließlich die grenzüberschreitende Verschmelzung gesetzlich normiert. Das hierfür 2007 in Kraft getretene EU-VerschG tritt gem §70 Abs2 EU-UmgrG außer Kraft. Das EU-VerschG wurde zur Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie4 erlassen. Durch das EU-UmgrG wird zum ersten Mal auch die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Umwandlung und Spaltung gesetzlich verankert. Bei der grenzüberschreitenden Umwandlung wechselt nach §8 EU-UmgrG eine Kapitalgesellschaft, die dem Recht eines Mitgliedstaates (Wegzugsmitgliedstaat) unterliegt, unter Beibehaltung ihrer Rechtspersönlichkeit in eine Kapitalgesellschaft, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaates (Zuzugsmitgliedstaat) unterliegt, wobei der satzungsmäßige Sitz in den Zuzugsstaat verlegt wird. Es handelt sich bei der grenzüberschreitenden Umwandlung daher um eine grenzüberschreitende Sitzverlegung.
Die Vorgaben für die nationalen und die grenzüberschreitenden Umgründungsarten sind nicht deckungsgleich. Insb soll bei internationalen Umgründungen auf einen erhöhten Gesellschafter- und Gläubigerschutz geachtet werden. So steht den Gesellschaftern unter Umständen eine Barabfindung zu.5 Weiters sieht ua §37 Abs1 EU-UmgrG unter bestimmten Voraussetzung einen Ex-ante-Gläubigerschutz vor.6 Bei einer Hinausverschmelzung darf die Vorabbescheinigung erst ausgestellt werden, wenn allen Gläubigern, die eine Sicherheitsleistung verlangt haben, eine angemessene Sicherheit geleistet wurde (§37 Abs3 EU-UmgrG).
Außerdem sind nicht alle Umgründungsmöglichkeiten, die bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt zulässig wären,
* Dr. Thomas Barth ist Leiter der Geschäftsstelle der ÜbK. Mag. Benedikt Hirschler ist Universitätsassistent (prae doc) am Institut für Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien.
1 RV 2028 BlgNR 27. GP.
2 Richtlinie (EU) 2019/2121 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.11.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ABl L 321 vom 12.12.2019, S1.
3 ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 1.
4 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABl 310 vom 25.11.2005, S1.
5 Bei rein innerstaatlichen Verschmelzungen gebührt diese gem §234b AktG nur bei rechtsformübergreifenden Verschmelzungen.
6 Vgl auch den Ex-post-Anspruch auf Sicherheitsleistung gem §226 AktG.
auch nach dem EU-UmgrG möglich. Während sowohl das AktG als auch das EU-UmgrG eine Verschmelzung zur Aufnahme und eine Verschmelzung zur Neugründung normieren, sind nach dem EU-UmgrG zwar eine grenzüberschreitende Auf- als auch Abspaltung zur Neugründung zulässig (§47 Z2 EU-UmgrG), jedoch werden weder die grenzüberschreitende Auf- noch die Abspaltung zur Aufnahme im EU-UmgrG geregelt.
IZm dem EU-UmgrG ist auch auf die Regierungsvorlage betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsverfassungsgesetz, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz und das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch geändert werden,7 hinzuweisen. Durch die Novellierung des ArbVG wird ebenso die Mobilitätsrichtlinie umgesetzt. Durch die Änderung des ArbVG wird die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umgründungen sichergestellt. Bisher bestand nach §258 Abs1 Z1 ArbVG eine Mitbestimmungsmöglichkeit der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen, wenn aus einer solchen Verschmelzung eine inländische Kapitalgesellschaft hervorgehen soll und mindestens in einer der beteiligten Gesellschaften mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt sind und in dieser Gesellschaft eine Form der Mitbestimmung besteht. Nun wird statt des fixen Schwellenwerts von 500 Arbeitnehmern die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen davon abhängig gemacht, ob in den sechs Monaten vor der Veröffentlichung des Verschmelzungsplans mindestens eine der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften eine durchschnittliche Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt, die 80% des Schwellenwerts entspricht, der nach dem Recht des Mitgliedstaates, dem diese Gesellschaft unterliegt, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer auslöst. Für österreichische Gesellschaften hat dies folgende Auswirkungen: Bei AGs besteht aufgrund des obligatorischen Aufsichtsrats unabhängig von der Arbeitnehmeranzahl jedenfalls eine Mitwirkungsmöglichkeit der Arbeitnehmer; bei der GmbH benötigt es 240 Arbeitnehmer (80% von 300) zum Auslösen der Arbeitnehmermitwirkungsmöglichkeiten und bei Genossenschaften 32 (80% von 40).8 Der oben erwähnte Schwellenwert von 80% gilt gemäß der geplanten Novelle auch für die grenzüberschreitende Spaltung und die grenzüberschreitende Umwandlung. Hierfür werden im ArbVG die neuen Bestimmungen der §§263ff (für die grenzüberschreitende Umwandlung) und der §§267ff (für die grenzüberschreitende Spaltung) erlassen.
Virtuelle Gesellschafterversammlung
Aufgrund der Corona-Pandemie wurde 2020 das COVID-19GesG erlassen.9 Nach §1 Abs1 COVID-19-GesG iVm §2 COVID-19-GesV ist es möglich, die Gesellschafterversamm-
7 RV 2031 BlgNR 27. GP.
8 ErlRV 2031 BlgNR 27. GP, 3.
9 Vgl Th. Barth/Natlacen, GesRZ2023, 4 (mwN zum Erlass und zu den Verlängerungen).
136 3/2023 Unternehmensrecht aktuell
lung auch virtuell abzuhalten. Diese Bestimmungen laufen mit 30.6.2023 aus.
Aufbauend auf dem COVID-19-GesG und der COVID-19GesV soll die virtuelle Gesellschafterversammlung nun ins Dauerrecht aufgenommen werden. Dazu langte am 28.4.2023 der Ministerialentwurf betreffend ein Bundesgesetz über die Durchführung virtueller Gesellschafterversammlungen (Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz – VirtGesG)10 im Nationalrat ein. Bis zum Ende der Begutachtungsfrist am 26.5.2023 wurden 60 Stellungnahmen abgegeben.11
Das VirtGesG soll für Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine, Versicherungsvereine und Sparkassen anwendbar sein. Es soll diesen in ihrem Gesellschaftsvertrag bzw ihrer Satzung oder ihren Statuten die Möglichkeit eröffnet werden, die Abhaltung von virtuellen Gesellschafter- bzw Mitgliederversammlungen vorzusehen. Es ist auch zu vereinbaren, ob stets eine virtuelle Versammlung stattfinden soll oder ob das einberufende Organ über die Form der Abhaltung entscheidet. Neben der Möglichkeit, rein virtuelle Versammlungen der Gesellschafter bzw Mitglieder im Gesellschaftsvertrag bzw in der Satzung oder in den Statuten zu regeln, kann auch die Abhaltung von hybriden Versammlungen festgelegt werden.
Eine virtuelle Versammlung kann als einfache virtuelle Versammlung oder, sofern es einen Versammlungsleiter gibt, als moderierte virtuelle Versammlung abgehalten werden. Welche Art der virtuellen Versammlung durchgeführt werden soll, kann entweder im Gesellschaftsvertrag geregelt werden oder es wird dem einberufenden Organ die Entscheidungskompetenz überlassen. Eine einfache virtuelle Versammlung ist nach §2 VirtGesG zulässig, wenn eine Teilnahmemöglichkeit an der Versammlung mittels einer akustischen und optischen Zweiwegverbindung in Echtzeit besteht. Es muss dabei jedem Teilnehmer möglich sein, sich zu Wort zu melden, an allen Abstimmungen teilzunehmen und gegebenenfalls Widerspruch zu erheben. Bei einem erhöhten Teilnehmerkreis kann es aus technischen Gründen schwierig sein, die Zweiwegverbindung in Echtzeit zu gewährleisten. Aus diesem Grund bedarf es bei einer moderierten virtuellen Versammlung nur der optischen und akustischen Übertragung der Versammlung.12 Die Teilnehmer müssen in diesem Fall auch jederzeit die Möglichkeit haben, sich im Wege der elektronischen Kommunikation zu Wort zu melden, ihr Stimmrecht auszuüben und Widerspruch zu erheben.
Neben diesen Bestimmungen, die für alle in §1 Abs1 VirtGesG aufgezählten Rechtsträger gelten, sieht §5 VirtGesG Sonderbestimmungen für börsenotierte AGs vor. Zu diesen ergänzenden Bestimmungen zählt ua die Verpflichtung der Gesellschaft, einen elektronischen Kommunikationsweg zur Verfügung zu stellen, auf dem die Gesellschafter Fragen und Beschlussanträge zumindest bis zum dritten Werktag vor der Hauptversammlung an die Gesellschaft übermitteln können, und die Gesellschaft hat den Aktionären auf ihre Kosten mindestens zwei unabhängige Stimmrechtsvertreter zur Ver-
10 271/ME 27. GP, online abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/gegenstand/ XXVII/ME/271
11 Siehe https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/ME/271?selectedStage=101
12 Erläuterungen 271/ME 27. GP, 3.
fügung zu stellen. Außerdem kann die Satzung vorsehen, dass die Hauptversammlung öffentlich übertragen wird.
Flexible Kapitalgesellschaft und Start-Up-Förderungsgesetz
Die Idee der Einführung einer neuen Kapitalgesellschaft, die besonders für Start-up-Gründer attraktiv ist, besteht nicht erst seit Kurzem, sondern findet sich schon im aktuellen Regierungsprogramm.13 Auch in der Wissenschaft wurde die Idee der Schaffung einer neuen Kapitalgesellschaftsform aufgegriffen: Zunächst wurden Vorschläge zu einer Austrian Limited gemacht,14 diese haben sich dann zu Überlegungen zu einer Flexiblen Kapitalgesellschaft (FlexKapG) gewandelt.15 Am 30.5.2023 langte nun der Ministerialentwurf für ein Bundesgesetz über die Flexible Kapitalgesellschaft oder Flexible Company (Flexible Kapitalgesellschafts-Gesetz –FlexKapGG)16 im Nationalrat ein. Die FlexKapG soll nach §1 Abs1 FlexKapGG zu jedem erlaubten Zweck gegründet werden dürfen. Neben den Bestimmungen des FlexKapGG sollen subsidiär die Normen des GmbHG zu beachten sein; dies wird durch §1 Abs2 FlexKapGG klargestellt. Im Zuge der Einführung der FlexKapG soll auch das GmbHG novelliert werden; so sieht der erwähnte Ministerialentwurf zur Änderung des GmbHG eine Herabsetzung des Mindeststammkapitals bei der GmbH auf 10.000€ vor. Das Mindeststammkapital der FlexKapG soll jenem der GmbH entsprechen.
Die im Ministerialentwurf vorgesehenen wesentlichen Unterschiede zwischen FlexKapGs und GmbHs lassen sich wie folgt darstellen:
Bei der FlexKapG muss jede bar zu leistende Stammeinlage zumindest zu einem Viertel geleistet werden, jedenfalls jedoch ein Betrag von 1€. Nach §6 FlexKapGG haben die Gesellschafter neben den in §29 Abs1 GmbHG geregelten Fällen einen Aufsichtsrat auch dann zu bestellen, wenn die FlexKapG zumindest eine mittelgroße Kapitalgesellschaft iSd §221 Abs2 und 4 UGB ist. Im Gesellschaftsvertrag der FlexKapG kann festgelegt werden, dass abweichend von §34 Abs1 GmbHG für eine Abstimmung im schriftlichen Weg das Einverständnis aller Gesellschafter nicht erforderlich ist. Steht einem Gesellschafter mehr als eine Stimme zu, so kann das Stimmrecht in der FlexKapG auch uneinheitlich ausgeübt werden. Der Gesellschaftsvertrag der FlexKapG kann die Ausgabe von Unternehmenswertanteilen vorsehen. Diese richten sich insb an Mitarbeiter der Gesellschaft.17 Unternehmenswertbeteiligte partizipieren zwar am Bilanz- und Liquidationsgewinn mit, jedoch stehen ihnen keine Stimmrechte zu. Außerdem ist die Übertragbarkeit von Unternehmenswertanteilen im Vergleich zu jener von Geschäftsanteilen der FlexKapG oder der GmbH vereinfacht, denn es reicht nach §9 Abs6 FlexKapGG bereits die Schriftform für die Übertragung aus. Die Unternehmenswertbeteiligten werden auch nicht umgehend in das Firmenbuch eingetragen, sondern die
13 Regierungsprogramm 2020 – 2024, S14, online abrufbar unter https://www.bundes kanzleramt.gv.at/bundeskanzleramt/die-bundesregierung/regierungsdokumente.html
14 ZB Reich-Rohrwig/Kinsky/Kraus, Austrian Limited (2021).
15 Siehe bezüglich einer ersten Einschätzung zur FlexKapG Durstberger/Herrmann, Entlastungen und neue Hürden für Start-ups, Die Presse – Rechtspanorama von 12.6.2023, S15.
16 276/ME 27. GP, online abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/gegenstand/ XXVII/ME/276
17 Erläuterungen 276/ME 27. GP, 4.
3/2023 137 Unternehmensrecht aktuell
Geschäftsführer führen ein sog Anteilsbuch. Hat die Gesellschaft Unternehmenswertanteile ausgegeben, so haben die Geschäftsführer bei der Anmeldung der Gesellschaft zum Firmenbuch bzw bei der erstmaligen Ausgabe von Unternehmenswertanteilen und danach jeweils spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag eine Liste mit den Namen der Unternehmenswertbeteiligten (Namensliste) sowie eine Liste mit den Namen und den Stammeinlagen (Anteilsliste) zum Firmenbuch einzureichen. Nur die Namensliste wird in die öffentlich zugängliche Urkundensammlung aufgenommen.18 Außerdem soll nach §10 Abs1 FlexKapGG den Unternehmenswertbeteiligten ein Mitverkaufsrecht zukommen, wenn die Gründungsgesellschafter ihre Geschäftsanteile mehrheitlich veräußern. Die Übertragung von Geschäftsanteilen an der FlexKapG wird vereinfacht: So benötigt es keinen Notariatsakt, sondern es kann gem §12 FlexKapGG auch ein Rechtsanwalt eine Urkunde darüber errichten. Nach §13 FlexKapGG kann der Gesellschaftsvertrag vorsehen, dass die Geschäftsanteile in Stammeinlagenanteile gestückelt sind (Stückanteile). In diesem Fall gilt §75 Abs2 GmbHG nicht. Der Erwerb eigener Geschäftsanteile (§§15 bis 18 FlexKapGG) soll nach dem Ministerialentwurf den Bestimmungen des AktG ähneln. Die Kapitalerhöhung und die Kapitalherabsetzung sind – überwiegend – den Bestimmungen des AktG nachgebildet.
§§25 und 26 FlexKapGG bestimmen, dass eine FlexKapG in eine GmbH bzw AG oder vice versa umgewandelt werden kann.
Zu erwähnen ist auch der Ministerialentwurf zum StartUp-Förderungsgesetz,19 durch welches ua das EStG geändert wird. Eingefügt werden soll §67a EStG, der die steuerliche Behandlung von Start-up-Mitarbeiterbeteiligungen normiert. Eine Start-up-Mitarbeiterbeteiligung liegt vor, wenn der Arbeitgeber einem oder mehreren Arbeitnehmern aus sachlichen, betriebsbezogenen Gründen unentgeltlich Kapitalanteile an seinem Unternehmen (unabhängig von der Gesellschaftsform) gewährt, wobei die Gewährung lediglich zum Nennwert für die Anwendung dieser Bestimmung als unentgeltliche Gewährung gilt. Weiters muss das Unternehmen des Arbeitgebers gem §67a Abs2 Z2 EStG gewisse Merkmale erfüllen, damit die besondere Besteuerung anwendbar ist. Die Merkmale betreffen die Arbeitnehmeranzahl, die Umsatzerlöse und die Konzernzugehörigkeit des Unternehmens.
Zu erwähnen ist einerseits, dass der geldwerte Vorteil aus der unentgeltlichen Abgabe von Kapitalanteilen – abweichend von §19 EStG – nicht im Zeitpunkt der Abgabe der Anteile als zugeflossen gilt; ein Zufluss des geldwerten Vorteils erfolgt erst, wenn es zur Veräußerung der Anteile kommt (oder andere Umstände iSd §67a Abs3 EStG) eintreten (§67a Abs1 EStG).20 Andererseits sieht §67a Abs4 Z2 EStG vor, dass der geldwerte Vorteil zu 75% mit einem fixen (Lohn-) Steuersatz von 27,5% im Rahmen der Lohnsteuer zu besteuern ist, sofern das Dienstverhältnis zumindest drei Jahre dauerte und der Zufluss nach Ablauf von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Abgabe einer Start-up-Mitarbeiterbeteiligung an den Arbeitnehmer erfolgt. Die restlichen 25%
18 Erläuterungen 276/ME 27. GP, 4.
19 275/ME 27. GP, online abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/gegenstand/ XXVII/ME/275
20 Erläuterungen 275/ME 27. GP, 2 und 4.
des geldwerten Vorteils unterliegen der steuerlichen Erfassung nach § 67 Abs 10 EStG.21
Änderung des WiEReG
Das WiEReG wurde im Zuge der Umsetzung der 4. Geldwäsche-Richtlinie22 erlassen. In Umsetzung der 5. GeldwäscheRichtlinie23 wurden Anpassungen dahin gehend vorgenommen, dass bestimmte Informationen aus dem WiEReG der Öffentlichkeit zugänglich sind. Der EuGH prüfte die Grundrechtskonformität der öffentlichen Einsicht und kam zu dem Ergebnis, dass diese gegen das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gem Art7 GRC und das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten gem Art8 GRC verstößt.24 Der öffentliche Zugang zum Register der wirtschaftlichen Eigentümer hatte fortan aufgrund des Anwendungsvorrangs der GRC zu unterbleiben und entsprechende Anpassungen waren vorzunehmen.
Am 28.4.2023 langte nun ein Ministerialentwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Wirtschaftliche Eigentümer Registergesetz geändert wird,25 im Nationalrat ein. Nunmehr soll nur mehr die Möglichkeit zur Einsicht für Personen mit einem berechtigten Interesse bestehen. Der Entwurf sieht entsprechende Anpassungen in §9 Abs2a WiEReG vor, wonach berufsmäßige Parteienvertreter im Namen und Auftrag eines Mandanten Einsicht nehmen können und die Registerbehörde im Einzelfall eine Entscheidung über das Vorliegen des berechtigten Interesses treffen kann. Zudem soll §10 WiEReG dahin gehend angepasst werden, dass er Regelungen für die Einsicht bei Vorliegen eines berechtigten Interesses vorsieht: Abs1 leg cit normiert die offenzulegenden Angaben, Abs2 leg cit die Vorgaben zur Beurteilung des Vorliegens eines berechtigten Interesses und übernimmt dafür teilweise Ausführungen aus dem erwähnten Urteil des EuGH. Daneben sieht der Entwurf Anpassungen iZm mit der Bekämpfung von Scheinunternehmen, der Transparenz von Treuhandschaftsvereinbarungen, der Aufsicht der Registerbehörde sowie der Zusammenarbeit dieser mit anderen Behörden vor. Die jüngst zugenommene Bedeutung von EU-weiten Sanktionen wird ebenso adressiert. Das Register der wirtschaftlichen Eigentümer soll künftig als zentrale Plattform für den automatisationsunterstützten Abgleich von Sanktionslisten mit dem Firmenbuch, dem Vereinsregister und dem Ergänzungsregister dienen.
Update: Aktuelle Gesetzesvorhaben
Aktuelle Entwicklungen gab es bei mehreren Gesetzesvorhaben:
Wie in dieser Rubrik berichtet, langte am 15.3.2023 ein Ministerialentwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem
21 Erläuterungen 275/ME 27. GP, 5.
22 Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission, ABl L 141 vom 5.6.2015, S73.
23 Richtlinie (EU) 2018/843 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.5.2018 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2015/849 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und zur Änderung der Richtlinien 2009/138/EG und 2013/36/EU, ABl L 156 vom 19.6.2018, S43.
24 EuGH 22.11.2022, verb Rs C-37/20 und C-601/20, Luxembourg Business Registers; vgl dazu auch N. Arnold, Rückbesinnung auf Grundrechte? GesRZ2023, 1.
25 268/ME 27. GP, online abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/gegenstand/ XXVII/ME/268
138 3/2023 Unternehmensrecht aktuell
das Bundesgesetz über das Wirksamwerden der Verordnung (EU) 2022/858 über eine Pilotregelung für auf Distributed-Ledger-Technologie basierende Marktinfrastrukturen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 600/2014 und (EU) Nr. 909/2014 sowie der Richtlinie 2014/65/EU (DLT-Verordnung-Vollzugsgesetz – DLTVVG) erlassen wird sowie das Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz und das Wertpapieraufsichtsgesetz 2018 geändert werden,26 im Nationalrat ein.27 Nunmehr langte die Regierungsvorlage am 26.4.2023 im Nationalrat ein.28 Umfassende Änderungen wurden – soweit ersichtlich –nicht mehr vorgenommen. Die Regierungsvorlage wurde am 25.5.2023 im Nationalrat und am 7.6.2023 im Bundesrat beschlossen sowie am 21.6.2023 im BGBl I 2023/63 kundgemacht.
IdZ ist auch auf die ESMA-Leitlinien über Standardformulare, Standardformate und Muster für die Beantragung einer Genehmigung für den Betrieb einer DLTMarktinfrastruktur29 hinzuweisen. Die BaFin hat bekannt gegeben, diese in ihrer Aufsichtspraxis anzuwenden.30
Wie in dieser Rubrik berichtet, wurden im Jahr 2020 mehrere COVID-19-Gesetze erlassen, um auf die durch die Pandemie ausgelösten Einschränkungen zu reagieren. Diese wurden in weiterer Folge (teils mehrfach) verlängert.31 Teil dieser Gesetzgebung war ua das COVID-19VwBG, welches die Möglichkeit der Durchführung von Verhandlungen unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung schuf. Die Regelungen hätten sich in der Praxis bewährt, weshalb sie unabhängig von der epidemischen Lage in den Rechtsbestand übernommen werden sollen. Ein entsprechender Ministerialentwurf betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, das Verwaltungsstrafgesetz 1991 und das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz geändert werden,32 langte am 28.4.2023 im Nationalrat ein.
Keine Haftung der Republik Österreich für behauptetes Fehlverhalten der FMA
Der OGH befasste sich in seiner Entscheidung vom 27.1.2023, 1 Ob 261/22x, erneut33 mit Haftungsfragen rund um die Commerzialbank Mattersburg, diesmal iZm den der Prospektpflicht zugrunde liegenden Regelungen (ua der damals in Geltung gestandenen Richtlinie 2003/71/EG).34 Er führte aus, dass die Republik Österreich nicht für Vermögens-
26 255/ME 27. GP, online abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/ XXVII/ME/ME_00255/index.shtml
27 Vgl Th. Barth/Natlacen, GesRZ2023, 72.
28 RV 2029 BlgNR 27. GP.
29 ESMA70-460-213, online abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/sites/default/ files/library/ESMA70-460-213_DLTR_GLs_on_application_standard_forms_formats_ templates_DE.pdf
30 Siehe https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Meldung/2023/ meldung_2023_04_19_ESMA_Leitlinien_DLT_Marktinfrastrukturen.html#:~:text =Die%20Finanzaufsicht%20BaFin%20wendet%20die,Betrieb%20von%20DLT%20Marktinfrastrukturen%20beantragen
31 Vgl zuletzt Th. Barth/Natlacen, GesRZ2023, 4.
32 269/ME 27. GP, online abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/gegenstand/ XXVII/ME/269
33 Vgl bereits OGH 14.7.2022, 1 Ob 91/22x; dazu Th. Barth/Natlacen, GesRZ2022, 170f.
34 Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl L 345 vom 31.12.2003, S64.
schäden geschädigter Anleger aufgrund eines behaupteten Fehlverhaltens der FMA bei der Aufsicht hafte, weil solche Schäden gem §3 Abs1 Satz 2 FMABG nicht vom Schutzzweck des Aufsichtsrechts umfasst seien. Die im Verfahren behauptete „Staatshaftung“ würde zudem voraussetzen, dass die (unionsrechtliche) Rechtsnorm, gegen die verstoßen wurde, bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, dass der Verstoß hinreichend qualifiziert wäre und dass zwischen dem entstandenen Schaden und dem (vom Mitgliedstaat zu vertretenden) Verstoß ein Kausalzusammenhang bestünde. Im vorliegenden Fall habe es schon an der konkreten (unionsrechtlichen) Norm gefehlt, aus der sich der behauptete Ersatzanspruch ergeben würde.
Unionsrechtliche Bedenken gegen §3 FMABG bestünden nicht. Aus der Richtlinie 2003/71/EG sei keine unionsrechtliche Norm ersichtlich, aus der sich der behauptete Ersatzanspruch ableiten ließe. Die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH gem Art267 AEUV sei daher nicht notwendig gewesen. Die außerordentliche Revision wurde mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückgewiesen.
FMA-Jahresbericht 2022
Am 9.5.2023 veröffentlichte die FMA ihren Jahresbericht 2022.35 Dieser bietet neben Informationen zur FMA und den von ihr beaufsichtigten Unternehmen auch allgemeine Informationen zur gesamtwirtschaftlichen Lage.
So stehe die österreichische Finanzwirtschaft nach wie vor vor großen Herausforderungen. Die Mischung aus gravierenden geopolitischen sowie weltwirtschaftlichen Unsicherheiten und hoher Inflation, abrupter Zinswende sowie der signifikanten Abnahme der Konjunktur sei gefährlich. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine habe durch Sanktionen, Gegensanktionen, Rohstoffverknappungen und die dadurch ausgelösten Preisturbulenzen zu einer Neuordnung der geopolitischen Lage geführt. Dies habe die Notenbanken weltweit zu einer Kehrtwende ihrer Geldpolitik gezwungen. Laut Berechnungen des IWF ist die globale Wirtschaft im Jahr 2022 um rund 3,4% gewachsen. Die Anhebung der Zentralbankenzinsen zur Bekämpfung der Inflation belaste jedoch die globale Wirtschaftstätigkeit. Ein Rückgang der Investitionstätigkeit sei insb im Immobiliensektor erkennbar. Die Inflation erreichte innerhalb der EU mit 11,5% ihren Höhepunkt im Oktober 2022. Über das Gesamtjahr betrachtet lag die Inflation bei 9,2%. Das dennoch verhältnismäßig gute Wirtschaftswachstum sei insb vom guten ersten Halbjahr 2022 getragen.
Betont wird jedoch, dass die österreichische Finanzwirtschaft stabil und krisenfest aufgestellt sei. Dies würden die Eigenkapital-, Liquiditäts- und Solvabilitätsdaten der heimischen Institute zeigen. Der österreichische Finanzmarkt und die österreichischen Banken würden mit einer Kernkapitalquote von 16,3% (CET-1) über einen historischen Höchststand verfügen. Der Anteil an notleidenden Krediten sei mit Werten zwischen 1,3 und 1,7% historisch niedrig. Versicherungsunternehmen würden mit einer Solvenzquote (SCR)
35 Online abrufbar unter https://www.fma.gv.at/publikationen/fma-jahresberichte
3/2023 139 Unternehmensrecht aktuell
Unternehmensrecht aktuell
von im Schnitt 245% über mehr als das Doppelte an finanziellen Mitteln verfügen, als selbst bei einer dramatischen Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erforderlich wäre.
Die FMA mahnt jedoch weiterhin zu einer maßvollen und zukunftsorientierten Ausschüttungspolitik. Sie verweist idZ auf die weltwirtschaftlichen Turbulenzen an den Börsen; fast alle Aktienindizes hätten im Jahr 2022 mit einem Minus geschlossen.
Forum
Neues von der ESMA
Die ESMA hat folgende Q&A veröffentlicht und aktualisiert: Zur Anwendung der AIFM-Richtlinie: https://www.esma. europa.eu/sites/default/files/library/esma34-32-352_qa_ aifmd.pdf
Zur Verordnung (EU) 2020/1503 über Europäische Schwarmfinanzierungsdienstleister: https://www.esma. europa.eu/sites/default/files/library/esma35-42-1088_qas_ crowdfunding_ecspr.pdf
Sustainable Finance
Nachhaltigkeit in der unternehmerischen Praxis und Offenlegung: Aktuelle Trends, Good Practices und konkrete Strategien für die betriebliche Umsetzung
Aktuelle Rechtsentwicklungen auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene
Fachliche Leitung
Georg Lehecka, Vortragende
Raphael Fink, VKI | Thomas Gaber, | Armin Kammel, | Karin Lenhard, | Jakob Mayr, Ulrike Middelhoff, | Georg Rogl, EY | Sabine Schellander, | Katharina Schönauer, Stefan Sengelin, | Bernd Vasari, lindecampus.at Wien
140 3/2023
Beschlussmängel in Personengesellschaften vor Gerichten und Schiedsgerichten
SUSANNE KALSS *
Das Beschlussrecht ist für Personengesellschaften im österreichischen Gesellschaftsrecht karg geregelt. Nur §119 UGB für eingetragene Personengesellschaften und §1192 ABGB für die GesBR normieren Gesellschafterbeschlüsse. Noch geringer ist die Regelungsdichte bei Mängeln der Beschlüsse. Ganz anders ist die künftige Rechtslage für Personengesellschaften in Deutschland. Das MoPeG1 normiert das Recht für Beschlüsse und für Beschlussmängel von Personengesellschaften neu. Im Folgenden soll daher die Rechtslage für die Geltendmachung von Beschlussmängeln vor staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten nach österreichischem Recht vor dem Hintergrund der deutschen Neuregelung dargestellt werden.
*1 I.Staatliches Gericht – Schiedsgericht
1.Parallele Verfahren
An dieser Stelle geht es nicht darum, im Einzelnen zu beurteilen, ob staatliche Gerichte Schiedsgerichten überlegen sind oder umgekehrt. Vielmehr sollen einzelne Aspekte von Schiedsgerichten und staatlichen Gerichten einander gegenübergestellt werden:
Das zentrale Argument für Schiedsvereinbarungen liegt in der Vertraulichkeit des Verfahrensablaufs und des Schiedsspruchs, somit des Ergebnisses.2 Sowohl gegenüber der Öffentlichkeit als auch gegenüber den eigenen Arbeitnehmern ist die Vertraulichkeit vielfach von den Gesellschaftern gewünscht. Sie wollen den Konflikt nicht öffentlich austragen. Umgekehrt fehlt mit der Öffentlichkeit auch ein maßgebliches Qualitätssicherungs- und Disziplinierungselement für die Schiedsrichter, sodass der Preis der mangelnden Öffentlichkeit zum Teil auch eine abgesenkte Qualität der schiedsgerichtlichen Entscheidung sein kann. Dem könnte etwa einfach eine Veröffentlichungspflicht in anonymisierter Form entgegenwirken.
Für die Schiedsgerichtsbarkeit wird ins Treffen geführt, dass die Parteien die Schiedsrichter aussuchen können.3 Sie können daher auf die besondere Fachexpertise in einem bestimmten Bereich, angereichert mit Wirtschaftskenntnissen und hoher emotionaler und sozialer Kompetenz, zurückgreifen. Damit kann auch eine höhere Qualität der Entscheidungen herbeigeführt werden. Allerdings erfüllen sich diese Erwartungen nach Ansicht von Praktikern keineswegs zuverlässig,4 zumal gesellschaftsrecht-
1 Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG), dBGBl I 2021, 3436.
2 Kalss, Gesellschaftsrecht und Schiedsrecht in Österreich, in Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2015 (2015) 177 (181); M.Schröder, Schiedsgerichtliche Konfliktbeilegung bei aktienrechtlichen Beschlußmängelklagen (1999) 10 und 15; Huneke/Gegler, Schiedsvereinbarungen in Familienunternehmen, RFamU 2023, 119; Kalss/Probst, Familienunternehmen (2013) Rz10/ 91; Holler, Schiedsklauseln in Personengesellschaftsverträgen, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2022 (2023) 91 (94); Binz/Weinand in Bochmann/Scheller/ Prütting, Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts IX6 (2021) §45 Rz128.
3 Kalss, Gesellschaftsrecht und Schiedsrecht, 180; Holler, Schiedsklauseln, 95.
liche Streitigkeiten im Grundsatz auch von staatlichen Gerichten in hoher Qualität bearbeitet werden. Zudem ist vor allem zu bedenken, dass aufgrund der mangelnden Öffentlichkeit auch nicht bekannt ist, wer wo bereits gegutachtet bzw gearbeitet hat oder in vorangegangenen Schiedsverfahren tätig gewesen ist. Gegebenenfalls besteht eine hohe, aber durchaus verdeckte Nahebeziehung5 nicht nur gegenüber Parteien, sondern auch unter Schiedsrichtern. Damit wird die hohe Fachexpertise durch die mangelnde Unabhängigkeit kompensiert oder jedenfalls verschoben.6
Schließlich wird die Raschheit des Schiedsverfahrens als maßgeblicher Vorteil angeführt.7 Das Argument liegt gerade in dem mangelnden Instanzenzug und der Aufhebung nur im Missbrauchsfall. Der Schiedsspruch unterliegt nur der Aufhebungsklage gem §611 ZPO. Der mangelnde Instanzenzug ist aber umgekehrt auch ein Grund für die mangelnde Überprüfbarkeit und Qualitätssicherung; zudem ist die Schnelligkeit vielfach nicht gegeben oder zumindest gefühlt nicht so hoch.
2.Wirkung einer Schiedsklausel
Eine wirksame Schiedsvereinbarung hat verfahrensrechtlich eine Sperrwirkung für den Weg zu den staatlichen Gerichten. Dies bedeutet die ausschließliche Entscheidungskompetenz des Schiedsgerichts bei gleichzeitigem Ausschluss staatlicher Rspr.8 Ua fehlen der Instanzenzug und die Überprüfbarkeit der erstinstanzlichen gerichtlichen Entscheidung. Vor einem ordentlichen Gericht würde eine prozesshindernde Einrede vorliegen.9 Die materiell-rechtliche Wirkung einer wirksamen Schiedsvereinbarung verpflichtet die Parteien der Schiedsvereinbarung, dass sie alles tun, um die Durchführung des Schiedsverfahrens bis zur Erlassung der Entscheidung des Schiedsgerichts zu ermöglichen (Förderpflicht); umgekehrt
4 Ausdrücklich Huneke/Gegler, RFamU 2023, 120.
5 A. Reiner/Vanovac, GesRZ2014, 130 (131).
6 Kalss, Gesellschaftsrecht und Schiedsrecht, 181; A. Reiner, Schiedsverfahren und Gesellschaftsrecht, GesRZ2007, 151.
7 Kalss, Gesellschaftsrecht und Schiedsrecht, 180.
8 OGH 2.10.2003, 6 Ob 41/03b; Münch in MünchKomm ZPO6, §1029 Rz137.
9 Holler, Schiedsklauseln, 98.
3/2023 141 Personengesellschaften
* Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Susanne Kalss, LL.M. (Florenz) lehrt Unternehmens- und Zivilrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien und leitet das Institut für Unternehmensrecht.
müssen sie alles unterlassen, um diesen ursprünglich vereinbarten Zweck nicht zu behindern (Treuepflicht).10
II.Deutsches Recht
1.Gerichtliche Geltendmachung eines Beschlussmangels
Das aktuelle deutsche Recht ist nach den gesetzlichen Regeln mit dem geltenden österreichischen Recht weitgehend vergleichbar. Nach überwiegender Ansicht zum deutschen Recht ist von der Nichtigkeit eines Beschlusses bei einem Beschlussmangel auszugehen.11 Die Nichtigkeit ist mit Feststellungsklage gegen alle Gesellschafter gem §256 dZPO geltend zu machen.12
Durch gesellschaftsrechtliche Regelung kann nach deutschem Recht vorgesehen werden, die Feststellungsklage auch nur gegen die Gesellschaft zu richten.13 Dies bedeutet, dass Beklagte nur die Gesellschaft ist. Die Wirkung der Feststellungsklage bezieht sich in diesem Fall jedoch nur schuldrechtlich gegen alle Gesellschafter.14
2.Zwei Modelle für Beschlussmängel nach künftigem deutschem Recht – staatliches Gericht
Am 1.1.2024 wird das MoPeG in Kraft treten. Dieses bringt auf Ebene des Beschlussmängelrechts umfassende Neuerungen, die in §§110 bis 115 dHGB nF Niederschlag finden. Das neue Anfechtungsregime ist weitgehend an den entsprechenden aktienrechtlichen Bestimmungen ausgerichtet.15 Anders als nach der bisherigen Rechtslage können Beschlussmängel in kaufmännischen Personengesellschaften mit einer gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklausel16 nicht mehr nur die Nichtigkeit, sondern auch die Anfechtbarkeit des Beschlusses nach sich ziehen.17
Zur Anfechtbarkeit führen solche Rechtsverletzungen in eingetragenen Personengesellschaften, die nicht schon die Nichtigkeit des Beschlusses bewirken,18 also etwa Verstöße gegen die Treuepflicht oder den Gleichbehandlungsgrundsatz.19 Die Anfechtungsklage ist binnen einer mindestens einmonatigen Frist zu erheben und gem §113 Abs2 dHGB nF gegen die Gesellschaft zu richten. Hierin liegt eine wesentliche Neuerung. Während nach – geltender – Rechtslage zur Bekämpfung fehlerhafter Beschlüsse die Feststellungsklage gegen die einzelnen Gesellschafter zu erheben ist, wird ab Inkrafttreten des MoPeG die Gesellschaft selbst passivlegitimiert sein.20 Die gegen die Gesellschaft zu richtende Anfech-
10 Münch in MünchKomm ZPO6, §1029 Rz138; Holler, Schiedsklauseln, 98.
11 Enzinger in MünchKomm HGB5, §119 Rz98; M. Roth in Hopt, HGB41 (2022) §119 Rz32.
12 BGH 13.7.1981, II ZR 56/80, BGHZ81, 263; 15.11.1982, II ZR 62/82, BGHZ85, 350; M. Roth in Hopt, HGB41, §119 Rz32; Enzinger in MünchKomm HGB5, §119 Rz101.
13 BGH 1.3.2011, II ZR 83/09, WM 2011, 789; M. Roth in Hopt, HGB41, §119 Rz32.
14 J. Otto, Anforderungen an die Schiedsvereinbarung für gesellschaftsrechtliche Beschlussmängelstreitigkeiten, ZGR 2019, 1082 (1112ff); Holler, Schiedsklauseln, 111.
15 BT-Drucks 19/27635, S2, online abrufbar unter https://dserver.bundestag.de/btd/ 19/276/1927635.pdf; Kaulbach, Das neue Anfechtungsmodell im Personengesellschaftsrecht: Vorbild für die GmbH? ZHR 186 (2022), 729.
16 K. Schmidt, Beschlussmängel und Beschlussmängelstreitigkeiten nach der Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, ZHR 187 (2023), 107 (122).
17 Fleischer, Ein Rundflug über das OHG-Recht im Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, BB 2021, 386 (389).
18 Artmann, Mehrheitsbeschlüsse im Personengesellschaftsrecht, GesRZ2021, 278 (285).
19 Drescher, Beschlussmängelrecht, in A. Bergmann/Drescher/Fleischer/Goette/Harbarth/ Hommelhoff/Krieger/Merkt/Teichmann, Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (2021) 115 (131).
20 Storz, Der Mauracher Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), GWR 2020, 257 (260).
tungsklage wirkt aufgrund der in §113 Abs6 dHGB nF ausdrücklich normierten Rechtskrafterstreckung erga omnes, dh auch für und gegen alle Gesellschafter, unabhängig von deren Prozessbeteiligung.21
Dieses neue Anfechtungsregime ist jedoch nur auf kaufmännische Personengesellschaften, dh auf die OHG und die KG anwendbar, während für nicht kaufmännische Gesellschaften weiterhin das alte System gilt.22 Gegen Beschlüsse von GesBRs ist daher weiterhin im Rahmen des bisher geltenden Feststellungsmodells gegen die einzelnen Gesellschafter vorzugehen.23
Sowohl das für die OHG und die KG vorgesehene aktienrechtliche Anfechtungsmodell als auch das für die GesBR geltende Feststellungsmodell sind dispositiv, sodass sie im Gesellschaftsvertrag abbedungen oder modifiziert werden können.24 Eine GesBR kann daher genauso in das neue aktienrechtlich geprägte Anfechtungsmodell hineinoptieren (opting in), wie eine OHG oder eine KG sich gegen das Anfechtungsund für das Feststellungsmodell entscheiden kann (opting out).25
Gerade wegen dieser Gestaltungsvielfalt wird nunmehr von der Praxis dringend geraten, bei Abschluss eines Gesellschaftsvertrages auf der Grundlage des MoPeG künftig jedenfalls eine klare und unmissverständliche Regelung zu dem von den Gesellschaftern ausgewählten Beschussmängelregime zu treffen, insb dann, wenn nicht nur ein schlichtes Abwählen des jeweiligen gesetzlichen Modells vorgenommen wird, sondern auch Modifikationen eingearbeitet werden.26
3.Schiedsklausel – MoPeG
3.1.Fehlen einer Regelung
Wie wirkt sich nun das künftige Personengesellschaftsrecht in Deutschland (MoPeG) auf Schiedsklauseln aus? Das neue deutsche Recht verzichtet auf eine Regelung der Schiedsfähigkeit, was die Redaktoren des sog Mauracher Entwurfs damit begründeten, dass ohnehin die Judikatur Mindestanforderungen aufgestellt habe.27 Dies wird von der Praxis durchaus bedauert.28
Daher ist es nunmehr erforderlich, bei Abschluss eines Gesellschaftsvertrages über Personengesellschaften, seien es OHGs, KGs oder GesBR, eine klare und unmissverständliche Regelung zum Beschlussmodell zu treffen, insb bei Modifikationen. Eine Schiedsvereinbarung muss jedenfalls den Mindestanforderungen der zuletzt präzisierten Judikatur des BGH genügen, um die Inter-omnes-Wirkung der Entschei-
21 Neumayer/Zeyher, MoPeG und gesellschaftsrechtliche Prozessführung, NZG 2022, 1707 (1713).
22 Weller/Schwemmer, Das MoPeG: Eine Jahrhundertreform im Personengesellschaftsrecht? BB 29-30/2021, I.
23 Kaulbach, ZHR 186 (2022), 749; Drescher, Beschlussmängelrecht, 124.
24 Grunewald/Liebscher in Schäfer, Das neue Personengesellschaftsrecht (2022) §5 Rz142; Holler, Schiedsklauseln, 121; Artmann, GesRZ2022, 286.
25 BT-Drucks 19/27635, S111; Holler, Schiedsklauseln, 121; Drescher, Beschlussmängelrecht, 123ff.
26 Grunewald/Liebscher in Schäfer, Personengesellschaftsrecht, §5 Rz147; Holler, Schiedsklauseln, 121.
27 BMJV, Mauracher Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (2020) 88 und 91, online abrufbar unter https://www.bmj.de/Shared Docs/Downloads/DE/News/PM/042020_Entwurf_Mopeg.pdf?__blob=publication File&v=3
28 Drescher, Beschlussmängelrecht, 135; Trinks, Bericht über die Diskussion, in A.Bergmann/Drescher/Fleischer/Goette/Harbarth/Hommelhoff/Krieger/Merkt/Teichmann , Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (2021) 137 (141).
142 3/2023
Personengesellschaften
dung gegenüber allen Gesellschaftern zu erzielen.29 Dabei sind Gesellschaftsvertrag und Schiedsvereinbarung gut aufeinander abzustimmen, damit nicht die – eben gerade nicht gewünschte – Rechtsfolge der Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung eingreift.
3.2.Schiedsklausel nach den Anforderungen des BGH
Der BGH hatte mehrfach Gelegenheit, zu den Anforderungen einer Schiedsklausel im Recht der Personengesellschaften Stellung zu nehmen, bei denen im Gesellschaftsvertrag die Klagsführung zur Feststellung des Nichtigkeitsbeschlusses gegen die Gesellschaft festgelegt war. Nachdem der BGH zunächst in einer holzschnittartigen Weise Anforderungen aus dem Kapitalgesellschaftsrecht auch auf Personengesellschaften übertragen hatte,30 statuierte er nunmehr in seiner jüngsten Entscheidung, dass die Klage gegen die Gesellschaft zu richten sei und sich dem Gesellschaftsvertrag eine schuldrechtliche Bindung für die nicht am Verfahren beteiligten Gesellschafter entnehmen lasse.31
Ausdrücklich statuierte der BGH, dass die Mindestanforderungen für die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen, die Beschlussmängelstreitigkeiten erfassen, für Personengesellschaften greifen, bei denen der Gesellschaftsvertrag vorsieht, dass Beschlussmängelstreitigkeiten nicht unter den Gesellschaftern, sondern mit der Gesellschaft auszutragen sind.32
Die deutsche BGH-Judikatur beschäftigte sich mehrfach mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein urteilsgleicher Schiedsspruch über Beschlussmängelstreitigkeiten mit Erga-omnes-Wirkung gerechtfertigt ist und auch gegenüber den nicht unmittelbar am Schiedsverfahren beteiligten Gesellschaftern gestaltet sein muss, um wirksam zu sein. Zugleich beschäftigte sich der BGH damit, wie die Rechte der Verfahrensbeteiligten in der Schiedsvereinbarung ausgestaltet sein müssen, um als dem Rechtsschutz durch staatliche Gerichte gleichwertig qualifiziert werden zu können. Er sprach ausdrücklich aus, dass die dem Rechtsstaatsprinzip inhärenten Mindeststandards an Mitwirkungsrechten für die ihr unterworfenen Gesellschafter ausgestaltet sein müssen.33
Nach der BGH-Entscheidung 6.4.2009, II ZR 255/08, geht es darum, dass die Schiedsvereinbarung für den Schiedsspruch über Beschlussmängelstreitigkeiten das schiedsgerichtliche Verfahren in einer dem Rechtsschutz durch staatliche Gerichte gleichwertigen Weise unter Einhaltung eines rechtsstaatlichen Mindeststandards an Mitwirkungsrechten und Rechtsschutzgewährung für alle ihm unterworfenen Gesellschafter ausgestaltet werden muss. Dafür stellte der BGH zunächst für die GmbH diese eben genannten Gleichwertigkeitskriterien für Schiedsgerichte im Verhältnis zu staatlichen Gerichten auf, nämlich:
Zustimmung sämtlicher Gesellschafter in der Satzung. Jeder Gesellschafter muss über die Einleitung und den Verlauf des Schiedsverfahrens informiert und in die Lage versetzt werden, dem Verfahren zumindest als Nebenintervenient beizutreten.
29 Holler, Schiedsklauseln, 121.
30 BGH 6.4.2017, I ZB 23/16, NZG 2017, 657.
31 BGH 23.9.2021, I ZB 13/21, NZG 2022, 264; Enzinger in MünchKomm HGB5, §119
Rz101.
32 BGH 23.9.2021, I ZB 13/21, Rn 23.
33 BGH 6.4.2009, II ZR 255/08, NZG 2009, 620.
Sämtliche Gesellschafter müssen an der Auswahl und Bestellung der Schiedsrichter mitwirken können, sofern nicht eine neutrale Bestellung vorgenommen wird. Auf jeder Seite des Streits kann bei Beteiligung mehrerer das Mehrheitsprinzip zur Anwendung kommen; abgesehen von der Auswahl und Bestellung muss die Mitwirkung auch bei der Ablehnung bzw Prüfung der Befangenheit der Schiedsrichter gegeben sein.
Alle denselben Streitgegenstand betreffende Beschlussmängelstreitigkeiten müssen bei einem Schiedsgericht konzentriert werden.34
Zentral für ein Mehrparteien-Schiedsverfahren sind somit das Einverständnis aller Parteien mit dieser Verfahrensart, dh der Ausschluss, dass es keine Beteiligung Dritter gegen den Willen der Parteien gibt,
die Chancengleichheit bei der Besetzung des Schiedsgerichts und
das Einverständnis aller Schiedsrichter.35
Für Personengesellschaften gelten die Mindestanforderungen für Schiedsklauseln nur dann, wenn der Gesellschaftsvertrag bestimmt, dass die Beschlussmängel durch eine Schiedsklage gegenüber der Gesellschaft geltend zu machen sind und Mitgesellschafter daher zumindest schuldrechtlich an die Schiedssprüche gebunden sind.36 Für die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen bestehen bei Personengesellschaften daher nach der derzeitigen Rechtslage nach deutschem Recht unterschiedliche Anforderungen, nämlich je nachdem, ob sich die Feststellungsklage gegen die Mitgesellschafter zu richten hat oder nach der klaren Festlegung im Gesellschaftsvertrag oder nach Auslegung des Gesellschaftsvertrages an die Gesellschaft.37
Im künftigen deutschen HGB-Recht wird für Beschlussmängelklagen nunmehr eine flankierende gesetzliche Ergaomnes-Wirkung gem §113 Abs6 und §114 dHGB statuiert. Auf Personengesellschaften bezogene Schiedsvereinbarungen werden daher einheitlich am – eben dargestellten – strengen Maßstab der verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen mit der Mitwirkung aller Gesellschafter zu messen sein.38
Da es aber auch künftig möglich ist, dass bei einer OHG oder einer KG nicht das Anfechtungs-, sondern das Feststellungsmodell gewählt wird, folgt daraus für Schiedsvereinbarungen, dass sie nicht den vom BGH statuierten Wirksamkeitsanforderungen unterliegen; vielmehr müssen ohnehin alle Gesellschafter in das Verfahren einbezogen werden.39 Gerade bei Poolverträgen und Syndikatsverträgen könnte die Aufrechterhaltung des Feststellungsmodells bedeuten, dass alle Gesellschafter und Parteien in das Verfahren einbezogen werden. Bei Optieren in das Anfechtungsmodell zugunsten der Gesellschaft sind aber die Voraussetzungen, wie sie die Judikatur entwickelt hatte, einzuhalten.
34 BGH 6.4.2009, II ZR 255/08, Rn 20.
35 Lachmann, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis3 (2008) Rz2806; Holler, Schiedsklauseln, 102f; Huneke/Gegler, RFamU 2023, 124.
36 BGH 6.4.2009, II ZR 255/08, Rn 18.
37 Huneke/Gegler, RFamU 2023, 124.
38 Huneke/Gegler, RFamU 2023, 124; K. Schmidt, ZHR 187 (2023), 121; Baumann/ B.Wagner, Schiedsfähigkeit und kein Ende? BB 2022, 963 (964); ferner Nolting, Konsequenzen der BGH-Rechtsprechung zur „Schiedsfähigkeit“ von Beschlussmängelklagen im Personengesellschaftsrecht, NZG 2022, 1286 (1291).
39 Huneke/Gegler, RFamU 2023, 124.
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Personengesellschaften
III.Beschlussmängel nach österreichischem Recht
1.Feststellungsklage
Beschlussmängel führen – unabhängig davon, ob sie materieller oder formeller Art sind – zur Nichtigkeit des Beschlusses. Dies bedeutet, dass die Nichtigkeit mittels Feststellungsklage gem §228 ZPO geltend zu machen ist.40 Die Feststellungsklage kann nicht von einem oder einigen Gesellschaftern gegen die übrigen Gesellschafter erhoben werden; vielmehr müssen sämtliche Gesellschafter entweder auf der Klägeroder auf der Beklagtenseite involviert sein und jeweils eine einheitliche Streitpartei bilden.41 Dies bedeutet, dass zur Herstellung von Rechtsklarheit und dauerhafter Erledigung des Rechtsstreits dieses Feststellungsinteresse gem §228 ZPO an die allseitige Prozessbeteiligung gekoppelt ist. Nur daraus ist die materielle Rechtskraft gegenüber allen Gesellschaftern gesichert.42 Nach der Judikatur müssen Klagen aus dem Gesellschaftsverhältnis zwischen Gesellschaftern immer sämtliche Gesellschafter erfassen.43 Sie müssen entweder auf der Klagsoder auf der Beklagtenseite beteiligt sein.44
Die Rspr verlangt bei Beschlussmängelstreitigkeiten, dass sämtliche Gesellschafter am Verfahren beteiligt sein müssen: Die außergerichtliche Einwilligung Einzelner der übrigen Gesellschafter in eine Klagsführung gegen einen anderen Gesellschafter verschafft den übrigen Gesellschaftern nicht die Aktivlegitimation zur Erwirkung der jeweils angestrebten Rechtsgestaltung.45
2.Einbeziehung aller Gesellschafter vor Gericht
Generell müssen am Gestaltungs- oder Feststellungsprozess alle Gesellschafter beteiligt sein. Es reicht nicht, dass sie sich nur mit dem Klagsziel einverstanden erklären.46 Sind nicht alle Gesellschafter am Verfahren beteiligt, so fehlt es am rechtlichen Interesse, das Voraussetzung für die erfolgreiche Erhebung einer Feststellungsklage ist.47
Daher besteht eine abweichende Situation zur GmbH oder zur AG, wo Feststellungsklagen über die Nichtigkeit von Generalversammlungs- oder Hauptversammlungsbeschlüssen gegen die Gesellschaft zu richten sind. Sämtliche Gesellschafter sind daran gebunden.48
Zum Teil wird in der Literatur anerkannt, dass eine Klage im Personengesellschaftsrecht in Analogie zum Kapitalgesellschafts- und Vereinsrecht gegen die Gesellschaft zu richten sei.49
§42 Abs6 GmbHG sowie §198 Abs1 und §201 Abs1 AktG sehen für GmbH-rechtliche und aktienrechtliche Strei-
40 Artmann/Rüffler, Grundriss des österreichischen Gesellschaftsrechts2 (2020) Rz251; Haglmüller in Artmann, UGB I3 (2019) §119 Rz36.
41 Thöni in Zib/Dellinger, UGB II (2017) §119 Rz230; Appl in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4, §119 Rz93f; Schauer in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 (2017) Rz2/453; Artmann/Haglmüller in Klang, ABGB3, §1192 Rz4.
42 OGH 23.1.1980, 6 Ob 666/79 ua; 23.6.1980, 6 Ob 643/80; Haglmüller in Artmann, UGB I3, §119 Rz36.
43 RIS-Justiz RS0022165; OGH 26.3.2009, 6 Ob 258/08x, GesRZ2009, 288 (Schörghofer), Pkt3.2.
44 OGH 12.10.1994, 9 Ob 1601/94; 10.7.2007, 4 Ob 109/07v; 26.3.2009, 6 Ob 258/08x, Pkt3.2.; Oberhammer, Die OHG im Zivilprozeß (1998) 341; Schauer in Kalss/ Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht (2008) Rz2/287; ders in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz2/453.
45 OGH 27.4.2001, 1 Ob 40/01s; Koppensteiner/Auer in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4, §140 Rz12; Schneider in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3, §14 ZPO Rz75; H. Foglar-Deinhardstein/Aburumieh, NZ2021, 146 (149).
46 Ausdrücklich Koppensteiner/Auer in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4, §140 Rz12.
47 OGH 26.3.2009, 6 Ob 258/08x; Kodek, Einlagenrückgewähr und notwendige Streitgenossenschaft – eine Klarstellung, NZ2021, 674 (679).
48 H. Foglar-Deinhardstein/Aburumieh, NZ2021, 149; Kodek, NZ2021, 679.
tigkeiten zwischen der Gesellschaft und einem Gesellschafter ausdrücklich eine Rechtskrafterstreckung vor. Da eine Regelung ähnlich wie für das GmbH-Recht und für das Aktienrecht im Personengesellschaftsrecht aber gerade fehlt und auch bei großen Novellen, wie etwa 2005 beim HaRÄG50 oder 2014 beim GesbR-RG,51 – trotz vorangehender Diskussion in Lehre und Judikatur – nicht normiert wurde, liegt keine Lücke vor. Daher kann eine Ausdehnung der Rechtswirkungen durch Analogie nicht vorgenommen werden.52 §119 UGB wurde im Zuge des GesbR-RG geändert, nicht aber die Regelung über die Beschlussfassung und auch nicht jene über die fehlerhafte Beschlussfassung. Daher ist von einem bewussten Schweigen des Gesetzgebers auszugehen, zumal die Diskussion darüber bereits damals geführt wurde. Dies ergibt sich gerade aus der OGH-Entscheidung vom 26.3.2009, 6 Ob 258/ 08x, klar. Dennoch hat der Gesetzgeber – anders als zu Beschlüssen von Vereinsorganen gem §7 VerG – keine ausdrückliche Regelung getroffen.53
Der rechtspolitische Wunsch und die rechtspolitische Praktikabilität sind nicht ausreichend dafür, die Lückenhaftigkeit und Analogiefähigkeit zu begründen. Die mangelnde Einbeziehung aller Gesellschafter entweder auf der Klägeroder der Beklagtenseite ist einem fundamentalen Rechtsprinzip geschuldet, nämlich der Einbeziehung der Gesellschafter zur Sicherung der Rechtskraftwirkung und der Bindungskraft eines Urteils und damit des Rechtsstaatlichkeitsprinzips und des Zugangs zu einem fairen Verfahren gem Art6 EMRK sowie Art87 B-VG.54 Mit der mangelnden Involvierung und fehlenden verfahrensrechtlichen Beteiligung aller Gesellschafter auf der einen oder anderen Prozessseite und der Konzentration auf die Gesellschaft ist eine massive Einschränkung des Rechtszugangs und der Rechtskrafterstreckung ohne ausdrückliche Regelung verbunden.
Der gerichtliche Streit ist unter sämtlichen Gesellschaftern auszutragen.55 Sieht künftig die deutsche Regelung nach §113 Abs2 dHGB nF ausdrücklich vor, dass die Klage gegen die Gesellschaft zu richten ist,56 so fehlt diese Regelung in Österreich. Daher ist nach geltendem Recht und ganz deutlich überwiegender Meinung in der Lehre die Einbeziehung aller Gesellschafter erforderlich.57
3.Gesellschaftsrechtliche Regelung
Kann die Einbeziehung aller Gesellschafter vorweg durch eine entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelung geleis-
49 Kraus in U. Torggler, UGB3 (2019) §119 Rz22 und 24; Koppensteiner, Die GesBR neuer Prägung und der allgemeine Teil des Gesellschaftsrechts, WBl 2015, 301 (314); U. Torggler/H. Torggler, Zum (rechtsformübergreifenden) Kern der gesellschaftsrechtlichen Kernbereichslehre, in FS G. H. Roth (2011) 831 (840f); Plasser, Beschlüsse von Personengesellschaften und Willensmängel, JBl 2004, 137 (151f); Dellinger, Rechtsfähige Personengesellschaften in der Liquidation (2001) 305 FN86; Enzinger, Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften (1995) 339; aA Haglmüller in Artmann, UGB I3, §119 Rz37; Thöni in Zib/Dellinger, UGB II, §119 Rz263f.
50 Handelsrechts-Änderungsgesetz, BGBl I 2005/120.
51 GesbR-Reformgesetz, BGBl I 2014/83.
52 OGH 26.3.2009, 6 Ob 258/08x, Pkt3.1.
53 Artmann, GesRZ2021, 281 FN 61; dies, Das Beschlussmängelrecht der Personengesellschaften, in Artmann/Rüffler/U. Torggler, Beschlussmängel (2018) 39 (52); Eckert, zitiert nach Baumgartner/J. A. Mayer, Vormittagsdiskussion Teil II, in Artmann/Rüffler/U. Torggler, Beschlussmängel (2018) 53 (54); Thöni in Zib/Dellinger, UGB II, §119 Rz264.
54 Oberhammer, OHG, 350ff.
55 Ausdrücklich Artmann, GesRZ2021, 284; dies, Beschlussmängelrecht, 48ff; Kraus in U. Torggler, UGB3, §119 Rz24.
56 Siehe Pkt II.2.
57 Artmann, GesRZ2021, 281 und 284.
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tet werden? Der OGH hat es – anders als der deutsche BGH – bisher ausdrücklich mangels klaren Anwendungsfalles unterlassen, darüber abzusprechen, ob eine gesellschaftsvertragliche Regelung zulässig und wirksam ist, dass Feststellungsklagen gegen die Gesellschaft zu erheben sind.58 Der OGH hatte in der E 6 Ob 258/08x – nur – Gelegenheit, zu beurteilen, dass eine Gesellschaft (KG) auch zusätzlich zu den Gesellschaftern in die Klage miteinbezogen werden kann. Dabei waren aber die einzelnen Gesellschafter jedenfalls entweder auf der Kläger- oder der Beklagtenseite in den Prozess einbezogen. Davon ist der Fall zu unterscheiden, wonach nur die Gesellschaft zu klagen und sie daher allein passivlegitimiert ist.
Einige Autoren sprechen sich dafür aus, dass man im Gesellschaftsvertrag vorsehen kann,59 dass eine Feststellungsklage in Anlehnung zum AktG und VerG gegen die Gesellschaft zu richten und diese an eine Frist zu binden ist.
Zwar ist das OG-Recht (UGB) in weiten Bereichen von dispositivem Charakter; dabei geht es aber um privatrechtliche Regelungen unter den Gesellschaftern bzw gegenüber anderen privaten Personen, den Gläubigern und Geschäftspartnern. Die Rechtskrafterstreckung ist nicht nur eine privatrechtliche, sondern auch eine verfahrensrechtliche Regelung, die im öffentlichen Interesse steht.60 Allein aus einer Fristregelung lässt sich für die Einbringung der Klage sowie aus Formvorschriften (zB schriftlich, mehrfache Ausfertigungen) die Rechtskrafterstreckung nicht ableiten.
Daraus wird deutlich, dass derartige Regelungen, die zentrale Fragen des Rechtsschutzes und prozessrechtliche Fragen und eine Verschiebung der Rechtsposition nicht in die Hand der Vertragsparteien legt, nicht mit den Wertungen eines ordentlichen fairen Verfahrens unter Einbeziehung der Gesellschafter in Einklang gebracht werden kann und daher nicht zulässig und daher unwirksam ist.61
Der Grund liegt darin, dass eine gewillkürte Prozessstandschaft, dh eine durch Vereinbarung geschaffene Prozessstandschaft, in Österreich nicht besteht. Als gewillkürte Prozessstandschaft wird die auf Vereinbarung beruhende Trennung zwischen materiell-rechtlicher Befugnis und formell-rechtlicher Prozessführungsbefugnis verstanden. Sie wird vom OGH62 und von der Lehre63 für unzulässig gehalten. Insofern weicht das österreichische Recht von der deutschen Parallele ab.64 Ausdrücklich spricht aber auch der BGH nur von einer „schuldrechtlichen Bindungswirkung“, nicht aber von einer Erstreckung der Rechtskraft auf die Gesellschafter.65
Gesellschaftsrechtliche Regelungen, die bestimmte Verfahrungsregelungen aus dem Kapitalgesellschaftsrecht auch für die Geltendmachung von Beschlussmängeln für Personen-
59 Kraus in U. Torggler, UGB3, §119 Rz22 und 24; Koppensteiner, WBl 2015, 314; U.Torggler/H. Torggler, Kernbereichslehre, 840f; Plasser, JBl 2004, 151f; Dellinger, Personengesellschaften, 305 FN 86; Enzinger, Mehrheitsbeschlüsse, 339ff; aA Haglmüller in Artmann, UGB I3, §119 Rz37; Thöni in Zib/Dellinger, UGB II, §119 Rz263f.
60 Artmann, GesRZ2021, 285.
61 Jabornegg/Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2 (2010) §119 Rz33; Oberhammer, OHG, 350ff; Schauer in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz2/453 FN256ff; zurückhaltend und offen Haglmüller in Artmann, UGB I3, §119 Rz37; ferner Feltl, UGB (2018) §119 Anm 1.
62 RIS-Justiz RS0053157; Oberhammer, OHG, 354 (offener aber auf S355, aber wohl eher rechtspolitisch).
63 Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3, Vor §1 ZPO Rz124ff; Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO5 (2019) Vor §1 Rz4; Lukas in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02, §1393 Rz19.
64 Nunner-Krautgasser in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3, Vor §1 ZPO Rz125.
65 BGH 23.9.2021, I ZB 13/21; Oberhammer, OHG, 352 und 354; siehe Pkt II.3.2.
gesellschaften übernehmen, sind zulässig (wie etwa eine bestimmte Verfahrensfrist).66 Damit werden aber nur bestimmte Vorgaben für die Parteien geschaffen; nicht miterfasst wird die Rechtskrafterstreckung gem §42 Abs6 GmbHG sowie §198 Abs1 und §201 Abs1 AktG.67
4.Schiedsfähigkeit nach österreichischem Recht
4.1.Personengesellschaftsrechtliche Ansprüche sind vermögensrechtliche Ansprüche
Gesellschaftsrechtliche Ansprüche sind nach österreichischem Recht als vermögensrechtliche Ansprüche grundsätzlich objektiv schiedsfähig, dh offen für Schiedsverfahren.68 Schiedsklauseln können daher sowohl bei GesBRs, insb in Syndikatsverträgen,69 als auch in OGs70 und in KGs vereinbart werden.71 In Syndikatsverträgen sind Schiedsklauseln besonders häufig. Eine Schiedsklausel ist auch in Teilsyndikaten zulässig, somit in Syndikatsverträgen, die nur einen Teil der Gesellschafter der Hauptgesellschaft binden, nicht aber alle Gesellschafter. Die Schiedsvereinbarung bezieht sich damit auch nur auf die Syndikatspartner.72
Schiedsvereinbarungen unterliegen gem §583 Abs1 ZPO der Formpflicht. Der Zweck der Form liegt in der Beweissicherung.73 Daneben dient das Schriftformerfordernis auch dem Schutz vor Übereilung.74 Eine Schiedsklausel in einem Personengesellschaftsvertrag muss den Anforderungen des §583 Abs1 ZPO genügen, dh, sie muss schriftlich abgeschlossen sein. Somit muss eine der zeitgemäßen Kommunikation angepasste Schriftform eingehalten werden.75
Die Schiedsklausel muss im Gesellschaftsvertrag formuliert werden.76 Das System des gerichtlichen Interessenschutzes gehört zum Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte von Gesellschaftern. Daher bedarf die nachträgliche Aufnahme einer Schiedsklausel in die Statuten der Zustimmung aller Mitglieder.77
4.2.Rechtskraftwirkung
Mit der objektiven Schiedsfähigkeit eng verknüpft ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen zwischen meh-
66 Zeiler, Zur schiedsgerichtlichen Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen, in FSDelle Karth (2013) 1055 (1072).
67 Oberhammer, OHG, 356; Zeiler, Anfechtung, 1072.
68 OGH 16.12.2013, 6 Ob 43/13m; Zeiler, Schiedsverfahren2 (2014) §582 ZPO Rz12; Dorda, Die schiedsunterworfene Umgründung und die umgegründete Schiedsklausel, in FS Hügel (2016) 81 (82); A. Reiner, GesRZ2007, 151ff; Kalss in Czernich/DeixlerHübner/Schauer, Handbuch Schiedsrecht (2018) Rz22.1.
69 OGH 17.4.1996, 7 Ob 2097/96z; Skarics, Der GmbH-Gesellschafter als Verbraucher (2017) 182.
70 OGH 30.5.2017, 4 Ob 92/17h; Schauer in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4, §105 Rz78; Jabornegg/Artmann in Jabornegg/Artmann, UGB I2, §117 Rz38.
71 Kalss in Czernich/Deixler-Hübner/Schauer, Schiedsrecht, Rz22.1.
72 OGH 22.10.2010, 7 Ob 103/10p; Kalss/Eckert, Zivilprozessrechtliche und schiedsrechtliche Fragen um die Übertragung von GmbH-Anteilen, RdW 2007, 133; Hausmaninger/Ph. Thun-Hohenstein, Syndikatsverträge, notwendige Streitgenossenschaft und Schiedsverfahren, ecolex 2011, 625.
73 OGH 31.8.1984, 1 Ob 20/84; 24.5.2005, 4 Ob 82/05w; 5.2.2008, 10 Ob 120/07f; Hausmaninger in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3, §583 ZPO Rz1; Schauer in Czernich/Deixler-Hübner/Schauer, Schiedsrecht, Rz5.47.
74 OGH 31.8.1984, 1 Ob 20/84; 26.1.2000, 7 Ob 368/98p ua; 17.1.2018, 6 Ob 195/17w.
75 Schauer in Czernich/Deixler-Hübner/Schauer, Schiedsrecht, Rz5.47 und 5.60.
76 OGH 10.12.1998, 7 Ob 221/98w; Czernich, Schiedsklauseln bei österreichischen Kapitalgesellschaften, SchiedsVZ2014, 86 (87); Kalss, Gesellschaftsrecht und Schiedsrecht in Österreich (Teil I), JBl 2015, 205 (209); dies in Czernich/DeixlerHübner/Schauer, Schiedsrecht, Rz22.5.
77 OGH 26.6.2014, 6 Ob 84/14t; 21.12.2017, 6 Ob 104/17p; Kalss, JBl 2015, 211; Schauer in Czernich/Deixler-Hübner/Schauer, Schiedsrecht, Rz5.22; Hausmaninger in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3, §581 ZPO Rz314.
3/2023 145 Personengesellschaften
58 OGH 26.3.2009, 6 Ob 258/08x, Pkt3.7.; dazu Oberhammer, OHG, 350ff; Schörghofer, GesRZ2009, 292.
reren Parteien ein Schiedsverfahren stattfinden kann und unter welchen Voraussetzungen eine Rechtskrafterstreckung
iSv §42 Abs6 GmbHG oder §198 AktG wirkt.78 Damit die Schiedsklausel ihre volle Wirkung entfalten kann, müssen etwa alle Partner des Syndikatsvertrages oder des sonstigen Gesellschaftsvertrages der Personengesellschaft die Schiedsvereinbarung geschlossen haben. Somit muss eine Beteiligung aller Gesellschafter vorliegen. Die Einbeziehung in und die Bindung der Gesellschafter an das Schiedsverfahren müssen besonderen Anforderungen genügen.79 Voraussetzung für die Einbeziehung ist zunächst, dass alle von den Rechtswirkungen des Schiedsspruchs Beteiligten auch Partei der Schiedsvereinbarung sind.
4.3.Rechtskrafterstreckung von Schiedssprüchen
Ein rechtskräftiger Schiedsspruch entfaltet im gesellschaftsrechtlichen Kontext gegen eine Person bzw eine Partei nur dann Bindungswirkung, wenn diese Person Partei der Schiedsvereinbarung gewesen ist, ihr der Streit verkündet wurde, somit ihr Recht auf Wahrung des rechtlichen Gehörs gewahrt und ihr eine Beteiligungsmöglichkeit eingeräumt wurde und ihr zusätzlich die Mitwirkung an der Auswahl und Konstituierung der Schiedsrichter ermöglicht wurde.80 Diese Regelungen gelten sowohl für Kapitalgesellschaften als auch für Personengesellschaften.
Die Rspr verneint eine Ipso-iure-Bindung von Personengesellschaftern einer OG, KG oder GesBR an die von der Gesellschaft abgeschlossene Schiedsvereinbarung.81 Wenn ausdrücklich aus der Schiedsvereinbarung hervorgeht, dass sich der oder die Gesellschafter an die Vereinbarung binden wollen und somit eine mittelbare Zustimmung gegeben ist, kann sich nach Auffassung der Judikatur Gegenteiliges ergeben.82 Konkretisiert wurde dies bislang nicht. Die überwiegende Lehre lehnt eine Bindung von Personengesellschaftern kraft Gesetzes an die allein von der Gesellschaft abgeschlossenen Schiedsvereinbarungen ab.83 Bei einer GesBR setzt die Rechtsverfolgung vor einem Schiedsgericht durch die Gesellschafter, die eine einheitliche Streitpartei bilden, voraus, dass alle Mitglieder eine wirksame Schiedsvereinbarung abschließen.84
Eine Rechtskrafterstreckung kann für die am Schiedsverfahren nicht Beteiligten, somit die Gesellschafter, bei Beschlussfeststellungsstreitigkeiten nur übertragen werden, wenn ein dem staatlichen Verfahren entsprechender Rechtsschutz gewährleistet wird.85 Die Schiedsfähigkeit ist in der Schiedsvereinbarung angelegt; daher muss die Schiedsvereinbarung entsprechend gestaltet werden.86
78 A. Reiner, GesRZ2007, 155; Kalss in Czernich/Deixler-Hübner/Schauer, Schiedsrecht, Rz22.10; Kodek, Schiedsvereinbarungen bei Privatstiftungen – Möglichkeiten und Grenzen, in FS W. Jud (2012) 351 (369).
79 Czernich, SchiedsVZ2014, 87; A. Reiner, GesRZ2007, 152; Kalss, JBl 2015, 208; dies in Czernich/Deixler-Hübner/Schauer, Schiedsrecht, Rz22.5.
80 Vavrowsky/Stefan, Bindungswirkung von Schiedssprüchen gegenüber Dritten, in Nueber, Handbuch Schiedsgerichtsbarkeit und ADR (2021) 518 (520).
81 OGH 5.8.1999, 1 Ob 163/99y.
82 OGH 5.8.1999, 1 Ob 163/99y; Koller in Liebscher/Oberhammer/Rechberger, Schiedsverfahrensrecht I (2012) Rz3/311.
83 Koller in Liebscher/Oberhammer/Rechberger, Schiedsverfahrensrecht I, Rz3/312; Schauer in Czernich/Deixler-Hübner/Schauer, Schiedsrecht, Rz5.77; Vavrowsky/ Stefan, Bindungswirkung von Schiedsvereinbarungen gegenüber Dritten, in Nueber, Handbuch Schiedsgerichtsbarkeit und ADR (2021) 490 (496).
84 OGH 7.11.2002, 6 Ob 67/02z; Koller in Liebscher/Oberhammer/Rechberger, Schiedsverfahrensrecht I, Rz3/313; Vavrowsky/Stefan, Bindungswirkung von Schiedsvereinbarungen, 497.
85 BGH 23.9.2021, I ZB 13/21.
Die deutschen Überlegungen zur Gültigkeit der Schiedsvereinbarung, zur Frage des rechtlichen Gehörs und zur Bildung des Schiedsgerichts lassen sich wegen der Wertungsparallele übernehmen.87 Durch die Schiedsvereinbarung darf es nicht zu einem Vorwegverzicht einer Partei auf die Gewährung des rechtlichen Gehörs kommen.88 Eine Grenze enthält jedenfalls §611 Abs2 ZPO, der die Aufhebungsgründe festlegt.89
Zwei schon unter Pkt I.1. angesprochene Besonderheiten des Schiedsverfahrens gegenüber dem staatlichen Verfahren sind zu beachten, nämlich die bewusste Abkehr von der staatlichen Gerichtsbarkeit und damit ein verminderter Rechtsschutz, zumal ein Instanzenzug nicht möglich ist.90 Umgekehrt haben die Streitparteien anders als bei Verfahren vor den staatlichen Gerichten ein unmittelbares Mitwirkungsrecht an der Gestaltung des Schiedsverfahrens (wie etwa bei Gestaltung der Fristen oder bei der Zulässigkeit von Schriftsätzen [zB post-hearing letter] und insb bei der Bestellung der Schiedsrichter).
Die Rechtskrafterstreckung gem §41 Abs6 GmbHG kann nicht ohne Weiteres auf Personengesellschaften übertragen werden.91 Bei Personengesellschaften müssen alle Gesellschafter geklagt werden,92 um gegen sie die Rechtskraftwirkung zu etablieren.
4.4.Vertragliche Schiedsklausel – Rechtskraft?
Die Bindungswirkung eines Schiedsspruchs gegenüber Dritten, somit den Gesellschaftern einer Personengesellschaft, bei einer Klage gegen die Gesellschaft wurde in den Materialien zum SchiedsRÄG 200693 nicht geklärt, sondern als offen gelassene Gretchenfrage der Schiedsfähigkeit gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten hervorgehoben.94
Wird im Gesellschaftsvertrag vorgesehen, dass die Schiedsklage gegen die Gesellschaft zu richten ist, so ist nur nach dem formalen Wortlaut die Passivlegitimation der Gesellschaft gegeben. Die anderen Gesellschafter sind aber nicht einbezogen, sodass ein Defizit der Wirkungskraft besteht.95 Die Beteiligung sämtlicher Gesellschafter muss bereits ex ante in der Schiedsvereinbarung verankert werden. So kann ein Verfahren durchgeführt werden, das den notwendigen Rechtsschutzstandard sicherstellt.
Aus den verfeinerten und konkretisierten Anforderungen des BGH lassen sich nunmehr Konkretisierungen für den Zugang und die Beteiligungsmöglichkeit der Parteien des Schiedsverfahrens ableiten. Einhelligkeit besteht für die österreichische Rechtslage schon bisher darin, dass den Gesellschaftern bereits im Stadium der Konstituierung des Schiedsgerichts die Möglichkeit gegeben werden muss, ihre Rechte und Interessen wahrzunehmen und an der Auswahl der
86 Pitkowitz, Schiedsfähigkeit gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten – Alles klar? in FSH. Torggler (2013) 959 (971).
87 Lovrek/Musger in Czernich/Deixler-Hübner/Schauer, Schiedsrecht, Rz16.12.
88 Neumayr, Rechtliches Gehör, in Nueber, Handbuch Schiedsgerichtsbarkeit und ADR (2021) 249 (255).
89 Herbst, Schiedsgerichtsbarkeit und Verfassung, in FS H. Torggler (2013) 485 (491).
90 Hausmaninger in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3, Vor §577 ZPO Rz11 und §607 ZPO Rz44.
91 OGH 22.10.2010, 7 Ob 103/10p.
92 OGH 26.3.2009, 6 Ob 258/08x.
93 Schiedsrechts-Änderungsgesetz 2006, BGBl 2006/7.
94 ErlRV 1158 BlgNR 22. GP, 9.
95 Schauer in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz2/453; Oberhammer, OHG, 350ff.
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Personengesellschaften
Schiedsrichter und an der Ablehnung vorgeschlagener Richter mitzuwirken.96
Aus diesen allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen ist abzuleiten, dass das Recht der Parteien, an der Bestellung der Schiedsrichter mitzuwirken, besonders bedeutsam ist.97
In der Rspr des OGH wurde die Mitwirkung der Gesellschafter, die an den Schiedsspruch gebunden sein sollen, an der Schiedsrichterbestellung noch nicht explizit ausgesprochen. Der OGH hat bisher nur statuiert, dass die von der Rechtsstrahlkrafterstreckung erfassten Gesellschafter die Möglichkeit zur Nebenintervention haben.98 Ausdrücklich betonte der OGH aber auch, dass eine Beschneidung des rechtlichen Gehörs eines von der Rechtskraft Betroffenen nicht zulässig ist und einen Aufhebungsgrund gem §611 ZPO bilden könnte.99
Es reicht nicht, dass Gesellschaftern die schlichte Verfahrensbeteiligung durch Nebenintervention ermöglicht werde.100 Diese Beteiligungsmöglichkeit setzt zu spät an.101 Die notwendige Beteiligung wird durch die Möglichkeit der Mitwirkung an der Schiedsrichterbestellung sichergestellt.102
Was bedeutet dies genau? Die Beteiligung bedeutet Mitwirkung an der Schiedsrichterbestellung und die Wahrung des rechtlichen Gehörs.103 Neben der Mitwirkung an der Konstituierung des Schiedsgerichts durch Auswahl der Schiedsrichter ist das Recht auf bzw die Beteiligung an der Ablehnung eines Schiedsrichters maßgeblich. Die Unparteilichkeit und die Unabhängigkeit der Schiedsrichter sind maßgebliche Rechtsschutzgarantien zugunsten der Parteien des Schiedsverfahrens gem Art87 Abs1 B-VG und Art6 Abs1 EMRK.104
In der Schiedsklausel selbst müssen diese Verfahrensstandards bereits – etwa in Einklang mit Art7 der „Ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten“ (DIS-ERGeS)
in Anlage 5 der DIS-Schiedsgerichtsordnung 2018105 – angeordnet werden. Diese Musterklauseln wurden in Reaktion auf die Schiedsfähigkeit bei Personengesellschaften etabliert und setzen die Mindestanforderungen um.106 Insb sehen Art7 und 8 der DIS-ERGeS die Mitwirkung an der Konstitution des Schiedsgerichts vor und Art2ff der DIS-ERGeS die Möglichkeiten der Einbeziehung, der Information und des Beitritts der Betroffenen vor. Die DIS-ERGeS können auch in Österreich angewendet werden.107
96 A. Reiner, GesRZ2007, 155; Auer, Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten in der GmbH, in Witt/Casper/Bednarz, Die Privatisierung des Privatrechts(2003) 127 (133); ders, Schiedsvereinbarungen bei der GmbH im Lichte des SchiedsRÄG 2005, in Kalss/ Rüffler, Satzungsgestaltung in der GmbH – Möglichkeiten und Grenzen (2005) 123 (129f); Koller in Liebscher/Oberhammer/Rechberger, Schiedsverfahrensrecht I, Rz3/92.
97 OGH 1.10.2008, 6 Ob 170/08f; Neumayr, Rechtliches Gehör, 252; F. T. Schwarz in Liebscher/Oberhammer/Rechberger, Schiedsverfahrensrecht II (2016) Rz8/49; Auer, Schiedsvereinbarungen, 123ff; Zeiler, Anfechtung, 1064 und 1070; Riegler/Petsche in Liebscher/Oberhammer/Rechberger, Schiedsverfahrensrecht I, Rz5/88f.
98 OGH 10.12.1998, 7 Ob 221/98w.
99 OGH 10.12.1998, 7 Ob 221/98w; 29.6.2006, 6 Ob 145/06a; 19.4.2012, 6 Ob 42/12p; 26.6.2014, 6 Ob 84/14t.
100 A. Reiner, GesRZ2007, 155.
101 Pitkowitz, Schiedsfähigkeit, 966ff.
102 Kalss in Czernich/Deixler-Hübner/Schauer, Schiedsrecht, Rz22/10.
103 Dorda, Umgründung, 86; Konzett/Nueber, Schiedsfähigkeit, in Nueber, Handbuch Schiedsgerichtsbarkeit und ADR (2021) 15 (31); Zeiler, Anfechtung, 1070; Trenker/Demetz, Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten in der GmbH, WBl 2013, 1 (5).
104 OGH 1.10.2008, 6 Ob 170/08f.
105 Online abrufbar unter https://www.disarb.org/werkzeuge-und-tools/dis-regeln
106 Huneke/Gegler, RFamU 2023, 123; Holler, Schiedsklauseln, 102; Reinmar Wolff, Die Ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten der DIS: Bilanz der DIS-ERGeS2009 und Vorstellung der DIS-ERGeS2018, SchiedsVZ2018, 246 (247).
107 Dorda, Umgründung, 86; Kalss in Czernich/Deixler-Hübner/Schauer, Schiedsrecht, Rz22/10.
IV.Zusammenfassung
Das Beschlussmängelrecht für Personengesellschaften ist in Österreich nur rudimentär geregelt. Das deutsche MoPeG sieht nun eine weitreichende Regelung für Beschlüsse und für den Rechtsschutz bei Mängeln vor.
Das deutsche Recht etabliert in Abkehr zur bisherigen Rechtslage das Anfechtungsmodell gegen die Gesellschaft, flankiert mit einer Erga-omnes-Wirkung gegenüber allen Gesellschaftern.
Bei der GesBR behält das deutsche Recht das Feststellungsmodell der Nichtigkeit der Beschlüsse bei. Die Rechtslage ist dispositiv, sodass die Gesellschafter abweichende Regelungen sowohl für eingetragene Personengesellschaften als auch für GesBRs treffen können.
Während die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte klar geregelt wurde, verzichtet das deutsche Recht auf eine Regelung der Schiedsfähigkeit. Nach geltendem Recht hängt die Wirksamkeit der Schiedsklausel bei Beschlussstreitigkeiten in Personengesellschaften davon ab, ob zulässigerweise die Klage gegen die Gesellschaft oder die Gesellschafter zu richten ist. Ist die Klage gegen die Gesellschaft zu richten, so müssen bestimmte Mindestkriterien für die Einbeziehung aller Gesellschafter in die Konstituierung des Schiedsgerichts und die Auswahl der Schiedsrichter bzw die Ablehnungsmöglichkeit anderer vorgeschlagener Schiedsrichter gesichert werden.
Das österreichische Recht sieht keine Regelungen vor und hält nach geltendem Recht trotz mehrerer großer Novellen an der Feststellung der Nichtigkeit fest, was die Notwendigkeit der Einbeziehung aller Gesellschafter in das Verfahren nach sich zieht. Eine analoge Rechtskrafterstreckung ist mit Lehre und Judikatur im Wege der Analogie zu §42 Abs6 GmbHG sowie §198 Abs1 und § Abs1 201 AktG abzulehnen.
Die gesellschaftsrechtliche Regelung, die verfahrensrechtliche Schritte (wie Fristen und einzelne Schriftsatzvorgaben) vorsieht, vermag eine Rechtskrafterstreckung nicht wirksam zu leisten, da ohne ausdrückliche Zustimmung in den Kernbereich des Rechtsschutzes der jeweiligen Personen eingegriffen wird.
Ein Schiedsspruch ist bei Beschlussmängelstreitigkeiten von Personengesellschaften gegenüber den betroffenen Gesellschaftern nur dann wirksam, wenn sie der Schiedsklausel zugestimmt haben und ihnen darin bereits das Recht eingeräumt wird, bei Konstituierung des Schiedsgerichts eingebunden zu werden, Schiedsrichter auswählen zu dürfen und auch im Verfahren über die Ablehnung eines vorgeschlagenen oder schon eingesetzten Schiedsrichters beigezogen zu werden.
Fehlt eine derartige Einbeziehung, ist die Schiedsklausel unwirksam und vermag die Rechtswirkungen nicht zu entfalten. In diesem Fall ist auch die objektive Schiedsfähigkeit der Streitigkeit nicht gegeben. So entspricht es kaum dem Willen des Gesetzgebers, dass die Parteien eine Streitigkeit der Schiedsgerichtsbarkeit unterwerfen, wenn der sodann ergehende Schiedsspruch die Klärungs- und Friedensfunktion nicht herstellen kann. Insofern sind die vom BGH entwickelten Kautelen auch als Voraussetzung für die objektive Schiedsfähigkeit der Streitigkeit anzusehen. Nur so kann eine umfassende Bindungswirkung unter Wahrung der Rechte sämtlicher Gesellschafter sichergestellt werden.
3/2023 147 Personengesellschaften
Das neue EU-Umgründungsgesetz
Hintergrund, Regelungsgegenstand und Ausblick
ROMAN PERNER / ZURAB SIMONISHVILI *
Der vorliegende Beitrag analysiert das neue EU-UmgrG, das sich derzeit im Stadium einer Regierungsvorlage befindet.1
1 I.Hintergrund
Bisher war die grenzüberschreitende Verschmelzung in Österreich im EU-VerschG geregelt, das grundsätzlich auf den für innerstaatliche Verschmelzungen geltenden Bestimmungen im AktG und im GmbHG aufbaute und nur die Besonderheiten bei grenzüberschreitenden Vorgängen normierte.2 Von der Rspr anerkannt, jedoch gesetzlich nicht (ausdrücklich) geregelt und nur unter analoger Anwendung der Regelungen des EU-VerschG und des SEG durchführbar war zudem auch die grenzüberschreitende Sitzverlegung (auch als „Umwandlung“ bezeichnet).3 Ebenfalls gesetzlich nicht geregelt,4 wenngleich im Lichte der Niederlassungsfreiheit grundsätzlich nicht verboten und deshalb praktisch bisher nicht durchführbar war die grenzüberschreitende Spaltung.5
Durch das neue EU-UmgrG, welches die Mobilitätsrichtlinie6 ins österreichische Recht umsetzt, werden alle drei grenzüberschreitenden Umgründungsarten, und zwar Umwandlung, Verschmelzung und Spaltung, einheitlich geregelt;7 das EU-VerschG wird gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des EU-UmgrG aufgehoben. Der Gesetzeszweck liegt zum einen in der Verbesserung der Flexibilität für grenzüberschreitende Umgründungen innerhalb der EU und zum anderen in der Schaffung eines einheitlichen Rechtsrahmens sowie in der Stärkung des Schutzes der Arbeitnehmer, Gläubiger und Minderheitsgesellschafter der beteiligten Gesellschaften.8
1 RV 2028 BlgNR 27. GP.
2 Zur Rechtsentwicklung im Bereich der grenzüberschreitenden Verschmelzungen und zum Regelungsgegenstand des EU-VerschG siehe Eckert in Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3 (2021) Vor §§1 – 18 EU-VerschG Rz4ff.
3 Vgl EuGH 12.7.2012, Rs C-378/10, VALE; 25.10.2017, Rs C-106/16, Polbud; OGH 10.4.2014, 6 Ob 224/13d; Eckert in Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3, Vor §§1 – 18 EU-VerschG Rz54ff; T. Hayden, Grenzüberschreitender Formwechsel (2018) 43.
4 Siehe aber §10a BWG, der grenzüberschreitende Spaltungen von Kreditinstituten ermöglicht.
5 Vgl Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3, Vor §§1 – 17 SpaltG Rz13f; Karollus, Umstrukturierungen und Sitzverlegung über die Grenze – aktuelle Rechtslage (vor der Umsetzung der Richtlinie [EU] 2019/2121), in Artmann/Rüffler/ U. Torggler, Gesellschaftsrecht und IPR (2020) 87; D. Kohl, Grenzüberschreitende Spaltungen: eine aktuelle Bestandsaufnahme, RdW 2019, 7.
6 Richtlinie (EU) 2019/2121 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.11.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ABl L 321 vom 12.12.2019, S1.
7 Zur Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie siehe schon Thomale, Die EU-Mobilitätsrichtlinie – ein Wachstumsimpuls für das österreichische Umgründungsrecht, RdW 2020, 338 und 424; Potyka/Rieder, Die Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie in Österreich, RdW 2022, 742; Herzog, Die Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie –Wesentliche Neuerungen, Streitfragen und Kritikpunkte, GES2023, 3.
Das neue EU-UmgrG ist in fünf Hauptstücke gegliedert. Nach allgemeinen Bestimmungen für alle drei Umgründungsarten erfolgen Regelungen zur grenzüberschreitenden Umwandlung, wobei zwischen der Hinaus-Umwandlung und der Herein-Umwandlung unterschieden wird. Diese Unterscheidung wird auch in den Hauptstücken über die grenzüberschreitende Verschmelzung sowie die grenzüberschreitende Spaltung beibehalten, in denen sich häufig Verweise auf die Regelungen zur grenzüberschreitenden Umwandlung finden.
II.Erfasste Umgründungsarten
Bei einer grenzüberschreitenden Umwandlung nach dem EU-UmgrG verlegt eine Kapitalgesellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz von einem Mitgliedstaat in einen anderen, wodurch sich das auf sie anwendbare Gesellschaftsrecht ändert.9 Auf diese Weise kann etwa eine österreichische AG zu einer niederländischen N.V. werden oder umgekehrt. Im ersteren Fall handelt es sich aus österreichischer Sicht um eine HinausUmwandlung, im zweiten Fall um eine Herein-Umwandlung (§8 Z2 und 3 EU-UmgrG).
Weiters regelt das neue EU-UmgrG auch die Verschmelzung zur Aufnahme sowie zur Neugründung, die Verschmelzung auf die Alleingesellschafterin und die Verschmelzung ohne Anteilsgewähr (§27 Z3 EU-UmgrG). Auch hier wird zwischen Hinaus-Verschmelzungen (§§39 bis 42 EU-UmgrG) und Herein-Verschmelzungen (§§43 bis 45 EU-UmgrG) unterschieden.
Letztlich enthält das neue EU-UmgrG erstmals Regelungen für die grenzüberschreitende Spaltung und folgt dabei derselben Systematik wie bei der Umwandlung und Verschmelzung: gemeinsame Vorschriften (§§46 und 47 EU-UmgrG), Hinaus-Spaltung (§§48-63 EU-UmgrG) und Herein-Spaltung (§§64-67 EU-UmgrG). Erfasst sind die Auf- und Abspaltung zur Neugründung sowie die Ausgliederung, bei der die übertragende Gesellschaft einen Teil ihres Vermögens auf eine oder mehrere dazu neu gegründete Gesellschaften gegen Gewährung von Anteilen überträgt (§47 Z2 bis 5 EU-UmgrG). Die in der Mobilitätsrichtlinie nicht vorgesehene grenzüberschreitende Spaltung zur Aufnahme wird auch im EU-UmgrG nicht geregelt.
8 Siehe auch Herzog, GES2023, 3ff.
9 Fiala/Potyka, Das neue EU-Umgründungsgesetz, RWZ2023, 35.
148 3/2023 Umgründungen
*Dr. Roman Perner ist Partner und Rechtsanwalt, Dr. Zurab Simonishvili ist Rechtsanwalt in einer internationalen Wirtschaftskanzlei in Wien.
III.Durchführung von Umgründungen
1.Vorbemerkung
Die Regelungen des EU-UmgrG betreffend die Verschmelzung und Spaltung werden an die Regelungen zur Umwandlung angelehnt. Deshalb werden hier zunächst die Bestimmungen zur Durchführung einer Umwandlung näher dargestellt, wobei zwischen Hinaus-Umwandlungen und Herein-Umwandlungen unterschieden wird; darauffolgend wird auf Besonderheiten für die Verschmelzung und Spaltung eingegangen.
2.Zu erstellende Unterlagen
Gem §10 Abs1 EU-UmgrG hat der Vorstand der Gesellschaft einen Umwandlungsplan zu erstellen. Ferner hat die Gesellschaft auch auf den Umwandlungsstichtag eine Schlussbilanz aufzustellen, wobei der Stichtag höchstens neun Monate vor der Anmeldung der beabsichtigten Umwandlung liegen darf
(§10 Abs2 EU-UmgrG).
Mit §10 EU-UmgrG wird Art86d der Mobilitätsrichtlinie umgesetzt; die vergleichbare Regelung findet sich in §5 EU-VerschG über den Verschmelzungsplan. Nicht übernommen wird dabei die bisherige Formvorschrift des §5 Abs5 EU-VerschG (notarielle Beurkundung). Es reicht daher aus, wenn der Umwandlungsplan schriftlich erstellt wird.10 Ferner hat gem §11 EU-UmgrG der Vorstand der Gesellschaft einen Bericht für Gesellschafter und Arbeitnehmer zu erstellen (Umwandlungsbericht), in dem die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte der grenzüberschreitenden Umwandlung erläutert und begründet sowie ihre Auswirkungen auf die Arbeitnehmer erläutert werden (Abs2 leg cit). Der Bericht hat einen allgemeinen Abschnitt sowie einen Abschnitt für die Gesellschafter (Abs3 leg cit) und einen Abschnitt für die Arbeitnehmer (Abs5 leg cit) zu enthalten. Der Abschnitt für die Gesellschafter ist nicht erforderlich, wenn alle Gesellschafter schriftlich oder in der Niederschrift zur Gesellschafterversammlung darauf verzichtet haben oder die Gesellschaft nur einen Gesellschafter hat (Abs4 leg cit). Auch der Abschnitt für die Arbeitnehmer kann entfallen, wenn die Gesellschaft und ihre etwaigen Tochtergesellschaften keine anderen Arbeitnehmer als die Mitglieder des Vorstands haben (Abs6 leg cit). Sind weder der Abschnitt für die Gesellschafter noch jener für die Arbeitnehmer erforderlich (zB Einpersonengesellschaft ohne Arbeitnehmer), kann die Erstellung des Berichts gänzlich unterbleiben (Abs7 leg cit).
Gem §12 EU-UmgrG hat ein unabhängiger Sachverständiger (Umwandlungsprüfer) den Umwandlungsplan zu prüfen und einen Bericht für die Gesellschafter zu erstellen. Schwerpunkt dieses Berichts ist die Angemessenheit der Barabfindung.11 Für die Bestellung, die Auswahl, das Auskunftsrecht und die Verantwortlichkeit des Umwandlungsprüfers gilt §5 Abs2 und 3 SpaltG sinngemäß (§12 Abs3 EU-UmgrG). Die Umwandlungsprüfung ist nicht erforderlich, wenn 1.) alle Gesellschafter schriftlich oder in der Niederschrift zur Gesellschafterversammlung darauf verzichtet haben oder 2.) die
11 Potyka/Rieder, RdW 2022, 744; Drinhausen/Keinath, Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie, BB 2022, 1346 (1356); J.Schmidt, Der UmRUG-Referentenentwurf: grenzüberschreitende Umwandlungen 2.0 – und vieles mehr (Teil II), NZG 2022, 635 (638).
Gesellschaft nur einen Gesellschafter hat (§12 Abs4 EUUmgrG).
Hat die Gesellschaft einen Aufsichtsrat, so hat dieser gem §13 Abs1 EU-UmgrG die Umwandlung auf Grundlage des Umwandlungsberichts und des Prüfungsberichts des Umwandlungsprüfers zu prüfen und darüber einen schriftlichen Bericht zu erstatten. Auch die Prüfung durch den Aufsichtsrat ist nicht erforderlich, wenn 1.) alle Gesellschafter schriftlich oder in der Niederschrift zur Gesellschafterversammlung darauf verzichtet haben oder 2.) die Gesellschaft nur einen Gesellschafter hat. In einem solchen Fall hat der Vorstand den Aufsichtsrat über die Umwandlung zu informieren (Abs2 leg cit).
3.Information der Gesellschafter und Arbeitnehmer sowie Offenlegung
3.1.Information der Gesellschafter und Arbeitnehmer
§14 Abs1 EU-UmgrG sieht vor, dass die Gesellschafterversammlung, in der der Umwandlungsbeschluss gefasst werden soll, spätestens sechs Wochen vor der Versammlung einzuberufen ist. Die Einberufung hat einen Hinweis darauf zu enthalten, auf welche Weise und zu welchem Zeitpunkt den Gesellschaftern die zur Vorbereitung erforderlichen Unterlagen zugänglich gemacht werden.
Bei der AG oder der SE sind die in §14 Abs2 EU-UmgrG genannten Unterlagen den Aktionären gem §108 Abs3 bis 5 AktG zur Verfügung zu stellen. Die Berichte des Umwandlungsprüfers und des Aufsichtsrats sind spätestens einen Monat vor dem Tag der Hauptversammlung und die restlichen Unterlagen spätestens sechs Wochen vor dem Tag der Hauptversammlung bereitzustellen. Bei der GmbH sind die in §14 Abs2 UmgrG genannten Unterlagen den Gesellschaftern zu übersenden oder in elektronischer Form zugänglich zu machen (Abs5 leg cit). Diese Unterlagen sind auch in der Gesellschafterversammlung aufzulegen (Abs6 leg cit). Die Bereitstellung der Unterlagen gem §14 Abs2 EU-UmgrG ist nicht erforderlich, wenn sämtliche Gesellschafter schriftlich oder in der Niederschrift zur Gesellschafterversammlung darauf verzichten.
Dem zuständigen Organ der Arbeitnehmervertretung, in Ermangelung dessen den Arbeitnehmern selbst, sind die in §14 Abs2 Z1 bis 4 EU-UmgrG genannten Unterlagen spätestens sechs Wochen vor dem Tag der Gesellschafterversammlung, in welcher der Umwandlungsbeschluss gefasst werden soll, zu übersenden oder in elektronischer Form zugänglich zu machen (Abs7 leg cit). Das zuständige Organ der Arbeitnehmervertretung bzw die Arbeitnehmer haben das Recht, innerhalb von vier Wochen nach Erhalt der Unterlagen eine Stellungnahme zum Umwandlungsbericht abzugeben. In diesem Fall hat der Vorstand die Gesellschafter unverzüglich zu informieren und die Stellungnahme dem Umwandlungsbericht als Anlage beizufügen; dies gilt auch dann, wenn die Gesellschafter gem §14 Abs2 letzter Satz EU-UmgrG auf die Bereitstellung der Unterlagen verzichtet haben (Abs8 leg cit).
Zusätzlich zu diesen Regelungen stehen die Unterrichtungs- und Anhörungsrechte sowie -verfahren nach §§108 und 109 ArbVG zur Verfügung.
3/2023 149 Umgründungen
10 ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 3.
Umgründungen
3.2.Offenlegung
Gem §15 Abs1 EU-UmgrG hat der Vorstand spätestens einen Monat vor der Gesellschafterversammlung bei dem Gericht, in dessen Sprengel die Gesellschaft ihren Sitz hat, 1.) den Umwandlungsplan sowie 2.) eine Mitteilung an die Gesellschafter, die Gläubiger und das zuständige Organ der Arbeitnehmervertretung bzw die Arbeitnehmer einzureichen, dass sie der Gesellschaft spätestens fünf Arbeitstage vor der Gesellschafterversammlung Anmerkungen zum Umwandlungsplan übermitteln können. Der Umstand sowie der Tag der Einreichung der Unterlagen nach §15 Abs1 EU-UmgrG sind von Amts wegen in das Firmenbuch einzutragen und die Unterlagen sind in die Urkundensammlung aufzunehmen (Abs2 leg cit). Eine Möglichkeit zur Offenlegung in der Ediktsdatei ist nicht vorgesehen.
Gem §15 Abs3 EU-UmgrG hat die Gesellschaft Gläubigern auf Verlangen die den Gesellschaftern zugänglich zu machenden Jahresabschlüsse und Lageberichte, die Schlussbilanz, wenn sie nicht dem letzten Jahresabschluss entspricht, und eine allfällige Zwischenbilanz zu übersenden oder in elektronischer Form zugänglich zu machen.
4.Umsetzungsphase
4.1.Umwandlungsbeschluss
§16 Abs1 EU-UmgrG sieht vor, dass die Gesellschafter dem Umwandlungsplan zustimmen und beschließen müssen, die Satzung der Gesellschaft an das Recht des Zuzugsmitgliedstaates anzupassen. Bei einer AG oder einer SE bedarf ein solcher Beschluss einer Mehrheit von zumindest drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals und bei der GmbH einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen. Die Satzung bzw der Gesellschaftsvertrag können eine größere Mehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen (Abs2 und 3 leg cit). Der Beschluss bedarf der notariellen Beurkundung.
Die Umwandlung kann auch davon abhängig gemacht werden, dass die Modalitäten für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der umgewandelten Gesellschaft im Zuzugsmitgliedstaat ausdrücklich von ihr bestätigt werden (§16 Abs4 EU-UmgrG).12
4.2.Firmenbuchverfahren
Zuletzt hat der Vorstand der Gesellschaft die beabsichtigte Umwandlung zur Eintragung beim Gericht, in dessen Sprengel die Gesellschaft ihren Sitz hat, anzumelden (§21 Abs1 EU-UmgrG). Dabei hat das zuständige Firmenbuchgericht zu prüfen, ob die gesetzlichen Vorschriften – einschließlich der Regelungen zur Arbeitnehmermitbestimmung – eingehalten wurden.13 Diese Prüfung umfasst auch eine besondere Missbrauchskontrolle.14
Gelangt das Gericht zur Überzeugung, dass die beabsichtigte grenzüberschreitende Umwandlung rechtskonform ist, hat es grundsätzlich innerhalb einer Frist von drei Monaten15
12 Siehe auch §9 Abs1 EU-VerschG.
13 Siehe auch Fiala/Potyka, RWZ2023, 36.
14 Siehe Pkt VI.
15 Wenn erforderlich, kann diese Frist um weitere drei Monate verlängert werden. Ausnahmsweise kann die Prüfung auch noch länger dauern; vgl §21 Abs9 EU-UmgrG.
die sog Vorabbescheinigung auszustellen, die dem Register des Zuzugsmitgliedstaates über das Business Registers Interconnection System (BRIS) übermittelt wird. Mit der Eintragung der Gesellschaft im Register des Zuzugsmitgliedstaates wird die grenzüberschreitende Umwandlung wirksam. Sobald das Register des Zuzugsmitgliedstaates mitteilt, dass die Umwandlung wirksam geworden ist, hat das Gericht die Gesellschaft im österreichischen Firmenbuch zu löschen.16
5.Herein-Umwandlung
Zunächst ist zu beachten, dass bei einer Herein-Umwandlung nach Österreich die gesamte Vorprüfung des Vorgangs im Wegzugsmitgliedstaat erfolgt.17 Danach ist die umgewandelte Gesellschaft zum österreichischen Firmenbuch anzumelden.
Auf die sich umwandelnde Gesellschaft sind die für die neue Rechtsform geltenden Gründungsvorschriften sinngemäß anzuwenden. Es ist eine Gründungsprüfung vorzunehmen, auf die die aktienrechtlichen Bestimmungen zur Gründungsprüfung sinngemäß anzuwenden sind, wobei der Gründungsbericht nach §24 AktG entfällt. Gem §23 Abs2 EU-UmgrG ist – in Orientierung an §3 Abs4 SpaltG – zu prüfen, ob der tatsächliche Wert des Nettoaktivvermögens wenigstens der Höhe des Nennkapitals zuzüglich gebundener Rücklagen nach Durchführung der Umwandlung entspricht. Eine externe Gründungsprüfung ist erforderlich, weil die Sachlage vergleichbar einer Werthaltigkeitsprüfung bei einer Sacheinlage eines Unternehmens ist.18
Mit Eintragung der Gesellschaft durch das österreichische Firmenbuchgericht wird die grenzüberschreitende HereinUmwandlung wirksam. Die Löschung der Gesellschaft im Register des Wegzugsmitgliedstaates richtet sich nach dessen Recht.19
6.Besonderheiten für Verschmelzungen und Spaltungen
Die Regelungen zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen und Spaltungen sind weitgehend jenen für die Umwandlung nachgebildet, weshalb in diesem Beitrag nur die wichtigsten Abweichungen dargestellt werden. Diese Abweichungen betreffen hauptsächlich die Gesellschafter- und Gläubigerschutzthemen; diese werden unten unter Pkt IV. (Gesellschafterschutz) und Pkt V. (Gläubigerschutz) näher behandelt. Hier wird nur auf eine Besonderheit hingewiesen, die das Wirksamwerden einer grenzüberschreitenden Spaltung betrifft:
Während grenzüberschreitende Hinaus-Umwandlungen und Hinaus-Verschmelzungen mit der Eintragung der Umgründungen im Zuzugsmitgliedstaat wirksam werden (§§25 und 38 EU-UmgrG), kommt es bei einer grenzüberschreitenden Hinaus-Spaltung auf deren Eintragung bei der übertragenden Gesellschaft an; eine Hinaus-Spaltung wird daher mit ihrer Eintragung durch das österreichische Firmenbuchgericht wirksam (§63 Abs1 EU-UmgrG).
Für eine Herein-Spaltung bedeutet das, dass die begünstigte Gesellschaft bereits ins Firmenbuch einzutragen ist,
16 Fiala/Potyka, RWZ2023, 36; Potyka/Rieder, RdW 2022, 746.
17 Fiala/Potyka, RWZ2023, 37; Potyka/Rieder, RdW 2022, 746.
18 ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 10f; Fiala/Potyka, RWZ2023, 37; Potyka/Rieder, RdW 2022, 746.
19 Fiala/Potyka, RWZ2023, 37; Potyka/Rieder, RdW 2022, 746.
150 3/2023
bevor die Spaltung im Wegzugsmitgliedstaat wirksam geworden ist.20 Daher ist die Eintragung der begünstigten Gesellschaft mit dem Hinweis zu versehen, dass die begünstigte Gesellschaft erst mit der Wirksamkeit der Spaltung nach dem Recht des Wegzugsmitgliedstaates entsteht (§66 Abs6 und §67 Abs1 EU-UmgrG). Sobald das Register des Wegzugsmitgliedstaates dem österreichischem Firmenbuchgericht über das BRIS mitteilt, dass die Spaltung wirksam geworden ist, ist unverzüglich einzutragen, dass die begünstigte Gesellschaft nun entstanden ist (§67 Abs2 EU-UmgrG).
IV.Gesellschafterschutz
1.Barabfindung und Überprüfung der Barabfindung
Gem §17 Abs1 EU-UmgrG steht Gesellschaftern bei HinausUmwandlungen gegenüber der Gesellschaft oder einem Dritten, der eine Barabfindung angeboten hat (§10 Abs1 Z9 EU-UmgrG), das Recht auf angemessene Barabfindung gegen Hingabe seiner Anteile zu. Dieser Barabfindungsanspruch setzt voraus, dass 1.) der betroffene Gesellschafter gegen den Umwandlungsbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat, 2.) vom Zeitpunkt der Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung bis zur Geltendmachung des Rechts Gesellschafter war und 3.) auf das Recht nicht schriftlich oder in der Niederschrift zur Gesellschafterversammlung verzichtet hat.
Das Angebot kann gleichzeitig mit dem Widerspruch zur Niederschrift in der Gesellschafterversammlung angenommen werden; andernfalls muss die Annahmeerklärung der Gesellschaft oder dem Dritten schriftlich oder in Textform (§13 Abs2 AktG) binnen eines Monats nach dem Umwandlungsbeschluss zugehen (§17 Abs2 Satz 1 EU-UmgrG). Der Anspruch auf Barabfindung ist mit Eintragung der Umwandlung bedingt, wird mit dieser Eintragung fällig und verjährt in drei Jahren (§17 Abs2 Satz 2 EU-UmgrG). Für die Erfüllung der Barabfindung einschließlich der Übertragungskosten ist den Abfindungsberechtigten Sicherheit zu leisten (§17 Abs2 Satz 3 EU-UmgrG).
Das Firmenbuch darf die Vorabbescheinigung erst ausstellen, wenn die Barabfindungsansprüche der Gesellschafter ausreichend sichergestellt sind oder alle Gesellschafter auf die Barabfindung verzichtet haben (§17 Abs3 EU-UmgrG).
Gem §18 EU-UmgrG können Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen nicht darauf gestützt werden, dass 1.) das Angebot auf Barabfindung nicht angemessen ist oder 2.) die von der Gesellschaft, ihren Organen oder den Umwandlungsprüfern schriftlich oder mündlich gegebenen Erläuterungen des Barabfindungsangebots den gesetzlichen Bestimmungen nicht entsprechen.
Gesellschafter, die das Barabfindungsangebot angenommen haben, können binnen eines Monats nach dem Umwandlungsbeschluss bei Gericht einen Antrag auf Überprüfung der Barabfindung stellen. Das Gericht hat den Antrag gem §18 AktG bekannt zu machen. Gesellschafter, die die Voraussetzungen gem §225c Abs3 Z1 AktG erfüllen, können binnen eines weiteren Monats nach dieser Bekanntmachung eigene Anträge stellen. Im Übrigen gelten für das
Verfahren auf gerichtliche Überprüfung §§225d bis 225m AktG, ausgenommen §225e Abs2 und 3 sowie §225j Abs2 AktG, sinngemäß (§19 EU-UmgrG).
Die Ausführungen oben gelten auch für die Hinaus-Verschmelzungen sinngemäß (§§40 und 41 EU-UmgrG).
Bei einer Spaltung haben sowohl die Gesellschafter, die nach der Spaltung Anteile an einer Gesellschaft erhalten würden, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaates unterliegt, als auch die Gesellschafter, die einer nicht verhältniswahrenden Spaltung nicht zugestimmt haben, ein Recht auf Barabfindung (§57 Abs1 und 2 EU-UmgrG). Diese §9 SpaltG entsprechende Ausweitung des Austrittsrechts ist nach der Mobilitätsrichtlinie zulässig.21
2.Überprüfung des Umtauschverhältnisses bzw der Anteilsgewährung
Gem §36 Abs1 EU-UmgrG steht jedem Gesellschafter einer sich verschmelzenden inländischen Gesellschaft, der nicht nach §40 Abs1 EU-UmgrG gegen Barabfindung aus der Gesellschaft ausgetreten ist, das Recht auf Überprüfung des Umtauschverhältnisses auf seine Angemessenheit zu.22 Es ist nicht erforderlich, dass ein Gesellschafter gegen den Verschmelzungsbeschluss gestimmt hat.23 Das Überprüfungsverfahren selbst richtet sich sinngemäß nach §§225c bis 225m AktG (§36 Abs2 EU-UmgrG). Gem §35 EU-UmgrG ist eine Anfechtung des Verschmelzungsbeschlusses aufgrund eines nicht angemessenen Umtauschverhältnisses oder von mangelnden Erläuterungen ausgeschlossen.
Bei einer nicht verhältniswahrenden Hinaus-Spaltung können die Gesellschafter als Alternative zum Austritt gegen Barabfindung auch die Anteilsaufteilung überprüfen lassen; wurden sie tatsächlich benachteiligt, wird dies durch bare Zuzahlungen ausgeglichen (§60 EU-UmgrG).
V.Gläubigerschutz
1.Grenzüberschreitende Umwandlung
§20 EU-UmgrG dient der Umsetzung von Art86j der Mobilitätsrichtlinie betreffend den Gläubigerschutz und lehnt sich inhaltlich an §226 AktG, §15 SpaltG und §13 EU-VerschG an.24 Laut §20 Abs1 EU-UmgrG haben Gläubiger der Gesellschaft einen Anspruch auf Sicherheitsleistung, den sie gegebenenfalls innerhalb von drei Monaten nach der Offenlegung des Umwandlungsplans mit Klage geltend machen müssen. In diesem Fall müssen Gläubiger glaubhaft machen, dass die Forderung entstanden ist, dass sie keine Befriedigung verlangen können und dass durch die Umwandlung die Erfüllung der Forderung gefährdet wird. Wird die Umwandlung nicht wirksam, kann die Gesellschaft die Rückübertragung oder Auflösung der gewährten Sicherheiten verlangen.
Für Inhaber von Schuldverschreibungen oder Genussrechten der sich umwandelnden Gesellschaft behält §20 Abs2 EU-UmgrG das aus §226 Abs3 AktG und §15 Abs5
3/2023 151 Umgründungen
20 Fiala/Potyka, RWZ2023, 38; Potyka/Rieder, RdW 2022, 747.
21 Fiala/Potyka, RWZ2023, 38; Potyka/Rieder, RdW 2022, 747.
22 Diese Norm gilt für die Herein- und die Hinaus-Verschmelzung, aber immer nur für die Gesellschaft, die vor der Verschmelzung österreichischem Recht unterliegt; siehe dazu ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 14.
23 ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 13; Fiala/Potyka, RWZ2023, 37.
24 ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 8.
Umgründungen
SpaltG bekannte Schutzsystem bei.25 Diesen Sonderrechtsinhabern sind in erster Linie gleichwertige Rechte einzuräumen. Nur wenn dies im konkreten Fall faktisch unmöglich ist, haben die Sonderrechtsinhaber ein Wahlrecht zwischen einer Änderung und einer vollständigen Beendigung ihrer Rechte jeweils gegen angemessene Abgeltung.26
§20 Abs3 EU-UmgrG sieht in Anlehnung an §14 Abs2 EU-VerschG vor, dass die Vorabbescheinigung erst ausgestellt werden darf, wenn die Ansprüche der Gläubiger nach §20 Abs1 und 2 EU-UmgrG erfüllt wurden. Diesbezüglich hat der Vorstand der sich umwandelnden Gesellschaft gem §21 Abs2 Z9 EU-UmgrG bei der Anmeldung der beabsichtigten Umwandlung einen eigenen Nachweis zu erbringen und eine entsprechende Erklärung abzugeben.
2.Besonderheiten für grenzüberschreitende Verschmelzungen und Spaltungen
§37 EU-UmgrG entspricht weitgehend §20 EU-UmgrG, wobei sich ein wesentlicher Unterschied daraus ergibt, dass eine Gefährdung der Gläubiger sowohl durch eine Hinaus- als auch durch eine Herein-Verschmelzung möglich ist. Zur Ausstellung einer Vorabbescheinigung durch ein inländisches Gericht kommt es nur in ersterem Fall, weshalb §37 Abs3 EU-UmgrG auf Hinaus-Verschmelzungen zu beschränken ist.27
Auch §61 EU-UmgrG entspricht weitgehend §§20 und 37 EU-UmgrG. Im Unterschied zur grenzüberschreitenden Verschmelzung stellen sich Fragen des Gläubigerschutzes nur bei der Hinaus-Spaltung.28
Hingegen stellt §61 Abs2 EU-UmgrG eine spaltungsspezifische Regelung dar. Nach dieser Bestimmung haften für die bis zur Eintragung der Spaltung begründeten Verbindlichkeiten der übertragenden Gesellschaft neben der Gesellschaft, der die Verbindlichkeit nach dem Spaltungsplan zugeordnet wird, die übrigen an der Spaltung beteiligten Gesellschaften bis zur Höhe des ihnen jeweils am Tag des Wirksamwerdens der Spaltung zugeordneten Nettoaktivvermögens als Gesamtschuldner. Diese Bestimmung setzt Art160j der Mobilitätsrichtlinie insofern überschießend um, als die dort vorgesehene Subsidiarität der Mithaftung beteiligter Gesellschaften entfällt. Dies gebietet die innere Kohärenz mit §15 SpaltG. Umgekehrt werden die nationalen Haftungsbefreiungen nach §15 Abs1 Satz 2 und 3 SpaltG samt der Rückausnahme in §15 Abs3 SpaltG nicht übernommen, weil sie Art160j Abs2 der Mobilitätsrichtlinie widersprächen.29
25 Siehe dazu näher Kalss, Verschmelzung – Spaltung – Umwandlung3, §226 AktG Rz24ff.
26 ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 9; vgl auch Eckert in Kalss, Verschmelzung – Spaltung –Umwandlung3, §13 EU-VerschG Rz17.
27 ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 14.
28 ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 18.
29 ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 18.
VI.Missbrauchskontrolle
Erstmals führt das EU-UmgrG auch eine Missbrauchskontrolle ein, wonach das Gericht ua zu prüfen hat, ob die Umwandlung zu missbräuchlichen oder betrügerischen Zwecken, die dazu führen oder führen sollen, sich Unionsrecht oder nationalem Recht zu entziehen oder es zu umgehen, oder zu kriminellen Zwecken vorgenommen werden soll (§21 Abs7 EU-UmgrG). Laut den Gesetzesmaterialien liegt ein Missbrauch insb vor, wenn die Umgründung zur Umgehung der Rechte der Arbeitnehmer, von Sozialversicherungszahlungen, von Steuerpflichten, von Forderungen anderer Gläubiger oder zu kriminellen Zwecken benutzt wird.30
Als missbräuchlich ist eine grenzüberschreitende Umgründung ua dann anzusehen, wenn ein Verhalten der betreffenden Gesellschaft als Sozialbetrug iSd §2 SBBG zu qualifizieren ist. In einem solchen Fall kann das Amt für Betrugsbekämpfung gem §8 SBBG einen Feststellungsbescheid erlassen, dass die Gesellschaft als Scheinunternehmen gilt; nach Rechtskraft dieses Bescheids ist die Feststellung der Scheinunternehmerschaft auch im Firmenbuch einzutragen. Eine solche Eintragung soll daher gem §21 Abs7 Z1 EU-UmgrG bewirken, dass die Umgründung jedenfalls als missbräuchlich gilt.31
Gemäß §21 Abs7 Z2 EU-UmgrG ist das Gericht im steuerlichen Bereich an einen Auskunftsbescheid zum (Nicht-)Vorliegen von Missbrauch nach §22 BAO (§118 Abs2 Z5 BAO) gebunden, sofern ein solcher vorgelegt wird. Zwar ist die Gesellschaft zu dieser Vorlage nicht verpflichtet, kann dadurch aber einen wichtigen Beitrag zur Vereinfachung der gerichtlichen Missbrauchsprüfung leisten.32
VII.Ausblick
Mit der Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie in den einzelnen Mitgliedstaaten wird die Mobilität von Kapitalgesellschaften innerhalb der EU deutlich erhöht werden. Für Kapitalgesellschaften gab es bisher nur die Möglichkeit, grenzüberschreitende Verschmelzungen auf Basis des EU-VerschG sowie Sitzverlegungen auf Basis der Rspr durchzuführen. Vor allem die Sitzverlegung stieß aber in der Praxis auf Hürden bei einzelnen Registergerichten. Durch die Umsetzung der Mobilitätsrichtlinie wird nunmehr auch die Möglichkeit geschaffen, grenzüberschreitende Spaltungen durchzuführen. Es ist zu erwarten, dass Gesellschaften von grenzüberschreitenden Umgründungen ab nächstem Jahr verstärkt Gebrauch machen werden, sei es aus steuerlichen oder gesellschaftsrechtlichen Gründen oder auch aus Kostengründen. Insb die grenzüberschreitende Spaltung könnte uE zu einem deutlichen Anstieg von grenzüberschreitenden Aktivitäten führen.
30
9.
31
152 3/2023
ErlRV 2028 BlgNR 27. GP,
ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 10.
32 ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 10.
Überprüfung des Aufteilungsverhältnisses bei grenzüberschreitenden nicht verhältniswahrenden
Spaltungen
ANITA GASSNER *
Der vorliegende Beitrag analysiert die unionsrechtlich vorgeschriebene Überprüfung des Aufteilungsverhältnisses bei grenzüberschreitenden nicht verhältniswahrenden Spaltungen (Art160i Abs6 der Mobilitätsrichtlinie)1 und betrachtet die geplante Umsetzung in nationales Recht (§60 EU-UmgrG).
*1
I.Einleitung
Die 2019 verabschiedete Mobilitätsrichtlinie sieht in Art160i Abs6 eine Überprüfung des spaltungsrechtlichen Aufteilungsverhältnisses vor. Der Ministerialentwurf zum EU-UmgrG,2 mit welchem die Vorgaben der Mobilitätsrichtlinie in nationales Recht umgesetzt werden sollen, wurde am 20.1.2023 veröffentlicht (die Umsetzungsfrist ist am 31.1.2023 abgelaufen). Am 26.4.2023 wurde die Regierungsvorlage publiziert.3 Während das österreichische und das deutsche Recht bereits bisher eine Überprüfung des verschmelzungsrechtlichen Umtauschverhältnisses vorsahen, ist eine Überprüfung des spaltungsrechtlichen Aufteilungsverhältnisses neu. Das SpaltG regelt in §8 Abs3 für innerstaatliche nicht verhältniswahrende Spaltungen erhöhte Mehrheitserfordernisse4 und in §9 ein Austrittsrecht. Das deutsche UmwG sieht in §128 für innerstaatliche nicht verhältniswahrende Spaltungen Einstimmigkeit vor.
II.Vorgaben der Mobilitätsrichtlinie
1.Allgemeines
Der sachliche Anwendungsbereich der Mobilitätsrichtlinie erstreckt sich auf grenzüberschreitende Spaltungen zur Neugründung (sowohl Abspaltungen als auch Aufspaltungen). Nicht erfasst sind dagegen Spaltungen zur Aufnahme. Diese Ausnahme wird in den Erwägungsgründen damit begründet, dass Spaltungen zur Aufnahme besonders komplex seien.5 Für grenzüberschreitende Spaltungen zur Neugründung räumt Art160i Abs6 der Mobilitätsrichtlinie antragsberechtigten Gesellschaftern ein, das „Umtauschverhältnis anzufech-
Dr. Anita Gassner, LL.M., BSc. hat Wirtschaftsrecht und Internationale Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien studiert. Ihre Dissertation mit dem Titel „Schutz von Minderheitsgesellschaftern bei grenzüberschreitenden Umgründungen durch Austrittsrecht und Überprüfungsverfahren nach der Mobilitätsrichtlinie“ hat sie als Universitätsassistent am Institut für Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien verfasst und im Jänner 2023 an der Wirtschaftsuniversität Wien eingereicht. Seit Februar 2023 ist sie als Referentin in der FMA tätig.
1 Richtlinie (EU) 2019/2121 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.11.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ABl L 321 vom 12.12.2019, S1.
2 247/ME 27. GP, online abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/gegenstand/
XXVII/ME/247
3 RV 2028 BlgNR 27. GP.
4 §8 Abs3 SpaltG verlangt eine Mehrheit von mindestens 90% des gesamten Nennkapitals bei nicht verhältniswahrenden Spaltungen, während nach §8 Abs1 SpaltG bei verhältniswahrenden Spaltungen eine Mehrheit von 75% des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals ausreicht.
5 Erwägungsgrund 8 der Mobilitätsrichtlinie.
ten und eine bare Zuzahlung zu verlangen“. Diese Formulierung ist in zweierlei Hinsicht missverständlich: Mit „Umtauschverhältnis“ kann nur das spaltungsrechtliche Aufteilungsverhältnis gemeint sein, da die Spaltung zur Aufnahme nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst ist.6 Weiters sieht Art160h Abs5 lita der Mobilitätsrichtlinie spiegelbildlich zur Einräumung des Überprüfungsverfahrens einen Anfechtungsausschluss vor. Unter einer „Anfechtung des Umtauschverhältnisses“ ist daher technisch keine Beschlussanfechtung, sondern eine Berechtigung zur Einleitung eines Überprüfungsverfahrens gemeint.7 Es handelt sich daher um keine Anfechtung, sondern um eine Anpassung des Aufteilungsverhältnisses.
2.Antragsberechtigung
Antragsberechtigt sind nach dem Richtlinientext „Gesellschafter der Gesellschaft, die die Spaltung vornimmt, die über kein Recht zur Veräußerung ihrer Anteile verfügten oder dieses nicht ausgeübt haben“. Diese Bestimmung stellt klar, dass jene Gesellschafter, die bereits ihr Austrittsrecht ausgeübt haben, nicht zusätzlich eine Überprüfung des Aufteilungsverhältnisses beantragen können. ME ist bei der Ausübung des Austrittsrechts zwischen der Austrittserklärung und der Annahme des Abfindungsangebots zu differenzieren. Hat ein Gesellschafter eine (mE unverbindliche) Austrittserklärung abgegeben und entscheidet er sich später dazu, das Barabfindungsangebot nicht anzunehmen, steht dies mE seiner Antragsberechtigung im Überprüfungsverfahren nicht entgegen, da das Austrittsrecht erst mit Annahme des Abfindungsangebots ausgeübt wird.8 Dass Gesellschafter, die bereits ausgetreten sind, keine Anpassung des Aufteilungsverhältnisses verlangen können, ist schlüssig: Da für die austretenden Gesellschafter das Aufteilungsverhältnis nicht relevant ist, macht es Sinn, dass nur eines der beiden Rechte ausgeübt werden kann.9
6 ECLE, The Commission’s 2018 Proposal on Cross-Border Mobility – An Assessment, ECFR 2019, 196 (215); vgl auch Bungert/Wansleben, Grenzüberschreitende Spaltungen nach dem Richtlinienentwurf der EU-Kommission, DB 2018, 2094 (2102); Winner, Protection of Creditors and Minority Shareholders in Cross-border Transactions, ECFR 2019, 44 (64).
7 Vgl M. Noack, Das Company Law Package – Vorschläge der Europäischen Kommission zur Harmonisierung des materiellen Schutzes der Minderheitsgesellschafter bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen, AG 2018, 780 (787).
8 Vgl M. Noack, Grenzüberschreitende Umwandlungen nach der neuen Umwandlungsrichtlinie – Das Austrittsrecht gegen angemessene Barabfindung, ZGR 2020, 90 (108).
9 Vgl Stelmaszczyk, Grenzüberschreitende Spaltungen de lege lata und de lege ferenda, DK 2021, 48 (54); Winner, ECFR 2019, 65.
3/2023 153 Umgründungen
*
Umgründungen
Das Stimmverhalten ist nach Art160i Abs6 der Mobilitätsrichtlinie für die Antragsberechtigung nicht relevant. Deshalb muss auch Gesellschaftern, die in der Hauptversammlung für die Spaltung gestimmt haben, ein Antragsrecht gewährt werden. Die Mitgliedstaaten dürfen diesbezüglich keine einschränkende Regelung vorsehen, da das unionsrechtlich vorgegebene Mindestschutzniveau nicht unterschritten werden darf.
3.Angemessenheitskontrolle
Das Überprüfungsverfahren zielt darauf ab, die Angemessenheit (richtige Berechnung) des Aufteilungsverhältnisses zu kontrollieren.10 Im Überprüfungsverfahren muss das Aufteilungsverhältnis nicht zwingend neu bemessen werden; auch eine Vertretbarkeitskontrolle ist mit dem Richtlinientext vereinbar. Daher steht es den Mitgliedstaaten frei, primär zu kontrollieren, ob das festgelegte Aufteilungsverhältnis innerhalb einer vertretbaren Bandbreite liegt, und nur bei einer festgestellten Unangemessenheit eine Neubemessung vorzunehmen.11
4.Folgen einer Unangemessenheit
Ist Ergebnis des Überprüfungsverfahrens, dass das Aufteilungsverhältnis unangemessen ist, ist zu klären, wer einen Ausgleich zu leisten hat, in welcher Form dieser möglich ist und für wen das Ergebnis des Überprüfungsverfahrens gilt.
Art160i Abs6 der Mobilitätsrichtlinie legt im letzten Satz fest, dass das Überprüfungsverfahren für die „begünstigten Gesellschaften und ... die Gesellschaft, die die Spaltung vornimmt“, bindend ist. Darüber hinaus kann nach Abs7 leg cit diesen Gesellschaften die Möglichkeit eingeräumt werden, statt einer Barzahlung Anteile zu gewähren. Aus den Richtlinienbestimmungen geht daher hervor, dass der Ausgleich von einer an der Transaktion beteiligten Gesellschaft geschuldet wird, nicht jedoch von welcher Gesellschaft.12 Da das Verfahren einige Zeit in Anspruch nimmt und dieses der Wirksamkeit der Transaktion nicht entgegensteht, ist davon auszugehen, dass die Spaltung bereits vollzogen ist, bevor der Ausgleichsanspruch entsteht. Anders als bei einer Verschmelzung existieren nach durchgeführter Spaltung mehrere an der Transaktion beteiligte Gesellschaften:
Bei einer nicht verhältniswahrenden Abspaltung zur Neugründung besteht die Gesellschaft, die die Spaltung vorgenommen hat, weiter. Darüber hinaus kommt mindestens eine neue Gesellschaft hinzu.
Bei einer nicht verhältniswahrenden Aufspaltung zur Neugründung erlischt zwar die Gesellschaft, die die Spaltung vorgenommen hat, dafür entstehen aber mindestens zwei neue Gesellschaften.
Winner vertritt, dass jene Gesellschaft, die zu viel Vermögen erhalten hat, den Ausgleich leisten muss.13 Stelmaszczyk ver-
10 M. Noack, Der Anfechtungsausschluss bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen nach der neuen Umwandlungsrichtlinie, AG 2019, 665 (669).
11 Stelmaszczyk, Der materielle Stakeholderschutz nach der neuen Umwandlungsrichtlinie, ZIP 2019, 2437 (2442); ders, DK 2021, 55.
12 Vgl auch M. Noack/Habrich, Grenzüberschreitende Verschmelzungen nach der neuen Umwandlungsrichtlinie, AG 2019, 908 (910); Papadopoulos, Protection of Shareholders in Cross-Border Mergers: The New Harmonized Rules, ECFR 2021, 980 (999).
13 Winner, ECFR 2019, 66.
trat 2019, dass sowohl die neuen Rechtsträger als auch (bei einer Abspaltung) die Gesellschaft, die die Spaltung vornimmt, den Ausgleich schulden.14 2021 sprach sich Stelmaszczyk hingegen dafür aus, dass bei einer Abspaltung nur die neue Gesellschaft den Ausgleich schulden sollte, nicht jedoch die spaltende Gesellschaft.15 Letzterer Ansicht kann mE nicht zugestimmt werden, da dies im Extremfall der Entflechtung zu einer Unmöglichkeit des Ausgleichs führt, wie folgendes Beispiel zeigt: Gesellschafter A ist zu 90% und Gesellschafter B zu 10% an der X AG mit einem Wert von 100 beteiligt. Die X AG wird nicht verhältniswahrend abgespalten, sodass A einen 100%-Anteil an der X AG bekommt, welche nunmehr 92 wert ist. Gesellschafter B bekommt einen 100%-Anteil an der neu gegründeten N AG, welche 8 wert ist. Diese Unangemessenheit kann nicht durch eine Leistung der neuen Gesellschaft (N AG) ausgeglichen werden, da jede Zahlung der N AG an ihren Alleingesellschafter B den Wert dessen Anteils mindert. Es sollte daher jene Gesellschaft den Barausgleich schulden, an der der benachteiligte Gesellschafter die geringste Beteiligung hält. Bei einer starken Anteilsverflechtung kann auch ein Ausgleich durch mehrere Gesellschaften notwendig sein, um eine Angemessenheit herzustellen. Da die Mobilitätsrichtlinie nicht festlegt, welche Gesellschaft Ausgleichsschuldnerin ist, obliegt es den nationalen Umsetzungsgesetzgebern, eine geeignete Regelung festzulegen.
Bei der Bestimmung der angemessenen Höhe des Barausgleichs ist zu berücksichtigen, dass jede Zahlung einer Gesellschaft den Wert der Anteile aller daran beteiligten Gesellschafter senkt. Leistet eine Gesellschaft einen Ausgleich, an welcher der benachteiligte Gesellschafter selbst Anteile hält, ist dieser Kompensationseffekt zu berücksichtigen. Führt die nicht verhältniswahrende Spaltung dazu, dass mehrere Gesellschafter(gruppen) in unterschiedlichen Verhältnissen an den Gesellschaften beteiligt sind, ist weiters zu berücksichtigen, dass der Ausgleich an einen Gesellschafter (bzw eine Gesellschaftergruppe) zu einer Benachteiligung anderer führen kann.
Art160i Abs7 der Mobilitätsrichtlinie räumt den Umsetzungsgesetzgebern folgenden Spielraum ein: „Die Mitgliedstaaten können auch vorsehen, dass die betreffende begünstigte Gesellschaft und im Falle einer Abspaltung auch die Gesellschaft, die die Spaltung vornimmt, anstelle einer baren Zuzahlung Anteile oder eine andere Abfindung bereitstellen kann.“ Diese Mitgliedstaatenoption ermöglicht eine Ersetzungsbefugnis zugunsten der Gesellschaften, die den Ausgleich schulden. Die Gewährung zusätzlicher Anteile statt eines Barausgleichs reduziert den Abfluss liquider Mittel.16 Gegen
14 Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2441.
15 Stelmaszczyk, DK 2021, 54.
16 Benz/L. Hübner/A. S. Zimmermann, Gesellschafterschutz in der grenzüberschreitenden Verschmelzung: eine Zukunftsperspektive, ZIP 2018, 2254 (2258); Bormann/ Stelmaszczyk, Grenzüberschreitende Verschmelzungen nach dem EU-Company Law Package, ZIP 2019, 300 (309f); Bungert/Reidt, 20 Jahre SE und zwei Jahre Mobilitätsrichtlinie: Versuch eines Cross-over, DB 2022, 311 (314); ECLE, ECFR 2019, 214; M. Noack/Habrich, AG 2019, 910; Papadopoulos, ECFR 2021, 999f; J.Schmidt, Cross-border Mergers, Divisions and Conversions: Accomplishments and Deficits of the Company Law Package, ECFR 2019, 222 (259); dies, Der Schutz der Minderheitsgesellschafter nach dem Company Law Package, in FS Krieger (2020) 841 (848); dies, Der UmRUG-Referentenentwurf: grenzüberschreitende Umwandlungen 2.0 – und vieles mehr, NZG 2022, 579 (584); Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2442; ders, DK 2021, 54; Thomale, Die EU-Mobilitätsrichtlinie – ein Wachstumsimpuls für das österreichische Umgründungsrecht (Teil II), RdW 2020, 424 (426); Winner, ECFR 2019, 65.
154 3/2023
die Gewährung zusätzlicher Anteile wird jedoch argumentiert, dass dies zu einem anderen „Deal“ führt.17 Gleichzeitig ist jedoch zu berücksichtigen, dass nur durch eine Anteilsgewährung eine Wertverwässerung verhindert werden kann.18 Teilweise wird sogar vertreten, dass die Anteilsgewährung der Regelfall und der Barausgleich die Ausnahme sein sollte.19 Da die Mobilitätsrichtlinie jedoch klar vorschreibt, dass der Ausgleich primär in bar zu begleichen ist und die Mitgliedstaaten lediglich die Option haben, den Gesellschaften eine Ersetzungsbefugnis einzuräumen, wäre ein Umsetzungsgesetz, nach dem die Anteilsgewährung die Regel ist, unzulässig.20 Dies wäre mE auch nicht wünschenswert, da es für die ausgleichspflichtige Gesellschaft unter Umständen schwierig sein kann, ausreichend Anteile zu „beschaffen“ 21 Die Einräumung einer Ersetzungsbefugnis ist hingegen mE vorteilhaft, da damit den Gesellschaften die Möglichkeit gegeben wird, einen liquiditätsschonenden Ausgleich bereitzustellen. Nach dem Richtlinientext ist neben einem Ausgleich in Form von Anteilen auch „eine andere Abfindung“ zulässig. Denkbar wäre bspw ein Ausgleich durch Anleihen, wobei hier zu bedenken ist, dass die Bereitstellung einer anderen Abfindung zu weiteren Bewertungsproblemen führen kann.
Da die Richtlinie vorgibt, dass der Ausgleich durch eine der beteiligten Gesellschaften zu leisten ist, wäre es unzulässig, stattdessen jene Gesellschafter, die bei der Spaltung zu viel erhalten haben, zum Ausgleich zu verpflichten. Denkbar wäre es jedoch, einen solchen Ausgleich zuzulassen, falls sich die durch die Transaktion bessergestellte Gesellschaftergruppe bereit erklärt, einen Ausgleich (bar oder in Form von Anteilen) zu leisten. Weiters kann darüber nachgedacht werden, das unangemessene Aufteilungsverhältnis durch eine Vermögensverschiebung zwischen den Gesellschaften auszugleichen.22 Da die Mobilitätsrichtlinie jedoch klar vorschreibt, dass der Ausgleich durch eine Barzahlung an die benachteiligten Gesellschafter zu leisten ist und als Alternativen Anteile oder eine andere Abfindung zulässig sind, wäre ein Umsetzungsgesetz, welches stattdessen einen Ausgleich zwischen den Gesellschaften vorsieht, nicht mit der Richtlinie vereinbar. Die Beteiligten können sich aber im Rahmen ihrer Privatautonomie über eine Vermögensverschiebung einigen, um benachteiligte Gesellschafter klaglos zu stellen.
Art160i Abs6 der Mobilitätsrichtlinie enthält im letzten Satz folgende Regelung zur Rechtskrafterstreckung der Entscheidung über die Anpassung des Aufteilungsverhältnisses: „Die Entscheidung ist für die begünstigten Gesellschaften und, im Falle einer Abspaltung, auch für die Gesellschaft, die die Spaltung vornimmt, bindend.“ Anders als bei der Regelung zum Umtauschverhältnis bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen enthält Art160i Abs6 der Mobilitätsrichtlinie jedoch keine Regelung zu einer Rechtskrafterstreckung auf
17 ECLE, ECFR 2019, 214; Papadopoulos, ECFR 2021, 999f; Winner, ECFR 2019, 65.
18 M. Noack, AG 2018, 786; M. Noack/Habrich, AG 2019, 910; Stelmaszczyk, DK 2021, 54; ders, ZIP 2019, 2442.
19 Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 309f; M. Noack, AG 2018, 786; M. Noack/Habrich, AG 2019, 910; Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2442; vgl auch J. Schmidt, Schutz, 848.
20 Vgl dazu auch Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2442, der sich zwar für eine solche RegelAusnahme-Umkehr ausspricht, die Zulässigkeit aber für fraglich hält.
21 Vgl auch Reitinger, Diskussionsbericht Teil IV, in Artmann/Rüffler/U. Torggler, Gesellschaftsrecht und IPR (2020) 163; aA Habrich, Die Verbesserung des Umtauschverhältnisses mit Zusatzaktien, AG 2022, 567 (571).
22 Vgl auch Winner, ECFR 2019, 64: „an inadequate distribution of assets can be challenged in court“
jene Gesellschafter, die keinen Überprüfungsantrag gestellt haben. In der Literatur wird teilweise eine analoge Anwendung der verschmelzungsrechtlichen Regelung argumentiert.23 Doch auch ohne eine solche Analogie können die Mitgliedstaaten bei der Spaltung eine Wirkung erga omnes vorsehen, da keine unionsrechtlichen Vorgaben entgegenstehen.24 Im Kommissionsentwurf25 war weder für die Verschmelzung noch für die Spaltung eine Erga-omnes-Wirkung vorgesehen, trotzdem wurde in der Literatur vertreten, dass diese aufgrund der Mindestharmonisierung zulässig ist.26 Da das Ausmaß der Benachteiligung bei der nicht verhältniswahrenden Spaltung – im Gegensatz zur Verschmelzung – nicht zwingend für alle benachteiligten Gesellschafter gleich hoch ausfällt, ist bei einer Rechtskrafterstreckung auch eine amtswegige Festlegung der jeweiligen Höhe des Ausgleichs erforderlich. Unter Erga-omnes-Wirkung wird daher im Folgenden verstanden, dass die festgestellte Unangemessenheit des Aufteilungsverhältnisses und die damit verbundene Ausgleichsverpflichtung für alle an der Transaktion beteiligten Gesellschafter gelten, die konkrete Ausgleichshöhe aber unterschiedlich ausfallen kann und allenfalls amtswegig festzulegen ist.
Wesentlicher Nachteil einer Rechtskrafterstreckung ist, dass diese zu einer Erhöhung des Liquiditätsabflusses führt, da an alle benachteiligten Gesellschafter eine Ausgleichszahlung zu leisten ist.27 Außerdem werden Trittbrettfahrer unterstützt.28 Für eine Erga-omnes-Wirkung spricht, dass diese aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes geboten ist; es wäre unsachlich, ein unangemessenes Aufteilungsverhältnis nur für einen Teil der Gesellschafter zu korrigieren.29 Die Gleichbehandlung ist in diesem Fall essenziell, da sich ein Ausgleich an die beantragenden Gesellschafter (sowohl durch Barzahlung als auch durch zusätzliche Anteile) mittelbar auf alle beteiligten Gesellschafter auswirkt.30 Leistet eine Gesellschaft eine Barzahlung oder zusätzliche Anteile an einen Gesellschafter oder eine Gesellschaftergruppe, sinkt dadurch der Wert der Anteile aller beteiligten Gesellschafter. Während ein Nachteil zulasten jener Gesellschafter, die durch das unangemessene Aufteilungsverhältnis profitiert haben, sachgerecht ist, sollte ein zusätzlicher Nachteil für durch das unangemessene Aufteilungsverhältnis bereits benachteiligte Gesellschafter vermieden werden.
5.Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht
Die ausschließliche internationale Zuständigkeit liegt nach Art160i Abs6 der Mobilitätsrichtlinie im Mitgliedstaat der Gesellschaft, die die Spaltung vornimmt. Zum anwendbaren Sachrecht enthält die Richtlinie jedoch keine Regelung. Für
23 Bayer/J. Schmidt, BB-Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsreport zum Europäischen Unternehmensrecht 2018/19 (Teil I), BB 2019, 1922 (1932); Bungert, Das neue Recht der grenzüberschreitenden Spaltungen in der EU, in FS Krieger (2020) 109 (129); J. Schmidt, Schutz, 848.
24 Thomale, RdW 2020, 426.
25 KOM (2018) 241 endg, S75ff und 90f, online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/ legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52018PC0241&from=ES
26 Bormann/Stelmaszczyk, ZIP 2019, 310; Winner, ECFR 2019, 65f.
27 Papadopoulos, ECFR 2021, 1000.
28 ECLE, ECFR 2019, 214f; Papadopoulos, ECFR 2021, 1000.
29 Bayer/J. Schmidt, BB 2019, 1932; Papadopoulos, ECFR 2021, 1000; J. Schmidt, ECFR 2019, 259.
30 Luy, Grenzüberschreitende Umwandlungen nach dem Company Law Package, NJW 2019, 1905 (1907); Stelmaszczyk, ZIP 2019, 2442.
3/2023 155 Umgründungen
Umgründungen
eine Anwendung des Sachrechts der übertragenden Gesellschaft spricht der Grundsatz des Gleichlaufs von forum und ius 31 Alternativ kann aber auch vertreten werden, dass das Recht des Sitzstaates der Gesellschaft, die die Ausgleichszahlung schuldet, anwendbar ist.32 Um eine Rechtsunsicherheit zu vermeiden, ist es empfehlenswert, im Spaltungsvertrag eine Rechtswahlklausel aufzunehmen.
III.Umsetzung im geplanten EU-UmgrG
1.Allgemeines
§60 EU-UmgrG setzt die Vorgaben des Art160i der Mobilitätsrichtlinie in nationales Recht um. Parallel dazu schließt §58 EU-UmgrG die Anfechtung wegen eines unangemessenen Aufteilungsverhältnisses aus. Im Gegensatz dazu sieht §326 Abs3 dUmwG vor, dass der Beschluss nur dann gültig ist, „wenn ihm diejenigen Anteilsinhaber zustimmen, für die die Zuteilung nachteilig ist.“ Der deutsche Gesetzgeber hat im Rahmen der Richtlinienumsetzung keine Überprüfung des spaltungsrechtlichen Aufteilungsverhältnisses eingeführt.
2.Antragsberechtigung
Nach §60 EU-UmgrG können bei einer Hinaus-Spaltung Gesellschafter der übertragenden Gesellschaft unabhängig vom Stimmverhalten eine gerichtliche Überprüfung der Anteilsaufteilung beantragen.33 Im Gegensatz zu Art160i der Mobilitätsrichtlinie verlangt der österreichische Umsetzungsentwurf eine Mindestbehaltedauer. Nach §60 Abs1 EU-UmgrG kann ein Gesellschafter nur dann eine Überprüfung beantragen, „wenn er vom Zeitpunkt der Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung bis zur Geltendmachung des Rechts Gesellschafter war und auf das Recht nicht schriftlich oder in der Niederschrift zur Gesellschafterversammlung verzichtet hat.“ Diese nationale Vorgabe einer Mindestbehaltedauer für den Zeitraum von der Beschlussfassung bis zur Ausübung des Rechts ist zulässig, weil das Überprüfungsverfahren darauf abzielt, jene Gesellschafter zu schützen, die bei der Beschlussfassung überstimmt wurden oder die trotz ihrer Benachteiligung nicht gegen die Spaltung gestimmt haben. Gesellschafter, die nachträglich (zu Spekulationszwecken) Anteile erwerben, sind dagegen nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst.
3.Überprüfungsverfahren
Die Verfahrensbestimmungen sind in §60 Abs2 EU-UmgrG geregelt. Der Anspruch ist beim für die übertragende Gesellschaft zuständigen Gericht gegen alle begünstigten Gesellschaften und bei einer Abspaltung gegebenenfalls auch gegen die übertragende Gesellschaft geltend zu machen. Unter begünstigten Gesellschaften sind gem §47 Z3 EU-UmgrG alle Gesellschaften zu verstehen, die Aktiv- und Passivvermögen von der übertragenden Gesellschaft erhalten. Der Antrag richtet sich daher gegen alle an der Transaktion beteiligten Gesellschaften.34
4.Folgen einer Unangemessenheit
Wird im Überprüfungsverfahren festgestellt, dass das Aufteilungsverhältnis unangemessen ist, legt das Gericht fest, welche Gesellschaft den Ausgleich schuldet. Die Entscheidung gilt gem §60 Abs2 EU-UmgrG für alle an der Transaktion beteiligten Gesellschaften. Die Schuldnerin des Ausgleichs kann aufgrund eines Verweises in §60 Abs2 EU-UmgrG auf §§225c bis 225m AktG (ausgenommen §225f und §225i Abs1 und 2 AktG) statt einer Barzahlung zusätzliche Anteile gewähren (§225e Abs3 und §225j Abs3 AktG). Dabei sind dieselben Regelungen anzuwenden wie bei der Überprüfung des Umtauschverhältnisses bei innerstaatlichen Verschmelzungen.
Da im Verweis des §60 Abs2 EU-UmgrG auf die Regelungen zum Überprüfungsverfahren des Umtauschverhältnisses bei innerstaatlichen Verschmelzungen §225i Abs1 und 2 AktG ausdrücklich ausgenommen ist, entfaltet das Verfahrensergebnis keine Erga-omnes-Wirkung. Dies wird in den Materialien damit begründet, dass das Ausmaß der Benachteiligung je betroffenem Gesellschafter unterschiedlich ausfallen kann.35 Wie bereits oben ausgeführt, stellt jede Leistung an einen Gesellschafter einen Nachteil für alle anderen an dieser Gesellschaft beteiligten Gesellschafter dar, wodurch ein bereits vor dem Überprüfungsverfahren benachteiligter Gesellschafter ohne Rechtskrafterstreckung noch schlechtergestellt werden kann.
Während nach dem Gesetzestext und auch den Materialien36 eine Rechtskrafterstreckung deutlich ausgeschlossen ist, bleibt offen, inwieweit ein Kompensationseffekt und allfällige Wechselwirkungen aufgrund einer Ausgleichszahlung an andere Antragsteller zu berücksichtigen sind. Nach dem Wortlaut des §60 Abs1 EU-UmgrG besteht ein Ausgleichsanspruch, wenn „die Anteilsaufteilung unter Berücksichtigung allfälliger barer Zuzahlungen nicht angemessen festgelegt“ ist. Bleibt der Kompensationseffekt unberücksichtigt, hängt der tatsächliche Wert des Ausgleichs davon ab, welche Gesellschaft vom Gericht als Abfindungsschuldnerin festgelegt wird. Je größer die Beteiligung des Ausgleichsberechtigten an der Abfindungsschuldnerin ist, desto größer ist sein Kompensationseffekt und desto geringer ist der wirtschaftliche Wert seines Ausgleichs.37 Daher ist ein Kompensationseffekt mE zu berücksichtigen, um einen angemessenen Ausgleich zu erreichen.
Weiters ist fraglich, ob Wechselwirkungen aufgrund von Ausgleichszahlungen an andere Antragsteller zu berücksichtigen sind. Dazu ist die Bedeutung der Formulierung „allfälliger barer Zuzahlungen“ auszulegen. Darunter könnten einerseits Barzahlungen zum Spitzenausgleich im Rahmen der ursprünglichen Anteilsaufteilung subsumiert werden. Andererseits könnte man damit auch Ausgleichszahlungen an andere Antragsteller meinen, welche den Wert der Anteile aller Mitgesellschafter verringern. In zweiterem Fall wäre bei der Berechnung der Ausgleichszahlung zu berücksichtigen, dass der Wert der Gesellschaftsanteile des Ausgleichsberechtigten durch Barausgleiche an ihn und andere Antragsteller verrin-
156 3/2023
31 J. Schmidt
Schutz,
ZIP 2019, 2443;
DK 2021, 55. 32 Stelmaszczyk, DK 2021, 55. 33
34
,
850; Stelmaszczyk,
ders,
ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 17f.
ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 18. 35 ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 18. 36 ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 18.
37 Siehe dazu das obige Extrembeispiel zur Entflechtung, bei welcher eine Zahlung der Gesellschaft, an der der benachteiligte Gesellschafter beteiligt ist, für diesen wertlos wäre.
gert wird. Für eine solche Auslegung spricht, dass dadurch ein vollständiger Ausgleich der Antragsteller sichergestellt wird und die Wahl des Abfindungsschuldners zu keiner Besseroder Schlechterstellung einzelner Gesellschafter führt. Nach den Erläuterungen steht der Anspruch aber nur jenen Gesellschaftern zu, „die durch die festgelegte Anteilsaufteilung benachteiligt sind.“ 38 Daher ist mit der Formulierung „allfälliger barer Zuzahlungen“ wohl nur ein Spitzenausgleich gemeint. Andernfalls könnten auch Gesellschafter, die bei der ursprünglichen Anteilsaufteilung nicht benachteiligt waren, ausgleichsberechtigt sein, wenn Ausgleiche an andere Gesellschafter zu ihrer Benachteiligung führen. Dies hätte den Effekt, dass alle Gesellschafter einen Überprüfungsantrag stellen können, um sich vor einer allfälligen Schlechterstellung durch Ausgleiche an andere Gesellschafter zu schützen, was im Ergebnis einer Erga-omnes-Wirkung nahekommt, welche nach den Materialien jedoch nicht gewünscht ist.39 Dies spricht dafür, dass §60 Abs1 EU-UmgrG so auszulegen ist, dass Ausgleichszahlungen an andere Gesellschafter unberücksichtigt bleiben. Für eine Berücksichtigung von Wechselwirkungen aufgrund von Ausgleichszahlungen an andere Antragsteller spricht jedoch, dass andernfalls kein vollständiger Ausgleich erreicht wird und Rechtsschutzlücken entstehen (Gesellschafter, die ursprünglich einen angemessenen Anteil erhalten haben, aber durch Leistungen an Mitgesellschafter benachteiligt werden, haben kein Rechtsmittel). Die Antwort
38 ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 18.
39 Vgl ErlRV 2028 BlgNR 27. GP, 18, welche Folgendes explizit klarstellen: „Der Anspruch nach Abs.1 steht nur den Gesellschaftern zu, die durch die festgelegte Anteilsaufteilung benachteiligt sind. Das sind immer nur einzelne, wobei auch das Ausmaß des Nachteils je nach Gesellschafter unterschiedlich sein kann. Schon deswegen kann die Entscheidung keine Wirkung erga omnes haben.“
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auf diese Frage bleibt an dieser Stelle offen. Spannend wird, wie dies die Gerichte entscheiden werden, falls es zu einem Rechtsstreit kommt.
IV.Ergebnisse
Die Mobilitätsrichtlinie sieht zwingend die Möglichkeit einer Überprüfung des spaltungsrechtlichen Aufteilungsverhältnisses bei grenzüberschreitenden nicht verhältniswahrenden Spaltungen zur Neugründung vor. Das Stimmverhalten der Gesellschafter ist nach Art160i Abs6 der Mobilitätsrichtlinie für die Antragsberechtigung nicht relevant. Wird eine Unangemessenheit feststellt, haben die Gesellschaften einen Ausgleich zu leisten. Die Mitgliedstaaten können den Gesellschaften eine Ersetzungsbefugnis einräumen, damit diese statt eines Barausgleichs auch Anteile oder einen anderen Ausgleich gewähren können. Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten die Option, eine Rechtskrafterstreckung auf alle beteiligten Gesellschafter anzuordnen.
Der österreichische Gesetzgeber setzt diese Vorgaben unionsrechtskonform in §60 EU-UmgrG um. Während die Option der Ersetzungsbefugnis ausgeübt wurde, sodass die Gesellschaften auch Anteile gewähren können, hat sich der österreichische Gesetzgeber gegen eine Erga-omnes-Wirkung entschieden. Aus dem Gesetzeswortlaut geht nicht klar hervor, inwieweit Kompensationseffekte und allfällige Wechselwirkungen aufgrund einer Ausgleichszahlung an andere Antragsteller zu berücksichtigen sind. Nach der hier vertretenen Ansicht ist §60 EU-UmgrG so auszulegen, dass jedenfalls Kompensationseffekte berücksichtigt werden.
Am Punkt #138 dreht sich um die Unzulässigkeit der Preiserhöhung eines Energielieferanten. Wie es mit dieser Rechtssache weitergeht erklärt der zuständige Jurist vom Verein für Konsumenteninformation Maximilian Kemetmüller.
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3/2023 157 Umgründungen
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MiCAR: Das Whitepaper bei sonstigen Kryptowerten
Parallelen zum traditionellen Prospektrecht: Ausblick und Herausforderungen für die Rechts- und Aufsichtspraxis
FABIAN AUBRUNNER / SUSANNE REDER *
Nach langem Zuwarten ist die Markets in Crypto-Assets Regulation (MiCAR)1 Anfang Juni 2023 im Amtsblatt der EU veröffentlicht worden. Das umfassende Regelwerk über Kryptowerte soll die Attraktivität des EU-Standorts steigern und die Rechtssicherheit bei der Ausgabe von und beim Handel mit Kryptowerten erhöhen. Es umfasst auch etliche Publizitäts- und Transparenzpflichten für Anbieter, Emittenten und Plattformbetreiber, um das Ziel des Anlegerschutzes sicherzustellen. Der folgende Beitrag soll die Bestimmungen zum Kryptowerte-Whitepaper (im Folgenden: Whitepaper) analysieren, einen Vergleich zu bisherigen regulierten Finanzprodukten ziehen und dabei zukünftige Herausforderungen aufzeigen.2
*12
I.Das Regelungskonzept der MiCAR
1.Einleitung
Nach einem zweieinhalbjährigen Gesetzgebungsprozess und mühsamen Verhandlungen ist es nun endlich offiziell: Die MiCAR wurde am 9.6.2023 im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Im Zusammenspiel mit weiteren – bereits in Kraft getretenen – Rechtsakten (wie der DLT-Pilotregelung,3 dem Digital Operational Resilience Act [DORA]4 und der Transfer of Funds Regulation [TFR]),5 soll die Digitalisierung im Finanzsektor vorangetrieben und sollen die Einführung der Blockchain- sowie verwandter Technologien als technische Infrastrukturlösung und deren Anwendungsfälle gefördert werden.6 Im internationalen Vergleich nimmt die EU mit der
nunmehrigen Implementierung des bereits im Jahr 2020 vorgeschlagenen Digitalisierungspakets (Digital Finance Package)7 eine Vorreiterrolle ein.8
Der EU-Gesetzgeber nahm keine Anpassung bereits bestehender Regelungen des Finanzmarktrechts vor,9 sondern hat sich für ein eigenes, vollharmonisiertes Aufsichtsregime für Kryptowerte entschieden.10 Das Regelwerk der MiCAR ist umfassend und zum Teil durchaus ausführlich: Neben zahlreichen Publizitäts- und Transparenzpflichten sowie Ausgabeanforderungen von Kryptowerten (Titel II bis IV der MiCAR) werden auch Dienstleistungen und ein Zulassungsverfahren für sog Kryptowerte-Dienstleister11 (Titel V der MiCAR), Bestimmungen zur Verhinderung von Marktmissbrauch (Titel VI der MiCAR) sowie umfassende Kompetenzen der Aufsichtsbehörden (Titel VII der MiCAR) geregelt.12
Fabian Aubrunner,
(WU), BSc. (WU) ist Leiter der Legal Area und Researcher am Austrian Blockchain Center (ABC) und externer Lehrvortragender am Institut für Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien. Mag. Susanne Reder, MA ist stellvertretende Leiterin der Abteilung Behördliche Aufsicht Asset Management, Prospekte und Verbraucherinformationen der FMA und hat langjährige Erfahrung im Wertpapier- und Kapitalmarktrecht sowie bezüglich FinTech bzw Innovationen mit Schwerpunkt auf Blockchain, initial coin offerings und crypto assets. Die Ausführungen in diesem Beitrag spiegeln nur die persönliche Meinung der Autoren wider. Das COMET-Zentrum ABC wird im Rahmen von COMET –Competence Centers for Excellent Technologies durch das BMK, das BMAW und die Länder Wien, Niederösterreich und Vorarlberg gefördert und durch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) abgewickelt.
1 Verordnung (EU) 2023/1114 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.5.2023 über Märkte für Kryptowerte und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr1093/2010 und (EU) Nr1095/2010 sowie der Richtlinien 2013/36/EU und (EU) 2019/1937, ABl L 150 vom 9.6.2023, S40.
2 Der vorliegende Beitrag ist an den Inhalten des auf der 1. Digital Assets Rechtstagung am 2.3.2023 gehaltenen Vortrags angelehnt.
3 Verordnung (EU) 2022/858 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.5.2022 über eine Pilotregelung für auf Distributed-Ledger-Technologie basierende Marktinfrastrukturen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr600/2014 und (EU) Nr909/2014 sowie der Richtlinie 2014/65/EU, ABl L 151 vom 2.6.2022, S1.
4 Verordnung (EU) 2022/2554 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.12.2022 über die digitale operationale Resilienz im Finanzsektor und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr1060/2009, (EU) Nr648/2012, (EU) Nr600/2014, (EU) Nr909/2014 und (EU) 2016/1011, ABl L 333 vom 27.12.2022, S1.
5 Richtlinie (EU) 2023/1113 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.5.2023 über die Übermittlung von Angaben bei Geldtransfers und Transfers bestimmter Kryptowerte und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2015/849, ABl L 150 vom 9.6.2023, S1. Anders als das deutsche Amtsblatt der EU auf den ersten Blick vermuten lässt, liegt hier keine Richtlinie vor, sondern eine Verordnung. Es handelt sich um ein Redaktionsversehen des EU-Gesetzgebers; vgl dazu den Titel der englischen Fassung und auch Art40 TFR.
In diesem Beitrag soll näher auf die Publizitäts- und Transparenzpflichten des Titels II der MiCAR (andere Krypto-
6 Siehe dazu Erwägungsgrund 1 der MiCAR.
7 KOM (2020) 591 endg, online abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legalcontent/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020DC0591
8 Vgl Maume, Die Verordnung über Märkte für Kryptowerte (MiCAR) (Teil I), RDi 2022, 461 (461f).
9 Siehe aber zB die terminologische Änderung in Art4 Abs1 Z15 MiFID II (siehe FN 29) die den Begriff „Finanzinstrumente“ durch „einschließlich mittels DistributedLedger-Technologie emittierter Finanzinstrumente“ ergänzt hat; vgl auch Art18 Abs1 der DLT-Pilotregelung; dazu ausführlich F. Ebner, Finanzinstrumente auf der Blockchain: Die neue EU-Pilotregelung für DLT-Marktinfrastrukturen im Überblick, GesRZ2022, 271 (280).
10 Vgl dazu KOM (2020) 593 endg, S2 und 9f, online abrufbar unter https://eur-lex. europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52020PC0593. Es wäre theoretisch auch denkbar gewesen, den Kryptowertebegriff in die MiFID II aufzunehmen und punktuell bereits bestehende Regelungen für anwendbar zu erklären. Das Gleiche hätte auch für das Marktmissbrauchsregime nach der Verordnung (EU) Nr596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABL L 173 vom 12.6.2014, S1, sowie der Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie), ABl L 173 vom 12.4.2014, S179, gelten können.
11 Gebräuchlicher wird der englische Begriff „crypto-assets service provider“ (CASP) sein.
12 Für einen Überblick über das gesamte Regime siehe Aubrunner/Tatschl, Markets in Crypto-Assets Regulation (MiCAR), GesRZ2022, 347; ausführlich Maume, RDi 2022, 461ff; ders, Die Verordnung über Märkte für Kryptowerte (MiCAR) (Teil II), RDi 2022, 497.
158 3/2023 Kapitalmarktrecht
LL.M.
werte) eingegangen werden. Einzelne Ausführungen (zB zum Inhalt des Whitepapers) können ebenso für Titel III und IV der MiCAR angedacht werden, obwohl sich im Detail wichtige Unterschiede ergeben (zB Notifikations- vs Billigungsverfahren).13
2.Zielsetzung und Anwendungszeitpunkt
Für die Aufsichtspraxis war es zunehmend herausfordernd, das Phänomen der digitalen Vermögenswerte unter das traditionelle Aufsichtsregime zu stellen; insb erschwerte die zum Teil starke Ähnlichkeit zu Finanzinstrumenten die regulatorische Einordnung.14 Die MiCAR soll nun solche Kryptowerte einfangen, die derzeit von keinem bestehenden Regelungsregime umfasst sind. Auserkorene Ziele sind die Förderung der Innovation und des Wettbewerbs sowie eine Erhöhung des Anlegerschutzes und der Marktintegrität.15
Die Harmonisierung und die Implementierung spezifischer Regelungen sollen das Vertrauen für solche digitale Applikationen stärken.16 Alle Bestimmungen sind daher verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat (Art288 AEUV). Nationale Alleingänge im Rahmen verschiedener Richtlinienumsetzungen sind daher nicht möglich, auch wenn eine differente Auslegung der Rechts- und Aufsichtspraxis in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht ausgeschlossen werden kann. Dabei können Gefahren eines regulator shopping 17 entstehen, jedoch soll mit delegierten Rechtsakten und Leitlinien diesem Problem entgegengewirkt werden.18
Die Anwendung der MiCAR erfolgt dabei etappenweise: Ab 30.6.2024 werden die (strengeren) Regelungen über stablecoins.19 (Titel III und IV der MiCAR) und erst ab 30.12.2024 alle weiteren Bestimmungen anwendbar sein. Bis zum 30.6.2024 müssen die Europäische Kommission und die ESMA jedoch die vorhin angesprochenen (delegierten) Rechtsakte sowie Leitlinien veröffentlichen, die diverse Bestimmungen der MiCAR konkretisieren sollen. Im Übrigen spricht die MiCAR von „zuständigen Behörden“ 20 Es ist naheliegend, dass in Österreich die FMA als zuständige Aufsichtsbehörde benannt wird.21
3.Abgrenzungsschwierigkeiten zu Finanzinstrumenten nach der MiFID II
Der EU-Gesetzgeber führt den einheitlichen Begriff „Kryptowert“ ein. Ein Kryptowert ist nach Art3 Abs1 Z5 MiCAR „eine digitale Darstellung eines Werts oder eines Rechts, der bzw. das unter Verwendung der Distributed-Ledger-Techno-
13 Siehe zu den Herausforderungen bei ART Pkt III.6.
14 Erwägungsgründe 4 und 6 der MiCAR; vgl auch Zickgraf, Primärmarktpublizität in der Verordnung über die Märkte für Kryptowerte (MiCAR) (Teil I), BKR 2021, 196 (196 und 198f); Aubrunner/Tatschl, GesRZ2022, 347f und 351; Rirsch/Tomanek, Von „virtueller Währung“ zum „Crypto-Asset“ – Die Abgrenzung zu tokenisierten Finanzinstrumenten und das vermeintliche Ende der Pseudonymität durch neue AML-Regeln, ZFR 2021, 540 (542).
15 Erwägungsgründe 4 und 6 der MiCAR.
16 Erwägungsgrund 5 der MiCAR.
17 Ähnlich dem forum shopping, wobei hier nicht der Gerichtsstand, sondern der vorteilhaftere Regulierungsstandort gewählt wird.
18 Siehe zu den delegierten (Level 2- und Level 3-)Rechtsakten Pkt III.5.
19 Das sind die Bestimmungen für vermögensreferenzierte tokens (asset referenced tokens – ART; vgl Art3 Abs1 Z6 MiCAR) und E-Geld-tokens (electronic money tokens – EMT; vgl Art3 Abs1 Z7 MiCAR); dazu nur Maume, RDi 2022, 498ff.
20 Vgl nur Art3 Abs1 Z35 MiCAR.
21 Vgl Art93 MiCAR.
logie oder einer ähnlichen Technologie elektronisch übertragen und gespeichert werden kann“. Hierbei ist der technologieneutrale Ansatz zu erwähnen, der nicht nur Kryptowerte basierend auf Blockchain- oder Distributed-ledger-Technologie (DLT) umfasst, sondern auch „ähnliche Technologien“ zulässt, um zukünftigen Entwicklungen vorzubeugen.22 Der Kryptowertebegriff soll der Vereinheitlichung auf europäischer Ebene dienen23 und löst ua den Begriff „virtuelle Währung“ aus der 5. Geldwäsche-Richtlinie24 ab.25
Es können nach dem Wortlaut jeder Wert und jedes Recht in einem Kryptowert dargestellt werden. Der EU-Gesetzgeber schafft damit einen breiten Anwendungsbereich.26 Für manche Kryptowerte nimmt der EU-Gesetzgeber jedoch an, dass keine Risiken für den Anlegerschutz, die Finanzmarktstabilität oder die Währungshoheit einhergehen.27 Im Detail kann es aber zu schwierigen Auslegungs- und Abgrenzungsschwierigkeiten kommen; dies war dem EU-Gesetzgeber auch bewusst.28 Eine Herausforderung liegt insb in der korrekten Auslegung der Ausnahmenregelung in Art2 Abs4 lita MiCAR, die eine wichtige Weichenstellung vornimmt: Kryptowerte, die als Finanzinstrument nach der MiFID II29 ausgestaltet sind, sind generell von der MiCAR ausgenommen. Es sei vorangestellt, dass aufgrund des technologieneutralen Ansatzes im Kapitalmarktrecht30 Finanzinstrumente auch Kryptowerte sein können. Oder anders gesagt: Durch ihre weite Auslegung können Kryptowerte auch als Finanzinstrumente ausgestaltet werden, sie würden aber aufgrund der Ausnahmebestimmung nicht unter die MiCAR fallen (sog security tokens).31
Die genaue Abgrenzung zwischen Kryptowert nach der MiCAR und Finanzinstrument nach der MiFID II ist daher nicht messerscharf und bleibt unklar, da sich Überschneidungen ergeben können.32 Eine eindeutige Abgrenzung (und Einordnung) muss aber verpflichtend stattfinden, denn nach Art8 Abs4 MiCAR muss eine Erläuterung über die korrekte Einordnung des Kryptowerts (oder eben des Finanzinstruments) getroffen werden.33 Eine falsche Beurteilung zieht hinreichende Konsequenzen nach sich, denn bei Finanzinstru-
22 Vgl Erwägungsgrund 9 der MiCAR; vgl dazu aber den ergänzten Begriff „Finanzinstrumente“ nach der MiFID II, der im Wortlaut nur auf die DLT abstellt.
23 Vgl Aubrunner/Tatschl, GesRZ2022, 348.
24 Richtlinie (EU) 2018/843 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.5.2018 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2015/849 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und zur Änderung der Richtlinien 2009/138/EG und 2013/36/EU, ABl L 156 vom, 19.6.2018, S43; national umgesetzt in §2 Z21 FM-GwG.
25 Siehe dazu nur die Erwägungsgründe 9 und 10 der TFR, bei der im Rahmen der FATF eine Ausweitung des Begriffs „virtuelle Währung“ vorgesehen wurde; vgl Rirsch/Tomanek, ZFR 2021, 543.
26 Der Begriff „Kryptowerte“ soll nach Erwägungsgrund 16 der MiCAR weit ausgelegt werden.
27 Siehe Erwägungsgrund 12 der MiCAR. Das sind zB konzerninterne Kryptowerte oder digitale Zentralbankwährung ausgebende Emittenten (Art2 Abs2 lita und c MiCAR); vgl dazu Aubrunner/Tatschl, GesRZ2022, 348f.
28 Siehe Erwägungsgrund 14 der MiCAR.
29 Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl L 173 vom 12.6.2014, S349.
30 Vgl Erwägungsgrund 9 der MiCAR: „Gleiches Geschäft, gleiche Risiken, gleiche Regeln“
31 Ein security token ist ein Kryptowert, der bestimmte wertpapierähnliche Charakteristika aufweist und traditionellen Finanzinstrumenten nachgebildet ist (insb zukünftiger Cashflow durch Auszahlung einer Dividende oder eines Zinsertrags); vgl dazu nur F. Ebner, GesRZ2022, 271ff.
32 Dazu ausführlich Toman/Schinerl, Kryptowerte zwischen WAG 2018 und MiCAR, ÖBA 2023, 178 (182ff).
33 Siehe auch zur Verantwortlichkeit der genauen Einordnung Pkt III.2.2.4.; vgl auch Toman/Schinerl, ÖBA 2023, 182.
3/2023 159 Kapitalmarktrecht
menten greift das strengere Regime.34 Problematisch und zulasten der Rechtssicherheit sind hier mehrere Aspekte: Erstens ist die Umsetzung des Begriffs „Finanzinstrument“ in den nationalen Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich weit erfolgt. Die MiFID II ist als Richtlinie konzipiert – und nicht als direkt verbindliche Verordnung ausgestaltet – und daher mit einem Umsetzungsspielraum versehen. Zweitens werden solche Instrumente in den Mitgliedstaaten unterschiedlich qualifiziert. Das PassportingRegime (Europäischer Pass) unter der Prospektverordnung35 (und auch der MiCAR) ermöglicht es zwar, das Instrument europaweit anzubieten; dennoch wirkt die (unterschiedliche) Kategorisierung nicht über die Grenzen hinaus.36 Dies könnte unter Umständen zur Folge haben, dass andere Mitgliedstaaten den gepassporteten Kryptowert als Finanzinstrument nach der MiFID II einstufen, obwohl er in einem anderen Mitgliedstaat bloß als Kryptowert iSd MiCAR gelten würde. Hier sollen weitere (delegierte) Rechtsakte für Rechtssicherheit sorgen, wobei ein konkreter Veröffentlichungszeitpunkt noch nicht feststeht.37 Zudem fallen unvertretbare Kryptowerte (non-fungible tokens – NFT)38 nicht unter die MiCAR. Auch hier ergeben sich im Detail strittige Anwendungsfragen, ab wann ein solcher Kryptowert doch erfasst sein sollte.39
II.Anwendungsbereich und Pflichten nach Titel II der MiCAR
1.„Anderer Kryptowert“ im Sinne der MiCAR
Titel II der MiCAR regelt Verpflichtungen für die Personen, die bestimmte Kryptowerte öffentlich anbieten oder zum Handel zulassen wollen. Der Verordnungswortlaut lautet: „Andere Kryptowerte als vermögensreferenzierte Token oder E-Geld-Token“ (im Folgenden: sonstige Kryptowerte). Die Bestimmungen in TitelII der MiCAR sind als Auffangtatbestand sämtlicher Kryptowerte konzipiert, die nicht unter die (strengeren) Bestimmungen für stablecoins (ART und EMT)40 iSd MiCAR41 fallen.42 Es gibt keine gesetzliche Definition von sonstigen Kryptowerten. Der EU-Gesetzgeber nimmt nur eine Negativabgrenzung zu stablecoins vor. Das bedeutet, bei Vorliegen eines Kryptowerts iSd Art3 Abs1 Z5 MiCAR sowie für den Fall, dass keine Generalausnahme nach Art2 MiCAR greift,43 wäre Titel II der MiCAR anzuwenden, sofern es sich nicht um einen stablecoin handelt. Eine Unterart und ein Urtypus der sonstigen Kryptowerte ist der utility token, der in der MiCAR gesondert definiert ist.44 Ein solcher Kryptowert, ist „ausschließlich dazu bestimmt ..., Zugang zu einer Ware oder einer Dienstleistung zu verschaffen, die von seinem Emittenten bereitgestellt wird“ (Art3 Abs1 Z9 MiCAR). Ob der Zugang
34 Vgl Toman/Schinerl, ÖBA 2023, 182.
35 Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG, ABl L 168 vom 30.6.2017, S12.
36 Toman/Schinerl, ÖBA 2023, 182.
37 Sie sind nur bis zum 30.12.2024 zu veröffentlichen; vgl Art2 Abs5 MiCAR.
38 Nach Art2 Abs3 MiCAR ein Kryptowert, der einmalig und nicht mit anderen Kryptowerten fungibel ist.
39 Vgl Erwägungsgründe 10 und 11 der MiCAR; siehe generell zu NFT nur Denga, Non-Fungible Token im Bank- und Kapitalmarktrecht, BKR 2022, 288.
40 Siehe FN 19.
41 Geregelt in Titel III (ART) und Titel IV (EMT) der MiCAR.
42 Vgl Aubrunner/Tatschl, GesRZ2022, 349.
43 Vgl dazu Aubrunner/Tatschl, GesRZ2022, 349.
44 Einzelne Bestimmungen gelten nur für utility tokens; vgl zB die Angaben im Anhang I der MiCAR.
durch den Kryptowerteinhaber tatsächlich genutzt wird (utility), ist nicht entscheidend.
2.Ausnahmen nach Titel II der MiCAR
Neben der Generalausnahme vom kompletten Anwendungsbereich der MiCAR sind auch spezifische Ausnahmen für bestimmte sonstige Kryptowerte vorgesehen. Titel II der MiCAR unterscheidet zwischen dem öffentlichen Angebot und der Handelszulassung (Art4 und 5 MiCAR).45 Die Ausnahmen für das öffentliche Angebot sind in einem ZweiEbenen-System strukturiert:46 Die erste Ebene nimmt bestimmte Kryptowerte vom gesamten Titel II der MiCAR aus (die Ausnahmen orientieren sich dabei stark an der Prospektverordnung).47 Die zweite Ebene erklärt nur bestimmte Verpflichtungen in Titel II der MiCAR für nicht anwendbar, dh, es ist kein sog Whitepaper48 zu erstellen sowie zu veröffentlichen; etwaige Marketingmitteilungen müssen jedoch erstellt, aber nicht veröffentlicht werden.49 Wird die Zulassung zum Handeln beantragt und liegt entweder ein dual listing oder eine Zustimmung zur Verwendung des relevanten Whitepapers vor, muss keines erstellt und veröffentlicht werden.50
3.Verpflichtete Person nach Titel II der MiCAR
Nach Titel II der MiCAR sind die verpflichteten Personen der Anbieter eines Kryptowerts, die Person, die den Kryptowert zum Handel zulassen will, und auch der Betreiber einer Handelsplattform für Kryptowerte (im Folgenden: Verpflichteter). Der Emittent wird nicht adressiert.51
4.Entstehende Pflichten bei Vorliegen eines sonstigen Kryptowerts
Titel II der MiCAR regelt Transparenz- und Publizitätspflichten bei öffentlichen Angeboten und Handelszulassungen von sonstigen Kryptowerten, bei denen ein Whitepaper und etwaige Marketingmitteilungen zu erstellen, zu notifizieren und zu veröffentlichen sind. Zudem gibt es ein 14-tägiges Widerrufsrecht (Art13 MiCAR) und weite Haftungsbestimmungen, die auch eine Außenhaftung für Gesellschaftsorgane vorsehen (Art15 MiCAR).52
III.Whitepapers von sonstigen Kryptowerten 1.Zielrichtung und Kurzüberblick
Zum Schutz für potenzielle Kryptowerte-Kleinanleger53 sieht die MiCAR die Pflicht vor, ein Informationsdokument zu
45 Der Kommissionsvorschlag (KOM [2020] 593 endg) erfasste beide Bereiche zusammen in Art4 MiCAR.
46 Dazu ausführlich Aubrunner/Tatschl, GesRZ2022, 348f.
47 Vgl Art4 Abs2 MiCAR: Ausgabe an weniger als 150 Personen (lita), Gegenwert unter 1Mio€ (litb) und Angebot an qualifizierte Anleger (litc); vgl dazu die Ausnahmen in Art1 Abs4 lita und b der Prospektverordnung.
48 Siehe Pkt III.
49 Vgl Art4 Abs3 MiCAR: Airdrops (lita), generierte Kryptowerte (litb), utility tokens mit Investmentfunktion (litc) oder begrenztes Netz (litd).
50 Die Regelungen zu den Marketingmitteilungen sind aber anzuwenden; vgl Art5 Abs4 MiCAR.
51 Vgl aber dazu die verpflichtenden Angaben zum Emittenten im Whitepaper in Art6 Abs1 und Anhang 1 Teil B der MiCAR, die im Detail zu Schwierigkeiten führen können; vgl Maume, RDi 2022, 466f.
52 Dazu ausführlich Zickgraf, Primärmarktpublizität in der Verordnung über die Märkte für Kryptowerte (MiCAR) (Teil II), BKR 2021, 362 (366f); Aubrunner/ Tatschl, GesRZ2022, 352; Maume, RDi 2022, 467.
53 Kleinanleger ist gem Art3 Abs1 Z37 MiCAR: „jede natürliche Person, die zu Zwecken handelt, die außerhalb ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit liegen“; vgl dazu den Begriff „Kleinanleger“ in Art4 Abs1 Z11 MiFID II: „ein Kunde, der kein professioneller Kunde ist“
160 3/2023
Kapitalmarktrecht
Abbildung 1: Hinterlegungs- und Notifikationsverfahren nach Titel II der MiCAR
erstellen.54 Der EU-Gesetzgeber entschied sich für den Wortlaut „Kryptowerte-Whitepaper“ (und nicht für „Informationsdokument“). Im Vergleich zu derzeit erstellten und bekannten Whitepapers, die zumeist bloß vage Informationen über die jeweilige Kryptowährung beinhalteten (zB das Bitcoin-Whitepaper),55 schreibt die MiCAR nun strenge Offenlegungs- und Transparenzpflichten vor (Art1 Abs2 lita MiCAR).
Der Verpflichtete nach Titel II der MiCAR muss das Whitepaper mit verbindlichen Angaben (wesentliche Informationen, eine Zusammenfassung und mehrere Erklärungen) erstellen, der zuständigen Aufsichtsbehörde lediglich übermitteln und es anschließend veröffentlichen. Im Überblick kann das Prozedere wie in Abbildung 1 dargestellt skizziert werden.
2.Erstellung des Whitepapers
2.1.Der Inhalt im
Detail
2.1.1.Informationen nach Anhang I der MiCAR
Die wesentlichen Informationen sind im Anhang I der MiCAR festgelegt.56 Das sind Informationen über den Anbieter oder die Person, die die Zulassung zum Handel beantragt (Teil A), gegebenenfalls den Emittenten (Teil B) und gegebenenfalls den Handelsplattformbetreiber (Teil C). Zudem sind Informationen über das Kryptowertprojekt (Teil D), das öffentliche Angebot oder die Handelszulassung (Teil E), den Kryptowert (Teil F), aber auch verknüpfte Rechte und Pflichten (Teil G), die zugrunde liegende Technologie (Teil H), die verbundenen Risiken (Teil I) sowie umweltbezogene nachteilige Auswirkungen iZm der Ausgabe des Kryptowerts (Art6 Abs1 litj MiCAR)57 aufzunehmen.
54 Erwägungsgrund 24 der MiCAR. Das zählt generell für jeden Kryptowert, der unter die MiCAR fällt. Für sonstige Kryptowerte siehe Art6 und Anhang I der MiCAR; für ART siehe Art19 und Anhang II zur MiCAR; für EMT siehe Art51 und Anhang III der MiCAR.
55 Ein plakatives Beispiel ist das im Nachgang an die Finanzkrise veröffentliche Arbeitspapier „Bitcoin: A Peer-to-Peer Electronic Cash System“ von (Pseudonym) Satoshi Nakamoto aus dem Jahr 2008, online abrufbar unter https://bitcoin.org/ bitcoin.pdf, das auf acht Seiten die Grundidee der Blockchain-Technologie sowie eines Peer-to-peer-Zahlungssystems beschreibt. Es kann als Gründungsdokument der Kryptowährungen betrachtet werden.
56 Siehe dazu den Verweis in Art6 Abs1 MiCAR.
Der Katalog der anzugebenen Informationen ist ausführlich und zum Teil detailliert vorgegeben. Er ähnelt den Vorgaben der Prospektverordnung, auch wenn sich im Detail Unterschiede ergeben.58 Sollen zB utility tokens angeboten und gehandelt werden, müssen Informationen über die Quantität und die Qualität des Produkts sowie die Einlösungsfunktion des utility token angegeben werden (Anhang 1 Teil G Z4 und 5 der MiCAR).
2.1.2.Zusammenfassung der Informationen und Warnhinweise
Wie bereits aus dem Regime für Kapitalmarktprospekte bekannt,59 enthält auch das Whitepaper eine Zusammenfassung mit Warnhinweisen, muss leicht verständlich und in Darstellung und Gestaltung verständlich und vollständig sein und soll dem potenziellen Inhaber des Kryptowerts helfen, eine fundierte Entscheidung zu treffen (Art6 Abs7 MiCAR).
2.2.Die abzugebenden Erklärungen
2.2.1.Erklärung über die „alleinige Verantwortung“
Das Whitepaper hat auf der ersten Seite eine deutlich erkennbare Erklärung zu enthalten, dass dieses von keiner zuständigen Behörde genehmigt wurde und der Verpflichtete die „alleinige Verantwortung“ für den Inhalt trägt.60
2.2.2.Erklärung über den Kryptowert
Des Weiteren ist nach Art6 Abs5 MiCAR eine eindeutige Erklärung aufzunehmen, dass der Kryptowert seinen Wert ganz oder teilweise verlieren kann (lita), nicht immer übertragbar und liquide ist (litb und c) sowie dass bei utility tokens ein
57 Vgl Erwägungsgrund 7 der MiCAR, der bestimmten Konsensmechanismen „schwerwiegende nachteilige Auswirkungen auf das Klima“ unterstellt.
58 Vgl Anhang I der Prospektverordnung.
59 Vgl Art7 der Prospektverordnung.
60 Nach Art6 Abs3 MiCAR muss die Erklärung wie folgt lauten: „Dieses KryptowerteWhitepaper wurde von keiner zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats der Europäischen Union genehmigt. Der Anbieter des Kryptowerts trägt die alleinige Verantwortung für den Inhalt dieses Kryptowerte-Whitepapers.“
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Umtausch in das zugesagte Produkt nicht erfolgen kann (litd) oder der Kryptowert nicht unter die Einlagensicherungsrichtlinie61 fällt. Es dürfen ansonsten keine Aussagen über den zukünftigen Wert des Kryptowerts getroffen werden (Art6 Abs4 MiCAR).
2.2.3.Erklärung des Leitungsorgans
Zudem muss das Leitungsorgan des Verpflichteten eine Erklärung abgeben, dass er bei der Erstellung des Whitepapers „nach bestem Wissen“ gehandelt hat (Art6 Abs6 MiCAR). Durch die weite Auslegung des Begriffs „Leitungsorgan“ 62 könnten mehrere Organe zu einer Erklärung verpflichtet werden.
2.2.4.Negativerklärung (Erläuterung) über den Kryptowert Nicht direkt im Whitepaper, aber bei dessen Übermittlung im Rahmen des Notifikationsverfahrens63 ist der zuständigen Aufsichtsbehörde anzugeben, dass keine Ausnahme nach Art2 Abs4 MiCAR in Anspruch genommen wurde (zB Finanzinstrument nach der MiFID II) und auch kein EMT sowie ART vorliegt (Art6 Abs3 MiCAR). In der Praxis wird die Abgrenzung zwischen Kryptowert und Finanzinstrument – wie unter Pkt I.3. ausgeführt – zu Schwierigkeiten führen. Der Verpflichtete wird für die korrekte Einstufung von Kryptowerten verantwortlich gemacht und dies kann naturgemäß zu einer gewissen Hemmschwelle führen.64 Die zuständige Aufsichtsbehörde hat bei derartigen Verstößen ein jederzeitiges Anfechtungsrecht (Art94 Abs1 litl und m MiCAR).65 Nach Art2 Abs5 MiCAR ist die ESMA angehalten, Leitlinien66 für die Beurteilung der Einordnung von Finanzinstrumenten bis zum 30.12.2024 zu veröffentlichen, die grundsätzlich zur weiteren Harmonisierung beitragen könnten.
2.3.Verhaltenspflichten des Verpflichteten
Art14 Abs1 MiCAR bestimmt, wie sich der Verpflichtete zu verhalten hat. Einerseits müssen die Informationen nach Art6 Abs2 MiCAR redlich sowie eindeutig und dürfen nicht irreführend sein. Es dürfen keine wesentlichen Informationen fehlen. Das Whitepaper braucht jedoch keine Beschreibung von Risiken zu enthalten, die unvorhersehbar sind oder höchstwahrscheinlich nicht eintreten können.67 Andererseits wird der Verpflichtete dazu aufgerufen, ehrlich, redlich und professionell zu handeln und mit den Inhabern der Kryptowerte auf nicht irreführende Weise zu kommunizieren (Art14 Abs1 lita und b MiCAR).
2.4.Format und Sprache des Whitepapers
Das Whitepaper muss in einem maschinenlesbaren Format zur Verfügung gestellt werden (Art6 Abs10 MiCAR). Aufgrund der technologieneutralen Formulierung der MiCAR sowie der derzeitigen Praxis zur Prospektverordnung werden
61 Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Einlagensicherungssysteme, ABl L 173 vom 12.6.2014, S149.
62 Nach Art3 Abs1 Z27 MiCAR kann das Leitungsorgan der Vorstand oder auch der Aufsichtsrat sein.
63 Siehe Pkt III.3.
64 Vgl Erwägungsgrund 14 der MiCAR.
65 Vgl auch Erwägungsgrund 14 der MiCAR.
66 Siehe Art16 der Verordnung (EU) Nr1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.11.2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde), zur Änderung des Beschlusses Nr716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission, ABl L 331 vom 15.12.2010, S84.
67 Erwägungsgrund 24 der MiCAR.
gängige Formate (wie zB XML oder XHTML) wohl vorgeschrieben werden.68 Im Übrigen sind PDF und HMTL keine maschinenlesbare Formate.69 Die Sprache ist in der Amtssprache oder in einer in der internationalen Finanzwelt gebräuchlichen Sprache abzufassen (Art6 Abs9 MiCAR). IdR wird dies zumeist in englischer Sprache sein.70 Diese Vorgehensweise ähnelt dem bereits seit über einem Jahrzehnt bekannten Regime für Kapitalmarktprospekte.71
3.Notifikation des Whitepapers
Nach Erstellung hat der Verpflichtete der Aufsichtsbehörde das Whitepaper zukommen zu lassen. Es muss 20 Arbeitstage vor dem Tag seiner Veröffentlichung hinterlegt sowie gegebenenfalls mit Informationen zu einer möglichen Notifikation in weiteren Mitgliedstaaten ergänzt werden (Art8 Abs5 und Art9 MiCAR). Anders als bei Kapitalmarktprospekten erteilt die Aufsichtsbehörde bei Whitepapers für sonstige Kryptowerte keine Genehmigung mittels Bescheids vor Veröffentlichung. Zu beachten ist, dass ein derartiges Whitepaper keinen Prospekt iSd Prospektverordnung darstellt (Art6 Abs7 MiCAR). Die Möglichkeit des Europäischen Passes, welche bereits seit 2005 bei Kapitalmarktprospekten besteht, gilt auch für die Whitepapers.72 Dazu wird die zuständige Aufsichtsbehörde bei Übermittlung der Liste der etwaigen Aufnahmemitgliedstaaten und dem Datum des geplanten Starts des öffentlichen Angebots oder der geplanten Zulassung und bei jeder etwaigen Änderung dieses Datums unterrichtet (Art8 Abs6 MiCAR). Die Notifikation an die Aufnahmemitgliedstaaten und an ESMA hat von der zuständigen Aufsichtsbehörde innerhalb von fünf Arbeitstagen zu erfolgen. Um dem Verbraucherschutz Rechnung zu tragen, wird ein öffentlich einsehbares Register bei der ESMA geschaffen (Art109 MiCAR).73 Die ESMA stellt das Whitepaper und das Startdatum im Register der Öffentlichkeit zur Verfügung (Art8 Abs7 MiCAR).
Der gewählte Ansatz des EU-Gesetzgebers, kein Genehmigungsverfahren vorzusehen, ist auf den ersten Blick erstaunlich. Einige Kryptowerte sind den Finanzinstrumenten angenähert und der Anleger ist daher ähnlichen Risiken ausgesetzt.74 Zu begrüßen ist der Ansatz jedoch allemal, da Ge-
68 Vgl A. Russ/B. A. Schranz, European Single Access Point (ESAP) (Teil I), ÖBA 2023, 437 (441).
69 Es werden diesbezüglich noch Level 2-Rechtsakte nach Art6 Abs10 MiCAR veröffentlicht; siehe Pkt III.5.; vgl A. Russ/B. A. Schranz, ÖBA 2023, 441 (mit Ausführungen zu SWD [2021] 344 endg, Anhang 20, online abrufbar unter https://eur-lex.europa. eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=SWD:2021:0344:FIN:EN:PDF; vgl diesbezüglich Erwägungsgrund 8 sowie Art11 und 12 der Delegierten Verordnung (EU) 2019/979 der Kommission vom 14.3.2019 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates durch technische Regulierungsstandards für wesentliche Finanzinformationen in der Zusammenfassung des Prospekts, die Veröffentlichung und Klassifizierung von Prospekten, die Werbung für Wertpapiere, Nachträge zum Prospekt und das Notifizierungsportal und zur Aufhebung der Delegierten Verordnung (EU) Nr382/2014 der Kommission und der Delegierten Verordnung (EU) 2016/301 der Kommission, ABl L 166 vom 21.6.2019, S1, bei der die „Verwendung von XML-Formatvorlagen“ vorgesehen wird. Zudem wird im Datenschutzrecht in Art20 Abs1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung, ABl L 119 vom 4.5.2016, S1, auf maschinenlesbare Formate (zB XML, JSON, CSV, ODF, jedoch auch HTML) abgestellt; vgl V. Haidinger in Knyrim, Der DatKomm, Art20 DSGVO Rz24.
70 Vgl auch Erwägungsgrund 25 der MiCAR.
71 Vgl Art27 der Prospektverordnung.
72 Vgl das Notifikationsverfahren nach Art26 der Prospektverordnung.
73 Auch hier sind nach Art109 Abs8 MiCAR delegierte Rechtsakte (in Form eines technischen Regulierungsstandards) für die Einstufung von Whitepapers vorgesehen.
74 Vgl dazu den weiten Wortlaut und Ausgestaltungsmöglichkeiten in Art3 Abs1 Z5 MiCAR: „digitale Darstellung eines Werts oder Rechts“. Vor allem könnte dies auf
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nehmigungsverfahren zumeist kostspielig und zeitaufwendig sind – für Aufsichtsbehörde und Antragsteller. Dies würde vor allem Start-ups eine erleichterte Möglichkeit der Finanzierung doch erheblich erschweren.75 Da keine Ex-antePrüfung der Aufsichtsbehörde vorliegt, wird dem Risiko mit einem strikten Haftungsregime ex post entgegengesteuert.76
4.Veröffentlichung des Whitepapers und des Ergebnisses Nach Art9 Abs1 MiCAR muss der Verpflichtete das Whitepaper (und gegebenenfalls die Marketingmitteilungen)77 auf seiner Website und rechtzeitig vor Start des öffentlichen Angebots oder der Handelszulassung veröffentlichen. Konsequenterweise muss das veröffentlichte Whitepaper mit der Version des notifizierten Whitepapers übereinstimmen (Art9 Abs2 MiCAR).
Neu ist die Regelung, dass der EU-Gesetzgeber verpflichtende Angaben zum Ergebnis des öffentlichen Angebots auf der Website fordert, wenn Zeichnungsfristen für das öffentliche Angebot aufgenommen wurden (Art10 MiCAR). Ebenso ist sicherzustellen, dass die eingesammelten Geldbeträge sicher bei Kreditinstituten oder crypto-assets service providers aufbewahrt werden. Werden keine Zeichnungsfristen gesetzt, so ist mindestens monatlich die Zahl der im Umlauf befindlichen Anteile der Kryptowerte zu veröffentlichen.
5.Konkretisierung durch Level 2- und Level 3-Rechtsakte
Zur Umsetzung der oben genannten Verpflichtungen sollen bestimmte Regelungen der MiCAR durch delegierte Rechtsakte und Leitlinien näher konkretisiert werden (sog Level 2und Level 3-Maßnahmen).78 Diese Vorgehensweise ist bereits aus der MiFID II und der MiFIR79 bekannt. Die ESMA ist in der gesamten MiCAR für 34 (!) Level 2- und Level 3-Rechtsakte zuständig; mit dem EBA-Mandat ergeben sich insgesamt 56 (!) solcher Rechtsakte.80
Konkret wird in Titel II der MiCAR die ESMA beauftragt, gem Art6 Abs11 MiCAR einen Entwurf für technische Durchführungsstandards (implementing technical standards) und gem Art6 Abs12 MiCAR einen Entwurf für technische Regulierungsstandards (regulatory technical standards) in Zusammenarbeit mit der EBA an die Europäische Kommission zu übermitteln (beides Level 2-Rechtsakte). Die Veröffentlichung muss innerhalb von 12 Monaten nach Inkrafttreten der MiCAR am 30.6.2024 stattfinden.81 Darüber hinaus muss die ESMA gem Art14 Abs1 letzter Satz MiCAR bis zum 30.12.2024 Leitlinien für die Verhaltenspflichten des Anbieters
74 sog utility tokens mit Investmentfunktion zutreffen; vgl dazu Aubrunner/Tatschl, GesRZ2022, 351; Zickgraf, BKR 2021, 198f.
75 Nach Erwägungsgrund 2 der MiCAR sollen für KMU innovative Finanzierungsalternativen ermöglicht werden.
76 So Zickgraf, BKR 2021, 363; vgl auch Aubrunner/Tatschl, GesRZ2022, 352.
77 Siehe Pkt IV.
78 Europarechtliche Grundlage ist Art290 AEUV; benannt nach dem sog LamfalussyReport, online abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/ 2015/11/lamfalussy_report.pdf
79 Verordnung (EU) Nr600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr648/2012, ABl L 173 vom 12.6.2014, S84.
80 Darunter zB Leitlinien für die Qualifikation als Finanzinstrument (level 3) nach Art2 Abs5 MiCAR oder technische Regulierungsstandards zur näheren Spezifizierung des Genehmigungsverfahrens eines ART-Whitepapers (level 2) nach Art17 Abs8 MiCAR.
81 Selbiges gilt für ART (Art19 Abs10 MiCAR) und EMT (Art51 Abs10, 14 und 15 MiCAR).
und Handelszulassungsantragstellers herausgeben (Level 3Rechtsakt).
Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Erstellung von maschinenlesbaren Mustertexten, Standardformularen und -formaten (Art6 Abs11 MiCAR). Bei enger Interpretation dieses ESMA-Mandats könnte man zur Ansicht gelangen, dass dadurch weder der Inhalt noch der Informationsgrad des Whitepapers weiter definiert werden sollen. In Anbetracht der aus anderen Bereichen des Kapitalmarktrechts vorliegenden Erfahrungen und des Bedarfs an verständlichen sowie vergleichbaren Formularen und Mustertexten (etwa der Beschreibung der Merkmale einschließlich der Daten, die für die Einstufung des Whitepapers erforderlich sind)82 erscheint es naheliegend, dass die Level 2-Mandate derart ausgelegt werden, dass auch die einzelnen Informationsfelder des Whitepapers oder deren Inhalt erläutert und weiter konkretisiert werden sollen. Da die Bestimmungen zum Whitepaper ohnehin bereits stark von der Prospektverordnung inspiriert sind, wird diesfalls voraussichtlich auch auf die bestehenden Level 2- und Level 3-Rechtsakte Bezug genommen werden müssen.83 Dies würde nicht zuletzt auch eine wünschenswerte Harmonisierung fördern, die zur Schaffung von Rechtssicherheit und eines level-playing field beitragen könnte.
6.Praktische Herausforderungen im Zusammenhang mit ART und EMT
Eine weitere, jedoch nicht unmittelbar ersichtliche Fragestellung besteht darin, inwieweit das Whitepaper von ART aufsichtsbehördlich geprüft werden muss, und darauf aufbauend der anzulegende Prüfmaßstab der Vollständigkeit, Verständlichkeit und Kohärenz.84 Der Wortlaut der Verordnung erscheint sehr eindeutig und beschränkt die Aufgabe der zuständigen Behörde im Zulassungsverfahren von ART auf die Überprüfung der Vollständigkeit der im Whitepaper anzugebenden Informationen (Art17 Abs6 MiCAR). Zu einer anderen Ansicht könnte man gelangen, wenn die sonstigen Anforderungen des ART-Whitepapers betrachtet werden. So müssen etwa die Informationen redlich sowie eindeutig und dürfen nicht irreführend sein. Sowohl das Whitepaper selbst als auch dessen Zusammenfassung müssen in klarer und verständlicher Form gestaltet sein und eindeutige sowie unmissverständliche Erklärungen enthalten (Art19 Abs2, 4 und 6 MiCAR). Ungeachtet des klaren Wortlauts, wonach nur die Vollständigkeit zu beachten ist, könnte dadurch verstärkt der Eindruck entstehen, dass die Aufgabe der Aufsichtsbehörde im Rahmen der Genehmigung von ART-Whitepapers über die Vollständigkeit hinausgeht und auch die eben genannten Verpflichtungen überprüft werden müssen.
Eine solche Sichtweise wäre wohl vom bestehenden Billigungsverfahren der Prospektverordnung inspiriert, in dem neben der Vollständigkeit auch die Kohärenz sowie die Ver-
82 Vgl Anhang I Teil F der MiCAR.
83 Insb durch die Delegierte Verordnung (EU) 2019/980 der Kommission vom 14.3.2019 zur Ergänzung der Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Aufmachung, des Inhalts, der Prüfung und der Billigung des Prospekts, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist, und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr809/2004 der Kommission, ABl L 166 vom 21.6.2019, S26.
84 Bei den stablecoins ist ein Zulassungsverfahren – und kein Notifikationsverfahren –vorgesehen; vgl Art16 MiCAR.
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ständlichkeit zu prüfen sind. UE vermag eine derartige Ansicht aber nicht zu überzeugen. Zum einen ist festzuhalten, dass der Wortlaut eindeutig und ausdrücklich auf die Vollständigkeit abstellt. Zum anderen erscheint es uns nicht ausreichend, zu argumentieren, dass die sonstigen genannten Verpflichtungen (wie etwa die Redlichkeit, Fairness und Eindeutigkeit von Informationen) eine vollständige Genehmigung iSv Verständlichkeit und Kohärenz bedingen würden. Entsprechende Verpflichtungen enthält die MiCAR nämlich auch für Whitepaper von sonstigen Kryptowerten (bspw Art6 Abs2, 5 und 7 MiCAR), für die unstrittig keine inhaltsbezogene aufsichtsbehördliche Genehmigung vorgesehen ist, sondern die bloße Übermittlung als ausreichend angesehen wird (Art8 Abs1, 3 und 6 MiCAR).
IV.Marketingmitteilung
Neben einem Whitepaper kann der Verpflichtete auch Marketingmitteilungen erstellen. Marketingmitteilungen sind als solche erkennbar, stimmen mit den Informationen im Whitepaper überein und enthalten ebenfalls eine Erklärung, dass diese von keiner zuständigen Aufsichtsbehörde der EU geprüft oder genehmigt wurden (Art7 Abs1 und 2 MiCAR). Vor Veröffentlichung eines Whitepapers auf der Website des Verpflichteten dürfen Marketingmitteilungen nicht verbreitet werden. Wie das Whitepaper müssen auch Marketingmitteilungen auf der Website so lange verfügbar bleiben, wie die Kryptowerte vom Publikum gehalten werden (Art9 Abs1 MiCAR).
Während das Whitepaper verpflichtend der zuständigen Aufsichtsbehörde 20 Arbeitstage vor Veröffentlichung übermittelt zu werden hat, können Marketingmitteilungen lediglich auf Verlangen der zuständigen Aufsichtsbehörde übermittelt und notifiziert werden (Art8 Abs2 MiCAR). Bis dato gab es eine derartige Vorgehensweise nicht in der dafür Pate stehenden Prospektverordnung. Interessant ist diese Bestimmung allemal: Die zuständige Behörde hat einerseits Befugnisse zur Prüfung erhalten und die zuständigen Behörden der weiteren Mitgliedstaaten bei der Beurteilung der Frage, ob die Marketingmitteilung mit dem Whitepaper übereinstimmt, zu unterstützen. Andererseits fungiert die zuständige Behörde lediglich als Hinterlegungsstelle für das Whitepaper (Art7 Abs3 MiCAR). Dieser nicht unproblematischen Bestimmung wird wohl mit einem regelmäßigen Monitoring begegnen zu sein, um unverzügliches Handeln der zuständigen Aufsichtsbehörde und die Durchsetzung der Aufsichts- und Ermittlungsbefugnisse zu gewährleisten.
V.Änderungspflichten
Parallelen zum Nachtragsregime für Kapitalmarktprospekte für Wertpapiere finden sich bei den Änderungspflichten hinsichtlich Whitepapers und Marketingmitteilungen in Art12 MiCAR.85 Bei Auftreten eines wesentlichen neuen Faktors, eines wesentlichen Fehlers oder einer wesentlichen Ungenauigkeit sind für die Dauer des öffentlichen Angebots oder der Handelszulassung das Whitepaper und etwaige veröffentlichte Marketingmitteilungen zu ändern und der zuständigen
Aufsichtsbehörde einschließlich der Gründe für diese Änderung und des geplanten Veröffentlichungsdatums spätestens sieben Arbeitstage vor der Veröffentlichung auf der Website zu übermitteln (Art12 Abs1 und 2 MiCAR).
Anders als bei Kapitalmarktprospekten ist eine Zusammenfassung der Gründe zu liefern, weshalb das Whitepaper der zuständigen Behörde übermittelt wurde. Die Aufsichtsbehörde prüft nicht. Sie kann nur verlangen, dass eine Veröffentlichung früher zu erfolgen hat (Art12 Abs3 MiCAR). Wurde eine Notifikation für das Whitepaper durchgeführt, so sind auch innerhalb von fünf Arbeitstagen nach Eingang die Aufnahmemitgliedstaaten sowohl vom geänderten Whitepaper als auch von der geänderten Marketingmitteilung zu unterrichten und diese sind der ESMA für das Register zur Verfügung zu stellen (Art12 Abs5 und Art109 Abs2 MiCAR).
VI.Befugnisse der zuständigen Aufsichtsbehörde
Zur Wahrnehmung der Aufgaben hat sich der EU-Gesetzgeber an der Prospektverordnung orientiert und die zuständige Behörde mit zahlreichen Auskunfts- und Fragerechten sowie Aussetzungs- und Untersagungsrechten ausgestattet (Art94 MiCAR). Die Befugnisse erscheinen auf den ersten Blick umfassend, jedoch bleibt es abzuwarten, wie diese auf nationaler Ebene konkret ausgestaltet werden. In der Vergangenheit wurden die europäischen Verordnungen sehr oft eins zu eins in das Begleit- oder Vollzugsgesetz übernommen. Dies brachte für die zuständige Behörde Einschränkungen für eine praktikable Anwendung. Als Beispiele wären die eingeschränkten Fragerechte nach §14 Abs1 KMG 201986 (keine Jedermann-Bestimmung, wie dies zB im deutschen Prospektrecht [§18 Abs2 WpPG] vorgesehen ist)87 oder die Tatsache, dass die Veröffentlichung einer Warnmeldung, welche nicht bereits bei Vorliegen eines ausreichend begründeten Verdachts erfolgen kann, zu nennen.88 Wünschenswert wäre, dass im Vorfeld einer Umsetzung ein Austausch zwischen dem Gesetzgeber und der zuständigen Behörde erfolgen würde.
VII.Resümee und Ausblick
Die rasanten Veränderungen am Finanzmarkt bringen immer mehr neue Finanzinnovationen (wie zB künstliche Intelligenz oder autonomes Finanzwesen) mit sich.89 Sichtbar passt sich die Produktlandschaft an diese neuen digitalen Möglichkeiten an und die zunehmende Verbreitung von Kryptowerten erfasst auch immer mehr beaufsichtigte Kreditinstitute und Unternehmen. Dies bedeutet mehr Regulierung, die allerdings keine Hürden oder Hindernisse für die Branche darstellen soll.
In der Tat zeigt sich, dass der derzeitige Regulierungsansatz durch den EU-Gesetzgeber – trotz zum Teil bekannter Bestimmungen aus dem Kapitalmarktrecht – zu einer zunehmenden Zahl von komplexen Regulierungsanforderungen führt, welche einen erheblichen Zeit-, Kosten- und Ressourcen-
86 Das Frage- und Auskunftsrecht erstreckt sich nur auf einen bestimmten Personenkreis (wie den Emittenten, Anbieter [§14 Abs1 Z1 und 2 KMG 2019] oder Wirtschaftsprüfer [§14 Abs1 Z3 KMG 2019]).
87 Siehe Tuder/Ferk in Toman/Frössel, KMG (2021) §14 Rz27, 32 und FN 42.
88 Vgl §14 Abs1 Z9 KMG 2019; Tuder/Ferk in Toman/Frössel, KMG, §14 Rz88.
89 Vgl ESMA50-164-6247, online abrufbar unter https://www.esma.europa.eu/sites/ default/files/library/ESMA50-164-6247-AI_in_securities_markets.pdf
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Kapitalmarktrecht
85 Vgl Art23 der Prospektverordnung.
aufwand darstellen, und das nicht nur für die beaufsichtigten Personen, sondern auch für die zuständigen Aufsichtsbehörden. Die doch strengen Verpflichtungen nach der MiCAR werden zeigen, ob der gewählte Regulierungsansatz angemessen, rechtssicher und zielführend ist: Einerseits sollen die positiven Auswirkungen von Innovationen auf den Finanzmarkt und die Gesellschaft gefördert werden, andererseits darf Regulierung nicht zulasten des Anlegerschutzes und der Innovation gehen.90
Eine zentrale Herausforderung könnte in Zukunft die (womöglich) uneinheitliche Praxis der zuständigen Aufsichtsbehörden der einzelnen Mitgliedstaaten darstellen (insb mit der verpflichtenden Negativerklärung nach Art8 Abs4
MiCAR). Die auf level 2 und auf level 3 zu erarbeitenden Auslegungen sowie die Koordinations- und Kontrollfunktion durch die ESMA sollen bei aktuellen Fragestellungen und möglichen schwammigen Auslegungen auf level 1 für die Mitgliedstaaten keine Interpretationsspielräume offenlassen.91 Es bleibt abzuwarten, ob dies durch die Harmonisierung mit dem direkt anwendbaren EU-Rechtsakt im Zusammenspiel mit den geplanten delegierten Rechtsakten ausreichend adressiert und kein regulator shopping ermöglicht wird. Die kommenden Jahre werden sehr spannend werden und viele Herausforderungen mit sich bringen – nicht nur für die Aufsichts-, sondern auch für die Rechtspraxis.
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90 Vgl dazu Tomanek, Digitalisierung der Finanzindustrie (Dissertation, Universität Wien 2021).
91 Vgl auch Hirzle/Hugendubel, Die Entwicklung des Kryptorechts im Jahr 2022, BKR 2022, 821 (833).
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Sanktionen und Sorgfaltspflichten
JAKOB JARITZ *
Russland steht aufgrund des Angriffskriegs gegen die Ukraine in der EU sowie in weiten Teilen der Welt unter Sanktionen. Belarus und der Iran sind wegen ihrer Unterstützung der Invasion ebenso sanktioniert. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die geltenden Handelsbeschränkungen und beleuchtet die Auswirkungen der Sanktionen auf die Sorgfaltspflichten der Geschäftsleiter sowie die Frage, welche gesellschaftsrechtlichen Konsequenzen bei einem Sanktionsverstoß drohen. Darüber hinaus wird untersucht, welche Auswirkungen Drittstaatssanktionen auf den Sorgfaltsmaßstab haben.
I.Überblick: Umfang der EU-Sanktionen
Die Sanktionen der EU gegen Russland gehen bereits auf das Jahr 2014 und die Annexion der Krim zurück (vor allem Russland-Sanktionsverordnung1 und Russland-Embargoverordnung).2 Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 hat die EU diese stark ausgeweitet (zuletzt durch das 10. Sanktionspaket,3 bestehend aus drei GASP-Beschlüssen4 sowie drei Verordnungen).5 Weitere Maßnahmen sind in politischer Abstimmung. Aufgrund der Sanktionen ist der Handel der EU-Staaten mit Russland weitgehend eingeschränkt. Es gelten etwa umfassende Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen. Europäische Unternehmen dürfen bestimmte Erzeugnisse nicht nach Russland verkaufen oder ausführen, worunter ua Spitzentechnologie, bestimmte Arten von Fahrzeugen, Dual-use-Güter6 sowie Technologien für die Energiewirtschaft zählen (Art2ff der Russland-Embargoverordnung). Unter die Einfuhrbeschränkungen fallen ua Rohöl, raffinierte Erdölerzeugnisse (jedoch mit Ausnahmen gem Art3m
BSc. (WU) war Universitätsassistent am Institut für Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien und ist zurzeit im Sprengel des OLG Wien als Rechtspraktikant tätig.
1 Verordnung (EU) Nr269/2014 des Rates vom 17.3.2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, ABl L 78 vom 17.3.2014, S6, zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) 2023/1089 des Rates vom 5.6.023, ABl L 146 vom 6.6.2023, S1.
2 Verordnung (EU) Nr833/2014 des Rates vom 31.7.2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ABl L 229 vom 31.7.2014, S1. Konsolidierter Text der Verordnung (EU) Nr833/2014, zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) 2023/427 des Rates vom 25.2.2023, ABl L 59 I vom 25.2.2023, S6.
3 Siehe dazu ausführlich Niestedt/Lesko, Das Zehnte Sanktionspaket der EU gegen Russland, UKuR 2023, 91.
4 Beschluss (GASP) 2023/432 des Rates vom 25.2.2023 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, ABl L 59 I vom 25.2.2023, S437; Beschluss (GASP) 2023/433 des Rates vom 25.2.2023 zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2020/1999 des Rates über restriktive Maßnahmen gegen schwere Menschenrechtsverletzungen und -verstöße, ABl L 59 I vom 25.2.2023, S583; Beschluss (GASP) 2023/434 des Rates vom 25.2.2023 zur Änderung des Beschlusses 2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ABl L 59 I vom 25.2.2023, S593.
5 Verordnung (EU) 2023/426 des Rates vom 25.2.2023 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, ABl L 59 I vom 25.2.2023, S1; Verordnung (EU) 2023/ 427 des Rates vom 25.2.2023 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr833/2014 des Rates über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, ABl L 59 I vom 25.2.2023, S6; Durchführungsverordnung (EU) 2023/429 des Rates vom 25.2.2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen, ABl L 59 I vom 25.2.2023, S278, durch welche der Anhang I der Russland-Sanktionsverordnung erweitert wurde.
Abs3 bis 6 sowie 9 der Russland-Embargoverordnung), Kohle, Stahl und Gold (Art3g ff der Russland-Embargoverordnung). Neben der unmittelbaren Aus- bzw Einfuhr dieser Güter ist auch der mittelbare Handel untersagt. Darunter versteht man die Aus- bzw Einfuhr der Güter über Drittstaaten, wenn der Zweck der Einschaltung des Drittstaates die Umgehung von Sanktionen darstellt.7 Nach Angaben der Europäischen Kommission betrifft das Ausfuhrverbot seit Februar 2022 Waren im Wert von 43,9Mrd€ und das Einfuhrverbot Waren im Wert von 91,3Mrd€, wodurch derzeit im Vergleich zu 2021 49% der Ausfuhren und 58% der Einfuhren Sanktionen unterliegen. Für das Jahr 2023 ist mit einer weiteren Reduktion der Handelstätigkeit zu rechnen.8
Weiters ist die Erbringung bestimmter unternehmensrelevanter Dienstleistungen für die russische Regierung oder für in Russland niedergelassene juristische Personen (wie Unternehmen und sonstige Organisationen) verboten. Darunter fallen etwa die Wirtschaftsprüfung, Rechtsberatung, IT-Beratung, Steuerberatung oder auch Lobbyarbeit (Art5n der Russland-Embargoverordnung). Nicht untersagt ist die Dienstleistungserbringung für in Russland ansässige Tochterunternehmen von österreichischen Unternehmen, wenn diese zur ausschließlichen Nutzung dieser Gesellschaften dienen (Art5n Abs7 der Russland-Embargoverordnung). Für diese –nach russischem Recht gegründeten – Tochterunternehmen gelten die Sanktionsbestimmungen der EU mangels Anwendungsbereich generell nicht; anderes gilt jedoch für unselbständige Niederlassungen europäischer Unternehmen.9 Ebenso ist die Dienstleistungserbringung für die Tochterunternehmen von russischen Konzernen, die ihren Sitz im Inland haben, nicht untersagt, weil diese nicht als „in Russland
6 Bei Dual-use-Gütern handelt es sich um Waren, welche aufgrund ihrer technischen Spezifikationen sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können; siehe zur Güterliste Verordnung (EU) 2021/821 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.2021 über eine Unionsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Vermittlung, der technischen Unterstützung der Durchfuhr und der Verbringung betreffend Güter mit doppeltem Verwendungszweck, ABl L 206 vom 11.6.2021, S1.
7 Dies ergibt sich einerseits explizit aus den jeweiligen Verbotsnormen und andererseits auch aus Art12 der Russland-Embargoverordnung, welche ein Verbot der wissentlichen oder vorsätzlichen Umgehung der Verordnung vorsieht; siehe dazu auch Galander/Glöcke, Umgehung von Russlandsanktionen vermeiden, UKuR 2023, 7; Sachs/J. Schäffer, Sanktionsrechtliche Compliance beim Rückzug aus Russland, UKuR 2022, 637 (638); St. Lehner, Zur Strafbarkeit bei Verstößen gegen Umgehungsverbote von EU Sanktionen, UKuR 2023, 105.
8 Siehe https://eu-solidarity-ukraine.ec.europa.eu/eu-sanctions-against-russia-followinginvasion-ukraine_de
9 Siehe Art17 der Russland-Sanktionsverordnung; Art13 der Russland-Embargoverordnung; vgl etwa auch Galander/Glöcke, UKuR 2023, 10; Sachs/J. Schäffer, UKuR 2022, 638.
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Jakob Jaritz. LL.M. (WU),
niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen“ iSv Art5n der Russland-Embargoverordnung zu qualifizieren sind.10 Anders würde es sich jedoch aber verhalten, wenn diese Dienstleistung (mittelbar) für die russische Muttergesellschaft erbracht wird.11 Die Abgrenzung, ob eine Dienstleistung ausschließlich für die Nutzung des Tochterunternehmens erbracht wird oder nicht, gestaltet sich jedoch als schwierig. Tochtergesellschaften sollen jedenfalls nicht zur Umgehung von Sanktionen eingesetzt werden.12 Darüber hinaus ist die Unterhaltung wirtschaftlicher Beziehungen mit bestimmten Einzelpersonen und Organisationen eingeschränkt. Betroffen von diesen persönlichen Sanktionen sind etwa hochrangige Personen der russischen Politik und des Militärs und gewisse Organisationen (darunter etwa staatliche Unternehmen, Banken und Finanzinstitute sowie Unternehmen im Bereich Luftfahrt, Schiffbau und Maschinenbau).13
Die Sanktionen gegen Belarus orientieren sich an denen gegen Russland; auch hier bestehen neben Sanktionen gegen einzelne Personen und Gruppen gewisse Ein- und Ausfuhrbeschränkungen und generelle Handelsbeschränkungen.14
Aus Reaktion auf den Einsatz iranischer Drohnen im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wurden auch Personen und Organisationen aus dem Iran auf die Sanktionsliste gesetzt.15 Im Folgenden werden vor allem die Sanktionen gegen Russland als Beispiel herangezogen.
Es handelt sich bei den geltenden Sanktionen um eine weitreichende Liste von Ge- und Verboten, aber nicht um ein Totalembargo. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass für österreichische Unternehmen nicht jeglicher Handel in und mit den sanktionierten Staaten verboten ist. Bereits bei dieser überblicksartigen Darstellung der Sanktionen haben sich die Regelungsdichte und die Komplexität gezeigt. Die Grenzen zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem sind häufig nicht ganz eindeutig und die Sanktionsbestimmungen erlauben Interpretationsspielraum und führen in gewissen Bereichen zu Rechtsunsicherheit.16 Durch schwierige Abgrenzungsfragen, fahrlässige Arbeitsfehler oder Unwissenheit steigt das Risiko eines Sanktionsverstoßes.17 Die Konsequenzen eines solchen Verstoßes können weitreichend sein. Neben Haftstrafen für die handelnden Personen drohen Verwaltungsstrafen und eine Haftung des Unternehmens nach dem VbVG sowie ein Verfall der durch den Sanktionsverstoß erlangten Vermögenswerten.18 Ebenso relevant ist der erlittene Schaden durch den Imageverlust eines Unternehmens, welches gegen Sank-
10 Klarstellend dahin gehend auch (deutsches) BMWK, Fragen und Antworten zu Russland-Sanktionen, Frage 56, online abrufbar unter https://www.bmwk.de/ Redaktion/DE/FAQ/Sanktionen-Russland/faq-russland-sanktionen.html
11 Siehe dazu (deutsches) BMWK, Russland-Sanktionen, Frage 56.
12 Vgl Galander/Glöcke, UKuR 2023, 10.
13 Davon umfasst sind im Moment 1.499 Personen und 209 Organisation; vgl dazu Anhang I der Russland-Sanktionsverordnung; siehe zu den gesellschaftsrechtlichen Folgen bereits Kalss, Gesellschaftsrechtliche Folgen der EU-Sanktionen gegen Russland und Belarus, GesRZ2023, 75; Heidinger, Asset Freeze in den Sanktionen gegen Russland und Gesellschaftsbeteiligungen, ZFR 2022, 576.
14 Vgl dazu Verordnung (EG) Nr765/2006 des Rates vom 18.5.2006 über restriktive Maßnahmen gegen Präsident Lukaschenko und verschiedene belarussische Amtsträger, ABl L 134 vom 20.5.2006, S1. Weitere Personen und Organisationen aus Belarus unterliegen im Rahmen des Anhangs I der Russland-Sanktionsverordnung personenbezogenen Sanktionen.
15 Siehe dazu Anhang I der Russland-Sanktionsverordnung.
16 Vgl auch Siadat, Die Russland-Sanktionen und ihre Umgehung durch Kryptowährungen, BKR 2022, 353; ähnlich Eggers/Pawel, Russlandsanktionen: Straf- und bußgeldrechtliche Risiken, BB 2022, 1484.
17 So etwa auch St. Lehner, Verstoß gegen EU-Sanktionsvorschriften – und jetzt? UKuR 2022, 610; Eggers/Pawel, BB 2022, 1486f.
tionen verstößt (corporate reputation). Der EU-Gesetzgeber strebt zudem auch die Einführung von einheitlichen Straftatbeständen bei Sanktionsverstößen an,19 wodurch sich der Strafrahmen sowohl für die handelnden Personen als auch für die Unternehmen erhöhen kann.
Einige heimische Unternehmen haben den russischen Markt, sei es aus Gründen der moralischen Überzeugung oder aus wirtschaftlicher Natur, verlassen bzw ihre Vermögenswerte verkauft.20 Andere haben das Geschäft zumindest temporär ruhend gestellt.21 Viele sind aber weiterhin in irgendeiner Form dort tätig. Eine aktuelle Liste von ausgewählten Unternehmen, welche nach wie vor in Russland aktiv sind, wird von der Universität Yale geführt und unterstreicht, dass sich österreichische Unternehmen im globalen Vergleich langsamer aus dem russischen Markt zurückziehen oder sogar dort verbleiben.22 Dies spiegelt sich auch in einer Studie der Universität St. Gallen und der IMD Business School wider.23 Nachdem die Sanktionen den Handel nicht verbieten, sondern nur einschränken und einige heimische Unternehmen weiterhin in Russland tätig sind, muss untersucht werden, welche Auswirkungen die Sanktionen auf die Unternehmensführung und deren Sorgfalt haben.
II.Sorgfaltsmaßstab
und Ermessensspielraum
Allgemein gilt für Führungskräfte sowohl nach §84 AktG als auch nach §25 GmbHG der objektive Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters.24 Darunter versteht man einen ordentlichen und gewissenhaften Leiter eines Unternehmens, welcher der jeweiligen Gesellschaft nach Geschäftszweig, Größe und Branche entspricht.25 Eine Führungskraft muss jedoch nicht jede erdenkliche Sorgfalt einhalten; dies ist aufgrund der Kosten und der Arbeitsbelas-
18 Vgl zu den Sanktionen §§11ff SanktG; §§79ff AußWG 2011; für den Verfall §12 VbVG iVm §20 StGB; vgl auch Eckel/Sojková, Sanktionen: gekommen, um zu bleiben? Compliance Praxis 2/2022, 10; für Deutschland ausführlich etwa Eggers/Pawel, BB 2022, 1484ff; St. Lehner, UKuR 2022, 610f.
19 Siehe https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_22_7371; https:// www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2023/06/09/eu-sanctions-councilfinalises-position-on-law-that-aligns-penalties-for-violations; siehe dazu auch St.Lehner, UKuR 2023, 106f.
20 Zum Rückzug siehe allgemein Sachs/J. Schäffer, UKuR 2022, 637ff.
21 Siehe dazu Titov/Mironova, Rückzug aus Russland: „Ruhende“ Gesellschaft – Lösung oder Problem? UKuR 2022, 383.
22 Siehe dazu Yale CELI List of Companies Leaving and Staying in Russia, online abrufbar unter https://www.yalerussianbusinessretreat.com. In der Liste der untersuchten Unternehmen fallen acht österreichische Gesellschaften unter die schlechteste Note F (für Unternehmen, welche weiterhin uneingeschränkt tätig sind). Weitere sieben österreichische Unternehmen bekommen die Note D (für jene Unternehmen, welche neue Investments gestoppt haben, aber ansonsten weiterhin tätig sind). Zwei Unternehmen fallen unter die Note C (für Unternehmen, die zwar gewisse Operationen zurückgefahren haben, aber weiterhin andere Operationen betreiben). Weitere drei fallen unter die Kategorie B (für Unternehmen, die alle oder nahezu alle Unternehmenstätigkeiten in Russland eingestellt haben, sich aber die Möglichkeit einer Rückkehr in den Markt offenlassen). Zuletzt erhalten vier österreichische Unternehmen und eine heimische NGO die Bestnote A, welche es für jene Unternehmen gibt, die den russischen Markt gänzlich verlassen haben. Während der österreichische Anteil aller Unternehmen weltweit in der Kategorie F bei 3,5% und bei Note D sogar bei 4% liegt, ist der Anteil bei Note B 0,6% und bei Note A bei lediglich 0,76%.
23 Siehe dazu Evenett/Pisani, Less than Nine Percent of Western Firms Have Divested from Russia (2022), online abrufbar unter https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm? abstract_id=4322502
24 Siehe dazu allgemein Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3 (2021) §84 Rz4ff; Reich-Rohrwig/C. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/ Karollus, AktG6 (2019) §84 Rz111; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 (2017) Rz3/508; Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §25 Rz41; Feltl/Told in Gruber/Harrer, GmbHG2 (2018) §25 Rz15f. 25 Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §84 Rz4; Reich-Rohrwig in Straube/ Ratka/Rauter, GmbHG, §25 Rz41; Reich-Rohrwig/C. Grossmayer/K. Grossmayer/ Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG6, §84 Rz111ff.
3/2023 167 EU-Sanktionen gegen Russland
EU-Sanktionen gegen Russland
tung auch faktisch nicht möglich.26 Der Sorgfaltsmaßstab der Geschäftsleiter darf nicht überspannt werden.27 Unternehmerische Entscheidungen sind im Regelfall mit einem Risiko behaftet und daher besteht häufig ein Ermessensspielraum der Führungskräfte.28 Bei Ermessensentscheidungen hat der Gesetzgeber in §84 Abs1a AktG sowie §25 Abs1a GmbHG nach internationalen Vorbildern mit der Business Judgment Rule eine Art Beurteilungsschema normiert, welches für die Haftung gegenüber der Gesellschaft relevant ist.29 Handelt ein Geschäftsleiter bei einer unternehmerischen Entscheidung auf Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft und lässt er sich nicht von sachfremden Interessen leiten, dann handelt er sorgfältig und haftet der Gesellschaft gegenüber nicht (safe harbor).30 Liegt eine dieser Voraussetzungen nicht vor, führt dies aber nicht zwingend zu einer Haftung, sondern es wird eine Gesamtbetrachtung herangezogen.31
Ein Teil der Sorgfaltspflicht besteht darin, die Rechtsordnung zu beachten (Legalitätspflicht).32 Ob sich diese Legalitätspflicht nur auf verbandsinterne Bestimmungen oder auch auf die externe Pflichtenbindung bezieht, ist umstritten, wird jedoch von der hA mE richtigerweise bejaht.33 Es ist überzeugend, dass Geschäftsleiter bei zwingenden Rechtsnormen (wie etwa Verbotsnormen) jedenfalls keinen Ermessensspielraum haben, sondern sich rechtskonform verhalten müssen.34 Geschäftsleiter können daher nicht entscheiden, bewusst gegen Gesetze zu verstoßen, auch wenn dies im Einzelfall zum wirtschaftlichen Vorteil des geführten Unternehmens wäre. Es gibt somit keine nützliche Gesetzesverletzung.35 Daher kann es bei der Beurteilung von Haftungsfragen nicht zur Anwendung der Business Judgment Rule kommen, weil es sich nicht um eine unternehmerische Entscheidung handelt.36
26 Vgl etwa Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §25 Rz41; Reich-Rohrwig/ C. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG6, §84 Rz113.
27 RIS-Justiz RS0118177; Reich-Rohrwig/C. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG6, §84 Rz114; Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §25 Rz42.
28 Reich-Rohrwig/C. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/Karollus, AktG6, §84 Rz131.
29 Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §25 Rz68; Kalss in Kalss/ Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/453.
30 Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/447f; Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §25 Rz68f.
31 Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §84 Rz9b; Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §25 Rz74; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/452.
32 Vgl dazu Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG, §84 Rz9c; Adensamer in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG (2020) §84 Rz22; Adensamer/ Sternig/Wöss, Ausgewählte Fragen zur Verfolgung von Haftungsansprüchen gegen den Vorstand, in Adensamer/Mitterecker, Gesellschafterstreit (2021) 339 (345); Spindler in MünchKomm AktG6, §93 Rz89; Seibt, Pflichten der Geschäftsleitung zur Geopolitik, AG 2022, 833 (840).
33 Siehe dazu etwa Adensamer in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §84 Rz23ff; Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §84 Rz10; Karollus, Gesellschaftsrechtliche Verantwortlichkeit von Bankorganen bei Kredit- und Sanierungsentscheidungen – zugleich ein Beitrag zur Business Judgment Rule (§84 Abs1a AktG und §25 Abs1a GmbHG), ÖBA 2016, 252 (257); Leupold/Ramharter, Nützliche Gesetzesverletzungen – Innenhaftung der Geschäftsleiter wegen Verletzung der Legalitätspflicht? GesRZ2009, 253 (257); Adensamer/Sternig/Wöss, Ausgewählte Fragen, 346f; Seibt, AG 2022, 840; Fleischer, Aktienrechtliche Legalitätspflicht und „nützliche“ Pflichtverletzungen von Vorstandsmitgliedern, ZIP 2005, 141 (152); kritisch Reich-Rohrwig/C. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/ Karollus, AktG6, §84 Rz213ff; gegen eine Überspannung der Legalitätspflicht U.Torggler, Wider die Verselbständigung der Begriffe: Compliance, Legalitätspflicht und Business Judgment Rule, in Kalss/U. Torggler, Compliance (2016) 97 (100ff).
34 Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/435; Adensamer/Sternig/ Wöss, Ausgewählte Fragen, 347; Spindler in MünchKomm AktG6, §93 Rz90.
35 Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §84 Rz10; Karollus, ÖBA 2016, 257; Adensamer/Sternig/Wöss, Ausgewählte Fragen, 347; Fleischer, ZIP 2005, 152.
36 Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §25 Rz77 und 79; Adensamer in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §84 Rz34; Fleischer in MünchKomm GmbHG4, §43 Rz96; ders, ZIP 2005, 152.
Ein Ermessensspielraum ist jedoch bei unklarer Rechtslage einzuräumen.37 In einer solchen Situation, welche etwa bei neuen Gesetzen oder fehlender einheitlicher Rspr eintreten kann, trifft die Geschäftsleitung die Verantwortung, die Rechtslage zu prüfen und eine angemessene Entscheidungsgrundlage zu schaffen.38 Fehlt die eigene Expertise, ist dabei auf interne oder externe Experten zurückzugreifen.39 Bleibt die Rechtslage weiterhin unsicher, darf die für die Gesellschaft vorteilhafteste Auslegung gewählt werden.40 Es muss also nicht die sicherste Alternative gewählt werden.41 Anders als bei einem kalkulierten Rechtsbruch stellt ein Rechtsverstoß bei unklarer Rechtslage nicht sogleich eine Sorgfaltswidrigkeit dar.42 Aufgrund dieses Entscheidungsspielraums kann man sich bei der Ex-post-Beurteilung dieser Entscheidung zumindest an der Business Judgment Rule orientieren.43
Neben dem eigenen rechtskonformen Verhalten erstreckt sich die Sorgfaltspflicht auch darauf, dass möglichst verhindert wird, dass es zu Gesetzesverletzungen auf nachgeordneten Ebenen kommt (Legalitätskontrollpflicht).44 Teil der Sorgfaltspflicht ist es, eine ordentliche Compliance-Einrichtung zu schaffen; es sollten daher Maßnahmen gesetzt werden, welche die Einhaltung des Rechtsrahmens sicherstellen (zB durch Einrichtung eines internen Kontrollsystems).45 Dabei handelt es sich um eine Aufgabe aller Geschäftsleiter.46 Wie dieses Kontrollsystem ausgestaltet ist, ist eine Ermessensfrage;47 es kommt dabei zur Anwendung der Business Judgment Rule.48
III.Auswirkungen der Sanktionen auf die Sorgfaltspflicht
Zuerst lässt sich festhalten, dass das Aufrechterhalten des Russlandgeschäfts von österreichischen Unternehmen nicht automatisch sorgfaltswidrig ist, denn es besteht kein totales Handelsembargo und für gewisse Branchen ist der Handel nur wenig eingeschränkt.49 Ebenso war es nicht sorgfaltswidrig, dass die Sanktionen nicht ex ante antizipiert wurden. Unterhalten Unternehmen weiterhin Geschäftsbeziehungen zu Russland, gilt es dabei jedoch die Sanktionen zu berücksichtigen und dementsprechende Maßnahmen zu setzen. Es kommt für die Geschäftsleiter aufgrund der schwierigen Situation zu einer Erhöhung der Sorgfaltspflicht. Denn neben
37 Leupold/Ramharter, GesRZ2009, 254f; Adensamer/Sternig/Wöss, Ausgewählte Fragen, 346; Fleischer, ZIP 2005, 152.
38 Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/449.
39 Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/451; Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §84 Rz9c.
40 Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §84 Rz9c; Leupold/Ramharter, GesRZ2009, 254.
41 Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/450.
42 Leupold/Ramharter, GesRZ2009, 254.
43 Vgl etwa Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/450; Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §84 Rz9c; für eine Anwendung Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §25 Rz79.
44 Spindler in MünchKomm AktG6, §93 Rz121; Adensamer/Sternig/Wöss, Ausgewählte Fragen, 349; siehe dazu ausführlich Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht (2014) 1; zuletzt auch dahin gehend OLG Nürnberg 30.3.2022, 12 U 1520/19, NZG 2022, 1058.
45 Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/441; vgl auch L-Regel 15 des Österreichischen Corporate Governance Kodex (ÖCGK), online abrufbar unter https://www.corporate-governance.at/kodex
46 Vgl Ch. Nowotny in Doralt/Nowotny/Kalss, AktG3, §84 Rz4.
47 Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/441; Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §25 Rz80; Gretzer/Eckel, Gerichtsurteil untermauert: Compliance ist Geschäftsführungs-Pflicht! Compliance Praxis 3/2022, 31 (33); vgl auch OGH 3.8.2021, 8 ObA 109/20t.
48 Vgl etwa Spindler in MünchKomm AktG6, §93 Rz121.
49 Siehe Pkt I. zum Umfang der Sanktionen.
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den wirtschaftlichen und strafrechtlichen Konsequenzen eines Sanktionsverstoßes gilt es auch den Reputationsschaden eines solchen zu verhindern. Aufgabe der Geschäftsleitung ist es dabei, sich umfassend zu informieren; dafür gibt es neben dem internen und externen Rat auch Instrumente der EU (wie die EU Sanctions Map)50 oder auch Leitfäden der Ministerien, der OeNB bzw von Interessenvertretungen.
Es müssen passende organisatorische Vorkehrungen im Rahmen der Compliance getroffen werden, die sicherstellen, dass alle Unternehmensangehörigen im Einklang mit den Sanktionsbestimmungen handeln, (sog Sanktions-Compliance).51 Dies gilt etwa für Export- und Importkontrollen, aber auch für konkrete Handelspartner. Die Erstellung eines internen Sanktionstools kann dabei helfen.52 Es sollte einerseits der Status quo untersucht werden und andererseits sichergestellt werden, dass auch zukünftiger Handel sanktionskonform ist. Es handelt sich um eine Aufgabe der gesamten Geschäftsleitung, wobei es möglich ist, dass einzelne Führungskräfte mit besonderen Aufgaben dahin gehend betraut werden.53 Je nach Umfang des Russlandgeschäfts und der Art der Waren muss die Sanktions-Compliance dementsprechend situationsadäquat ausgestaltet sein: Ein Kreditinstitut, welches umfangreiche Geschäftsbeziehungen zu Russland pflegt, muss weiter gehende Maßnahmen ergreifen als ein Unternehmen im Lebensmittelbereich, dessen Produkte von den Sanktionen weitgehend ausgeschlossen sind.54 Dabei muss ebenso sichergestellt werden, dass die Sanktionen nicht durch Drittstaaten umgangen werden; dies kann auch durch Abstimmung mit den Handelspartnern forciert werden.55
IV.Gesellschaftsrechtliche Folgen eines Sanktionsverstoßes
Kommt es zu einem Sanktionsverstoß durch ein Unternehmen, kann dies für die Geschäftsleitung – abgesehen von den strafrechtlichen Konsequenzen – prekäre Folgen haben. Denn einerseits stellt sich die Frage, ob die Geschäftsleitung für einen aufkommenden Schaden zu haften hat; andererseits muss hinterfragt werden, ob die involvierten Personen weiterhin in Geschäftsleitungspositionen tragbar sind. Dabei gilt es dahin gehend zu unterscheiden, ob es sich bei dem Verstoß um einen Sanktionsverstoß bei klarer Rechtslage handelt oder um einen Verstoß bei einer unklaren Rechtslage. Zudem gilt es zu unterscheiden, inwieweit die Geschäftsleitung im Verstoß involviert war.
Bei eindeutiger Rechtslage und einer bewussten Entscheidung, Sanktionen zu brechen oder zu umgehen, handelt es sich nicht um eine unternehmerische Entscheidung. Dabei besteht keine Möglichkeit, eine etwaige Haftung aufgrund einer Ermessensentscheidung der Business Judgment Rule zu verneinen, und es besteht kein safe harbor. 56 Ebenso ist ein solcher Sanktionsverstoß mit der Sorgfalt eines ordentlichen
50 Online abrufbar unter https://www.sanctionsmap.eu
51 Vgl auch Siadat, BKR 2022, 356; Eckel/Sojková, Compliance Praxis 2/2022, 10f.
52 Siadat, BKR 2022, 356; Eckel/Sojková, Compliance Praxis 2/2022, 10f; Martens/ St.Fischer, EU-Sanktionen gegen Russland – Überblick und Handlungsmöglichkeiten deutscher Unternehmen, BB 2022, 707 (710f).
53 Eckel/Sojková, Compliance Praxis 2/2022, 11.
54 Siehe beispielhaft Art2e Abs2 litc, Art3c Abs6c und Art5aa Abs3 litf der RusslandEmbargoverordnung.
55 Eckel/Sojková, Compliance Praxis 2/2022, 11.
56 Siehe FN 37.
Geschäftsleiters nicht vereinbar, unabhängig davon, ob die Handlung mit der Intention des wirtschaftlichen Vorteils für das Unternehmen erfolgt war. Es gibt – wie bereits festgehalten – keine nützliche Gesetzesverletzung.57 Die Frage nach einer möglichen Haftung gegenüber der Gesellschaft für den durch den Sanktionsverstoß entstandenen Schaden nach §84 Abs2 AktG bzw §25 Abs2 GmbHG kann bejaht werden. Die Anspruchsgrundlage fordert einen Schaden, Kausalität, Rechtswidrigkeit und Verschulden,58 welche im Regelfall bei einem Sanktionsverstoß vorliegen werden. Darüber hinaus stellt die Gesetzesverletzung auch einen wichtigen Grund zur Abberufung der Geschäftsleiter dar, wenn ein solcher wie beim Vorstand der AG oder beim Geschäftsführer der GmbH im Gesellschaftsvertag vorgesehen ist. Zu demselben Ergebnis gelangt man mE ebenso bei einem fahrlässigen Sanktionsbruch und bei Unwissenheit über die offenkundigen Ge- und Verbotsmaßnahmen der Sanktionen.59
Ist unklar oder umstritten, wie Sanktionen zu verstehen sind (vor allem dann, wenn diese gerade neu eingeführt wurden), trifft die Führungskräfte die Verantwortung, die Rechtslage zu prüfen (Befassungs- und Rechtsvergewisserungspflicht).60 Dabei verlangt der Sorgfaltsmaßstab nicht, dass die Führungskräfte die eigene Expertise für komplexe Rechtsfragen haben.61 Fehlt die eigene Expertise, ist auf interne oder externe Experten zurückzugreifen.62 Bleibt die Rechtslage weiterhin unsicher und stellt eine getroffene Entscheidung sich im Nachhinein als rechtswidrig heraus, wodurch ein Sanktionsverstoß und ein Schaden für die Gesellschaft eintreten, stellt sich die Frage der Haftung. Dabei gilt es zu prüfen, ob die Geschäftsleiter sorgfältig gehandelt haben. Orientiert an der Business Judgment Rule kann geprüft werden, inwieweit die Führungskraft angemessene Informationen eingeholt hat und frei von Interessenkonflikten eine Entscheidung zum Wohle der Gesellschaft getroffen hat. Fraglich ist, ob bei Einhaltung all dieser Voraussetzungen bereits auf Ebene der Rechtswidrigkeit der safe harbor und somit die Haftungsbefreiung erreicht werden.63 Immerhin ist ein Sanktionsverstoß im Ergebnis – auch bei unklarer Rechtslage – rechtswidrig. Spätestens auf Ebene des Verschuldens kann aber mE bei Einhaltung der oben genannten Kriterien nicht von einer subjektiven Vorwerfbarkeit ausgegangen werden, weshalb die Haftung im Ergebnis zu verneinen ist. Aufgrund der möglichen straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen und des drohenden Imageverlustes könnte aber auch ein Sanktionsverstoß bei unklarer Rechtslage im Einzelfall einen wichtigen Grund zur Abberufung darstellen.
Ebenso ist es möglich, dass der Sanktionsverstoß auf einer nachgeordneten Ebene durch einen Unternehmensangehörigen verwirklicht wird, ohne dass die Geschäftsleitung davon
57 Siehe FN 36.
58 Siehe dazu etwa Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/531.
59 Anders U. Torggler, Verselbständigung, 128, welcher dies bei Anwendung von §84 Abs1a AktG und §25 Abs1a GmbH auf Ebene der (mangelhaften) Informationsgrundlage prüft; vgl auch Leupold/Ramharter, GesRZ2009, 255.
60 Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/499; Spindler in MünchKomm AktG6, §93 Rz94ff.
61 Schopper/Walch, Vorstandshaftung bei Vertrauen auf unrichtigen Rechtsrat, GES2012, 215 (215f); Spindler in MünchKomm AktG6, §93 Rz95f.
62 OGH 30.8.2016, 6 Ob 198/15h; Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/449; siehe zu den Anforderungen an die Einholung des Rechtsrates ausführlich Schopper/Walch, GES2012, 219ff.
63 So etwa Leupold/Ramharter, GesRZ2009, 255.
3/2023 169 EU-Sanktionen gegen Russland
EU-Sanktionen gegen Russland
Bescheid weiß oder in irgendeiner Form eine Zustimmung erteilt hat (etwa wenn ein Einkäufer über Umwege aus Russland stammende sanktionierte Waren erwirbt). Dabei stellt sich die Frage, inwieweit ein solcher Sanktionsverstoß auf einer vertikalen Ebene gesellschaftsrechtliche Konsequenzen für die Geschäftsleiter haben kann. Eine pauschale Zurechnung des Fehlverhaltens von Unternehmensangehörigen ist abzulehnen.64 Unternehmensangehörige gelten gegenüber den Führungskräften nicht als Erfüllungs- oder Besorgungsgehilfen, sondern sind Gehilfen der Gesellschaft.65 Dennoch trifft die Geschäftsleitung die Überwachungspflicht durch ein angemessenes Kontrollsystem.66 Bei einem Sanktionsverstoß kann das Compliance-System, welches solche Verstöße verhindern soll, am Ermessensspielraum und an der Business Judgment Rule gemessen werden.67 Sind ausreichend Überwachungsmechanismen vorhanden und bestehen keine sonstigen Interessenkonflikte, kommt es zu keiner Haftung gegenüber der Gesellschaft. Dabei können die Anforderungen an ein solches Kontrollsystem vor allem nicht jede Malversation eines Mitarbeiters berücksichtigen und dürfen nicht überspannt werden. Erneut gilt jedoch aufgrund der möglichen Konsequenzen für das Unternehmen und des Reputationsschadens, dass eine Abberufung aus wichtigem Grund im Einzelfall möglich wäre.
Zuletzt gilt es zu beleuchten, welche Auswirkungen die Sanktionen auf zukünftige Investitionen haben. Viele Unternehmen haben sich zwar nicht aus Russland zurückgezogen, aber Investitionen vorerst gestoppt.68 Andere hingegen expandieren aufgrund der geänderten Marktverhältnisse. Durch den Rückzug anderer Marktteilnehmer hat sich für gewisse Unternehmen auch eine Geschäftschance aufgetan. Wenn die geplante Investition gegen die Sanktionen verstößt, hat diese zu unterbleiben; dafür gilt das bereits Gesagte.69 Fraglich ist jedoch, inwieweit eine Investition außerhalb des Sanktionsregimes mit der Sorgfaltspflicht vereinbar ist; schließlich herrscht große Unsicherheit über die zukünftigen Handelsbeziehungen mit sanktionierten Staaten. Eine Investitionsentscheidung in politisch unsicheren Länder ist eine unternehmerische Entscheidung, bei welcher ein Ermessensspielraum besteht.70 Orientiert an der Business Judgment Rule muss eine sorgfältige Investitionsentscheidung unter angemessenen Informationen zum Wohle der Gesellschaft erfolgen und darf nicht von sachfremden Interessen geleitet werden. Unter das Wohl der Gesellschaft wird auch die Vermeidung eines übergroßen Risikos subsumiert.71 Es sollen daher
64 Adensamer/Sternig/Wöss, Ausgewählte Fragen, 354.
65 OGH 30.1.2017, 6 Ob 84/16w; Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §25 Rz52; Adensamer/Sternig/Wöss, Ausgewählte Fragen, 355.
66 Siehe FN 46.
67 Vgl etwa Spindler in MünchKomm AktG6, §93 Rz121.
68 Siehe FN 22.
69 Dies ist etwa in Luhansk und Donezk der Fall, wo der Erwerb oder die Vergrößerung einer Beteiligung am Eigentum an Immobilien, aber auch die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen untersagt ist; siehe dazu Art3 der Verordnung (EU) 2022/263 des Rates vom 23.2.2022 über restriktive Maßnahmen als Reaktion auf die illegale Anerkennung, Besetzung oder Annexion bestimmter nicht von der Regierung kontrollierter ukrainischer Gebiete durch die Russische Föderation, ABl L 42 I vom 23.2.2023, S77, zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) 2022/1903 des Rates vom 6.10.2022, ABl L 259 I vom 6.10.2022, S1.
70 Vgl auch Reich-Rohrwig/C. Grossmayer/K. Grossmayer/Zimmermann in Artmann/ Karollus, AktG6, §84 Rz131.
71 Vgl etwa Adensamer in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §84 Rz36; zum Teil auch als eigener Prüfschritt; siehe etwa Kalss in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz3/448.
keine Entscheidungen getroffen werden, welche in unverantwortlicher Weise risikoreich sind.72 Ein solches übergroßes Risiko könnte vor allem bei hohen Investitionssummen in Ländern, die unter Sanktionen stehen oder bei welchen Sanktionen zu erwarten sind, gegeben sein. Kommt es zu einer Ausweitung der Sanktionen oder zu Gegenmaßnahmen, könnte die Investition fehlschlagen. Im Einzelfall sollten daher Neuinvestitionen in sanktionierten Staaten eingehend geprüft werden; sie sind aber nicht per se pflichtwidrig.
V.Drittstaatssanktionen und ihre Auswirkungen Diffiziler gestaltet sich die Ausgangssituation, wenn Sanktionen von Drittstaaten Auswirkungen auf heimische Unternehmen entfalten.73 Dies können etwa Gegenmaßnahmen von sanktionierten Staaten (wie zuletzt von Russland) sein oder auch Drittstaatssanktionen, die eine umfassende Reichweite für sich beanspruchen. Häufig sind die betroffenen Unternehmen Kreditinstitute oder Exportunternehmen.74 Für Aufsehen hat dahin gehend eine Befragung einer heimischen Bank bezüglich deren Russlandgeschäft durch das zum US-Finanzministerium gehörende Office of Foreign Assets Control (OFAC) gesorgt.75 Dabei stellt sich die Frage, inwieweit heimische Unternehmen Drittstaatgesetze (in diesem Fall: Sanktionen der USA gegen Russland) berücksichtigen müssen. Aus einer Gesellschafts- und Compliance-Perspektive gilt es zu beleuchten, ob ein sorgfältiger Geschäftsleiter US-Sanktionen zu berücksichtigen hat.
Das dahinter liegende Problem, die extraterritoriale Wirkung von Sanktionen,76 ist bereits seit Langem bekannt und strahlt vom Völkerrecht auch in andere Rechtsgebiete aus. Vor allem die Ausübung extraterritorialer Jurisdiktion vonseiten der USA hat seit dem Zweiten Weltkrieg wiederholt zu diplomatischen Verstimmungen geführt.77 Der amerikanische Anwalt Grundman hat es im Jahr 1980 wie folgt überspitzt dargelegt: „In the past twenty-five years the United States has had three major exports: rock music, blue jeans and United States law. The first two have acquired an acceptance the last can never achieve.“ 78 Dabei versucht ein Drittstaat, das Verhalten von territorialfremden Personen durch direkte oder indirekte Normen zu beeinflussen.79 Dies geschieht durch
72 Adensamer in Napokoj/H. Foglar-Deinhardstein/Pelinka, AktG, §84 Rz36.
73 Siehe dazu etwa K. Mair/Sh. Müller/Freisleben, „Medio tutissimus ibis“ – US-Sanktionen als herausforderndes Compliance-Thema für europäische Finanzinstitute, JSt 2019, 431 (433); S. Sattler, Einführung in das Sanktionsrecht, JuS2019, 18; López-Casero, Verschärfung der US-Sanktionen gegen Russland und Weißrussland, UKuR 2023, 94; Siadat, BKR 2022, 356.
74 S. Sattler, JuS2019, 21.
75 Siehe etwa https://www.reuters.com/business/us-sanctions-authority-asks-raiffeisenabout-business-related-russia-2023-02-17; https://www.handelsblatt.com/finanzen/ banken-versicherungen/banken/oesterreich-rbi-wegen-russland-im-visier-der-usbehoerden/28990330.html; https://www.wsj.com/articles/raiffeisen-bank-shares-dropafter-us-treasury-request-for-information-2b1dffe6; https://www.bloomberg.com/ news/articles/2023-02-20/raiffeisen-sturzen-ab-usa-wollen-infos-zu-russlandgeschaft #xj4y7vzkg
76 Zumeist unter dem Terminus „extraterritoriale Jurisdiktion“ diskutiert; zuletzt auch vermehrt unter „extraterritorial wirkende Sekundärsanktionen“ untersucht. Zur Unterscheidung in Primär- und Sekundärsanktionen: Primärsanktionen beziehen sich direkt auf sanktionierte Personen und Organisationen (etwa aus Russland). Sekundärsanktionen betreffen Personen und Organisationen, welche Geschäftsbeziehungen zu primär sanktionierten Personen unterhalten.
77 Siehe dazu etwa Meng, Wirtschaftssanktionen und Staatliche Jurisdiktion – Grauzonen im Völkerrecht, ZaöRV 1997, 269; H. G. Maier, Interest Balancing and Extraterritorial Jurisdiction, The American Journal of Comparative Law 1983, 579.
78 Grundman, The New Imperialism: The Extraterritorial Application of United States Law, The International Lawyer 1980, 257.
79 Vgl etwa Bechky, Sanctions and the Blurred Boundaries of International Economic Law, Missouri Law Review 2018, 1 (10).
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Ausübung von Hoheitsgewalt durch Gesetzgebung (oder Vollziehung), welche außerhalb der eigenen Staatsgrenzen und der eigenen Rechtsunterworfenen wirken soll. Das Thema ist völkerrechtlich heikel, weil gegen die Souveränität eines Staates und dessen Hoheitsgewalt über seine Rechtsunterworfenen verstoßen wird.
Das rezente Beispiel der Russlandsanktionen ist dahin gehend keine Besonderheit. Im Falle Russlands, welches ebenso von der EU sanktioniert ist, ist der Eingriff auch weniger weitgehend, als wenn es sich um Länder oder Personen handelt, welche in Österreich nicht (mehr) sanktioniert sind. Dies galt einst für Kuba durch den Helms-Burton Act80 oder den Iran und Libyen durch den Iran and Libya Sanctions Act of 1986.81 Besonders herausfordernd sind jene Situationen, in denen extraterritoriale Regelungen im Widerspruch zu nationalen Normen stehen und dadurch für Rechtsunterworfene ein Normenkonflikt entsteht.82 Dies ist etwa bei der BlockingVerordnung der EU83 der Fall, welche vorsieht, dass europäische Unternehmen gewisse US-Sanktionen nicht berücksichtigen dürfen.84
Als juristischer Anknüpfungspunkt für die Jurisdiktion bei Sanktionen kann aus Sicht der USA Verschiedenstes herangezogen werden und eine Rechtfertigung für die Jurisdiktionsausübung ist tendenziell rasch erreicht. Historisch berief man sich dabei häufig auf das Auswirkungsprinzip (effects doctrin). Das Auswirkungsprinzip besagt, dass ein Staat einen Jurisdiktionsanknüpfungspunkt hat, wenn ein Verhalten außerhalb seines Territoriums einen (erheblichen) Effekt im Inland nach sich zieht. Seinen Ursprung fand das Auswirkungsprinzip im Sherman Anti-Trust Act von 1890,85 in welchem der US-Gesetzgeber Regelungen zum Wettbewerbsrecht erlassen hat. Im Prinzip kann dadurch jeder Akt, der einen Effekt auf die USA hat, auch unter ihre Jurisdiktion fallen.86 Dabei ist nicht abschließend geklärt, wann ein solcher Effekt vorliegt; die Rspr ist uneinheitlich.87 Im Fall United States v. General Electric Co. 88 hat das Gericht bspw festgehalten, dass der Effekt direkt und substanziell („direct and substantial“) sein muss. Im Fall Occidental Petroleum Corp. v. Buttes Gas & Oil Co. 89 wurde aber nur verlangt, dass eine der beiden Bedingungen erfüllt sein muss und es sich daher um alternative
80 Cuban Liberty and Democratic Solidarity (LIBERTAD) Act of 1996, online abrufbar unter https://www.govinfo.gov/content/pkg/PLAW-104publ114/pdf/PLAW-104publ114.pdf
81 Online abrufbar unter https://www.govinfo.gov/content/pkg/PLAW-104publ172/ pdf/PLAW-104publ172.pdf
82 Ryngaert, Jurisdiction in International Law (2008) 188; Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht (1994) 76; Sherman, Forgotten, But Not Gone: the EU’s Blocking Regulation, a Trap for the Unwary, International Business Lawyer 1998, 341.
83 Verordnung (EG) Nr2271/96 des Rates vom 22.11.1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen, ABl L 309 vom 29.11.1996, S1.
84 K. Mair/Sh. Müller/Freisleben, JSt 2019, 433f; siehe zuletzt auch EuGH 21.12.2021, Rs C-124/20, Bank Melli Iran
85 Online abrufbar unter https://www.archives.gov/milestone-documents/sherman-antitrust-act
86 Samie, Extraterritorial Enforcement of U.S. Antitrust Laws: the British Reaction, Maryland Journal of International Law 1981, 58. Der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass auch einige europäische Staaten und der EuGH ein ähnliches Prinzip anwenden; bspw EuGH 14.7.1972, Rs 48/69, Imperial Chemical Industries
87 Parish, The Effects Test: Extraterritorialitys’s Fifth Business, Vanderbilt Law Review 2008, 1455.
88 United States v. General Electric Co., 272 U.S. 476 (1926), online abrufbar unter https://supreme.justia.com/cases/federal/us/272/476
89 Occidental Petroleum Corp. v. Buttes Gas & Oil Co., 409 U.S. 950 (1972); Occidental Petroleum Corp. v. Buttes Gas & Oil Co., 331F. Supp. 92 (C.D. Cal. 1971), online abrufbar unter https://law.justia.com/cases/federal/district-courts/FSupp/331/92/1401305
Bedingungen handelt.90 Seit dem Fall American Banana Co. v. United Fruit Co. 91 können US-Gesetze darüber hinaus nur extraterritorial angewendet werden, wenn das vom Willen des Gesetzgebers beim Erlassen der Norm umfasst war. Durch das Morrison v. National Australia Bank Ltd.-Urteil92 wurde dieser Grundsatz konkretisiert. Der Wille reicht in diesem Fall nicht aus; es muss explizit im Gesetz festgehalten sein, dass eine Bestimmung extraterritoriale Wirkung haben soll, womit extraterritoriale Rechtsanwendung nur mehr dann geschehen kann, wenn explizit extraterritorial wirkende Normen erlassen werden.
Die rezenten Sanktionen gegen Russland sind umfassend und die Anknüpfung lasziver.93 Ein Großteil der personenbezogenen aktuellen US-Sanktionen gegen Russland und Belarus wurden auf Grundlage der Executive Order 14024 vom 15.4.202194 gefasst.95 Dabei wurden Unternehmen und Einzelpersonen auf die Specially Designated Nationals and Blocked Persons List (kurz: SDN-Liste)96 gesetzt. Direkte Anwendung finden die Sanktionen bei der Involvierung von US-Personen, US-Gütern oder dem US-Dollar als Transaktionswährung. Dabei werden die Begriffe „US-Personen“ und „US-Güter“ sehr weit ausgelegt und deren Einordnung ist ein komplexes Unterfangen.97 Unter US-Personen fallen etwa bereits Unternehmen, welche ihren Sitz im Ausland haben, aber von einer US-Person bedeutend beeinflusst werden. Dies kann bereits durch eine amerikanische Führungskraft oder einen größeren US-Gesellschafter der Fall sein.98 Durch die weite Auslegung des direkten Anwendungsbereichs der Sanktionen kann es daher sein, dass eine österreichische Gesellschaft direkt in den Anwendungsbereich der US-Sanktionen fällt. Diese extensive Direktanwendung von Sanktionen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass solche Normen für österreichische Rechtsunterworfene eine extraterritoriale Stoßrichtung haben. Für extraterritorial wirkende Sekundärsanktionen ist ein Geschäft mit einer primär sanktionierten Person bereits ausreichend, um grundsätzlich unter das Sanktionsregime zu fallen.99 Das OFAC hat beim Verstoß gegen Sekundärsanktionen die Möglichkeit, ausländische Unternehmen selbst auf die SDN-Liste zu setzen, wodurch diese ebenso zu einer Art persona non grata des westlichen Handelsverkehrs werden. Im Moment hält sich das OFAC aber noch davor zurück, westliche Unternehmen zu sanktionieren.100 Dies könnte aber auch nur die Ruhe vor dem Sturm sein.
90 Samie, The Doctrine of „Effects“ and the Extraterritorial Application of Antitrust Laws, University of Miami Inter-American Law Review 1982, 23 (24).
91 American Banana Co. v. United Fruit Co., 213 U.S. 347 (1909), online abrufbar unter https://supreme.justia.com/cases/federal/us/213/347
92 Morrison v. National Australia Bank Ltd., 561 U.S. 247 (2010), online abrufbar unter https://supreme.justia.com/cases/federal/us/561/247
93 Siehe zu den US-Sanktion gegen Russland im Überblick etwa Boykin/Grove, Die Russland-Sanktionen der USA, RIW 2022, 337; López-Casero, UKuR 2023, 94f; siehe zu den Exportkontrollen etwa López-Casero, Export Administration Regulations Update: US-Exportkontrollen gegen Russland und Belarus, UKuR 2023, 50.
94 Online abrufbar unter https://www.federalregister.gov/documents/2021/04/19/202108098/blocking-property-with-respect-to-specified-harmful-foreign-activities-ofthe-government-of-the
95 Siehe dazu auch López-Casero, UKuR 2023, 94; E. C. Ferrari, Lost in the Sauce? When it Comes to Russia Sanctions, Has the State Department Gone Out of Bounds? UKuR 2022, 720 (721). Daneben gibt es noch weitere sektorale und länderbezogene Sanktionen; vgl Boykin/Grove, RIW 2022, 337ff.
96 Online abtrufbar unter https://ofac.treasury.gov/specially-designated-nationalsand-blocked-persons-list-sdn-human-readable-lists
97 Siadat, BKR 2022, 357; S. Sattler, JuS2019, 21.
98 Boykin/Grove, RIW 2022, 337; Siadat, BKR 2022, 357.
99 López-Casero, UKuR 2023, 94.
100 López-Casero, UKuR 2023, 94.
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EU-Sanktionen gegen Russland
Teil der Legalitätspflicht können extraterritorial wirkende Sanktionen von Drittstaaten mE nicht sein. Es handelt sich um keinen direkt geltenden Rechtsakt eines unmittelbar legislativ befugten Organes. Eine pauschale Pflicht, sich an alle extraterritorial wirkenden Gesetze zu halten, besteht daher im Rahmen der Sorgfaltspflicht nicht. Ein Verstoß gegen US-Sanktionen ist deshalb anders als ein bewusster Verstoß gegen unmittelbar wirkende Sanktionen nicht per se verboten oder pflichtwidrig. Dennoch sollten und können solche Sanktionen (vor allem von wirtschaftlich mächtigen Nationen wie den USA) nicht ignoriert werden. Es drohen immerhin drakonische Strafen. Wenn etwa ein europäisches Kreditinstitut gegen US-Sanktionen verstößt, kann dies zu empfindlichen Geldstrafen führen und im worst case zur Aufnahme in die Sanktionsliste, was für die meisten Gesellschaften ruinierend wäre.101 Daher sollten Sanktionen von wichtigen Handelspartnern jedenfalls in das Compliance-System aufgenommen werden. Die Frage, ob und wie dies bewerkstelligt wird, ist eine Ermessensfrage. Bei Entscheidungen, inwieweit diese Drittstaatssanktionen einzuhalten sind, besteht mE jedoch insoweit ein Handlungsspielraum, als diesen nicht zwingend EU blocking statutes entgegenstehen, was aber bei den Russlandsanktionen nicht der Fall ist.102 Wäre dies der Fall, dürften sich die Unternehmen gar nicht an die Sanktionen halten.103 Falls es aufgrund eines US-Sanktionsverstoßes zu einer Strafe und einem Schaden für die Gesellschaft kommt, kann man sich erneut an der Business Judgment Rule orientieren. Vor allem gilt es dabei zu beleuchten, ob angemessene Informationen eingeholt wurden und inwieweit ein übergroßes Risiko eingegangen wurde. Der letzte Punkt ist vor allem in
101 K. Mair/Sh. Müller/Freisleben, JSt 2019, 433; S. Sattler, JuS2019, 22; Brockhausen, Embargo und Sanktionen – die prozessuale Herausforderung für Compliance, Compliance Praxis 2/2015, 26 (27).
102 Anders aber Siadat, BKR 2022, 357, welcher daher zum Schluss kommt, dass die Sekundärsanktionen unbeachtlich sind.
103 So auch Seibt, AG 2022, 840.
Bezug auf die hohen Strafen, welche in der Vergangenheit von den USA wegen Sanktionsverstößen auferlegt wurden, zu berücksichtigen. Ergibt die Prüfung, dass die Kriterien der Business Judgment Rule nicht erfüllt sind, weil die Handlung in unverantwortlicher Weise risikoreich war, kann eine Haftung im Einzelfall bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen bejaht werden.
VI.Zusammenfassung
Die aktuellen EU-Sanktionen gegen Russland, welche für heimische Unternehmen unmittelbar gelten, sind umfangreich und komplex. Geschäftsleiter haben diese Sanktionen im Rahmen der Legalitätspflicht einzuhalten; dahin gehend besteht kein Ermessensspielraum. Ein solcher kann nur dort bestehen, wo die Rechtslage nicht eindeutig ist. Geschäftsleiter müssen sich mit den geltenden Sanktionen vertraut machen. Ebenso müssen Führungskräfte sicherstellen, dass andere Unternehmensangehörige nicht gegen die Sanktionsbestimmungen verstoßen. Die Einhaltung von Sanktionen kann durch Einrichtung eines angemessenen SanktionsCompliance-Systems sichergestellt werden. Kommt es zu einem Sanktionsverstoß und dabei zu einem Schaden, kann dies – neben strafrechtlichen Konsequenzen – zur Haftung der Geschäftsleiter und zu deren Abberufung führen. Dies gilt vor allem, wenn es sich um einen bewussten Verstoß handelt oder die Rechtslage nicht sorgfältig geprüft wurde. Besonders schwierig für Unternehmen und deren Geschäftsleiter ist die Behandlung von extraterritorial wirkenden Drittstaatssanktionen (vor allem der USA). Diese sind zwar nicht von der Legalitätspflicht umfasst, sollten aber aufgrund ihrer möglichen Strafdrohung dennoch – soweit möglich – berücksichtigt werden. Inwieweit dies geschieht, ist jedoch – anders als bei unmittelbar geltenden Sanktionen – eine Ermessensentscheidung.
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Unternehmensstiftungen in Europa –nachhaltig ausgerichtete Eigentümer
Nachlese zum 10. Familienunternehmertag in Göttweig
SUSANNE KALSS *
Der 10. Familienunternehmertag auf Stift Göttweig am 5.5.2023 stand ganz im Zeichen der Leistungskraft sowie der Aufgaben und Aufmerksamkeit nachhaltigen Wirtschaftens. Dabei ging es um die grundsätzlichen Aufgaben der Erarbeitung von Gewinn, um dauerhaft auch für künftige Generationen leben und arbeiten zu können. Hierfür sind völlig unterschiedliche und voneinander unabhängige Maßnahmen notwendig. Nachhaltiges Wirtschaften ist Wirtschaften, das den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten der künftigen Generationen zu gefährden und an deren Lebensgrundlagen zu nagen. Auch sie müssen in der Lage sein, künftig ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.
* I.Nachhaltiges Wirtschaften
Nach Darlegung der Grundlagen der Nachhaltigkeit im Familienunternehmen durch Barbara Dauner-Lieb schilderten die Gebrüder Julius Kienast und Herbert Kienast die Geschichte des Handelshauses Kienast (Nah und Frisch). Sie erklärten insb den über mehrere Jahre andauernden Übergang von der achten auf die neunte Generation. Susanne Kalss und Stephan Probst betonten die Leistungskraft der österreichischen Privatstiftung vor dem Hintergrund eines liberalen Gesetzes.
II.Unternehmensstiftungen in Europa
Anne Sanders, Professorin an der Universität Bielefeld sowie an der Universität Bergen in Norwegen, präsentierte die Unternehmensstiftung in Europa als wichtige Organisationsform einer langfristig ausgerichteten Eigentümerin unternehmerischen Vermögens. Sie erläuterte die Motivation und die volkswirtschaftliche Wirkung langfristiger und nachhaltig ausgerichteter Eigentümer. Sie griff dabei auf eine rechtsvergleichende Studie zurück, die sie gemeinsam mit ihrem Kollegen Steen Thomsen aus Kopenhagen durchgeführt hat.1
Sanders nannte eine Reihe von bekannten Unternehmen, deren Vermögen in einer Stiftung organisiert ist. Quer durch Europa sind zahlreiche bekannte Unternehmen unter dem Dach zumindest einer Stiftung verankert. Beispiele bilden etwa Alnatura, Carlsberg, Bosch, Tata, IKEA, Zeiss, Lidl, Victorinox, Mahle, Bertelsmann, ALDI, FAZ, Körber, Maersk, Novo Nordisc, Fondation Hans Wilsdorf (Rolex), Giorgio Armani, Patagonia, Peppino Vismara, WALA (Hauschka) und Hidrostal.
das Institut für Unternehmensrecht und veranstaltet gemeinsam mit RA Dr. Stephan Probst den jährlich stattfindenden Familienunternehmertag.
1 Sanders/Thomsen, Enterprise Foundations in a Comparative Perspective (2023).
III. Was sind Unternehmensstiftungen (Business Foundations)?
Als Unternehmensstiftung qualifizierte Sanders eine Stiftung, die die Anteilsmehrheit an einer unternehmenstragenden Gesellschaft hält. Äußerst selten führt die Stiftung selbst das Unternehmen. Allgemeiner wird die Unternehmensstiftung daher als Stiftung umschrieben, die eine wesentliche unternehmerische Tätigkeit entfaltet oder eine maßgebliche Beteiligung an einem Unternehmen hält.2 Die Motivation, eine Unternehmensstiftung zu führen, ist dreifach: Sie liegt entweder
in der Absicherung der Versorgung der Stifterfamilie oder
in der Fortführung und Sicherung eines unabhängigen Unternehmens oder
in der Verfolgung gemeinnütziger Ziele.
Motive für die Errichtung von Unternehmensstiftungen etwa in der Schweiz liegen darin, die Unternehmensnachfolge zu regeln, den Unternehmenszweck und die unternehmerischen Grundsätze der Unternehmensführung zu sichern, eine mittelbare Mitarbeiterbeteiligung zu organisieren, die Unabhängigkeit des Unternehmens sicherzustellen, einen stabilen Ankeraktionär für das Unternehmen zu schaffen und schließlich auch Steuervorteile zu lukrieren.3
Nachhaltigkeit bedeutet, dass eine langlebige Ausrichtung der unternehmerischen Tätigkeit gefördert wird.4 Sie blickt auf eine Tradition zurück und verfolgt die langfristig ausgerichteten Ziele. Sie ist wirtschaftlich erfolgreich, da sie ihre unternehmerischen Vorhaben und Gestaltungsideen umsetzt. Novellen der gesetzlichen Grundlage sind nicht aus-
2 Meier-Hayoz/Forstmoser/Sethe, Schweizerisches Gesellschaftsrecht12 (2018) §23 Rz18; Bühler, Die Unternehmensstiftung in der Schweiz, Vortrag am 12. Rechtsvergleichenden DACH-Symposion am 2.6.2023 an der Wirtschaftsuniversität Wien; Thomsen, Foundation Ownership Around the World, in Sanders/Thomsen, Enterprise Foundations in a Comparative Perspective (2023) 7 (11f).
3 Bühler, Unternehmensstiftung; siehe ferner Sanders, Binding Capital to Free Purpose; Steward Ownership in Germany, ECFR 2022, 622 (636f); Gary, The Oregon Stewardship Trust: A New Type of Purpose Trust that Enables Stewardship-Ownership of a Business, University of Cincinnati Law Review 2020, 707.
4 Sanders, ECFR 2022, 626f.
3/2023 173 Familienunternehmen
* Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Susanne Kalss, LL.M. (Florenz) lehrt Unternehmens- und Zivilrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien, leitet
geschlossen; so hat etwa das schweizerische Stiftungsrecht –zumeist anlässlich der Novellierung von Regelungen zum Gesellschaftsrecht (2006: GmbH; 2023: Aktienrecht; 2024: Stiftungsrecht) mehrere Änderungen erfahren.5
Ausdrücklich kommt der Gedanke des nachhaltigen Wirtschaftens und der Verfolgung der unternehmerischen Vorhaben beispielhaft etwa in zwei schweizerischen Stiftungen zum Ausdruck:6 So lautet etwa der Stiftungszweck der Unternehmensstiftung Glockengiesserei H. Rüetschi AG: „Die dauernde Erhaltung des altehrwürdigen Unternehmens ‚Glockengiesserei H. Rüetschi AG‘ unter Aufrechterhaltung des bisherigen Gesellschaftszwecks auf solider Grundlage sowie Ausrichtung von Ausbildungs- und Förderbeiträgen an das Personal des Unternehmens, aber auch an Dritte, die den Beruf des Glocken- oder Kunstgießers erlernen wollen.“
Die Victorinox Stiftung hat folgenden Zweck: „Sie bezweckt, die Victorinox AG, in Ibach, Gemeinde Schwyz, unter Aufrechterhaltung des bisherigen Gesellschaftszwecks auf solider Grundlage als unabhängiges Unternehmen dauernd zu erhalten, indem sie die Aktionärsrechte an der Victorinox AG derart ausübt, dass das Gedeihen des Unternehmens auf bestmögliche und langfristige Weise gewährleistet wird.“
Die Victorinox Stiftung ist Eigentümerin der Victorinox AG, deren bekanntestes Produkt das Schweizer Taschenmesser ist, das auch zur Grundausstattung jedes Militärangehörigen in der Schweiz gehört. Eine ganz wichtige Stiftung ist schließlich die Fondation Hans Wilsdorf. Die Tochtergesellschaft Montres Rolex SA stellt die bekannten Rolex-Uhren her. Die Fondation Hans Wilsdorf finanziert ua den Bau von wichtiger Infrastruktur in Genf. Ausdrücklich betonte das schweizerische Bundesgericht, dass die Rechtsgeschäftsfreiheit allgemein und die Stiftungsfreiheit im Besonderen eine Beschränkung auf ideale Zwecke nicht zulassen.7 Daher wird ein offener Zweck zugelassen, der vor allem die Erhaltung und den Fortbetrieb des Unternehmens sichert. Damit werden in der Schweiz ebenso wie in Dänemark – im deutsch-österreichischen Verständnis – Selbstzweckstiftungen zugelassen,8 deren Zweck vor allem in der Fortführung des Unternehmens liegt und nur direkte oder indirekte Wirkungen für Dritte hat (Arbeitnehmer, Lehrlinge, Region). Bei genauer Betrachtung wird daher nicht nur das Vermögen erhalten und fortgeführt, sondern es werden Arbeitnehmer sowie Anfänger gefördert und regionale oder lokale Bedürfnisse befriedigt; allein aber schon der dauerhafte Betrieb eines Unternehmens an einem bestimmten Standort und die Sicherung der Tätigkeit zur Belebung einer Region werden als zulässige Zwecke anerkannt.
Typischerweise verfolgen diese Unternehmen keine Maximierung des shareholder value, also des Anteilswerts der Aktien oder Geschäftsanteile, durch sofortige Optimierung der Ausschüttungen oder durch Verkäufe von Teilbereichen oder durch maximale kurzfristige Kostensenkung durch sofortige Kündigung von Mitarbeitern, durch Kostenmini-
5 Bühler, Unternehmensstiftung.
6 Beispiele nach Bühler, Unternehmensstiftung.
7 BGE 127 III 337, Rn 20.
8 Sanders/Thomsen, Enterprise Foundation Law: Introduction, in Sanders/Thomsen, Enterprise Foundations in a Comparative Perspective (2023) 1 (5); Jakob, Swiss Enterprise Foundations: Overview and Current Challenges, in Sanders/Thomsen, Enterprise Foundations in a Comparative Perspective (2023) 83 (88f); Feldthusen, Denmark: Enterprise Foundations, in Sanders/Thomsen, Enterprise Foundations in a Comparative Perspective (2023) 129 (137).
mierungen und durch extremen Preisdruck auf Geschäftspartner. Vielmehr üben sie eine unternehmerisch sinnvolle Großzügigkeit gegenüber Geschäftspartnern und anderen Interessenträgern aus, mit denen Kooperationen mit wechselseitigen Vorteilen geschlossen werden, langfristige Geschäftsbeziehungen gefördert und ein wechselseitiges Leben-Lassen und gemeinsames Wirtschaften angestrebt wird. Im Großen dient dies nicht nur dem Vorteil des einzelnen Unternehmens, sondern stabilisiert den Standort und die Volkswirtschaft, indem eine Reihe von Unternehmen gehalten wird und weitere angezogen werden, die ebenfalls längerfristig bestehen können.
IV.Begriffselemente der Stiftung
Als Charakteristika der Stiftung beschreibt Sanders die eigene Rechtspersönlichkeit und Verwaltung des Stiftungsvermögens durch Organe der Stiftung. Die Stiftung ist Rechtsträger ohne Anteilseigner, aber notwendigerweise mit Oganträgern, die die Leitung und Kontrolle in der Stiftung innehaben. Typisch ist die Unumkehrbarkeit der Eigentumsübertragung in das Vermögen der Stiftung. Gerade hier zeigt sich die Besonderheit der österreichischen Variante der Privatstiftung, die mit dem Widerrufsrecht und dem Änderungsrecht sehr wohl eine vollkommene oder jedenfalls weitreichende Umkehrbarkeit der Eigentumsverhältnisse des Stiftungsvermögens zugunsten des Stifters anerkennt und dennoch als Stiftung zu qualifizieren ist.
Jedenfalls hat die Stiftung einen vom Stifter festgelegten Zweck zu verfolgen, der nicht ein für alle Mal festgeschrieben, aber jedenfalls in einem bestimmten Maß nach außen gerichtet sein muss.
Schließlich unterliegen alle Stiftungen in einem mehr oder weniger engen und straffen Sinn einer öffentlich-rechtlichen Aufsicht, unabhängig davon, ob diese von Verwaltungsbehörden (wie in Deutschland oder Dänemark) oder von Gerichten (wie in Österreich) geführt wird.
V.Vergleichender Überblick
1.Allgemeines
Anhand der fünf Kriterien
wirtschaftlicher Bedeutung,
Zulässigkeit und Zweck,
Flexibilität,
Governance und Transparenz sowie
steuerliche Behandlung
zieht Sanders einen Vergleich von mehreren Stiftungsregionen.9 Vorweg zeigte sie, dass in Dänemark 63% der gesamten Marktkapitalisierung börsenotierter Gesellschaften von verstifteten Unternehmen getragen werden. In Österreich beträgt dieser Anteil der börsenotierten Unternehmen (ATX) 26,1%, in Schweden 18,9%, in Italien 6,3%, in der Schweiz 5%, in Deutschland 3,8% und in den USA 1,1%. Die Zahlen geben nur Aufschluss über die börsenotierten Gesellschaften und wirken verzerrend, da gerade in Dänemark ganz große und börsenotierte Unternehmen in der Hand von Stiftungen liegen; die Zahlen geben daher nicht Auskunft über die gesamte Wirtschaftskraft von unternehmenstragenden Stiftungen.
9 Thomsen, Foundation Ownership, 15f.
174 3/2023 Familienunternehmen
2.Wirtschaftliche Bedeutung
Generell ist die wirtschaftliche Bedeutung der verstifteten Unternehmen in Dänemark sehr hoch, in Schweden und in Österreich ebenso. In Deutschland und in der Schweiz liegt dieser Anteil deutlich darunter, ebenso in Italien.
3.Zulässigkeit und Zweck
Unternehmerisch tätige Stiftungen sind in Dänemark auf der Grundlage eines eigenständigen Gesetzes zulässig; Familienstiftungen sind nur in einem eingeschränkten Maß anerkannt. Wichtiger ist die Erhaltung der Selbständigkeit der von Stiftungen geführten Unternehmen. Ähnlich ist die Rechtslage in Schweden.
In Österreich ist hingegen mit der Privatstiftung die eigenständige Versorgung von Familien ohne Beschränkung möglich; eine Grenze liegt allein im Verbot der Selbstzweckstiftung, sodass die Erhaltung und Fortführung des verstifteten Unternehmens nicht der alleinige Bewegrund für eine Stiftung sein darf, sondern nur ein Mittel für einen sonstigen Zweck. Zulässig ist aber ein solcher Handelsauftrag an die Stiftungsorgane. Daneben ist die Verfolgung von gemeinnützigen Zwecken zulässig. Deutschland erlaubt sowohl gemeinnützige als auch die gemeinwohlneutrale Allzweckstiftung, sodass auch Familienstiftungen möglich sind. Ebenso ist dies in der Schweiz gestattet. Vielfach werden gerade in Deutschland Doppelstiftungen mit unterschiedlichen Ausrichtungen ausgestaltet, nämlich einerseits eigennützig zugunsten der Familie, andererseits gemeinnützig. In Italien sind die Zulässigkeit von Unternehmensstiftungen und die Führung eigenständiger Unternehmen nicht klar geregelt, wenngleich einzelne Beispiele (zB Giorgio Armani, Campari im Entstehen) vorhanden sind.
4.Flexibilität
Die Rechtslage für Stiftungen ist in Dänemark von einer flexiblen Grundlage geprägt und einer äußerst stiftungsfreundlichen und kooperativen Stiftungsaufsicht, die ihre Aufgabe in der Förderung und Erhaltung der Stiftungen im Interesse des Landes und der Volkswirtschaft sieht.10 Ähnlich, aber nicht so kooperativ wird die Aufsicht in Schweden eingeschätzt. In Österreich wird die Flexibilität als hoch beschrieben; zugleich wird die Bedeutung des Firmenbuchs in seiner Aufgabe betont, Eintragungen und bestimmte Rechtsakte von Privatstiftungen nicht nur zu registrieren, sondern auch zu kontrollieren. In Deutschland wird die Flexibilität von Gestaltungen als eingeschränkt beschrieben; zugleich sei die Stiftungsaufsicht zum Teil zu starr. In der Schweiz hingegen bestehen eine hohe Flexibilität der Gestaltung und eine liberale Aufsicht, während in Italien die Flexibilität als gering eingeschätzt wird.
5.Governance und Transparenz
In Dänemark gelten weitreichende Vorgaben für die Governance und die Transparenz der Stiftungen, ähnlich in Schweden, sodass das Vermögen und die Zusammensetzung des Vermögens bekannt sind. In Österreich bestehen gesetz-
liche Vorgaben für die Governance und auch Gestaltungsmöglichkeiten. Die Stiftung ist mit der Stiftungsurkunde im Firmenbuch eingetragen. Eine Transparenz über das unmittelbare Vermögen der Privatstiftung ist ähnlich wie bei Privatpersonen nicht gegeben. Die Publizität wird bei Unternehmensstiftungen aber ohnehin durch die Transparenz der Kapitalgesellschaften geleistet. In Deutschland bestehen derzeit geringe Vorgaben zur Governance und Transparenz; ein öffentlich einsehbares Stiftungsregister wird mit 1.1.2026 etabliert. In der Schweiz sind nur wenige Regelungen sowohl für die Governance und auch für die Transparenz der Gestaltung und des Vermögens der Stiftung vorgesehen. In Italien existieren nur geringe Vorgaben.
6.Steuerliche Behandlung
Schließlich ist die steuerliche Behandlung in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. In Dänemark wird die Steuerlage als wechselhaft-fördernd umschrieben, während sie in Schweden stabil-neutral ist. Die steuerliche Behandlung war in Österreich ursprünglich äußerst attraktiv für die Privatstiftung. Die Vorteile sind nun aber weitestgehend beseitigt. Steuerliche Überlegungen sind heute selten ein Grund, eine Privatstiftung als Organisationsform für unternehmerisches Vermögen zu wählen. In Deutschland besteht ein stabiles Steuerregime, das für die Einzelnen gut gestaltbar ist. In der Schweiz gilt an und für sich ein stabiles gesetzliches Regime, das aber durch die Rspr zunehmend deutlich schwieriger einschätzbar ist. Schließlich kann die steuerliche Behandlung in Italien als kompliziert qualifiziert werden. In den USA werden Stiftungen kaum oder nicht eingesetzt, da diese steuerlich äußerst benachteiligt sind. Vielmehr werden stiftungsähnliche Gestaltungen (wie trusts) bevorzugt, die mit collective charitable entities verbunden werden. Ein bekanntes Beispiel dafür ist etwa Patagonia, das vor Kurzem als perpetual purpose trust, der die Stimmrechte an einem Unternehmen hält, etabliert wurde, während die Dividendenrechte an eine charitable entity gehen.
VI.Langfristig ausgerichtetes Unternehmertum
Generell zeigt sich in Europa und in verschiedenen Rechtsordnungen quer über den Erdball eine Tendenz zu einem langfristig orientierten Unternehmertum. So sind in 21 EUMitgliedstaaten in den letzten Jahren spezifische Rechtsformen für Sozialunternehmen etabliert worden, die sich zum Teil durch eine Vermögensbindung nach dem Vorbild von zweckorientierten GmbHs oder Genossenschaften auszeichnen. In Polen wurde ein neues Stiftungsrecht verabschiedet, das auch diese Zielrichtung zeigt.
In Portugal und Italien wird – ebenso wie in Deutschland –eine intensive Diskussion über Gesellschaften mit Vermögensbindung (gerade für Unternehmen) geführt. Dabei geht es vor allem darum, jüngeren und kleineren Unternehmen eine einfache Rechtsform für eine langfristige Vermögensbindung und damit eine sichere und unabhängige unternehmerische Tätigkeit zu bieten. Ob diese Gesetze in den jeweiligen Legislaturperioden noch beschlossen werden, ist ungewiss. Sie zeigen allerdings klar die Tendenz des Bedarfs und des Wunsches von zahlreichen Marktteilnehmern, für diese Form des
3/2023 175 Familienunternehmen
10
Feldthusen, Denmark, 147f.
Wirtschaftens maßgeschneiderte rechtliche Grundlagen zur Verfügung gestellt zu bekommen. In Deutschland ist vor rund einem Jahr von einer Gruppe von Experten und Expertinnen ein Gesetzesentwurf über eine GmbH mit besonderer Vermögensbindung vorgeschlagen worden; in der Zwischenzeit wird eher die Rechtsform der Genossenschaft oder eine neue Rechtsform bevorzugt. Derzeit ist das deutsche Justizministerium beschäftigt, einen Regierungsentwurf dafür zu erarbeiten.
VII.Wünsche an den nationalen und europäischen Normgeber
Abschließend adressierte Sanders eine Wunschliste an die europäischen Gesetzgeber:
1. Unternehmensverbundene Stiftungen sollen sowohl mit einem gemeinnützigen Stiftungszweck für ein verantwortungsvolles, langfristig orientiertes Unternehmen als zulässigen Stiftungszweck zugelassen werden als auch mit einem eigennützigen Zweck für bestimmte Personen, sodass Familienstiftungen als mögliche Organisationsform für Familienunternehmen dienen können.
2. Das Steuerrecht sollte jedenfalls Neutralität mit anderen Nachfolgemodellen garantieren und zudem für gemeinnützige Arbeit Steuervorteile gewähren.
3. Robuste und taugliche Governance-Strukturen sollten für Vorstand und Aufsichtsgremien vorgeschrieben oder jedenfalls ermöglicht werden.
4. Ein öffentlich einsehbares Register sollte für die notwendige Transparenz des Bestehens von Stiftungen sorgen, unabhängig davon, wie es konkret ausgestaltet wird.
5. Schließlich sollte sich die effektive Aufsicht auf die Rechtsaufsicht konzentrieren, um genug Spielraum für unternehmerische Flexibilität offenzuhalten. So könnten unternehmenstragende Stiftungen einen ganz wesentlichen Pfeiler für eine robuste europäische Wirtschaft bilden.
VIII.Ausblick
Stiftungen als langfristig und nachhaltig ausgerichtete Eigentümer werden – ähnlich wie derzeit Familienunternehmen –Überzeugung und Anerkennung leisten können und müssen, dass nicht die Maximierung der Vorteile des Einzelnen, sondern nur die angemessene Verteilung der finanziellen Mittel und Möglichkeiten in der Gemeinschaft aktuell und für die Zukunft zielführend sein wird. Es werden daher ähnlich wie in Familienunternehmen nicht bloß scharfe Regelungen ausreichend sein. Der 11. Familienunternehmertag wird am 3. und 4.5.2024 wieder auf Stift Göttweig stattfinden.11
11 Siehe https://www.familienunternehmen.co.at
176 3/2023
Familienunternehmen
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Tagungsbericht zur 1. Digital Assets Rechtstagung
Der neue EU-Regelungsrahmen für Kryptowerte und das digitale Finanzwesen
FABIAN AUBRUNNER / GEORG BRAMESHUBER / FLORIAN EBNER *
Digital assets wie Kryptowährungen (zB Bitcoin), non-fungible tokens (NFT), stablecoins, digitale Finanzinstrumente oder sonstige digitale Werte auf Basis der Blockchain bzw der Distributed-ledger-Technologie (DLT) sind in den letzten Jahren zu einem der spannendsten und dynamischsten Bereiche der Finanzwelt geworden. Die rasante Entwicklung hat nicht nur das Interesse von Investoren, Regulierungsbehörden und der breiten Öffentlichkeit auf sich gezogen, sondern beschäftigt auch Wissenschaft, Rechtspraxis und nationale sowie internationale Gesetzgeber. Mit der Digital Assets Rechtstagung1 wurde ein Format geschaffen, das eine tiefgreifende Fachdiskussion relevanter Rechtsfragen dieser neuen Querschnittsmaterie ermöglicht.
*1
I.Die grundlegende Idee der Digital Assets Rechtstagung
Am 2.3.2023 luden das Institut für Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien (Abteilung Unternehmensrecht I, Prof. Susanne Kalss), das Austrian Blockchain Center (ABC) und die Digital Assets Association Austria (DAAA) zur 1. Digital Assets Rechtstagung an der Wirtschaftsuniversität Wien ein. Die Veranstaltungsreihe hat das Ziel, eine umfassende Aufbereitung und Diskussion rechtlicher Rahmenbedingungen für das noch wachsende Wirtschaftsgebiet sowie die angrenzenden Fragen im Bereich des Kapitalmarkts zu ermöglichen.
Den Schwerpunkt der 1. Digital Assets Rechtstagung bildete der neue EU-Regelungsrahmen für Kryptowerte: Mit der –mittlerweile bereits beschlossenen und im Amtsblatt der EU veröffentlichten – Markets in Crypto-Assets Regulation (MiCAR)2 werden Anbieter und Emittenten von Kryptowerten sowie Kryptowerte-Dienstleister erstmals vollumfänglich reguliert. Flankierende Anpassungen des geltenden Finanzmarktrechts sollen der Digitalisierung von Finanzinstrumenten Rechnung tragen. Insgesamt über 170 Teilnehmerinnen und Teilnehmer verfolgten vor Ort und online zahlreiche Fachvorträge zum neuen Aufsichtsrahmen und diskutierten gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Praxis und öffentlichen Institutionen die Chancen, Herausforderungen und praktischen Folgen des neuen Rechtsrahmens.
*
Lehrvortragender am Institut für Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien. Mag. Georg Brameshuber ist Steuerberater in Wien und Vorstand der Digital Assets Association Austria (DAAA). Florian Ebner, LL.M. (WU) ist Universitätsassistent am Institut für Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien.
1 Die Veranstaltungsreihe wurde von den drei Autoren initiiert. Impressionen sowie Agenda der ersten Tagung finden Sie online unter https://www.digital-assetsrechtstagung.at
2 Verordnung (EU) 2023/1114 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.5.2023 über Märkte für Kryptowerte und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr1093/2010 und (EU) Nr1095/2010 sowie der Richtlinien 2013/36/EU und (EU) 2019/1937, ABl L 150 vom 9.6.2023, S40. Diese Verordnung ist schrittweise ab 29.6.2023 (Vorbereitung level 2 bzw level 3), 30.6.2024 (Regelungen über stablecoins) und 30.12.2024 (alle weiteren Regelungen) anwendbar.
II.Internationale Regulierungsstrategien
Die Veranstaltung wurde von Prof. Susanne Kalss mit einer Begrüßungsrede eröffnet, in der sie auf die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer rechtlichen Auseinandersetzung mit digital assets und dem neu aufkommenden Wirtschaftsphänomen hinwies. Besonders betonte sie, wie bedeutsam es sei, sich frühzeitig in den Normsetzungsprozess einzubringen und sich neu formende Rechtsgebiete aktiv mitzugestalten, wie das seinerzeit schon Franz Klein intensiv getan habe. Die Digital Assets Rechtstagung sei ins Leben gerufen worden, um wesentliche Akteure zusammenzuführen und den fachlichen Austausch zu fördern.
Anschließend berichtete Prof. Eva Micheler (LSE London) in ihrem Vortrag über die Regulierungsstrategien im Vereinigten Königreich. In Großbritannien gebe es zahlreiche einzelne Projekte und Initiativen in Bezug auf digital assets. Im Februar 2023 sei nun ein Konsultationsdokument für die Regulierung von digital assets im Finanzbereich3 vorgelegt worden, das drei Prinzipien vorsehe: 1.) same risk – same outcome, 2.) proportionate and focused und 3.) agile and flexible. Die Regulierung im Finanzbereich soll sich demnach auf Bereiche konzentrieren, in denen kein ausreichendes Risikobewusstsein besteht; den Regulierungsbehörden soll iSd Flexibilität viel Entscheidungsmacht zukommen. Ein wesentlicher Unterschied sei auch, dass im Vereinigten Königreich – anders als in der EU – nicht das Ziel eines gemeinsamen Marktes im Vordergrund stehe. Die weiteren Initiativen in Bezug auf digital assets umfassen 10 ganz unterschiedliche Schwerpunkte.4
3 HM Treasury, Future financial services regulatory regime for cryptoassets (Februar 2023), online abrufbar unter https://assets.publishing.service.gov.uk/government/ uploads/system/uploads/attachment_data/file/1133404/TR_Privacy_edits_Future_ financial_services_regulatory_regime_for_cryptoassets_vP.pdf
4 Die Schwerpunkte sind: 1.) UK crypto-assets regulatory framework, 2.) stablecoin, 3.) UK tax on crypto assets, 4.) international regulation standards on crypto, 5. UK FMI sandbox initiative, 6.) DLT-supported UK sovereign debt issuance, 7.) legislation reform for digital assets, 8.) UK electronic trade documents, 9.) UK Central Bank digital currency und 10.) international DLT initiatives; nachzulesen im Konsultationsdokument (siehe FN 3).
3/2023 177 Kapitalmarktrecht
Fabian Aubrunner, LL.M. (WU), BSc. (WU) ist Leiter der Legal Area und Researcher am Austrian Blockchain Center (ABC) und externer
III.Der Anwendungsbereich der MiCAR, neue Verpflichtungen und Abgrenzungsfragen
Oliver Völkel (Stadler Völkel Rechtsanwälte) referierte über die schwierigen Abgrenzungsfragen zwischen der MiCAR und dem geltenden Finanzmarktrecht. Die MiCAR gilt nach deren Art2 Abs4 lita generell nicht für Kryptowerte, die als Finanzinstrument zu qualifizieren sind. Herausfordernd gestalte sich die Frage, wann vermögensreferenzierte tokens (asset referenced tokens – ART)5 kein Finanzinstrument iSd MiFID II seien. Völkel bezog sich hierbei insb auf Derivate, die wirtschaftlich einen ganz ähnlichen Zweck wie ART erfüllen, und erörterte die einschlägigen Regelungen. Für die Abgrenzung komme es seiner Meinung nach darauf an, ob der Stabilisierungsmechanismus, der in Bezug auf die abgebildeten Werte eingesetzt werde, zu einer Qualifikation als Finanzinstrument führe.
Anschließend stellten Susanne Reder (FMA) und Fabian Aubrunner (ABC) die Publizitätspflichten von Anbietern von „anderen Kryptowerten“ sowie weitere Verpflichtungen nach Titel II der MiCAR vor.6 Ersichtlich wurde, dass die MiCAR in Titel II einen Auffangtatbestand für sämtliche Kryptowerte geschaffen hat, wobei der große Ausnahmenkatalog nach Einschätzung der Vortragenden noch schwierige Abgrenzungsfragen hervorbringen wird. Reder führte aus, dass die Regelungen zum Kryptowerte-Whitepaper in vielerlei Hinsicht an das Prospektrecht erinnern, wobei ein wesentlicher Unterschied das fehlende Billigungsverfahren sei. Als spannende Neuerung sah Aubrunner die vorgesehene Außenhaftung der Organmitglieder für Informationsfehler, die dem österreichischen Recht in dieser Form bislang fremd sei. Diskutiert wurde ebenso über die praktischen Auswirkungen des Notifikationsverfahrens und die Auslegung des Begriffs „utility tokens“, der in der MiCAR gesondert definiert ist.
IV.Potenzielle Hürden für Stablecoins und Kryptowerte-Dienstleister sowie die Bedeutung der MiCAR für Kreditinstitute
Georg Brameshuber (DAAA und Validvent) und Ralph Rirsch (Regulierungsexperte einer internationalen Kryptobörse) referierten über die Regelungen zu den stablecoins (ART und E-Geld-tokens [electronic money tokens – EMT]). Neben einer Analyse der Begriffsdefinitionen wurde ein Marktüberblick über stablecoins geboten, die potenziell in einem Spannungsverhältnis zu den künftigen Regelungen der MiCAR stehen. Dabei wurde auf das historische Regulierungsanliegen hingewiesen, in dessen Kontext die Bestimmungen zu ART und EMT zu verstehen sind. Ursprünglich war die MiCAR eine Reaktion auf den geplanten stablecoin Libra bzw Diem des Meta-Konzerns. Daraus leite sich auch das Fehlen konkreter Vorgaben zum Stabilisierungsmechanismus ab; stattdessen werde auf Verhaltenspflichten besonders Bedacht genommen. Kritisch wurde zudem gesehen, dass ua eine Höchstgrenze für Transaktionszahl und -volumen von ART vorgesehen ist.
5 Vgl Art3 Abs1 Z6 MiCAR.
Martin Hanzl und Lorenz Marek (beide EY Law) sowie Véronique Breidert (Bitpanda) behandelten die Regelungen über Kryptowerte-Dienstleister (crypto-assets service provider – CASP). Neben der Bedeutung einer bereits bestehenden VASP-Registrierung7 nach dem FM-GwG für das Zulassungsverfahren nach der MiCAR gingen die Vortragenden auf praktische Herausforderungen nach geltendem und künftigem Recht ein. Am Schluss des Vortrags und in der Diskussion standen Fragen in Bezug auf die Verwahrung von Kryptowerten, die Insolvenz eines Kryptoverwahrers und den Schutz des Kundenvermögens nach der MiCAR im Vordergrund.
Stephan Heckenthaler und Stefan Frank (beide Binder Grösswang Rechtsanwälte) thematisierten die vorgesehenen Erleichterungen für bereits etablierte Marktteilnehmer. Sie gaben einen Überblick über die möglichen Startvorteile bei der Emission von Kryptowerten und der Erbringung von Kryptowerte-Dienstleistungen. Dabei kamen sie zum Ergebnis, dass die MiCAR zwar Erleichterungen vorsehe, diese bei näherer Betrachtung jedoch nicht so groß seien, da umfassende Anzeigepflichten erfüllt werden müssten.
V.Verhinderung von Marktmissbrauch
Im letzten Teil der Tagung gab zunächst Prof. Susanne Kalss Einblicke in das neue Marktmissbrauchsregime der MiCAR. Die Bestimmungen in deren Titel VI ähneln den bekannten Regelungen der Marktmissbrauchsverordnung,8 wobei einzelne Regelungen (zB die directors’ dealings) nicht übernommen wurden. Kalss betonte positiv, dass sich der EU-Gesetzgeber mit dem Marktmissbrauchsrecht für Kryptowerte auseinandersetze, auch wenn einzelne Bestimmungen noch angepasst werden sollten. Als Herausforderung sah sie die parallele Entwicklung von zwei getrennten Marktmissbrauchsregimen, wobei die Lage durch Neuerungen im Marktmissbrauchsrecht der Marktmissbrauchsverordnung mit dem Listing Act9 weiter verkompliziert werde. Daher wäre zu überlegen gewesen, Kryptowerte (punktuell) den Regelungen der Marktmissbrauchsverordnung zu unterwerfen.
VI.Sandbox für DLT-Finanzinstrumente Abschließend gab Florian Ebner (Wirtschaftsuniversität Wien) einen Überblick über eine weitere Verordnung des neuen Rechtsrahmens, die Finanzinstrumente betrifft: Die neue DLT-Pilotregelung10 soll das Entstehen eines Sekundärmarktes für DLT-Finanzinstrumente bzw security tokens fördern. Diese Verordnung erlaube im Rahmen einer sandbox den Verzicht auf bestimmte Intermediäre und die Kombination von Handels- und Abwicklungsdienstleistungen. Dem EU-
7 VASP steht für virtual asset service provider
8 Verordnung (EU) Nr596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABL L 173 vom 12.6.2014, S1.
9 Siehe https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/13238Listing-Act-making-public-capital-markets-more-attractive-for-EU-companies-andfacilitating-access-to-capital-for-SMEs_en
10 Verordnung (EU) 2022/858 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.5.2022 über eine Pilotregelung für auf Distributed-Ledger-Technologie basierende Marktinfrastrukturen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr600/2014 und (EU) Nr909/2014 sowie der Richtlinie 2014/65/EU, ABl L 151 vom 2.6.2022, S1.
178 3/2023 Kapitalmarktrecht
6 Siehe in diesem Heft Aubrunner/Reder, MiCAR: Das Whitepaper bei sonstigen Kryptowerten, GesRZ2023, 158.
Gesetzgeber sei es damit gelungen, in einem streng regulierten Bereich Spielraum für Innovationen durch die Blockchain-Technologie zu schaffen, die den Kapitalmarkt stärken könnten. Im Hinblick auf die verbleibenden Herausforderungen wies Ebner darauf hin, dass neben offenen Fragen im Aufsichtsrecht in Österreich noch gesetzgeberischer Aufholbedarf in Bezug auf eine wertpapierrechtliche Regelung bestehe.11
VII.Resümee und Erkenntnisse der 1. Digital Assets Rechtstagung
„Digital assets sind gekommen, um zu bleiben“, so Alexander Kern (Fachverbandgeschäftsführer der Finanzdienstleister, Wirtschaftskammer Österreich) in einem Resümee zur Tagung. Der neue harmonisierte EU-Regelungsrahmen und die dadurch entstehende Rechtssicherheit sind geeignet, den europäischen Binnenmarkt als Wirtschaftsstandort erheblich zu stärken. Die positive Grundstimmung im Hinblick auf die neue Regulierung wurde durch das große Interesse bei der 1.Digital Assets Rechtstagung bestätigt. Es wurde jedoch
Wesentliche
auch deutlich, dass das Aufsichtsrecht für Kryptowerte noch in den Kinderschuhen steckt und herausfordernde Abgrenzungsfragen auf die Praxis zukommen.
Bei der 1. Digital Assets Rechtstagung konnten juristische Fragen eines wichtigen Regelungsbereichs im Detail diskutiert und ein Dialog zwischen verschiedensten Akteuren aus dem Bereich der Kryptowerte angestoßen werden. Ein enger Austausch zwischen Wissenschaft, Praxis und öffentlichen Institutionen wird auch weiterhin notwendig sein, um die rechtlichen Herausforderungen in Bezug auf digital assets zu bewältigen und die Chancen dieses aufstrebenden Wirtschaftsbereichs zu nutzen. Die Digital Assets Rechtstagung wird versuchen, als Plattform für eine juristische Fachdiskussion einen Beitrag zu leisten.
VIII.Ausblick
Die 2. Digital Assets Rechtstagung, bei der privatrechtliche Fragestellungen rund um digital assets im Fokus stehen werden, findet am 21.11.2023 an der Wirtschaftsuniversität Wien statt. Alle Informationen und ein Rückblick zur 1. Digital Assets Rechtstagung finden sich online unter https://www. digital-assets-rechtstagung.at
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3/2023 179 Kapitalmarktrecht
Steuern. Wirtschaft. Recht. Am Punkt. Algorithmen im Recht: Chancen, Risiken und Grenzen 2023 268 Seiten, geb. digital erhältlich € 69,–Fundierte interdisziplinäre Analyse
11
Inhalte des Vortrags können im Beitrag von F. Ebner, Finanzinstrumente auf der Blockchain: Die neue EU-Pilotregelung für DLT-Marktinfrastrukturen im Überblick, GesRZ2022, 271, nachgelesen werden.
Aus der aktuellen Rechtsprechung
Personengesellschaften
Kernbereichslehre im Zusammenhang mit der Umgründung einer KG
§§117, 118, 119, 131, 142 und 166 UGB
§914 ABGB
§118 AktG
§5 UmwG
1. Bei einer Publikums-KG, bei der schon ein Mitgliederwechsel bei den Kommanditisten stattgefunden hat, ist der Gesellschaftsvertrag nach seinem Wortlaut und Zweck in seinem systematischen Zusammenhang objektiv auszulegen (Fortschreibung der Rspr).
2. Vor dem Hintergrund des (fehlenden) Minderheitenschutzes im Rahmen von Personengesellschaften findet die Gestaltungsfreiheit der Mehrheit ihre inhaltlichen Grenzen –abgesehen von Fällen der Gesetz- und Sittenwidrigkeit –nur in gesellschaftsvertraglich begründeten Sonderrechten einzelner Gesellschafter, im Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte, im Gleichbehandlungsgrundsatz, in der Treuepflicht und im Verbot einer willkürlichen die Minderheit schädigenden Verfolgung von Eigeninteressen (Fortschreibung der Rspr).
3. Die Gesamtrechtsnachfolge einer Kapitalgesellschaft nach einer Personengesellschaft nach §142 UGB erfordert die Übertragung durch jeden einzelnen Gesellschafter und damit die Zustimmung aller Gesellschafter der Personengesellschaft. Diese Wertung des Gesetzgebers kann auch für eine mit Blick auf das Ergebnis gleich gelagerte Umstrukturierung nicht ohne Bedeutung sein.
4. Dass ein Umgründungsvorgang, der nicht in Einzelschritte zu zerlegen ist und der mit einer faktischen „Entrechtung“ der Gesellschafter der KG einhergeht, angesichts des konkreten Gesellschaftstyps, der Stellung der Gesellschafter in dieser Gesellschaft und unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Beschlüsse auf die konkret Betroffenen als eine in den „Kernbereich“ eingreifende fundamentale Umstrukturierung beurteilt wird, ist vertretbar.
5. Der „Unmöglichkeit“, für eine Umgründung einer Personengesellschaft eine Einstimmigke it zu erreichen, kann durch Klage auf Zustimmung der nicht zustimmenden Gesellschafter (bei treuwidriger Verweigerung [etwa bei einer –hier nicht ersichtlichen – zur Führung des Betriebs unumgänglichen Maßnahme]) begegnet werden.
OGH 24.3.2023, 6 Ob 233/22s (OLG Linz 6 R 106/22h; LG Salzburg 45 Fr 3336/22f und 45 Fr 3379/22v)
[1] Die G. GmbH & Co KG (im Weiteren nur: KG), eine KG mit inzwischen mehr als 200 Kommanditisten, wurde im Jahr 1967 zum Zweck der Errichtung und des Betriebs von Schleppliften, Einsesselliften und transportablen Kleinskiliften sowie des Betriebs von Buffet- und Jausenstationen dieser Anlagen gegründet. Später wurde ihr Unternehmensgegenstand „modernisiert“ (Einseilschwebelifte [Doppelsessellifte], Nebenbetriebe der Skiliftanlagen) und erweitert (Beteiligung an Unternehmen gleicher Art sowie die Wahrnehmung der Geschäftsführung solcher Unternehmen).
[2] Die G. GmbH (im Weiteren nur: GmbH) ist deren Komplementärin.
[3] Gesellschafterinnen der KG (und der GmbH) streben aus steuerlichen Gründen und wegen der geplanten Erweiterung des Skigebiets die Führung des Betriebs in Form einer AG an. Der Versuch, dieses Vorhaben mittels Errichtung einer (Tochter-)AG durch die GmbH (mit dieser als einziger Aktionärin), Einbringung der (Komplementär-)Beteiligung in die AG, womit die GmbH aus der KG ausscheidet und die AG zur Komplementärin wird, Einbringung der Kommanditbeteiligungen möglichst vieler Kommanditisten (zumindest aber 75% des derzeitigen Kommanditkapitals) in diese gegen Ausgabe neuer Aktien und nachfolgende Verschmelzung der GmbH auf die AG unter Verzicht auf das Vorkaufsrecht der Gesellschafter der GmbH umzusetzen, scheiterte. Aufgrund der erfolgreichen Anfechtungsklage einer Gesellschafterin der GmbH (die zugleich auch Kommanditistin ist) wurden die diesbezüglichen Beschlüsse der GmbH (rechtskräftig) für nichtig erklärt ...
[4] Den hier zu beurteilenden Eintragungsgesuchen liegt wiederum mit Blickrichtung auf die Skigebietserweiterung das Ziel der Führung des gesamten Betriebs über eine (später mit einer anderen AG zu verschmelzenden) AG nun nach folgendem Plan zugrunde:
– Gründung einer AG: Die Rechtsvertretung der Eintragungswerberinnen gründete als Alleinaktionärin die seit 10.5.2022 im Firmenbuch eingetragene S. AG (im Weiteren nur: AG).
– Die KG wird deren Alleinaktionärin: Sie erwirbt alle Aktien der AG und wird damit deren Alleinaktionärin.
– Einbringung des Betriebs der KG in die AG: Die KG bringt ihren gesamten Betrieb (samt allen von ihr gehaltenen Beteiligungen, Aktiven, Passiven, Dienstbarkeiten, Liegenschaften und Genehmigungen mit „Ausnahme eines Bankkontos“ [mit diesen Mitteln werden der Kauf der Aktien und die nachfolgende Kapitalerhöhung finanziert]) in die AG ein. Eine Kapitalerhöhung bei der AG und die Ausgabe neuer Aktien unterbleiben anlässlich der Einbringung, weil die einbringende KG „direkte Alleinaktionärin“ der übernehmenden AG ist. Die Satzung der AG wird angepasst, der zukünftige Aufsichtsrat anders zusammengesetzt.
– Nachfolgende Kapitalerhöhungen der AG: Das Grundkapital der AG von 70.000€ wird gegen Zeichnung der Aktien nach Bareinlage von je 1€ pro Aktie durch die KG auf 5,5Mio€ (mittels nicht eingebrachten Guthabens) erhöht und eine weitere Erhöhung des Grundkapitals um bis zu 6,25Mio€ gegen Bareinlage (durch ein Bankenkonsortium) unter Verzicht auf das Bezugsrecht der Gesellschaft genehmigt.
– Weitere Komplementärin: Eine AG, die bisher Kommanditistin der KG war (die S. AG [im Weiteren nur: K-AG]), wechselt in die Stellung einer Komplementärin.
– Vorweggenehmigung der Sachauskehr: Bei Auflösung der KG wird die Auseinandersetzung durch Sachauskehr genehmigt.
[5] Dementsprechende Beschlüsse (samt entsprechenden Gesellschaftsvertragsänderungen) wurden sowohl in der GmbH als auch in der KG (bloß) mehrheitlich gefasst. Einstimmigkeit konnte in der Gesellschafterversammlung der KG bei keinem der Beschlüsse erreicht werden.
[6] Nach dem Einbringungsvertrag wurde die Überweisung des Kaufpreises für den Erwerb der AG in Höhe von 70.000€ unmittelbar vor dessen Unterzeichnung beauftragt. Der Einbringungsvertrag wurde unterzeichnet.
In der konstituierenden Sitzung des (neuen) Aufsichtsrats der AG wurde ua eine Änderung im Vorstand beschlossen.
Pkt XIII. des Gesellschaftsvertrages der KG lautet:
„Zur Beschlussfähigkeit der Gesellschaft muss mindestens die Hälfte des Gesellschaftskapitals vertreten sein. Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefasst.
180 3/2023 Judikatur
*Die zivilrechtliche Judikatur wird von Dr. Georg Nowotny, Hofrat des OGH, bearbeitet.
*
Die Gesellschafterversammlung beschließt in allen wichtigen Angelegenheiten und solchen, die über den Umfang der gewöhnlichen Geschäftsführung hinausgehen, insbesondere über
a) die Genehmigung des Jahresabschlusses,
b) die Wahl des Abschlussprüfers
c) die Gewinnverteilung und
d) die Abtretung von Geschäftsanteilen unter Lebenden, was die Neuaufnahme von Gesellschaftern bedeutet.
Pkt XVII. lautet:
„Die Neuaufnahme von Kommanditisten ist vorgesehen und möglich. Der neu eintretende Kommanditist tritt als Gesellschafter in die Rechte und Pflichten des gegenwärtigen Vertrages ein. Die Komplementärin wird hiermit ermächtigt und beauftragt, namens aller übrigen Gesellschafter den Gesellschaftsvertrag mit dem neuen Kommanditisten abzuschließen. Die Kommanditisten ermächtigen und beauftragen hiermit die Komplementärin, alle Eingaben bei Behörden und Gericht und alle Schriften zu unterzeichnen und etwa notwendige Änderungen dieses Gesellschaftsvertrages namens der übrigen Gesellschafter vorzunehmen und die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig und zweckmäßig sind, um die Registrierung der gegenständlichen Gesellschaft im Handelsregister zu erwirken.“
[7] Die AG beantragte, die Änderung ihrer Geschäftsanschrift im Firmenbuch (die sich nunmehr an jener der KG befinde), die Kapitalerhöhung samt Satzungsänderung, die Einbringung sowie die Änderungen im Vorstand, im Stande der Aktionäre und im Aufsichtsrat einzutragen. Die GmbH und die K-AG (unter Berufung auf ihrer Stellung als Komplementärinnen der KG) beantragten die Eintragung des Einbringungsvertrages und des „Wechsels“ der Gesellschafterstellung der S. AG, wobei zu Letzterem lediglich deren Eintragung als unbeschränkt haftende Gesellschafterin mit selbständiger Vertretungsbefugnis (nicht aber die Löschung ihrer Kommanditbeteiligung) begehrt wurde.
[8] Das Erstgericht wies die Eintragungsbegehren ab. ...
[9] Mit ausführlichem und konsistent begründetem Beschluss bestätigte das Rekursgericht diese Entscheidung. Es begründete dies (stark zusammengefasst) damit, dass der Gesellschaftsvertrag der KG eine Mehrheitsklausel vorsehe, die „wichtige Angelegenheiten“ und solche, „die über den Umfang der gewöhnlichen Geschäftsführung hinausgehen“, umfasse, während Gesellschaftsvertragsänderungen nicht, und zwar auch nicht bei den exemplarisch genannten Agenden, die der Beschlussfassung durch die Mehrheit unterliegen, erwähnt seien. PktXIII. litd des Gesellschaftsvertrages sei nicht als Gesellschaftsvertragsänderung zu verstehen. Das Rekursgericht bemühte bei seiner Auslegung die Vertrauenstheorie und kam zum Ergebnis, dass ein objektiver redlicher Gesellschafter nicht damit rechnen werde, dass damit grundsätzlich auch Satzungsänderungen (wie die Aufnahme eines neuen Komplementärs) von der Mehrheitsklausel umfasst seien; diese beziehen sich im Ergebnis damit nicht auf (alle) Vertragsänderungen. Überdies werde so massiv in die Struktur der Gesellschaft eingegriffen, dass diese völlig verändert und letztlich zu einer leeren Hülle gemacht würde. Die Frage eines Gesellschafters, ob durch die „Umstrukturierung“ die KG nicht „untergehen“ werde, sei in der Generalversammlung der KG gar nicht in Abrede gestellt worden. Auch der Einbringungsvertrag sei nicht wirksam, sei doch das ausschlaggebende Kriterium dafür letztlich die hier zu verneinende Schutzwürdigkeit des Dritten. Aufgrund des untrennbaren inneren Zusammenhangs mit dem Aktienkaufvertrag seien auch die danach gefassten Beschlüsse nicht eintragungsfähig.
[10] Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht für zulässig, weil die höchstgerichtliche Rspr in den Fragen der Kernbereichslehre wie auch des Missbrauchs der Vertretungsmacht „noch in Bewegung“ scheine.
Der OGH wies den Revisionsrekurs der Gesellschaften zurück.
Aus der Begründung des OGH: ...
[12] 1. Der Revisionsrekurs befasst sich nicht damit, inwiefern die Kernbereichslehre noch „in Bewegung“ zu sein
scheint (was auch vom Rekursgericht nicht näher dargestellt wurde), sondern ortet in der Entscheidung des Rekursgerichts vielmehr ein Abweichen von „langjähriger einheitlicher Rechtsprechung“ des OGH, insb wegen dessen „Abkehr vom Bestimmtheitsgrundsatz“ (wogegen ihn das Rekursgericht wiedereingeführt haben soll). Sollte dies nicht der Fall sein, fehle Rspr zum „exakten Anwendungsbereich der Kernbereichslehre“.
[13] 2. Für die Klärung der Frage, ob mit einer Klausel im Gesellschaftsvertrag wirksam eine von der grundsätzlich erforderlichen Einstimmigkeit abweichende Mehrheit (§161 Abs2 iVm §119 UGB [zu dessen Geltung vgl §906 Abs27 UGB]) vereinbart wurde, bedarf es an erster Stelle der Auslegung des Gesellschaftsvertrages.
[14] Bei einer Publikumsgesellschaft wie der hier vorliegenden (bei der im Übrigen auch schon ein Mitgliederwechsel bei den Kommanditisten stattgefunden hat) ist dieser nach seinem Wortlaut und Zweck in seinem systematischen Zusammenhang objektiv auszulegen (6 Ob 96/20s, Pkt3.). Explizit wurde zur Auslegung solcher Mehrheitsklauseln schon festgehalten, dass der früher angenommene „Bestimmtheitsgrundsatz“, wonach diese grundsätzlich eng (iS einer starren Auslegungsregel) auszulegen sind und „im Zweifel“ ungewöhnliche Vertragsänderungen nicht erfassen, für Mehrheitsklauseln, die sich ausdrücklich auf die Vertragsänderung beziehen, aufgegeben wurde (4 Ob 229/07s, Pkt3.1.; 4 Ob 2147/96f).
[15] Vor dem Hintergrund des (fehlenden) Minderheitenschutzes im Rahmen von Personengesellschaften hat der OGH zur Frage der Wirksamkeit von Bestimmungen über die mehrheitliche Beschlussfassung in Gesellschaftsverträgen auch bereits ausgeführt, dass die Gestaltungsfreiheit der Mehrheit ihre inhaltlichen Grenzen – abgesehen von Fällen der Gesetzund Sittenwidrigkeit – nur in gesellschaftsvertraglich begründeten Sonderrechten einzelner Gesellschafter, im Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte, im Gleichbehandlungsgrundsatz, in der Treuepflicht und im Verbot einer willkürlichen die Minderheit schädigenden Verfolgung von Eigeninteressen findet (4 Ob 229/07s, Pkt3.1.).
[16] Ebenso wurde schon erläutert, dass sich der Umfang des zuvor genannten „Kernbereichs“ nicht ohne Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Gesellschaften beantworten lasse. Wenn es für Inhalt und Umfang des Schutzes (exemplarisch aufgezählt) auf den Gesellschaftstyp, auf die Stellung des Gesellschafters in der Gesellschaft, auf die Beziehung zur Gesellschaft (etwa Arbeitsgesellschaft oder Kapitalist) und zu den anderen Gesellschaften im Hinblick auf die Berücksichtigung persönlicher Abhängigkeiten sowie auf die Auswirkung des Beschlusses auf die gesamten wirtschaftlichen und persönlichen Lebensumstände des Betroffenen ankommt (vgl RIS-Justiz RS0107117), ist schon klargestellt worden, dass derartige Entscheidungen stark von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles geprägt sind.
[17] 3. Damit wurde in der Rspr des OGH bereits herausgearbeitet, dass ein wirksamer Mehrheitsbeschluss voraussetzt, dass die allgemeinen Auslegungsregeln (so auch Enzinger in MünchKomm HGB4, §119 Rz81; U. Torggler/H. Torggler in FS G. H. Roth [2011] 831 [835]; Kraus in U. Torggler, UGB3 [2019] §119 Rz19; vgl auch Thöni in Zib/Dellinger, UGB II
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...“
[2017] §119 Rz159; Appl in Straube/Ratka/Rauer, UGB I4, §119 Rz46) folgende nicht zwingend einschränkend vorzunehmende Auslegung des Gesellschaftsvertrages ergibt, dass der Beschlussgegenstand von der Mehrheitsklausel umfasst ist, dass aber selbst bei Bejahung dieser Frage einer Mehrheitsklausel (inhaltliche) Schranken ihrer Wirksamkeit auferlegt sein können.
[18] 4. In der Entscheidung des Rekursgerichts über die hier vorliegende Sachverhaltskonstellation liegt weder eine Verkennung dieser Grundsätze noch ein Abweichen von bisheriger Rspr.
[19] Das Rekursgericht hat den Gesellschaftsvertrag weder regelhaft zwingend noch „im Zweifel“ einschränkend ausgelegt. Es hat ohne Korrekturbedarf erkannt, dass die der allgemeinen und prima vista weitreichenden Formulierung in Pkt XIII. nachfolgende exemplarische Auflistung von Beschlussgegenständen der Vertragsbestimmung einen ihre Reichweite einschränkenden und ihre Universalität abschwächenden Gehalt verleiht. Darin, dass das Rekursgericht darauf hinwies, dass in Pkt XVII. des Gesellschaftsvertrages ausdrücklich nur die Neuaufnahmen von Kommanditisten als „vorgesehen und möglich“ bezeichnet werde, er aber über die Aufnahme von Komplementären nichts sage, liegt ebenso wenig eine Fehlbeurteilung wie in seinem Abstellen darauf, womit ein objektiver redlicher Gesellschafter der KG iSd Vertrauenstheorie rechnen musste.
[20] Mit dem Katalog wurde nämlich den Gesellschaftern umschrieben, was (und welche Art von Maßnahmen ihrer Bedeutung und ihren Konsequenzen nach) sie unter „wichtigen“ Angelegenheiten und „außergewöhnlichen Geschäftsführungsmaßnahmen“ verstehen durften. Damit war ein „Maßnahmenniveau“ für die Beschlussgegenstände fernab von den nun geplanten tiefgreifenden, die Struktur der Gesellschaft real zerstörenden und die Rechte der Gesellschafter empfindlich einschränkenden Maßnahmen vorgegeben. Ein Gesellschafter der KG musste, als er sich der Mehrheitsklausel unterwarf, gerade angesichts der exemplarischen Auflistung von typischerweise anfallenden Agenden des „durchschnittlichen“ (Normal-)Betriebs, wie sie der Gesellschafterversammlung jeder (Publikums-)KG regelmäßig zukommen (die Genehmigung des Jahresabschlusses, die Wahl des Abschlussprüfers, die Gewinnverteilung und der Beschluss über die Abtretung von Geschäftsanteilen unter Lebenden), nicht damit rechnen, dass er sich mit dieser Klausel der Mehrheit in Bezug auf ungewöhnliche „gravierende“ Gesellschaftsvertragsänderungen unterwirft. Mit der hier bewirkten grundlegenden Strukturänderung wird – wiewohl der Gesetzgeber eine formwechselnde (identitätswahrende) Umwandlung zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften nicht ermöglicht hat –der Kommanditist faktisch (vorerst) zum mittelbaren Aktionär, wobei die Sachauskehr, mit der die Gesellschafter der KG (direkt) zu Aktionären werden, absehbar ist. Mit der Stellung als mittelbare Aktionäre (über die formell noch aufrechte [nunmehr: Holding-]KG) werden die Gesellschafter aber tatsächlich ohnehin nicht bessergestellt.
[21] 5. Der Revisionsrekurs stellt in Abrede, dass mit den Beschlüssen eine einschneidende Änderung der KG als Ganzes und der Rechte ihrer Gesellschafter einhergeht. Er konzen-
triert sich in seinen Ausführungen darauf, dass der Wert der Kommanditbeteiligung nicht geschmälert werde, womit alle Mitbestimmungs- und Kontrollrechte, wie sie den Kommanditisten hinsichtlich des operativen Betriebs, der nach dem Jahresabschluss eindeutig den wesentlichen Kern des Unternehmens bildet, außer Acht gelassen werden. Dass keine Änderung des Unternehmensgegenstands vorliegen soll, weil Beteiligungen bereits bisher im Unternehmensgegenstand enthalten waren, verschweigt, dass damit der operative Betrieb aufgegeben und sich die KG von einem operativen Betrieb (mit untergeordneten Beteiligungen an Unternehmen gleicher Art) in eine reine Holding-Gesellschaft verändern würde. Die Umschreibung „Beteiligungen an Unternehmen gleicher Art“ im Gesellschaftsvertrag ließe sich (mangels Betriebs) auch nicht mehr am Maßstab des bisherigen (operativen) Betriebs als „gleicher Art“ messen.
[22] Die Kommanditisten konnten bisher im Rahmen der Gesellschafterversammlung auf den operativen Geschäftsbetrieb insofern Einfluss nehmen, als sie ihre Ansicht darlegen, auf die Meinung anderer Gesellschafter in der Diskussion durch ihre Argumente Einfluss nehmen und mit(be)stimmen konnten. Sie konnten ihre unverzichtbaren (Thöni, aaO, §119 Rz130; Baumüller/Grbenic in Zib/Dellinger, UGB II, §166 Rz42; B. Huber, Kernbereichslehre, in RDB Keywords, Rz3) Informations- und Kontrollrechte nach §166 Abs1 und 3 UGB in Bezug auf den (auf eigenen Liegenschaften betriebenen) Skiliftbetrieb ausüben. Diese Rechte umfassen es, eine abschriftliche Mitteilung des Jahresabschlusses zu fordern und die Richtigkeit des Jahresabschlusses unter Einsicht der Bücher und Schriften prüfen zu können. Zwar können sie ihr (ordentliches) Kontrollrecht nicht jederzeit, zumindest aber anlässlich der Kontrolle der Richtigkeit des Jahresabschlusses ausüben (§166 Abs1 UGB); es kommt ihnen darüber hinaus (auch während des Geschäftsjahres) das außerordentliche Kontrollrecht zu (§166 Abs3 UGB), wenn hierfür wichtige Gründe gegeben sind (etwa bei Verdacht auf unredliche Geschäftsführung oder wenn ihre ordentlichen Kontrollrechte missachtet wurden). Nicht nur wären sie bei einem Verfahren über den Entzug der Geschäftsführungsbefugnis nach §117 Abs1 UGB zu beteiligen, es kann ein Kommanditist im Falle des Ausschlusses des unbeschränkt haftenden Gesellschafters von der Geschäftsführung (gerade für die Dauer des Rechtsstreits) sogar allein mit der Geschäftsführung betraut werden (1 Ob 201/02v; RIS-Justiz RS0117198). Er ist mit allen Gesellschaftern für den Zeitraum von der Rechtskraft der Entscheidung bis zur tatsächlichen Neuregelung durch eine Vertragsänderung der Gesellschafter mit den anderen Gesellschaftern gemeinsam vertretungsbefugt (Enzinger in Straube/Ratka/ Rauter, UGB I4, §117 Rz69; Schopper/Walch in Zib/Dellinger, UGB II, §117 Rz80). Der bisher einzigen Komplementärin, der eine zweite Komplementärin zur Seite gestellt wird, wiewohl der Gesellschaftsvertrag immer nur von „der Komplementärin“ spricht, kommen als solcher überhaupt ein umfassendes Kontrollrecht (§118 UGB) und die Geschäftsführung des Betriebs zu. Während die Gesellschafter in der Komplementär-GmbH bisher Weisungsrecht gegenüber dem Geschäftsführer und damit die Lenkung des operativen Betriebs weitgehend in der Hand hatten, sind sie nunmehr der gemeinsamen Geschäftsführung mit einer zweiten Gesellschaft
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(einer AG) ausgesetzt. Das Weisungsrecht der GmbH-Gesellschafter (die zu einem Teil auch Kommanditisten sind) kann sich im Übrigen bloß noch auf Maßnahmen im Rahmen der Beteiligungen beziehen. Auf Geschäftsführungsmaßnahmen des operativen Betriebs, der nunmehr einer AG obliegen soll, käme der (den) Komplementärin(nen) dagegen kein direkter Einfluss mehr zu, obläge doch dessen Geschäftsführung dann dem vom Aufsichtsrat bestellten und kontrollierten Vorstand der AG. Das AktG selbst billigt den Gesellschaftern dagegen kein Recht auf Mitwirkung an Geschäftsführungsmaßnahmen oder der Feststellung des Jahresabschlusses zu (sondern die Mitwirkung der Aktionäre an der Feststellung des Jahresabschlusses wäre vom Willen des Aufsichtsrats und Vorstands abhängig; vgl §96 Abs4 AktG). Es kann zwar in der Hauptversammlung (durch Erwirkung eines Beschlusses) die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegenüber Vorstand und Aufsichtsrat erwirkt werden, nicht aber eine Abberufung der Geschäftsführung (des Vorstands und Aufsichtsrats). Auskunftsrechte kommen dem Aktionär gem §118 AktG nur in der Hauptversammlung zu und nur, soweit die Auskunft zur sachgemäßen Beurteilung eines Tagesordnungspunktes überhaupt erforderlich ist.
[23] Die Vorwegnahme der Zustimmung zur Sachauskehr lässt auf den Gesamtplan, die Gesellschafter der KG zu Aktionären zu machen, schließen, womit faktisch die im Gesetz nicht eingeräumte rechtsformwechselnde Umwandlung einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft vollzogen wäre. Zwar kann ein dem Rechtsformwechsel zumindest ähnliches Ergebnis, wenn auch nicht unter Beibehaltung der Identität, aber mit Gesamtrechtsnachfolge, also wirtschaftlich und rechtlich weitgehend mit denselben Folgen, erreicht werden. Die Umwandlung von einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft kann durch einen Umwandlungsbeschluss nach §5 UmwG („Umwandlung unter gleichzeitiger Errichtung einer eingetragenen Personengesellschaft“) erfolgen, jene in die (hier verfolgte) umgekehrte Richtung von einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft durch Abtretung aller Gesellschaftsanteile an einen Gesellschafter. Damit verbliebe nur mehr ein (in Form einer Kapitalgesellschaft organisierter) Gesellschafter, auf den das gesamte Vermögen gem §142 UGB im Wege der Gesamtrechtsnachfolge („Anwachsung“) übergeht (RIS-Justiz RS0113657; 2 Ob 54/00f).
[24] Allein bei der Umwandlung von einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft und in der besonderen Konstellation des Vorhandenseins eines Hauptgesellschafters, der über (mindestens) neun Zehntel des Grundkapitals (Stammkapitals) verfügt, bedarf es dazu (bloß) eines Mehrheitsbeschlusses dieser neun Zehntel; ansonsten ist die Zustimmung aller Gesellschafter der Kapitalgesellschaft notwendig (§5 Abs2 UmwG). Ebenso bedarf es bei der zuvor beschriebenen „Anwachsung“ der Übertragung durch jeden einzelnen Gesellschafter und damit der Zustimmung aller Gesellschafter der Personengesellschaft. Diese Wertung des Gesetzgebers kann auch für die hier zu lösende und mit Blick auf das Ergebnis gleichgelagerte Umstrukturierung nicht ohne Bedeutung sein.
[25] Selbst wenn der letzte Schritt (Auflösung der KG samt Sachauskehr) nicht erfolgen sollte, bliebe es dabei, dass schon durch die Umsetzung der beantragten Eintragungen die Ge-
sellschafter der KG faktisch zu „mittelbaren Aktionären“ geworden sind, beschränkte sich die Gesamtheit ihrer formal (noch) aufrechterhaltenen Mitbestimmungs-, Kontroll- und Einsichtsrechte doch künftig – wie bereits erwähnt – nur mehr auf die Beteiligungen der (nun zur bloßen Holding umgestalteten) KG.
[26] Dass die Vorinstanzen in diesem Vorgang, der nicht in Einzelschritte zu zerlegen ist und der mit einer faktischen „Entrechtung“ der Gesellschafter der KG einhergeht, angesichts des konkreten Gesellschaftstyps, der Stellung der Gesellschafter in dieser Gesellschaft und unter Berücksichtigung der Auswirkungen der Beschlüsse auf die konkret Betroffenen eine in den „Kernbereich“ eingreifende fundamentale Umstrukturierung sahen, begegnet keinen Bedenken. Der vom Revisionsrekurs ins Treffen geführten „Unmöglichkeit“, eine Einstimmigkeit zu erreichen, kann durch Klage auf Zustimmung der nicht zustimmenden Gesellschafter (bei treuwidriger Verweigerung [etwa bei einer – hier nicht ersichtlichen –zur Führung des Betriebs unumgänglichen Maßnahme]) begegnet werden (vgl Appl, aaO, §119 Rz31), worauf schon das Rekursgericht hingewiesen hat.
[27] 6. Das behauptete Abweichen von bisher (jeweils zu Streitverfahren) ergangener Rspr zur Auslegung (4 Ob 2147/96t; 2Ob 281/05t; 4 Ob 229/07s) liegt damit nicht vor.
[28] Zur E 4 Ob 2147/96t ist hervorzuheben, dass sie sich zwar mit einer ihrer Struktur nach einer Kapitalgesellschaft nahekommenden KG (die nicht als Publikums-KG beurteilt wurde) befasste, bei der aber der Gesellschaftsvertrag die Änderungen des Gesellschaftsvertrages ausdrücklich einer Zweidrittelmehrheit unterwarf. Der Unternehmensgegenstand der KG wurde damals „auch nicht grundlegend geändert, sondern erweitert“. Dem Beschluss 2 Ob 281/05w (ebenfalls eine GmbH & Co KG betreffend) ist das Auslegungsergebnis der Mehrheitsklausel (wonach „hinsichtlich bestimmter, im Einzelnen geregelter, die Erbnachfolge und die Abtretung von Kommanditanteilen betreffender Agenden für einen wirksamen Gesellschafterbeschluss Einstimmigkeit erforderlich sei, jedoch alle anderen Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher Mehrheit gefasst werden könnten“) dahin zu entnehmen, dass die übereinstimmende Vorstellung der Gesellschafter von der Reichweite der Mehrheitsklausel auf die Einbeziehung „aller nicht völlig unvorhersehbaren oder ungewöhnlichen, jedenfalls daher der gesetzlich verankerten Beschlussgegenstände“ gerichtet war, weshalb die (gesetzlich in §131 Z2 UGB normierte) Auflösung der Gesellschaft durch Gesellschafterbeschluss im Wege eines Mehrheitsbeschlusses als wirksam angesehen wurde. Der E 4 Ob 229/07s lag ein Beschluss der Gesellschafter einer GesBR zugrunde, wobei die Auslegung nach dem konkreten Willen der vertragsschließenden Parteien iSd § 914 AB GB vorzunehmen war. Dafür fehlten noch Feststellungen, ob mit der Vertragsänderung ein (un)entziehbares Sonderrecht herbeigeführt werden und die Vertragsänderungsklausel nur für die „Füllung von Lücken“ und „ganz schlichte Änderungen“ gelten sollte. Wenn der 4. Senat damals (für den Fall künftiger Beweiswürdigung iS eines auf ein entziehbares Sonderrecht eines Gesellschafters gerichteten Willens) ausführte, dass der Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte durch die Vertragsänderung nicht entscheidend betroffen sei, weil sie letztlich im Kern zu einer „Demokratisie-
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rung“ der bisher stark auf den Leiter konzentrierten Gesellschaftsstruktur führe und damit den Einfluss aller anderen Gesellschafter erhöhe, womit die Struktur ohnehin dem Leitbild des dispositiven Rechts angenähert werde, lässt sich auch aus diesem Fall für den Standpunkt des Revisionsrekurses nichts gewinnen, zumal hier eine Annäherung an das Leitbild der KG durch die geplanten Änderungen gerade fehlt und diese im Gegenteil letztlich in eine andere Gesellschaftsform mit anderen gesetzlichen Grundregeln transformiert werden soll.
7.
[30] Der AG war (durch die Kenntnis ihres Vorstands) bekannt, dass das Handeln des Vertreters der KG bei Abschluss des Vertrages als Teil des „Gesamtplans“ nicht von einer einstimmigen Beschlussfassung gedeckt war. „Die KG und die AG“ nahmen das Risiko ihres Handelns bewusst in Kauf. Es war damit für die AG als Dritte erkennbar, dass dem Vertreter der KG für den Abschluss des Einbringungsvertrages die Vollmacht fehlte. Angesichts des erkennbaren Vollmachtsmissbrauchs (vgl RIS-Justiz RS0019576 [T1]; siehe zur verbreiteten, aber missverständlichen Formulierung „Vollmachtsmissbrauch“, weil es im Unternehmens- und Gesellschaftsrecht genügt, dass dem Dritten bekannt war oder sich ihm aufdrängen musste, dass das Handeln des Vertreters nicht vom Willen des Geschäftsherrn gedeckt war bzw dass der Vertreter objektiv pflichtwidrig handelte, 6 Ob 35/19v, Pkt4. insb Pkt4.2.) ist die AG als Dritte nicht schutzwürdig (RIS-Justiz RS0019576; siehe auch RIS-Justiz RS0051485 e contrario; vgl im Übrigen auch die Erwägungen von Sonnberger, Zur Gesellschafterzustimmung bei Veräußerung des Unternehmens einer OG/KG, WBl 2019, 181 [196]).
8. und 9.
Anmerkung:
Das Ringen um die Lösung des Mehrheit-Minderheiten-Konflikts zählt im Personengesellschaftsrecht zu den aktuellen Klassikern. Mit dem vorliegenden Erkenntnis nimmt der OGH die vermeintlich zu Ende vermutete Diskussion rund um die Reichweite von Mehrheitsentscheidungen in Personengesellschaften wieder auf und setzt bemerkenswerte Akzentverschiebungen. Der Sachverhalt sei rasch in Erinnerung gebracht: In einer GmbH & Co KG mit einer dreistelligen Zahl an Kommanditisten werden mehrere Beschlüsse zur Adaptierung der Gesellschaftsstruktur gefasst, ua der Erwerb einer AG und die Einbringung des Betriebs in dieselbe sowie die Umwandlung der Kommanditstellung einer AG in die eines Komplementärs. Der Gesellschaftsvertrag der KG enthielt neben einer Beteiligungsklausel (Pkt II. litd) und einer Klausel über die Anteilsabtretung und Neuaufnahme von Kommanditisten (Pkt XIII. litd sowie Pkt XVII.) ua eine Mehrheitsklausel, wonach Beschlüsse mit einfacher Mehrheit gefasst werden. Als Beschlussgegenstände werden „alle wichtigen Angelegenheiten und solche, die über den Umfang der gewöhnlichen Geschäftsführung hinausgehen“, erfasst, wobei „insbesondere“ die Genehmigung des Jahresabschlusses, die Bestellung des Abschlussprüfers, die Gewinnverteilung und die Anteilsabtretung aufgelistet werden. Die genannten Gesellschafterbeschlüsse wurden mehrheitlich mit rund 94% der abgegebenen Stimmen gefasst. Über die Stimmrechtsverteilung gibt die Entscheidung keinen Aufschluss. Auf dieser Grundlage wurden der Aktienkaufvertrag sowie der Einbringungsvertrag geschlossen. Zu einer Firmenbucheintragung kam es aber in weiterer Folge nicht, denn das zuständige Landesgericht monierte die Wirksamkeit der Beschlüsse, da diese – so die erste Instanz – nicht iSd Kernbereichslehre mit einstimmigem Beschluss der Gesellschafter gefasst wurden.
Das Rekursgericht bestätigte das Erstgericht in Firmenbuchsachen und ließ den Revisionsrekurs zu, da „die höchstgerichtliche Rspr in den Fragen der Kernbereichslehre ... noch in Bewegung scheint.“ Der OGH wies den Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage (§502 ZPO) zurück, teilte aber in seiner Begründung die Rechtsansicht der Vorinstanzen.
Die richterliche Rechtsfortbildung im Innenrecht der Personengesellschaft ist eine Folge der Apathie des Gesetzgebers: Für die Willensbildung und die Beschlussfassung in der KG geht das Gesetz nach wie vor vom Einstimmigkeitsprinzip aus. IdR wird dieses aber zugunsten einer Mehrheitsklausel aufgegeben; denn bei wichtigen Beschlüssen, insb bei Publikumsgesellschaften wie der vorliegenden, bedeutet Einstimmigkeit, dass sämtliche Gesellschafter, somit Komplementäre und Kommanditisten, einverstanden sein müssen. Dies gefährdet die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft. Erst eine im Gesellschaftsvertrag statuierte Mehrheitsklausel ruft den Schutz der Minderheit auf den Plan, für den das Gesetz keine Regelungen kennt. Daher wurden durch die Rspr für diesen praktisch bedeutsamen Fall Schranken für die Mehrheitsmacht eingezogen: Früher interpretierte die Rspr Mehrheitsklauseln einschränkend; ungewöhnliche Vertragsänderungen waren demnach nur dann einem Mehrheitsbeschluss zugänglich, wenn der Beschlussgegenstand ausdrücklich in der Klausel genannt war (OGH 13.12.1984, 8 Ob 577/ 83). Bereits im Jahr 1996 hat sich der OGH vom Bestimmtheitsgrundsatz losgerissen, da es praktisch üblich wurde, alle potenziellen Beschlussgegenstände katalogartig zu statuieren, was dem Minderheitenschutz nicht zuträglich war (OGH 9.7.1996, 4 Ob 2147/ 96f; vgl dazu U. Torggler/H. Torggler, Zum (rechtsformübergreifenden) Kern der gesellschaftsrechtlichen Kernbereichslehre, in FS G. H. Roth [2011] 831 [832f]). Der OGH ist dann zur sog Kernbereichslehre übergegangen. Demnach besteht ein bestimmter Bereich von relativ unentziehbaren Mitgliedschaftsrechten, in die nur mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters eingegriffen werden kann. Der Kernbereich lässt sich nicht generell für alle Gesellschaften festmachen, sondern muss nach der Realstruktur der Gesellschaft und nach den Auswirkungen des Beschlusses auf die gesamten wirtschaftlichen und persönlichen Lebensumstände der Gesellschafter ausgerichtet werden (OGH 9.7.1996, 4 Ob 2147/96f). Jedenfalls handelt es sich stets um unmittelbare, tief in die Mitgliedschaft eingreifende Maßnahmen (dazu Koppensteiner, Über Grenzen der Vertragsfreiheit im Innenverhältnis von GmbH und O(H)G, GesRZ2009, 197 [203]; Schäfer in Staub, HGB5, §119 Rz40; Kraus in U. Torggler, UGB3 [2019] §119 Rz18). Letztlich war auch dieses Konzept der Kritik ausgesetzt, war doch anerkannt, dass Eingriffe in Mitgliedschaftsrechte auch durch ein Einverständnis des betroffenen Gesellschafters bei Satzungsgestaltung antizipiert werden konnten, sofern sie eindeutig bestimmt und nach Ausmaß und Umfang konkretisiert war. Im Ergebnis lief auch die Kernbereichslehre in eingeschränktem Umfang auf den Bestimmtheitsgrundsatz hinaus (U. Torggler/H. Torggler, Kern, 834f). Im Jahr 2008 hat der OGH in einer Entscheidung zur GesBR auch diesen Einwand gehört und ist zwar nicht vom Kernbereich per se abgerückt, sieht diesen aber nicht als Maßstab für eine formelle Legitimation der Mehrheitsentscheidung, sondern nur mehr für eine materielle, somit inhaltliche Kontrolle derselben (OGH 20.5.2008, 4Ob 229/07s; dazu U. Torggler/H. Torggler, Kern, 835). In Zusammenschau der maßgeblichen Judikate folgt die Rspr somit zwei Prüfungsschritten: Zunächst ist zu prüfen, ob der Gesellschaftsvertrag eine Mehrheitsklausel enthält und ob der konkrete Beschlussgegenstand davon erfasst ist. Dabei ist der Inhalt der Klausel durch Auslegung zu ermitteln. Bei Publikumsgesellschaften erfolgt dies anhand des Wortsinns und des Zwecks im systematischen Zusammenhang objektiv (OGH 25.11.2020, 6 Ob 96/20s). Ist der konkrete Beschlussgegenstand von der Mehrheitsklausel umfasst, so sind die inhaltlichen Schranken zu prüfen. Zu beurteilen ist somit insb, ob unmittelbar in unentziehbare Mitgliedschaftsrechte eingegriffen wird und ob eine Zustimmung des betroffenen Gesellschafters vorliegt (vgl dazu Artmann, Mehrheitsbeschlüsse im Personengesellschaftsrecht, GesRZ2021, 278 [281f]).
Der OGH erläutert zwar einleitend diese beiden Prüfungsschritte (Rn 13 bis 17 der vorliegenden Entscheidung), vermischt
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aber bei seiner Ableitung die formelle mit der materiellen Ebene: Zunächst schließt er die konkreten Beschlussagenden weitgehend pauschal vom Anwendungsbereich der statuierten Mehrheitsklausel aus (Rn 18 bis 20 der vorliegenden Entscheidung), prüft aber dennoch im Anschluss materiell und bejaht den Eingriff in den Kernbereich der Gesellschafter, der – verkürzt – bei einer Gesamtbetrachtung der Beschlüsse zu einer fundamentalen Umstrukturierung der KG und einer dadurch bewirkten „Entrechtung“ der Gesellschafter führe (Rn 21 bis 26 der vorliegenden Entscheidung).
Rekurriert man auf die Prüfungsschritte, so bleiben bereits beim Ergebnis der Auslegung der Mehrheitsklausel Zweifel an den Feststellungen des OGH. Dieser beurteilt nämlich nicht die einzelnen Beschlüsse per se, sondern fasst diese als einheitlichen Vorgang zu einer Strukturänderung zusammen, die nicht von der Mehrheitsklausel erfasst sei. An dieser Stelle wäre für jeden einzelnen Beschluss gesondert zu begründen gewesen, warum dieser nicht in den Anwendungsbereich der Mehrheitsklausel fällt. Es handelt sich schließlich um eine „wertneutrale Verfahrensregel“ (so BGH 11.9.2018, II ZR 307/16, NZG 2018, 1226), die unabhängig von der Wirkung des Beschlusses auf einzelne Gesellschafter zu beurteilen ist. Die statutarischen Mehrheitsklausel der KG enthielt lediglich eine beispielhafte Auflistung von Beschlussagenden („insbesondere“). Bei einer objektiven Interpretation der Klausel – insb in Zusammenschau mit dem restlichen Gesellschaftsvertrag – und der gebotenen weiten Auslegung wäre zu begründen gewesen, weshalb der Erwerb der Beteiligung an der AG, die Auslagerung des Unternehmens und die Umwandlung der Kommandit- in eine Komplementärbeteiligung nicht unter die Klausel und unter „wichtige Angelegenheiten“ erfasst werden und warum diese Beschlussagenden eine Vertragsänderung darstellen, die nicht von der Mehrheitsklausel erfasst ist. Für die parallele Rechtslage in Deutschland judiziert der BGH in stRspr, dass der Bestimmtheitsgrundsatz für Publikumspersonengesellschaften keine Anwendung findet, weil die Notwendigkeit besteht, den Gesellschaftsvertrag durch Mehrheitsbeschluss abändern zu können (BGH 11.9.2018, II ZR 307/16). Eine allgemeine Mehrheitsklausel ist somit ausreichend. Der Mauracher Entwurf zum MoPeG (online abrufbar unter https://www.bmj.de/SharedDocs/ Downloads/DE/News/PM/042020_Entwurf_Mopeg.pdf?__blob= publicationFile&v=3) sah im vorgeschlagenen §714 Satz 2 BGB eine entsprechende Klarstellung für das Personengesellschaftsrecht vor, wonach eine Mehrheitsklausel im Zweifel auch Beschlüsse erfasst, die auf eine Änderung des Gesellschaftsvertrages gerichtet sind (vgl dazu Schöne in BeckOK BGB66 [2023] §714 Rz15). Die Gesellschafter sollen eben gerade nicht Opfer einer unzulänglichen Vertragsgestaltung durch die Vertragsverfasser werden und ihnen soll die Möglichkeit erhalten bleiben, auch dann den Vertrag durch Mehrheitsbeschluss umzugestalten, wenn die zur Debatte stehende Vertragsänderung nicht im Einzelnen im Gesellschaftsvertrag aufgezählt ist (Grunewald in MünchKomm HGB5, §161 Rz126). Mit der vorliegenden Entscheidung schlägt der OGH genau den umgekehrten Weg ein.
Dass die Gesamtbetrachtung der beschlossenen Maßnahmen aus Sicht der Kommanditisten der KG zu einer gravierenden Änderung geführt hätte, soll nicht infrage gestellt werden, die Nähe zum Holzmüller-Sachverhalt des BGH (vgl BGB 25.2.1982, II ZR 174/80, BGHZ83, 122) drängt sich auf: Der Betrieb der KG, der nahezu das gesamte Vermögen der Gesellschaft ausgemacht hat, hätte in eine 100%-Tochtergesellschaft ausgegliedert werden sollen, wodurch die Gesellschafter in ihren Einfluss- und Zugriffsrechten auf das Vermögen mediatisiert worden wären. Zudem hätten jene Kommanditisten, die gleichzeitig auch Gesellschafter der einzigen Komplementär-GmbH waren, durch den neuen zweiten Komplementär an Macht über die Geschäftsführung eingebüßt. Dieser Auswirkung ist allerdings nicht auf der Ebene der formellen Legitimation des Mehrheitsbeschlusses Rechnung zu tragen. Vielmehr ist zu beurteilen, wie der Mehrheitsbeschluss zu fassen ist und welche materiellen, inhaltlichen Voraussetzungen an diesen zu stellen sind. Mit §237 AktG existiert eine am Leitbild der Publikumsgesellschaft gefertigte Lösungsmöglichkeit für den Mehrheitsentscheid bei Gesamtvermögensveräußerung, auf die Bezug genommen werden hätte können. Der BGH hatte einen vergleichbaren Fall vor etwa
einem Jahr zu entscheiden gehabt und hat die Anwendung der deutschen Parallelbestimmung (§ 179a dAktG) für die Publikumsgesellschaft ausdrücklich offengelassen, für eine personalistische GmbH & Co KG letztlich verneint (BGH 15.2.2022, II ZR 235/20, BGHZ232, 375). Die Beschäftigung mit §237 AktG wäre deshalb interessant gewesen, da diese Bestimmung dem Minderheitenschutz in der AG durch das qualifizierte Beschlusserfordernis Rechnung trägt. Fruchtbringend wäre die Beschäftigung auch deshalb gewesen, weil der OGH – anders als der BGH 2019 (vgl BGH 8.1.2019, II ZR 364/18, GesRZ2019, 280 [Milchrahm]) – die analoge Anwendung des §237 AktG auf die GmbH bejaht hat (OGH 29.8.2022, 6 Ob 159/22h; siehe dazu jüngst Artmann, Gesellschafterzustimmung bei Übertragung des gesamten Gesellschaftsvermögens, GES2023, 104).
Im Ergebnis erzielt der OGH nicht nur einen völlig unpraktikablen Weg, der die Handlungsfähigkeit der betroffenen Gesellschaft hemmt, sondern er schürt darüber hinaus Rechtsunsicherheit bei der Kautelarpraxis im Hinblick auf künftige Gestaltungen von Mehrheitsklauseln. Leider wird dabei auch die Chance versäumt, das Recht der Publikumspersonengesellschaft weiterzuentwickeln und fortzudenken. Mit der Ausdifferenzierung des Personengesellschaftsrechts entlang der Mitgliederzahl und der Mitgliederöffnung bei der Frage, welche Auslegungsregelungen auf den Gesellschaftsvertrag zur Anwendung gelangen, wurde nämlich schon ein Stein in die Richtung gelegt.
Grundlage für das Eintragungsbegehren vor dem Firmenbuch waren der Aktienkaufvertrag sowie der Einbringungsvertrag, die auf Basis der nichtigen Beschlüsse gefasst wurden. Der Firmenbuchrichter hat im Rahmen seiner materiellen Prüfpflicht auch die dahinterstehenden Beschlüsse überprüft und aufgegriffen. Die Unwirksamkeit der Beschlüsse stellt per se noch kein Hindernis für einen wirksamen Vertragsabschluss dar, da die Vertretungsmacht der geschäftsführenden Komplementärin als Formalvollmacht unbeschränkt ist (§125 iVm §170 UGB). Es lag somit ein Überschreiten der Befugnisse im Innenverhältnis vor, das sich im Außenverhältnis idR nicht auswirkt. Der OGH greift nun aber auf den Vollmachtsmissbrauch zurück und gelangt zur Unwirksamkeit der Verträge. Der Vollmachtsmissbrauch in seiner „milderen“ Variante setzt zwar keine Schädigungsabsicht des Vertreters voraus, allerdings ist entscheidend, dass der Dritte (und somit Vertragspartner) weiß oder fahrlässig nicht weiß, dass das Anliegen des Machthabers gegen die Grenzen des Innenverhältnisses verstößt (RIS-Justiz RS0019576). Bei Formalvollmachten soll laut hA erst die Kenntnis von der Pflichtwidrigkeit schaden (Apathy/Burtscher in Schwimann/ Kodek, ABGB5, §1017 Rz13; Hartlieb/Zollner in Rummel/Lukas/ Geroldinger, ABGB4, §1017 Rz32; P. Bydlinski in Koziol/Bydlinski/ Bollenberger, ABGB6 [2020] §1016 Rz5). Umgelegt auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Verkäufer, somit die bisherige Alleinaktionärin der AG, im Zeitpunkt des Abschlusses des Aktienkaufvertrages mit der KG, vertreten durch den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH, Kenntnis davon hatte, dass dieser pflichtwidrig handelt, weil er sich auf einen Mehrheitsbeschluss stützt, der unwirksam ist, weil er nicht einstimmig gefasst wurde. Die Kenntnis oder (grob) fahrlässige Unkenntnis muss sich somit erstens darauf beziehen, dass die Beschlüsse der Einstimmigkeit bedürfen, und zweitens darauf, dass kein einstimmiger Beschluss vorliegt. Gerade Ersteres dürfte bei der AG als Vertragspartnerin bzw deren Vertreter aber gefehlt haben, was ihr aber nicht angelastet werden kann: Selbst das Revisionsgericht hat den Revisionsrekurs mit der Begründung zugelassen, dass Fragen der Kernbereichslehre „noch in Bewegung“ scheinen, was anzeigt, dass auch fachkundige Richter die Reichweite von Mehrheitsbeschlüssen im Personengesellschaftsrecht nicht als vollends geklärt sehen. Kenntnis von der Pflichtwidrigkeit und damit vom Bedarf eines einstimmigen Beschlusses kann auch – anders als das Revisionsgericht releviert –nicht dadurch entstehen, dass einzelne Gesellschafter Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Beschlussfassung geäußert haben. Nimmt man den subjektiven Maßstab des Rechtsinstituts Vollmachtsmissbrauch zu locker, so kann die Gefahr bestehen, dass dadurch das Prinzip der unbeschränkten Vertretungsmacht aufgeweicht wird (dazu auch Leo/D. John, Missbrauch der Vertretungsmacht statt
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§179a AktG analog – ein Fortschritt für die M&A-Praxis? NZG 2022, 1383). Auch in Bezug auf die Vertretungsproblematik wäre eine Beschäftigung des OGH mit §237 AktG interessant gewesen, schlägt doch dabei die mangelnde Zustimmung der Gesellschafter auch auf das Außenverhältnis durch.
Julia Nicolussi
Zur Auslegung eines Personengesellschaftsvertrages nach einem Gesellschafterwechsel
§131 Z4, §161 Abs2 und §177 UGB
§914 ABGB
1. Ergänzende Vertragsauslegung hat vor allem dann einzutreten, wenn die Parteien die Anwendung vorhandenen Dispositivrechts jedenfalls nicht wollten, dennoch aber selbst keine Regelung trafen, oder wenn sich die vorhandene gesetzliche Regelung für den konkreten Fall als unangemessen, nicht sachgerecht, unbillig etc erweist (Fortschreibung der Rspr).
2. Gesellschaftsverträge von Personengesellschaften sind grundsätzlich nach §914 ABGB auszulegen; auch mangels einer ausdrücklichen Regelung ist daher zwischen den Gründungsmitgliedern der übereinstimmende Parteiwille maßgeblich (Fortschreibung der Rspr).
3. Zwischen den Gr ündungsmitgliedern einer Personengesellschaft ist der übereinstimmende Parteiwille selbst dann maßgebend, wenn er in den ausdrücklichen Erklärungen keinen Niederschlag gefunden hat. Kommt es zu einem Gesellschafterwechsel, kann auf den subjektiven Parteiwillen der Gründungsgesellschafter nur mehr zurückgegriffen werden, wenn dieser den neu eintretenden Mitgliedern bekannt war und sie diesem subjektiven Parteiwillen zumindest konkludent zugestimmt haben.
4. Bei Personengesellschaften kann die gegenseitige Treuepflicht der Gesellschafter die Zustimmung zu einer Änderung des Gesellschaftsvertrages gebieten. Eine derartige Verpflichtung wird bejaht, sofern dies die wohlverstandenen Interessen der Gesellschaft erfordern.
OGH 17.2.2023, 6 Ob 211/22f (OLG Innsbruck 1 R 67/22w; LG Feldkirch 8 Cg 20/19x)
[1] Der Kläger ist mit einem Anteil von 90% unbeschränkt haftender Gesellschafter, die Beklagte mit einem Anteil von 10% Kommanditistin der ... im Firmenbuch eingetragenen G. KG (im Folgenden: Gesellschaft).
[2] Die Streitteile lernten einander bereits zu Schulzeiten kennen. Im Jahr 1968 zog die Beklagte zum Kläger nach L. Am 2.2.1968 heirateten sie. Im August 1968 wurde die gemeinsame Tochter E. geboren. 1974 wurde der gemeinsame Sohn A. geboren.
[3] Die Gesellschaft wurde 1972 vom Kläger und dessen Vater (in der Folge: Vater) gegründet. Beide waren zu 50% an Vermögen, Gewinn und Verlust der Gesellschaft beteiligt. Der Vater brachte mehrere Liegenschaften im Zuge der Gründung der Gesellschaft in diese ein. Die Liegenschaften stellen das wesentliche Vermögen der Gesellschaft dar. Auf einer dieser Liegenschaften betreibt die Gesellschaft ein Hotel und Nebenbetriebe. Die Beklagte war in die Gründung der Gesellschaft nicht einbezogen, zu diesem Zeitpunkt wurde über eine Beteiligung der Beklagten auch nie gesprochen.
[4] Die Streitteile betrieben ursprünglich einen kleinen Kiosk, der sich auf dem Grundstück des Vaters befand. Die Streitteile wohnten zunächst bei den Eltern des Klägers, dann in einem Appartement in L. 1972 wurde auf dem vom Vater stammenden Grund ein Lebensmittelgeschäft errichtet. In weiterer Folge wurden im oberen Geschoß auch Appartements gebaut, die ab 1974 betrieblich genutzt wurden. Die Streitteile lebten seit der Fertigstellung 1976 in einer Wohnung im Hotel, die nach wie vor von der Beklagten bewohnt wird.
[5] Die Gesellschaft war von Anfang an darauf ausgerichtet, ein Familienunternehmen zu sein und zu betreiben und den Bestand desselben zu sichern. Der Kläger stammt aus einer alteingesessenen L. Familie. Sein Vater war Bürgermeister von L., er war unternehmerisch versiert und aufgeschlossen. Er war sich seiner Verantwortung für das Dorf und die Familie bewusst und war sehr großzügig. So gab er auch seinen beiden anderen Söhnen, den Brüdern des Klägers, noch zu Lebzeiten etwas zu ihrer finanziellen Absicherung für die Zukunft mit, wobei ein Bruder ein (anderes) Hotel im Ort und der andere Bruder ein Privathaus erhielt.
[6] Mit Wirksamkeit vom 1.5.1979 trat die Beklagte als Kommanditistin in die Gesellschaft ein. Der Kläger schenkte der Beklagten 20% seiner 50%-Beteiligung. Die Beklagte musste für die Beteiligung an der Gesellschaft keine finanzielle Einlage leisten, vielmehr leistete der Kläger die Haftsumme der Beklagten als Kommanditistin. 1979 wurde der Beklagten die Einzelprokura für die Gesellschaft erteilt.
[7] Mit 30.4.1980 schied der Vater aus der Gesellschaft aus und übertrug dem Kläger unentgeltlich seinen 50%-Anteil. Der Kläger ist seither Komplementärgesellschafter mit 90% Beteiligung und führt die Geschäfte. Die Beklagte als Kommanditistin hält die restliche Beteiligung von 10%.
[8] Zur Übertragung des Kommanditanteils an die Beklagte kam es aufgrund der Ehe der Parteien sowie in Erwartung des Klägers auf den Bestand der Ehe, aber auch, damit die Gesellschaft nach Ausscheiden des Vaters weiterbestehen könne.
[9] 1986 wurde das Gebäude zu seiner heutigen Größe ausgebaut und der Appartementbetrieb in einen Hotelbetrieb mit Halbpension umgewandelt. Der Supermarkt wurde in den neuen Teil nach hinten verlegt und vergrößert. Vorne entstanden eine neue, größere Parfümerie und Geschenkboutique sowie eine Bar.
[10] Die Beklagte setzte sich für den Betrieb über die Jahre sehr ein und engagierte sich dafür. So arbeitete sie seit 1972 jeweils während der Saison zunächst im Kiosk, in der Folge im Lebensmittelgeschäft und leitete neben der Erziehung der beiden Kinder die Geschäftstätigkeiten im Lebensmittelgeschäft sowie in dem in weiterer Folge errichteten Blumengeschäft, in der Trafik sowie auch in der Parfümerie und dem Souvenirladen der Gesellschaft. Darüber hinaus war sie auch mit den Lohnauszahlungen und Personalanliegen betraut und auch für die Betreuung der Gäste zuständig.
[11] Auch die beiden Kinder der Streitteile arbeiteten im Betrieb mit und richteten ihre berufliche Ausbildung ausschließlich auf den ihnen von den Streitteilen in Aussicht gestellten Betrieb aus.
[12] Nach der Matura trat die gemeinsame Tochter in den elterlichen Betrieb als Hotelassistentin ein und wurde im Herbst 1987 auch mit Aufgaben im Sporthaus betraut. 1990 legte sie die Konzessionsprüfung für das Hotel- und Gastgewerbe ab. Es folgte ein berufsbegleitender Universitätslehrgang für Tourismus sowie im Jahr 2000 ein berufsbegleitendes Studium am MCI im Fachbereich Tourismus und Freizeitwirtschaft.
[13] Auch der Sohn erwarb mit der Matura nach Durchlaufen einer einschlägigen Ausbildung die Hotel- und Gastgewerbekonzession. In den Sommermonaten danach erweiterte er sein Fachwissen durch Praktika in renommierten Hotels weltweit, während er im Winter im familieneigenen Hotel arbeitete. Ab 1997 war er dann ganzjährig im Hotel beschäftigt.
[14] Während die Tochter vorerst das Sportgeschäft sowie einen im Hotel befindlichen Skiverleih führte, leitete der Sohn vor allem das Restaurant ..., die Umbauten sowie die im Keller befindliche Nachtbar und war für das gesamte Marketing des Hotels zuständig.
[15] Nach den ursprünglichen Plänen der Streitteile sollten die gemeinsamen Kinder später einmal den gemeinsamen Betrieb übernehmen, wie es in Familienbetrieben regelmäßig üblich ist. Dabei gab es Anfang der 2000er-Jahre auch Bemühungen, diese Nachfolge mittels
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Judikatur
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Prof. Dr. Julia Nicolussi hält den Lehrstuhl für Handelsrecht, Gesellschaftsrecht, Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Zürich.
Anpassung des Gesellschaftsvertrages der Gesellschaft festzulegen. Zu einer konkreten und unmissverständlichen Regelung zwischen den Streitteilen als Gesellschafter kam es dabei allerdings nicht.
[16] 2005 wurde die Ehe der Streitteile mit dem Ausspruch des alleinigen Verschuldens des Klägers an der Zerrüttung der Ehe geschieden. Anlässlich der Scheidung untersagte der Kläger zunächst der Beklagten, die Betriebsräumlichkeiten der Gesellschaft zu betreten sowie in seinem oder der Gesellschaft Namen Rechtshandlungen zu setzen, insb Bestellungen zu tätigen oder Verfügungen über das Personal zu treffen. Er widerrief die Prokura der Beklagten. Die Gesellschaft kündigte der Beklagten das bestehende Dienstverhältnis zum 30.6.2008.
[17] 2007 beendete der Kläger das Arbeitsverhältnis mit dem Sohn aufgrund persönlicher Differenzen mit der nunmehrigen Ehegattin des Klägers. Die gemeinsame Tochter führte das Sporthaus bis zu ihrer Kündigung im Jahr 2019. Mittlerweile ist sie beim Unternehmen ihres Bruders angestellt und beide betreiben gemeinsam erfolgreich verschiedene Chalets und Hotels. Beide Geschwister würden das Unternehmen der Gesellschaft auch heute noch gerne fortführen.
[18] Seit 2011 ist der Kläger erneut verheiratet, 2008 wurde seine Tochter A. von seiner nunmehrigen Ehegattin geboren.
[19] Anlässlich der Gründung der Gesellschaft wurde zwischen dem Kläger und dessen Vater weder eine schriftliche noch eine mündliche Regelung darüber getroffen, was mit der Gesellschaft bei Ableben eines Gesellschafters passieren sollte. Der Vater hätte nicht gewollt, dass die Gesellschaft, die er gemeinsam mit dem Kläger gegründet hat und der er wesentliches Vermögen zuwandte, mit dem Tod des Klägers aufgelöst ist. Wenn der Vater und der Kläger bei der Gründung der Gesellschaft daran gedacht hätten, dass diese ohne Regelung mit dem Tod des Klägers aufgelöst würde, hätten sie vertragliche Vorkehrungen in einer Form getroffen, die es ermöglicht, dass das Unternehmen nicht verkauft werden muss. Das Interesse des Vaters war primär, dass das Unternehmen in L. innerhalb der Familie oder von der Familie weitergeführt wird. Der Vater hätte alle seine Enkelkinder – unabhängig davon, ob sie zum Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft bereits geboren wären oder nicht –gleichbehandelt und keines im Vorfeld von der Nachfolge ausgeschlossen. Der Vater hätte dem diesbezüglichen Lebenslauf des Klägers, insb dessen außerehelicher Beziehung und neuerlicher Eheschließung, keine Rolle in seiner Entscheidungsfindung beigemessen. Er hätte es in weiterer Folge den Nachkommen überlassen, allfällige verhärtete Fronten betreffend die Führung des Unternehmens auszutragen.
[20] Zum Zeitpunkt des Eintritts der Beklagten in die Gesellschaft waren die beiden gemeinsamen Kinder des Klägers und der Beklagten bereits geboren. Es wurde zwischen den Streitteilen und dem zu diesem Zeitpunkt noch an der Gesellschaft beteiligten Vater des Klägers anlässlich des Eintritts der Beklagten in die Gesellschaft und auch in weiterer Folge zwischen den Streitteilen nie klar und unmissverständlich besprochen, dass als Nachfolger in der Gesellschaft nur die beiden gemeinsamen Kinder infrage kommen.
[21] Nach dem „Auftauchen“ der nunmehrigen Ehefrau des Klägers und der Geburt von deren Tochter sprachen die Streitteile nicht mehr darüber, dass die Nachfolge ausschließlich durch die beiden gemeinsamen Kinder erfolgen könnte.
[22] Der Kläger will sich in seiner Dispositionsbefugnis über seinen Komplementäranteil nicht auf die gemeinsamen Kinder mit der Beklagten beschränken und möchte sich seine Freiheit betreffend die Bestellung eines Nachfolgers nicht einschränken lassen. Mit der Änderung des Gesellschaftsvertrages möchte er dafür sorgen, dass auch für seine nunmehrige Ehegattin und deren gemeinsame Tochter nach seinem Ableben gesorgt ist und der Betrieb nicht verkauft wird. Der Kläger ist der Meinung, dass seine Kinder aus erster Ehe nicht in der Lage sind, den Familienbetrieb zu führen. Demgegenüber erachtet er seine derzeitige Ehefrau für fähig, weil diese seit 15 Jahren im Betrieb tätig ist.
[23] Die Beklagte würde einer Änderung des Gesellschaftsvertrages unter ausschließlicher Miteinbeziehung der gemeinsamen Kinder zustimmen. Mit der unentgeltlichen Übertragung ihres Kommanditanteils sowie mit anderen Änderungen des Gesellschaftsvertrages ist sie nicht einverstanden, weil sie befürchtet, dass sie die Gesellschaft mit der nunmehrigen Ehegattin des Klägers fortsetzen müsste.
[24] Der Kläger begehrte – soweit im jetzigen zweiten Rechtsgang noch gegenständlich –,
A. es werde zwischen den Parteien festgestellt, dass die ... [Gesellschaft] mit den Erben oder Vermächtnisnehmern der Gesellschafter fortgesetzt wird,
A.1. wobei diese Erben oder Vermächtnisnehmer Ehegatten der derzeitigen Gesellschafter oder Nachkommen des derzeitigen Gesellschafters oder des ... [Vaters] sein müssen;
A.2. in eventu: wobei diese Erben oder Vermächtnisnehmer Nachkommen eines derzeitigen Gesellschafters oder des ... [Vaters] sein müssen;
A.3. in eventu: wobei diese Erben oder Vermächtnisnehmer Nachkommen eines derzeitigen Gesellschafters sein müssen;
A.4. in eventu: wobei diese Erben oder Vermächtnisnehmer die gemeinsamen Kinder der Gesellschafter und aufseiten des Klägers zusätzlich ... [die zweite Ehefrau des Klägers und die Tochter des Klägers aus zweiter Ehe] sein dürfen und müssen.
B. Als weitere vier Eventualbegehren begehrte der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Einwilligung in die Änderung des Gesellschaftsvertrages der Gesellschaft mit demselben Inhalt wie die soeben dargestellten Feststellungsbegehren.
[25] Er brachte dazu vor, er wolle seinen Anteil an der Gesellschaft an seine Kinder oder seine nunmehrige Ehefrau als Erben oder Vermächtnisnehmer wirksam weitergeben können, damit die Gesellschaft und das Familienunternehmen nach seinem Tod fortbestehen können. Hinsichtlich der Bestellung seiner Nachfolger wolle er sich in seiner Freiheit nicht beschränken lassen. Die Gesellschaft sei von Anfang an darauf ausgerichtet gewesen, ein Familienunternehmen zu sein und zu betreiben und den Bestand desselben zu sichern. Die Beklagte sei lediglich mit Blick auf das Ausscheiden des Vaters aus der Gesellschaft in diese aufgenommen worden, weil eine KG stets mindestens zwei Gesellschafter brauche. Sein Vater hätte nicht gewollt, dass die Gesellschaft mit dem Tod des Klägers aufgelöst würde. Er und der Kläger hätten in jedem Fall mit Blick auf den Weiterbestand des Familienunternehmens und die ehelichen Nachkommen des Klägers vereinbart, dass die Gesellschaft im Falle des Todes des Klägers mit dessen Erben oder Vermächtnisnehmern fortgesetzt werde. Sein Vater hätte nicht gewollt, dass weitere eheliche Nachkommen des Klägers von einer Nachfolge im Unternehmen ausgeschlossen würden. Die aus einer Nachfolgeklausel allenfalls resultierende Aufnahme der nunmehrigen Ehefrau des Klägers in die Gesellschaft berühre die Gesellschaftsinteressen nicht nachteilig, zumal es auch zwischen den Streitteilen infolge der belasteten Vergangenheit kein Vertrauensverhältnis mehr gebe.
[26] Die Beklagte wandte ein, der Kläger habe nie infrage gestellt, dass die beiden ehelichen Kinder einmal das Familienunternehmen erhalten bzw fortführen sollten. Wenn bei Abschluss des Gesellschaftsvertrages und/oder Eintritt der Beklagten in die Gesellschaft der Fall bedacht worden wäre, dass die Ehe des Klägers mit der Beklagten durch Scheidung aufgelöst würde und der Kläger eine neue Ehe eingehe, aus der wiederum eheliche Nachkommen hervorgehen, hätte der Vater mit dem Kläger eine Nachfolgeklausel ausschließlich zugunsten der beiden Kinder der Streitteile in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen. Bei Eintritt der Beklagten bzw Ausscheiden des Vaters aus der Gesellschaft hätten allerdings die Streitteile ohnehin vereinbart und in der Folge diese Vereinbarung immer wieder erneuert, dass das Unternehmen auf die gemeinsamen Kinder übergehe, sei es zu Lebzeiten oder nach dem Ableben eines oder beider Gesellschafter. Nach dem vorliegenden Gesellschaftsvertrag sei daher bereits eine Nachfolgeklausel zugunsten der gemeinsamen Kinder zwischen den Streitteilen und vorher zwischen dem Vater und dem Kläger vereinbart worden. Im Übrigen sei bei Eintritt der Beklagten in die Gesellschaft ein neuer Gesellschaftsvertrag abgeschlossen worden, wonach – zumindest schlüssig – ausschließlich die beiden gemeinsamen Kinder Nachfolger der Gesellschafter sein sollten. Davon könne der Kläger nicht einseitig abgehen. Es bedürfe keiner Vertragsergänzung. Im Übrigen sei der Auflösung der Gesellschaft nach dem Tod des Klägers, wie in §131 HGB vorgesehen, der Vorzug gegenüber den von ihm gewünschten viel zu weitgehenden Änderungen des Gesellschaftsvertrages zu geben. Der Beklagten als verbleibender Kommanditistin bleibe es nämlich in diesem Fall unbenommen, sich mit den
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Erben des Klägers über eine allfällige Fortsetzung der Gesellschaft bzw des Unternehmens zu einigen. Bei Eintritt der gesetzlichen Folgen bestehe zumindest eine vage Hoffnung auf Weiterbestand der Gesellschaft, wenn es der Beklagten bzw einem zu bestellenden Liquidator gelingen sollte, mit jedem einzelnen Anspruchsteller (Erben, Vermächtnisnehmer) eine Einigung zu erzielen.
[28] Das Erstgericht wies ... sämtliche Klagebegehren ... ab. ...
[29] Das Berufungsgericht wies die (oben) unter Pkt A.1. und A.2. dargestellten Begehren (rechtskräftig) ab, gab dem Eventualbegehren laut Pkt A.3. statt ... Es führte aus, die Gründungsgesellschafter hätten eine Fortsetzungsklausel vereinbart, wenn sie die mit dem Tod des Klägers für die Gesellschaft verbundene Rechtsfolge, nämlich deren Auflösung, gewusst hätten. Daher müsse der Wunsch der Beklagten, es zu den gesetzlichen Folgen der Auflösung der Gesellschaft mit dem Tod des Klägers kommen zu lassen, scheitern. Vielmehr sei die planwidrige Vertragslücke durch Vertragsauslegung dahin zu ergänzen, dass die Gesellschaft nach dem Tod des Klägers fortgesetzt werde. Es sei (nach dem Eintritt der Beklagten in die Gesellschaft und dem Ausscheiden des Vaters aus dieser) zu keiner Ergänzung des Gesellschaftsvertrages aus dem Jahr 1972 durch einvernehmliche Beschlussfassung der Streitteile als Gesellschafter über eine Nachfolgeregelung gekommen. Daher sei der Gesellschaftsvertrag in Bezug auf eine Nachfolgeklausel ergänzend auszulegen. Da die Brüder des Klägers vom Vater zu dessen Lebzeiten finanziell durch Übergabe eines Hotels bzw eines Privathauses abgesichert worden seien und bei Abschluss des Gesellschaftsvertrages die Tochter der Streitteile bereits geboren gewesen sei, sei nicht davon auszugehen, dass die Gründungsgesellschafter Seitenverwandte des Klägers in eine Nachfolgeklausel einbezogen hätten. Da das Interesse des Vaters primär gewesen sei, dass das Unternehmen von der Familie weitergeführt werde, sei anzunehmen, dass die Gründungsgesellschafter die Nachkommen des Klägers in gerader Linie als Nachfolger im Familienunternehmen angesehen hätten und nicht die Beklagte, die ja trotz bereits bestehender Ehe mit dem Kläger und bereits geborener gemeinsamer Tochter auch nicht Gründungsgesellschafterin gewesen sei, oder im Falle geänderter Verhältnisse die Ehegattin des Klägers im Zeitpunkt seines Todes. Der Vater hätte alle seine Enkelkinder gleichbehandelt und keines im Vorfeld von der Nachfolge ausgeschlossen. Somit bestehe kein Zweifel, dass nicht nur der Kläger, sondern auch dessen Vater bei Abschluss des Gesellschaftsvertrages eine Nachfolgeklausel vereinbart hätte, von der alle Nachkommen des Klägers umfasst wären, also auch solche Nachkommen, die nicht aus der Ehe des Klägers mit der Beklagten stammten.
Der OGH gab der gegen den stattgebenden Teil des Urteils des Berufungsgerichts gerichteten Revision der Beklagten Folge und stellte das gänzlich abweisende Urteil des Erstgerichts in der Hauptsache wieder her.
Aus den Entscheidungsgründen des OGH:
1. Zu den Feststellungsbegehren
[32] 1.1. Gem §131 Z4 iVm §161 Abs2 UGB (§907 Abs8 UGB) wird die KG durch den Tod des unbeschränkt haftenden Gesellschafters aufgelöst, sofern sich – wie hier – aus dem Gesellschaftsvertrag nichts anderes ergibt. Nach §177 UGB hat hingegen der Tod des Kommanditisten die Auflösung der Gesellschaft nicht zur Folge.
[33] Zunächst ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanzen mangels einer Fortsetzungs- und Eintrittsklausel im Gesellschaftsvertrag für den Fall des Todes des Komplementärgesellschafters nicht (unmittelbar) die dispositive Rege-
lung des §131 Z4 UGB für anwendbar hielten, sondern eine ergänzende Vertragsauslegung nach dem hypothetischen Parteiwillen der Gründungsgesellschafter vornahmen. Denn nach der Rspr hat ergänzende Vertragsauslegung vor allem dann einzutreten, wenn die Parteien die Anwendung vorhandenen Dispositivrechts – wie hier – jedenfalls nicht wollten, dennoch aber selbst keine Regelung trafen, oder wenn sich die vorhandene gesetzliche Regelung für den konkreten Fall als unangemessen, nicht sachgerecht, unbillig etc erweist (RISJustiz RS0017890).
[34] 1.2. Gesellschaftsverträge von Personengesellschaften sind grundsätzlich nach §914 ABGB auszulegen (7 Ob 559/90 [GmbH & Co KG]; 3 Ob 2135/96h [KG]; 4 Ob 229/07s [GesBR]; 2 Ob 209/10i; RIS-Justiz RS0109668); auch mangels einer ausdrücklichen Regelung ist daher zwischen den Gründungsmitgliedern der übereinstimmende Parteiwille maßgeblich.
[35] 1.3. Der OGH hat aber mehrfach auf die im Schrifttum verbreitete Ansicht hingewiesen (4 Ob 229/07s; 2 Ob 209/10i) und sich dieser auch angeschlossen (siehe 6 Ob 226/13y; 6 Ob 145/19w = RIS-Justiz RS0109668 [T6]; 6 Ob 96/20s; 6 Ob 90/ 21k), wonach die Auslegung gem §914 ABGB nicht bei einem Wechsel im Mitgliederbestand der Gesellschaft gilt, weil dem neu hinzutretenden Gesellschafter idR nur die Erklärungstatbestände, auf denen die Gesellschaft beruht, als Vertrauensgrundlage zur Verfügung stehen; diesfalls wird der objektiven Auslegung der Vorrang eingeräumt.
[36] 1.4. Im jüngeren Schrifttum werden dazu folgende Ansichten vertreten:
[37] Enzinger (Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften [1995] 175) meint, die Berücksichtigung des übereinstimmenden Willens bloß eines Teils der Gesellschafter, insb der Gründungsgesellschafter, sei bei fortgesetzten Gesellschaften unzulässig, wenn die später hinzugekommenen Gesellschafter gerade diesen Willen nicht gehabt hätten.
[38] U. Torggler/H. Torggler (in Straube, HGB I3 [2003] §105 Rz6a) führen aus, maßgeblich könne freilich nur die Parteienabsicht sein, die den aktuellen Gesellschaftern gemeinsam sei.
[39] U. Torggler (in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4, §105 Rz84) und – diesem folgend – Kraus (in U. Torggler, UGB3 [2019] §105 Rz31) vertreten die Ansicht, ein von der objektiven Auslegung abweichendes Verständnis der Altgesellschafter bleibe beim Gesellschafterwechsel nur dann ohne Weiteres verbindlich, wenn es dem Eintretenden bei seinem Beitritt bekannt sei.
[40] Schauer (in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 [2017] Rz2/345; ders in Straube/Ratka/ Rauter, UGB I4, §105 Rz79) und – ihm folgend – Zib (in Zib/ Dellinger, UGB II [2017] §105 Rz66) meinen, zwischen den Gründungsmitgliedern sei der übereinstimmende Parteiwille selbst dann maßgebend, wenn er in den ausdrücklichen Erklärungen keinen Niederschlag gefunden habe. Komme es zu einem Gesellschafterwechsel, könne auf den subjektiven Parteiwillen nur mehr zurückgegriffen werden, wenn dieser den neu eintretenden Mitgliedern bekannt gewesen sei und sie zumindest konkludent ihre Zustimmung zum Ausdruck gebracht hätten.
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[41] Artmann (in Artmann, UGB3 [2019] §105 Rz56a) lehrt, komme es zum Gesellschafterwechsel oder zum Beitritt neuer Gesellschafter, so gälten vorstehende Aussagen (im Wesentlichen: Auslegung nach §914 ABGB) nur, soweit eine echte Willensbildung (wenn auch unter Umständen in schlüssiger Form [§863 ABGB]) über den Vertragsinhalt stattgefunden habe.
[42] 1.5. Zusammengefasst wird somit in der jüngeren Literatur einhellig für die Maßgeblichkeit eines subjektiven von der objektiven Auslegung des Gesellschaftsvertrages abweichenden Parteiwillens die Kenntnis des hinzutretenden Gesellschafters von diesem subjektiven Parteiwillen gefordert; die Mehrzahl der Autoren (Schauer, Zib, Artmann und wohl auch Enzinger) verlangt überdies auch die (zumindest konkludente) Zustimmung des hinzutretenden Gesellschafters.
[43] 1.6. Der erkennende Senat schließt sich den Meinungen an, die Kenntnis und Zustimmung des hinzutretenden Gesellschafters vom abweichenden Parteiwillen der Altgesellschafter fordern. Das Abstellen auf bloße Kenntnis brächte nämlich für die Altgesellschafter die Unsicherheit mit sich, dass sie im Falle ihrer Unkenntnis über den Kenntnisstand des Neugesellschafters beim Eintritt in die Gesellschaft nicht wüssten, ob nun ihr abweichender Parteiwille maßgeblich wäre oder nicht. Diese Unsicherheit wird beim zusätzlichen Erfordernis der (zumindest konkludenten) Zustimmung durch den Neugesellschafter vermieden, weil die Altgesellschafter diesfalls auf eine ihnen zugegangene Willenserklärung des Neugesellschafters vertrauen können.
1.7. Es wird somit festgehalten: [44] Zwischen den Gründungsmitgliedern einer Personengesellschaft ist der übereinstimmende Parteiwille selbst dann maßgebend, wenn er in den ausdrücklichen Erklärungen keinen Niederschlag gefunden hat. Kommt es zu einem Gesellschafterwechsel, kann auf den subjektiven Parteiwillen der Gründungsgesellschafter nur mehr zurückgegriffen werden, wenn dieser den neu eintretenden Mitgliedern bekannt war und sie diesem subjektiven Parteiwillen zumindest konkludent zugestimmt haben.
[45] 1.8. Eine Kenntnis und (allenfalls konkludente) Zustimmung der Beklagten zu einer Nachfolgeregelung wie in dem vom Berufungsgericht stattgegebenen Feststellungsbegehren (Pkt A.3.) oder dem Eventualfeststellungsbegehren (Pkt A.4.) liegt aber nach den Feststellungen nicht vor: Es steht fest, dass nach den ursprünglichen Plänen der Streitteile die gemeinsamen Kinder später einmal den gemeinsamen Betrieb übernehmen sollten und die Beklagte einer Änderung des Gesellschaftsvertrages unter ausschließlicher Miteinbeziehung der gemeinsamen Kinder zustimmen würde.
[46] Das Erstgericht hat zwar zum Kenntnisstand der Beklagten bei ihrem Eintritt keine Feststellungen getroffen. Die Feststellungen lassen jedoch insgesamt keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie diesem hypothetischen Parteiwillen niemals (ausdrücklich oder konkludent) zugestimmt hat.
[47] Mangels schriftlichen Gesellschaftsvertrages bzw offenkundiger Unklarheiten kann der Beklagten auch kein Vorwurf unterlassener Erkundigungen (wie in 4 Ob 229/07s zu einem [zumindest] unklaren Vertragstext) hinsichtlich
vertraglicher Abweichungen von der dispositiven Rechtslage zur Nachfolge vorgeworfen werden.
[48] 1.9. Mit dem ausschließlichen Rückgriff auf den Parteiwillen der Gründungsgesellschafter zur ergänzenden Vertragsauslegung hat das Berufungsgericht die unter Pkt1.3. dargestellte oberstgerichtliche Rspr und die daraus zu ziehenden Folgerungen beim vorliegenden Gesellschafterwechsel nicht berücksichtigt. Da hier eine Zustimmung der Beklagten zu keiner einzigen begehrten Nachfolgeregelung vorliegt, erweisen sich sämtliche Feststellungsbegehren als unberechtigt.
2. Zu den Eventualbegehren auf Einwilligung in die Änderung des Gesellschaftsvertrages
[49] 2.1. Wegen der mangelnden Berechtigung der Feststellungsbegehren sind die eventualiter auf Einwilligung gerichteten Leistungsbegehren zu prüfen.
2.2. Rechtsprechung
[50] In der oberstgerichtlichen Rspr ist anerkannt, dass bei Personengesellschaften unter Umständen die gegenseitige Treuepflicht der Gesellschafter die Zustimmung zu einer Änderung des Gesellschaftsvertrages gebieten kann (6 Ob 695/ 87; 8 Ob 577/83; RIS-Justiz RS0059617). Eine derartige Verpflichtung wird bejaht, sofern dies die wohlverstandenen Interessen der Gesellschaft erfordern (6 Ob 695/87; RIS-Justiz RS0059617). Eine nähere Konturierung dieses Kriteriums oder Kasuistik dazu ist der Rspr jedoch nicht zu entnehmen.
2.3. Lehre
[51] Nach Jabornegg/Artmann (in Artmann, UGB I3, §112 Rz13 mwN) kommen Zustimmungspflichten zu Änderungen des Gesellschaftsvertrages nur dann in Betracht, wenn es um existenzielle Fragen der weiteren gemeinsamen Zweckverfolgung geht.
[52] Nach Schauer (in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz2/447) kann ausnahmsweise eine Treuepflicht bestehen, in die Änderung des Gesellschaftsvertrages einzuwilligen. Dafür sei das Gewicht der beabsichtigten Änderung für die weitere Verwirklichung des Verbandszwecks gegen die Beeinträchtigung der Interessen des Gesellschafters abzuwägen.
[53] Thöni (in Zib/Dellinger, UGB II, §119 Rz339) vertritt die Ansicht, die Zustimmungspflicht zu Vertragsänderungen setze voraus, dass die vorgesehene Maßnahme im Gesellschaftsinteresse zwingend geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar sei.
[54] Appl (in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4, §119 Rz76) führt aus, im Falle von Gesellschaftsvertragsänderungen bestehe im Allgemeinen keine Zustimmungspflicht der Gesellschafter, weil in diesen Belangen die Gesellschafter grundsätzlich zur eigennützigen Stimmrechtsausübung berechtigt seien. Nur ausnahmsweise seien einer privatautonomen Stimmrechtsausübung Grenzen gesetzt. Eine solche Grenze liege etwa dann vor, wenn die angestrebte Änderung des Gesellschaftsvertrages im Hinblick auf die Gesellschaftsverhältnisse oder die Rechtsbeziehungen der Gesellschafter untereinander dringend erforderlich und dem zustimmungspflichtigen Gesellschafter zumutbar sei. Eine Zustimmungspflicht bestehe auch dann, wenn die Gesellschaftsvertragsänderung
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im dringenden und überwiegenden Interesse einzelner Gesellschafter gelegen sei und damit keine oder bloß unerhebliche Nachteile für die übrigen Gesellschafter verbunden seien.
[55] 2.4. Nach diesen in Rspr und Lehre vertretenen, im Wesentlichen übereinstimmenden Kriterien kann hier eine Zustimmungspflicht der Beklagten zu sämtlichen vom Kläger begehrten Fortsetzungs- und Nachfolgeklauseln, die dem Kläger kraft seiner Testierfreiheit ein Wahlrecht unter den in den Klauseln genannten Personen einräumen würden, nicht aus der gesellschaftsrechtlichen Treue- bzw Interessenwahrungspflicht abgeleitet werden. Aus der primär maßgeblichen Sicht der Gesellschaft ist nämlich ein besonderer Vorteil einer „offenen“ gegenüber einer auf die gemeinsamen Kinder beschränkten Nachfolgeklausel (der die Beklagte zustimmt) nicht ersichtlich. Denn die gemeinsamen Kinder der Streitteile sind einschlägig ausgebildet und auch bereit, das von der Gesellschaft betriebene Unternehmen fortzuführen. Ein erfolgreicher weiterer Betrieb durch die gemeinsamen Kinder der Streitteile scheint daher aus derzeitiger Sicht nicht weniger wahrscheinlich als durch die nunmehrige Ehefrau des Klägers und/oder (später) deren Tochter (deren Eignung und Bereitschaft überdies nicht feststeht und wohl aufgrund ihres Alters noch gar nicht ausreichend beurteilt werden kann).
[56] Dem Kläger geht es mit seinen Begehren gerade nicht (primär) um das Gesellschaftsinteresse, sondern um sein eigenes, nämlich dass er seine nunmehrige Ehefrau und seine Tochter aus dieser Ehe versorgt wissen will. Zwar könnte nach Appl (aaO) das überwiegende Interesse eines Gesellschafters eine Zustimmungspflicht begründen. Hier steht aber der nicht bloß unerhebliche Nachteil der Beklagten, durch die Gesellschaftsvertragsänderung ihre Kinder de facto von der Nachfolge (als Komplementäre) in der Gesellschaft ausschließen und gegebenenfalls nach dem Tod des Klägers die Gesellschaft (statt mit ihren Kindern) mit der zweiten Ehefrau des Klägers und/oder deren Tochter als Komplementärin(nen) fortsetzen zu müssen, einer solchen Zustimmungspflicht entgegen.
[57] 2.5. Ob eine Zustimmungspflicht der Beklagten dahin besteht, in eine Fortsetzungs- und Nachfolgeklausel (nur) mit den gemeinsamen Kindern der Streitteile einzuwilligen, muss nicht geprüft werden, zumal die Bereitschaft der Beklagten dazu ohnehin feststeht. Eine Verurteilung der Beklagten dazu kommt jedoch nicht in Betracht, weil der Kläger dies nicht begehrt hat. Ein derartiger Zuspruch könnte auch nicht als bloßes minus gegenüber den Einwilligungsklagebegehren verstanden werden, stünde diese Einschränkung doch diametral im Gegensatz zu der vom Kläger gewollten Freiheit bei der Auswahl der nachfolgeberechtigten Personen im Rahmen seiner Testierfreiheit.
3. und 4. ...
Anmerkung:
1. Einleitung
Der OGH setzt sich im vorliegenden Fall mit der Auslegung eines Gesellschaftsvertrages in einem typischen Familienunternehmen in der Rechtsform einer KG auseinander. Im Fokus der Entscheidung steht die Unternehmensnachfolge mit Kindern aus zwei Ehen. Die Streitteile gehören einer Hoteliersfamilie in einem Skiort am Arlberg an. Der Ehemann und Kläger gründete gemeinsam mit seinem
Vater während aufrechter erster Ehe mit der Beklagten eine OG zum Betrieb eines Hotels und weiterer anliegender Dienstleistungen. Die Ehefrau war bei der Gründung nicht beteiligt, ihr Gatte schenkte ihr aber in der Folge einen Anteil als Kommanditanteil im Ausmaß von 10%. Somit wurde anlässlich der schenkungsweisen Übertragung die OG in eine KG umgewandelt. Kurze Zeit später übertrug der Vater seinen Hälfteanteil an den Kläger, der seither 90% der Anteile als Komplementär (vormals OG-Gesellschafter) hält. Die erste Ehe scheiterte. Der Mann heiratete ein zweites Mal und ist Vater einer weiteren Tochter. Während die beiden Kinder aus erster Ehe zunächst im Betrieb mitarbeiten durften, einschlägige Ausbildungen absolvierten und eigenständig wichtige Aufgaben im Unternehmen erfüllten, kündigte sie der Vater später und richtete die Nachfolge auf seine Tochter aus der zweiten Ehe aus.
2. Rechtsfragen
Ausgangspunkt des Verfahrens war der Wunsch des Mannes, seiner zweiten Frau bzw deren gemeinsamer Tochter seinen Anteil an der Gesellschaft letztwillig zuzuwenden, um diese zu versorgen und den Bestand der Gesellschaft abzusichern. Die Kinder aus erster Ehe seien seiner Ansicht nach hingegen unfähig, den Betrieb weiterzuführen. Strittig war daher, ob und gegebenenfalls mit welchem Inhalt eine Nachfolgeregelung Bestandteil des Gesellschaftsvertrages geworden war. Der Kläger und sein Vater trafen anlässlich der Gründung weder eine schriftliche noch eine mündliche Regelung über das Schicksal der Gesellschaft beim Ableben eines Gesellschafters. Eine Auflösung aufgrund der dispositiven Rechtslage war für sie aber jedenfalls unerwünscht, sodass die Gründer bei deren Kenntnis eine vertragliche Vorkehrung zur Sicherung des Bestands der Gesellschaft getroffen hätten. Auch anlässlich des Eintritts der ersten Ehefrau des Klägers wurde – abgesehen von der Umwandlung der OG in eine KG – keine eindeutige Regelung vereinbart. Der Mann begehrte nunmehr gegen seine Ex-Frau und Mitgesellschafterin die Feststellung, der Gesellschaftsvertrag enthalte eine qualifizierte Nachfolgeklausel zugunsten der Mitglieder seiner neuen Familie (Ehefrau bzw zumindest Tochter aus zweiter Ehe). Diese hätte es ihm gestattet, seine Testierfreiheit in der Folge umfassend auszuüben. Hilfsweise forderte er die Zustimmung seiner ersten Frau zu einer Änderung des Gesellschaftsvertrages mit ebendiesem Inhalt. Die Mitgesellschafterin lehnte eine Fortführung der Gesellschaft mit Mitgliedern der neuen Familie ab, einer Einschränkung der möglichen Nachfolger auf die gemeinsamen Kinder aus erster Ehe würde sie hingegen zustimmen.
3. Lösung des OGH
Für die Auslegung von Personengesellschaftsverträgen wendet das Höchstgericht iS seiner stRspr §914 ABGB an, sodass es auch mangels einer ausdrücklichen Regelung auf den übereinstimmenden Parteiwillen ankommt. Diese subjektive Auslegungsmethode wandelt sich zu einer objektiven Auslegungsmethode, sofern es zu einem Wechsel im Mitgliederbestand kommt, weil dem neuen Gesellschafter üblicherweise nur die Erklärungstatbestände, auf denen die Gesellschaft beruht, als Vertrauensgrundlage zur Verfügung stehen. Nur wenn der Neugesellschafter einen abweichenden Parteiwillen der Altgesellschafter kannte und diesem (zumindest konkludent) zustimmt, ist er für ihn verbindlich. Eine solche Zustimmung der Beklagten war im vorliegenden Fall zu keiner der vom Kläger begehrten Nachfolgeregelungen zu erkennen, sodass das Feststellungsbegehren des Mannes unberechtigt war.
Auch sein Leistungsbegehren auf Zustimmung zu einer Änderung des Gesellschaftsvertrages scheiterte: Hierzu prüfte der OGH, ob eine Anpassung auf Grundlage der Treuepflicht der Mitgesellschafterin geboten ist, wobei er iSd hL einerseits auf das Interesse der Gesellschaft an der angestrebten Änderung, andererseits auf die Zumutbarkeit für den zustimmungspflichten Gesellschafter abstellte. Eine offenere Nachfolgeklausel bedeute im konkreten Fall jedoch für die Gesellschaft keinen besonderen Vorteil, da die Kinder aus erster Ehe qualifiziert und willens wären, das Unternehmen weiterzuführen. Auch das Interesse des Mannes an der Versorgung seiner neuen Familie könne nach Ansicht des OGH die angestrebte Änderung nicht rechtfertigen, da diesem das gewichtige Interesse der Ex-Frau entgegenstünde, ihren eigenen Kindern den Eintritt als
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Judikatur
Komplementäre in die Gesellschaft zu ermöglichen sowie eine Fortsetzung mit der neuen Familie des Mannes zu verhindern.
4. Weiterführende Überlegungen
Der Entscheidung des OGH ist im Ergebnis zuzustimmen. Fraglich ist, ob der Begründungsweg methodisch überzeugend ist. Der Gesellschaftsvertrag einer eingetragenen Personengesellschaft kann sowohl schriftlich als auch mündlich abgeschlossen werden (zur OG Schauer in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht2 [2017] Rz2/346; zur KG Schörghofer in Kalss/Nowotny/ Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz2/886). Der OGH diskutiert eingehend das Verhältnis zwischen einer ausdrücklichen Erklärung und einem davon abweichenden Parteiwillen der Gründungsgesellschafter für die Auslegung des Gesellschaftsvertrages. Typischerweise sind damit Fälle angesprochen, bei denen es einen schriftlichen Gesellschaftsvertrag gibt, dessen Wortlaut mit dem übereinstimmenden Willen der Gründer in Widerspruch steht oder diesen nur unzureichend abbildet. Wille und Erklärung sind also nicht deckungsgleich. Im vorliegenden Sachverhalt überrascht diese Bezugnahme, da es für den Fall des Ablebens eines Gesellschafters weder einen gemeinsamen Parteiwillen der Gründungsgesellschafter noch einen sonstigen ausdrücklichen Erklärungstatbestand gab. Die Betonung, dass ein von der ausdrücklichen Erklärung abweichender Parteiwille der Kenntnis und Zustimmung des Neugesellschafters bedarf, ist daher allgemein zutreffend (idS bereits Schauer in Kalss/ Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz2/345; Artmann in Artmann, UGB I3 [2019] §105 Rz56a).
Daraus ist für die konkrete Falllösung jedoch nichts zu gewinnen: Im Gesellschaftsvertrag besteht hinsichtlich der Nachfolgeregelung nämlich schlicht eine Vertragslücke. Dieser Ansicht scheint der OGH dann doch anzuhängen, da er die ergänzende Vertragsauslegung der Vorinstanzen – nicht im Ergebnis, aber zumindest hinsichtlich des methodischen Vorgehens – ausdrücklich billigt. Der OGH prüft anschließend, ob die Beklagte einem hypothetischen Parteiwillen der Gründungsgesellschafter bei ihrem Eintritt ausdrücklich oder konkludent zugestimmt hat (und verneint diese Frage; siehe Rn 46 der vorliegenden Entscheidung). Dieser Prüfschritt ist bemerkenswert, handelt es sich bei der Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens doch um eine Methode zur Lückenfüllung im vertraglichen Bereich. Dabei ist zu fragen, was redliche und vernünftige Parteien in dieser Situation bei Kenntnis aller Umstände vereinbart hätten (Artmann, Die Auslegung von Personengesellschaftsverträgen, einschließlich Syndikatsverträgen, in Artmann/ Rüffler/U. Torggler, Die Verbandsverfassung [2013] 23 [27]). Die dadurch gewonnenen Rechtsfolgen beruhen aber gerade nicht unmittelbar auf dem übereinstimmenden Willen der Parteien eines Rechtsgeschäfts (Vonkilch in Klang, ABGB3, §914 Rz103). Wie kann ein beitretender Neugesellschafter also von einem hypothetischen Willen Kenntnis erlangen, den noch nicht einmal die ursprünglichen Vertragsparteien selbst gebildet und geteilt haben? Dessen Inhalt wird idR erst anlässlich eines in Zukunft auftretenden Problemfalls ermittelt.
Dass für den Lückenbereich nicht das dispositive Recht zur Anwendung kommt, ist zutreffend: Im konkreten Fall ergibt sich dieses Ergebnis folgerichtig aus dem Charakter der Gesellschaft als Familienunternehmen, das typischerweise langfristig in der Familie weitergegeben und beim Ableben eines Gesellschafters gerade nicht aufgelöst werden soll (vgl zum Vorrang der ergänzenden Auslegung bei Gesellschaftsverträgen Vonkilch in Klang, ABGB3, §914 Rz319). Die Anwendung des dispositiven Rechts würde hingegen zu einem wertungsmäßig unbefriedigenden und nicht gewollten Ergebnis führen (siehe dazu Artmann, Auslegung, 27 und 30).
Nicht diskutiert wurde vom OGH die Überlegung, dass der Gesellschaftsvertrag durch die aktuellen Gesellschafter im Laufe ihres Zusammenwirkens geändert worden sein könnte. Änderungen des Gesellschaftsvertrages sind bei eingetragenen Personengesellschaften formfrei möglich (Schauer in Kalss/Nowotny/Schauer, Gesellschaftsrecht2, Rz2/346). Selbst konkludente Vertragsänderungen sind möglich (Koppensteiner, Zur Auslegung von Gesellschaftsverträgen und Satzungen, GesRZ2022, 117 [123]), wenn eine vom Gesellschaftsvertrag abweichende Praxis über längere Zeit einvernehmlich gelebt wird (Artmann in Artmann, UGB I3, §105 Rz76).
Für den vorliegenden Fall erscheint dies durchaus naheliegend: Die Ehegatten investierten über mehrere Jahrzehnte hinweg ihre Anstrengungen in den Betrieb, die Frau besorgte daneben Leistungen bei der Erziehung der gemeinsamen Kinder und der Organisation der Familie (Familienarbeit bzw care work). Die spätere Übernahme des Betriebs durch die Kinder wurde nach den Feststellungen des Gerichts von den Streitteilen immer wieder besprochen und geplant, wenn auch ohne eine unmissverständliche Regelung zu schaffen. Auch die Geschwister richteten ihre Lebensplanung und ihr berufliches Fortkommen ganz eindeutig in diese Richtung aus.
Im Lichte dieser vielfältigen Leistungen und den damit geschaffenen gegenseitigen Erwartungshaltungen über einen Zeitraum von mindestens 20 Jahren liegt die konkludente Vereinbarung einer entsprechenden einschränkenden Nachfolgeklausel zugunsten der Kinder aus erster Ehe deutlich näher als eine Ausdehnung auf sämtliche Nachkommen des Mannes. Dass ein durch faktische Übung geschaffener Vertrauenstatbestand unter Gesellschaftern rechtliche Bindungen nach sich ziehen kann (nicht nur im Lückenbereich, sondern sogar gegen den klaren Vertragswortlaut), wurde jüngst auch bei der Auslegung der Satzung einer juristischen Person anerkannt (OGH 18.2.2021, 6 Ob 155/20t; siehe dazu ausführlich Kraus, Keine Berufung auf die objektive Auslegung des Gesellschaftsvertrags!? JBl 2022, 341 [346ff]; Natlacen, Das Verhältnis zwischen Syndikat und Hauptgesellschaft [Dissertation, Wirtschaftsuniversität Wien 2022] 89; dies, GesRZ2022, 302).
Veronika Kubasta
Veronika Kubasta, LL.M. (WU), BSc. (WU) ist Universitätsassistentin am Institut für Unternehmensrecht der Wirtschaftsuniversität Wien.
Auslegung des Gesellschaftsvertrages einer stillen Gesellschaft
§914 ABGB
1. Die stille Gesellschaft ist eine Personengesellschaft in Form einer reinen Innengesellschaft. Sie bedarf als solche zu ihrer Begründung zwar eines Gesellschaftsvertrages, dieser kann aber formfrei und auch schlüssig abgeschlossen werden.
2. Die Auslegung des behaupteten Gesellschaftsvertrages einer stillen Gesellschaft unterliegt §914 ABGB. Der Wortlaut der schriftlichen Vereinbarung wäre nur dann allein maßgeblich, wenn dazu nicht eine abweichende Absicht der Parteien festgestellt worden wäre.
OGH 17.2.2023, 6 Ob 11/23w (OLG Wien 5 R 28/22g; HG Wien 56 Cg 58/20b)
Kapitalgesellschaften
Einlagenrückgewähr im Einzelfall verneint §§82 und 83 GmbHG
Wenn eine GmbH, die (aus betrieblichen Gründen) einen notleidend gewordenen Kredit eines Dritten, für den weder die GmbH noch ihr mittelbarer Gesellschafter haften, zurückgezahlt hat, ist die Ansicht vertretbar, es liege in dieser Zahlung keine verbotene Einlagenrückgewähr an den mittelbaren Gesellschafter vor, auch wenn dieser mittelbare Gesellschafter den dritten Kreditnehmer als vertrauenswürdigen Geschäftsmann empfohlen hatte.
OGH 29.8.2022, 6 Ob 234/21m (OLG Linz 6 R 136/21v; LG Wels 6 Cg 22/18v)
3/2023 191 Judikatur
*
[1] Die (insolvente) Gesellschaft, deren Masseverwalter der Kläger ist, war operative Kerngesellschaft einer Unternehmensgruppe. Der Beklagte war Minderheitsgesellschafter (13,5%) und Aufsichtsratsmitglied einer GmbH, die die Mehrheit der GmbH-Anteile an der Mehrheitsgesellschafterin der Gesellschaft hielt. An der Konzernspitze stand eine ausländische Holding-Gesellschaft.
[2] Eine Hausbank der Gesellschaft, die diese mit mehreren hundert Mio € Kreditvolumen finanzierte, gewährte einem Unternehmer, den ihr der Beklagte als vertrauenswürdigen Geschäftsmann empfohlen hatte, einen Kredit über 1Mio€. Die Empfehlung erfolgte, weil seitens der Gesellschaft ein generelles Interesse bestand, mit dem Unternehmer eine Geschäftsbeziehung aufzubauen. Für diesen Kredit übernahmen weder die Gesellschaft oder ein Konzernunternehmen noch der Beklagte Haftungen. Als der dem Unternehmer gewährte Kredit notleidend wurde, wollte die Bank, dass die Gesellschaft und/oder der Beklagte die Haftung für diesen Kredit übernehmen. Der Beklagte lehnte eine eigene Haftungsübernahme ab. Aufgrund entsprechender Willensbildung in der Konzernleitung deckte die Gesellschaft den Kredit des Unternehmers trotz ihrer fehlenden Haftung durch Zahlung an die Bank ab, weil sie weiterhin von der Bank finanziert werden bzw eine Verschlechterung der Kreditkonditionen bei den bevorstehenden Neuverhandlungen ihrer Finanzierungsverträge mit der Bank verhindern wollte. Der Beklagte konnte hinsichtlich dieser von der Konzernleitung getroffenen Entscheidung keine Anweisung an die Gesellschaft erteilen. Die Zahlung hatte nicht den Zweck, den Beklagten aus einer „ungünstigen Lage“ zu befreien.
[3] Die Vorinstanzen wiesen die (ua) auf das Vorliegen einer verbotenen Einlagenrückgewähr gestützte Klage des Masseverwalters der Gesellschaft auf Zahlung des an die Hausbank bezahlten Betrags ab.
Der OGH wies die außerordentliche Revision des Klägers zurück.
Aus der Begründung des OGH:
[5] 1. Nach gefestigter Rspr statuiert §82 Abs1 GmbHG nicht nur einen Schutz der Kapitaleinlagen, sondern eine umfassende Vermögensbindung. Unzulässig ist jeder Vermögenstransfer von der Gesellschaft zum Gesellschafter in Vertragsform oder auf andere Weise, die den Gesellschafter aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses zulasten des gemeinsamen Sondervermögens bevorteilt (RIS-Justiz RS0105540 [T6]), ausgenommen solche in Erfüllung des Dividendenanspruchs (Gewinnverwendung) sowie sonstiger gesetzlich zugelassener Ausnahmefälle und Leistungen auf der Grundlage fremdüblicher Austauschgeschäfte (6 Ob 71/21s, Pkt4.1.; 6 Ob 26/21y, Pkt3.2.; 6 Ob 195/18x, Pkt1.).
[6] 2. Normadressaten des in §82 GmbHG enthaltenen Verbots der Einlagenrückgewähr sind grundsätzlich die Gesellschaft und die Gesellschafter. Darüber hinaus sind in bestimmten Fällen Leistungen an Dritte einem Gesellschafter zuzurechnen, und zwar etwa dann, wenn die Leistung an den Dritten zugleich eine Leistung an den Gesellschafter darstellt oder der Dritte eine Stellung einnimmt, die jener eines Gesellschafters gleichkommt. Jedenfalls darunter fallen Leistungen an Dritte, die vom wirtschaftlichen Ergebnis her gesehen dem Gesellschafter zugutekommen (6 Ob 89/21p, Pkt4.1.; 6Ob 71/21s, Pkt4.1.; 6 Ob 14/14y), so etwa auf Veranlassung eines Gesellschafters vorgenommene Zuwendungen der Gesellschaft an einen dem Gesellschafter nahestehenden Dritten (6 Ob 195/18x, Pkt2.2. [nahe Angehörige]; RIS-Justiz RS0105518 [T1]).
[7] Der OGH hat überdies einen Rückgewähranspruch nach §83 Abs1 GmbHG gegen einen begünstigten mittel-
baren Gesellschafter und wirtschaftlichen Alleineigentümer einer Gesellschaft bejaht, dem deren Zahlung an eine Bank wirtschaftlich zugutekam, weil er dadurch von seiner sonst schlagend werdenden Bürgenhaftung befreit wurde (6 Ob 21/20m, Pkt5.; vgl 6 Ob 89/21p, Pkt4.3.).
[8] 3. Das Berufungsgericht war der Ansicht, den Feststellungen lasse sich ein Vermögenstransfer von der Gesellschaft an den Beklagten durch die erfolgte Zahlung an die Bank nicht entnehmen. Der ins Treffen geführte bloße Umstand, dass der Beklagte von der „Last“ befreit worden sei, eine unberechtigte Forderung der Bank „abzuwehren“, genüge nicht. Mit seiner Behauptung, der Beklagte sei mit einer „begründeten Zahlungsaufforderung“ konfrontiert gewesen, weiche der Kläger überdies vom Sachverhalt ab.
[9] Darin ist weder eine im Einzelfall durch den OGH korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zu erblicken noch ein Abgehen von der E 6 Ob 21/20m. Wie dargelegt, wurde nach dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt der mittelbare Gesellschafter durch die Zahlung von seiner (sonst schlagend werdenden) Bürgenhaftung befreit. Welcher Vermögenstransfer von der Gesellschaft zum Beklagten im vorliegenden Fall stattgefunden haben soll, vermag die Revision nicht nachvollziehbar darzulegen.
[10] 4. Der Beklagte war weder Gesellschafter noch wurde nach den Feststellungen die Zahlung an die Bank aus „gesellschaftsfremder Motivation“ geleistet. Vielmehr lag eine Geschäftsführungsmaßnahme der Gesellschaft vor. Mit ihren diesbezüglichen nicht vom Sachverhalt ausgehenden Ausführungen wirft die Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf.
[11] 5. Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts, das darin keine unzulässige Einlagenrückgewähr an den Beklagten erblickte, kann die Revision auch mit ihrem Hinweis, dass der Beklagte durch sein Verhalten bei der Kreditvergabe an den Unternehmer diese „unmögliche Situation“ für die Gesellschaft geschaffen habe, nicht darlegen.
6. ...
Anmerkung:
Gegenständlich unterstützte ein Gesellschafter im Gesellschaftsinteresse einen potenziellen Geschäftspartner der Gesellschaft bei der Kreditaufnahme bei der Hausbank der Gesellschaft. Nachdem der Kredit, für den weder Gesellschafter noch Gesellschaft hafteten, notleidend wurde, beglich die Gesellschaft die aushaftende Kreditvaluta, um die Geschäftsbeziehung zur Hausbank nicht zu belasten. Im Verfahren des Masseverwalters der insolventen Gesellschaft gegen den Gesellschafter auf Zahlung der beglichenen Kreditvaluta verneinten alle drei Instanzen einen Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr.
Der Entscheidung ist im Ergebnis aus folgenden (ergänzenden) Erwägungen zuzustimmen:
Leistungen an gesellschaftsfremde Dritte können nach stRspr insb dann dem Gesellschafter zugerechnet werden, wenn sie dieser 1.) veranlasst hat (Leitentscheidung OGH 20.1.2000, 6 Ob 288/99t = RIS-Justiz RS0105518 [T1]; weiters OGH 14.9.2011, 6 Ob 29/11z) oder sie ihm 2.) sonst wirtschaftlich zugutekommen (OGH 15.12.2014, 6 Ob 14/14y = RIS-Justiz RS0129849; ausführlich Köppl in U. Torggler, GmbHG [2014] §82 Rz12 und 15ff).
Ad 1.): Der Annahme einer „Veranlassung“ durch den Gesellschafter stand – bei Anknüpfung an der Unterstützung bei der Kreditaufnahme (vgl auch OGH 25.6.1996, 4 Ob 2078/96h; 20.3.2013, 6Ob 48/12w) ebenso wie bei Anknüpfung erst am tatsächlichen Mittelabfluss (Zahlung einer Nichtschuld der Gesellschaft) – ent-
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Judikatur
gegen, dass beides im Gesellschaftsinteresse erfolgte; der Anknüpfung am Mittelabfluss darüber hinaus, dass der Gesellschafter an dieser Entscheidung nicht beteiligt war.
Ad 2.): Eine Zurechnung kraft Vorliegens eines sonstigen (indirekten) wirtschaftlichen Vorteils verwarf das Berufungsgericht (bestätigt durch den OGH) bereits insofern, als die Befreiung von der Last der Abwendung unberechtigter Forderungen hierfür nicht ausreiche. Darüber hinaus ist mE aber bereits die Eignung der bloßen (indirekten) Vorteilhaftigkeit als Zurechnungsgrund bei Zahlungen an echte Dritte (dh keine familia suspecta, keine verbundenen Unternehmen) zweifelhaft: Vielmehr muss (ausführlich bereits H. Hayden/T. Hayden/Thorbauer, Gequälte Suche nach der fremdüblichen Miethöhe bei Luxusimmobilien (Teil II), RdW 2023, 140 [147f]) die Gesellschaft – fehlende betriebliche Rechtfertigung vorausgesetzt – eine (zumindest mittelbare) Konnexität zur Gesellschaftersphäre behaupten und beweisen (vgl zur Beweislast zuletzt auch OGH 24.8.2022, 7 Ob 99/22t), namentlich insb eine Veranlassung durch den Gesellschafter oder dass die Zahlung zumindest Teil eines gemeinsam mit den Leitungsorganen verfolgten Gesamtplans war (vgl dazu etwa RIS-Justiz RS0120438; OGH 1.12.2005, 6 Ob 271/05d; 29.9.2010, 7 Ob 35/10p; RIS-Justiz RS0105540). Ansonsten drohe bei Geschäften im bloßen Interesse des Gesellschafters ohne weiteres Zutun, dh gleichsam bei vorauseilendem Gehorsam des Geschäftsführers, eine sachlich nicht gerechtfertigte (Dritt-)Belastung des Gesellschafters. Dieser würde Gefahr laufen, sich eine Zuwendung aufdrängen lassen zu müssen, die er unter Umständen nach seinen persönlichen Verhältnissen als Nachteil empfindet (vgl zur diesbezüglichen gesetzgeberischen Ablehnung §1037 ABGB; H. Hayden/T. Hayden/Thorbauer, RdW 2023, 147).
Helene Hayden
Dr. Helene Hayden ist wissenschaftliche Projektmitarbeiterin (post doc) am Institut für Wirtschafts- und Unternehmensrecht der Universität Wien und Richterin des HG Wien, derzeit dienstzugeteilt im Evidenzbüro des OGH.
Auslegung eines GmbH-Gesellschaftsvertrages: Entsendungs- oder Nominierungsrecht
§§15, 30b, 30c und §50 Abs4 GmbHG
Die Auslegung der Gesellschaftsvertragsklausel, ein Gesellschafter habe „das Recht auf Bestellung eines Geschäftsführers (Sonderrecht gemäß §50 Abs4 GmbHG)“, räume dem Gesellschafter ein (bloßes) Nominierungsrecht und kein Entsendungsrecht ein, ist vertretbar.
OGH 18.11.2022, 6 Ob 42/22b (OLG Wien 5 R 185/21v; HG Wien 22 Cg 19/21v)
Der OGH wies die Revisionen der Klägerin und des Einschreiters zurück.
Aus der Begründung des OGH:
1. ...
mehrere Geschäftsführer bestellt sind, wird das Vertretungsrecht durch Gesellschafterbeschluss geregelt. Die Vertretung der Gesellschaft durch einen Geschäftsführer gemeinsam mit einem Gesamtprokuristen ist zulässig.“
[5] 2.1. Im vorliegenden Verfahren ist im Kern strittig, ob das in §5 Z1 der Errichtungserklärung der Klägerin eingeräumte Recht auf Bestellung eines Geschäftsführers ein Entsendungsrecht oder ein (bloßes) Nominierungsrecht ist. Im ersten Fall bedürfte es zur wirksamen Bestellung einer Person zum Geschäftsführer zusätzlich zum Bestellungsakt der Klägerin keiner weiteren Rechtsakte der anderen Gesellschafter, der Gesellschafterversammlung oder der beklagten Gesellschaft. Im zweiten Fall bedürfte es hingegen noch der Beschlussfassung durch die Gesellschafter, wobei diese verpflichtet wären, für die Bestellung der nominierten Person zu stimmen, sofern nicht wichtige Gründe dem entgegenstehen (vgl 6 Ob 183/18g, Pkt2.8.).
[6] 2.2. Das Berufungsgericht führte aus, nach hL und Hinweisen in der oberstgerichtlichen Rspr spreche viel dafür, dass einem Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag das Recht auf Entsendung eines Geschäftsführers eingeräumt werden könne. Eine abschließende Beurteilung sei aber nicht erforderlich, weil die vorliegende Vertragsklausel als bloßes Nominierungsrecht anzusehen sei:
[4]
2. An der beklagten GmbH ist die Klägerin mit einem Geschäftsanteil von 23,41% beteiligt.
Die Errichtungserklärung der Beklagten enthält ua folgende Bestimmung:
„§5. Geschäftsführer
1. Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer. Für die Dauer ihrer Beteiligung als Gesellschafterin hat die ... [nunmehr: Klägerin] das Recht auf Bestellung eines Geschäftsführers (Sonderrecht gemäß §50 Abs4 GmbHG).
2. Die Gesellschaft wird, wenn nur ein Geschäftsführer bestellt ist, durch diesen selbständig vertreten. Wenn zwei oder
[7] Das gesellschaftsvertraglich vorgesehene „Recht auf Bestellung eines Geschäftsführers“ lasse nach seinem Wortlaut offen, ob ein Entsendungsrecht (Recht auf unmittelbare Bestellung ohne Mitwirkung der Generalversammlung) oder ein Nominierungsrecht (Recht auf Bestellung des Namhaftgemachten durch die Generalversammlung bei Nichtvorliegen wichtiger entgegenstehender Gründe) gemeint ist. Im Rahmen der Beurteilung, ob überhaupt ein Sonderrecht eingeräumt wurde, werde eine ausdrückliche Regelung gefordert, sodass im Zweifel nicht von der Einräumung eines Sonderrechts auszugehen sei. Diese Zweifelsregel habe aber nicht nur für das Bestehen, sondern auch für den Umfang des – hier aufgrund der Bezugnahme auf §50 Abs4 GmbHG unzweifelhaft eingeräumten – Sonderrechts auf Bestellung eines Geschäftsführers zu gelten. Ausnahmebestimmungen seien im Allgemeinen eng und nicht extensiv auszulegen. Überdies verbleibe die Kompetenz zur Regelung der Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers der Generalversammlung, sodass auch ein Verbleib der endgültigen Bestellungskompetenz zur Vermeidung eines Auseinanderfallens der Kompetenzbereiche praktikabel erscheine. Auch das GmbHG unterscheide im Rahmen der aufsichtsratsrechtlichen Bestimmungen zwischen den Begriffen „Bestellung“ bzw „Wahl“ durch die Gesellschafter (§30b GmbHG) einerseits und „Entsendung“ (§30c GmbHG) durch bestimmte Gesellschafter andererseits. Die in der Errichtungserklärung vorgesehene Einräumung eines Rechts auf Bestellung eines Geschäftsführers lege daher bei Anwendung des im GmbHG selbst verankerten Begriffsverständnisses eine (mangels Vorliegens wichtiger entgegenstehender Gründe verpflichtende) Bestellung durch die Generalversammlung aufgrund einer Nominierung des Berechtigten und keine Kompetenzverschiebung nahe. Auch die geringere Einschränkung der Rechte der anderen Gesellschafter (Rederecht in der Generalversammlung, Anfechtungsrecht)
3/2023 193 Judikatur
*
spreche für die Annahme eines „bloßen“ Nominierungsrechts verbunden mit der Verpflichtung der übrigen Gesellschafter, für die Bestellung der nominierten Person zu stimmen, sofern nicht wichtige Gründe dem entgegenstünden. Aus den von der Klägerin angeführten Entscheidungen des OGH (6 Ob 22/21k; 6 Ob 38/21p; 6 Ob 39/21k) sei für ihren Standpunkt nichts gewonnen, weil es dort nicht um die Auslegung der Errichtungserklärung gegangen sei. Aus §15 Abs3 GmbHG sei ebenfalls nichts zugunsten des Rechtsstandpunktes der Klägerin abzuleiten. Selbst wenn man darin die gesetzliche Grundlage für die gesellschaftsvertragliche Einräumung auch eines Entsendungsrechts zugunsten einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft erblicke, sage dies noch nichts darüber aus, ob ein auf dieser gesetzlichen Grundlage fußender konkreter Gesellschaftsvertrag auch ein solches Entsendungsrecht oder ein bloßes Nominierungsrecht vorsieht.
[8] 3. Die objektive Vertragsauslegung stellt zwar eine (revisible) Rechtsfrage dar. Ihr kommt aber im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (vgl RIS-Justiz RS0113785; RS0042936; RS0042776), es sei denn, die Entscheidungen der Vorinstanzen beruhten auf einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage, sodass die Revision aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit für zulässig zu erachten wäre (RIS-Justiz RS0042769). Steht die Vertragsauslegung durch die Vorinstanzen aber mit den Grundsätzen von Lehre und Rspr im Einklang, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, kommt doch der Beurteilung, ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, keine darüber hinausgehende Bedeutung zu (vgl RIS-Justiz RS0042776 [T27]; RS0042936 [T21] zur Geltung dieser Grundsätze auch für die Auslegung von [GmbH-]Gesellschaftsverträgen). Ob auch eine andere Auslegung vertretbar wäre, bildet keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0042776 [T2]; RS0042936 [T3]).
[9] Davon ausgehend zeigen die Revisionen keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.
[10] 3.1. Soweit die Klägerin darauf verweist, das OLG Wien sei als Rekursgericht im Firmenbuchverfahren (implizit) von einer wirksamen Bestellung des Einschreiters zum Geschäftsführer ausgegangen, so wirft die (allenfalls abweichende) Beurteilung von zweitinstanzlichen Gerichten (in anderen Verfahren) schon grundsätzlich keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.
[11] 3.2. Zu den (auch die Bestellung des hiesigen Einschreiters zum Geschäftsführer betreffenden) Entscheidungen 6 Ob 22/21k, 6 Ob 23/21g, 6 Ob 38/21p und 6 Ob 39/21k kann zunächst auf die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden. Im Übrigen ist in diesen Entscheidungen zwar vom „Entsendungsrecht“, vom „entsendungsberechtigten (Minderheits-)Gesellschafter“ und vom „entsendeten Geschäftsführer“ die Rede. In keiner dieser jeweils in Firmenbuchverfahren ergangenen Entscheidungen war jedoch das Bestehen eines Entsendungsrechts der Klägerin dieses Verfahrens entscheidungserheblich, waren doch die Rechtsmittel aus anderen Gründen (nämlich mangels – jedenfalls alleiniger – Anmelde- bzw Rechtsmittelbefugnis) erfolglos.
[12] 3.3. Die Klägerin meint, die aus dem Aktienrecht übernommenen Bestimmungen über den Aufsichtsrat (§§30b und 30c GmbHG), auf die sich das Berufungsgericht gestützt
habe, beträfen nicht die Geschäftsführer, bei denen das GmbHG mit „Bestellung“ stets auch die „Bestellung“ (durch Beschluss der Gesellschafter oder im Gesellschaftsvertrag [§15 Abs1 GmbHG] oder durch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft [§15 Abs3]) verstehe, sodass auch ein vertraglich eingeräumtes Recht auf „Bestellung“ nicht in ein Nominierungsrecht umgedeutet werden könne.
[13] Auch wenn das GmbHG möglicherweise für Geschäftsführer beim Begriff „Bestellung“ iSd Klägerin bereits den konstitutiven Rechtsakt erblickt, der keiner weiteren Voraussetzungen für die Wirksamkeit bedarf, wird anhand der einschlägigen Literatur deutlich, dass hinsichtlich gesellschaftsvertraglicher Regelungen (in Abweichung von gesetzlichen Dispositivregelungen) die Begriffe „Namhaftmachungsrecht“ bzw „Nominierungsrecht“ wie auch „Entsendungsrecht“ gebräuchlich sind (vgl nur Ratka/Völkl in Straube/Ratka/ Rauter, GmbHG, §15 Rz41; Rohregger/Kudrna in H. FoglarDeinhardstein/Aburumieh/Hoffenscher-Summer, GmbHG, §15 Rz23) und dass der demgegenüber allgemeine im Gesetz verwendete Begriff der Bestellung nicht ohne Weiteres zwingend darauf schließen lässt, welche „Bestellungsvariante“ (Entsendung ohne weitere Mitwirkung der übrigen Gesellschafter oder Namhaftmachung mit anschließendem [gebundenem] Bestellungsbeschluss, sofern nicht wichtige Gründe dagegensprechen) vereinbart wurde. Wenn hier im Vertrag gerade kein „Entsendungsrecht“, sondern ein „Recht auf Bestellung“, und auch nicht etwa ein „Recht, einen Geschäftsführer zu bestellen“, eingeräumt wurde, kann von einem „klaren und eindeutigen“ Wortlaut der Vertragsbestimmung und einer die Auslegungsregeln verletzenden „Umdeutung“ der Bestimmung durch das Berufungsgericht nicht gesprochen werden.
[14] 3.4. Der Umstand, dass der OGH in der E 6 Ob 22/21k keine Entwertung eines Entsendungsrechts durch eine bloße Gesamtvertretungsbefugnis des entsendeten Geschäftsführers annimmt, steht der Erwägung des Berufungsgerichts zur mangelnden Praktikabilität des Auseinanderfallens von Bestellungsbefugnis und Festlegung der Vertretungsbefugnis nicht entgegen.
3.5. und 3.6.
[17] 3.7. Bei der Beklagtenvertreterin liegen weder eine Doppelvertretung noch eine Vertretung einer Partei durch ihren Gegner (dazu Zib in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze II/13, §26 ZPO Rz66) vor. Die Mehrheitsgesellschafterin ist nicht Verfahrenspartei, weshalb eine Nichtigkeitssanktion der Beauftragung der Beklagtenvertreterin durch die Beklagte nicht ersichtlich ist. Ein Interessenkonflikt ist nicht objektiviert, weil die beklagte Gesellschaft offenkundig denselben Rechtsstandpunkt wie die Mehrheitsgesellschafterin vertritt.
Hinweis:
Gleichartig OGH 25.1.2023, 6 Ob 189/22w.
Anmerkung:
Im vorliegenden Beschluss, der eine außerordentliche Revision zurückweist, beschäftigt sich der OGH mit der Frage, ob eine bestimmte Formulierung über die Bestellung eines Geschäftsführers als Entsendungsrecht oder als schlichtes Nominierungsrecht zu qualifizieren war.
194 3/2023 Judikatur
Ursprünglich war nur die Gründergesellschafterin an der maßgeblichen Gesellschaft beteiligt. Sie errichtete die Gesellschaft mit einer Errichtungserklärung. Im Zeitpunkt des Konflikts und der nachfolgenden Klage war die Gründergesellschafterin nur mehr mit einem Geschäftsanteil von 23,41 % beteiligt. Der OGH hatte die Regelung auszulegen, wonach die Gründungsgesellschafterin „für die Dauer ihrer Beteiligung als Gesellschafterin ... das Recht auf Bestellung eines Geschäftsführers (Sonderrecht gemäß §50 Abs4 GmbHG)“ habe. Unter Betonung der objektiven Vertragsauslegung kommt der OGH in seiner Entscheidung zum Ergebnis, dass die Verwendung der Formulierung „Recht auf Bestellung eines Geschäftsführers“ nicht als konstitutiver Rechtsakt zu verstehem sei, sondern nur als Namhaftmachung und nachfolgende Bestellung durch Beschlussfassung durch die Generalversammlung und damit die Gesamtheit der Gesellschafter (Spendel, Nominierungs- oder Entsendungsrecht? RdW 2023, 92).
Das Auslegungsergebnis des OGH kraft objektiver Auslegung des Gesellschaftsvertrages mag mit dem äußersten Wortlaut noch vereinbar sein. Durch Auslegung wäre aber jedenfalls auch ein anderes Ergebnis möglich und im Lichte der vom OGH betonten objektiven Auslegung auch naheliegend gewesen.
Unter Heranziehung der objektiven Auslegung, somit der Auslegung der korporativen Regelungen nach deren Wortlaut und Zweck in ihrem systematischen Zusammenhang (siehe nur OGH 25.11.1997, 1 Ob 61/97w; 27.2.2013, 6 Ob 135/12i), kommt der OGH im vorliegenden Sachverhalt gerade entgegen einer am Wortlaut und am systematischen Zusammenhang orientierten Auslegung zu einem davon klar abweichenden Ergebnis.
Entscheidungserheblich war die Frage, ob die Formulierung „Recht auf Bestellung“ zugunsten eines Gesellschafters ein konstitutiver Rechtsakt ist oder nicht. Der Gesellschaftsvertrag verwendet die gleiche Formulierung wie sie in §15 Abs3 GmbHG steht. Nach der klaren Formulierung gem §15 Abs3 GmbHG kommt einer Gebietskörperschaft, auch wenn sie nicht Mehrheitsgesellschafterin oder überhaupt nicht Gesellschafterin ist, das Bestellungsrecht zu. Sie hat damit eine maßgebliche Einflussmöglichkeit auf die Geschäftsführerbestellung (N. Arnold/Pampel in Gruber/Harrer, GmbHG2 [2018] §15 Rz58). Völlig klar ist für diese Formulierung, dass es keiner Beschlussfassung durch die Generalversammlung bedarf (Ratka/Stöger/Straube/Völkl in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §15 Rz4; N. Arnold/Pampel in Gruber/Harrer, GmbHG2, §15 Rz38).
Der Begriff „Bestellung“ wird hier, dh in der nächstliegenden Bestimmung, somit in §15 Abs3 GmbHG, nicht als Vorschlag für eine nachfolgende Beschlussfassung, sondern als einseitiger Organkreationsakt verstanden.
Für die einseitige Bestellmöglichkeit sprechen auch Systematik und Zweck der Regelung. Die ehemalige einzige Gründungsgesellschafterin räumt sich das Recht auf Bestellung ein. Ausdrücklich spricht der OGH von „Errichtungserklärung“ und nicht von „Gesellschaftsvertrag“. Für den Fall der Alleineigentümerschaft bedarf es keiner Differenzierung, da in einer Einpersonengesellschaft ohnehin ein Beschluss der Generalversammlung nur in einer Erklärung des Alleingesellschafters besteht. Wird aber dennoch der Begriff „Bestellung“ verwendet, so ist darunter in Anlehnung an das Recht der öffentlichen Gebietskörperschaft auch ein einseitiger Organkreationsakt zu verstehen. Aus der Systematik wird deutlich, dass sich die ehemals einzige Gesellschafterin ein Minderheitsrecht mit einer unmittelbaren Einflussnahme einräumen wollte. Offensichtlich wollte sie sicherstellen, dass auch bei Eintritt neuer Gesellschafter (Investoren) und auch bei Verlust der Mehrheitsposition dieses Recht zugunsten des Gründungsgesellschafters bestehen soll. Auch für den Verlust der Mehrheit ist es naheliegend, dass er nicht von der Beschlussfassung durch die Mehrheitsgesellschafter abhängig sein wollte. Die systematische Einbettung spricht neben dem Wortlaut klar für das Verständnis, dass durch einseitigen Akt eines Gesellschafters ein Geschäftsführer kreiert werden kann, somit iSd vielfach entwendeten Entsendungsrechts.
Somit sind Wortlaut und Zweck der Regelung klar. Der OGH hat aber hier die wörtliche und systematisch sinnvolle Regelung nicht auf den konkreten Fall angewendet (kritisch auch Spendel, RdW 2023, 92ff).
Der OGH greift einfach beliebig einige beschreibende und erläuternde Literaturstellen heraus und überspringt die Auseinandersetzung mit dem Begriff „Bestellung“ gerade im ursprünglichen Sinn, wie er in §15 Abs3 GmbHG als einseitiger Kreationsakt verwendet wird.
Zwar überzeugt die Auslegung durch den OGH nicht, allerdings muss die Praxis in ihrer künftigen Vertragsgestaltung darauf Bedacht nehmen, um das vom OGH jedenfalls implizit anerkannte einseitige Bestellungsrecht iS eines Entsendungs- oder Organbestimmungsrechts durch einzelne Gesellschafter zu sichern.
Susanne Kalss
Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Susanne Kalss, LL.M. (Florenz) lehrt Unternehmens- und Zivilrecht
Zur Verjährung von Bereicherungsansprüchen für eine gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstoßende Gebrauchsüberlassung an einem Penthouse
§§82 und 83 GmbHG
§§877, 1041, 1478, 1479, 1480, §1486 Z1 und 4, §1494 ABGB
1. Der Rückforderungsanspruch nach §83 GmbHG konkurriert mit der Rückforderung von verbotswidrigen Leistungen nach allgemeinem Bereicherungsrecht (Fortschreibung der Rspr).
2. Die Privilegierung des Empfängers einer Leistung, der von deren Verbotswidrigkeit keine Kenntnis hat, in §83 Abs5 GmbHG schlägt nicht auf das allgemeine Bereicherungsrecht durch (Fortschreibung der Rspr).
3. Die jüngere Rspr verfolgt in Ansehung der Verjährung von Kondiktionsansprüchen einen differenzierenden Ansatz, dem zufolge die Verjährung analog nach der Art des Anspruchs zu beurteilen ist, an dessen Stelle die Kondiktion tritt.
4. Die für die erfolgte Gebrauchsüberlassung einer Liegenschaft (Penthouse samt Garten) geltend gemachten Kondiktionsansprüche nach §877 ABGB analog unterfallen der sinngemäß heranzuziehenden dreijährigen Verjährungsfrist des §1486 Z4 ABGB.
OGH 18.11.2022, 6 Ob 112/22x (OLG Wien 4 R 143/21k; HG Wien 27 Cg 81/17t)
[1] Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft, auf der sich ein Gebäude mit Penthouse und Garten (Wohnfläche 507 m2, Gartenfläche von 1.000 m2) befand. Die Beklagten nutzten dieses Penthouse samt Garten (auch in Bezug auf Betriebs- und Erhaltungskosten) seit 1992 kostenlos. Im Jahr 2009 schlossen die Streitteile darüber eine schriftliche Nutzungsvereinbarung ab, auf deren Grundlage im Jahr 2013 auch ein entsprechendes (unentgeltliches) Wohnungsgebrauchsrecht zugunsten der Beklagten verbüchert wurde. Im selben Jahr kam es bei der Klägerin zu einem Gesellschafterwechsel (die Gesellschaftsanteile des zuletzt über Stiftungen gehaltenen traditionsreichen Familienunternehmens wurden an eine AG verkauft). Mit Urteil des OGH vom 20.12.2018, 6 Ob 195/18x, wurde zwischen den Streitteilen die Nichtigkeit des Wohnungsgebrauchsrechts wegen Verstoßes gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften (§§82 und 83 GmbHG) ausgesprochen; die Beklagten wurden zur Räumung des Objekts verpflichtet.
[2] Die Klägerin begehrt mit ihrer am 5.12.2017 eingebrachten Klage insgesamt 3.063.690,88€ sA an Entgelt für die titellose Benützung des Penthouse seit Jänner 1993.
[3] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage der Verjährung dieses Anspruchs für die Zeit vom 1.1.1993 bis zum 30.11.2012.
3/2023 195 Judikatur
an der Wirtschaftsuniversität Wien und leitet das Institut für Unternehmensrecht.
*
[4] Die Klägerin hält auch die für diesen Zeitraum geltend gemachten Forderungen – sowohl nach §83 Abs5 GmbHG wie auch nach den allgemeinen Bestimmungen des ABGB – für nicht verjährt. Die Beklagten hätten als erfahrene, versierte Geschäftsleute Kenntnis davon gehabt, dass die unbeschränkte Dauer ihres Nutzungsrechts an der der Klägerin gehörenden luxuriösen Penthouse-Wohnung in einem Missverhältnis zu den von ihnen selbst erbrachten Leistungen stehe. Sie hätten gewusst, dass der Erhalt der von der Klägerin erbrachten Leistungen unrechtmäßig und daher sämtliche Nutzungsvereinbarungen zwischen ihnen und der Klägerin als gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstoßend nichtig seien. Wegen dieses wissentlichen Verstoßes der Beklagten verjähre der Rückforderungsanspruch erst binnen 30 Jahren. Zugleich bestehe ohnehin ein konkurrierender Anspruch auf Rückforderung verbotswidriger Leistungen nach allgemeinem Bereicherungsrecht, der ebenfalls der 30-jährigen Verjährung unterliege. Überdies sei die Verjährung gem §1494 ABGB bis zum 5.6.2013 gehemmt gewesen, sei doch aufgrund der bis dahin bestehenden Ausgestaltung der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse eine Interessenkollision aufseiten der Vertreter der Klägerin vorgelegen, aufgrund derer eine gesetzmäßige Wahrung ihrer Rechte nicht zu erwarten gewesen sei.
[5] Die Beklagten bestreiten – soweit im Revisionsverfahren von Relevanz (vgl RIS-Justiz RS0127852) –, die Widerrechtlichkeit der Annahme von iSd §§82 und 83 GmbHG verbotenen Leistungen gekannt zu haben. Weder „die Beteiligten“ noch ihre Rechtsberater seien jemals auf die Idee gekommen, es liege eine verbotene Leistung der Klägerin an die Beklagten vor. Abgesehen davon werde §83 Abs5 GmbHG durch die spezielleren Verjährungsnormen des §1480 und des §1486 Z4 ABGB verdrängt, die jeweils eine Dreijahresfrist vorsähen, sodass Verjährung bereits eingetreten sei.
[6] Das Erstgericht wies mit Teilurteil die Klageforderung für Benutzungsentgelt in Ansehung des (mehr als fünf Jahre vor Klagseinbringung liegenden) Zeitraums vom 1.1.1993 bis zum 30.11.2012 ab. Es traf über den eingangs (gerafft) wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch Feststellungen zur fehlenden Kenntnis der Beklagten und ihrer Berater über die Verbotswidrigkeit der unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung und folgerte daraus in rechtlicher Hinsicht, dass mangels Kenntnis der Beklagten von der Widerrechtlichkeit des eingeräumten Wohngebrauchsrechts alle Ansprüche, die mehr als fünf Jahre vor Klageerhebung zurückliegende Zeiträume beträfen, gem §83 Abs5 GmbHG verjährt seien. Soweit die Ansprüche nämlich auf allgemeines Bereicherungsrecht gestützt würden, sei die dreijährige Frist des §1486 Z1 ABGB, nicht aber die allgemeine 30-jährige Verjährungsfrist heranzuziehen.
[7] Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es mit Teilzwischenurteil nach §393a ZPO aussprach, der Klagsanspruch sei im Umfang des für den Zeitraum vom 1.1.1993 bis zum 30.11.2012 geltend gemachten Benützungsentgelts nicht verjährt. Den Urteilssachverhalt ließ es im Hinblick auf die von der Klägerin bekämpften erstgerichtlichen Feststellungen zur fehlenden Kenntnis der Beklagten und ihrer Berater von der Widerrechtlichkeit der Gebrauchsüberlassung offen, weil es meinte, es komme auf die für die Anwendbarkeit der langen Verjährungsfrist des §83 Abs5 GmbHG relevante Kenntnis der Beklagten von der Rechtswidrigkeit der mit der Klägerin entgegen den Kapitalerhaltungsvorschriften getroffenen Vereinbarungen gar nicht an, was auch für die Frage der Hemmung der Verjährung nach §1494 ABGB gelte. Der Rückforderungsanspruch nach §§82 und 83 GmbHG konkurriere mit der Rückforderung von verbotswidrigen Leistungen nach allgemeinem Bereicherungsrecht. Unter Verweis auf die E 5 Ob 212/10b hielt es fest, es sei die titellose (Weiter-)Benützung eines Bestandobjekts nicht einer Leistung bzw Lieferung in einem geschäftlichen Betrieb gleichzuhalten, weshalb die Benützungsentgelte für den Gebrauch beweglicher und unbeweglicher Sachen jedenfalls erst in 30 Jahren verjährten, nehme doch §1486 Z1 ABGB nur Bezug auf bewegliche Sachen. Ausgehend davon unterliege das begehrte Benützungsentgelt der 30-jährigen Verjährungsfrist.
Der OGH gab der Revision der Beklagten Folge, hob das Urteil des Berufungsgerichts auf und trug diesem eine neuerliche Entscheidung auf.
Aus der Begründung des OGH:
[12] 1. Ansprüche der Gesellschaft auf Rückersatz nach §83 Abs1 GmbHG verjähren gem Abs5 leg cit in fünf Jahren, sofern sie nicht beweist, dass der Ersatzpflichtige die Widerrechtlichkeit der Zahlung kannte.
[13] Nachdem das Berufungsgericht die (Negativ-)Feststellungen zur Kenntnis von der Verbotswidrigkeit der später als nichtig aufgehobenen unentgeltlichen Vereinbarung über das Wohnungsgebrauchsrecht (bisher) nicht übernahm, wäre betrachtet allein nach §83 Abs5 GmbHG – mangels Nachweises der Kenntnis der Ersatzpflichtigen von der Widerrechtlichkeit der Zahlung – der dem Berufungsurteil unterliegende Teil des Begehrens der Klägerin bereits verjährt.
[14] 2. Nach stRspr des Fachsenats konkurriert der Rückforderungsanspruch nach §83 GmbHG aber mit der Rückforderung von verbotswidrigen Leistungen nach allgemeinem Bereicherungsrecht. Die Privilegierung des Empfängers einer Leistung, der von deren Verbotswidrigkeit keine Kenntnis hat, in §83 Abs5 GmbHG schlägt nicht auf das allgemeine Bereicherungsrecht durch (vgl 6 Ob 110/12p; RIS-Justiz RS0128167). Käme auf den hier geltend gemachten Rückforderungsanspruch nach allgemeinen Bestimmungen eine Verjährungsfrist von 30 Jahren zur Anwendung und unterfiele er nicht unter einen besonderen gesetzlichen Tatbestand, der (auch nach allgemeinen Bestimmungen) eine kurze Verjährungsfrist vorsieht (weil die in §1478 Satz 2 und §1479 ABGB statuierte allgemeine Verjährungszeit nur Auffangcharakter hat [RIS-Justiz RS0086687]), wären die in der Berufung erhobene Beweisrüge und die Behandlung der Einwendung einer Hemmung der Verjährung analog §1494 ABGB tatsächlich nicht entscheidungsrelevant.
[15] 3. Der geltend gemachte Anspruch unterliegt aber entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts und der Beklagten –beurteilt nach den Verjährungsbestimmungen des ABGB –einer dreijährigen Verjährungsfrist:
[16] 3.1. Das Berufungsgericht setzt sich in seiner rechtlichen Beurteilung nur mit der Frage der im Ersturteil relevierten (sinngemäßen) Anwendbarkeit der Verjährungsnorm des §1486 Z1 ABGB, nicht aber mit der auch noch in der Berufungsbeantwortung aufrechterhaltenen Einrede der Beklagten auseinander, die geltend gemachten Bereicherungsansprüche verjährten unter Heranziehung der (besonderen) Verjährungsbestimmung des §1486 Z4 bzw des §1480 ABGB nicht in 30, sondern bereits in drei Jahren.
[17] Zugleich baut es seine rechtlichen Erwägungen, wie sich aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Entscheidung des OGH zu 5 Ob 212/10b (vgl Pkt10.) ergibt, erkennbar auf der Prämisse auf, dass es sich bei den von der Klägerin geltend gemachten Ansprüchen aus der titellosen Benützung der Wohnung, soweit sie auf allgemeines Bereicherungsrecht gestützt werden, um Verwendungsansprüche nach §1041 ABGB handelt. Auch die Beklagten gründen ihren Standpunkt, es käme die 30-jährige Verjährungsfrist zur Anwendung, auf die Anwendung von §1041 ABGB.
196 3/2023 Judikatur
[18] Wie in der Revision zutreffend aufgezeigt, lassen Berufungsgericht und die Beklagten dabei unberücksichtigt, dass die Gebrauchsüberlassung der Wohnung zugunsten der Beklagten eine bewusste und zweckgerichtete Vermögenszuwendung seitens der Klägerin, basierend auf einer zwischen den Streitteilen getroffenen – allerdings nichtigen – Nutzungsvereinbarung, darstellt, was zwingend zu einer Qualifikation des Rückforderungsanspruchs als Leistungskondiktion (konkret nach §877 ABGB analog; vgl dazu RIS-Justiz RS0016323 [T6 und T7]; Pletzer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03, §877 Rz6 mwN) und nicht als Verwendungsanspruch führt (siehe RIS-Justiz RS0020192; zur Subsidiarität des Verwendungsanspruchs gegenüber der Leistungskondiktion im zweipersonalen Verhältnis vgl etwa 8 Ob 94/13a).
[19] Auf Basis dieser unrichtigen Grundannahme gelangt das Berufungsgericht zum rechtlich unrichtigen Ergebnis, dass auf die von der Klägerin geltend gemachten Bereicherungsansprüche die allgemeine 30-jährige Verjährung anwendbar ist (zur – durchaus strittigen – Frage der Anwendbarkeit des §1486 Z1 ABGB auf Verwendungsansprüchen siehe zuletzt 5 Ob 35/19m).
[20] 3.2. Zwar hat der OGH bereits in mehreren Entscheidungen allgemein ausgesprochen, dass auf die auf Rückforderung der verbotswidrigen Leistungen gerichtete Kondiktion – aufgrund der gebotenen selbständigen verjährungsrechtlichen Beurteilung der konkurrierenden Anspruchsgrundlagen –die lange Verjährungszeit von 30 Jahren (§§1478 und 1479 ABGB) zur Anwendung gelangt (siehe RIS-Justiz RS0128167; zuletzt etwa 6 Ob 61/21w). Wie jedoch bereits aus der E 6 Ob 79/16k (zur dreijährigen Verjährung der bereicherungsrechtlichen Rückforderung von Bestandzinsen in analoger Anwendung von §27 Abs3 MRG und §5 Abs4 KlGG) deutlich hervorgeht, ist diese allgemeine Aussage dahin zu präzisieren, dass auf die in Rede stehende Kondiktion das allgemeine Verjährungsregime des ABGB und damit nur grundsätzlich die 30-jährige Regelverjährung (konkret zu §877 ABGB analog etwa 7 Ob 669/87; 2 Ob 322/00t; 10 Ob 10/12m [= RIS-Justiz RS0127654]; vgl weiters RIS-Justiz RS0018505; RS0033819) anzuwenden sind. Entgegen der Revisionsbeantwortung geht aus der E 6 Ob 79/16k gerade nicht hervor, dass in jedem Fall eines Rückforderungsanspruchs nach §83 GmbHG die besondere Verjährungsbestimmung nach §83 Abs5 GmbHG (nur) mit der allgemeinen langen (30-jährigen) Verjährungsfrist nach §1478 ABGB konkurriert.
[21] Zu prüfen ist vor Anwendung der allgemeinen 30jährigen Verjährungsfrist nämlich stets, ob der infrage stehende Rückforderungsanspruch nicht unter einen besonderen gesetzlichen Tatbestand fällt, der eine kurze Verjährungsfrist vorsieht. Dabei kommen nicht nur solche Bestimmungen infrage, die die Verjährung bestimmter Ansprüche ausdrücklich besonders regeln; vielmehr ist auch die analoge Anwendung solcher Vorschriften in Betracht zu ziehen (4 Ob 73/03v, Pkt1.; 8 Ob 145/19k mwN); auf aus der Rspr des EuGH zur Klausel-Richtlinie ableitbare Bedenken, die einer analogen Anwendung der kurzen Verjährungsfrist auf Ansprüche eines Verbrauchers entgegenstehen könnten (vgl P. Bydlinski, OGH und EuGH zur Verjährung von Rückforderungsansprüchen. Wie soll der Gesetzgeber reagieren? VbR 2020, 200; Leupold/ Gelbmann, Glosse zu EuGH 16.7.2020, Rs C-224/19, Caixa-
bank, VbR 2020, 222; EuGH 10.6.2021, Rs C-776/19, BNP Paribas Personal Finance, VbR 2021/210; 8.9.2022, verb RsC-80/21 bis C-82/21, D.B.P., ZFR 2022/234 = RdW 2022/618), muss hier schon deshalb nicht eingegangen werden, weil es um Ansprüche einer Kapitalgesellschaft geht und die Nichtigkeit des Vertrages nicht auf der Anwendung missbräuchlicher Klauseln beruht.
[22] 3.3. Ausgehend davon verfolgt die jüngere Rspr mittlerweile in Ansehung der Verjährung von Kondiktionsansprüchen – im Einklang mit den auch in Deutschland anerkannten Grundsätzen (siehe nur Grothe in MünchKomm BGB I9 [2021] §195 Rz40f mwN) – einen differenzierenden Ansatz, dem zufolge die Verjährung analog nach der Art des Anspruchs zu beurteilen ist, an dessen Stelle die Kondiktion tritt (so ausdrücklich 8 Ob 110/16h; 7 Ob 137/18z; 9 Ob 44/21t mwN; idS bereits Wilburg in Klang, ABGB VI2, 490; vgl auch Ch. Huber, Die Verjährung von gesetzlichen Rückersatzansprüchen, JBl 1985, 467 [471]; weiters Rummel, Altes und Neues zu §1042 ABGB, JBl 2008, 432 [442]: „Materialisierung“ in der Verjährungsfrage).
[23] Es besteht insb eine – von der Lehre überwiegend gebilligte (siehe statt vieler Rummel in Rummel, ABGB3, §1431 Rz12; M. Bydlinski in Rummel, ABGB3, §1486 Rz1; Dehn in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB6, §1486 Rz2; R. Madl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.07, §1486 Rz5; Riss, Wann verjähren Ansprüche auf Benützungsentgelt? RdW 2022, 668 [670]; ablehnend Werderitsch, Zur Verjährung von Bereicherungsansprüchen – Über kurz oder lang? Zak 2008, 263; D.Holzinger, Marktmissbrauch und Nichtigkeit [2012] 230; allgemein kritisch zur Rechtsfortbildung im Bereich der Verjährung von Bereicherungsansprüchen Fenyves/Kerschner/ Vonkilch in Klang, ABGB3, Vor §§1431 – 1437 Rz60ff) –klare Tendenz der Rspr, die dreijährige Verjährungsfrist des §1486 ABGB auch auf (Bereicherungs-)Ansprüche zu erstrecken, die funktionell vertraglichen Erfüllungsansprüchen ähneln oder wirtschaftlich an deren Stelle treten (4 Ob 181/ 13s; 10 Ob 62/16i; 9 Ob 2/17k). So ist nach mittlerweile gefestigter Rspr (8 ObA 5/13p) auf Kondiktionsansprüche aus einem ungültigen, ansonsten aber §1486 ABGB unterliegenden Rechtsgeschäft die in dieser Bestimmung angeordnete kurze Verjährung anzuwenden (RIS-Justiz RS0034137 [T6]). Diese Grundsätze wurden bereits iZm §1486 Z1 ABGB (1Ob 32/08z; 7 Ob 269/08x; 8 ObA 5/13p; 4 Ob 181/13s [wenn auch hier Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist]; 9Ob 2/15g), §1486 Z5 ABGB (9 ObA 157/97x; 9 ObA 39/00a; 9 ObA 87/13d; RIS-Justiz RS0021868) und §1486 Z6 ABGB (10 Ob 148/05w) vertreten.
[24] 3.4. Die soeben dargelegten Erwägungen haben freilich zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nicht nur hinsichtlich jener Tatbestände des §1486 ABGB zu gelten, die –wie Rummel (Zur Verjährung von Bereicherungsansprüchen: (noch) ein Appell an den Gesetzgeber, in FS Koziol [2010] 377 [381f]) zutreffend hervorhebt – nach ihrem Wortlaut von vornherein nicht auf einen bestimmten der Leistung zugrunde liegenden Rechtsgrund abstellen (vgl Z1, 2, 3 und 6 leg cit), sondern auch in Bezug auf Z4, die – ähnlich der Z5 – insoweit enger formuliert ist, als sie nur vertragliche Vergütungsansprüche für die Gebrauchsüberlassung erfasst („Miet- und
3/2023 197 Judikatur
Pachtzinsen“; zur grundsätzlichen Zulässigkeit der sinngemäßen Erstreckung der taxativ aufgezählten Tatbestände des §1486 ABGB auf darin nicht unmittelbar geregelte Fälle siehe nur RIS-Justiz RS0034205 [T1]).
[25] 3.5. Eben dieser besondere Verjährungstatbestand des §1486 Z4 ABGB – und nicht die von den Vorinstanzen relevierte Z1 leg cit – steht hier konkret infrage, stellt doch das von der Klägerin geforderte Benützungsentgelt nichts anderes dar als das wirtschaftliche Äquivalent zur angemessenen vertraglichen Vergütung für die erfolgte Nutzung der Wohnung (zum entsprechend weiten Verständnis des historischen Gesetzgebers, dem zufolge der Tatbestand etwa auch für „den einmaligen Zins für eine Gebrauchsüberlassung“ gelten soll, vgl HHB 78 BlgHH 21. Sess, 307; Klang in Klang, ABGB VI2, 624; zur kurzen Verjährung auch bei Einmalzahlung siehe auch Enneccerus/Nipperdey, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts I13 [1931] 709).
[26] Die (von den Beklagten auch genutzte) Gebrauchsüberlassung kann naturgemäß als solche nicht in natura „rückerstattet“ werden, sondern nur das an die Stelle der hingegebenen Nutzung tretende wirtschaftliche Äquivalent (vgl 6 Ob 24/19a, Pkt3.2.1.).
[27] Diesem Aspekt kommt hier besondere Bedeutung zu. Zwar könnte eine – bis dahin nicht erfolgte, aber versprochene – Gebrauchsüberlassung vom vertraglich Berechtigten binnen 30 Jahren eingeklagt werden. Allerdings verbleibt in solchen Fällen der „Vermögenswert“ der Liegenschaft bis zur tatsächlichen Übergabe beim „Überlasser“. Einer Rückabwicklung eines typischerweise (beidseitig) nicht erfolgten Leistungsaustausches bedarf es dann nicht und es besteht somit auch kein Bedürfnis, einen Ausgleich durch Zahlung eines wirtschaftlichen Äquivalents (für die ja gar nicht hingegebene Leistung) herbeizuführen. Die Einforderung eines vertraglichen Anspruchs auf Gebrauchsüberlassung und die daran geknüpfte 30-jährige Verjährungsfrist sind in ihrer Zielsetzung nicht vergleichbar mit der Erstattung des tatsächlich genossenen Nutzens durch Leistung des wirtschaftlichen Äquivalents (Herstellung der vertragsgemäßen Lage – Ausgleich für tatsächlich erfolgte Nutzung).
[28] Darauf, dass nach der gegen das Einlagenrückgewährverbot verstoßenden Nutzungsvereinbarung kein Entgelt für die Überlassung des Gebrauchs der fremden Sache geschuldet war und folglich das im Rahmen der Verjährungstatbestände des §1486 ABGB allgemein vorausgesetzte (vgl 4 Ob 181/13s; 5 Ob 35/19m; 6 Ob 24/19a; RIS-Justiz RS0034280 [T2]) synallagmatische Leistungsverhältnis zwischen den Streitteilen gerade fehlte, kommt es nicht an. Die fehlende Entgeltlichkeit des Wohnungsgebrauchsrechts, auf die die Beklagten an mehreren Stellen der Revisionsbeantwortung pochen, mag zwar die Grundlage dafür gewesen sein, dass die Vereinbarung als nichtig (weil gegen §82 GmbHG verstoßend) anzusehen war (6 Ob 195/18x, Pkt1.1.); dies steht aber der analogen Erstreckung des §1486 Z4 ABGB auf die im vorliegenden Rechtsstreit zu prüfenden Kondiktionsansprüche der Klägerin auf Rückforderung der den Beklagten über Jahre hinweg verbotswidrig erbrachten Leistungen per se nicht entgegen.
[29] Entscheidend ist hier vielmehr, dass die gebotene Einhaltung der Kapitalerhaltungsvorschriften ein (fremdübliches) Austauschgeschäft erfordert hätte und das nunmehr begehrte
Entgelt somit die Funktion eines gebotenen vertraglichen Erfüllungsanspruchs übernimmt.
[30] 3.6. Die analoge Anwendung von §1486 Z4 ABGB erscheint vielmehr auch unter Bedachtnahme auf die besonderen rechtspolitischen Zielsetzungen hinter dieser Verjährungsvorschrift geboten:
[31] Die durch die 3. Teilnovelle zum ABGB nach der Motivation des Gesetzgebers für Forderungen aus Geschäften des täglichen Lebens eingeführte kurze (dreijährige) Verjährungsfrist des §1486 ABGB sollte zwar primär dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit dienen, weil es bei diesen Geschäften nach längerer Zeit regelmäßig ganz unmöglich ist, den Beweis dafür zu erbringen, dass derlei Forderungen berichtigt wurden. Auch die Aufbewahrung von Quittungen und Rechnungen (oder auch anderer Unterlagen) durch 30 Jahre hindurch würde eine unzumutbare Belastung darstellen (ErlRV 2 BlgHH 21. Sess, 159; 10 Ob 148/05w mwN; 9 Ob 2/17k, Pkt II.2.).
[32] Daneben ging es dem historischen Gesetzgeber aber –ähnlich der Intention hinter der Bestimmung des §1480 ABGB – auch darum, der drohenden Gefahr für die wirtschaftliche Existenz des Schuldners (und seiner sonstigen Gläubiger; vgl dazu Vollmaier in Klang, ABGB3, §1486 Rz4 FN 14, der auf das in den Materialien erkennbar relevierte volkswirtschaftliche Interesse auch an der Hintanhaltung von Folgeinsolvenzen der Geschäftspartner des Schuldners verweist) durch das Anschwellen von größeren Rückständen über einen längeren Zeitraum hinweg zu begegnen (ErlRV 2 BlgHH 21. Sess, 159; R. Madl in Kletečka/Schauer, ABGBON1.07, §1486 Rz2 mwN). Dieser Normzweck steht naturgemäß beim Tatbestand des §1486 Z4 ABGB, der im Regelfall (wenngleich nicht notwendigerweise) wiederkehrende Entgeltansprüche aus Dauerschuldverhältnissen erfasst, tendenziell im Vordergrund.
[33] Des Schutzes vor der ruinösen Anhäufung von Verbindlichkeiten bedarf nun aber nicht nur der Bestandnehmer, sondern gerade auch derjenige, der aufgrund einer gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstoßenden und folglich nichtigen Vereinbarung eines unentgeltlichen Nutzungsrechts an einer Wohnung Ansprüchen des Liegenschaftseigentümers auf Leistung von Benützungsentgelt gem §877 ABGB analog ausgesetzt ist, und zwar jedenfalls dann noch in verstärktem Ausmaß, wenn ihm selbst die Nichtigkeit der Nutzungsvereinbarung gar nicht bewusst war (ansonsten käme ohnehin die 30-jährige Frist nach §83 Abs5 GmbHG zum Tragen), weshalb er sich nicht dazu veranlasst sah, Rücklagen für den Fall der späteren Inanspruchnahme durch den Eigentümer zu bilden. Während der Anspruch auf Rückübertragung der Liegenschaft(steile) sofort – unabhängig von der Nutzungsdauer – „voll“ entsteht und der Sache nach gleichbleibend ist, wächst der Anspruch auf Benützungsentgelt kontinuierlich mit der Dauer der Nutzung an und hängt der Höhe nach von der Dauer des Gebrauchs ab (vgl dazu auch Riss, RdW 2022, 669).
[34] 3.7. Zu beachten ist freilich, dass dem Gläubiger die kurze kenntnisunabhängige Verjährung seiner Ansprüche nach §1486 ABGB in aller Regel schon deshalb zuzumuten ist, weil er typischerweise um das Bestehen dieser (vertraglichen) Vergütungsansprüche weiß und daher die Gefahr einer nicht rechtzeitigen gerichtlichen Geltendmachung zu vernachläs-
198 3/2023 Judikatur
sigen ist (siehe zu dieser Überlegung Vollmaier in Klang, ABGB3, §1486 Rz5).
[35] Selbst unter Bedachtnahme auf diesen Gesichtspunkt ist einer Erstreckung des §1486 Z4 ABGB auf die hier in Rede stehenden Kondiktionsansprüche – entgegen dem etwa von D. Holzinger (Marktmissbrauch, 230ff) und Werderitsch (Zak 2008, 265) sinngemäß vertretenen Standpunkt – nicht schon mangels eines vergleichbaren Säumnisvorwurfs gegenüber dem Bereicherungsgläubiger die Analogiebasis entzogen, auch wenn ihm in einer solchen Fallkonstellation die Nichtigkeit der Nutzungsvereinbarung und damit die Rechtsgrundlosigkeit seiner Leistung womöglich nicht stets in die Augen fallen muss. Es trifft zwar im Allgemeinen zu, dass bei der Verjährung die Interessen des Schuldners (sowie öffentliche Interessen) am Verjährungseintritt mit den schutzwürdigen Interessen des Gläubigers, dessen Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit durch die Verjährung abgeschnitten wird, ganz iSd allgemeinen Maxime der zweiseitigen Begründung von Rechtsfolgen (vgl F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts [1996] 92) in einen gerechten Ausgleich zu bringen sind (vgl dazu zuletzt 6 Ob 239/20w, Pkt2.5.1.). Jedenfalls hat dem Berechtigten eine faire Chance zur Rechtsausübung zu bleiben (9 ObA 113/18k mwN).
[36] Andererseits ist aber ein subjektiver Säumnisvorwurf gegenüber dem Rechtsinhaber nach allgemeinen Regeln gar nicht Voraussetzung für den Verjährungseintritt (vgl nur 2Ob 343/55; Mader/Janisch in Schwimann/Kodek, ABGB4, §1478 Rz2). Auch mit Blick auf kurze kenntnisunabhängige Verjährungsfristen ist für das geltende Recht anerkannt, dass tatsächliche Hindernisse aufseiten des Berechtigten der Verjährung grundsätzlich nicht entgegenstehen. Selbst wenn er beim besten Willen keine Kenntnis von seinem Recht erlangen konnte, vermag dies den Eintritt der Verjährung nach hA nicht zu hindern (8 Ob 627/86; 5 Ob 2105/96m; 9 ObA 113/ 18k mwN). Die Verjährung soll nur dort nicht Platz greifen, wo dem Rechtsinhaber seine Untätigkeit nicht einmal objektiv zum Vorwurf gemacht werden kann (Vollmaier in Klang, ABGB3, §1478 Rz4 [unter Verweis ua auf die Grundregel des §1478 Abs2 ABGB]).
[37] Zu berücksichtigen ist idZ schließlich, dass §1486 ABGB auch in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich Ansprüche erfasst, die für den Gläubiger nicht ohne Weiteres evident sind, etwa Nachforderungsansprüche von zur Entgeltaufwertung berechtigten Arbeitnehmern (8 ObA 20/13v mwN), oder aber dessen Ansprüche auf Zahlung der Differenz zwischen dem bezahlten und dem angemessenen Entgelt (vgl RIS-Justiz RS0020103).
[38] Auf die Erkennbarkeit des vorliegenden Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr und der daraus abzuleitenden Kondiktion für den Bereicherungsgläubiger kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.
[39] 3.8. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die für die erfolgte Gebrauchsüberlassung einer Liegenschaft (Penthouse samt Garten) geltend gemachten Kondiktionsansprüche nach §877 ABGB analog entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts der sinngemäß heranzuziehenden dreijährigen Verjährungsfrist des §1486 Z4 ABGB unterfallen.
[40] 4. Ergebnis dieser Beurteilung zur Verjährungsfrage ist, dass sich das Berufungsgericht auf Grundlage einer unrich-
tigen Rechtsauffassung mit der in der Berufung von der Klägerin erhobenen Tatsachenrüge nicht befasste, sodass das Berufungsverfahren mangelhaft geblieben ist (RIS-Justiz RS0043086 [besonders T13]; RS0043144 [T1 und T2]).
[41] Das angefochtene Urteil ist aus diesem Grund aufzuheben. Die Rechtssache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen und diesem aufzutragen, über die im Rechtsmittel geltend gemachten Berufungsgründe vollständig zu entscheiden; dabei wird allenfalls – abhängig vom Ergebnis der Behandlung der Beweisrüge – auch der Einwand der Hemmung der Verjährung nach §1494 ABGB (siehe dazu 6Ob 110/12p, Pkt4.13.; 6 Ob 206/17p, Pkt2.; 6 Ob 21/21p, Rn6 mwN) zu beachten sein.
5. ...
Anmerkung:
Da – wie der OGH in der vorliegenden Entscheidung wiederum bestätigt – der gesellschaftsrechtliche Rückforderungsanspruch gem §83 GmbHG mit der Rückforderung verbotener Leistungen nach allgemeinem Bereicherungsrecht konkurriert (RIS-Justiz RS0128167), war die Frage der Verjährung entsprechend differenzierend zu klären. Während §83 Abs5 GmbHG die Verjährung von Ansprüchen der Gesellschaft wegen verbotener Einlagenrückgewähr nach fünf Jahren eintreten lässt (gerechnet ab Erhalt der Leistung; vgl §56 Abs4 AktG), sofern die Gesellschaft nicht beweist, dass der Ersatzpflichtige die „Widerrechtlichkeit der Zahlung“ (bzw der sonstigen Leistung) kannte, besteht für Ansprüche nach dem ABGB grundsätzlich das dort beachtliche Verjährungsregime, welches unter Beachtung der spezifischen Normzwecke (gegebenenfalls analog) anzuwenden ist. Hinsichtlich der Privilegierung des Leistungsempfängers, der die Widerrechtlichkeit nicht kannte, durch §83 Abs5 GmbHG hatte der OGH bereits judiziert, dass diese auf das allgemeine Bereicherungsrecht nicht durchschlage (siehe OGH 13.9.2012, 6 Ob 110/12p, GesRZ2013, 38 [U. Torggler]; RIS-Justiz RS0128167); auch insofern brachte die aktuelle Entscheidung eine Bestätigung dieser Judikaturlinie, was kritisch gesehen werden kann.
Anzumerken ist, dass die Unanwendbarkeit des §83 Abs5 GmbHG im Kontext der Verjährung von Bereicherungsansprüchen nach dem ABGB in der gesellschaftsrechtlichen Literatur nicht unumstritten ist; ebenso wenig ist das Konkurrenzverhältnis unbestritten (vgl dazu ua Auer in Gruber/Harrer, GmbHG2 [2018] §83 Rz30). Im Anschluss an die E 6 Ob 110/12p hat sich insb U. Torggler (GesRZ2013, 43) tiefer gehend mit der Frage der Bedeutung von §83 Abs5 GmbHG auseinandergesetzt: Während sich U. Torggler mit guten Gründen für ein Konkurrenzverhältnis (alternative Anspruchskonkurrenz) ausspricht (siehe auch U. Torggler, Rechtsfolgen verbotener Vermögensverlagerungen, in Kalss/U. Torggler, Einlagenrückgewähr [2014] 89 [92f]), argumentiert er gleichwohl für die analoge Anwendung des § 83 Abs5 GmbHG iZm Bereicherungsansprüchen nach dem ABGB, welche aufgrund eines Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr bestehen. Die Zwecke der fünfjährigen Verjährungsfrist des GmbHG und des AktG, welche – wie U. Torggler darlegt – auf das AHGB zurückgeführt werden können, sprechen für eine solche analoge Anwendung (siehe auch jüngst – der Argumentation von U. Torggler zustimmend – Zott, wobl 2023, 236; der Ansicht von U. Torggler folgen auch Bauer/ Zehetner in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §83 Rz37).
Es bleibt mE ua zu bedenken: Die Rechtswidrigkeit der Zuwendung folgt aus dem gesellschaftsrechtlichen Verbot der Einlagenrückgewähr; inwieweit das Vermögen der Gesellschaft vor einem Zugriff zugunsten von Gesellschaftern oder diesen gleichgestellten Personen geschützt ist, ergibt sich aus dem Gesellschaftsrecht. Dieses ist von der fünfjährigen Verjährungsfrist beherrscht und es lässt sich als Grundsatz festhalten, dass der Vermögensschutz jenseits dieser zeitlichen Schranke – nach zutreffender Ansicht – nicht eingreift und auch nicht durchgesetzt wird (siehe dazu schon Koppen-
3/2023 199 Judikatur
steiner, Zur Bedeutung der Verjährung nach §83 Abs5 GmbHG, §56 Abs4 AktG, GesRZ2008, 75). Gleichwohl wurde bzw wird auch in der Literatur vertreten, §83 Abs5 GmbHG diene nur der Begrenzung des für die Gesellschaft vorteilhafteren gesellschaftsrechtlichen Anspruchs und es würde der Gesellschafter im Vergleich zu anderen Bereicherungsschuldnern ungerechtfertigt privilegiert (siehe etwa Schopper/Walch, Unternehmensrechtliche Verjährungsregeln und ihr Verhältnis zum allgemeinen Zivilrecht, ÖBA 2013, 418 [424]).
§83 Abs5 GmbHG bestimmt, dass das allgemeine Verjährungsrecht nur eingreift, wenn der Empfänger der Leistung die Widerrechtlichkeit kannte (in letzterem Fall überwiegt das Enthaftungsinteresse des Gesellschafters nicht; vgl Auer in Gruber/Harrer, GmbHG2, §83 Rz30). Dass dieser Grundsatz nur für den gesellschaftsrechtlichen Anspruch eingreifen soll, nicht aber für jenen nach dem Bereicherungsrecht des ABGB, ist nicht überzeugend: Die Befriedungsfunktion auf den günstigeren gesellschaftsrechtlichen Anspruch einzuschränken, führt zur seltsamen Konsequenz, dass eine solche Befriedung idR gerade nicht eingreift (siehe ua U.Torggler, Rechtsfolgen, 98, der zutreffend darauf hinweist, dass die gegenteilige Ansicht §83 Abs5 GmbHG praktisch bedeutungslos macht). Das GmbHG ist bei der Beschränkung der Rechtsfolgen einer verbotenen Einlagenrückgewähr überaus konsequent: Bspw wird – nach zutreffender Ansicht in der Literatur (siehe Kraus/ U.Torggler in U. Torggler, GmbHG [2014] §25 Rz31), die leider bis dato zu wenig Resonanz gefunden hat – die Haftung der Geschäftsführer bei Vorliegen eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses auch dann ausgeschlossen, wenn es sich um einen Fall der Einlagenrückgewähr handelt; die Einschränkung des §25 Abs5 GmbHG, die sich auf die Fälle des §25 Abs3 GmbHG bezieht (siehe Kraus/ U. Torggler n U. Torggler, GmbHG, §25 Rz31; U. Torggler, Fünf (Anti-)Thesen zum Haftungsdurchgriff, JBl 2006, 85 [92f]), setzt voraus, dass der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. Die zeitliche Begrenzung findet sich in §25 Abs6 GmbHG (fünf Jahre), doch wird dies von der Rspr und einem Teil der Literatur als subjektive Frist gesehen (siehe etwa OGH 27.9.2006, 9 ObA 148/05p; Reich-Rohrwig in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §25 Rz356). Nach zutreffender Ansicht handelt es sich, wie sich aus dem Normzweck ergibt, nicht um eine subjektive Frist (siehe etwa Kraus/ U.Torggler in U. Torggler, GmbHG, §25 Rz35). Es zeigen sich mE somit einige bereits seit geraumer Zeit etablierte – oder geradezu einbetonierte – Abweichungen der Judikatur vom Konzept des GmbHG.
Folgte man der in stRspr vertretenen Ansicht des OGH, führt dies zu den auch in der vorliegenden Entscheidung vorgenommenen Differenzierungen. Nicht zu übersehen ist, dass der entscheidungsgegenständliche Sachverhalt bereits zu einer interessanten OGHEntscheidung betreffend die §§ 82 und 83 GmbHG Anlass gegeben hat. Er lag auch der OGH-Entscheidung vom 20.12.2018, 6 Ob 195/ 18x (GesRZ2019, 193 [Kalss] = ZfS2019, 8 [Karollus]; dazu auch H.Foglar-Deinhardstein, Einlagenrückgewähr: Unechte Dritte und Umfang der Nichtigkeit? ÖJZ2019, 938), zugrunde, in welcher das unentgeltliche und auf lebenslängliche Dauer eingeräumte Wohnungsgebrauchsrecht an einem Penthouse als Verstoß gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr qualifiziert worden war. Bei Einräumung des Wohnungsgebrauchsrechts waren die Begünstigten zwar nicht formell Gesellschafter der GmbH gewesen, doch beherrschte die eine begünstigte Person die Gesellschafterin, die zweite begünstigte Person wurde ebenso vom OGH als unechter Dritter einem Gesellschafter gleichgehalten. Aus dem Verbotsverstoß folgte die Nichtigkeit des Geschäfts gem §879 Abs1 ABGB (vgl zur Anwendbarkeit von §879 Abs1 ABGB auch U. Torggler, Rechtsfolgen, 91), wobei der OGH ein Wahlrecht des Begünstigten, das Geschäft durch Zahlung eines angemessenen Entgelts aufrechtzuerhalten, explizit ablehnte.
Bereits vor der OGH-Entscheidung betreffend den Verbotsverstoß klagte die GmbH (am 5.12.2017) ein Entgelt für die titellose Benützung des Penthouse ein, wobei es im Revisionsverfahren vor dem OGH um die Zeit vom 1.1.1993 bis zum 30.11.2012 ging. Für die Folgezeit war die Verjährung gem §83 Abs5 GmbHG noch
nicht abgelaufen, weshalb sich die Frage nach dem allgemeinen Verjährungsrecht nicht stellte.
Das Berufungsgericht hatte eine Verjährung nach allgemeinem Recht verneint, weil es – entgegen dem Erstgericht – von der Unanwendbarkeit von §1486 Z1 ABGB ausging und zu einer Anwendbarkeit der 30-jährigen Verjährungsfrist gelangte. Das Ergebnis des Berufungsgerichts verwarf der OGH mit guten Gründen, zumal er –mE zutreffend – die Anwendbarkeit von §1486 Z4 ABGB bejahte. Die Argumente basierend auf dem Zweck von §1486 Z4 ABGB überzeugen.
Abschließend ist in Erinnerung zu rufen, dass die Frage, ob die lange Verjährungsfrist 30 oder 40 Jahre beträgt, ebenfalls umstritten ist. Ein Teil der Lehre und die Judikatur vertreten iZm Bereicherungsansprüchen die Anwendbarkeit einer 40-jährigen Frist (§1485 iVm §1472 ABGB; siehe ua U. Torggler, Rechtsfolgen, 98; Schopper/ Walch, ÖBA 2013, 419 und 423; weiters RIS-Justiz RS0034145; für eine 30-jährige Frist zB Bauer/Zehetner in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG, §83 Rz48). Allerdings judizierte der OGH kürzlich, nämlich in der Entscheidung vom 22.4.2022, 8 Ob 81/21a (GesRZ2022, 380 [Auer]), dass der Begriff „erlaubte Körper“ iSd §1472 ABGB „jedenfalls nicht über die (im Wesentlichen) konzessionspflichtigen und auf Gesetz beruhenden Gesellschaften hinausgehen“ könne. Damit würden gewöhnliche GmbHs aus dem Kreis der privilegierten Rechtsträger ausscheiden. Eine Auseinandersetzung mit dieser Ansicht würde freilich den Rahmen von Anmerkungen zur E 6 Ob 112/22x sprengen. Letztere Entscheidung legt die 30-jährige Frist den näheren Ausführungen schlicht zugrunde (siehe Rn 14, 20 und 21 der vorliegenden Entscheidung).
Aufforderung an den Geschäftsführer, gemäß §88 Abs3 GmbHG die Auflösung der Gesellschaft beim Firmenbuch anzumelden
§88 Abs3 GmbHG
Nach gefestigter Rspr sind gerichtliche Aufträge, deren Missachtung erst in einer anfechtbaren späteren Verfügung Rechtswirkungen zeitigen kann, unanfechtbar (hier: Aufforderung an den Geschäftsführer, gem §88 Abs3 GmbHG die Auflösung der Gesellschaft beim Firmenbuch anzumelden [Zurückweisung des Revisionsrekurses]).
OGH 18.11.2022, 6 Ob 179/22z (OLG Wien 6 R 119/22x; HG Wien 75 Fr 2127/22w)
Entsprechende Betätigung des gewerberechtlichen Geschäftsführers im Betrieb
§39 Abs3 GewO 1994
1. §39 Abs2 und 3 GewO 1994 verlangt vom gewerberechtlichen Geschäftsführer, sich im Betrieb „entsprechend zu betätigen“, worunter nach der Rspr des OGH eine Tätigkeit zu verstehen ist, die es dem Geschäftsführer ermöglicht, die gewerberechtliche Tätigkeit des Betriebs ausreichend zu beobachten und zu kontrollieren.
2. Eine GmbH, die sich eines Geschäftsführers bedient, der zwar die sonst für die Ausübung des Gewerbes vorgeschriebenen persönlichen Voraussetzungen mitbringt, sich aber nicht entsprechend im Betrieb betätigt, weil ihn die Gesell-
200 3/2023
Judikatur
Roman Alexander Rauter
Dr. Roman Alexander Rauter ist Rechtsanwaltsanwärter in Wien.
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schaft vertraglich von dieser Tätigkeit befreit hat, verstößt gegen §39 Abs2 und 3 GewO 1994.
3. Der Normzweck des §39 Abs3 GewO 1994, nämlich die Sicherung der Allgemeinheit und besonders der mit der Gesellschaft abschließenden Besteller vor den nachteiligen Folgen des Fehlens eines sich entsprechend im Betrieb betätigenden gewerberechtlichen Geschäftsführers, verlangt die Nichtigkeit einer Vereinbarung, mit der das Fehlen einer gewerberechtlichen Erlaubnis oder Konzession durch ein vorgetäuschtes Anstellungs- oder sonstiges Beschäftigungsverhältnis ausgeglichen bzw umgangen werden soll.
4. Die Nichtigkeit der Vereinbarung, nur seine Gewerbeberechtigung ohne tatsächliche Betätigung im Geschäftsbetrieb zur Verfügung zu stellen, wurde wegen Vorliegens einer solchen Umgehung au ch angenommen, wenn aus deren Anlass eine Bestellung zum handelsrechtlichen Geschäftsführer einer GmbH nur deshalb erfolgte, um formal die gewerberechtlichen Bestellungsvoraussetzungen eines gewerberechtlichen Geschäftsführers zu erfüllen.
OGH 18.11.2022, 6 Ob 182/22s (OLG Innsbruck 2 R 93/22a; LG Feldkirch 5 Cg 10/21g)
Genossenschaft
Keine Amtshaftung für den Revisionsverband
§§1ff und Art V §3 GenRevG 1997
§§60 und 92 BWG
1. Insgesamt ergibt sich aus der Gesamtheit der Reglungen über die Genossenschaftsrevision, dass den Revisionsverbänden, die gem §19 Abs1 GenRevG 1997 (wenn es sich um von der zuständigen staatlichen Stelle anerkannte Revisionsverbände handelt) als Vereine oder Genossenschaften organisiert sein müssen, bei Erfüllung ihrer Aufgaben keine Hoheitsgewalt zukommt, was (e contrario) auch daraus geschlossen werden kann, dass gem §23 Abs2 GenRevG 1997 nur der Vereinigung österreichischer Revisionsverbände behördliche Aufgaben zukommen.
2. Der Umstand, dass die Aufgaben des Revisionsverbands von einer Landesregierung wahrgenommen werden, kann keine Amtshaftung begründen.
3. Ob dem – von der Klägerin behaupteten – Vertrag, mit dem die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur genossenschaftlichen Revisorin bestellt wurde, Schutzwirkungen zugunsten der Klägerin als Gläubigerin der geprüften Bank zukamen, muss nicht beurteilt werden, weil dies keine Amtshaftung des beklagten Rechtsträgers begründen könnte.
OGH 14.7.2022, 1 Ob 91/22x (OLG Wien 14 R 13/22t; LGZ Wien 33 Cg 38/20f)
[1] Die FMA untersagte der C. AG (im Folgenden: Bank) mit Mandatsbescheid vom 14.7.2020 gem §70 Abs2 Z4 BWG mit sofortiger Wirkung die weitere Vornahme von Bankgeschäften. In der Folge wurden strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und der Untreue gegen Verantwortliche der Bank eingeleitet und mit 29.7.2020 wurde das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet.
[2] Die Klägerin begehrt von der beklagten Republik Österreich (Bund) im Wege der Amtshaftung den Ersatz jenes Schadens, der ihr
dadurch entstanden sei, dass sie aufgrund der Untersagung des Geschäftsbetriebs der Bank durch die FMA und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über deren Vermögen nicht mehr über ihr Guthaben in Höhe von 1.331.269,20€ (welches im Wesentlichen aus Einzahlungen aus dem Jahr 2020 stamme) verfügen könne bzw sie einen Forderungsverlust in dieser Höhe erlitten habe. Unter Berücksichtigung einer Zahlung von 100.000€ aus der gesetzlichen Einlagensicherung ergebe sich der Klagebetrag ...
[3] Vorstandsmitglieder der Bank hätten im Sommer 2020 gegenüber der OeNB und der Staatsanwaltschaft zugestanden, seit den 1990erJahren eine Reihe betrügerischer Handlungen – etwa die Fälschung von Bilanzposten, Saldenbestätigungen und Zahlungsbelegen, die „Fingierung“ hoch verzinster Kredite und die Veruntreuung von Geldern der Bank – gesetzt zu haben. Neben diesen strafrechtlich relevanten Handlungen hätten die Verantwortlichen der Bank auch (bloß) bankaufsichtsrechtlich relevante Fehlleistungen zu verantworten.
[4] Die Haftung der beklagten Partei ergebe sich daraus, dass sie als Rechtsträgerin der FMA, der OeNB, des Amtes der Burgenländischen Landesregierung als „Revisionsstelle“ der Bank und ihrer genossenschaftlich organisierten Hauptgesellschafterin, der Staatsanwaltschaft Eisenstadt sowie der WKStA den ihr insoweit obliegenden Aufgaben iZm der Kontrolle des Geschäftsbetriebs der Bank sowie der strafrechtlichen Verfolgung der für sie handelnden Personen pflichtwidrig nicht (vor 2020) nachgekommen sei.
[5] Die straf- und bankaufsichtsrechtlich relevanten Handlungen der Leitungsorgane der Bank hätten der FMA, der OeNB sowie dem Amt der Burgenländischen Landesregierung in dessen Eigenschaft als (funktionell der beklagten Partei zuzurechnender) genossenschaftlicher Revisionsverband bei sorgfältiger Erfüllung ihrer jeweiligen Verpflichtungen auffallen müssen. Den Organen der Staatsanwaltschaft sei vorzuwerfen, dass sie kein Strafverfahren eingeleitet hätten, obwohl sich bereits 2015 aufgrund des Hinweises eines anonymen „Whistleblowers“ auf diverse „Malversationen“ innerhalb der Bank sowie aus einer Sachverhaltsdarstellung der FMA ein Anfangsverdacht hinsichtlich bestimmter Straftaten ergeben habe. Die Unterlassung der gebotenen Prüf- und Verfolgungsschritte durch die funktionell dem Bund zuzurechnenden Organe sei grob unvertretbar gewesen.
[6] Hätten die zuständigen Organe die gebotenen bankaufsichtsund revisionsrechtlichen Maßnahmen gesetzt oder Strafverfahren gegen die verantwortlichen Personen der Bank eingeleitet, wären die „Malversationen“ innerhalb der Bank früher bekannt geworden und die Klägerin hätte – da sie dann kein Geld bei dieser eingelegt hätte – keinen Schaden erlitten.
[7] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wandte dessen Unschlüssigkeit ein. Gem §3 Abs1 Satz 2 FMABG sei eine Amtshaftung für Schäden, die Dritten (sohin auch der Klägerin) von Organen der FMA in Vollziehung von Aufgaben der Bankenaufsicht zugefügt wurden, ausgeschlossen. Die OeNB werde im Rahmen der Bankprüfung nur als Hilfsorgan der FMA in deren Auftrag tätig, weshalb der Haftungsausschluss auch auf deren Tätigkeit anzuwenden sei. Die Burgenländische Landesregierung sei als genossenschaftlicher Revisionsverband im Rahmen der burgenländischen Landesverwaltung tätig geworden, für welche der beklagte Bund nicht hafte. Die Organe der Staatsanwaltschaft hätten ihre Aufgaben gesetzeskonform wahrgenommen, die behaupteten Schäden wegen einer (zunächst) unterbliebenen Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens seien nicht vom Schutzzweck der diesbezüglichen Bestimmungen der StPO bzw des StAG erfasst.
[8] Das Erstgericht wies die Klage als unschlüssig ab. ...
[9] Aufgrund eines Antrags der Klägerin auf Normenkontrolle nach Art140 Abs1 Z1 litd B-VG (sowie aufgrund solcher Anträge anderer geschädigter Gläubiger der Bank) prüfte der VfGH die Bestimmung des §3 Abs1 Satz 2 FMABG auf ihre behauptete Verfassungswidrigkeit, verneinte eine solche jedoch.
[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. ...
Der OGH gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
3/2023 201 Judikatur
Aus den Entscheidungsgründen des OGH:
1.
2. Grundsätzliches zur Amtshaftung:
[18] 2.1. Gem §1 Abs1 AHG haften die dort genannten Rechtsträger, darunter die beklagte Partei, für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch rechtswidriges Verhalten wem immer schuldhaft zugefügt haben, nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts. Wird ein bloßer Vermögensschaden geltend gemacht, wäre dieser nur aufgrund einer (vorwerfbaren) Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts, der Übertretung eines Schutzgesetzes nach §1311 ABGB oder eines sittenwidrigen Verhaltens des Schädigers ersatzfähig (1 Ob 208/12p mwN; 1 Ob 142/06y). Im vorliegenden Fall kommt nur die Übertretung von Schutzgesetzen in Betracht.
bezweckt ist (RIS-Justiz RS0031143 [T5 und T13]). Die verletzte Amtspflicht muss aber gerade dem Geschädigten gegenüber bestanden haben (RIS-Justiz RS0031143 [T6]), was auch maßgeblich davon abhängt, ob bereits eine rechtliche Sonderverbindung zwischen ihm und dem Rechtsträger, dessen Organ eine Amtspflichtverletzung vorgeworfen wird, bestand oder ob die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe eine so große und unbestimmte Zahl von Personen betrifft, dass diese der Allgemeinheit gleichzusetzen sind (RIS-Justiz RS0049993).
3. Zur Haftung für die FMA:
[19]
2.2. Gerade im Bereich des Amtshaftungsrechts gilt, dass die verletzte Vorschrift auch den Zweck haben muss, den Geschädigten vor den schließlich eingetretenen (Vermögens-) Nachteilen zu schützen (RIS-Justiz RS0050038 [T1]). Der Schutzzweck der Norm ist ein selbständiges Abgrenzungskriterium der Haftung neben der Rechtswidrigkeit und der Kausalität. Sowohl der Geschädigte als auch die Art des Schadens und die Form seiner Entstehung müssen vom Schutzzweck erfasst sein (RIS-Justiz RS0027553 [T18]). Ohne dessen eingrenzende Wirkung drohte eine Uferlosigkeit der Haftpflicht. Aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens ist daher nur für jene dadurch verursachten Schäden zu haften, die vom Schutzzweck erfasst werden, weil die Norm zumindest auch derartige Schäden verhindern will. Die Normzweckprüfung ist teleologisch ausgerichtet und stellt primär darauf ab, welcher Zweck mit der in ihrem primären Normgehalt festgehaltenen Anordnung (zumindest mit)verfolgt wird. Nicht jeder Schutz, den eine Verhaltensnorm tatsächlich bewirkt, ist auch von ihrem Schutzzweck erfasst (RIS-Justiz RS0031143 [T22]). [20]
2.3. Die Nichtberücksichtigung der eingrenzenden Wirkung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs hätte im Amtshaftungsrecht eine Uferlosigkeit der Haftpflicht der Rechtsträger zur Folge (vgl RIS-Justiz RS0031143 [T7]; RS0050038 [T29]). Im Amtshaftungsbereich muss daher geprüft werden, ob Pflichten des Rechtsträgers nur im Interesse der Allgemeinheit oder auch im Interesse eines einzelnen Betroffenen normiert sind (vgl RIS-Justiz RS0050038 [T27]; RS0031143 [T4 und T11]). Allein daraus, dass ihm eine Amtshandlung, die dem öffentlichen Interesse dient, zugutekommt und ihm als Reflexwirkung pflichtgemäßen Handelns einen Vorteil verschafft, lässt sich noch nicht auf das Vorliegen einer Amtspflicht gerade dem konkreten Geschädigten gegenüber schließen (vgl RIS-Justiz RS0031143 [T4]). Erstreckt sich der Schutzzweck nur auf Interessen der Allgemeinheit, können Einflüsse auf individuelle Interessenlagen also nur als bloße –keine Amtshaftung begründende – Reflexwirkungen angesehen werden (RIS-Justiz RS0031143 [T35]). Angesichts der idR primär öffentliche Interessen wahrenden öffentlichrechtlichen Vorschriften genügt es für die Annahme des erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhangs zwar, dass die Verhinderung eines Schadens eines Dritten bloß mit-
[21] 3.1. §3 Abs1 FMABG idF vor der Novelle BGBl I 2008/ 136 sah vor, dass für von Organen und Bediensteten der FMA in Vollziehung der in §2 dieses Gesetzes genannten Bundesgesetze zugefügte Schäden der Bund nach den Bestimmungen des AHG haftet. Mit der genannten Novelle wurde in §3 Abs1 FMABG folgender Satz 2 eingefügt: „Schäden im Sinne dieser Bestimmung sind solche, die Rechtsträgern unmittelbar zugefügt wurden, die der Aufsicht nach diesem Bundesgesetz unterliegen.“ Damit wurde der Kreis der amtshaftungsrechtlich geschützten Personen beschränkt bzw explizit festgelegt (1 Ob 117/14h). Nach den Gesetzesmaterialien (ErlRV 682 BlgNR 23. GP, 6) sollten dadurch Schäden, die sich lediglich als Reflexwirkung des Aufsichtsverhaltens im Vermögen Dritter auswirken, von einer Ersatzpflicht ausgeschlossen werden.
[22] 3.2. Der VfGH führte in seinem Erkenntnis vom 16.12.2021, G224/2021 ua, in dem er die behauptete Verfassungswidrigkeit des §3 Abs1 Satz 2 FMABG prüfte und verneinte, ua Folgendes aus:
„[64] Der angefochtene §3 Abs1 Satz 2 FMABG enthält eine (Legal-)Definition des Schadens, der iSd Art23 B-VG (und des Satzes 1 des §3 Abs1 FMABG) ersetzt werden soll. Konkret handelt es sich um Schäden, die Rechtsträgern unmittelbar zugefügt wurden, die der Aufsicht nach diesem Bundesgesetz unterliegen. Durch diese Bestimmung kommt es zu einer Haftungseinschränkung durch die Definition des ersatzfähigen Schadens der aktivlegitimierten Rechtsträger (vgl OGH 22.6.2012, 1 Ob 186/11a). Nicht aktivlegitimiert sind demgegenüber insbesondere die Vertragspartner der beaufsichtigten Rechtsträger, etwa die einzelnen An- und Einleger oder sonstige Gläubiger.
[78] Ungeachtet der gesetzestechnischen Ausgestaltung der angefochtenen Bestimmung gibt es keinen Zweifel, dass der Gesetzgeber mit §3 Abs1 Satz 2 FMABG der Sache nach eine Regelung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs bzw des Schutzzweckes der Bestimmungen hinsichtlich der (Banken-)Aufsicht durch die FMA vorgenommen hat. Demnach soll der Schadenersatz nur den unmittelbar geschädigten Rechtsträgern, die der Aufsicht der FMA unterliegen, zustehen. Ausgeschlossen sind demgegenüber Ersatzansprüche von Dritten (insbesondere von Einlegern und sonstigen Gläubigern), die durch einen Aufsichtsfehler bei der Vollziehung der in §2 FMABG genannten Gesetze durch die FMA geschädigt werden.
[82] Nach Auffassung des VfGH ist dem Gesetzgeber – auch vor dem Hintergrund der seit jeher umstrittenen Frage nach dem Rechtswidrigkeitszusammenhang bzw dem Schutzzweck des finanzmarktrechtlichen Aufsichtsrechts – nicht entgegenzutreten, wenn er nun in §3 Abs1 Satz 2 FMABG klarstellt, dass
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Judikatur
nur die aufsichtsunterworfenen Rechtsträger (nach Maßgabe der in dieser Bestimmung und in den allgemeinen Bestimmungen des AHG normierten Voraussetzungen) einen Amtshaftungsanspruch gegen den Bund im Falle einer fehlerhaften Aufsicht durch die FMA haben sollen. Der Gesetzgeber hat somit mit der angefochtenen Bestimmung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die nationalen und unionsrechtlichen bank- und auch sonstigen finanzmarktaufsichtsrechtlichen Regelungen das Ziel eines reibungslosen Funktionierens des Banken- und sonstigen Finanzsektors als eines für die Volkswirtschaft wesentlichen Wirtschaftsbereichs verfolgen. Das Bank- und sonstige Finanzmarktaufsichtsrecht dient damit im Ergebnis auch dem Gläubigerschutz. Dabei handelt es sich aber um den Schutz der Gläubiger (An- und Einleger) in ihrer Gesamtheit; es geht sohin um den abstrakten oder institutionellen Gläubigerschutz. Dieser (Gläubiger-)Schutz ist ein Teilelement des Funktionsschutzes, den das Bank- und sonstige Finanzmarktaufsichtsrecht als wesentliches Ziel verfolgt. Die An- und Einleger sollen in ihrer Gesamtheit Vertrauen in das ordnungsgemäße Funktionieren des Finanzmarktes haben. Dem bank- und sonstigen finanzmarktaufsichtsrechtlichen Regelungsregime liegt also nicht das Konzept zugrunde, einzelne An- und Einleger im Wege der Amtshaftung schadenersatzrechtlich vor Aufsichtsfehlern zu schützen. ...
[83] Die angefochtene Bestimmung des §3 Abs1 Satz 2 FMABG schließt nicht die Amtshaftung des Bundes für rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten der Organe der FMA in Vollziehung der in §2 Abs2 bis Abs4 FMABG genannten Gesetze schlechthin aus, sondern begrenzt sie – im Hinblick auf den vom bankaufsichtsrechtlichen Regelungsregime verfolgten Funktionsschutz und das Ziel eines (bloß) abstrakten Gläubigerschutzes – auf unmittelbare Schäden der beaufsichtigten Rechtsträger. Ein verfassungsrechtliches Gebot der Amtshaftung auch für mittelbare Vermögensschäden von An- und Einlegern von Kredit- und Finanzinstituten lässt sich ... aus der Wortfolge ‚wem immer‘ in Art23 Abs1 B-VG nicht folgern. Ausweislich der Materialien sollte durch die Formulierung ‚wem immer‘ in Art23 Abs1 B-VG lediglich klargestellt werden, dass Amtshaftung nicht nur dann stattfindet, wenn subjektiv-öffentliche Rechte des Betroffenen verletzt wurden (AB 514 BlgNR 5. GP, 2). Die Wortfolge findet sich auch in der – zeitgleich mit Art23 B-VG (idF BGBl 1949/19) erlassenen – Bestimmung des §1 Abs1 AHG, wonach die dort genannten Rechtsträger für den Schaden haften, den die als ihre Organe handelnden Personen ‚wem immer‘ schuldhaft zugefügt haben. Aufgrund des §3 Abs1 Satz 2 FMABG bleiben nun als einzige Anspruchsberechtigte die durch die FMA beaufsichtigten Institute.
[23] 3.3. Ausgehend von diesen – hier auszugsweise wiedergegebenen – Erwägungen des VfGH zur Beschränkung der Amtshaftung in §3 Abs1 Satz 2 FMABG auf Schäden von der Aufsicht nach diesem Gesetz unterliegenden Rechtsträgern, denen sich der erkennende Senat anschließt, gingen die Vorinstanzen zu Recht davon aus, dass die Klägerin als geschädigte Gläubigerin (Einlegerin) der Bank ihren Amtshaftungsanspruch nicht auf ein behauptetes Fehlverhalten der FMA bei der bankaufsichtsrechtlichen Kontrolle des Geschäftsbetriebs dieser Bank stützen kann. Die gegenteilige Argumentation der Revisionswerberin, wonach §3 Abs1 Satz 2
FMABG nur vorsehe, dass Schäden der beaufsichtigten Rechtsträger jedenfalls zu ersetzen seien, Ansprüche geschädigter Bankkunden aber nicht ausgeschlossen werden sollten, überzeugt nicht und steht ebenso im Widerspruch zu den Ausführungen des VfGH wie die Behauptung, die genannte Bestimmung enthalte nur eine „Schadensdefinition“ und keine Beschränkung des Schutzzwecks der Normen über die Bankenaufsicht. Auf eine vorsätzliche Schädigung durch Organe der FMA hat sich die Klägerin in erster Instanz nicht berufen, ihr diesbezügliches Revisionsvorbringen verstößt daher gegen das Neuerungsverbot.
[24] 3.4. Dass §3 Abs1 Satz 2 FMABG Amtshaftungsansprüche geschädigter Bankkunden ausschließt, weil von diesen aufgrund einer fehlerhaften Bankaufsicht erlittene (bloße) Vermögensschäden nicht vom Schutzzweck des Bankenaufsichtsrechts umfasst sind, entspricht auch der überwiegenden Ansicht in der Literatur. So geht etwa Mader (in Gruber/ N.Raschauer, WAG, §3 FMABG Rz14) davon aus, dass der Schutzbereich der Bankaufsichtsregeln aufgrund des durch BGBl I 2008/136 neu eingefügten Abs1 Satz 2 in §3 FMABG nur mehr die von der Bankenaufsicht erfassten (beaufsichtigen) Rechtsträger selbst erfasse (vgl auch Mader in Schwimann/Kodek, ABGB4, §1 AHG Rz62). Ch. Rabl/Herndl (Amtshaftung wegen fehlerhafter Bankenaufsicht im Lichte des §3 Abs1 Satz 2 FMABG, ÖBA 2022, 99) sehen den Wortlaut des §3 Abs1 Satz 2 FMABG zwar als mehrdeutig an, in Kombination mit den Gesetzesmaterialien ergebe sich aber, dass der Ersatz von Schäden anderer Personen als den beaufsichtigten Rechtsträgern ausgeschlossen sei (vgl auch A. Rabl, Beschränkung der Haftung der FMA verfassungsrechtlich zulässig? ZFR 2009, 186). Schmid (Die Beschränkung der Amtshaftung gemäß §3 Abs1 Satz 2 FMABG, WBl 2021, 549 [551]) geht davon aus, dass die genannte Bestimmung Amtshaftungsansprüche „sonstiger betroffener Akteure“, insbesondere von Bankgläubigern, ausschließe. Schöller (Ausgewählte Fragen der Amtshaftung für mangelhafte Bankenaufsicht, ÖBA 2019, 886 [insb 893f]) vertritt zwar, dass das FMABG zu Schäden im Vermögen Dritter schweige, nimmt aber im Ergebnis ebenfalls an, dass der Schutzzweck der Bankenaufsichtsgesetze regelmäßig nicht den Schaden des einzelnen Geschädigten erfasse. Gegen eine Einbeziehung des einzelnen Gläubigers in den Schutzbereich der Bankenaufsicht spricht sich auch Rebhahn (Zur Haftung des Staates für Aufsicht und Intervention bei Banken – Ein Überblick aus Anlass von HBI und HETA, ÖZW 2017, 2 [insb 6]) aus; aA N. Raschauer, Gedanken zur Haftung für unzureichende Bankenaufsicht anhand von §3 Abs.1 des österreichischen Finanzmarktaufsichtsbehördengesetzes (FMABG), WM 2021, 613 (617ff).
[25] 3.5. Unionsrechtliche Bedenken gegen §3 Abs1 Satz 2 FMABG bestehen nicht.
[26] Schon die ältere Literatur nahm überwiegend an, dass es aus unionsrechtlicher Sicht nicht geboten sei, Bankgläubigern bei Verletzung von Aufsichtspflichten Amtshaftungsansprüche zuzubilligen (vgl etwa Karner, Grenzen der Amtshaftung bei mangelhafter Bankaufsicht, ÖBA 2007, 794; Rebhahn, Amtshaftung für „Bankprüfer“ – Wohltat oder Irrweg? ÖBA 2004, 267 [272]). Th. Stern (Unionsrechtliche Ziele und Instrumente der Bankenaufsicht, ZFR 2021/205 [insb 456])
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...“
betonte jüngst, dass die unionsrechtlichen Zielsetzungen des europäischen Bankenaufsichtsrechts zwar vielseitig und weit gefasst seien und jedenfalls den Funktionsschutz der Finanzmärkte, den kollektiven Gläubigerschutz sowie den Schutz der Steuerzahler umfassten. Bei Würdigung des Instrumentariums, das sich aus ordentlicher Bankenaufsicht, Abwicklungsregime und Einlagensicherung ergebe, werde jedoch klar, dass die Mittel der europäischen Bankenaufsicht auf spezifische Mechanismen fokussierten und damit (sachgerecht) beschränkt seien und keine Verbraucherschutzinstrumente „oder andere Serviceleistungen“ zugunsten einzelner Gläubiger inkludierten. Die Instrumente der Bankenaufsicht seien nicht derart „kalibriert“, die Gläubiger als „Individuen“ zu schützen.
[27] In seiner Entscheidung vom 12.10.2004, Rs C-222/02, Paul, hatte der EuGH die Unionsrechtskonformität des §6 Abs4 dKWG idF dBGBl I 1998, 2776 zu beurteilen. Diese Bestimmung lautete wie folgt: „Das Bundesaufsichtsamt nimmt die ihm nach diesem Gesetz und nach anderen Gesetzen zugewiesenen Aufgaben nur im öffentlichen Interesse wahr“ (vgl nunmehr §4 Abs4 des Gesetzes über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht). Der deutsche BGH sah es als vorlegendes Gericht als fraglich an, ob eine Vorschrift wie §6 Abs4 dKWG aus europarechtlicher Sicht die Amtshaftung des Bundesaufsichtsamtes beschränken könne.
[28] Der EuGH hielt fest, dass im deutschen Recht sowie in einer Reihe anderer Mitgliedstaaten ausgeschlossen sei, dass die nationalen Behörden zur Aufsicht über die Kreditinstitute im Falle einer unzureichenden Aufsicht gegenüber dem Einzelnen hafteten (EuGH, aaO, Rn 44). Die ihm vorgelegten Fragen zur unionsrechtlichen Zulässigkeit der Einschränkung der Haftung des deutschen Bundesaufsichtsamtes beantwortete er dahin, dass, wenn die in der Richtlinie 94/19/EG vorgesehene Entschädigung der Einleger gewährleistet sei, Art3 Abs2 bis 5 dieser Richtlinie [Anmerkung: wonach die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten dafür zu sorgen haben, dass die Kreditinstitute ihren Verpflichtungen als Mitglieder des Einlagensicherungssystems nachkommen] einer nationalen Vorschrift nicht entgegenstünden, nach der die nationale Behörde zur Aufsicht über die Kreditinstitute ihre Aufgaben nur im öffentlichen Interesse wahrnehme, was nach dem nationalen Recht ausschließe, dass der Einzelne Ersatz des Schadens verlangen könne, der durch eine unzureichende Aufsicht dieser Behörde entstanden sei (EuGH, aaO, Rn 32). Auch die Richtlinie 77/780/EWG zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute, die Richtlinie 89/299/ EWG über die Eigenmittel von Kreditinstituten sowie die Zweite Richtlinie 89/646/EWG zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute und zur Änderung der Richtlinie 77/780/EWG stünden einer nationalen Vorschrift nicht entgegen, nach der die nationale Behörde zur Aufsicht über die Kreditinstitute ihre Aufgaben nur im öffentlichen Interesse wahrnimmt (EuGH, aaO, Rn 47). Eine Koordinierung der nationalen Vorschriften über die Haftung der nationalen Behörden gegenüber Einlegern im Falle einer unzureichenden Aufsicht sei nicht erforderlich (vgl EuGH, aaO, Rn 43).
[29] Diese Rechtsansicht wurde vom EuGH in seiner zu Entscheidung vom 25.3.2021, Rs C-501/18, Balgarska
Narodna Banka, bestätigt (vgl dort die Ausführungen zur Vorlagefrage 3b, insb in Rn 57ff).
[30] Dass sich die europarechtlichen Rahmenbedingungen seitdem maßgeblich geändert hätten, zeigt die Revisionswerberin nicht auf. Ihre Hinweise auf die Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (dort die Erwägungsgründe 47und 91 sowie Art45), auf die Verordnung (EU) Nr575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2014/49/EU (dort die Erwägungsgründe 7, 37 und 76) sowie auf die Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über Einlagensicherungssysteme (dort Erwägungsgrund 3) lassen nicht erkennen, dass der europäische Gesetzgeber mit der jeweiligen Neuregelung eine zwingende Haftung der nationalen Aufsichtsbehörden oder des Staates gegenüber geschädigten An- und Einlegern im Falle einer unzureichenden Aufsicht vorsehen wollte. Auch Art169 AEUV kann dies nicht entnommen werden. In erster Instanz ging die Klägerin im Übrigen selbst davon aus, dass das Europarecht eine Amtshaftung für eine mangelhafte Bankaufsicht nicht zwingend erfordere, die Zulässigkeit des „Ausschlusses“ der Amtshaftungsansprüche in §3 Abs1 Satz 2 FMABG keine Frage des Unionsrechts, sondern ausschließlich einer Frage des nationalen Verfassungsrechts sei und das europäische Bankenaufsichtsregime keine Bestimmungen über Amtshaftungsansprüche infolge mangelhafter Bankenaufsicht enthalte.
[31] Die von der Revisionswerberin behauptete „Staatshaftung“ wegen einer Verletzung von Bestimmungen des Unionsrechts würde im Übrigen voraussetzen, dass (unionsrechtliche) Rechtsnormen, gegen die verstoßen wurde, bezweckten, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, dass der Verstoß außerdem hinreichend qualifiziert wäre und dass zwischen dem entstandenen Schaden und dem vom Mitgliedstaat zu vertretenden Verstoß ein Kausalzusammenhang bestünde (vgl RIS-Justiz RS0113922; 1 Ob 215/16y [mwN zur Rspr des EuGH]). Hier fehlt es schon an einer konkreten europarechtlichen Norm, aus welcher sich die von der Klägerin behaupteten (Ersatz-)Ansprüche ergäben.
[32] Zusammengefasst ist eine Unionsrechtswidrigkeit des §3 Abs1 Satz 2 FMABG nicht erkennbar. Die Anregung der Beklagten, ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art267 AEUV einzuleiten, ist angesichts der ohnehin vorliegenden Rspr zu dieser Frage nicht aufzugreifen.
4. Zur Haftung für die OeNB:
[33] 4.1. Die Klägerin leitet die Amtshaftung der Beklagten auch aus einem rechtlich unvertretbaren Verhalten von Mitarbeitern der OeNB im Rahmen der Bankenaufsicht ab. Voraussetzung für einen solchen Amtshaftungsanspruch wäre wieder, dass die Bestimmungen über die Bankenaufsicht als Schutzgesetze anzusehen wären, die (auch) das Vermögen jener Personen schützen sollen, die mit dem der Bankenaufsicht unterliegenden Kreditinstitut bloß in einer schuldrecht-
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lichen Beziehung stehen. Dies kann nach den überzeugenden Erwägungen des VfGH zu G224/2021 ua aber nicht angenommen werden, bezweckt das Bankenaufsichtsrecht demnach (seit der Novellierung des §3 Abs1 FMABG durch BGBl I 2008/136) doch gerade keinen schadenersatzrechtlichen Schutz einzelner Gläubiger. Dies muss aber unabhängig davon gelten, welche konkreten Organe im Rahmen der Bankenaufsicht tätig wurden. Da es nicht nachvollziehbar wäre, wenn die Haftung nur bei einer mangelhaften Aufsicht durch die FMA, nicht hingegen auch im Falle eines fehlerhaften Aufsichtsverhaltens der (von ihr beigezogenen) OeNB eingeschränkt wäre, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber des §3 Abs1 Satz 2 FMABG idF BGBl I 2008/136 die Haftung für die Bankenaufsicht insgesamt beschränken wollte (idS auch Fister, Grundfragen des §3 Abs1 Satz 2 FMABG und seine Wirkungen für die OeNB, ÖBA 2021, 849 [855]).
[34] 4.2. Der VfGH legte in seinem genannten Erkenntnis auch dar, dass die OeNB, soweit ihr im Rahmen der Bankenaufsicht überhaupt Befugnisse zukommen, nur als Hilfsorgan der FMA tätig wird und ihr insoweit keine behördliche Funktion zukommt. Sämtliche Handlungen der OeNB im Bereich der Bankenaufsicht sind demnach der FMA zuzurechnen, was nach Auffassung des VfGH auch dann gilt, wenn die OeNB ohne Auftrag der FMA tätig wurde (Rn 110). Eine Haftung der FMA für Schäden von Kunden (Gläubigern) jener Rechtsträger, die der Aufsicht nach dem FMABG unterliegen, ist in §3 Abs1 Satz 2 FMABG aber gerade ausgeschlossen.
[35] 4.3. Dass die OeNB organisatorisch dem Bund zuzurechnen ist, vermag dessen Haftung entgegen der Ansicht der Revisionswerberin nicht zu begründen, weil §1 Abs3 AHG nur eine Mithaftung des in organisatorischer Hinsicht zuständigen Rechtsträgers für eine materiell fremde Schuld, nämlich des funktionell zuständigen Rechtsträgers, vorsieht (vgl 1 Ob 8/02m). Eine solche besteht hier aber gerade nicht (oben Pkt3.).
[36] Die Revisionsausführungen zum Schutzzweck des BWG gehen schon im Hinblick auf §3 Abs1 Satz 2 FMABG, womit eine Einschränkung des Schutzzwecks der Bestimmungen über die Bankenaufsicht erfolgte, ins Leere. Dem Argument der Klägerin, die OeNB habe im Rahmen der Einzelbankenanalyse gem §79 Abs4a BWG sowie ihren VorOrt-Prüfungen gem §70 Abs1 Z3 und §70a Abs2 BWG ohne Prüfauftrag der FMA gehandelt bzw hätte im Rahmen dieser Aufgaben ohne einen solchen Auftrag tätig werden müssen, ist entgegenzuhalten, dass die OeNB nach der genannten Entscheidung des VfGH im Bereich der Bankenaufsicht ausschließlich als Hilfsorgan der FMA handelt; dies auch dann, wenn sie ohne Auftrag der FMA tätig wird. Warum dies auf die von der Revisionswerberin genannten Aufgaben nicht zutreffen sollte, ist schon deshalb nicht ersichtlich, weil sich aus der Verfassungsbestimmung des §1 Abs1 FMABG ergibt, dass die Zuständigkeit für die (behördliche) Bankenaufsicht allein bei der FMA liegt, was nach Fister (ÖBA 2021, 854f) insb auch für die „Einzelbankenanalyse“ nach §79 Abs4a BWG gilt. Zu 1 Ob 39/15i wies der OGH im Übrigen darauf hin, dass die OeNB zwar sämtliche Vor-Ort-Prüfungen, Gutachten und Analysen durchzuführen habe, das behörd-
liche Verfahren und die Entscheidungskompetenz aber bei der FMA verbleibe.
[37] Auf die Ausführungen zum behaupteten rechtswidrigen Verhalten von Mitarbeitern der OeNB sowie zu dessen Kausalität für den Schaden der Klägerin muss daher mangels Rechtswidrigkeitszusammenhangs nicht eingegangen werden. Die behaupteten Feststellungsmängel liegen nicht vor, weil der Klage schon ausgehend von den Klagebehauptungen keine Berechtigung zukommt.
5. Zur Haftung für den „Revisionsverband“:
[38] 5.1. Die Klägerin stützt ihren Amtshaftungsanspruch auch auf ein behauptetes Fehlverhalten des „Revisionsverbands des Amtes der Burgenländischen Landesregierung“, welches dem Bund zuzurechnen sei, weil Angelegenheiten des Genossenschaftswesens in dessen Vollzugsbereich fielen. Sie begründete die Amtshaftung einerseits damit, dass der „Revisionsverband“ nach den Bestimmungen des GenRevG 1997 – aufgrund der genossenschaftlichen Organisation ihrer Hauptgesellschafterin auch für die Bank – eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Revisorin (und Bankprüferin) bestellt habe, die dafür ungeeignet gewesen sei und nicht bestellt werden hätte dürfen; einem geeigneten Revisor wären die „Malversationen“ innerhalb der Bank aufgefallen. Andererseits hafte der „Revisionsverband“ (und für diesen der Bund) als Ausfallsbürge auch für Ersatzansprüche gegen den Revisor wegen Pflichtverletzungen bei der genossenschaftlichen Revision sowie der Bankprüfung.
[39] 5.2. Das Tätigwerden einer Landesregierung als „Revisionsverband“ kann nur historisch erklärt werden.
[40] §14 des Gesetzes betreffend die Revision der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und anderer Vereine, RGBl 1903/133, hatte es Genossenschaften ermöglicht, sich der Revision durch den „Landesausschuss“ zu unterwerfen, „falls und insolange der Ausschuss dieses Recht für sich beansprucht“. Beim Landesausschuss handelte es sich um ein Organ der autonomen Landesverwaltung, dem – als Vorgänger der Landesregierungen nach dem B-VG – im Wesentlichen die Verwaltung des Landesvermögens, die Wohlfahrtspflege und die Gemeindeaufsicht oblag (vgl Arbeitsgemeinschaft Österreichische Rechtsgeschichte, Rechts- und Verfassungsgeschichte5 [2018] Rz1688). In weiterer Folge war die Übernahme der Revision durch eine Landesregierung auch in §1 Abs1 der Genossenschaftsnovelle 1934, BGBl II 1934/195, als Alternative zur Revision durch einen Verband angeführt. [41] Demgegenüber sieht das nunmehr geltende GenRevG 1997 an sich nur mehr die Revision durch Revisionsverbände vor. Die Übergangsbestimmung des Art V §3 GenRevG 1997 („Revision durch die Landesregierung und andere Einrichtungen“) ordnet jedoch an, dass den nach diesen (früheren) Gesetzen für die Revision einer Genossenschaft zuständigen „Einrichtungen“ (also gegebenenfalls auch den Landesregierungen) die Rechte und Pflichten eines Revisionsverbands gemäß den Bestimmungen des GenRevG 1997 zukommen, wenn sie im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes ihre Revisionsbefugnis zumindest ein Jahr lang tatsächlich in Anspruch genommen haben. Dies trifft auf die Burgenländische Landesregierung – hinsichtlich der Revision der Bank und ihrer genossenschaftlich organisierten Hauptgesellschafterin –
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unstrittig zu (vgl auch Rohregger/Kretz, Wirecard, Commerzialbank & Co: Eine (wirtschaftsstraf-)rechtliche Prüfung der Prüfer, in Lewisch, Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit 2020 [2020] 95 [104]).
[42] 5.3. Die Prüfung einer Genossenschaft hat grundsätzlich durch einen vom Revisionsverband bestellten Revisor zu erfolgen. Prüfgegenstand sind Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Einrichtungen der Genossenschaft, ihrer Rechnungslegung und ihrer Geschäftsführung, insb die Erfüllung des Förderungsauftrags und die Wirtschaftlichkeit, sowie die Zweckmäßigkeit, Stand und Entwicklung ihrer Vermögens-, Finanz- und Ertragslage. Gem §1 Abs2 GenRevG 1997 hat sich die Revision auch auf Unternehmen zu erstrecken, die unter der einheitlichen Leitung einer Genossenschaft (Mutterunternehmen) mit Sitz im Inland stehen oder bei denen der Genossenschaft die Rechte nach §244 Abs2 UGB zustehen. Bei Kreditinstituten in der Rechtsform einer Genossenschaft sowie bei AGs, in die der Bankbetrieb oder der bankgeschäftliche Teilbetrieb einer Genossenschaft gem §92 Abs7 BWG eingebracht wurde (wovon die Klägerin ausgeht), hat das nach den genossenschaftsrechtlichen Regeln bestellte Prüfungsorgan gem §60 Abs2 BWG auch die Aufgaben des Bankprüfers wahrzunehmen (vgl Plattner, Cooperative Governance – Kreditgenossenschaften und Revision [2010] 120; Steinböck in Dellinger, BWG, §60 Rz3; Chini in Oppitz/Chini, BWG I2 [2022] §60 Rz4).
[43] Verletzt ein Revisor seine Pflicht zur gewissenhaften und unparteiischen Revision, ist er gem §10 Abs2 GenRevG 1997 der Genossenschaft und, wenn ein Unternehmen iSd §1 Abs2 GenRevG 1997 geschädigt worden ist, auch diesem zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Für Ersatzansprüche gegen einen Revisor aus der Revision, der Abschlussprüfung (§275 Abs2 UGB) und der Bankprüfung haftet der Revisionsverband gem §10 Abs3 GenRevG 1997 als Ausfallsbürge. Darüber hinaus haftet er auch direkt aus der Verletzung ihn selbst treffender Pflichten (Abs3 letzter Satz leg cit).
[44] 5.4. Die Klägerin leitet ihren Amtshaftungsanspruch einerseits daraus ab, dass die Beklagte als (funktionelle) Rechtsträgerin des Revisionsverbands als Ausfallsbürgin für eine mangelhafte Prüfung des Geschäftsbetriebs der Bank durch die zum Revisor bestellte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hafte. Sie behauptet aber nicht, dass sie diese Gesellschaft erfolglos in Anspruch genommen hätte oder deren Hauptschuld jedenfalls uneinbringlich wäre (vgl RIS-Justiz RS0120351). Ein auf die Ausfallsbürgschaft des Revisionsverbands gestützter Anspruch scheitert daher – auf Basis des Vorbringens der Klägerin – schon aus diesem Grund.
[45] 5.5. Damit verbleibt als möglicherweise anspruchsbegründender Sachverhalt die Bestellung des Revisors. Ein Revisionsverband haftet insofern für Sorgfalt bei der Auswahl (Perkounigg/Kessler in Dellinger, GenG2 [2014] §2 GenRevG Rz1: „culpa in eligendo“). Amtshaftung könnte ein diesbezügliches Verschulden aber nur begründen, wenn die Bestellung des Revisors – allgemein oder auch nur im hier vorliegenden Fall der Bestellung durch eine Landesregierung – in Vollziehung der Gesetze erfolgte und daher hoheitliches Handeln wäre.
[46] (a) Für ein hoheitliches Handeln ist kennzeichnend, dass die öffentliche Gewalt dem Staatsbürger mit Befehls- und
Zwangsgewalt („imperium“) ausgestattet gegenübertritt (vgl RIS-Justiz RS0049876 [T1]). Daneben kann der Staat auch als Träger von Privatrechten in Erscheinung treten, wobei sich seine nichthoheitlichen Tätigkeiten dabei nicht auf die Verfolgung privatwirtschaftlicher (Unternehmens-)Ziele beschränken, sondern auch der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienen können (vgl 1 Ob 201/16i; 1 Ob 132/19x). Ein hoheitliches Vorgehen ist nur dann zulässig, wenn dazu vom Gesetz die Befugnis in deutlich erkennbarer Weise eingeräumt wurde (RIS-Justiz RS0050117 [T1]). Hat der Gesetzgeber einen Verwaltungsträger mit keinen Zwangsbefugnissen ausgestattet, liegt keine Hoheits-, sondern Privatwirtschaftsverwaltung vor (RIS-Justiz RS0049882 [T9]). Die Ausübung staatlicher Kontrolle und Aufsicht im privatwirtschaftlichen Bereich ist nicht per se Hoheitsverwaltung, vielmehr ist auch dabei auf die jeweiligen Regelungen und die dem Kontrollorgan „rechtstechnisch“ eingeräumten Mittel abzustellen (1 Ob 170/17g mwN). Verbleiben Zweifel, ob ein bestimmter Verwaltungsakt im Bereich der Hoheitsverwaltung oder der Privatwirtschaftsverwaltung zu ergehen hat, ist Letzteres anzunehmen (RIS-Justiz RS0050117).
[47] (b) Die Genossenschaftsrevision verfolgt in erster Linie einen gesellschaftsrechtlichen Prüfungsansatz. Sie dient primär der Sicherung der Interessen der Genossenschafter (VwGH Ro 2016/04/0048). Schon das Gesetz RGBl 1903/133 kannte keine direkte behördliche Kontrolle der Genossenschaften (vgl Gutknecht, Bemerkungen zum genossenschaftlichen Revisionssystem, in FS K. Wenger [1983] 383 [391]). Während in der Literatur zur Rechtslage vor dem GenRevG 1997 strittig war, ob der Revisionsverband – als beliehener Rechtsträger – auch staatliche Hoheitsaufgaben wahrzunehmen habe (vgl die Nachweise bei Gutknecht, aaO, 397), ergibt sich aus dem GenRevG 1997, dass diesem keine hoheitlichen Befugnisse zukommen. Weder der Umstand, dass die Anerkennung eines Revisionsverbands durch eine staatliche Stelle erfolgt (vgl §23 Abs1 GenRevG 1997), noch die hoheitliche „Überwachung“ der Revisionsverbände (vgl §20 Abs3 GenRevG 1997) lassen auf eine hoheitliche Tätigkeit des Verbands selbst schließen (vgl bereits Gutknecht, aaO, 398 [zur alten Rechtslage]). Ebenso wenig spricht es für einen hoheitlichen Charakter der vom Revisionsverband wahrzunehmenden Aufgaben, dass die Genossenschaftsrevision ua auch im öffentlichen Interesse einer umfassenden Prüfung von Genossenschaften liegt (Gutknecht, aaO, 399). Für die Bestellung eines Revisors durch den Genossenschaftsverband sieht §2 GenRevG 1997 ebenso wenig eine öffentlich-rechtliche Handlungsform, insbesondere keine Bestellung durch Bescheid, vor wie für die Prüfung des Berichts des Revisors durch den Revisionsverband (§5 Abs4 GenRevG 1997). Auch §11 GenRevG 1997, wonach bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Revisor oder dem Revisionsverband und der Genossenschaft (oder einem Unternehmen iSd §1 Abs2 GenRevG 1997) das Gericht zu entscheiden hat, und §12 GenRevG 1997, wonach dem Gericht die Befugnis zur Verhängung von Zwangsstrafen vorbehalten ist, deuten darauf hin, dass dem Revisionsverband insgesamt keine hoheitlichen Befugnisse zukommen.
[48] (c) Insgesamt ergibt sich aus der Gesamtheit der Reglungen über die Genossenschaftsrevision somit, dass den Revisionsverbänden, die gem §19 Abs1 GenRevG 1997 (wenn
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es sich um von der zuständigen staatlichen Stelle anerkannte Revisionsverbände handelt) als Vereine oder Genossenschaften, sohin als juristische Personen des Privatrechts, organisiert sein müssen, bei Erfüllung ihrer Aufgaben keine Hoheitsgewalt zukommt, was (e contrario) auch daraus geschlossen werden kann, dass gem §23 Abs2 GenRevG 1997 nur der Vereinigung österreichischer Revisionsverbände behördliche Aufgaben zukommen (nach Stehlik [in Dellinger, GenG2, §14 GenRevG Rz1] hat diese auch zuvor den Revisionsverbänden obliegende hoheitliche Aufgaben übernommen). Aus deren Verhalten leitet die Klägerin ihren Amtshaftungsanspruch aber nicht ab.
[49] (d) Der Umstand, dass im konkreten Fall die Aufgaben des Revisionsverbands von einer Landesregierung wahrgenommen werden, kann ebenfalls keine Amtshaftung begründen.
[50] Den gem §14 des Gesetzes RGBl 1903/133 sowie den gem §1 Abs3 und 4 der Genossenschaftsnovelle 1934, BGBl II 1934/195 idF BGBl 1936/386, für die Revision bestimmter Genossenschaften zuständigen „Einrichtungen“ kommen aufgrund von Art V §3 Satz 1 GenRevG 1997 jeweils die Rechte und Pflichten eines Revisionsverbands gemäß den Bestimmungen des GenRevG 1997 zu, wenn sie – wie hier die Burgenländische Landesregierung – im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes ihre Revisionsbefugnis zumindest ein Jahr lang tatsächlich in Anspruch genommen haben. Die Frage, ob der Burgenländischen Landesregierung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben als genossenschaftlicher Revisionsverband, insb bei der Bestellung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zum genossenschaftlichen Revisor, hoheitliche Befugnisse zukamen, kann daher nach Inkrafttreten des GenRevG 1997 nicht anderes beurteilt werden als hinsichtlich der von der „zuständigen Behörde“ (gem §23 Abs3 GenRevG 1997 der BMWA) anerkannten und gem §19 Abs1 GenRevG 1997 in der Rechtsform einer Genossenschaft oder eines Vereins, sohin als juristische Person des Privatrechts, zu organisierenden Revisionsverbände.
[51] (e) Die Revisorenbestellung durch die Burgenländische Landesregierung beruhte somit auf keinem Hoheitsakt. Dies gesteht die Klägerin in ihrer Revision letztlich auch selbst zu, wenn sie behauptet, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sei vertraglich zum genossenschaftlichen Revisor und Bankprüfer bestellt worden. Soweit sie – dem widersprechend – argumentiert, das GenRevG 1997 enthalte keine Bestimmungen zur genossenschaftlichen Revision durch die Landesregierung, weshalb die Bestellung des Revisors durch diese nach §14 des Gesetzes RGBl 1903/133 durch „Beschluss“ (gemeint: hoheitlich) erfolgt sei, geht dies schon deshalb ins Leere, weil dieses Gesetz gemäß Art V §12 Z1 GenRevG 1997 mit Inkrafttreten des GenRevG 1997 aufgehoben wurde.
[52] (f) Amtshaftung der beklagten Partei kommt somit nicht in Betracht. Ob dem – von der Klägerin behaupteten –Vertrag, mit dem die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur genossenschaftlichen Revisorin bestellt wurde, Schutzwirkungen zugunsten der Klägerin als Gläubigerin der geprüften Bank zukamen, muss nicht beurteilt werden, weil dies keine Amtshaftung des beklagten Rechtsträgers begründen könnte.
6. Zur Haftung für die Staatsanwaltschaft:
[53] 6.1. Die Klägerin stützt ihren Amtshaftungsanspruch auch darauf, dass Organe staatsanwaltschaftlicher Behörden
(Staatsanwaltschaft Eisenstadt und WKStA) trotz ihnen bereits 2015 vorliegender Hinweise auf Straftaten von verantwortlichen Personen der Bank keinen Anfangsverdacht iSd §1 Abs3 StPO angenommen und es deshalb pflichtwidrig unterlassen hätten, gem §2 Abs1 StPO ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren einzuleiten.
[54] 6.2. §2 Abs1 StPO verpflichtet die Organe der Staatsanwaltschaft, jeden ihnen zur Kenntnis gelangten Anfangsverdacht einer Straftat (die nicht bloß auf Verlangen einer dazu berechtigten Person zu verfolgen ist) in einem Ermittlungsverfahren von Amts wegen aufzuklären. Liegen keine Anhaltspunkte vor, die annehmen lassen, dass eine Straftat begangen wurde, sieht das Gesetz keine Ermittlungshandlungen vor. In diesem Fall hat die Staatsanwaltschaft – sofern sie noch keine Ermittlungshandlungen gesetzt hat – gem §35c StAG von der Einleitung eines Strafverfahrens abzusehen (vgl Kirchbacher in Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 [2020] §1 Rz8/2; Fellner/Nogratnig, RStDG, GOG und StAG II5.01, §35c StAG Rz2).
[55] 6.3. Die Strafverfahrensvorschriften dienen den Interessen der Gemeinschaft, der Öffentlichkeit und des Staates (Markel in Fuchs/Ratz, WK-StPO, §1 Rz8). Ihr primärer Zweck liegt in der Verwirklichung des materiellen Strafrechts im Einzelfall mit der richtigen Bewertung von Tat und Täter zum Zweck der gerechten Bestimmung einer Sanktion oder einer anderen gesetzlich vorgesehenen Konsequenz (1 Ob 81/19x; vgl auch Markel, aaO, §1 Rz3). Nicht alle Bestimmungen der StPO dienen daher bei der maßgebenden teleologischen Betrachtungsweise auch dem Schutz des durch eine Straftat Geschädigten (RIS-Justiz RS0050078). Wie weit der Schutzzweck einer konkreten Bestimmung der StPO geht, ist jeweils nach dem Zweck der darin angeordneten Amtspflicht wertend zu beurteilen. Allein deshalb, weil eine dem öffentlichen Interesse dienende Amtshandlung mittelbar auch die Interessen eines Dritten berührt, ihm zugutekommt und damit als Reflexwirkung pflichtgemäßen Verhaltens einen Vorteil verschaffen kann, lässt sich noch nicht auf eine Rechtspflicht gerade einem solchen Dritten gegenüber schließen (vgl 1 Ob 143/07x mwN).
[56] 6.4. Zu 1 Ob 73/16s hatte der Fachsenat einen auf die Verletzung der Anzeigepflicht des §84 StPO aF (nunmehr §78 StPO) gestützten Amtshaftungsanspruch zu beurteilen.
[57] Dort leiteten die Kläger die Haftung des Bundes daraus ab, dass sie als Gläubiger einer behördlichen Aufsicht unterliegenden Kapitalgesellschaft dadurch einen Schaden erlitten hätten, dass betrügerische Handlungen der Organe dieser Gesellschaft von der Aufsichtsbehörde pflichtwidrig nicht angezeigt worden seien; in diesem Fall wären diese bekannt geworden und eine Investition der Kläger in die Gesellschaft wäre unterblieben.
[58] Der Senat ging in dieser Entscheidung davon aus, dass Einflüsse des Ausgangs eines strafrechtlichen Verfahrens auf individuelle Interessenlagen nur als – die Amtspflicht des belangten Rechtsträgers nicht begründende – Reflexwirkungen pflichtgemäßen Verhaltens zu beurteilen seien und keinen Schluss auf eine Rechtspflicht gerade einem solchen Dritten gegenüber zuließen, wenn sich der konkrete Zweck einer Bestimmung der StPO nur auf Interessen der Allgemeinheit
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erstrecke. Das Recht des Staates auf Strafverfolgung (in einem bestimmten Fall) gemäß den prozessualen Bestimmungen sei nach der Rspr des OGH zu den Amtsdelikten des StGB ein konkretes Recht zur Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs (vgl RIS-Justiz RS0096766; gegenteilig [nur] RIS-Justiz RS0096766 [T4] = 13 Os 87/89). §84 Abs1 StPO aF sei Teil jener Normen des Verfahrensrechts, die der Verwirklichung dieses Strafanspruchs dienten. Die in dieser Bestimmung normierte Anzeigepflicht bezwecke primär die Durchsetzung des Strafverfolgungsinteresses des Staates und des Offizialprinzips. Hingegen verfolge §84 StPO aF bei richtigem Verständnis nicht den Zweck, den Eintritt von nach dem Zeitpunkt der unterlassenen Strafanzeige eintretenden Vermögensschäden zu verhindern. Potenziell künftig am Vermögen Geschädigte seien vom Schutzzweck dieser Bestimmung nicht erfasst, weshalb kein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Unterlassen der Strafanzeige durch die Aufsichtsbehörde und den von den (dortigen) Klägern aus nachfolgenden Investitionen abgeleiteten Vermögensschäden bestehe. Als bloße Reflexwirkung pflichtgemäßen Verhaltens begründe der Umstand, dass die Kläger im Falle der Erstattung einer Strafanzeige keinen Schaden erlitten hätten, keine Amtshaftung.
[59] Diese Rechtsausführungen wurden vom Fachsenat in einer weiteren Entscheidung bestätigt (1 Ob 163/16a).
[60] 6.5. Gründe für ein Abgehen von der Rspr zeigt die Revision nicht auf. Davon ausgehend begegnet es aber keinen Bedenken, dass die Vorinstanzen den Zweck der Bestimmungen über die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens (§2 Abs1 StPO und §35c StAG) nicht (auch) darin erblickten, künftige Gläubiger jener Bank, hinsichtlich deren verantwortlichen Personen die Organe der Staatsanwaltschaft die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens – nach den Klagebehauptungen pflichtwidrig –unterließen, davor zu schützen, durch weitere Straftaten einen Vermögensschaden zu erleiden. Weder war zum Zeitpunkt der behaupteten Pflichtverletzung vorhersehbar, dass gerade die Klägerin als künftige Gläubigerin der Bank durch unentdeckt gebliebene Straftaten ihrer gesellschaftsrechtlichen Organe in Zukunft einen Schaden erleiden könnte, noch war der Kreis allfälliger künftiger Geschädigter zu diesem Zeitpunkt überhaupt absehbar.
[61] Dass der (nach den Klagebehauptungen) eingetretene Schaden der Klägerin durch die frühere Einleitung eines Ermittlungsverfahrens unter Umständen verhindert werden hätte können, vermag daher als bloße Reflexwirkung pflichtgemäßen Verhaltens keinen Amtshaftungsanspruch zu begründen.
beeinträchtigt worden sein könnte. Dies setzt aber – wie sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt – einen bereits eingetretenen Schaden bzw eine solche Beeinträchtigung voraus. Der Schluss, dass die Pflicht zur Einleitung eines Strafverfahrens auch den Schutz von Personen bezwecke, denen –wie hier der Klägerin – allenfalls erst künftig ein Schaden aus einer strafbaren Handlung entstehen könnte, kann daraus nicht gezogen werden.
[63] Warum der Klägerin dadurch ein Schaden verursacht worden sein soll, dass das Unterbleiben der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gem §35c StAG „formal“ unzulässig gewesen wäre, weil die Organe der Staatsanwaltschaft bereits Ermittlungsschritte gesetzt hätten (in diesem Fall käme eine Einstellung des Verfahrens nach §190 StPO in Betracht), ist nicht ersichtlich. Auch die Relevanz der Revisionsausführungen zum unterbliebenen Bericht der Staatsanwaltschaft an den Rechtsschutzbeauftragten nach §194 Abs3 StPO erschließt sich nicht.
[64] 7. Aus diesen Gründen ist die angefochtene Entscheidung zu bestätigen. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:
[65] 7.1. Die Republik Österreich haftet nicht für Vermögensschäden geschädigter Bankkunden aufgrund einer fehlerhaften Bankaufsicht durch die FMA, weil solche Schäden gem §3 Abs1 Satz 2 FMABG nicht vom Schutzzweck des Bankenaufsichtsrechts umfasst sind. Unionsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmung bestehen nicht.
[66] 7.2. Der gesetzliche Ausschluss der Haftung für Vermögensschäden geschädigter Bankkunden aufgrund einer fehlerhaften Bankaufsicht nach §3 Abs1 Satz 2 FMABG gilt auch für Schäden, die aus einer Tätigkeit der OeNB im Rahmen der Bankenaufsicht abgeleitet werden. Ihre Handlungen im Bereich der Bankenaufsicht sind der FMA zuzurechnen.
[67] 7.3. Dem Revisionsverband kommen bei der Erfüllung seiner Aufgaben nach dem GenRevG 1997 keine hoheitlichen Befugnisse zu. Das Tätigwerden einer Landesregierung als Revisionsverband ist nur historisch zu erklären und ändert nichts daran, dass die Bestellung eines genossenschaftlichen Revisors durch diese nicht durch Hoheitsakt erfolgt. Eine Amtshaftung kann daher aus einem behaupteten Fehler bei der Auswahl des Revisors nicht abgeleitet werden.
[62]
6.6. Aus der von der Revisionswerberin ins Treffen geführten E 1 Ob 81/19x lässt sich für ihren Standpunkt nichts ableiten, war doch dort die (vom Fachsenat verneinte) Frage zu beurteilen, ob die Pflicht der Polizei zur Durchführung von Erhebungen zu einem (Arbeits-)Unfall auch der Anspruchsdurchsetzung der durch den Unfall geschädigten Person diene. Auch die – in der Revision nicht näher genannten –„Opferschutzbestimmungen der StPO“ lassen keinen Rückschluss auf den Normzweck des §2 Abs1 StPO und des §35c StAG zu. Zwar gilt gem §65 Z1 litc StPO als Opfer iSd StPO eine Person, die durch eine Straftat einen Schaden erlitten hat oder sonst in ihren strafrechtlich geschützten Rechtsgütern
[68] 7.4. Die Bestimmungen über die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sollen Gläubiger einer Bank nicht davor schützen, dass ihnen aufgrund der unterbliebenen Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens durch künftige Straftaten der Organe dieser Bank ein Vermögensschaden entsteht. Dass ein solcher Schaden durch die frühere Einleitung eines Ermittlungsverfahrens unter Umständen verhindert werden hätte können, kann als bloße Reflexwirkung pflichtgemäßen Verhaltens keinen Amtshaftungsanspruch begründen.
8. ...
Anmerkung:
1. Erosion der Amtshaftung
Die vorliegende Entscheidung zum Komplex Commerzialbank Mattersburg hat – ebenso wie wenig später die Entscheidungen 1 Ob
208 3/2023 Judikatur
104/22h und 1 Ob 140/22b, beide vom 12.10.2022 – grundsätzlichen Charakter, vollzog sich die Erosion der Amtshaftung doch über verschiedene Etappen, die von lebhafter literarischer Diskussion begleitet waren, bevor sich die Höchstgerichte (der VfGH und ihm folgend der OGH) der Klärung von Interpretationsfragen zu widmen hatten.
Im Jahr 2003 hatte der OGH die Amtshaftung bei der Bankenaufsicht noch auf den Bankprüfer ausgedehnt (OGH 25.3.2003, 1 Ob 188/02g; dazu die Überlegungen von Herbst, Organe der Bankaufsicht und Amtshaftung, ÖBA 1998, 278; Krejci, Amtshaftung für Bankprüfer, ÖBA 1998, 16 [25]; Rebhahn, Amtshaftung für „Bankprüfer“ – Wohltat oder Irrweg? ÖBA 2004, 267; Vavrovsky, Zur Haftung des Bankprüfers, ÖBA 2001, 577 [587]). In der Abschlussprüferhaftungsentscheidung zur Grazer BHI-Bank (OGH 23.10.2000, 8 Ob 141/99i) wurde diese Kontroverse noch nicht angesprochen (dazu Gelter, BHI-Pleite: Haftung des Abschlussprüfers, RdW 2001, 69 [71]). Der Gesetzgeber sah sich schließlich zu einer Novellierung des FMABG (BGBl I 2005/33) veranlasst, um derartigen Entwicklungen durch die Klarstellung entgegenzutreten, dass Bankprüfer grundsätzlich nicht Organe iSd §1 Abs1 AHG sind und daher nicht in den Anwendungsbereich der Amtshaftung fallen (§3 Abs5 FMABG). Die nunmehrige Stellungnahme der OGH zur amtshaftungsrechtlichen Einordnung des Revisionsverbands lässt diesen kurzen Rückblick angebracht erscheinen.
Der nächste legistische Einschnitt in das Amtshaftungsrecht vollzog sich durch BGBl I 2006/48 im Kontext mit den Vorschriften über den unerlaubten Geschäftsbetrieb; §§22b bis 22d FMABG enthalten Enforcement-Regelungen, bei deren Vollziehung – so die damalige Klarstellung im §22e FMABG – die FMA „im öffentlichen Interesse“ handelt. Nach diesem Befund erscheinen die Möglichkeiten zB eines Kreditinstituts oder seiner Eigentümer (Gesellschafter), Amtshaftungsansprüche wegen fehlerhafter Aufsichtstätigkeit geltend zu machen, grundsätzlich reduziert; in der Literatur werden exemplarisch die rechtswidrige Verweigerung einer Konzession oder eine rechtswidrige Eingriffsmaßnahme genannt (B. Raschauer, Bankaufsicht, Amtshaftung und Beihilfenverbot, ÖJZ2005, 1 [6]). Die schließlich durch BGBl I 2008/136 vorgenommene Einschränkung der Amtshaftung, durch welche Schäden, die sich lediglich als Reflexwirkung des Aufsichtsverhaltens im Vermögen Dritter auswirken, ausgeschlossen werden sollen (ErlRV 682 BlgNR 23. GP, 6), hat hinsichtlich ihres Inhalts sowie ihrer Verfassungsmäßigkeit unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen (vgl die Nachweise bei J. Bauer, Einschränkung derAmtshaftungfür die FMA, in Lienbacher/Wielinger, Jahrbuch Öffentliches Recht 2009 [2009] 223 [225ff]; Oppitz, Kapitalmarktaufsicht [2017] 179). Der Gesetzgeber hatte mit dieser Novelle in §3 Abs1 Satz 2 FMABG dekretiert: „Schäden im Sinne dieser Bestimmung sind solche, die Rechtsträgern unmittelbar zugefügt wurden, die der Aufsicht nach diesem Bundesgesetz unterliegen.“ Die Frage der Verfassungskonformität von §3 Abs1 Satz 2 FMABG hat von der Formulierung in Art23 Abs1 B-VG auszugehen, dass die Träger der Amtshaftung für den Schaden haften, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten „wem immer“ schuldhaft zugefügt haben; diese offene Umschreibung der Anspruchsberechtigten könnte eine Ausgrenzung geschädigter Anleger aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten vordergründig als verfassungswidrig erscheinen lassen (ausführlich dazu Oppitz, Kapitalmarktaufsicht, 179ff); dies insb angesichts des aus Art23 Abs5 B-VG ableitbaren Gegenschlusses, dass in anderen Gebieten als jenen des Post- und Fernmeldewesens von den Grundsätzen des Art23 Abs1 bis 3 B-VG nicht abgewichen werden darf. Art23 Abs4 B-VG bestimmt, dass „die näheren Bestimmungen zu den Abs.1 bis 3“ durch Bundesgesetz getroffen werden.
Klar erscheint, dass der Gesetzgeber durch §3 Abs1 Satz 2 FMABG den Anwendungsbereich der Amtshaftung einschränken wollte; weniger klar bleibt die genaue Reichweite dieser Bestimmung (ebenso J. Bauer, Einschränkung, 224). Eine pragmatische Skizze des Bedeutungsgehalts der amtshaftungsrechtlichen Reduktion wurde in der Literatur wie folgt versucht: „Amtshaftungsansprüche für Schäden, die durch das Aufsichtsverhalten der FMA rechtswidrig und schuldhaft verursacht werden, werden hinkünftig
wohl grundsätzlich nur den von der FMA beaufsichtigten Unternehmen zustehen. Ein solcher Anspruch wird praktisch vor allem dann in Frage kommen, wenn das beaufsichtigte Unternehmen durch ein Übermaß an staatlichen Eingriffen geschädigt wird“ (J. Bauer, Einschränkung, 224). Ein unbedingter – sonstige Zurechnungsvoraussetzungen verdrängender – Anspruch des beaufsichtigten Kreditinstituts (Rechtsträgers) besteht freilich nicht (Ch. Rabl/Herndl, Amtshaftung wegen fehlerhafter Bankenaufsicht im Lichte des §3 Abs1 Satz 2 FMABG, ÖBA 2022, 99 [104]). Dass §3 Abs1 Satz 2 FMABG hingegen für die Gläubiger des Rechtsträgers das bittere Fazit einer abschließenden Norm iSd Ausschlusses der Amtshaftung bedeutet (Ch. Rabl/Herndl, ÖBA 2022, 99ff), ergibt sich aus den verba legalia hingegen mit hinreichender Deutlichkeit (wenn man mit Schöller, Amtshaftung für mangelhafte Bankenaufsicht [2019] 42, auch eine andere Lesart zumindest erwägen könnte).
Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 16.12.2021, G224/2021 ua, schließlich aus Anlass eines Parteiantrags auf Normenkontrolle nach Art140 Abs1 Z1 litd B-VG bestätigt, dass die gesetzlich vorgezeichnete Erosion der Amtshaftung (so der Befund von Oppitz, Der unions- und verfassungsrechtliche Rahmen aufsichtsbehördlichen Handelns, in Rüffler/N. Raschauer, Reform der Finanzmarktaufsicht [2018] 1 [20]) auch einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung standhält (vgl dazu etwa Kahl, Zum verfassungsrechtlichen Spielraum des einfachen Gesetzgebers, Amtshaftungsansprüche (im Bereich der Bankenaufsicht) auszuschließen, ÖZW 2022, 30).
Die hier nicht im Detail auszubreitende Sichtweise des VfGH, dass das FMABG in grundrechtskonformer Weise mit der Legaldefinition des Schadenbegriffs der Sache nach eine Regelung des Rechtswidrigkeitszusammenhangs zur einschränkenden Korrektur einer extensiven OGH-Rspr getroffen hat, ist auch in der Literatur auf Akzeptanz gestoßen (Nachweise bei Kahl, ÖZW 2022, 36; vgl bereits die ausführliche Analyse von Fister, Grundfragen des §3 Abs1 Satz 2 FMABG und seine Wirkungen für die OeNB, ÖBA 2021, 849).
Insofern nimmt es kaum wunder, dass der OGH in der vorliegenden Entscheidung keine Ambitionen entwickelt hat, die vom VfGH vorgezeichnete Linie zu verlassen (zustimmend jüngst Herndl, Zur Amtshaftung für mangelhafte Finanzmarktaufsicht, ÖBA 2023, 121). Auf der Ebene des nationalen Rechts war die Synchronisation der Höchstgerichte daher abzusehen.
2. Zur OeNB
Ein bemerkenswerter Aspekt ist die im Verfahren relevante Qualifikation des Handelns der OeNB im Rahmen der Bankenaufsicht. IS deren tradierter verwaltungsrechtlicher Einordnung (vgl etwa die Nachweise bei Oppitz in Oppitz/Chini, BWG I2 [2022] §79 Rz2ff) überraschte es im Grunde wenig, dass der OGH einen §3 Abs1 Satz2 FMABG umgehenden amtshaftungsrechtlichen Königsweg für geschädigte Einleger nicht freigemacht hat (vgl zur amtshaftungsrechtlichen Dimension der OeNB bereits Schragel, AHG3 [2003] §1 Rz31; ausführlich Fister, ÖBA 2021, 854, mit Verweis auf Schmid, Die Beschränkung der Amtshaftung gemäß §3 Abs1 Satz 2 FMABG, WBl 2021, 549 [557]): Die OeNB übt im Bereich der Bankenaufsicht Hilfsaufgaben (fact finding) aus, während die behördliche Entscheidungskompetenz (decision taking) allein bei der FMA angesiedelt ist. Sämtliche Handlungen des Hilfsorgans OeNB sind dabei der FMA zuzurechnen, für deren Verhalten somit wiederum §3 Abs1 FMABG eingreift (zur Sachverständigenrolle der OeNB vgl Oppitz, Bankrecht, in Holoubek/Potacs, Öffentliches Wirtschaftsrecht II4 [2019] 41 [72ff]).
Diese Zuordnung des Handlungsspektrums der OeNB zum Regime der Indienstnahme durch die FMA (Oppitz, Bankrecht, 74; Fister [ÖBA 2021, 855] qualifiziert die OeNB im Rahmen der Bankenaufsicht als „ein der FMA funktionell zuzurechnendes Organ“) ist –wie der Vollständigkeit halber festgehalten werden muss – nicht verallgemeinerungsfähig; originäre behördliche Zuständigkeiten der OeNB sind, wenn auch in concreto nicht relevant, durchaus denkbar – man muss dazu nur einen Blick auf die zurzeit besonders aktuelle Materie des Sanktionenrechts werfen (vgl §2 SanktG).
3. Die europarechtliche Dimension
Der OGH hätte aber auch anregungsgemäß noch erwägen können, ein Vorabentscheidungsverfahren zur Frage zu initiieren, ob der
3/2023 209 Judikatur
Ausschluss der Amtshaftung gem §3 Abs1 Satz 2 FMABG europarechtskonform ist. Der OGH zeigte sich diesbezüglich mehr als reserviert, wobei ihm zum einen die Abstinenz des europäischen Normsetzers in Bezug auf die Schaffung finanzmarktrechtlicher Amtshaftungsregelungen zupass kam, zum anderen aber auch die interpretationsbedürftige einlagensicherungsrechtliche Leitentscheidung des EuGH vom 12.10.2004, Rs C-222/02, Paul: Demnach steht die Richtlinie 94/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.5.1994 über Einlagensicherungssystem, ABl L 135 vom 31.5.1994, S5, einer nationalen Regelung nicht entgegen, die festlegt, dass die Bankenaufsichtsbehörde allein im öffentlichen Interesse tätig wird. Dieser Stehsatz wird nicht nur vom OGH als Rechtfertigung dafür angesehen, europarechtliche Experimente zu unterlassen: „Wenngleich dieses Urteil des EuGH schon einige Zeit zurückliegt“, wird in der jüngeren Literatur resümiert, dass „die ihm zugrundeliegenden Normen bis heute gleich geblieben“ seien (Kahl, ÖZW 2022, 39). Der EuGH hat im Urteil vom 25.3.2021, Rs C-501/18, Balgarska Narodna Banka, an seiner Vorjudikatur tatsächlich bestätigend angeknüpft, worauf auch der OGH hinweist.
Geht man ins Detail, ist eine präjudizielle Bedeutung der PaulEntscheidung zumindest zu hinterfragen: Es ging um einen behaupteten Schaden des Herrn Peter Paul, der die Einlagensicherung von 20.000€ überstiegen hatte und auf Aufsichtsrechtsverletzungen (insb Art3 Abs2 bis 5 der damals geltenden Richtlinie 94/19/ EG) beruhte, die keinen individualschützenden Charakter aufgewiesen hatten. Damit stand die Frage im Vordergrund, ob die Einleger ihre Einlagen auch verloren hätten, wenn die Richtlinie 94/ 19/EG fristgerecht umgesetzt worden wäre; die deutsche Aufsichtsbehörde hätte dann gegen die betreffende deutsche Bank – so das klägerische Vorbringen – bereits zu einem Zeitpunkt Aufsichtsmaßnahmen getroffen, zu dem die Kläger noch keine Einzahlungen getätigt hätten.
Im vorliegenden Zusammenhang geht es anders als bei Paul nicht um die Frage einer fristgerechten Richtlinienumsetzung im Bereich der Einlagensicherungsinfrastruktur und einer damit verbundenen möglichen Besserstellung von Bankkunden, sondern um die Frage, ob sonstige europarechtliche Normen, darunter auch unmittelbar anwendbare Rechtsakte wie die CRR (Verordnung [EU] Nr575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung [EU] Nr646/2012, ABl L 176 vom 27.6.2013, S1), Individualansprüche im Falle schuldhaft-rechtswidrigen Handelns von Aufsichtsbehörden verbürgen, die dem Einzelnen durch §3 Abs1 Satz 2 FMABG widerrechtlich entzogen werden sollen. Auch die vom OGH referenzierte Balgarska Narodna Banka-Entscheidung befasst sich ausschließlich mit der Richtlinie 94/19/EG, welche nach Auffassung des EuGH zwar eine Entschädigung der Einleger im Falle der Nichtverfügbarkeit ihrer Einlagen vorsehe, den Einlegern aber keine Rechte verleihe, die geeignet wären, den Staat nach dem Unionsrecht im Falle der Nichtverfügbarkeit ihrer Einlagen aufgrund einer unzureichenden Aufsicht der zuständigen nationalen Behörden haftbar zu machen. Die bulgarische Nationalbank (Balgarska Narodna Banka) verstieß gegen das Unionsrecht, indem sie es (entgegen der Empfehlung EBA/REC/2014/02, online abrufbar unter https:// www.eba.europa.eu/sites/default/documents/files/documents/10180/ 856039/40ad5eae-beef-4f55-a7d0-272b9cf38586/EBA%20REC% 202014%2002%20%28Recommendation%20to%20the%20BNB% 20and%20BDIF%29.pdf?retry=1) unterlassen hatte, die Nichtverfügbarkeit der von einem Kreditinstitut (KTB) verwalteten Einlagen gem Art1 Z3 Pkt i) der Richtlinie 94/19/EG festzustellen und die Erfüllung aller Verpflichtungen der KTB ausgesetzt hatte, was dazu geführt habe, dass die Einleger am Zugang zu den gesicherten Einlagen über das in dieser Richtlinie vorgesehene System gehindert worden seien. Der Horizont der Richtlinie 94/19/EG wurde somit auch mit dieser Entscheidung nicht überschritten.
Bei näherer Betrachtung scheint die europarechtliche Ausgangssituation damit nicht so festgefahren, wie es angesichts der Paul- sowie der Balgarska Narodna Banka-Entscheidung aufs Erste zu vermuten wäre. Zunächst einige vorbereitende Anmerkungen: Nach der Rspr des EuGH hat der Vorrang des Unionsrechts zur
Folge, dass entgegenstehendes innerstaatliches Recht „ohne weiteres unanwendbar wird“ (EuGH 9.3.1978, Rs 106/77, Simmenthal II, Rn17/18). Dem Unionsrecht kommt somit Anwendungsvorrang gegenüber entgegenstehendem innerstaatlichem Recht zu (siehe auch Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht6 [2017] 86). Daraus folgt, dass innerstaatliche Organe eine mit einer (unmittelbar anwendbaren) unionsrechtlichen Norm nicht vereinbare innerstaatliche Norm nicht anzuwenden haben; die dem Unionsrecht widersprechende Norm bleibt zwar in ihrer Existenz bzw Geltung unberührt und wird nicht aus dem Recht des jeweiligen Staates getilgt. Lediglich in unionsrechtlich nicht relevanten Fällen bleibt sie weiter anwendbar.
Ist die vom OGH vertretene Auffassung, die durch das FMABG dekretierte Amtshaftungsbegrenzung sei europarechtskonform, tatsächlich über jeden Zweifel erhaben? Auf ein europarechtlich vorgeprägtes Amtshaftungsrecht, welches eine eindeutige Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts zuließe, kann man sich – wie dargelegt – nicht stützen: Das Unionsrecht kennt zunächst keinen primärrechtlich oder sekundärrechtlich explizit normierten unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch, der dem Einzelnen einen Ersatzanspruch für Schäden gewähren würde, die er aufgrund einer Verletzung des Unionsrechts durch einen Mitgliedstaat erlitten hat. Diese Lücke hat der EuGH mit seinem Urteil vom 19.11.1991, verb Rs C-6/90 und C-9/90, Francovich ua, geschlossen. Der EuGH hielt fest, dass das Unionsrecht nur dann volle Wirkung entfalten könne und die Rechte des Bürgers nur dann hinreichend geschützt seien, wenn dem Einzelnen ein Schadenersatzanspruch gegen Mitgliedstaaten für Verletzungen des Unionsrechts zustehe. Im Urteil vom 5.3.1996, verb Rs C-46/93 und C-48/93, Brasserie du pêcheur, legte der EuGH dar, dass die Verpflichtung zum Schadenersatz ganz generell bei der Verletzung von Unionsrecht gilt, auf das sich der Einzelne vor den nationalen Gerichten berufen kann. Der Fall der nicht ordnungsgemäß umgesetzten Richtlinie stellt damit nur einen Anwendungsfall des allgemeinen Grundsatzes der Staatshaftung dar.
Daher bedarf es der Spurensuche im europäischen Bankrecht: Das Bankaufsichtsrecht ist schließlich in ungewöhnlich hohem Maße unionsrechtlich determiniert (vgl bereits umfassend Knobl, Europabankrecht, in Griller, Banken im Binnenmarkt [1992] 25; van Rijn/Wojcik, Rechtsquellen des europäischen Bankaufsichtsrechts, in Grieser/Heemann, Europäisches Bankaufsichtsrecht [2016] 29 [31]). Eine Verletzung des Aufsichtsrechts stellt sich in vielen Fällen zusätzlich als solche des Unionsrechts dar. Daraus wird zutreffend geschlossen, dass neben nationalen Staats- und Amtshaftungsansprüchen auch der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch in Betracht kommt, wodurch die Grenzen einer Einschränkung der Staatshaftung nicht nur vor den nationalen Verfassungen, sondern zugleich vom Unionsrecht gesetzt werden (Schürger, Unionsrechtskonformität nationaler Beschränkungen der Staatshaftung im Bankund Kapitalmarktrecht, BKR 2021, 601).
Für einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch reicht ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Norm des Unionsrechts aus, die zumindest auch den Schutz des Individuums bezweckt. Aus der Rspr ergeben sich diesbezüglich verhältnismäßig geringe Anforderungen an die Qualität einer Schutznorm; so ist es bspw ausreichend, wenn Individualinteressen einzelner Marktteilnehmer als bloßes Nebenziel zum primären Ziel des Funktionierens der Agrarmärkte verfolgt werden (EuGH 14.7.1967, verb Rs 5/66, 7/66, 13/66 bis 24/66, Kampffmeyer ua). Diese weite Auslegung hat der EuGH in finanzmarktrechtlichem Kontext bestätigt: Art1 Z3 Pkt i) der Richtlinie 94/19/EG ist etwa als Schutznorm anzusehen, die einen unionsrechtlichen Schadenersatzanspruch auslöst (EuGH 4.10.2018, Rs C-571/16, Kantarev). Der EuGH hatte sich in dieser Entscheidung mit der Konstellation fehlender Deckung durch die Einlagensicherung und allfälliger Staatshaftung zu befassen und bestätigte den Anlegerschutzcharakter der einschlägigen Vorschriften. Für die Anerkennung als Schutznorm reiche es sogar aus, dass die Norm „unmittelbare Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Person hat“ (EuGH 10.12.2020, Rs C-735/19, Euromin, Rn 90). Der bloße Ausschluss der Drittgerichtetheit einer Norm bedeutet daher nicht, dass zugleich der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch ausgeschlossen wäre (Schürger, BKR 2021, 606).
210 3/2023
Judikatur
Zur Kernfrage, ob sich aus dem europäischen Bankensekundärrecht ausreichende Anhaltspunkte für einen aufsichtsrelevanten Individualschutz von Einlagekunden ergeben, wird man – um das Ergebnis vorwegzunehmen – tatsächlich nicht in präzise-eindeutiger Weise fündig; die Tendenz geht aber zweifellos in diese Richtung. Die Erwägungsgründe 47 und 91 der CRD IV (Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG, ABl L 176 vom 27.6.2013, S338), auch deren Art45, bieten zumindest ein starkes Indiz: Nach Erwägungsgrund 47 Satz 1 der CRD IV zielt die Beaufsichtigung von Instituten auf konsolidierter Basis „darauf ab, die Interessen von Einlegern und Anlegern zu schützen und die Stabilität des Finanzsystems sicherzustellen.“ Erwägungsgrund 91 Satz 1 der CRD IV steht dem an Deutlichkeit nicht nach, wenn er fordert, dass technische Standards für Finanzdienstleistungen „eine kohärente Harmonisierung und einen unionsweit angemessenen Schutz von Einlegern, Anlegern und Verbrauchern gewährleisten“ sollten. Art45 CRD IV („Maßnahmen nach dem Entzug einer Zulassung“) erlegt den zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaates die Verpflichtung auf, die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaates unverzüglich von einem Entzug der Zulassung zu unterrichten. In diesem Kontext heißt es weiter: „Die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats treffen geeignete Maßnahmen, damit das betreffende Kreditinstitut keine weiteren Geschäfte in ihrem Hoheitsgebiet tätigt und die Interessen der Einleger geschützt werden.“
Eine gleichartige Tendenz lässt sich europäischem Verordnungsrecht, nämlich der CRR entnehmen (siehe etwa deren Erwägungsgründe 7, 37 und 76). Erwägungsgrund 7 der CRR spricht als explizites Regelungsanliegen von einem „hohen Grad an Anleger- und Einlegerschutz“. Erwägungsgrund 37 der CRR unterstreicht das Anliegen, die Einlagen von Bankkunden zu schützen, und verdeutlicht in einer bankkonzernrechtlichen Betrachtungsweise den Individualschutzzweck der CRR: „Um sicherzustellen, dass die Eigenmittel innerhalb der Gruppe angemessen verteilt und bei Bedarf zum Schutz der Einlagen verfügbar sind, sollten die Eigenmittelanforderungen für jedes einzelne Institut einer Gruppe gelten, es sei denn, dieses Ziel kann auf anderem Wege wirksam erreicht werden.“ Schließlich stellt der Erwägungsgrund 76 der CRR den Anlegerschutz und Einlegerschutz im Kontext mit Offenlegungspflichten explizit in den Vordergrund.
Dazu kommt, dass Art169 AEUV das Anliegen des Verbraucherschutzes adressiert; nach Art169 Abs2 lita AEUV leistet die EU einen Beitrag zur Erreichung der in Art169 Abs1 AEUV genannten Verbraucherschutzziele (dazu zählen auch die „wirtschaftlichen Interessen“ der Verbraucher) durch Maßnahmen, die sie im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarktes nach Art114 AEUV erlässt. Diese Vorgabe zielt natürlich nicht explizit auf ein Verbot des Ausschlusses der finanzmarktrechtlichen Amtshaftung in Konstellationen, in denen es auch und insb um Verbraucherinteressen geht, ab; umgekehrt kommt ein solcher Ausschluss dem Regelungsanliegen auch nicht entgegen.
Der unionsrechtliche Schutzzweck kann durch den nationalen Gesetzgeber nicht mehr verändert werden (vgl die Nachweise bei Lehmann/Schürger, Staatshaftung für Versäumnisse der BaFin im Fall Wirecard (Teil II), WM 2021, 905 [908]). Sofern §3 Abs1 Satz 2 FMABG – mit dem VfGH und dem OGH – unterstellt wird, die Drittgerichtetheit von Amtshaftungsansprüchen generell ausschließen zu wollen, resultiert daraus zumindest ein Spannungsverhältnis zum unionsrechtlich gebotenen Individualschutz des Bankaufsichtsrechts, wie er insb in den zitierten Normen zum Ausdruck kommt. Der literarische Befund, dass die Paul-Entscheidung nicht undifferenziert auf die aktuell geltende Sekundärrechtslage auf dem Gebiet der Bankenaufsicht übertragen werden darf (N. Raschauer, Gedanken zur Haftung für unzureichende Bankenaufsicht anhand von §3 Abs1 des österreichischen Finanzmarktaufsichtsbehördengesetzes (FMABG), WM 2021, 613 [616]), kommt daher kaum überraschend und zeigt, dass die diesbezügliche Diskussion wohl nicht abgeschlossen ist.
4. Haftung für den Revisionsverband
Die Klägerin stützte ihren Amtshaftungsanspruch auch auf ein behauptetes Fehlverhalten des Revisionsverbands des Amtes der Burgenländischen Landesregierung, welches dem Bund zuzurechnen sei, weil Angelegenheiten des Genossenschaftswesens in dessen Vollzugsbereich fielen. Der OGH konnte diesen Aspekt im Kern mit der Behandlung der Frage nach einem allfälligen hoheitlichen Charakter des Handelns der Revisionsverbände abhandeln. Er resümiert mE zutreffend, dass den gem §19 Abs1 GenRevG 1997 (wenn es sich um von der zuständigen staatlichen Stelle anerkannte Revisionsverbände handelt) als Vereine oder Genossenschaften, sohin als juristische Personen des Privatrechts, organisierten Revisionsverbänden bei Erfüllung ihrer Aufgaben keine Hoheitsgewalt zukommt.
Die genossenschaftlichen Prüfungsverbände sind ua in §61 Abs1 BWG erwähnt; diese Norm gibt über den allfälligen hoheitlichen Charakter ihrer Tätigkeit keine Auskunft. Das GenRevG 1997 überträgt lediglich der Vereinigung österreichischer Revisionsverbände behördliche Aufgaben (§§14, 15, 17, 17a, 17b, 18 und 18a GenRevG 1997); diese Klarstellung in §23 Abs2 GenRevG 1997 motivierte den OGH zum Gegenschluss, dass eine solche Übertragung bei Revisionsverbänden selbst eben nicht stattfinde. Revisionsverbände sind im Übrigen keine Wirtschaftsprüfungsgesellschaften nach dem WTBG 2017 oder iSv §268 Abs4 UGB, wiewohl sie als „Prüfungsgesellschaften“ iSv §2 Z3 APAG in das von der APAB zu führende Register einzutragen sind (Dellinger/Steinböck, Genossenschaftsrevision, in Bertl/Hirschler/Aschauer, Handbuch Wirtschaftsprüfung [2019] 459 [476]; „Prüfungsgesellschaften“ sind nach der Legaldefinition des §2 Z3 APAG alle Unternehmen einschließlich des Sparkassen-Prüfungsverbands sowie der Revisionsverbände, die über eine aufrechte Bescheinigung gem §35 oder §36 APAG verfügen). Die Schlussfolgerung, dass dem Revisionsverband keine hoheitlichen Befugnisse zukommen, ist mE nicht zu beanstanden.
Für die Anerkennung der Berechtigung von Revisionsverbänden, für die ihnen angehörigen Genossenschaften Revisoren zu bestellen, ist nach §23 Abs1 GenRevG 1997 der BMWA zuständig. Bezweckt der Revisionsverband nach seinem Statut die Bestellung von Revisoren für Kredit- oder Finanzinstitute, so ist im Einvernehmen mit dem BMF vorzugehen. Allein aus dieser behördlichen Anerkennung des Verbands lässt sich nicht ableiten, dass der Verband selbst oder die vom Verband bestellten Revisoren (die Revisionsverbände treten nicht selbst als Prüfer auf, sondern sind nur für die Besorgung der Revision zuständig; vgl Dellinger/Steinböck, Genossenschaftsrevision, 476) hoheitlich handeln würden.
Der OGH weist auf die historisch zu begründende Besonderheit hin, „dass im konkreten Fall die Aufgaben des Revisionsverbands von einer Landesregierung wahrgenommen werden“, was an der fehlenden hoheitlichen Qualifikation des Handelns nichts ändere (zur Konstellation einer von der Burgenländischen Landesregierung gemäß §5 der Genossenschaftsnovelle 1934, BGBl II 1934/195, austrittsbedingt übernommenen Revision vgl VwGH 28.2.2000, 95/17/ 0192). Die im österreichischen Recht seinerzeit gegebene Möglichkeit, „aus dem Verbund und damit auch aus der Verbandsrevision zu flüchten und sich der Revision eines vom zuständigen Landeshauptmann zu bestellenden Revisors zu unterstellen“, wurde gegenüber der deutschen Rechtslage als beachtenswertes Sonderphänomen hervorgehoben (G. Frotz, Ende des Genossenschaftsverbundes? ecolex 1991, 849). Sedes materiae war der zitierte §5 der Genossenschaftsnovelle 1934 (in Kraft bis 31.12.1997), der bestimmte: „Scheidet eine Genossenschaft aus einem Revisionsverband aus oder hört sie auf, der Revision der Landesregierung zu unterliegen, so hat sie dem Registergericht ehestens nachzuweisen, daß sie in einen zuständigen Revisionsverband (§1, Absatz 1) aufgenommen worden ist, daß die Landesregierung die Revision übernommen oder daß die Genossenschaft bei der Behörde (§8) einen Antrag im Sinne des §6 eingebracht hat.“
Die Aufgabe der Landesregierung bestand – dem gesetzlichen Modell entsprechend – nicht in eigenständiger Prüfungstätigkeit, sondern in der skizzierten Besorgung der Revision. Die Revisorenbestellung durch die Burgenländische Landesregierung beruhte trotz dieses verdichteten Bezugs zur öffentlichen Hand somit – wie
3/2023 211 Judikatur
der OGH festhält – auf keinem Hoheitsakt. Das korrespondiert mit dem aktuellen gesetzlichen Modell der Revisorenbestellung: Der Revisor einer Genossenschaft, die einem anerkannten Revisionsverband angehört, wird durch den Revisionsverband bestellt (§2 Abs1 GenRevG 1997). Gehört die Genossenschaft keinem Revisionsverband an, so hat das Gericht auf Antrag der Genossenschaft den Revisor zu bestellen (§2 Abs2 GenRevG 1997). Eine bescheidmäßige Bestellung eines Revisors ist nicht vorgesehen.
Insgesamt liegt daher eine Konstellation vor, die sich nach den vom OGH referierten entscheidungswesentlichen Grundlagen deutlich von jener unterscheidet, die den OGH seinerzeit in der E 1 Ob 188/02g – vor einem korrigierenden Federstrich des Gesetzgebers –bewogen hatte, den Bankprüfer in das Amtshaftungsregime einzubeziehen. Die Begründung lautete damals im Kern: „Sofern die Aufsichtsbehörde aus verwaltungsökonomischen Gründen nicht über einen angemessenen eigenen Prüferstab verfügt und deshalb die bankaufsichtlichen Prüfungsberichte der Bankprüfer heranzieht, um ihrer Überwachungsfunktion nachzukommen (vgl 934 BlgNR 16. GP, 37), wird der Bankprüfer in die Besorgung hoheitlicher Aufgaben in augenfälliger Weise und ganz entscheidend eingebunden.“ Für eine ähnliche amtshaftungsrelevante Nahebeziehung zulasten des Bundes sah der OGH nun im Rahmen der Genossenschaftsrevision mangels funktionell-aufsichtsbehördlichen Einschreitens der Revisoren keine sachliche Grundlage. Damit war auch nicht mehr zu prüfen, ob eine Berufung auf den Vollzugsbereich des Bundes im Genossenschaftswesen iSd Funktionstheorie in concreto zum Erfolg geführt hätte; schließlich wäre dann insb zu thematisieren gewesen, ob tatsächlich eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur Revisorin (und Bankprüferin) bestellt wurde, die dafür ungeeignet gewesen sei und nicht bestellt werden hätte dürfen.
Eine Klarstellung ist noch anzubringen: Die Genossenschaftsrevision ist von der Tätigkeit des nach §3 Abs5 FMABG ohnehin aus der amtshaftungsrechtlichen Zurechnung ausgekoppelten Bankprüfers nach §60 und 61 BWG zu unterscheiden. Angesichts des damaligen entscheidungsrelevanten Normenbestands verneinte der VwGH noch in seinem Erkenntnis 95/17/0192, ein Verständnis der §§60 und 61 BWG dahin gehend, dass Kreditinstitute in der Form einer Genossenschaft nur vom jeweiligen Revisionsverband bankaufsichtlich geprüft werden könnten: „Dem Gesetzgeber wäre es offengestanden, hätte er solches intendiert, durch die Verwendung einer geeigneten Formulierung den diesbezüglichen Willen auch im Gesetz zum Ausdruck zu bringen.“ Durch BGBl I 2000/33 wurde die Rechtslage dahin gehend angepasst, dass bei einem Kreditinstitut in der Rechtsform einer Genossenschaft das nach den genossenschaftsrechtlichen Regeln bestellte Prüfungsorgan (Revisor) seiner gesetzlichen Prüfungseinrichtung die Aufgaben des Bankprüfers nach §60 BWG wahrzunehmen hat (§60 Abs2 Satz 1 BWG). Der Ausschussbericht bemerkte dazu lapidar, die Änderung diene „der Klarstellung, dass derjenige Revisor, der die Prüfung nach den genossenschaftlichen Regeln vorzunehmen hat, derselbe zu sein hat, der auch die Prüfungshandlungen nach den bankwesengesetzlichen Regeln vorzunehmen hat“ (AB 157 BlgNR 21. GP, 5).
Ob dem Vertrag, mit dem die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zur genossenschaftlichen Revisorin bestellt wurde, Schutzwirkungen zugunsten der Klägerin als Gläubigerin der geprüften Bank zukamen, musste aus Sicht des OGH nicht beurteilt werden, weil dies –wie das Höchstgericht festhält – keine Amtshaftung des beklagten Rechtsträgers begründen könnte.
5. Haftung für die Staatsanwaltschaft
Zum Vorwurf, dass Organe staatsanwaltschaftlicher Behörden (Staatsanwaltschaft Eisenstadt und WKStA) trotz ihnen bereits 2015 vorliegender Hinweise auf Straftaten von verantwortlichen Personen der Bank keinen Anfangsverdacht iSd §1 Abs3 StPO angenommen und es deshalb pflichtwidrig unterlassen hätten, gem §2 Abs1 StPO ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren einzuleiten, argumentierte der OGH kurz und bündig auf Basis der Entscheidungen vom 10.2.2017, 1 Ob 73/16s, und vom 27.2.2017, 1 Ob 163/16a: Einflüsse des Ausgangs eines strafrechtlichen Verfahrens auf individuelle Interessenlagen seien nur als – die Amtspflicht des belangten Rechtsträgers nicht begründende – Reflexwirkungen pflichtgemäßen Verhaltens zu beurteilen und ließen keinen Schluss auf eine
Rechtspflicht gerade einem solchen Dritten gegenüber zu, wenn sich der konkrete Zweck einer Bestimmung der StPO nur auf Interessen der Allgemeinheit erstrecke. Die Pflicht zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegenüber Entscheidungsträgern einer Bank habe jedenfalls nicht den Zweck, alle künftigen Bankgläubiger vor einem Vermögensschaden durch weitere Straftaten zu schützen (zur insofern restriktiven Formulierung des OGH, „die offenbar bewusst zukunftsgerichtet nur auf Neugläubiger („künftige Gläubiger“; „weitere Straftaten“) gemünzt“ sei, Herndl, ÖBA 2023, 124).
6. Fazit
Die vorliegende einen Schulterschluss zwischen VfGH und OGH dokumentierende Entscheidung verfestigt die vom österreichischen Gesetzgeber intendierte Erosion der Amtshaftung im Bankaufsichtsrecht. Die Frage, ob eine solche Tendenz auch mit europarechtlichen Vorgaben im Einklang steht, hat der OGH nicht zum Anlass einer Befassung des EuGH genommen. Die Zukunft wird zeigen, ob der bereits mehrfach mit Einlagensicherungsthemen befasste EuGH dazu noch in der einen oder anderen Form Stellung wird nehmen müssen.
Martin Oppitz
Priv.-Doz. MMag. Dr. Martin Oppitz ist Rechtsanwalt in Wien.
Verfahrensrechtliche Fragen
Wirksame Zustellung an eine GmbH
§13 ZustG
1. Die Eintragung der Geschäftsanschrift im Firmenbuch bedeutet für sich genommen noch nicht, dass an dieser Adresse wirksam zugestellt werden könnte. Ist der handelsrechtliche Sitz einer Gesellschaft eine „reine Briefkastenadresse“, tritt an die Stelle dieses Sitzes als Abgabestelle jener Ort, an dem deren Hauptverwaltung tatsächlich geführt wird.
2. Vertreter nach §13 Abs3 ZustG ist nur, wer nach den die Organisation der juristischen Person regelnden Vorschriften vertretungsbefugt ist. Dies würde im Falle der beklagten GmbH die regelmäßige Anwesenheit ihres Geschäftsführers in der Steuerberatungskanzlei erfordern. Die regelmäßige Anwesenheit einer nach §13 Abs2 ZustG bevollmächtigten Person reicht demgegenüber nicht aus, um eine Abgabestelle zu begründen, an der durch Hinterlegung zugestellt werden kann.
OGH 21.11.2022, 8 Ob 139/22g (OLG Linz 4 R 125/22p; LG Salzburg 57 Cg 86/21g)
Bestellung eines Nachtragsliquidators
§5 AußStrG
§5 AußStrG bietet keine Grundlage dafür, dass das Verfahrensgericht für eine im Firmenbuch gelöschte Gesellschaft, die aufgrund bestehenden Aktivvermögens rechts- und parteifähig ist und zu deren Gunsten – aufgrund eines Prätendentenstreits – eine Hinterlegung nach §1425 ABGB erfolgen soll, selbst einen Verfahrenskurator bestellt. Vielmehr hat das Gericht gemäß §5 Abs2 Z2 litd AußStrG dadurch für die Vertretung durch einen gesetzlichen Vertreter zu sorgen, dass es dem Erleger aufträgt, die Bestellung eines Nachtragsliquidators beim Firmenbuch zu beantragen.
OGH 27.1.2023, 1 Ob 242/22b (LGZ Wien 43 R 141/22m; BG Innere Stadt Wien 59 Nc 31/21d)
212 3/2023
Judikatur
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