ZVers Mai 2023

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Zulässigkeit von Smart Contracts in der österreichischen Versicherungsrechtsdogmatik

Marco Lettenbichler

Der vorliegende Beitrag untersucht die Zulässigkeit von smart contracts in der österreichischen Versicherungsrechtsdogmatik. Dabei soll geprüft werden, ob solche Verträge die Informationspflichten des Versicherers erfüllen können. Anschließend wird die dynamische Prämienanpassung unter die Lupe genommen und diese hinsichtlich ihrer Kompatibilität mit dem Versicherungsrecht, dem Verbraucherrecht und dem allgemeinen österreichischen Zivilrecht geprüft. Die Rechtsfolgen bei Nichtmitnahme des datenerhebenden Geräts durch den Versicherungsnehmer werden ebenso wie die Zulässigkeit einer automatischen Obliegenheitserfüllung durch den intelligenten Vertrag erörtert. Abschließend wird die automatische Leistungsverweigerung durch den smart contract bei Zahlungsverzug hinsichtlich ihrer rechtlichen Umsetzung untersucht.

1.Einleitung

Die Digitalisierung schreitet in allen Lebensbereichen weiter voran. Auch im Vertragsrecht sind mittlerweile intelligente Verträge, „smart contracts“ genannt, denkbar, die aufgrund eines bestimmten Ereignisses vorher definierte Folgen auslösen. Ein smart contract könnte aufgrund eines sicheren oder gefährlichen Fahrstils eine niedrige oder hohe Versicherungsprämie festsetzen und diese dann dem Versicherungsnehmer verrechnen.1 Eine Unfallversicherung könnte so ausgestaltet werden, dass ab einer bestimmten Höhenlage (beispielsweise hochalpines Terrain ab 2.000 m) der smart contract aufgrund eines Höhenmessers im Endgerät eine gesteigerte Prämie für die verbrachte Zeit über dem Grenzwert berechnet. Im Bereich der Lebens- und Krankversicherungen könnten etwaige Gesundheitsdaten von Befunden oder Daten über den Lebensstil von Individuen in die Prämienberechnung in Echtzeit einbezogen werden. Die weitere Untersuchung soll zeigen, ob smart contracts mit der österreichischen Versicherungsrechtsdogmatik kompatibel sind.

2.Definition von Smart Contracts

Smart contracts sind Computerprogramme, die durch eine Wenn-Dann-Abfolge ausgeführt werden. Einfach ausgedrückt: Der smart contract könnte so ausgestaltet werden, dass dann, wenn ein unsicheres Fahrverhalten aufgezeichnet wird, dem Versicherten am Monatsende eine höhere Versicherungsprämie verrechnet wird. Durch smart contracts sollen Verträge automatisiert werden und zudem Intermediäre ausgeschaltet werden, da der smart contract die Folgen ohne

1 Waschbusch/Kiszka/Merz, Einsatz von Smart Contracts in der Finanzbranche, ÖBA 2021, 547 (552); Heckmann/ A.Schmid, Blockchain und Smart Contracts Recht und Technik im Überblick (2017) 37, online abrufbar unter https://www.vbw-bayern.de/Redaktion/Frei-zugaenglicheMedien/Abteilungen-GS/Wirtschaftspolitik/2019/Down loads/190509-Blockchain-und-Smart-Contracts_neu.pdf.

menschliches Zutun durchführt. Zu unterscheiden sind zwei Typen von smart contracts: Einerseits kann der smart contract, also der Programmiercode, direkt die Vertragsurkunde darstellen (echte smart contracts). Andererseits kann ein herkömmlicher Vertrag beispielsweise schriftlich geschlossen werden, worin vereinbart wird, dass zur Abwicklung ein smart contract verwendet wird (smart contract als Abwicklungswerkzeug).

3.Abgrenzung und Untersuchungsgegenstand

In der vorliegenden Untersuchung sollen echte smart contracts in der österreichischen Versicherungsrechtsdogmatik beleuchtet werden. Schon heute gibt es Versicherungsmodelle (pay as you drive oder auch pay as you live), die Fahr- bzw Gesundheitsdaten des Versicherungsnehmers aufzeichnen und bei wohlwollendem Verhalten dem Versicherungsnehmer einen Rabatt auf die Jahresprämie gewähren, der am Ende der Versicherungsperiode an den Versicherungsnehmer ausbezahlt wird.2 Auch solche Telematikbzw Fitnesstarife können in Zukunft mittels smart contracts abgewickelt werden,3 wobei der Funktionsumfang dadurch fast grenzenlos erweitert werden kann. Mittels eines smart contract könnte die Prämie dynamisch in sehr kurzen zeitlichen Abständen neu berechnet werden. Neben der Fähigkeit zur automatisierten Prämienberechnung können smart contracts weitere Funktionen ausüben. So wäre es denkbar, dass bei Ausbleiben der Prämienzahlung der smart contract automatisch den Versicherungsschutz aussetzt. Abschließend soll noch die autonome Mitteilung eines Schadensfalls durch den intelligenten Vertrag untersucht wer-

2 Siehe zur Funktionsweise von Telematikversicherungen im Kfz-Bereich https://www.adac.de/produkte/versicherungen/ ratgeber/telematik.

3 Insofern können die Ausführungen zur smarten Prämienberechnung auch für die Versicherungsmodelle pay as you drive und pay as you live herangezogen werden.

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Smart Contracts in der österreichischen Versicherungsrechtsdogmatik
Dr. Marco Lettenbichler, LL.M. ist Postdoktorand an der Professur für Gesellschafts-, Stiftungs- und Trustrecht der Liechtenstein Business Law School an der Universität Liechtenstein.

den. Es wäre erdenklich, dass ein Unfall oder ein Schadensereignis im Rahmen einer Hausratsversicherung unmittelbar nach Schadenseintritt der Versicherung gemeldet wird und diese dann ebenso unmittelbar etwaige Dispositionen vornehmen kann.

4.Smart Contracts in der österreichischen Versicherungsvertragsrechtsdogmatik

Zunächst ist zu klären, ob ein smart contract grundsätzlich mit der österreichischen Versicherungsvertragsrechtsdogmatik vereinbar ist. Das ABGB ist vom Grundsatz der Formfreiheit des § 883 ABGB getragen. Demnach können Verträge in jeder Weise geschlossen werden, außer es stehen gesetzlich vorgeschriebene Formvorschriften entgegen.4 Für Versicherungsverträge gibt es jedenfalls – weder im ABGB noch im VersVG – keine solchen Formvorschriften,5 sodass die Form des smart contract gewählt werden darf. Es ist darauf hinzuweisen, dass der smart contract aus einem Programmiercode besteht, wobei in den meisten Fällen der Code auf einem Endgerät in menschlicher Sprache dargestellt werden wird.6 Zudem könnte der smart contract nur als Abwicklungswerkzeug verwendet werden. Hierbei würde ein herkömmlicher Versicherungsvertrag geschlossen, in dem vereinbart wird, dass zur Ausführung des Vertrages ein smart contract herangezogen wird.7

Das VersVG ist also grundsätzlich vom Prinzip der Formfreiheit getragen,8 sieht jedoch für verschiedene versicherungsrechtliche Vorgänge das Gebot der Schriftlichkeit9 oder die geschriebene Form vor. Für Letztere ist gemäß § 1b Abs 1 VersVG keine Unterschrift oder elektronische Signatur erforderlich, was insbesondere für elektronisch ausgestellte und zugestellte Dokumente von Bedeutung ist.10 Ebenso müssen diese Formvorgaben von smart contracts erfüllt werden, wobei die geschriebene Form ohne Probleme von den intelligenten Verträgen gewährleistet werden kann. Dabei ist zu beachten, dass der Vertragsinhalt bzw die allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht nur als Programmiercode zur Verfügung gestellt werden, sondern der Code tatsächlich in semantischer Sprache ausgegeben wird.11 Nur die sehr wenigen Fälle, die ein Erfordernis der Schriftlichkeit vorsehen, können von smarten Versicherungsverträgen nicht erfüllt werden.12 Für solche Benachrichtigungen bzw rechtlichen Vorgänge bedarf es weiterhin einer unsmarten Ausführung. Als Beispiel kann § 39 Abs 1 VerVG angeführt werden. Hiernach muss der Versicherungsnehmer schriftlich über die Festsetzung einer zweiwöchigen Zahlungsfrist bei Nichtbezahlung der Prämie informiert werden.13

5.Informationspflichten

In weiterer Folge ist zu prüfen, ob etwaige Aufklärungs- und Informationspflichten einer smarten Durchführung der Vertragsbeziehung entgegenstehen. Beachtlich sind die allgemeinen In-

4 Kalss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06, § 883 Rz 1.

5 Dullinger in Rummel/Lukas, ABGB4, § 883 Rz 3.

6 Vgl zur Formfreiheit des liechtensteinischen ABGB Lettenbichler, Smart Contracts und Blockchain im Spannungsverhältnis mit dem Verbraucherschutz, SPWR 2021, 305 (307).

7 Buchleitner/Th. Rabl, Blockchain und Smart Contracts, ecolex 2017, 4 (7).

8 Gisch/Reisinger, Versicherungsvertragsrecht (2021) 71.

9 Vgl zu Rechtsvorgängen, die dem Schriftformgebot unterliegen, Wieser in Kath/Kronsteiner/Kunisch/Reisinger/Wieser, Praxishandbuch Versicherungsvertragsrecht I (2019) Rz 483.

10 Wieser in Kath ua, Versicherungsvertragsrecht I, Rz 482.

11 So auch in der Schweiz; vgl William, Digitalisierung im Versicherungsvertragsrecht, HAVE 2019, 83 (87 f).

12 Smets/Kapeller, Smart Contracts: Vertragsabschluss und Haftung, ÖJZ 2018, 293 (295).

13 Riedler in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 39 Rz 19.

formationspflichten des Versicherers gemäß § 130 Abs 1 VAG 2016. Demnach ist der Versicherungsnehmer über Name, Rechtsform und weitere Details des Versicherungsunternehmens aufzuklären.14 Zudem müssen gemäß § 133 VAG 2016 verschiedene Produktinformationen erteilt werden. Insbesondere muss entsprechend der Aufzählung des Abs 2 leg cit über die Art der Versicherung, die Versicherungsdeckung (Z 2), Prämienzahlungsmodalitäten (Z 3), den Ausschluss von Ansprüchen (Z 4), Pflichten und Obliegenheiten im Zusammenhang mit dem Vertragsverhältnis (Z 5 bis 7), die Laufzeit des Vertrages und dessen Beendigung (Z 8), Widerrufs- oder Rücktrittsrechte (Z 10), das anwendbare Recht (Z 11) und die Art der Vertriebsvergütung (Z12) aufgeklärt werden.15 Zusätzliche Informationspflichten können sich für bestimmte Arten von Versicherungen aus Verordnungen der FMA ergeben.16 Für Lebensversicherungen gibt es gemäß §§ 135 ff VAG 2016 noch zusätzliche Informationspflichten.17

Die Informationen dürfen grundsätzlich auf Papier in klarer, genauer und für den Versicherungsnehmer verständlicher Form in deutscher oder bei Vereinbarung in anderer Sprache unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden.18 Insofern wäre eine Abbildung nur im Programmiercode des smart contract nicht möglich, da dies jedenfalls gegen das Gebot der Verständlichkeit verstoßen würde. Es ist daher zwingend eine in menschlicher Sprache auszugebende Form erforderlich, um den Informationspflichten nachzukommen.19 Zudem müssen die Informationen auf Papier erteilt werden;20 auch dies würde gegen die Verwendung eines smart contract sprechen. Die vorvertragliche Informationserteilung kann jedoch auch auf einem anderen dauerhaften Datenträger oder unter bestimmten Umständen über eine Website erfolgen, sofern die Vorgaben des § 128a Abs 2 VAG 2016 eingehalten werden.21 Überdies muss die elektronische Auskunftserteilung angemessen sein; sprich, der Versicherungsnehmer muss jedenfalls über einen regelmäßigen Internetzugang verfügen, was beispielsweise durch die Bekanntgabe einer E-Mail-Adresse nachgewiesen werden kann.22 Der Versicherungsnehmer hat bei elektronischer Auskunftserteilung jedoch jederzeit die Möglichkeit, die unentgeltliche Überlassung der Informationen in Papierform zu verlangen.23

Insgesamt können die allgemeinen Informationspflichten des Versicherungsrechts mit einem smart contract in Einklang gebracht werden, da der smart contract von Produktinformationsblättern umrahmt werden kann, die auf Papier oder bei Zustimmung auch auf elektronischem Weg zur Verfügung gestellt werden können. Eine direkte Implementierung dieser Informationspflichten in den Programmiercode ist nicht umsetzbar, da nicht

14 Schöppl in St. Korinek/G. Saria/S. Saria, VAG, § 130 Rz 8 ff.

15 Schweizer in St. Korinek/G. Saria/S. Saria, VAG, § 133 Rz 7 ff; Gisch/Reisinger, Versicherungsvertragsrecht, 61 f.

16 Vgl etwa für Krankenversicherungen Verordnung der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) über die Informationspflichten für die Krankenversicherung nach Art der Lebensversicherung (Krankenversicherung Informationspflichtenverordnung – KV-InfoV), BGBl II 2015/374 in der Fassung BGBl II 2018/248; für Lebensversicherungen Verordnung der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) über die Informationspflichten für die Lebensversicherung (Lebensversicherung Informationspflichtenverordnung 2018 – LVInfoV 2018), BGBl II 2018/247 in der Fassung BGBl II 2022/471.

17 Vgl zu den zusätzlichen Informationspflichten Wieser in Kath ua, Versicherungsvertragsrecht I, Rz 218 ff.

18 Gisch/Reisinger, Versicherungsvertragsrecht, 59.

19 Schurr, Anbahnung, Abschluss und Durchführung von Smart Contracts im Rechtsvergleich ZVglRWiss 2019, 257 (265 f).

20 Wieser in Kath ua, Versicherungsvertragsrecht I, Rz 181.

21 Schweizer in St. Korinek/G. Saria/S. Saria, VAG, § 133 Rz 19.

22 Gruber, In welcher Form hat der Versicherungsvertreiber den Kunden zu informieren? ZVers 2019, 239 (241).

23 Gruber, ZVers 2019, 240.

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davon ausgegangen werden kann, dass der Programmiercode für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist.24

6.Rechtliche Würdigung der smarten Prämienberechnung

6.1.Allgemeines

In weiterer Folge soll untersucht werden, ob eine smarte Prämienberechnung aufgrund von vorher definierten Ereignissen im österreichischen Versicherungsrecht zulässig ist. Der smart contract könnte nämlich aufgrund des Fahrverhaltens, von Gesundheitsdaten oder des Betretens bestimmter Gefahrenzonen (zB Hochgebirge) eine Prämienanpassung oder -verrechnung durchführen.25 Zunächst kann dazu festgehalten werden, dass das Versicherungsrecht dem Grundsatz der Privatautonomie unterliegt,26 sohin also prima facie der Vereinbarung von smarten Versicherungen nichts entgegensteht. Fraglich ist nur, ob zwingende Vorschriften der Rechtsordnung zum Schutz der Vertragsparteien eine Einschränkung der Privatautonomie gebieten.27

6.2.Gefahrenerhöhung bzw -minderung

Zuerst ist zu prüfen, ob die Regelungen zur Gefahrenerhöhung der §§ 23 ff VersVG Anwendung finden. Eine Gefahrenerhöhung ist eine sich nach Abschluss des Vertrages ändernde Gefahrenlage, die den Eintritt eines versicherten Ereignisses wahrscheinlicher macht.28 Die Änderung der Gefahrenlage ergibt sich aus der Erhöhung der vorhandenen gefahrenerheblichen Umstände,29 wobei sich der Gefahrenzustand seit Abschluss des Versicherungsvertrages geändert haben muss.30 Das Versicherungsunternehmen kann bei verschuldeter Gefahrenerhöhung ohne Frist und bei unverschuldeter Gefahrenerhöhung unter Einhaltung einer einmonatigen Frist eine Kündigung des Versicherungsverhältnisses vornehmen.31 Den Antipoden zu dieser Regelung stellt die Gefahrenminderung gemäß § 41a VersVG dar. Demnach kann ein Versicherungsnehmer die Versicherungsprämie reduzieren, falls sich das tatsächliche Risiko aufgrund des Wegfalls von gefahrenerhöhenden Umständen reduziert.32

Das allgemeine Risiko eines unsicheren Fahrstils, das öftere Überschreiten von 2.000 Höhenmetern oder auch die Nichtausübung von Sport wird nolens volens zum allgemeinen Risiko eines Versicherungsnehmers dazugehören.33 Ein Versicherungsunternehmen darf daher keine Gefahrenänderung aufgrund der genannten Punkte annehmen. Es handelt sich dabei um eine unerhebliche Erhöhung der Gefahr im Sinne des § 29 VersVG.34 Die Norm soll davor schützen, dass das Gefahrenerhöhungsregime bei jeglicher Änderung der Gefahr zum Tragen kommt. Ebenso muss die Gefahrenerhöhung vorhersehbar sein, das heißt, das Durchschnittsrisiko einer Versicherungsvertragsart kann niemals dem Regime der §§ 23 ff VersVG unterliegen.35 Dadurch soll gewährleistet werden, dass keine Beeinträchtigung des Versiche-

24 Zum selben Ergebnis im liechtensteinischen FAGG (korrespondierend mit dem österreichischen Verbraucherrecht) Lettenbichler, SPWR 2021, 309.

25 Vgl zu den künftigen Perspektiven Borselli, Smart Contracts in Insurance: A Law and Futurology Perspective, in Marano/Noussia, InsurTech: A Legal and Regulatory View (2020) 101.

26 Gisch/Reisinger, Versicherungsvertragsrecht, 17.

27 Vgl zur Finanzbranche Waschbusch/Kiszka/Merz, ÖBA 2021, 547 ff.

28 Grubmann, VersVG9 (2022) § 23 E 1.

29 OGH 16. 12. 2019, 7 Ob 210/19m.

30 OGH 25. 4. 1985, 7 Ob 17/85.

31 Gisch/Reisinger, Versicherungsvertragsrecht, 186.

32 Wieser in Kath ua, Versicherungsvertragsrecht I, Rz 973.

33 Kath in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 29 Rz 2.

34 Vgl für Deutschland Klimke, Telematik-Tarife in der Kfz-Versicherung, r+s 2015, 217 (220).

35 Fenyves, Prämienanpassungsklauseln (2016) 39.

rungsschutzes von einer großen Anzahl von Versicherungsnehmern stattfindet,36 da viele Versicherte etwa einen ungesunden Lebensstil oder einen aggressiven Fahrstil pflegen.

Zudem ist für die Krankenversicherung gemäß § 178a Abs 3 VersVG expressis verbis die Anwendung der Regelungen über die Gefahrenerhöhung des §§ 23 ff VersVG ausgeschlossen.37 Für Lebensversicherungen gilt gemäß § 164 VersVG die Besonderheit, dass nur ausdrücklich vereinbarte Gefahrenerhöhungen innerhalb von drei Jahren durch den Versicherer geltend gemacht werden können.38

Summa summarum ist aus rechtsdogmatischer Sicht das Gefahrenregime der §§ 23 ff VersVG auf smarte Versicherungsverträge nicht anwendbar,39 da es sich bei den im Vorhinein festgelegten Bedingungen zur dynamischen Prämienberechnung um schon bei Abschluss des Versicherungsvertrages mitversicherte und daher vorhersehbare Änderungsrisiken handelt.40

6.3.Dynamische Prämienanpassungsklausel

6.3.1.Vorbemerkung

In weiterer Folge soll geprüft werden, ob es sich bei einer smarten Versicherung nicht um eine dynamische Prämienanpassungsklausel handelt. Eine solche Klausel speziell im Verbraucherbereich muss an den Anforderungen des KSchG und des § 879 Abs3 ABGB gemessen werden.41

6.3.2.Verbraucherrechtliche Vorgaben

Zunächst ist zu prüfen, ob gemäß § 6 Abs 1 Z 5 KSchG ein unzulässiger Vertragsbestandteil vorliegt. Demnach darf ein Unternehmen ein höheres Entgelt als bei Vertragsschluss verlangen, wenn der Vertrag vice versa eine Entgeltsenkung für den Versicherungsnehmer vorsieht.42 Die Gründe dafür müssen im Vertrag umschrieben werden und einer sachlichen Rechtfertigung unterliegen.43 Die Preisanpassung darf zudem nicht von der Willkür des Versicherungsunternehmens abhängen.44 Bei smarten Versicherungsverträgen müsste also jedenfalls in der Versicherungsurkunde festgehalten werden, unter welchen Umständen eine Prämienanpassung vorgenommen werden darf. Es müsste sohin der Fahrstil, der zu einer Änderung der Prämie führt, umschrieben werden oder auch in welcher Höhenlage auf

36 Kath in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 29 Rz 2.

37 Gisch/Reisinger, Versicherungsvertragsrecht, 184.

38 Wieser in Kath ua, Versicherungsvertragsrecht I, Rz 972.

39 Ähnlicher Ansicht für Deutschland Ph. Koch, Zum Umgang mit fehlerhaften Prämienfaktoren in telematikbasierten Versicherungstarifen, VersR 2020, 1413 (1417).

40 Vgl zu mitversicherten Gefahren Kath in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, §29 Rz 2.

41 Perner, Privatversicherungsrecht (2021) Rz 4.6.

42 Krejci in Rummel, ABGB3, § 6 KSchG Rz 72; vgl für Deutschland Armbrüster/Greis, Telematik in der Kfz-Versicheru ng aus rechtlicher Sicht, Zeitschrift für Versicherungswesen 2015, 457.

43 Vgl zur Prämienregulierung in Art 11.3 AHVB Kath, Das Spannungsverhältnis zwischen dem Gefahrerhöhungssystem (§§ 23 ff VersVG) und der vereinbarten Prämienregulierung in der Betriebshaftpflicht- und Betriebsrechtsschutzversicherung, in Berisha/Gisch/Koban , Haftpflicht-, Rechtsschutzversicherung und Versicherungsvertriebsrecht 2019 (2020) 1 (12 f), wobei hier die Umstände der Prämienregulierung durch den Versicherungsnehmer gemeldet werden müssen und die Änderung aufgrund von unternehmerischen Größen (wie Lohn- und Gehaltssumme oder auch Umsatz) bemessen wird. Die Anfrage muss durch den Versicherer erfolgen; anschließend hat der Versicherungsnehmer einen Monat Zeit, um die Anfrage zu bearbeiten. Für eine dynamische Prämienberechnung durch den smart contract wäre dieses Verfahren insofern nicht geeignet, da ein menschliches Zutun möglichst reduziert werden sollte und die Datenerhebung eben nicht durch Meldung des Versicherungsnehme rs mittels Fragebogens des Versicherers erfolgen soll.

44 Kathrein/Soditsch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB6 (2020) § 6 KSchG Rz 10.

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dem Berg die Prämie der Unfallversicherung teurer wird.45 Ebenso müsste eine Umschreibung für Umstände getroffen werden, welche die Prämie reduzieren. Ein sehr umsichtiger Fahrstil oder das Nichtbesteigen von Bergen müsste sich reduzierend auf das Versicherungsentgelt auswirken. Zudem müsste aus den Versicherungsdokumenten klar ersichtlich sein, ab welchem Zeitpunkt eine Prämienänderungen durchgeführt wird.46 Es darf daher nicht ungeklärt bleiben, ob bei einmaligem oder fünfmaligem Schneiden einer Kurve mit hoher Geschwindigkeit eine neue Prämie berechnet wird. Falls mehrere Faktoren zu einer Prämienanpassung führen, müssten alle explizit aufgelistet werden,47 wobei bei Dauerschuldverhältnissen die Anforderungen an die Genauigkeit niedriger als bei Zielschuldverhältnissen sind.48 Eine ähnliche ratio wird bei Preisanpassungsklauseln im Anwendungsbereich des ElWOG 2010 zugrunde gelegt. Nach § 80 Abs 2a ElWOG 2010 unterliegen Preisanpassungsklauseln jedenfalls dem Symmetriegebot, sodass auch hier erhöhende und mindernde Umstände in einer gerechten Äquivalenz stehen müssen.49 Bei Berücksichtigung der genannten Punkte dürfte einer smarten Versicherung aus Sicht des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG jedoch nichts entgegenstehen und eine Umsetzung scheint daher möglich.

Zudem ist gemäß § 6 Abs 2 Z 4 KSchG eine Erhöhung des Entgelts innerhalb der ersten zwei Monate nach Vertragsabschluss nur möglich, falls eine solche Bestimmung im Einzelnen ausgehandelt wurde.50 Auch hier müsste also im smarten Versicherungsvertrag eine entsprechende Klausel berücksichtigt werden. Eine Umsetzung scheint insofern auch aus Sicht des § 6 Abs2 Z 4 KSchG durchführbar.

6.3.3.Sonderbestimmungen für Krankenversicherungen

Für Krankenversicherungen gilt bei einer nachträglichen Preisanpassung das Sonderregime des § 178f VersVG.51 Demnach treten zu den konsumentenschutzrechtlichen Voraussetzungen zusätzlich noch besondere Vorgaben für die Prämienänderung hinzu. Nach Abs 2 leg cit dürfen einseitige Preissteigerungen durch den Versicherer nur aufgrund folgender Faktoren vereinbart werden: Preisindexierung (Z 1), Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung (Z 2), Häufigkeit der Inanspruchnahme oder Aufwendigkeit von Leistungen in Bezug auf den Versicherungstarif (Z 3), Veränderung des Verhältnisses zwischen den vertraglich vereinbarten Leistungen und den entsprechenden Kostenersätzen der gesetzlichen Sozialversicherungen (Z 4), Veränderung der durch Gesetz, Verordnung, sonstigen behördlichen Akt oder durch Vertrag zwischen dem Versicherer und den im Versicherungsvertrag bezeichneten Einrichtungen des Gesundheitswesens festgesetzten Entgelte für die Inanspruchnahme dieser Einrichtungen (Z 5) und Veränderungen des Gesundheitswesens oder der dafür geltenden gesetzlichen Bestimmungen (Z6).52 Falls eine Prämienanpassung erfolgt, muss dem Versicherten zudem die Möglichkeit eingeräumt werden, den Vertrag bei gleichbleibender Prämie und angemessen geänderten Leistungen weiterzuführen.53

45 Rudkowski, Vertragsrechtliche Anforderungen an die Gestaltung von „SelfTracking“-Tarifen in der Privatversicherung, ZVersWiss 2017, 453 (465).

46 Klimke, r+s 2015, 219.

47 OGH 21. 9. 2006, 2 Ob 142/06f.

48 Apathy in Schwimann/Kodek, ABGB4, § 6 KSchG Rz 25.

49 Kemetmüller, Das neue Preisänderungsregime des ElWOG, VbR 2022, 52 (55).

50 Krejci in Rummel, ABGB3, § 6 KSchG Rz 189.

51 Wieser in Kath ua, Versicherungsvertragsrecht I, Rz 971.

52 Schauer in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 178f Rz 11 ff.

53 Grubmann, VersVG9, § 178f Anm 3.

Insofern wäre eine smarte Prämienanpassung aufgrund eines ungesunden Lebensstils (wie beispielsweise Bewegungsmangel, der durch eine Smartwatch festgestellt werden würde) nicht zulässig.54 Smarte Versicherungen sind demnach im Bereich der Krankenversicherungen aufgrund der Beschränkung des § 178f VersVG nicht umsetzbar.55

6.3.4.Sonderbestimmungen für Kfz-Haftpflichtversicherungen Ebenso sieht das KHVG Sonderbestimmungen für eine Prämienanpassungsklausel im Rahmen einer Kfz-Haftpflichtversicherung vor. Gemäß § 14b Abs 2 KHVG darf eine vertragliche Prämienanpassungsklausel frühestens nach einem Jahr ab Versicherungsbeginn vereinbart werden.56 Eine Anpassung darf danach nur in mindestens einjährigen Abständen vorgenommen werden.57 Der Grund der Erhöhung muss dem Versicherungsnehmer klar und verständlich erläutert werden.58 Zudem hat der Versicherungsnehmer gemäß § 14a Abs 1 KHVG bei einseitiger Erhöhung der Versicherungsprämie die Möglichkeit, binnen einer einmonatigen Frist den Versicherungsvertrag zu kündigen.59

Auf den ersten Blick scheint insofern eine Prämienerhöhung bei aggressivem Fahrverhalten nur unter sehr eingeschränkten Gesichtspunkten möglich. Jedoch wurde in der OGH-Entscheidung vom 19. 10. 2005, 7 Ob 216/05y, festgehalten, dass ein Bonus-Malus-System als Preisgleitklausel anzusehen ist und daher neben den prämienerhöhenden auch die prämienreduzierenden Umstände zu berücksichtigen sind.60 Insofern könnte man dies ebenso auf eine Prämienberechnung aufgrund des Fahrstils übertragen, wenn sich sowohl aggressives als auch sicheres Fahren auf die Prämie auswirken. Auch hier darf also tendenziell von einer Preisgleitklausel61 ausgegangen werden, sodass die strengeren Regelungen des § 14b KHVG zur Preisanpassungsklausel nicht zur Anwendung kommen.

6.4.Transparenzgebot

6.4.1.Prämienberechnung

Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine unklar oder unverständlich abgefasste Vertragsklausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern (bei Versicherungen: in den allgemeinen Versicherungsbedingungen) unwirksam.62 Insbesondere bei smarten Versicherungsverträgen wird es für den Verbraucher häufig schwer nachvollziehbar sein, wie eine Prämie zustande kommt. Daher müssen also die einzelnen Schritte detailliert angeführt werden.63 Dabei muss darauf geachtet werden, dass der Verbraucher die einzelnen Schritte verständlich dargeboten bekommt und er jedenfalls in der Lage ist, „Inhalt und Tragweite“ der einzugehenden Verpflichtungen zu verstehen.64 Maßstab ist ein durchschnittlicher Verbraucher, der die wirtschaftliche Tragweite des Vertragsschlusses durchschauen können muss.65 Eine

54 Vgl hierzu ausführlich Zoppel, Digitale Anreizmodelle in der privaten Krankenversicherung und ihre Grenzen, ALJ 2022, 1.

55 Vgl zum selben Ergebnis in Deutschland Rudkowski, ZVersWiss 2017, 458.

56 Baran, Umsetzung der 5. Kfz-Haftpflichtversicherungs-RL im Versicherungsund Kraftfahrrecht, ZVR 2007, 250 (252).

57 Grubmann, KHVG5 (2021) § 14b Anm 2.

58 Schauer, Prämienanpassung und Kündigung in der Kfz-Haftpflichtversicherung, ZVR 2009, 427 (435).

59 Grubmann, KHVG5, § 14a Anm 1.

60 Schauer, ZVR 2009, 429.

61 Vgl zur Preisgleitklausel Grubmann, KHVG5, Art 15 AKHB 2015 E 1.

62 Kathrein/Soditsch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB6, § 6 KSchG Rz31.

63 Klimke, r+s 2015, 219.

64 Apathy in Schwimann/Kodek, ABGB4, § 6 KSchG Rz 88.

65 Max Leitner, Erscheinungsformen intransparenter AGB-Gestaltung, RdW 2003, 125.

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generalisierende Auflistung, dass Bremsverhalten und schnelle Beschleunigungen zu Prämienanpassungen führen, genügt nicht. Es bedarf vielmehr einer genauen Umschreibung und Gewichtung der einzelnen Umstände und wie diese sich auf die Prämie im Speziellen auswirken.66

6.4.2.Datenerhebung

Zudem könnte die Datenerhebung durch verbundene Geräte in Konflikt mit dem Transparenzgebot kommen. Smarte Versicherungen bedürfen sogenannter oracles, 67 um Parameter der analogen Welt (Fahrverhalten, Höhenmeter etc) verarbeiten zu können und dementsprechend die Versicherungsprämie anzupassen. 68 Dem Versicherungsnehmer muss insofern bewusst gemacht werden, dass das Versicherungsunternehmen eine sehr große Datenmenge erhält und diese dann weiterverarbeitet wird.69 Meist wird die Datenverarbeitung wohl an Dritte ausgelagert werden, da der dem Versicherungsverhältnis zugrunde liegende smart contract auf Servern von IT-Unternehmen gespeichert ist und die erhobenen Daten dorthin übermittelt werden müssen.70 Der Versicherungsnehmer muss insofern über die genaue Speicherung und Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten71 in Kenntnis gesetzt werden.72

Ein nicht unproblematisches Detail der Datenerhebung ist deren Einfluss auf die Beurteilung eines eintretenden Versicherungsfalles. Dadurch, dass smarte Versicherungen eine Vielzahl von Daten erheben, wird sich dies wohl in manchen Fällen auf die Beurteilung von Versicherungsfällen auswirken.73 So könnten sich Daten über das Fahrverhalten des Lenkers einer smarten KfzHaftpflichtversicherung bei einem Unfall im Vergleich zu einer analogen Versicherung negativ auf den Versicherungsnehmer auswirken, wenn die Daten bei der Beweisführung gegen ihn verwendet werden.74 Damit könnte außerdem eine Verschiebung des Versicherungsschutzes im Vergleich zu analogen Versicherungen einhergehen.75 Insofern muss der Versicherungsnehmer über die Verarbeitung der Daten und deren Auswirkung auf einen eintretenden Versicherungsfall Bescheid wissen und sich über die negativen Auswirkungen vollständig im Klaren sein.76 Zudem ist der Versicherungsnehmer aufgrund seiner sekundären Obliegenheit der Aufklärungspflicht nach Eintritt des Versicherungsfalles dazu veranlasst, die erhobenen Daten des Geräts herauszugeben, falls diese lokal gespeichert werden und zur Aufklärung des Sachverhalts dienen.77

66 Rudkowski, ZVersWiss 2017, 465.

67 Vgl zu oracles Hanzl, Handbuch Blockchain und Smart Contracts (2020) 13.

68 Heiss/William, Rechtsfragen der Online-Versicherung, in Fuhrer, Jahrbuch SGHVR 2018 (2018) 19 (66).

69 E. Brandl/Pfaffeneder, Datenschutzrechtliche Aspekte der Pay-As-You-Drive Versicherung, in Jahnel, Jahrbuch Datenschutzrecht 2014 (2014) 191.

70 Vgl zur datenschutzrechtlichen Problematik der zugrunde liegenden Blockchain-Technologie Piska/Bierbauer, Datenschutzrechtliche Dimensionen der Blockchain-Technologie, in Piska/Völkel, Blockchain rules (2019) 161.

71 Der Begriff „personenbezogene Daten“ wird in Art 4 Z 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. 4. 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl L 119 vom 4. 5. 2016, S1, definiert.

72 Apathy in Schwimann/Kodek, ABGB4, § 6 KSchG Rz 87; Eul in A. Leupold/ Wiebe/Glossner, IT-Recht4 (2021) Teil 10.2 Rz 42.

73 Klimke, r+s 2015, 219.

74 E. Brandl/Pfaffeneder, Datenschutzrechtliche Aspekte, 202.

75 Rudkowski, ZVersWiss 2017, 478.

76 Klimke, r+s 2015, 219.

77 Vgl zur Aufklärungspflicht Wieser in Kath ua, Versicherungsvertragsrecht I, Rz 919.

6.4.3.Unwirksamkeit der Prämienanpassungsklausel

Die Unwirksamkeit einer unklaren bzw unverständlichen Klausel könnte bei smarten Versicherungen jedoch zu schwierigen Rechtsfolgen führen.78 Fällt die Klausel der dynamischen Prämienberechnung weg, so stellt sich die Frage, welche Prämie zu leisten ist.79 Zudem sind aktuelle smarte Versicherungen grundsätzlich so ausgestaltet, dass eine fixe Prämie vereinbart wird, die sich bei vorher definiertem Verhalten des Versicherungsnehmers reduziert.80 Würde also die Klausel wegfallen, wäre eine Prämienreduktion nicht mehr möglich, sodass sich die Rechtsfolgen nur zulasten des Versicherungsnehmers auswirken würden.81 Die entstehende Vertragslücke muss sodann durch ergänzende Vertragsauslegung82 unter den Gesichtspunkten der Vertragsgerechtigkeit und Vertragstransparenz geschlossen werden.83 Zudem können der hypothetische Parteiwille, die Übung des redlichen Verkehrs, der Grundsatz von Treu und Glauben sowie die Verkehrsauffassung berücksichtigt werden.84 Hier einen adäquaten Ausgleich zwischen den Vertragsparteien zu finden, wird sicherlich zu großen Herausforderungen führen, wobei eine detaillierte Aufarbeitung den Umfang dieses Beitrags überschreiten würde.

6.5.Sittenwidrigkeit

In weiterer Folge soll geprüft werden, ob eine smarte Versicherung sittenwidrig im Sinne des § 879 Abs 1 ABGB sein könnte. Sittenwidrig bedeutet, dass eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder bei Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen vorliegt.85 Fraglich ist, ob durch smarte Versicherungen einzelne Versicherungsnehmer nicht gröblich benachteiligt werden. Bei einer smarten Kfz-Haftpflichtversicherung könnten Pendler aufgrund des täglichen Stop-and-go-Verkehrs höhere Prämien verrechnet bekommen, falls sich ein häufiges abruptes Bremsen negativ auf die Versicherungsprämie auswirken würde.86 Generell würden Vielfahrer wohl öfter höhere Prämien bezahlen, da schon rein aus der Logik ein häufigeres sich negativ auswirkendes Fahrverhalten an den Tag gelegt wird.87 Ein ähnliches Argument würde auch für smarte Kranken- bzw Lebensversicherungen gelten, die bei Bewegungsmangel höhere Tarife berechnen. Mobilitätseingeschränkte Personen würden de facto einer Ungleichbehandlung mit aktiveren Menschen unterliegen. Noch größer wäre wohl der Unterschied zu Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit ein erhöhtes Bewegungsmuster aufweisen. Ebenso würden Personen bei Unfallversicherungen benachteiligt, die bei einem Aufenthalt auf über 2.000 m Höhe einen gesteigerten Tarif berechnen, falls diese in geografisch hoch gelegenen Gebieten wohnen.88 Die Liste würde sich noch weiter fortführen lassen, wobei mit den genannten Beispielen mögliche Ungleichbehandlungen aufgezeigt werden sollten. Das privatrechtliche Versicherungsrecht richtet sich im Gegensatz zum öf-

78 Ch. Rabl, Zur aktuellen Judikatur über die ergänzende Vertragsauslegung bei nichtigen Klauseln, ÖBA 2015, 246 (247).

79 Vgl zur selben Problematik für Deutschland Rudkowski, ZVersWiss 2017, 487 ff.

80 Siehe zur Ausgestaltung https://www.allianz.de/auto/kfz-versicherung/tele matik-versicherung.

81 Vgl zur Problematik bei Wegfall der Klausel Klimke, r+s 2015, 219 f.

82 Wieser in Kath ua, Versicherungsvertragsrecht I, Rz 442.

83 Vgl ausführlich zur Problematik der Vertragslücke Spitzer, Vertragslücken im österreichischen und europäischen Recht, ÖJZ 2020, 761.

84 RIS-Justiz RS0017832; zuletzt OGH 24. 5. 2022, 4 Ob 3/22b.

85 RIS-Justiz RS0113653; zuletzt OGH 30. 3. 2021, 10 Ob 4/21t.

86 Ph. Koch, VersR 2020, 1417.

87 Rudkowski, ZVersWiss 2017, 466.

88 Vgl zur Gleichbehandlung in Versicherungsverträgen Perner, Privatversicherungsrecht, Rz 1.38.

Smart Contracts in der österreichischen Versicherungsrechtsdogmatik 3/2023 102

fentlich-rechtlichen Sozialversicherungsrecht nicht nach dem Solidaritätsprinzip, sondern nach dem Äquivalenzprinzip.89 Jedoch kommt auch hier eine Gefahrengemeinschaft zum Tragen; das Risiko von Schicksalsschlägen soll auf möglichst viele Personen verteilt werden.90 Es kann sohin nicht im Sinne dieses Grundprinzips sein, dass die Kosten für die gemeinschaftliche Risikotragung ungerecht verteilt werden. Umso größer die Unterschiede in der Prämienverteilung sind, desto eher wird der Schutzbereich der Sittenwidrigkeit berührt werden;91 dies insbesondere dann, wenn die Parameter zur dynamischen Prämienhöhe so gesetzt werden, dass eine große Zahl von Versicherungsnehmern eine Prämienerhöhung erleidet und die Gesamtversicherungsprämie aller Versicherten steigt, obgleich die Versicherung insgesamt dasselbe Risiko wie bei analogen Versicherungsverträgen der Gefahrengemeinschaft abdecken muss.92

7.Nichtmitnahme des Geräts zur Datenerhebung

7.1.Allgemeines

Nun soll geklärt werden, welche Rechtsfolgen eine Nichtmitnahme oder das Nichtbetreiben eines Geräts zur Datenerhebung des smarten Versicherungsvertrages zur Folge hat. Es ist nämlich gut vorstellbar, dass der Versicherungsnehmer einer smarten Unfallversicherung seine höhenmetermessende Smartwatch nicht verwendet oder der Kfz-Versicherte die fahrstilmessende Blackbox im Auto ausschaltet.93

7.2.Gefahrenerhöhung

In einem ersten Schritt ist zu untersuchen, ob durch die Nichtmitnahme oder das Ausschalten des Geräts zur Datenerhebung eine Gefahrenerhöhung durch den Versicherungsnehmer induziert wird. Dies kann jedoch gleich wieder verneint werden, da auf der Hand liegt, dass dadurch per se wohl keine erhöhte Unfallgefahr hervorgerufen wird, weil keine Auswirkung auf das Verhalten des Versicherungsnehmers vorliegen wird.94 Eine Konstellation, in der eine Erhöhung der Gefahr vorliegen könnte, ist jedoch denkbar: Falls das nicht mitgenommene oder ausgeschaltete Gerät eine schadensmindernde Funktion (wie die automatische Alarmierung von Einsatzkräften bei einem Unfall) hat, könnte eine Gefahrenerhöhung vorliegen. Durch die direkte Alarmierung von Einsatzkräften könnten gröbere Schäden verhindert werden. Insbesondere bei Personenschäden im Straßenverkehr oder bei Bränden ist eine entsprechende gefahrenerhöhende Konstellation denkbar. Im Allgemeinen ist jedoch keine Gefahrenerhöhung im Sinne der §§ 23 ff VersVG gegeben.95

7.3.Verletzung einer Obliegenheit

Nun soll untersucht werden, ob eine Verletzung einer Obliegenheit im Sinne des § 6 VersVG vorliegt. In Abs 1a Satz 2 leg cit wird die vorsätzliche Verletzung von Obliegenheiten zu sonstigen bloßen Meldungen und Anzeigen, die keinen Einfluss auf die Beurteilung des Risikos durch den Versicherer haben, mit der Leistungsfreiheit des Versicherers sanktioniert.96 Insofern könnte

89 Eisen, Das Äquivalenz-Prinzip in der Versicherung, ZVersWiss 1980, 529.

90 Gisch/Reisinger, Versicherungsvertragsrecht, 11.

91 Ph. Koch, VersR 2020, 1420.

92 Vgl zu Nachteilen der Gesellschaft Wilde, Vor- und Nachteile von Telematik-Tarifen aus Sicht von Versicherungsnehmern und der Gesellschaft, in Hartung/M. Müller, Telematik in der Kfz-Versicherung (2019) 45 (46 f), online abrufbar unter https://www.unibw.de/insurance/telematik-in-derkfz-versicherung_reader-studienprojekt-2019.pdf.

93 Klimke, r+s 2015, 222.

94 Vgl zum Moral-hazard-Effekt Nell, Versicherungsinduzierte Verhaltensänderungen von Versicherungsnehmern (1993).

95 Klimke, r+s 2015, 223.

96 Fenyves in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 6 Rz 84.

diese Norm dahin gehend interpretiert werden, dass dem Versicherungsnehmer bei vorsätzlichem Abschalten oder Nichtmitnehmen von Gerätschaften eine Leistungsfreiheit des Versicherers droht. Bei fahrlässigem oder unverschuldetem Verhalten kommt die Norm jedoch nicht zur Anwendung. Insofern könnte eine vertragliche Obliegenheit zur Mitnahme bzw Verwendung des Geräts vereinbart werden.97 Im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung darf eine solche Obliegenheit jedoch nicht vereinbart werden, da hier nur der abschließende Katalog des § 5 Abs 1 KHVG an Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalles zulässig ist.98 Bei unverschuldetem Verhalten würde die Vertragsklausel gegen § 6 Abs 1 VersVG verstoßen, wonach der Versicherungsnehmer keine widrigen Folgen zu befürchten hat, falls die Datenerhebung beispielsweise an Umständen aufseiten des Versicherers scheitert.99 Bei fahrlässigem Verstoß gegen die Obliegenheit wäre wohl eine Leistungsfreiheit des Versicherers eine ausufernde Sanktionierung, da sich die Obliegenheitsverletzung nicht auf das versicherte Risiko auswirkt, sondern nur die Prämienberechnung betrifft. Insofern könnte im Versicherungsvertrag als adäquate sanktionierende Maßnahme die Einhebung einer vergleichbaren Versicherungsprämie ohne Rabattierung vereinbart werden.100

8.Obliegenheitserfüllung bzw Schadensmeldung durch Smart Contracts

8.1.Allgemeines

Smarte Versicherungen könnten in Verbindung mit smarten Geräten aus technischer Sicht eine Schadensmeldung vollautonom durchführen.101 Fraglich ist, ob ein solcher Vorgang Deckung im österreichischen Versicherungsrecht findet. Gemäß § 33 Abs 1 VersVG hat der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall unverzüglich nach Kenntniserlangung an den Versicherer zu melden.102 Dem Gesetz ist für die Mitteilung keine Form zu entnehmen, sodass grundsätzlich Formfreiheit gilt, wobei in den meisten Versicherungsverträgen die Schrift- oder Textform vereinbart wird.103 Vor diesem Hintergrund wäre eine direkte und vollautonome Meldung des Versicherungsfalles im Rahmen einer smarten Versicherung in Verbindung mit einem smarten Gerät zulässig.104

8.2.Leistungsverweigerung bei Zahlungsverzug

Die charakteristische Funktion von smart contracts ist deren automatische Vollstreckung beim Eintritt einer vorab definierten Bedingung.105 In weiterer Folge ist zu prüfen, ob eine solche im Rahmen eines Versicherungsvertrages zulässig ist. Denkbar wäre eine smarte Versicherung, die bei Ausbleiben der Prämienzahlung durch den Versicherungsnehmer dessen Versicherungsschutz automatisch aussetzt und ihn darüber benachrichtigt. Zwar handelt es sich beim Versicherungsvertrag um ein Dauerschuldverhältnis, jedoch kommt das Leistungsverweigerungsrecht des § 1052 ABGB aufgrund spezialgesetzlicher Bestimmungen im VersVG nicht zur Anwendung.106 Die Rechtsfolgen bei Zahlungsverzug im Rahmen eines Versicherungsvertrages

97 Klimke, r+s 2015, 225.

98 Grubmann, KHVG5, § 5 Anm 1 ff.

99 Grubmann, VersVG9, § 6 Anm 2.

100 Rudkowski, ZVersWiss 2017, 471.

101 Günther, Smart Home und Versicherungsrecht, s+s report 2/2018, 36.

102 Wieser in Kath ua, Versicherungsvertragsrecht I, Rz 920.

103 Ramharter in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 33 Rz 18 f.

104 Vgl zur selben Argumentation im liechtensteinischen Versicherungsrecht Butterstein/Jörg/Lettenbichler, Das Smart Home im liechtensteinischen Versicherungsrecht, SPWR 2020, 499.

105 Hanzl, Blockchain, 13.

106 Verschraegen in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.08, § 1052 Rz 1.

103 3/2023 Smart Contracts in der österreichischen Versicherungsrechtsdogmatik

werden in §§ 38 ff VersVG geregelt. Nach § 39 VersVG kann der Versicherer bei Nichtzahlung einer Folgeprämie dem Versicherungsnehmer auf dessen Kosten (schriftlich) eine Zahlungsfrist von mindestens zwei Wochen einräumen.107 Erst nach Ablauf dieser Frist wird der Versicherer bei Eintritt eines Versicherungsfalles leistungsfrei. Eine Ausnahme bildet die unverschuldete Verhinderung des Versicherungsnehmers.108 Eine Regelung im smarten Versicherungsvertrag zur automatischen Unterbrechung des Versicherungsschutzes würde insofern klar gegen die zwingenden Vorgaben des § 39 VersVG verstoßen. Eine Umsetzung der unmittelbaren automatischen Vollstreckung ist daher aus rechtlicher Sicht nicht zulässig.109

Auf den Punkt gebracht

Die Ausführungen haben gezeigt, dass smart contracts in weiten Teilen mit der österreichischen Versicherungsrechtsdogmatik kompatibel sind. Folgende Spannungsfelder mit zwingenden gesetzlichen Vorgaben wurden durch die Untersuchung herausgearbeitet: Die allgemeinen Informationspflichten des Versicherungsrechts können mit einem smart contract in Einklang

107 Riedler in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG, § 39 Rz 30. Dieselbe Regelung gilt gemäß § 38 VersVG ebenso für die erste Prämie.

108 Perner, Privatversicherungsrecht, Rz 4.27.

109 Zum selben Ergebnis für Dauerschuldverhältnisse in Liechtenstein Lettenbichler, SPWR 2021, 312.

gebracht werden, falls additiv Produktinformationsblätter in klassischer Form zur Verfügung gestellt werden. Das Gefahrenerhöhungsregime ist auf smarte Versicherungsverträge nicht anwendbar, da mitversicherte Änderungsrisiken vorliegen. Eine Preisanpassungsklausel kann bei entsprechender Ausgestaltung die Vorgaben des KSchG erfüllen, wobei smarte Krankenversicherungen aufgrund von Sonderbestimmungen im VersVG nicht umsetzbar sind. Eine Sittenwidrigkeit wird wohl nur dann vorliegen, wenn eine Bevölkerungsgruppe benachteiligt wird oder die Versicherung insgesamt durch die Umsetzung von smarten Versicherungsverhältnissen eine höhere Gesamtversicherungssumme bei gleichbleibender Leistung einbehält. Zur Sanktionierung der Nichtmitnahme eines Geräts zur Datenerhebung kann in den meisten Versicherungsverträgen eine Obliegenheit zur Verwendung vertraglich vereinbart werden. Als adäquate sanktionierende Maßnahme ist die Einhebung einer vergleichbaren herkömmlichen Versicherungsprämie ohne Rabattierung vorzusehen. Eine direkte und vollautonome Meldung des Versicherungsfalles im Rahmen einer smarten Versicherung in Verbindung mit einem smarten Gerät ist jedenfalls zulässig. Eine Umsetzung der unmittelbaren automatischen Vollstreckung ist aus rechtlicher Sicht nicht möglich, da bestimmte gesetzliche Verzugsfristen und damit einhergehende Verzugsfolgen eingehalten werden müssen.

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