Über 2014 hinausdenken!
Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Januar-Februar 2014
„Alle Jahre wieder“ ist man versucht zu sagen, wenn der 13. Februar in Dresden ansteht. Und lange schien dieser Satz auch eine gewisse Gültigkeit zu haben. Nun aber hat sich die Lage geändert und 2014 könnte zu einem entscheidenden Jahr werden. Eines ist bereits erreicht: Die Nazis versuchen gar nicht erst, zu marschieren, der Trauermarsch ist umgemeldet zu einer Kundgebung. Und der Anmeldeort ist eine reine Provokation: Neumarkt, direkt an der Frauenkirche. Nun werden Gerichte bemüht werden, weil dieser Ort durch das aktuelle Versammlungsrecht besonders geschützt ist. Aus Perspektive von Dresden Nazifrei zählt dabei nur, dass wir sie blockieren – egal, ob bei Marsch oder Kundgebung. Doch wie wird es dann nach 2014 weitergehen? Wie sich der 13. Februar in Dresden weiter entwickelt, hängt nun noch entscheidender davon ab, wie sich 2014 die Lage darstellt. Die Schlussfolgerung also, jetzt den Weg nach Dresden für unnötig zu halten, wäre grundfalsch. Wenn man in den nächsten Jahren nicht weiter jedes Jahr im Februar herkommen will, müsste man sich in diesem Jahr gerade nochmal aufraffen. Damit am Ende für die Nazis die Frage steht, warum sie überhaupt noch im Februar in Dresden auflaufen sollen, wenn sie hier nicht mal mehr eine Kundgebung realisiert bekommen. Einzig die Tatsache, dass wir 2015 vor dem 70. Jahrestag stehen, spricht bislang noch dagegen, sich jetzt schon festzulegen. Es hängt also von uns ab! Setzen wir 2014 wieder ein deutliches Signal, blockieren wir wieder mit tausenden Menschen die Nazis in Dresden, ist auch der Druck auf die Stadtverwaltung, sich endlich noch mehr für unser Anliegen zu öffnen, nicht mehr zu ignorieren. Schon jetzt musste sich OB Orosz (CDU) zumindest insoweit bewegen, dass sie ihre
sture Verweigerungshaltung zu Gesprächen mit dem Bündnis nicht mehr halten konnte. 2014 kann für Dresden eine langfristige Entscheidung bringen – kann! Es hängt an uns. Das gilt nicht nur für Dresden. Die Zeit der pathetisch inszenierten Großaufmärsche ist zwar vorbei. Das ändert aber nichts daran, dass Aufmärsche eines der wichtigsten Ausdrucksmittel der extremen Rechten bleiben. Gerade weil das im großen Maßstab in Dresden immer schlechter funktioniert, darf nicht vergessen werden, dass es an anderen Tagen und in anderen Orten anders aussieht: Neben dem 13. Februar in Dresden gibt es jedes Jahr Naziaufmärsche zum 5. März in Chemnitz und Mitte April in Plauen, gestrickt nach dem Dresden-Muster: Auch hier wird die Bombardierung jener Städte im Zweiten Weltkrieg zum Anlass eines geschichtsrevisionistischen „Gedenkens“ genommen, das vergessen machen soll, wer den Zweiten Weltkrieg entfesselt hat. Wenn es darum geht, die historische Schuld auf die AntiHitler-Koalition zu schieben, leiden Nazis unter einem Wiederholungszwang: Erst die Fälschung der Geschichte – sozusagen ein Schuldenschnitt in eigener Sache – ermöglicht es ihnen, sich auf den historischen Nationalsozialismus zu berufen. Dass die Versuche außerhalb Dresdens bislang ein paar Nummern kleiner ausfallen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die politische Absicht hinter diesen Terminen genauso monströs ist. Was den Widerstand dagegen anbetrifft, so bleibt noch Luft nach oben. Diese Lücke muss gefüllt werden, und ein Anlass, darüber nachzudenken, ist Dresden am 13. Februar. Je weniger den Nazis dort gelingt, desto attraktiver werden für sie die sächsischen Ersatztermine. Antifaschistisches Engagement bleibt dagegen unersetzlich.
Links! im Gespräch
Links! 01-02/2014 Alle drei sind sie Leipziger und machen politische Musik: Ausriss aus einem anarchischen Gespräch mit dem Leipziger Pianisten, Komponisten und Sänger Hubertus Schmidt, dem Autor, Dichter und Sänger Jens-Paul Wollenberg sowie mit der Malerin und bekennenden Straßenmusikerin Uta Pilling (v. l. n. r.). Beim Thema Musik mit politischem Anspruch stoßen zuerst die Protestsongs der 60er ins Gedächtnis, auch das politische Liedgut aus der DDR. Ist Musik heute noch politisch? Wollenberg: Es ist wieder soweit. Ich bin eine Weile getourt mit Liedern der 1848er Revolution und der Pariser Commune, das war so um 2008. Da gab es tatsächlich auch junge Leute. Wir haben diese Songs ein wenig verrockt, selbst die „Internationale“, damit sie nicht so agitatorisch daherkommen, das ist heutzutage nicht mehr angebracht, das will keiner mehr. Da haben wir auch die Internationale verrockt. Es gab auch Diskussionen, die jungen Leute waren zum Beispiel sehr interessiert an Brecht-Texten, und ich dachte: Hoppla, wo kommt das her? Es läuft schließlich alles in Richtung Spaß. Der Mainstream duldet das Politische oft nicht, die Medien sowieso nicht. Schmidt: Da waren die amerikanischen, die englischen 60er Jahre wesentlich vielfältiger. In der DDR wurden die Protestsongs in den 80er Jahren häufiger. Ich erinnere mich an 1974, da habe ich meine erste Einstufung gemacht, das war Voraussetzung für die Spielerlaubnis. Da ging es um ein Lied, in dem kam die Zeile vor: „Kommt zurzeit kein Prinz einher, kommt vielleicht ein Funktionär“. Andreas Reimann, Textautor, sagte: Das kannst Du nicht machen. Ich antwortete: Reimann, das weiß ich ja nicht, wir machen hier die Einstufung, die sollen sich das anhören und hinterher was sagen. Gesagt haben sie: Endlich sagt’s mal jemand. Kurt Demmler meinte: Was im Buch gedruckt ist, ist gedruckt, das heißt nicht, dass Du das singen kannst – zum Beispiel „Mein Dörfchen, das heißt DDR“ von Hacks. So schlimm war die Angst vor Zensur, von den Autoren selbst. Wir haben das trotzdem alles gemacht, ohne dass irgendwas passiert ist. Wollenberg: Es gab aber auch in der ehemaligen BRD Zensur. Das konnte man mit einem Auftrittsverbot vielleicht nicht vergleichen, aber Franz-Josef Degenhardt ist ein bekanntes Beispiel. Die lebten hauptsächlich vom Plattenverkauf, gerade in den 60er Jahren war das richtig „in“, das linke Denken, gegen Establishment und Bürgertum. Schmidt: Wir saßen einmal mit Werner Schneider, einem bekannten Kabarettisten, zusam-
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»Wenn Du nicht sagst, was los ist, versteht es keiner«
Bild: Kevin Reißig
men und ich fragte ihn, ob er sein Programm irgendwie verändert habe, als er in den Osten kam. Er meinte: Unterm Strich ist das alles gleich. Das war ein Schlüsselerlebnis für mich. Du kannst überall alles machen, im Radio schon weniger, im Fernsehen ist es ganz streng. Als Uwe Steimle gerade von „Neues aus der Anstalt“ kam, war bei einer Live-Veranstaltung jeder fünfte Satz: Das hätt‘ ich dort nicht sagen dürfen! Man wird ständig mit Zensur konfrontiert. Wollenberg: In gewisser Weise waren sich die Deutschlands schon sehr ähnlich, sie waren eben deutsch. Schmidt: Für das ChansonFestival Frankfurt/Oder mussten wir immer beim Rat des Kreises Texte einreichen. Da saßen wir dort und bei einem der Texte war alles unterstrichen. Dann die Frage: Warum singen Sie das? Ich sagte: Das ist die Realität, die besingt der Liedermacher. Die Realität ist ja schlimmer als das, es ging um Obdachlose, unten im Keller im Hauptbahnhof. Da gingen die Bullen mit Hunden durch, wegen der Drogen. Das haben aber die Genossen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Damit bin ich in der Provinz aufgelaufen, in Torgau, die haben mich madig gemacht und mir das nicht abgenommen. Ich konnte das Programm nicht weitermachen, die haben „Buh!“ geschrien. Ich habe sie gefragt, ob ich hier beim Rat des Kreises Leipzig gelandet sei. Die Leute waren so linientreu, dass sie bei solchen Songs manchmal ausgeflippt sind. Zensur wurde nicht nur von Gremien verbreitet, auch von der Bevölkerung selbst. Von der Leipziger Szene behauptet man oft, sie sei offener als anderswo.
Wollenberg: Sie war es, zu DDR-Zeiten auf alle Fälle. In den 90ern war alles schnurzpiepegal, da gab es überhaupt keine Protestbewegung mehr, vielleicht die radikale linke Szene, Connewitz. Aber das kam erst, als man merkte, was passiert, was aus der Würde des Menschen geworden ist. Schmidt: Die Leute mussten sich ja erst einmal zurechtfinden. Ich saß mit Stefan Körbel, Berliner Liedermacher, zusammen, und er meinte: Ich habe nichts mehr zu sagen. Ich sagte: Wenn Du nichts machst, bist Du kein Künstler, dann mach doch Instrumentalmusik. Krawczyk kam auf den Dreh und sagte, er habe ein Liebesliederprogramm gemacht und es sei hoch politisch. Das ist völlige Scheiße, so etwas zu sagen, denn in einem Liebesliedtext kann zwar etwas Politisches vorkommen, aber es bleibt doch ein Liebeslied. In solche Nischen zog man sich zurück vor lauter Unfähigkeit. Bis man sich zurechtfindet, das dauert ein paar Jahre. Erinnert sei an Biermann, der nach dem Westen kam und dort ein völlig tagespolitisches Programm zum Wahlkampf machte. Er hat sich sofort zurückgezogen und ein kleines Thema genommen, und hat nicht die großen Themen bearbeitet. Das ist natürlich klug, denn man kann nicht die Gesellschaftsordnungen wechseln und sofort ein Statement abgeben, man muss hineinwachsen. Das ist deutlich, wenn man nebeneinanderlegt, was Biermann 1976 in der Kölner Sporthalle sang, und wofür er heute politisch steht. Schmidt: Er hat sowieso einen ziemlichen Wandel durchgemacht. Als er hier war, sagte er: Ich verstehe nicht die Leute, die weggehen, als er drüben war: Ich war wohl blöd!
Muss die politische Aussage in der zeitgenössischen Musik eher versteckt daherkommen? Degenhardt etwa war damals offensichtlich politisch. Schmidt: In der DDR musstest Du die Wahrheit durchaus mit List verbreiten, der DDR-Bürger konnte ja auch zwischen den Zeilen lesen. Heute ist mehr Direktheit angesagt: Wenn Du nicht sagst, was los ist, versteht es keiner. Anspruchsvolle Texte haben es schwer. Wollenberg: Es gibt die „Liederbestenliste“ vom Verein deutschsprachige Musik e. V., das sind die einzigen Charts, die sich mit deutschsprachiger Musik befassen. Da sitzen 25 Leute im ganzen deutschsprachigen Raum verteilt, Liedermacher, Musikwissenschaftler, Journalisten. Die werten nach verschiedenen Kriterien, auch nach politischem Inhalt. Da hatte ich die Ehre, auch schon ein paar Mal auf Platz 1 zu sein. Diese Liste wird in allen dritten öffentlichen Radioprogrammen ausgestrahlt. Bernd Eichler von MDR Figaro macht das zu brav, nur ab und zu ist etwas Verschärftes drin. Als unser Titel dran war, das war im Juni, sind wir auf Platz 2 hochgerutscht. Dann war die Ansage: Jetzt kommen Jens-Paul Wollenberg und Pojechaly, den spielen wir aber heute nicht, erst im Juli. Dort war Wagner-Gedenkjahr, da ist die Sendung ausgefallen. Wenn anspruchsvolle Texte nicht „laufen“, liegt das sicher auch an den gesellschaftlichen Umständen. Schmidt: Wir haben mit unserem Grasshoff-Programm im Westen Missverständnisse geerntet, das war den Leuten von den Texten her einfach zu schwer. Wollenberg: Es wird alles bequemer, man ist zu faul zum
Denken. Die Medien liefern alles mundgerecht. Ich habe Angst davor, dass die Neugier verschwindet. Es soll mir aber keiner sagen, es gebe kein Interesse, das ist da, auch bei Jugendlichen, aber die Medien machen nicht mit, die sind zu oberflächlich. Schmidt: Wenn heute einer zu mir kommt und sagt: Ich will mit Chansons anfangen, ich würde sagen: Ach, lass‘ es. Denn: Kündige doch mal irgendwo einen Chansonabend an, wer geht denn da hin? Wollenberg: Es kommt auch darauf an, wie Du es machst. Wer heute nur mit einer Gitarre kommt, hat es sicher schwer, und kann davon nicht leben. Schmidt: Ich habe mir jetzt ein Büchlein gekauft, da geht es um Musik von Friedrich Hollaender. Wenn ich ehrlich bin, unterscheidet sich meine Musik nicht wesentlich von seiner. Mein Gott, dann bin ich aber ungefähr 90 Jahre alt, damit kann ich keinen Blumentopf gewinnen. Das Tablett, auf dem Du servierst, ist verdammt wichtig. Die Leute springen schon an, und wenn Du einen guten Titel hast, bekommen sie auch den Text mit. Aber die Musik muss eben modern sein. Wenn Du Deinen Text mit List rüberbringen willst, musst Du gut schreiben, aber auch möglichst gut singen oder ein Instrument spielen. Daraus resultiert, dass die Qualität der Liedermacher in der DDR ziemlich hoch war. Wie formuliere ich etwas, wogegen der Genosse vom Rat des Kreises nichts sagen kann, das das Publikum aber trotzdem versteht? Nach der Wende war der Zwang, alles gut machen zu müssen, weg,. Manche behaupten, zu DDRZeiten seien die Leute sozial besser abgesichert gewesen und hätten mehr Zeit für Politik gehabt. Kann man analog sagen, dass politische Bevormundung und Zensur damals das eigentliche Problem waren und in dieser Rolle von sozialer Unsicherheit abgelöst wurden? Pilling: Der Mensch verändert sich nicht, junge Menschen gibt es in guter Qualität, leider ist die Bühne für alle verschwunden. Das Böse, das es im Sozialismus gab, galt einer Minderheit, die Mehrheit war sozial abgesichert. Ich habe fünf Kinder, die durften alle in der Musikschule Unterricht nehmen, ohne dass ich dafür bezahlen musste. Natürlich war ich auch verfolgt, meine Kinder waren nicht in der FDJ, nicht jugendgeweiht. Jens-Paul hatte 23 IMs, nur weil er das „Spitzellied“ gesungen hat. Die Staatssicherheit war ein handverlesener Familienbetrieb, zum Teil schwachsinnig. Heute sind wir alle vom Scheitel bis zur Sohle überwacht. Wir sind vom Regen in die Jauche abgestürzt.
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Seite 3 Womit wir wieder bei Biermann wären. Pilling: Was heute fehlt, ist die Bildung. Das ist gewollt, denn nicht umsonst braucht man einen Mob, der die Wirtschaft in Gang hält. Wir haben aber auch heute noch Könner, junge Menschen, das wäre ja auch absurd, wenn die Blödheit so um sich greifen würde. Das ist dennoch alles ein böses Kalkül. Irgendwie bin ich alt genug, um zu sagen: Es ändert sich nichts. Schmidt: Was sagt die Bourgeoisie? Teile und herrsche! Das kannst Du am besten, wenn die Bildung fehlt. Es gibt keine Solidarität zwischen den Leuten. Wollenberg: Es gibt natürlich auch heute noch welche, die die großen Säle füllen. Man hört eben nicht auf, man lebt auch nicht davon, sondern dafür. Pilling: Wenn man Wolfgang Neuss hört, denkt man: Ach, gestern Abend hat der das wohl geschrieben, der Kleine? Der hat doch diese Villon-Texte, die „Lästerzungen“, sowas von auf den Punkt gebracht. Oder Hüsch, Wader, wenn man die Sachen aus den 70ern hört, die sind fast 1:1 übertragbar. Du kannst natürlich auch Heine und Mühsam nehmen, oder Degenhardt. Ich schreibe alle Texte selber, und solche Texte hätte ich mir gewünscht, obwohl ich auch böse Dinger habe. Ich hätte gern Humor, ich bin wahrscheinlich zu bissig, zu sarkastisch. Ich habe auf der Straße schon in die Fresse bekommen, bin getreten worden, einer hat mir eine Möhre ins Maul gerammt, da konnte ich zwei Tage lang nicht singen. Aber dann denke ich immer: Toll, die reagieren, die haben mir zugehört, die Drecksäcke! Das ist ja schmeichelhaft.
Eigentlich wollte ich eine ganz andere Kolumne schreiben – mit einer anderen Überschrift. Schließlich haben wir ein – ja was denn? „Jubiläumsjahr“ kann man schlecht sagen, wenn vor 100 Jahren der Erste Weltkrieg und vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg begonnen hat. Nennen wir es „Gedenkjahr“. Das wäre ein gutes Thema, ein ernstes; Anlass zu Mahnung, Grund zur Warnung. Ich will nicht ungehörig abschweifen, aber Karneval war mir gleich danach eingefallen. Zum Lachen war mir dabei nicht zumute. Denn der Gedanke kam mir nicht wegen der saisonalen Nähe des när-
Sind Künstler, zumal politische, heute in erster Linie Überlebenskünstler? Schmidt: Ein banales Beispiel: Ich hatte eine Einstufung als Liedermacher zu DDR-Zeiten, und da ich Musik studiert habe, habe ich als Begleitmusiker abgerechnet. Hätte ich als Chansonsänger abgerechnet mit einer mittelmäßigen Einstufung, kriegte ich für ein abendfüllendes Konzert 204 Mark. Ich hatte zwei Wohnungen in Leipzig, eine als Proberaum, die kosteten zusammen 84 Mark im Monat. Es gab kein Problem. Wir hatten ja Kohle genug. Heute muss man erstmal den Jackpot knacken, damit man eine Wohnung, ein Auto und ein Instrument kaufen kann, und dann lernst Du sprechen, singen, spielen, schreiben. Wollenberg: Entweder man hat Glück oder nicht. Man darf nie mit dem Anspruch rangehen, berühmt werden zu wollen, das
ist großer Humbug. Entweder wird man zum richtigen Zeitpunkt geboren oder eben nicht. Schmidt: Wir sollten irgendwo im Bezirk Suhl unser Programm „In der Mülltonne geblättert“ bringen, das politisch bösartig ist, und wir flogen hochkantig raus. Es gab eine Beschwerde beim Bezirk Leipzig und natürlich bei der SED-Kreisleitung. Wir sollten danach noch die „Galgenlieder“ von Morgenstern spielen, die an sich politisch unverfänglich sind, durften wir aber nicht mehr. Natürlich haben sie uns rausgeschmissen, das Geld mussten wir aber kriegen, obwohl wir nicht spielen durften. Wir sind dort politisch ins Fettnäpfchen getreten, das wurde jedoch bezahlt, die nächste Mucke durften wir nicht spielen, die wurde aber auch noch bezahlt.
rischen Treibens. Er kam mir vielmehr ebenfalls im Zusammenhang mit dem Krieg. Wir haben schließlich auch ein einschlägiges Gedenkjahr hinter uns – 200 Jahre Völkerschlacht bei Leipzig. Dieser Jahrestag wurde mit karnevaleskem Mummenschanz begangen. Das bis dato schlimmste Gemetzel wurde gefeiert von kostümierten Narren, die in voller Montur mit der Straßenbahn in Leipzig zur Schlacht fuhren und wieder zurück. Da entfuhr es mir zum ersten Mal, „sind die jeck?“ Der Krach ihrer Kanonen schallte bis in die Stadt. Den Zuschauern vor Ort wurden sicherheitshalber Ohrenstöpsel verkauft – Bratwurst und Bier natürlich auch. Das wird dieses Jahr nicht so sein. Ypern und Langemarck würden sich gegen ein solch gespenstisches Fest wohl wehren. Gasmasken taugen nicht zum Maskenball. Giftgasgranaten lassen sich nicht durch harmlose Platzpatronen imitieren. Die Bom-
bardierung Leipzigs ist schwer nachzustellen. In Magdeburg marschierten allerdings die Erben der Nazis, die uns das alles eingebrockt hatten. In Dresden wollen sie sich angeblich dieses Jahr mit einer Kundgebung vor der Frauenkirche „begnügen“. „Heilige Maria, Mutter Gottes, das hast Du nicht verdient“, weshalb es zu verhindern sein wird.
Die Namen der Gruppen, mit
Sind die jeck? Überhaupt! Es gibt doch nochganz anderes zu feiern: Olympische Winterspiele in Sotschi zum Beispiel. Als Kind und Jugendlicher waren Olympiaden für mich besondere Ereignisse. Ich glaubte an Leistung und fairen Wettkampf, sah mich im Traum selbst die Pisten herunterrasen und auf dem Spielfeld Heldentaten vollbringen. Heute interessiert mich das weit weniger. Für die Leistung sind Technik und Pharmazie meist mehr verantwortlich als har-
01-02/2014 Links! denen Du aufgetreten bist, Jens-Paul, wechselten zu DDR-Zeiten ständig, um die Sicherheitsorgane zu täuschen. War die Überwachung alltäglich oder etwas, dessen man erst nach der „Wende“ bewusst wurde? Wollenberg: Das kam darauf an, wo Du lebtest. Ich lebte in Quedlinburg im Bezirk Halle, nahe der Grenze. In Magdeburg gab es Funktionäre, die meinten, es sei Quatsch, dass ich verboten wurde, und wurde von denen eingestuft, allerdings als Amateur, denn ich war hauptberuflich Briefträger, um mich abzusichern. Da waren sie natürlich in Quedlinburg und Halle sauer. Schmidt: Der Bezirk Halle war das Traditionsstübchen des Stalinismus. Wollenberg: Ja. Mit dieser höchsten Amateureinstufung konntest Du einen Berufsaus-
tes Training. Fairer Wettkampf findet am Ende vielleicht noch statt. Am Anfang stehen aber Geld, Gier nach nationalem Prestige, das Marketing für die bessere Technik. Die Rezepte der Dopingmixturen kann man öffentlich noch nicht anbieten. Der interne Handel floriert. Die Gladiatoren (und Gladiatorinnen) lassen das Publikum toben und beseelen das Geschäft. Das Spektakel findet im Gegensatz zu früher nun schon alle zwei Jahre statt; im Wechsel von Sommer und Winter. In Sotschi ist beides zugleich. Nur Frieden ist nicht! Im alten Olympia der Griechen war der für die Dauer der Spiele vereinbart. Wen schert das heute noch? Die einen gönnen den anderen, den Russen, den ganzen Rummel und das Geschäft nicht. Das war schon einmal so. Die Rote Armee war damals in Afghanistan einmarschiert, was den Vorwand für Boykott lieferte. Heute bomben dort die USA und ihre Verbündeten. Das hin-
weis beantragen, und den bekam ich erst in Leipzig. Pilling: Leipzig war durch die Messe am tolerantesten. Wollenberg: Das war allerdings schon die Wendezeit. Die Solidarität unter den Kollegen, die gab es. Da waren sicherlich auch Schlitzohren dabei, die spielten aber mit. Wenn man den Befund, dass Texte, die vor 100 Jahren geschrieben worden sind, heute noch passen, und man die Ignoranz der Mehrheitsbevölkerung sieht: Wie schafft man es, nicht zu resignieren, weiterzumachen? Schmidt: Das ist eine Mentalitätsfrage. Wenn Du ein Kämpfer bist, dann musst Du etwas machen. Zum Resignieren haben wir keine Zeit. Wollenberg: Ich schreibe Texte, um etwas loszuwerden. Ich packe auch gern politische Satire rein. Kreisler hat auf die Frage, wie ein Chanson entsteht, geantwortet: Man nehme ein grausames Ereignis, übertreibe es maßlos, dass es seinen Schrecken verliert und grotesk wird, dazu nehme man eine Musik, die nicht dazu passt, und fertig ist das Chanson. Man arbeitet weiter und sagt: Hier habe ich etwas Neues. Pilling: Du musst einfach arbeiten, zwanghaft. Ich würde kaputtgehen, wenn ich meine Fresse halten müsste. Ich habe Sachen, wo die Leute mich auf der Straße fragen: Müssen die so böse sein? Dann antworte ich: Wollen Sie ein Magengeschwür haben oder das Maul aufreißen? Die Fragen stellte Kevin Reißig. CD-Tipp: Jens-Paul Wollenberg & Pojechaly, „Die 7-Schläfer sind erwacht“. Raumer Records. dert diese aber nicht, mit ihren Fingern scheinheilig in der Wunde blödsinniger russischer Homophobie zu wühlen, um die „Spiele“ wenigstens madig zu machen. Denkt man freilich an die Spitzelmaschinerie der USA oder vergegenwärtigt sich, wie sie zum Tode Verurteilte qualvoll exekutieren, dann dürften dort nicht einmal mehr drittklassige Turniere im Fingerhakeln stattfinden. Ernster ist es allerdings mit dem angedrohten Terror. Die Russen begegnen ihm mit gespielter Gelassenheit. Den Amis kommt er offenbar zurecht. Nachrichtenagenturen meldeten Mitte Januar, sie wollten mit Kriegsschiffen vor den Toren Sotschis auftauchen. Natürlich aus Sorge um ihre vor Ort anwesenden Bürgerinnen und Bürger. So nahe an Russland heran wären US-amerikanische Flottenteile allerdings schon lange nicht gekommen. Das könnte leicht aus dem Ruder laufen. Sind die jeck?
Aktuelles
Links! 01-02/2014
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Hamburg bleibt unruhig Die letzten Wochen, ja Monate waren in dem nördlichen Stadtstaat von heftigen politischen Auseinandersetzungen geprägt. Seit März kämpfen rund 300 Flüchtlinge aus Libyen für ein Bleiberecht. Von Italien waren sie nach Hamburg gelangt, für viele dürfte ein reguläres Asylverfahren aussichtslos sein. Der SPDgeführte Senat bleibt hart und verwehrt die geforderte Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Aufenthaltsgesetz (Aufnahme bei besonders gelagerten politischen Interessen). Mit der Auseinandersetzung um das autonome Kulturzentrum Rote Flora und die EssoHäuser kommen zwei weitere „Konfliktherde“ hinzu. Das seit fast 25 Jahren besetzte und für kulturelle und politische Zwecke genutzte RoteFlora-Gebäude war 2001 an einen privaten Investor verkauft worden, der den NutzerInnen zum Ende des Jahres 2013 ein Räumungsultimatum setzte. Bei den Esso-Häusern handelt es sich um einen Gebäudekomplex, der abgerissen werden soll, was die Verdrängung der darin lebenden MieterInnen zur Folge hätte. Im Dezember 2013 musste der Block evakuiert werden, was nicht zuletzt durch die vom Eigentümer ausgesessenen Sicherungsmaßnahmen verursacht ist. Einen Höhepunkt der um diese Probleme kreisenden Proteste war die Demonstration „Die Stadt gehört allen! Refugees, Esso-Häuser und Rote
Flora bleiben.“ am 21.12.2013. Doch daraus wurde nichts. Die Polizei stoppte den Zug, kurz nachdem sich die 10.000 Menschen in Bewegung gesetzt hatten. Anlass sollen gewalttätige Aktionen aus der Demo heraus gewesen sein.
macht worden. Kurz vor dem 21.12. war zudem die DemoRoute geändert und die Hamburger Innenstadt zum „Gefahrengebiet“ erklärt worden. Nur wenige Tage später, am 4.1.14, wurde das Instrument der „Gefahrengebiete“ auf
hang zwischen dem Angriff auf das Polizeirevier und der Verletzung von Polizeibeamten. Das polizeirechtliche Instrument der Gefahrengebiete wurde 2005, in der Amtszeit des Innensenators und Hard-
Foto: Christiane Schneider
Videos und AugenzeugInnen widerlegen diese Version inzwischen. Die LINKE Abgeordnete Christian Schneider äußerte am Abend des 21.12.: „Die Polizei ist verpflichtet, deeskalierend zu wirken, doch hier hat sie eskaliert. Ich habe den Eindruck, dass es die politische Absicht war, die Demonstration nicht stattfinden zu lassen.“ Bereits im Vorfeld war von Teilen der Politik und Medien gezielt Stimmung gegen die politische Aktion ge-
bestimmte Stadtteile, darunter die Sternschanze, wo sich die Rote Flora befindet, und auf St. Pauli, Standort der Esso-Häuser, ausgeweitet. Als Begründung mussten autonome Angriffe auf Polizeiwachen herhalten. Der konkrete Anlass soll eine Attacke auf die Davidwache in St. Pauli am 28.12. gewesen sein, bei der angeblich auch PolizistInnen verletzt wurden. Wie sich später herausstellte, gab es jedoch keinerlei Zusammen-
liners Roland Schill, eingeführt. Die Polizei wird damit ermächtigt, in definierten Gebieten verdachtsunabhängige Kontrollen, Durchsuchungen und Befragungen vornehmen. Dass sich diese Maßnahmen insbesondere gegen jene richten, die ins „Raster“ passen, sprich MigrantInnen und linke/alternative Menschen, dürfte auf der Hand liegen. Es wird ein Ausnahmezustand hergestellt, in dem Menschen ohne konkreten Anfangsver-
dacht oder eine konkrete Gefahr der Willkür der Staatsmacht ausgeliefert sind. Bis zur Aufhebung der „Gefahrengebiete“ am 13.01.2014 wurden an die 1000 Personen kontrolliert, 195 Aufenthaltsverbote und 14 Platzverweise erteilt, über 60 Menschen in Gewahrsam und weitere fünf festgenommen. Die Maßnahme führte jedoch nicht zur intendierten Einschüchterung und Befriedung. „Gefahrengebiet“ wurde bundesweit zum geflügelten Wort, regelmäßig fanden in den betroffenen Vierteln Protestaktionen statt. Was ist in Hamburg los? Die Kritischen PolizistInnen resümieren in ihrer Stellungnahme zu den Ereignissen am 21.12. treffend: Anstatt sich an politische Lösungen für die schwelende Konflikte um Rote Flora, Lampedusa-Flüchtlinge und Esso-Häuser zu machen, herrscht „Nichts. […] Leere“. Die Feindbild-getrimmte Polizei wird zum Ausfallbürgen für die Politik, die ihrerseits die politischen Ziele der Demonstrierenden delegitimiert und das „Versammlungsrecht wahrnehmende MitbürgerInnen [...] in toto zu Chaoten, Verbrechern etc. erklärt“. Während die SPD in Hamburg gegen „linke Gewalt“ trommelt, hat der Bezirk Altona nun einen wichtigen Schritt getan. Mit der Änderung des Bebauungsplans „Sternschanze 7“ dürfte die Zukunft der Roten Flora gesichert sein. Juliane Nagel
Der Gipfel der Unmenschlichkeit – Europa macht dicht(er) Im Oktober kam es vor der Mittelmeerküste Italiens zu zwei Unglücken, bei denen fast 350 geflüchtete Menschen ihr Leben verloren. Die Gesamtzahl derer, die auf der Flucht nach Europa sterben, liegt laut Schätzungen von Nichtregierungsorganisationen bei ca. 20.000 seit 1990. Täglich versuchen Menschen, die Festung Europa zu überwinden, und Krieg, Elend, Not hinter sich zu lassen. Doch Europa zieht hohe und feste Grenzen, um den eigenen Wohlstand zu sichern. Eine Woche nach dem ersten und einen Tag vor dem zweiten Schiffsbruch im Oktober hatte das Europaparlament beschlossen, die Sicherung der Außengrenzen weiter zu effektiveren. Mittels dem Programm EUROSUR (European border surveillance system = Europäisches Grenzüberwachungssystem) sollen nun Drohnen, Aufklärungsgeräte, Sensoren und Satellitensuchsysteme
zur Überwachung und Abwehr der Einwanderung nach Europa eingesetzt werden. EUROSUR soll eng verknüpft mit der Grenzschutzagentur Frontex arbeiten. Die LINKE im Europaparlament sprach sich klar und deutlich gegen dieses Programm aus: EUROSUR ist ein rund 340 Millionen Euro teures Investitionsprogramm für die Rüstungsindustrie. Überspitzt formuliert, kann die EU dann prima via Satellitenübertragung aus dem Weltall dabei zusehen, wie die Flüchtlinge in ihren Nussschalen ertrinken. Mit einem Änderungsantrag hatten wir als LINKE versucht, EUROSUR von einem Überwachungs- zum Seenotrettungsprogramm umzufunktionieren, was keine Mehrheit fand. Das Problem stellt in der Regel nicht die Ortung von Booten dar, sondern die Rettung der sich darauf befindenden Menschen. Fischer, die sich in dieser Hinsicht engagieren,
müssen mit Verfahren wegen Schlepperei rechnen. Ein populäres Beispiel ist das der deutschen Hilfsorganisation Cap Anamur, deren damaliger Vorsitzender Elias Bierdel 2004 wegen Schlepperei angeklagt wurde, weil er mit UnterstützerInnen Flüchtlinge aus der Seenot gerettet und aufs italienische Festland gebracht hatte. Es ist die Anti-Asyl-Politik der Europäischen Union, die das tatsächliche Schlepperwesen sowie lebensgefährliche Einreiseversuche befördert. Menschen investieren horrende Summen in die Überfahrt, in die vermeintliche Sicherheit. Anstelle Millionen für HighTech zur Flüchtlingsabwehr zu verpulvern, sollten sich die EU-Staaten um die Schaffung eines Seenotrettungsdienstes mit klarem Mandat zur Lebensrettung, die Verbesserung der Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge und einen besseren Zugang zu Asyl kümmern.
Klar muss auch sein, dass alle europäischen Staaten, insbesondere Deutschland, bei der Aufnahme von geflüchteten Menschen Verantwortung zeigen müssen. Durch das Programm DUBLIN II, das die von Deutschland erdachte Drittstaatenregelung auf europäische Ebene hebt, können sich insbesondere Nicht-GrenzStaaten der Verantwortung entziehen. DUBLIN II regelt die Zuständigkeit der EU-Mitgliedsstaaten für die Durchführung von Asylverfahren. Der Staat, der „die Einreise veranlasst oder nicht verhindert hat“, ist demnach fürs Asylverfahren sowie Unterbringung und Versorgung zuständig. Derzeit sorgt der Umgang des sozialdemokratisch geführten Hamburger Senates für Aufsehen. Dort sollen 300 libysche Flüchtlinge, die über Lampedusa den Weg nach Europa nahmen, mit aller Gewalt zurück nach Italien geschoben
werden. Massiver Repression durch die Hamburger Behörden folgten überwältigende Solidarisierungswellen. Aus dem Bundesinnenministerium und zahlreichen Orten in der Bundesrepublik waren andere Töne zu vernehmen. Einmal mehr machte sich der damalige Innenminister Friedrich mit seinem Getöse gegen vermeintlichen Asylmissbrauch und Wirtschaftsflüchtlinge zum Stichwortgeber für rassistische Erhebungen, die auch in vielen sächsischen Städten wüten. Es bedarf dringend eines asylpolitischen Paradigmenwechsels, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Damit sich die rassistischen Pogrome der 1990er Jahre und die zahlreichen tödlichen Schiffsbrüche im Mittelmeer nicht wiederholen. Und weil es unsere verdammte humanistische Pflicht ist. Cornelia Ernst
Hintergrund
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Europäische Linksparteien
Zwischen Revolution, Reform und Troika Der portugiesische Linksblock (BE) als Sammlungsbewegung Am 25. April vor 40 Jahren fand die erste und letzte linke Erhebung im Westen Europas seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges statt. Damals stürzten in Portugal linke Militärs des MFA (Movimento das Forças Armadas, die Streitkräfte der portugiesischen Nelkenrevolution 1974, d. Red.), unterstützt durch die Zivilbevölkerung, das korporatistische, autoritäre und faschistische Regime des „Estado Novo“, das zunächst unter António de Oliveira Salazar, später Marcelo Caetano, knapp 50 Jahre die Macht in Portugal innehatte. Jahrzehnte kämpften die Kommunistische Partei (PCP) und andere linke Gruppen im Untergrund gegen Unterdrückung, Folter und Mord auf der iberischen Halbinsel. Die „Nelkenrevolution“ war eine von linken Kräften dominierte und setzte in den ersten Jahren nach dem Sturz der Diktatur soziale, wirtschaftliche und politische Maßstäbe. Lange, das ist das tragische im Rückblick der Geschichte, konnten sich die Sozialrevolutionäre nicht behaupten. Im Verbund mit ihren Schwesterparteien in Europa und den Vereinigten Staaten (USA) ge-
lang es der Sozialdemokratie auch in Portugal, die Revolution umzudeuten und umzugestalten. Portugal wurde so zu einem „normalen“ Mitgliedsstaat in der europäischen Gemeinschaft. Aus der damaligen Zeit, 1975, stammt eine Karikatur von Joao Abel Manta, die die Situation der Linken in Portugal tref-
Die Linke in Portugal war tief gespalten. Ihr größter Teil, die Kommunistische Partei (PCP), verschloss sich jeder Öffnung und agierte nach 1974 zunehmend autoritär. Andere linke Gruppen spalteten sich in dieser Zeit in Sozialrevolutionäre, Trotzkisten, Maoisten, Re-
formkommunisten. Die Liste ließe sich problemlos fortsetzen. So wurde die linke Revolution in den Folgejahren verspielt. Die PCP hat bis heute weder Inhalte noch Auftreten an die veränderte Situation nach 1989 in Europa angepasst. Dennoch erreicht sie bei Wahlen noch immer zwischen acht und zehn Prozent. Respektabel. Mit dem Entstehen neuer sozialer Bewegungen Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts aber wurde die Sehnsucht nach einer politischen, parlamentarischen Vertretung abseits der KP immer drängender. Dies war die Geburtsstunde des Bloco de Esquerda, dem portugiesischen Linksblock (BE). Dieser sammelte 1999 – also acht Jahre vor der deutschen LINKEN – neun politische Gruppierungen und Parteien in Portugal und weitere namhafte Aktivisten aus den Bewegungen und Gewerkschaften und formte eine antiautoritäre, zweite linke Partei. Diese glich sowohl von ihrer Wählerschaft und ihrer innerparteilichen Demokratie sehr der damaligen deutschen PDS. Sie war Ansprechpartnerin für Intellektuelle, das linke Bildungsbürgertum, undogmatische Linke, Studierende und die urbanen Schichten. Neue soziale Milieus konnten so angesprochen und gewonnen werden. Stück für Stück etablierte sich die Partei, die immer auch Be-
wegung sein wollte und noch heute ist, im Parteiensystem und dem portugiesischen Parlament. Heute erreicht der Bloco zwischen sechs und neun Prozent der Stimmen bei Wahlen, ist Mitglied der Europäischen Linkspartei (EL) und der linken Europafraktion GUE/NGL. Das Verhältnis zur PCP galt seit Gründung des Bloco als angespannt, denn auch reformorientierte KommunistInnen der PCP nahmen am Prozess der Neuformierung der Linken teil. Und so dominierten bis 2011 zwischen beiden Parteien eher Abgrenzungsrituale denn Kooperationsangebote – trotz der Tatsache, dass beide Parteien gemeinsam für rund 20 Prozent der Wählerstimmen im Land standen und wohl noch immer stehen. Erst mit dem Ausbruch der sozialen und wirtschaftlichen Krise im Land, erst mit den undemokratischen und antisozialen Diktaten der sogenannten Troika, sind beide Parteien, BE und PCP, aufeinander zugegangen und versuchen nunmehr ihre Politiken abzustimmen. So bleibt die Hoffnung, dass aus einer breiten, relativ einflussreichen aber noch immer gespaltenen Linken in Portugal eine starke Linke entsteht. Dominic Heilig ist Mitglied im Parteivorstand der LINKEN und des Vorstandes der Europäischen Linkspartei (EL) .
NPD-Fraktionsvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern. Pastörs und Apfel hatten noch 2011 den vormaligen NPDChef Udo Voigt vom Thron gestoßen. Voigt aber feiert jetzt sein Comeback als Spitzenkandidat zur Europa-Wahl. Apfels Landtagsmandat würde nach Listenreihenfolge Helmut Herrmann aus Leipzig zufallen – er wäre sogleich Alterspräsident des Landtages. Aus der Partei heißt es aber, dass das Mandat gleich weiter durchgereicht werden soll zu Holger Szymanski, aktuell NPD-Landesvorsitzender und bislang als Apfelfreundlich bekannt. So erhellt sich die „Affäre Apfel“ womöglich auch von der Frage her, wer am meisten von ihr profitiert hat. Der Nutzen für die Partei ist dagegen noch nicht erwiesen. Verschiedene Zeitungen hatten Anfang des vergangenen Jahres mit Berufung auf Sicherheitskreise und ein Dokument,
das eine Beendigung der Zusammenarbeit „in gegenseitigem Einvernehmen“ mit dem Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen dokumentieren soll, über eine frühere V-Mann¬-Tätigkeit Szymanskis spekuliert. Er bestreitet das. Der „Verfassungsschutz“ dementierte den Vorgang dagegen nicht. Allerdings wäre jede Vorfreude auf den selbständigen Niedergang der Partei, wie er vermehrt prognostiziert wird, verfrüht: Die NPD ist seit Jahren in der Krise, leidet unter dem kommenden Verbotsverfahren, Finanzknappheit, sinkenden Mitgliederzahlen und ausbleibenden Wahlerfolgen. Schon jetzt ist absehbar, dass der Kommunalwahlkampf in Sachsen eher schmalspurig ausfallen wird. Es spricht Bände, dass für den Stadtrat in Wurzen – die Region galt seit langem als Hochburg der extremen Rechten – kein einziger
NPD-Kandidat mehr antreten wird. Doch mit Apfel hat das nichts zu tun, vielmehr ist die Partei in ihrer bald 50-jährigen Geschichte an jahrzehntelange Durststrecken gewöhnt – das wird ihr also nicht den Garaus machen. Auch der Befund, die NPD werde sich nun unter dem rhetorischen Scharfmacher Pastörs weiter radikalisieren, trifft die Sache nicht. Denn inhaltlich passt zwischen Pastörs und seinen Vorgänger Apfel kein Blatt. Man muss der Partei viel zutrauen, aber das Kunststück, sich selbst von rechts zu überholen, ist angesichts des politischen Profils der NPD ein unmögliches Manöver. Sie wird nämlich mit und ohne Apfel darauf setzen, Stimmung gegen Asylsuchende zu machen. Sie macht aus Äpfeln nun einmal keinen Most. Sondern wühlt im Kompost der Geschichte und findet immer nur Ungenießbares: Rassismus. Kerstin Köditz
ken: Mao, Stalin, Ho Chi Minh, Gramsci und Luxemburg, Castro, Che und dutzende andere. Alle halten Stift und Papier gezückt und starren auf die Karte. Man wartet, was als nächstes nach der Nelkenrevolution geschehen würde. Unter der Karikatur steht „Um problema dificil“ (Ein schwieriges Problem).
Ja! Wahlwerbung des Bloco de Esquerda“ zum Referendum zur Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, 2007. Bild: Jcornelius / Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0
fend beschrieb und über die ich noch heute schmunzle, wenn ich sie sehe. Zu sehen ist eine Landkarte an der Wand, eingezeichnet ist Portugal, schwarz, wie eine black box. Vor der Karte sitzen die ideologischen und revolutionären Führer der historischen Lin-
Neue Führung, alte Partei Wenn der Apfel vom Stamm fällt, wird daraus Most. Nicht so, wenn das bei der NPD passiert: Der bisherige Vorsitzende der Partei und ihr Fraktionschef im Sächsischen Landtag, Holger Apfel, hat kurz vor Weihnachten den Rücktritt von allen Ämtern erklärt. Das kam für die Öffentlichkeit ebenso überraschend wie die Erklärung, Apfel leide an einem „Burn Out“-Syndrom. Das ist immerhin eine „Volkskrankheit“. Dass die NPD diesen 19. Dezember so schnell weder vergessen wird, noch verkraften kann, ist aber den hektischen Entwicklungen der folgenden Tage geschuldet: Seine Fraktion hatte zunächst erklärt, Apfel werde ihr weiter angehören, und veranlasste lediglich eine Änderung der Sitzordnung im Parlament. Mittlerweile hat Apfel jedoch den Austritt aus der Partei erklärt und sogar auf sein Landtags-Mandat verzichtet. Die Überraschung legt
sich, wenn man die Hintergründe kennt: Innerparteilich wird Apfel unter anderem bezichtigt, gegenüber einem Nachwuchs-Nazi aus Leipzig anzüglich geworden zu sein in einer Weise, wie man es in einer für homophobe Parolen bekannten Partei eher nicht erwarten würde. Neu sind die Vorwürfe nicht. Drastisch sind dafür die Folgen für die NPD: Apfel war ihr bekanntester Kopf und nachweislich ein „Zugpferd“ in Umfragen. Die Chancen auf einen Wiedereinzug in den Sächsischen Landtag dürften sich schlagartig verschlechtert haben, schon kurz vor Apfels Ausstieg lag die Zustimmung bei nur noch bei einem Prozent. Zudem ist das Personaltableau der sowieso krisengebeutelten Partei ins Rutschen geraten: Den Fraktionsvorsitz hat der vergleichsweise wenig profilierte Johannes Müller übernommen. Neuer Parteichef ist der bisherige Vize Udo Pastörs,
Links! 01-02/2014
30. Chaos Communication Congress
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NSA & Co.: Sprachlosigkeit über das Enthüllte Hamburg, einmal mehr! Ein Zurück nach Berlin, die Stadt, die den Chaos Communication Congress jahrelang beherbergte, war wohl nicht drin. Über 9000 Besucher verlangten nach Platz, waren damit Rekord und das Congress Center Hamburg (CCH) war der angemessene Ort. Eine familiäre Veranstaltung ist das nicht mehr, wenngleich es als solche vor 30 Jahren mal angefangen hatte. Bei so vielen Besuchern wandelt sich natürlich auch einiges, nicht nur optisch. Allerdings, ein reiner Hackerkongress, bei dem vor allem tief in die Register von Prozessoren und Objektklassen von Programmiersprachen abgetaucht wird, war es schon länger nicht mehr.
Die Auswirkungen von Technik auf unsere Gesellschaft waren schon immer ein Thema des Chaos Computer Clubs (CCC).
Und nicht erst seit Edward Snowden und dem NSA-Skandal zeigt sich, wie solche aussehen können. Denn, auch ohne Motto – was die Sprachlosigkeit über das Enthüllte zeigen sollte – war das natürlich das vorherrschende Thema. So wurde die Keynote von Glenn Greenwald gehalten, dem Journalisten der englischen Zeitung „The Guardian“, der Snowdens Enthüllungen an die Öffentlichkeit brachte. Vom Austausch eines „Rechtsstaates“ hin zum „Überwachungsstaat“ warnte er und betonte gleichzeitig, dass der Kampf um das Internet noch nicht entschieden sei. Sicher sei, dass es ein Umdenken bräuchte, gerade in der politischen Nutzung des Netzes. Auch Greenwald selber hatte sich erst mit dem Kontakt zu Snowden mit Verschlüsselung von emails und Daten beschäftigt. Gleichzeitig wäre aber die Zahl derer, mit denen er nun verschlüsselt kommunizieren kann, sichtlich in die Höhe geschnellt. Darauf verwies auch ein anderer, eher technischer Vortrag: Die Mathematik hinter der Verschlüsselung (Kryptographie) ist nicht an sich kaputt. Das oft dem NSA-Skandal entgegnete Schulterzucken: „Bringt ja alles eh nichts!“ ist eben nicht die richtige Antwort. Dennoch: Mit immer mehr Verschlüsselung und Werkzeugen für diese ist auch nicht geholfen. Das Problem ist ein Grundsätzliches, ein Politisches. Für dieses gab es
aber beim 30C3 keine Lösungen. Wenn mit der Ernennung von Andrea Vosshoff zur neuen Datenschutzbeauftragten der Bock zum Gärtner gemacht wird, zeigt sich, dass die Probleme viel tiefer liegen als in den am besten abzuschaffenden Geheimdiensten. So sprach auch Tim Pritlove bei der Eröffnung davon, dass das Netz neu gedacht werden müsse oder sogar neu erfunden. Damit könne man auch gleich hier und jetzt anfang e n . Verhaltener Optim i s mus, so könn te man es vielleicht b e schreib e n , w a s man bei Green w a l d und Pritlove raushören konnte. Denn schließlich war das Jahr 2013 eben jener Alptraum, vor dem der CCC und AktivistInnen seit Jahren warnten. Ob nun auf Demonstrationen, in der Internet-Enquete des Bundestages, vor Anhörungen – das ganze Thema ist nicht neu oder plötzlich da. Allein die nun geschaffene Öffentlichkeit und das Ausmaß des Ganzen waren überra-
schend. Die Ignoranz demgegenüber ist aber sicherlich die alte – wie Jacob Applebaum, amerikanischer Journalist und Hacker, aus Angst vor Verfolgung im Moment in Deutschland lebend, am letzten Tag zeigte. Die technischen Helferlein der NSA, die am gleichen Tag vom SPIEGEL veröffentlicht wurden, lassen einen ob ihres Umfangs höchstens bleich zurück. Aber, und nicht wirklich nur Pathos: Die Anteilnahme
tes Rohrpostsystem schießt durch alle Gänge, zivile Drohnen fliegen durch die Luft, Lötkolben glühen und blinkende Lichter, Laptopbildschirme sind überall. Vielleicht wird man sogar angequatscht, von SchauspielerInnen – wie sich später herausstellt –, ob man seine ITFähigkeiten nicht in den Dienst einer moralisch fragwürdigen Firma stellen will. Von 500 Angesprochenen haben sich aber nur zwei überhaupt zum vertiefenden Gespräch begeb e n . Das war wohl einer der besten „Hacks“ d e s 30C3, d e r schließl i c h g a n z am Ende aufgelöst wurde. Nach vier Tagen ist dann alles vorbei: Es geht nach Hause. Mit sichtlich gemischten Gefühlen. Aber dass am Ende doch der Optimismus überwiegt und man mit neuen Ideen und Elan wieder kommt, ist eben der Verdienst dieses Kongresses. Gregor Henker Alle Vorträge sind unter http:// media.ccc.de/browse/congress/2013 abrufbar. cc by-nc-sa 3.0 Michael Horn/nibbler.de via flickr
Gregor Henker hat sich beim 30. Chaos Communication Congress umgesehen
und der Respekt vor Leuten wie Sarah Harrison und Greenwald ist aufrichtig. Wenn 3000 Leute aufstehen und minutenlang Beifall klatschen, ist man nicht nur kurz vor einer Gänsehaut. Wenn man dann, angetrieben von neuem Optimismus oder eben schierer Verzweiflung, durch das riesige CCH läuft, gibt es – für 4 Tage – immer noch viel zu viel zu entdecken. Ein gigantisches, selbst gebau-
„Dieses Jahr haben wir aufgehört, zu lachen“ LINKS! dokumentiert die Eröffnungsrede von Tim Pritlove „Ich grüße euch, meine Freunde. Wir sind alle von der Zukunft fasziniert, in der ihr und ich den Rest unserer Leben verbringen werden. Ihr seid am Unbekannten interessiert, dem Mysteriösen, dem Unerklärlichen und deswegen seid ihr hier. Und darum danke ich euch, dass ihr zum 30. Chaos Communication Congress gekommen seid. 30 Jahre sind vergangen und wir haben einen langen Weg dabei zurückgelegt. Von einer kleinen Gruppe von Nerds und Geeks, deren Ratschläge meistens ignoriert wurden, sind wir heute zu einer großen Bewegung geworden, einer großen Bewegung, deren Ratschläge immer noch ignoriert werden. Aber dieser Kongress dieses Jahr hat nicht einmal ein Motto. Warum? Üblicherweise haben wir irgendwas Verdrehtes im Sinn und irgendjemand hat dann die Idee, wie man dar-
aus eine „Message“ generieren kann, um unsere Ideen der Community und Öffentlichkeit zu vermitteln. Aber dieses Jahr gibt es nichts. Denn dieses Jahr sind wir sprachlos. Unser Verstand ist leer. Es gab keine „Message“, die stark genug gewesen wäre, um zu beschreiben, was um uns herum vor sich geht. Denn wir mussten feststellen, dass wir aus einem Albtraum erwacht sind. Dass wir aus einem Albtraum erwacht sind, hinein in eine Realität, die sogar noch schlimmer ist. Eine Realität, die man nicht länger ignorieren kann. Wir wachten in einer HollywoodRealität auf, in der Agenten im Fernsehen eure Seele auf den Bildschirm bringen. Nur mit wenigen Mausklicks, denn es bedarf dazu keiner wirklicher Fähigkeiten. Normalerweise lachen wir, wenn so was passiert. Aber dieses Jahr haben wir aufgehört, zu lachen. Denn dieser Agent ist ein digitaler „Agent Orange“. Dieser
Agent kam und entlaubte den Wald, in dem wir lebten und uns wohlfühlten. Der Wald, der uns umsorgt hat. Der Wald, der unser Leben mit Werten gefüllt hat, die es uns erlaubten zu lernen, uns zu entwickeln und Spaß zu haben. Was machen wir also jetzt? Wie gehen wir mit dieser Situation um? Gibt es da noch etwas, das wir machen können, oder heißt es einfach: „Game Over“? Können wir die Geschichte zurückspulen und ganz von vorne beginnen? Wahrscheinlich nicht. Wir sitzen auf einem Trend, der unumkehrbar scheint. Aber lasst uns dennoch etwas in der Zeit zurückgehen. 1984 war nicht nur das Jahr, in dem dieser Kongress das erste Mal stattfand. Es war auch der Titel eines Buches, eine beängstigende Geschichte und dabei kein Märchen. Und wir sagten der Welt, dass „1984“ nicht als Gebrauchsanleitung zu verstehen sein sollte. Aber man sollte sich dessen, der Gefahr bewusst sein. Aber niemand hörte
zu. Aber 1984 kamen wir auch als Community zusammen. Eine Gruppe von Menschen, die ähnlich tickten. Die Wissen teilten und die Zukunft diskutierten. Wir sahen die Risiken, aber wir sahen auch die Chancen. Und die sehen wir auch immer noch. Denn der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist sie selber zu erfinden. Die Hacker gestalteten das Internet, basierend auf ihren Prinzipien von Vertrauen und Freundschaft. Es zeigt sich, dass das nicht genug war. Nun wird es 2014 und wir sind schon eine Weile im 20. Jahrhundert. In dieser Zukunft, die wir alle ersehnt hatten. Und nun scheint alles kaputt und nutzlos. Was wir tun müssen, ist das Netz neu zu erfinden, neu zu denken. Wir müssen unseren Wald neu designen, damit wir dort noch in Harmonie leben können und sicher vor den Raubtieren sind. Wir brauchen eine neue Allianz von Standards – als eine Kraft, so stark, dass wir wenigstens das Tempo der
globalen Überwachung drosseln können. Um Kontrolle zurückzubekommen. Ihr könnt das tun. Und ihr könnt hier, gleich hier und jetzt damit beginnen. Und auf euer Bewusstsein kommt es an: Tut immer, was euer Herz euch sagt. Folgt nicht dem Geld. Wenn es eines gibt, das wir 2013 gelernt haben, dann dass jeder einzelne von uns eine Veränderung bringen kann. Dass eine Person eine Welle auslösen kann, die nicht mehr zu stoppen ist. Damit es leichter für euch alle ist, euch schnell und ohne Angst zu agieren, ernennen wir euch jetzt alle zu Päpsten. Denn ein Papst ist jemand, der keiner Autorität mehr hörig sein muss. So geschützt von allem Übel der Welt, verlasse ich euch jetzt und danke euch noch einmal, dass ihr so großartig seid und Teil der Lösung sein wollt. „Carpe Noctem“ – Nutze die Nacht. Habt Spaß und lasst uns die Welt retten.“ Übersetzung: Gregor Henker
01-02/2014 Sachsens Linke!
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Januar-Februar 2014
Sachsens Linke
Thomas Dudzak erklärt, warum es trotz derzeit fehlender Wechselstimmung lohnt, für einen Wechsel zu kämpfen. Annekatrin Klepsch stellt die Kulturpolitischen Leitlinien vor und Falk Neubert erklärt, was der jüngste Eklat bei Markus Lanz
mit unser aller Rundfunkgebühren zu tun hat. Hinzu kommen Beiträge zur Debatte um das Europawahlprogramm der LINKEN so-
wie Hintergründiges zu allerlei weiteren wichtigen Themen: Ukraine, Rüstungsforschung, sexuelle und reproduktive Gesundheit ...
Dialog für Sachsen
hläge einbringen - au Diskutieren und Vorscen .de ww w.dialog-für- sachs
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Kampf gegen Armut: Immer und überall
Wohlfühlen - am Kulkwitzer See in Leipzig. Bild: Jwaller /Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
„Wir müssen den Mut haben, zu sagen, dass es besser geht“ Bei Diskussionen darüber, was wir im Wahlkampf als Ziele formulieren können und warum Menschen uns wählen sollen, sind wir uns an einem Punkt immer einig: Wir wollen Stimmenmaximierung erreichen – egal, was genau sich für jeden Einzelnen hinter dem Begriff verbirgt. Dann wird es schon schwieriger. Wollen wir regieren oder wollen wir opponieren? „Beides“ oder „wir können beides“ heißt in der Regel die Antwort. Manchmal begeben wir uns intern in Hegemoniedebatten, diskutieren also, dass die Voraussetzung für Veränderung die rechnerische Möglichkeit ist. Wie wir zu dieser rechnerischen Möglichkeit gelangen, bleibt unklar. Das alles ist ungenau – wenn man einer potentiellen Wählerin oder einem potentiellen Wähler gegenübersteht, mündet das meist in Erklärungsnot und Überzeugungszwang. Wir müssen erklären können, was wir in Sachsen wollen, was wir mit diesem Land anstellen, oder? Warum sollen Unentschiedene ihr Kreuz bei uns machen? Sie brau-
chen einen Grund, der konkret ist, verständlich und überzeugend. Der nominierte Spitzenkandidat unserer Partei ist auf die Idee gekommen, es so zu formulieren: Die Menschen sollen sich in Sachsen wohlfühlen, weil wir sie mögen. Ein Aufschrei geht durch das Parteiland. Aber warum eigentlich? Wollen wir nicht Politik zum Wohle der Menschen machen? Sollen die Menschen das nicht auch spüren? Was ist eigentlich gegen Wohlfühlen einzuwenden? Sagen uns nicht Fokusgruppenbefragungen und Umfragen, dass die übergroße Mehrheit der Bevölkerung sagt: „Uns geht es gut, es ist alles schön, nur eben auch anstrengend“? Wenn wir das wissen, sollten wir dort anknüpfen. Wir sollten den Menschen ihr Leben nicht schlechtreden, weil es das nicht ist. Aber wir haben Ideen, wie wir ihre ganz persönliche Lebenswirklichkeit schöner und besser gestalten können und wie es insgesamt gerechter zugehen kann. Hier haben wir konkrete Anknüpfungspunkte, die kom-
muniziert werden müssen. So sprechen wir WählerInnen an und zeigen, dass wir einen Plan und Ideen haben. Wir müssen der Person, die vor uns steht, vermitteln, dass wir ihre Lebenswirklichkeit im Konkreten verändern können. Die meisten Menschen, also WählerInnen, wollen in Sachsen keine Veränderung im großen Stil. Im Gegenteil – dieses Neue und dieses Andere ist erst einmal suspekt. Auch das können wir nur zur Kenntnis nehmen und nicht grundlegend ändern, denn so ist der Mensch. Und so, vielleicht auch noch ein bisschen mehr, die Sächsin und der Sachse. Aber von ein wenig Verbesserung der persönlichen Situation träumen fast alle. Und wenn es eine Alternative zum jetzigen langweiligen und ideenlosen Verwalten gibt und eine Option auf klitzekleine Verbesserungen, dann könnten wir die wählbare Alternative sein. Wir müssen den Mut haben, zu sagen, dass es besser geht und dass es schöner sein kann in diesem Land, als es derzeit
ist. Wir finden – zum Beispiel – den Umstand doch äußerst unschön, dass in Sachsen die SchulabbrecherInnenquo te besonders hoch ist, dass Menschen für ihre Arbeit so schlecht bezahlt werden, dass sie aufstocken müssen. Es ist nicht richtig, dass in Sachsen ein Versammlungsgesetz existiert, dass nicht handhabbar ist – und dass die Zustände nun schon so lange verwaltet werden von einer ideenlosen CDU, dass die Menschen sich gar nicht mehr vorstellen können, dass Mitbestimmung etwas ändern kann. Insofern ist es gut und wichtig, dass wir Konzepte haben auf allen Ebenen. Und ganz sicher werden das Wählerinnen und Wähler auch verstehen und geneigt sein, ihre Kreuze bei uns zu machen, wenn wir genau das glaubwürdig vertreten. Wir können im Landtag die Gesellschaftsordnung nicht grundlegend aus den Angeln heben, aber wir können im Hier und Jetzt für Verbesserungen in vielen Lebensbereichen sorgen. Antje Feiks
DIE LINKE ist und bleibt die Partei der sozialen Frage. Soziale Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und sozialer Zusammenhalt – dafür kämpfen wir auf allen Ebenen. Unser politisches Profil ist da sehr klar, ob nun in den Kommunen, im Land, im Bund oder in Europa. Ein Bestandteil dieses Kampfes ist unser Einsatz gegen Armut. Dabei geht es nicht nur darum, dass wir seit vielen Jahren den Finger in die Wunde legen – erinnert sei an die Thematisierung etwa von Kinder- und Altersarmut hier in Sachsen. Mindestens genauso wichtig sind die Alternativen, die wir kontinuierlich entwickeln. Ob nun das Sozialticket oder ganz und gar der fahrscheinlose Nahverkehr: hier geht es unmittelbar darum, Nachteile, die durch Armut entstehen, auszugleichen. Unser jahrelanger Kampf für Mindestlohn, für tarifliche Bezahlung, gegen prekäre Beschäftigung ist zugleich auch der Einsatz gegen Armutsursachen. Die verschiedenen Aspekte der sozialen Frage durchziehen alle Politikbereiche. „100% Sozial“ bedeutet eben, dass wir soziale Probleme in allen Zusammenhängen benennen und unsere Konzepte diese an zentraler Stelle beachten, auch und gerade wenn es nicht um originär sozialpolitische Fachfragen geht. Auf dieser Basis werden wir auch in den bevorstehenden Wahlkämpfen unseren Wählerinnen und Wählern ein hoffentlich attraktives Angebot machen.
Sachsens Linke! 01-02/2014
Meinungen Zur Flüchtlingsproblematik (Sachsens Linke! 12/2013) Wie Médéric Vildebrand will ich die „von Gier und Gewalt geprägte, uns aufgezwungene Welt“ verändern. Dazu gehört auch die Solidarität mit allen Opfern dieses Systems, egal ob Flüchtling oder nicht. Deutsche Konzerne und die in ihrem Interesse handelnde Bundesregierung erzeugen Millionen Flüchtlinge mit, wie z. B. Dieter Gaitzsch erläuterte. Nur ein winzig kleiner Teil davon schafft es hierher, wo sie, wie beschrieben, weiter drangsaliert werden. Mit einer Teileund-herrsche-Politik hetzen die Verantwortlichen die einheimische Bevölkerung gegen die Flüchtlinge auf. So sollen wir nicht erkennen, dass wir Opfer der gleichen Mechanismen sind, wenn auch in geringerem Maße. Auch deshalb bin ich dagegen, Flüchtlinge auszugrenzen, wie dies Médéric Vildebrand vorgeschlagen hat. Wenn wir Menschen ausgrenzen, ist es nicht verwunderlich, wenn sie die Gemeinschaft von Menschen suchen, von denen sie nicht ausgegrenzt werden. Umgekehrt habe ich erlebt, wenn Asylsuchende dezentral in Wohnungen untergebracht werden, dass es trotz starker NPD im Ort und Neonazi-Schmierereien keinen öffentlichen Protest gegen Asylsuchende gibt. Im Gegenteil gibt es sogar Berichte, dass Menschen, die ur-
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Warum nicht auch mit der DKP? In mehreren Beiträgen, so in „Zwischen Verbot und Regie-
rungseintritt“ von Dominic Heilig oder im Leserbrief von Simone Hock, schreibt ihr über das Zusammenwirken mit den tschechischen Kommunisten (KSCM) mit unserer LINKEN. Das schon positiv und ermutigend, vertreten wir doch in vielen wesentlichen Fragen der Politik gleiche oder ähnliche Standpunkte. Sicher sind da auch manchmal Kompromisse notwendig. Unverständlich ist es aber, dass wir das nicht auch mit den deutschen Kommunisten (DKP) versuchen? Wir haben gemeinsame Freunde und Gegner, die DKP hat ähnlichen Status in der EL wie die KSCM – was hält uns also ab von einer längst fälligen Zusammenarbeit? Wir koalieren in den Ländern mit der SPD, einige Genossinnen und Genossen im Zentrum wollen sogar 2017 eine solche auf Bundesebene. Das, obwohl klar ist, dass die SPD die Freundschaft zu den USA nicht aufgeben wird und diese ihre Weltherrschaftspläne. Im Kriegskurs der Konservativen in Deutschland war die SPD immer deren verlässlicher Partner. Das ist nicht neu, wenn wir 2014 den 100. Jahrestag des Beginns des I. Weltkrieges begehen werden, wird man es nicht umgehen können, auch etwas zur Rolle der SPD-Führung zu sagen. Sind uns da – besonders in dieser entscheidenden Frage – die deutschen Kommunisten nicht näher? Wenn wir nicht lernen, mit unseren natürlichen Verbündeten zusammenzuwirken, dann wird es mehr als schwer, unsere Ziele zu verwirklichen. Heinz Bilan, Leipzig
wandt ist und somit Nationalsozialisten in ihr organisiert sind. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist daher folgerichtig „Nazis“ die häufigste und gängigste Abkürzung für Mitglieder und Sympathisanten dieser verfassungsfeindlichen Partei. Wir als LINKE sind daher der festen Überzeugung, dass sich Margitta mit ihrem Verhalten nach den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland nicht strafbar gemacht hat, insbesondere hat sie niemanden im Sinne von § 185 StGB beleidigt. Um dieser Position einen kräftigen Ausdruck zu verleihen, hat DIE LINKE.Leipzig am 21. Januar eine Solidaritätskundgebung für Margitta vor dem Gebäu-
de der Leipziger Staatsanwaltschaft organisiert, an der sich rund 50 Mitglieder und SympathisantInnen der Partei beteiligten. Mit dieser Veranstaltung wollten wir nicht nur „ein Signal der Solidarität“ setzen, sondern zugleich gegen den „ungeheuerlichen Justizskandal“ protestieren, der sich derzeit in Leipzig abspielt. Eigentlich sollte an diesem Tag die Gerichtsverhandlung dazu stattfinden, jedoch entschloss sich das Amtsgericht Leipzig einen Tag zuvor, die Verhandlung auf unbekannten Zeitraum zu verlegen. Vielleicht war man von dem großen Medieninteresse überrascht. Dafür ergriff Margitta, die von
ihrem Rechtsanwalt Steffen Soult begleitet wurde, in einer kurzen und sehr bewegenden Ansprache selbst das Wort, um sich bei den Anwesenden für die bisherige und auch die künftige Unterstützung ganz herzlich zu bedanken. Nach der mit viel Beifall aufgenommen Ansprache von ihr ergriffen weitere Rednerinnen und Redner das Wort, um ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Einhellig wurde dabei der Vorschlag begrüßt, im Falle einer etwaigen Verurteilung nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel die Geldstrafe dann aus Spenden zu finanzieren. Aber dazu soll es erst nicht kommen! Ricky Burzlaff
und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden
onssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf lage von 15.150 Exp. gedruckt.
Ralf Richter, Stathis Soudias. Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt:
sprünglich Vorbehalte gegen Flüchtlinge hatten, diese korrigierten. Auch deshalb unterstütze ich die Forderung von Ali Moradi. Uwe Schnabel, Coswig Zum Verhältnis der Linken zur EU (z. B. Sachsens Linke! 12/2013, Parlamentsreport November 2013) Die EU, wie ihre Vorläuferorganisationen, wurden gegründet, um die Interessen der wirtschaftlich Mächtigen gegen die Bevölkerung nicht nur im eigenen Land, sondern auch in anderen Ländern durchzusetzen. Dazu gehören z. B. der Vorrang des Marktes, die Bespitzelung der Bevölkerung, die Militarisierung und Flüchtlingsbekämpfung nach außen und die Sozialkürzungen und Bekämpfung der Opposition im Innern usw. Deshalb sollten wir Linken uns nicht positiv auf die EU beziehen. Sonst liefern wir diejenigen, die Opfer der EU sind, den nationalistischen Kräften aus. Vielmehr sollten wir darauf hinweisen, dass, wenn sich die Herrschenden in und mit der EU gegen uns verbünden, wir dies gemeinsam international bekämpfen müssen. Nur so lassen sich soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Solidarität zwischen den Menschen der verschiedenen Länder durchsetzen. Ein soziales Europa ist nur ohne EU möglich. Solange sie existiert, kann sie bestenfalls genutzt werden, einige kleine Ver-
besserungen durchzusetzen. Rita Kring, Dresden Opportunismus pur Mit den Wortmeldungen von Gregor Gysi und Stefan Liebich werden zu Jahresbeginn wieder die Debatten über Parteitagsbeschlüsse zur Auflösung der NATO und gegen Auslandeinsätze der Bundeswehr losgetreten. Zu den Beschlüssen gab und gibt es in der Partei DIE LINKE eine eindeutige Mehrheit und darüber hinaus auch in der Bevölkerung. Anstatt für die konsequente Umsetzung dieser Mehrheitsmeinung zu kämpfen, werden mit Blick auf die SPD und Bündnis 90/Die Grünen und einer künftigen Regierungsbeteiligung die friedenspolitischen Grundsätze wiederholt infrage gestellt. Opportunismus pur! Wir sind ganz eindeutig für die Beibehaltung der dazu auch im Europawahlprogramm(Entwurf) formulierten Einschätzungen und politischen Zielsetzungen. Dafür gilt es unmissverständlich und konsequent zu ringen. Damit stellen wir uns nicht gegen Europa – wir wollen ein anderes, ein soziales und friedliebendes Europa. Da helfen aber keine kosmetischen Korrekturen, sondern nur ein radikaler Umbau. Wir meinen: Oppositionsführer zu sein, heißt nicht Anpassung, sondern täglicher Kampf für die Umsetzung unseres Partei- und Wahlprogramms! Raimon Brete, Chemnitz
Solidarität mit Margitta Hollick! Darf man Nazis nicht mehr als Nazis bezeichnen? Das meint zumindest die Leipziger Staatsanwaltschaft. Margitta Hollick, LINKE Stadträtin in Leipzig, soll am 20. Juni 2012 am Rande der Stadtratssitzung im Neuen Rathaus einen damaligen NPDStadtrat als „Nazi“ bezeichnet haben. Die Angeklagte erhielt ursprünglich einen Strafbefehl, in dem sie verpflichtet werden sollte, eine Geldstrafe von 1.600 Euro zu zahlen. Die Staatsanwaltschaft Leipzig sieht mit der Verwendung des Begriffs „Nazi“ den Tatbestand der Beleidigung verwirklicht. Margitta hat Recht, wenn sie sagt, dass die NPD unstrittig geistig mit der NSDAP ver-
Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Kultur
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redakti-
Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,
Archiv, iStockphoto, pixelio. Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Tel. 0351-8532725
Glosse Der Schmutz des Zeitgeschehens von Uwe Schaarschmidt Es gibt ja so Zeichen. Wenn es blitzt, dann donnert‘s bald. Wenn der Vater die Augen zusammenkneift, gibt‘s gleich was in die Backen. Tun einem die Glieder weh und man fühlt sich wie ein Ochse nach dem Pflügen, ist eine Grippe im Anmarsch. Das meiste Unheil kommt mit Vorwarnung dahergestiefelt und man kann sich darauf einstellen, es gebührend zu begrüßen. Aber muss das zwangsläufig so sein? An mir selbst beobachte ich in letzter Zeit, dass es mir immer schwerer fällt, mich über die Zustände lustig zu machen. Früher flockte mir die Schreibe locker in die Tasten – ich brauchte nur vor die Tür zu gehen, den Fernseher anzuschalten oder die Zeitung aufzuschlagen: Gleich fand ich eine Zumutung, über die schriftlich herzufallen mir ein großes und auch leicht zu befriedigendes Bedürfnis war. Vorbei. Es war einmal – und ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht an den Zuständen liegt, die sich gebessert haben könnten. Oh nein! Betrachtet man die Welt auf dem Bildschirm, in der Zeitung oder gar in echt, müsste man als kritischer Schreiber nur noch am Schreiben sein und wöchentlich eine Tastatur zertippen. Das ganze Gegenteil ist aber der Fall: Statt Schreiblust überfällt einen der Ekel vor der Welt mit Macht und es scheint, als gäbe es nur eine einzige Möglichkeit, sich am Zeitgeschehen nicht zu beschmutzen: es zu ignorieren. Vorige Woche vermeldete Erika Steinbach empört, man habe in ihr Haus eingebrochen, es verwüstet und wichtige Erinnerungsstücke gestohlen. Vor gar nicht allzu langer Zeit wäre dies der Stoff für eine prima Geschichte gewesen, welche ich mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Polen eröffnet hätte. Aber heute? Die Frage ist nun: Was mag das wohl für ein Zeichen sein? Ist die Unlust, klug über das Blöde zu schreiben, sanft auf das Brutale und spöttisch auf das Ernste hinzuweisen, überhaupt ein Zeichen oder ist es eben einfach so? Und, wenn letzteres stimmt, sollte man dann lieber zum Arzt gehen oder sich für einen Trommelkurs anmelden? Fax. 0351-8532720 Redaktionsschluss 25.01.2014 Die nächste Ausgabe erscheint am 27.02.2014.
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Warum Kulturpolitische Leitlinien? Auch in Sachsen, das sich per Landesverfassung als Kulturstaat generiert, ist der kulturelle Aderlass im Gang, wenn auch – im Vergleich zum benachbarten Sachsen-Anhalt – gegenwärtig weniger sichtbar. Nach Außen wird seitens der Regierenden vielmehr der Eindruck vermittelt, Kunst und Kultur seien ein unumstößliches Gut in Sachsen, mit dem man auch international Eindruck erzielen könne. Während Ministerpräsident Tillich Kunst und Kultur vor allem für etwas zu halten scheint, das man zu Repräsentationszwecken in das sächsische Schaufenster stellen könne, müssen die Theater Chemnitz deutliche Einsparungen verdauen und wurde die Stadtbibliothek in Pulsnitz geschlossen. Das Vorzeigehaus Staatsoper Dresden hat mit Serge Dorny einen neuen Intendanten, der mit 300.000 Euro Jahresgehalt das Doppelte eines sächsischen Ministers verdient. Dafür wurden zwei Jahre zuvor die staatseigenen Landesbühnen Sachsen kommunalisiert und das Orchester mit der Elbland-Philharmonie zwangsfusioniert und verkleinert. Das kulturelle Angebot in Sachsen ist vielfältig, gleichzeitig können viele darstellende und bildende Künstlerinnen und Künstler sowie Autorinnen nicht von ihrer Arbeit leben. Über Kunst lässt sich bekanntlich streiten, doch Kultur ist ebenso streitbar, wenn es um
ihre Förderung und Entwicklung geht. Soll öffentlich finanzierte Kultur und Kunst der Außendarstellung eines Landes dienen oder kulturelle Teilhabe seiner Einwohnerinnen und Einwohner ermöglichen?
Insofern war es konsequent, dass die Landesarbeitsgemeinschaft Kunst & Kultur für die sächsische LINKE eigene Kulturpolitische Leitlinien entwickelt und mit zahlreichen Repräsentanten der Kultur-
gang der Bevölkerung insbesondere im ländlichen Raum nicht zwangsläufig der Rückbau kultureller Projekte und Einrichtungen verbunden sein muss. Vielmehr werden Kultur und die sie repräsentieren-
Bild: Michael Kranewitter / Wikimedia Commons / CC-by-sa 3.0
Die Transformation der aus der Zeit der DDR übernommenen Einrichtungen, Ensemble und Institutionen war nach zwei Jahrzehnten weitestgehend abgeschlossen. Umso stärker stellt sich nach fast einem Vierteljahrhundert Renaissance des Bundeslandes die Frage nach der zukünftigen Entwicklung.
szene beraten hat. Mit der Beschlussfassung der Leitlinien am 8. Februar durch das Gremium aus Landesvorstand, Landesrat, Kreisvorsitzende und Fraktionsvorstand soll die Debatte ein vorläufiges Ende finden. Eine wesentliche Prämisse der Leitlinien ist die Auffassung, dass mit einem Rück-
den Angebote einer negativen oder sogar krisenhaften Entwicklung etwas entgegensetzen müssen. DIE LINKE spricht sich deshalb dafür aus, die Landesmittel, die mittels Kulturraumgesetz die Kultur in den Landkreisen und Städten außerhalb der Landeshauptstadt mitfinanzieren, mit einer Dynamisierung der Kos-
tenentwicklung anzupassen. Ein solcher Schritt würde zum Beispiel verhindern, dass auf Tarifsteigerungen verzichtet werden muss oder große Institutionen und kleine Vereine finanziell gegeneinander ausgespielt werden. Eng verknüpft mit der finanziellen Ausstattung der Kulturräume ist die soziale Situation der Künstlerinnen und Kulturschaffenden an den öffentlichen Einrichtungen und in der Freien Szene, die durch gezielte kulturpolitische Steuerung verbessert werden soll. Haustarifverträge, prekäre Beschäftigung und die unzureichende Bezahlung von Freischaffenden werden in den Leitlinien kritisiert. Weitere Themenfelder der Kulturpolitischen Leitlinien sind unter anderem die Rahmenbedingungen für die Kultur- und Kreativwirtschaft, die Kulturelle Bildung, eine demokratische Erinnerungskultur sowie Industriekultur als Teil der sächsischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Die Kulturpolitischen Leitlinien erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sollen jedoch Diskussionsgrundlage für eine zukunftsorientierte Kulturpolitik und Landesentwicklung sein, die sich nicht allein am Wettiner-Erbe und den Interessen der Tourismuswirtschaft orientiert, sondern Kultur und Kunst als gesellschaftlichen Reflexionsraum und Moment der Identifikation begreift. Annekatrin Klepsch
„Ein eigenständiges Angebot für den Wechsel unterbreiten“ Wie entsteht eine Wechselstimmung? Am Anfang dieses Wahljahrs erscheint das als eine entscheidende Frage. Denn vor diesem Wahljahr scheint kaum jemand zu glauben, dass es gelingen könnte, die seit 24 Jahren herrschende CDU auf die Oppositionsbank zu schicken. Und genau dafür wird gerne die fehlende „Wechselstimmung“ im Land ins Feld geführt. Zuletzt ließ sich der Leipziger Stadtvorsitzende in einem Artikel im Neuen Deutschland vom 30. Dezember zitieren, dass ein Werben um eine rot-rot-grüne Koalition nach der Landtagswahl auch deshalb verfehlt sei, weil in Sachsen seit Jahren keine Wechselstimmung herrsche. Und diese, fügte er hinzu, „kann man auch durch noch so viele Wiederholungen nicht herbeireden“. Als Leitmotiv für die Partei anempfahl er dabei das „von einer Oppositionspartei, die die Systemfrage, die Eigentumsfrage und
die Machtfrage stellt“. Hinter diesen Worten muss man eine Kritik am Kurs des Landesvorsitzenden sehen, wird dieser doch nicht müde, zu betonen, dass er bereit sei, gemeinsam mit SPD und Grünen Verantwortung zu übernehmen, wenn die Mehrheitsverhältnisse es hergäben. Und angesichts derzeit tatsächlich fehlender „Wechselstimmung“ im Freistaat klingt dieser Kurs nicht gerade vielversprechend. Auch im Wahlkampf 2009 war die Partei mit dem Anspruch angetreten, die CDU abzulösen und musste im Ergebnis zum ersten Mal seit 1990 Verluste hinnehmen. Dennoch: Die Ausgangslage hat sich verändert. So beschreibt der Redakteur des erwähnten Artikels die Position von SPD und Grünen vor der Landtagswahl in diesem Jahr als einen „Kurs der Äquidistanz, also des gleichen Abstands nach links und rechts“,
um das Fehlen einer tatsächlichen Option auf einen Politikwechsel zu beschreiben. Diese Äquidistanz muss man jedoch in der Analyse der vorangegangenen Wahlen ins Positive drehen: SPD und Grüne halten sich nämlich zum ersten Mal alle Optionen offen und schließen keine Konstellation mit der LINKEN mehr aus, anders als 2009. Damals konnte es sich die CDU leicht machen und einen Wahlkampf der asymmetrischen Demobilisierung führen: Sie setzte auf eine Demobilisierung der Klientel der politischen Konkurrenz, indem sie möglichst wenig Angriffsflächen bot, um den Eindruck zu vermitteln, diese Wahl würde nichts ändern. Im Ergebnis sackte die Wahlbeteiligung auf einen historisch niedrigen Wert von 52,2%. Diese niedrige Wahlbeteiligung kann man nicht als Zustimmung zum Kurs der Union lesen. Es ist ein Wert, der das Ergebnis der Union
von 42% relativieren muss. Diese Strategie konnte aufgehen, weil NichtwählerInnen keine homogene Masse bilden. Vereinfacht kann man nach der „Rational Choice“Theorie sagen, dass WählerInnen bei der Wahlentscheidung der ersten Ebene, also der Entscheidung, ob sie zur Wahl gehen, zu einer ablehnenden Haltung neigen, wenn die Kosten den Nutzen übersteigen. Wenn sie also den Eindruck haben, ihre Stimme könne nichts entscheiden, so bleiben sie zu Hause. Eine tatsächlich existierende Wechseloption – die es 2009 nicht gab – kann also dazu führen, dass auch eine Wechselstimmung in der Bevölkerung entsteht und NichtwählerInnen zurück an die Wahlurne holt. DIE LINKE hat kaum eine Chance, aus dem Potential der ProtestwählerInnen zu schöpfen. Zu sehr wird sie als größte Oppositionspartei mit dem politischen System Sachsens
identifiziert. Sich auf diese Stimmen zu stützen, bedeutete, sich selbst kleinzumachen. Das Gegenteil scheint also geraten: Angesichts der veränderten Ausgangslage muss DIE LINKE den WählerInnen ein eigenständiges Angebot für einen Politikwechsel unterbreiten. Sie darf mögliche Koalitionsverhandlungen programmatisch nicht vorwegnehmen – darauf zielt auch der Landesvorsitzende nicht –, so würde sie ihren eigenen Wert verlieren. Jedoch kann ihre Offenheit für ein mögliches rot-rot-grünes Bündnis angesichts der veränderten Ausgangslage der Keim einer Wechselstimmung in Sachsen sein, an der die Partei wachsen kann. Diese veränderte Ausgangslage selbstbewusst zu kommunizieren, die Möglichkeit des Politikwechsels in Sachsen zu leben, ist unsere gemeinsame Aufgabe im Landtagswahlkampf. Thomas Dudzak
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Lanz, Waschmittelwerbung, Rundfunkgebühren „Raus mit Markus Lanz aus meiner Rundfunkgebühr!“ So lautet der Titel einer Online-Petition an das Zweite Deutsche Fernsehen, die im Internet von weit mehr als 200.000 Menschen unterstützt wird. Anlass war die Talkshow von Markus Lanz am 16.01.2014. In dieser ging der „Gastgeber“ in einer Weise mit seinem Talkshowgast Sahra Wagenknecht um, die allen journalistischen Qualitätskriterien spottet. Im Stakkato, aber inhaltlich sprunghaft und zum Teil äußerst niveaulos stellte er der Linkspolitikerin inquisitorische Fragen, ohne ihr auch nur einen halben Satz zur Beantwortung zu lassen, geschweige denn zuzuhören. Sind Talkshows auch sonst nicht unbedingt Stätten des argumentativen Meinungsaustausches und des Zuhörens, waren hier offensichtlich bei vielen ZDF-Zuschauern die Grenzen des Zumutbaren überschritten. Nun rechnet sicher kaum jemand mit einer unmittelbaren Wirkung der Petition in dem Sinne, dass nun Markus Lanz als Moderator abgelöst würde. Die Hoffnung, dass man beim ZDF über die Qualität derartiger Talkshows nachdenkt, dürfte aber wohl viele motiviert haben, zu unterschreiben. Nicht zu Unrecht verweisen die Petenten darauf, dass das ZDF wie alle ARD-Landesrundfunkanstalten und das Deutschlandradio auch
von der Allgemeinheit, also von den Zuschauern finanziert wird. Nun werden prinzipiell auch Privatsender wie RTL oder SAT.1 durch uns alle finanziert. Wir bezahlen sie unbemerkt an der Supermarktkasse mit, denn in den Preisen der gekauften Waren sind die Werbeetats der Herstellerfirmen, die wiederum das private Fernsehen finanzie-
oder von der Kreditkarte gezogen, sondern einmal im Quartal in der Höhe von 53,94 Euro pro Haushalt vom Bankkonto abgebucht. Deshalb wird hier auch mehr als z. B. bei steuerfinanzierten öffentlichen Aufgaben über das Preis-Leistungs-Verhältnis nachgedacht. Das beginnt damit, dass viele Menschen glauben, sie würden
Bild: Uwe Schlick / pixelio.de
ren, natürlich einkalkuliert. Wir zahlen alle für Millionärswahl und Dschungelcamp, unabhängig davon, ob wir privates Fernsehen schauen oder auch nicht. Aber dennoch: Die Finanzierung durch Rundfunkgebühren, die seit der Reform von 2013 korrekt als Rundfunkbeiträge bezeichnet werden, ist es, die bei den Zuschauern zu besonderen Qualitätserwartungen an öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen führt. Durchaus zu Recht! Rundfunkbeiträge werden eben nicht nach und nach centweise aus der Geldbörse
zu Unrecht abkassiert, weil sie weder Radio-, noch Fernsehgerät besitzen oder aber niemals öffentlich-rechtliche Sender hören und sehen. Selbstverständlich ist hingegen, dass Menschen ohne Fahrzeug über allgemeine Steuern und Straßenausbaubeiträge den öffentlichen Straßenbau mitfinanzieren. Auch käme hier niemand auf die Idee, zu erheben oder gar technisch zu überprüfen, wer wann und wie oft welche Straße benutzt. Bei der Rundfunknutzung wird derartiges immer mal wieder vorgeschlagen.
Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass es merkwürdigerweise anders als etwa bei der Einkommensteuer beim Rundfunkbeitrag keinerlei Differenzierung nach Haushaltsgröße und Einkommensverhältnissen gibt. Dies gehört zu den sozialen Ungerechtigkeiten der Reform von 2013, ebenso wie die Doppelbelastung vom Menschen mit Zweitwohnung, die Streichung der Gebührenbefreiung für Menschen mit Behinderungen und besonders Einkommensschwache, die unverhältnismäßigen Belastungen für Mittelständler mit mehreren Filialen, Übernachtungszimmern oder Fahrzeugen, oder auch die Mehrbelastung von kommunalen oder gemeinnützigen Einrichtungen. Richtig ist hingegen, dass es im Zeitalter von Fernsehen per Computer oder Handy nicht mehr auf den Besitz eines Fernsehapparates ankommt. Kritik am Programm von ARD und ZDF kommt nun keineswegs nur von links. Gerade bei CDU und FDP gibt es Politiker, die gebetsmühlenartig wiederholen, der öffentliche Rundfunk müsse keine teuren Spielfilme und aufwändige Unterhaltungsendungen produzieren oder gar hochklassige Sportereignisse übertragen. Das alles könnten Private viel besser. ARD und ZDF sollten sich auf eine nicht näher definierte „Grundversorgung“ beschrän-
ken. Gern wird dies mit der populären Forderung nach Beitragssenkungen verbunden. Doch Vorsicht! Hier wird meist im Interesse der privaten Konkurrenz gehandelt. Leicht könnte es dabei passieren, dass ein paar Cent Einsparung beim Rundfunkbeitrag zu deutlich höheren Preisen beim Bier, beim Joghurt oder eben beim Waschmittel aus der Werbung führen. Außerdem gehören Unterhaltung und Sport zu einem vollwertigen, alle Generationen und alle Interessen ansprechenden Fernsehprogramm dazu. So ist es in den Programmaufträgen der Rundfunkanstalten festgeschrieben: umfassende Information, Bildung und Unterhaltung. Da ist man im schlimmsten Fall sogar bereit, dafür auch Markus Lanz in Kauf zu nehmen. Dennoch sollten natürlich die Rundfunkbeiträge sparsam und effizient verwendet werden. Für Verschwendung und weit überhöhte Gagen hat sicher kaum jemand Verständnis. Und sollte, wie jüngst von der unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfes der Rundfunkanstalten (KEF) festgestellt, mehr Geld eingenommen werden als benötigt, dann müssen zu allererst die oben benannten sozialen Ungerechtigkeiten des Rundfunkbeitrages beseitigt werden. Falk Neubert
Krieg dem Krieg bei der XIX. Rosa-Luxemburg-Konferenz Was vom Krieg bleibt, im Gedächtnis der Menschheit, sind die Werke der Kunst. Es gibt riesige Gedenkmonumente zur Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg (wie er in Russland genannt wird) insbesondere auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion – auf einer riesigen breiten Treppe steigt man in Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad, den Mamajew-Hügel zu einer gigantischen Frauenskulptur hinauf. Flankiert wird der Aufstieg von in Stein gehauenen Schlachtenszenen – doch nicht nur das ist zu sehen, man hört aus verborgenen Lautsprechern MG-Salven, Granateinschläge, Befehle, Schreie – Originaltöne aus den Jahren 1942/43. Die Schlacht dauerte von Mitte September 1942 bis Anfang Februar 1943 – die Opferzahl liegt bei unglaublichen 840.000 Toten. Was uns heute daran erinnert, sind Bücher, Gemälde, Skulpturen, Filme, Homepages … Die Moderatorin erinnerte am elften Januar bei der Eröffnung der diesjährigen Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz im Gebäude der Urania in Berlin an die Jubiläen diesen Jahres:
100 Jahre Beginn des Ersten Weltkrieges und 75 Jahre Beginn des Zweiten Weltkrieges. In der zweiten Etage wühlte eine Ausstellung unter dem Motto „Gegen alten Geist und neue Kriege – Künstler mischen sich ein“ die Besucher auf. Zu den beeindruckendsten Werken gehörte zweifellos „Afghanische Hochzeit“ von Ursula Richter. Ein großformatiges und ein dazu passendes kleineres Bild zeigen ästhetisch ansprechend die Resultate des Drohnen-Krieges, den ausgerechnet der Friedensnobelpreisträger Obama gegen das afghanische sowie pakistanische Volk führt. Auf den ersten Blick scheint man nur ein buntes Chaos zu erkennen, in dem die Rottöne überwiegen. Schaut man sich das Bild genauer an, sieht man zerrissene Granatäpfel neben Körperteilen – die Hand der Braut … Diese zwei Bilder allein sagen so viel aus über die Kriegführung des Westens in diesem Land, in dem die Bundeswehr sich fleißig seit nunmehr zwölf Jahren beteiligt, dass es keiner weiteren Worte mehr bedarf. Dieser Krieg ist ein Verbrechen – aber ist nicht jeder Krieg ein Verbrechen?
Denis Goldberg, Kampfgefährte Nelson Mandelas und Konferenzteilnehmer, verneint das. Imperialistische Kriege sind sehr wohl ein Verbrechen, Befreiungskriege hingegen sind aus seiner und der marxistischen Sicht notwendig, wenn es keinen anderen Weg zur Befreiung zum Beispiel afrikanischer Völker von der weißen Herrschaft gibt. Goldberg war Chef vom „Speer der Nation“, dem bewaffneten Arm des ANC. Diese Organisation griff die Armeeeinrichtungen und Polizeistationen des ApartheidStaates an – schonte aber generell Zivilpersonen. Eine Frage aus dem Auditorium bezog sich auf die Rolle Kubas im afrikanischen Befreiungskrieg. Es war Obama, der quasi am Sarg Mandelas dem kubanischen Staatschef Raul Castro die Hand gab – was zu Kommentaren und sogar Sondersendungen im US-Fernsehen Anlass gab. Goldberg stellte klar, dass zu allen Zeiten die afrikanischen Befreiungsbewegungen auf die zivile und militärische Hilfe Kubas bauen konnten. Als südafrikanische Truppen 1975 in Angola einmarschierten, entsandte Kuba ohne
Abstimmung mit der Sowjetunion Truppen zur Unterstützung der MPLA, der angolanischen Befreiungsarmee, und brachte durch einen beherzten Einsatz die Südafrikaner kurz vor der Einnahme der Hauptstadt Luanda zum Stehen. Dieser Erfolg, so Denis Goldberg, kann in seiner Bedeutung für Afrika gar nicht überschätzt werden – der zeigte nicht nur, dass eine weiße Armee geschlagen werden kann, sondern erschütterte das Selbstverständnis der weißen Südafrikaner von sich als überlegener Rasse grundlegend – Kubaner, Nachfahren von Sklaven hatten eine hochgerüstete vom Westen unterstützte Rassisten-Armee besiegt! Nach dem Sieg engagierte sich Kuba weiter mit Ärzten und Lehrern in ganz Afrika – und dieses internationale Engagement eines so kleinen Landes ist beispiellos, basiert es doch ausschließlich auf dem solidarischen Grundgedanken. Weitere sehr interessante Gäste waren der junge Däne Anders Kaergaard, ein Geheimdienstaussteiger und Whistleblower, der ehemalige jugoslawische Außenminister Zivadin
Jovanovic, Michel Chossudovsky, ein kanadischer Professor der Wirtschaftswissenschaften, der über Ziele imperialistischer Kriege weltweit referierte, sowie die Präsidentin des Weltfriedensrates aus Brasilien, Maria do Sorro Gomes Coelho – und nicht zuletzt der Sohn der inhaftierten schwarzen USJournalisten und Bürgerrechtskämpfers Mumia Abu-Jamal, der 1971 geborene Jamal Hart. Zwei Tage nach der Konferenz kam Jamal Hart zum Filmgespräch ins Berliner Sputnik-Kino, wo Stephen Vittorias‘ Film „Mumia – Long Distance Revolutionary“ gezeigt wurde. Eine interessante Überraschung war der Auftritt von Susann WittStahl, der neuen Chefredakteurin von Melodie&Rhythmus – sie kündigte die Rückbesinnung des Magazins auf linke Werte an: Zum 1. Mai wird sich das Magazin linker Themen wieder annehmen und die dementsprechende Musik vorstellen. „Links!“ wird darüber bald mehr berichten. Ausführliche Informationen über die Veranstaltung gibt es mit Fotos im Online-Archiv auf www.jungewelt.de. Ralf Richter
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Europa und die LINKE Einst warnte Nasreddin Hodscha in einer Moschee, Frauen sollten sich nicht schminken, weil es Sünde sei. Auf den Einwand, das seine Frau sich auch schminke, soll er gesagt haben: Wem es steht, dem steht es. Gefragt sei an dieser Stelle, immerhin sind Europawahlen auf den 25. Mai 2014 datiert: Warum soll einer demokratischen Linken Europa nicht stehen? Deshalb muss man auf die notwendige Kritik nicht verzichten. Es macht jedoch einen Unterschied, ob man das aus nationalistischen und egoistischen Motiven tut oder ob man den Institutionen auf der europäischen Ebene und ihren Wirkungsmechanismen samt der verKanzelten Politik ein alternatives Gegenangebot auf den Tisch legt. Denn Mieter im europäischen Haus sind wir alle, kündigen ist da nicht so einfach. So will ich mir an dieser Stelle einen anderen Blick auf Europa erlauben, eröffnet dies doch andere, bisher teils ungesehene Perspektiven. Und wenn jemand Perspektiven braucht, dann DIE LINKE. Das gilt im Übrigen auch für weitere Begriffe – zum Beispiel Sozialstaat, Demokratie, Rechtsstaat, Reform und Nation. Sie hätten durchaus eine stärkere Hinterfragung und Hinwendung verdient. Statt Ausschlussverfahren und Kontaktsperren zu kultivieren, sollte DIE LINKE ihre Deutungen auf jene Begrifflichkeiten erarbeiten und offensiv artikulieren, damit sie ihre
Inhalte dem konservativenbürgerlichen Lager entgegensetzen kann. Denn Eigentumsansprüche zeigen sich nicht nur bei den Produktionsmitteln, sondern auch an dem Land, in dem man lebt, bei dessen geistig-politischen Grundlagen. Wer sich diesem Diskurs und dieser Debatte entzieht, der kapituliert im Grunde, denn auf diese Weise überlässt er dem politischen Konkurrenten das Feld politischen Handelns und Gestaltens, aber auch die Entwicklung alternativer Konzepte und Visionen. Erinnern wir an einen Gedanken des marxistischen Politikers und Philosophen Antonio Gramsci (1891-1937): „Wenn du mit einem Gegner diskutierst, stecke dich in seine Kleider – du wirst ihn besser verstehen und vielleicht merken, dass an dem, was er sagt, etwas oder viel Wahres ist. (…) Aber die Kleider meiner Gegner waren so schmutzig und abstoßend, dass ich beschlossen habe: lieber manchmal ungerecht sein, als diesen fürchterlichen Ekel zu verspüren“. Bezogen auf Europa hieße das: Mögen die Euro-Krise und der Umgang damit (Troika), die Europäische Zentralbank, die EUKommission und der Europarat und anderes einem Linken auch nicht gefallen und seinen Widerspruch herausfordern – man muss sie kennen, man muss wissen, wie sie arbeiten und funktionieren, aber auch, welche Folgen ihr Agieren hat. Wie es nicht geht, führte MdB Stefan Liebich am 29. Novem-
ber 2013 in einer Debatte des Forums Demokratischer Sozialismus aus: Man kann nicht die mit maßgeblicher Unterstützung des Europäischen Außenpolitischen Dienstes (EAD) erreichte Entspannung im Atomstreit mit dem Iran im Bundestag eifrig beklatschen, aber gleichzeitig die Abschaffung des EAD fordern, wie es der Entwurf von Diether Dehm und Wolfgang Gehrke fordert. Stattdessen sollte es doch darum gehen, ihn anders zu gestalten. Bei einer ersatzlosen Abschaffung würde man ein außenpolitisches Sprachrohr Europas verstummen lassen. Hierzu passt ein Gedanke, den Frank Puskarev bei selbiger Diskussion über das Europawahlprogramm äußerte: „Europa ist Realität und wir müssen die Realität gestalten“. Eigentlich ist doch genau das Sinn und Zweck aller Politik. Wenn man sich nun ganz gramscianisch in die Kleider des Gegners gesteckt hat, wird man beinahe zwangsläufig auch auf die schmutzigen Stellen stoßen. Eine davon ist ein Kapitalismus, der nur noch finanzmarktgetrieben Mensch, Umwelt und die Demokratie bedroht. Andersherum wäre richtig, sozial, demokratisch, ökologisch und dem Gedanken des Frieden verpflichtet müsste dieses Europa sein. Wo genau das zur Disposition gestellt wird, ist Widerstand nötig. Auch dafür steht DIE LINKE im Verbund mit den anderen derzeit 17 Parteien der Konföderalen Fraktion der Vereinigten Eu-
ropäischen Linken/Nordische Grünen Linken (GUE/NGL). Mit Verweigerungshaltung und fundamentalen Urteilen der Verdammnis ist das nicht zu schaffen. Eher bedarf es dazu alternativer Konzepte und neuer Ideen. Deshalb steht die Partei vor der Aufgabe, eine linke wie glaubhafte Erzählung des Kontinents in ihr Europawahlprogramm zu schreiben, die dann Arbeitsgrundlage für die neue Fraktion sein kann. Wenn allerdings der Parteivorstand in der Präambel seines Leitantrages zu diesem Programm zunächst nur alle Schrecknisse europäischer Politik zur Sprache bringt, aber die Chancen verschweigt, dann wird es schwierig. Erst recht, wenn man die von linken EU-Parlamentariern geleistete Arbeit und das, was sie erreicht haben, nicht benennt. So gewinnt man auch keine Wähler! Europa besteht eben nicht nur aus Raubzügen der Großbanken, Rüstung, Neoliberalismus, aus rechtspopulistischen Hetzern und aus Menschenjagden an den Grenzen der EU – so wie es der LINKE-Parteivorstand in besagter Präambel einschätzt. Einer Partei, die europäisch sein will, steht das nicht gut. Es reicht doch, wenn die Große Koalition von Union und SPD im Europateil ihres Koalitionsvertrages davon schwadroniert, „die EU auch weiterhin für die Durchsetzung allein nationaler, mithin exekutiver Interessen nutzen zu wollen“. Schauen wir also auf die andere Seite der Medaille Europa:
Bestandteil der Europapolitik sind zum Beispiel auch die Europäischen Fonds, der für Regionale Entwicklung und der Europäische Sozialfonds. Mit diesen Geldern werden kleine und mittlere Unternehmen unterstützt und Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt finanziert. In der Förderperiode 20072013 erhielt der „Zahlmeister“ Deutschland 23 Milliarden Euro. Zudem hat DIE LINKE im Europäischen Parlament dazu beigetragen, Arbeitsrechte zu verbessern, Arbeitszeitverlängerungen zu verhindern, weitere Wasserprivatisierungen (vorerst) zu stoppen und das Streikrecht zu verteidigen. Ferner gelang es, die wild gewordenen Finanzmärkte etwas an die Kandare zu nehmen, indem man eine Banken- und Versicherungsaufsicht durchsetzte. Die Erweiterung der Rechte des EU-Parlaments steht gleichfalls auf der Haben-Seite der LINKEN in der GUE/NGL Fraktion. In einem Interview, das der Europapolitiker Lothar Bisky am 1. Juli 2013 gab, mahnte er abschließend: „Die Linke in Europa muss die Chance wahrnehmen, eine weiter ausdifferenzierte Europapolitik zu gestalten. Es geht um eine sozial gesicherte, europäische Kooperation, die die Produktivität und Wohlstand vorantreibt – in Frieden (...)“. Das wäre doch ein für eine demokratische europäisch, statt im nationalistischen Sinne denkende LINKE haltbarer Leitfaden. Angefangen bei ihrem Wahlprogramm. René Lindenau
Eine Diskussion zum Europawahlprogramm Am 22. Januar drehte sich im Zwickauer politiKKontor alles um das Europawahlprogramm. Hierzu begrüßten wir Dominic Heilig (Mitglied im Parteivorstand und im Vorstand der Europäischen Linken) sowie Luise Neuhaus-Wartenberg (Mitglied im Bundesausschuss). Mit Blick auf die Geschichte der EU erläuterte Dominic, dass die Europäische Union (EU) kein wirtschaftliches, sondern in erster Linie ein friedenspolitisches Projekt war und bis heute ist. Erst mit dem Ausbruch des ersten Jugoslawienkrieges war die EU nicht mehr in der Lage, den Frieden in Europa zu sichern. Ihr ist es nicht gelungen, den Friedensgedanken auch in jene Staaten zu tragen, die nicht Mitglied der EU sind. Andererseits verhinderte gerade die EU, dass mit der Wiedervereinigung die Allmachtsfantasien von einem Großdeutschland Realität wurden. Zudem ist es
unlogisch, die EU einerseits für die wirtschaftlichen Vorteile abzulehnen und gleichzeitig für Griechenland, Portugal und
Aufstellung der Vorschlagsliste für die Europawahl. Hier sei deutlich geworden, dass die Vereinigung nicht nur im LanBild: Simone Hock
Spanien eine Art Marshallplan zu fordern. Luise gab einen kleinen Einblick in die Diskussion zu den Programmentwürfen und der
de, sondern auch in der Partei noch nicht vollzogen ist, dass die Gräben zwischen Ost und West verlaufen. Insbesondere sei die Diskussion alles andere
als solidarisch geführt worden. Dies konnte auch Dominic bestätigen. Dabei seien die konkreten Politikinhalte in beiden Entwürfen – dem Leitantrag des Parteivorstandes und dem Gegenentwurf von Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke – gleich. Die Unterschiede würden vor allem in der verbalen Diskussion deutlich und in den Schlussfolgerungen. Während Dehm und Gehrcke die EU für unveränderbar halten, sieht der Entwurf des Parteivorstandes Gestaltungsspielräume, die errungen und genutzt werden müssen. Es müsse klar sein, dass es für ein solidarisches, friedliches und sozial gerechtes Europa eines gemeinsamen europäischen Sozialsystems bedarf. Nur so kann auch das deutsche Sozialsystem von guter Qualität sein. In der Diskussion wurde deutlich, dass es ein „Weiter so“ der Macht des Stärkeren in der
EU nicht geben darf, dass wir als LINKE zusammen mit den Parteien der Europäischen Linken für eine starke linke Fraktion im Europäischen Parlament kämpfen müssen, um die Gestaltungsmöglichkeiten für Veränderungen zugunsten der Menschen zu nutzen. Dominic Heilig: „Wir müssen deutlich machen, dass wir die Partei sind, die bereit ist, für Europa Verantwortung zu übernehmen und zwar über deutsche Grenzen hinaus“. Dafür bedarf es des Wahlprogramms – der Vorschlag des Parteivorstandes wird im Parteivorstand und dann auf dem Parteitag in Hamburg eine deutliche Qualifizierung erfahren – und des Personals, das gewillt und in der Lage ist, die im Programm formulierten Ziele umzusetzen. Denn, um es mit Lothar Bisky zu sagen „…Widerstand wird nicht nur von uns erwartet, er wird gefordert und er ist zwingend nötig …“ Simone Hock
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Rüstungsforschung eindämmen – mit Transparenz Wer bezahlt, bestellt: Das gilt nicht nur im Kleinen – wie beim Bäcker um die Ecke –, sondern auch in größeren Zusammenhängen. Im Wissenschaftssystem wird dieser Grundsatz bei Forschungsvorhaben augenscheinlich, die von Dritten bezahlt werden. Ohne dieses zusätzliche Geld wären viele Bereiche der chronisch unterfinanzierten sächsischen Hochschulen längst nicht mehr arbeitsfähig. Drittmittel sind jedoch keine Allheilmittel. Sie müssen eingeworben und verwaltet werden – mindestens diese administrativen Aufwände verursachen den Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen Kosten, die von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern refinanziert werden müssen. Besonders kritisch sind Drittmittel zu diskutieren, wenn sie für Militärforschung eingesetzt werden. Die Öffentlichkeit finanziert diese Projekte unfreiwillig mit: Über Drittmittel aus öffentlichen Haushalten, über EU- und andere Fördermittel, über das eingebundene Personal der Bildungs- und Forschungsinstitutionen. In den vergangenen Monaten kam zunehmend Licht ins Dunkel dieser fragwürdigen Forschungsanstrengungen im Dienste des Militärs. Militärforschung an öffentlichen Hochschulen und Forschungseinrichtungen kann nicht befürwortet werden, zumindest dann nicht, wenn sie explizit und ausschließlich militärischen Zwecken dient und/ oder von nicht-zivilen Mittelgebern (ko-)finanziert wird. Schließlich stehen hier nicht Bemühungen um eine mögliche zivile Anschlussverwen-
dung der Erkenntnisse im Vordergrund, sondern deren klare Verwertbarkeit für militärische Interessen. Leider gibt es an sächsischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen zahlreiche Beispiele für solche Projekte, die seit dem Jahr 2000 durchgeführt wurden. Größter Auftraggeber dabei ist die Bundeswehr, deren verschiedene Gliederungen seit 2005 mehr als drei Millionen Euro in
schaftlern der TU Dresden und des Dresdner Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoffforschung erhoffte man sich Erkenntnisse zur Oberflächenadhäsion von Kieselalgen – für die Transformation dieses Naturphänomens auf Technologien der US-Luftwaffe –, aber auch zu sogenannten steganografischen Verfahren, die es ermöglichen, in Texten geheime Informationen zu verstecken.
die sich etwa mit Software für Flugzeugmodule, höchstfesten Eisenbasislegierungen als Werkstoff für Waffenrohre und Panzerungen oder mit StahlKeramikverbundstoffen beschäftigten. Seit 2004 wurden so Drittmittel im Umfang von knapp 8,5 Millionen Euro eingeworben. Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass dieses Bild unvollständig ist, da die Staatsregierung nur Auskunft
Bild: Jean-Patrick Donzey / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
22 Projekte investierten. Dabei ging es unter anderem um Aluminiumverbindungen für die militärische Luftfahrt, die biomechanische Evaluierung von Kampfstiefeln oder Lärmschutz an Schießplätzen. Aber auch zu Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), die bei Soldaten nach Kampfeinsätzen immer häufiger auftreten, wurde geforscht. Zweitgrößter Auftraggeber war das Verteidigungsministerium der USA, das insgesamt drei Projekte mit knapp 1,5 Millionen Euro bezuschusste. Von den Wissen-
Das Schweizer Bundesamt für Waffensysteme, Fahrzeuge und Material und das österreichische Bundesministerium der Landesverteidigung ließen an der TU Chemnitz für insgesamt 440.000 Euro einen neuen Kampfstiefel entwickeln. Auch das Bundesministerium für Verteidigung finanzierte seit 2009 drei Projekte im Umfang von 312.000 Euro, Unternehmen investierten knapp 460.000 Euro für die Forschung an militärisch verwendbaren Technologien. Daneben ist eine Reihe weiterer Projekte bekannt,
über Projekte erteilt, bei denen ihrer Auffassung nach die Rechte von Dritten einer Veröffentlichung nicht entgegenstehen. So bleibt etwa ein Drohnenforschungsprojekt an der TU Chemnitz weiterhin unter dem Mantel des Schweigens. Lehre und Forschung sind frei, das heißt: Niemand außer den Wissenschaftlern selbst sollte entscheiden dürfen, woran geforscht wird und woran nicht. Gleichwohl muss es möglich sein, eine öffentliche und insbesondere eine hochschulöffentliche Auseinandersetzung
über Militärforschung im Freistaat anzustrengen. Das aber setzt Transparenz voraus. Es kann nicht sein, dass es der Recherchemethoden des investigativen Journalismus bedarf, um herauszufinden, welche Projekte an öffentlichen Einrichtungen durchgeführt werden, welche Zwecke sie verfolgen, wer sie beauftragt hat und wieviel Geld dafür fließt. Es braucht eine zentrale Datenbank, die diese Informationen enthält und von den Hochschulen eigenverantwortlich betrieben wird. Dafür muss die Staatsregierung die rechtlichen Voraussetzungen schaffen. An den Hochschulen selbst sollten Ethikkommissionen eingerichtet werden, die die Legitimität von Rüstungsforschungsprojekten prüfen und diese im Zweifelsfall auch ablehnen dürfen. Selbstverpflichtungen der Hochschulen auf den Verzicht auf Militärforschung in Form von Zivilklauseln – wie jüngst an der TU Chemnitz beschlossen –, sollte die Staatsregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten befördern. Es geht nicht darum, den Hochschulen in diesem Bereich Vorschriften zu machen, sondern darum, sie zur Selbstreflexion zu ermächtigen. Letztlich führt kein Weg daran vorbei, die Hochschulen durch eine angemessene Grundfinanzierung von Drittmitteln unabhängiger zu machen. Dann müssen sie etwaige ethische Bedenken nicht mehr finanziellen Zwängen unterordnen. Dann wäre es zwar auch weiterhin möglich, Hochschulen über Drittmittel zu „bezahlen“ – Bestellungen würden dann allerdings nicht mehr ohne weiteres entgegengenommen. Gerhard Besier
Pilotprojekt eines Kapitalismus fürs grün-bürgerliche Gemüt? Rot-rot-grün oder schwarzgrün, das ist hier die Frage, kann in Abwandlung des berühmten Shakespeare-Zitats aus Hamlet auch für den Freistaat Sachsen festgehalten werden. Eine Frage, hinter der sich weit mehr als eine Machtoption verbirgt. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die grundsätzliche Ausrichtung der zukünftigen Entwicklung der Gesellschaft. Mit dem hessischen Regierungsbündnis zwischen den Konservativen und den bürgerlichen Grünen verfügt der wirtschaftsliberale Flügel in der Bundesrepublik nach dem Niedergang der FDP wieder über eine zukunftsträchtige Machtoption. Eine Machtoption, die einerseits den Verlust des liberalen Subjekts und Zerfall des bisherigen Sammelbeckens des Liberalismus in Deutsch-
land kompensieren könnte – aber nur auf wirtschaftsliberaler Ebene. Der gesellschaftliche Liberalismus hingegen war der Union immer fremd; die Grünen haben ihn spätestens mit der Rasterfahndung und den rot-grünen Otto-Paketen, Otto Schilys Anti-Terror-Paket, zu einem Nebenprodukt ihrer Politik erklärt. Andererseits handelt es sich um eine Machtoption, die rein marktkonforme, im herrschenden Interesse formulierte Antworten auf die drängenden Fragen gesellschaftlicher Entwicklung geben wird. Ökologisch sauber und irgendwie fair gehandelt. Bio-angebaut und nachhaltig produziert. Ein neoliberaler Kapitalismus fürs grünbürgerliche Gemüt. So stehen unter schwarz-grün die Zeichen auf eine fortgesetzte Energiewende, die – zwar
grün gewandet – dennoch in erster Linie den Energiemultis dienen dürfte und somit die soziale Spaltung der Gesellschaft weiter verschärft. Schwarzgrün steht für eine Schuldenbremse, die nicht anders ausgestaltet wird als in Form einer Investitionsbremse in Bildung, für die Kommunalfinanzen, für die öffentliche Daseinsvorsorge. Wer es sich leisten kann, leistet es sich. Wer es nicht kann, dem hilft schwarz-grün auch nicht. Schwarz-grün steht auch über die Bundestagsfraktionen und den Bundesrat für eine Fortsetzung der bisherigen Euro-Rettungspolitik, mithin der Austeritätspolitik – also der Spar-, Kürzungs- und Privatisierungspolitik – und damit für eine fortgesetzte soziale Spaltung innerhalb der Europäischen Union. Schwarz-grün
steht für einen ungerechten Generationenvertrag. Rente mit 67 oder mit 70? Schwarz diktiert, grün schweigt auch hier. Tarek al Wazir, einst selbst rassistisch von einem hessischen CDU-Abgeordneten als Student aus Sanaa beleidigt, und seine hessischen Grünen schweigen jetzt, wenn fremdenfeindliche Töne durch Horst Seehofer und Volker Bouffier im Vorfeld der Europawahlen zur populistischen Hauptkampflinie der Union gemacht werden. Da sieht man, was aus den Grünen mit dem falschen Partner wird. Aber nicht der Grünen wegen lohnt es, für eine wirkliche sozial-ökologische Gerechtigkeitswende der Gesellschaft zu kämpfen. Es lohnt sich, um eine Neuausrichtung der gesellschaftlichen Entwicklung zu ringen, diese demokratisch unter
der Teilhabe und Partizipation der Menschen zu gestalten. Es lohnt sich, für eine öffentliche Daseinsvorsorge, für Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen, für Bildungschancen zu kämpfen, die sich alle leisten können und den Menschen mehr als nur das Allernotwendigste bieten. Und es lohnt sich, für ein soziales Europa zu kämpfen, ein Europa „von unten“, ein Europa solidarischer Regionen, in dem Polen, Tschechen, Sachsen miteinander leben und arbeiten. Damit man später nicht erneut mit Hamlet sagen muss, dass etwas faul ist im Freistaat, lohnt es sich, für eine Politik zu streiten, die im sozial-ökologischen Umbau das Zukunftsmodell der sozial-solidarischen Entwicklung in Sachsen und der Europäischen Union sieht. Martin Schirdewan
Kommunal-Info 1-2014 27. Januar 2014 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de
KFS
Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.
HARTZ IV Positionspapier zum Abbau des Langzeitbezugs Seite 3
ÖPNV Difu prüft neues Finanzierungsmodell für ÖPNV
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Fachtagung Mobilität in der Region Halle-Leipzig am 8. Februar
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Kommunalwahlen vorbereiten Am 25. Mai 2014 finden in Sachsen neben den Wahlen zum EU-Parlament auch die regulären Kommunalwahlen statt. Gewählt werden die Kreistage, die Stadt- und Gemeinderäte und Ortschaftsräte. Spätestens bis zum 20. März 2014 sind bei den zuständigen Wahlausschüssen die Unterlagen mit den Wahlvorschlägen einzureichen. Wichtige rechtliche Grundlagen sind neben der Sächsischen Gemeinde- bzw. Landkreisordnung das Kommunalwahlgesetz (KomWG) und die Kommunalwahlordnung (KomWO).
Verantwortung der Vorstände
Zur Vorbereitung der Kommunalwahlen durch die Parteien und Wählervereinigungen gehört insbesondere: Wahlprogramme und Wahlaussagen auszuarbeiten, um politische Botschaften an die Wählerinnen und Wähler auszusenden und die eigenen Anhänger zu mobilisieren, geeignete Kandidatinnen und Kandidaten in entsprechenden Versammlungen für die Wahl nach dem geltenden Kommunalwahlrecht aufzustellen, die Unterlagen mit den Wahlvorschlägen vollständig vorzubereiten, um sie bei den zuständigen Wahlausschüssen der Gemeinden, Städte und Landkreise termingerecht abzugeben. Die Verantwortung liegt hierbei gänzlich bei den entsprechenden lokalen Vorständen der Parteien. Dabei ist die Aufstellung der Kandidaten in Versammlungen und die korrekte Vorbereitung der einzureichenden Unterlagen mit den Wahlvorschlägen auch eine organisatorische Herausforderung für die Vorstände. Wird das Kommunalwahlrecht hierbei nicht exakt angewendet und werden Fehler gemacht, kann
das dazu führen, dass Wahlvorschläge vom zuständigen Wahlausschuss abgelehnt werden, mit fatalen Folgen: denn die betreffenden Kandidaten stehen dann nicht mehr zur Wahl. Nachfolgend sollen deshalb einige wesentliche Hinweise gegeben werden, was bei der Aufstellung der Kandidat/ innen und der Vorbereitung der Wahlvorschläge zu beachten ist.1
Wählbarkeit
Zunächst stellt sich die Frage, wer kann überhaupt als Kandidat für die Wahl aufgestellt werden, wer ist wählbar: Das sind Bürger der Gemeinde/des Landkreises (Deutsche im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes) sowie Staatsangehörige anderer Staaten der Europäischen Gemeinschaft (Unionsbürger/innen), wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben und seit mindestens 3 Monaten im Wahlgebiet, für das sie kandidieren (Landkreis, Gemeinde/Stadt, Ortschaft) ihren alleinigen oder Hauptwohnsitz haben und entsprechend gemeldet sind. Die Voraussetzungen für die Wählbarkeit müssen zum Zeitpunkt des Stattfindens der Versammlung zur Aufstellung der Kandidaten erfüllt sein. Unionsbürger, die kandidieren wollen, müssen zusätzlich bis zum Ende der Einreichungsfrist für Wahlvorschläge gegenüber dem/der Vorsitzenden des Gemeinde-/Kreiswahlausschusses an Eides Statt versichern, dass sie im Herkunftsstaat ihre Wählbarkeit nicht verloren haben.
Hinderungsgründe
„Hinderungsgründe“ bestehen dann, wenn jemand, obwohl er im Ergebnis
der Kommunalwahl gewählt wurde, dennoch das Mandat nicht übernehmen kann, weil aufgrund der Stellung des oder der Betreffenden in der kommunalen Verwaltung eine Interessenkollision mit dem ehrenamtlichen Mandat bestehen würde. Es empfiehlt sich daher, bei der Kandidatenaufstellung das Vorliegen von möglichen Hinderungsgründen im Blick zu haben, weil nach der Wahl ggf. einige der Gewählten nicht ihr Mandat annehmen können. Das Vorliegen von Hinderungsgründen führt jedoch nicht zum Verlust der Wählbarkeit. Demnach kann es Personen, bei denen solche Hinderungsgründe bestehen, rechtlich nicht verwehrt werden, für die Vertretung in ihrer Kommune zu kandidieren, in der sie z.B. bereits als Bürgermeister, Landrat, Dezernent, Beamter, Angestellter usw. tätig sind. Im Falle ihrer Wahl müssen sie sich jedoch dann entweder für das Ehrenamt entscheiden und den Hinderungsgrund beseitigen (Amt oder Anstellung aufgeben) oder das Ehrenamt kann nicht angetreten werden, wenn der Hinderungsgrund weiter fortbesteht. Ein gewählter Bewerber, der wegen eines Hinderungsgrundes sein Ehrenamt nicht antreten kann, steht danach auch nicht mehr als Ersatzbewerber („Nachrücker“) zur Verfügung, auch dann nicht, wenn der Hinderungsgrund im Verlaufe der Wahlperiode entfallen sollte. Mit der Novellierung der Sächsischen Gemeinde- und Landkreisordnung durch den Sächsischen Landtag im Dezember 2013 wurden die bestehenden Hinderungsgründe reduziert (insbesondere Verwandte und Geschäftspartner des Bürgermeisters bzw. Landrats
und der Beigeordneten sowie „normale“ Bedienstete kommunaler Unternehmen können künftig ein Gemeinderatsbzw. Kreistagsmandat annehmen). Wenn nach jetzigem Gesetzestext für Arbeitnehmer der Gemeinde bzw. des Landkreises ein Hinderungsgrund besteht (früher war die Rede von Angestellten), dann handelt es sich hier lediglich um eine Anpassung des Gesetzes an den TVöD. Arbeiter (d.h. Arbeitnehmer, welche überwiegend körperliche Arbeit erbringen) sind weiterhin nicht gehindert, Gemeinderat bzw. Kreisrat zu werden. Die Begründung zum Gesetz enthält hierzu eine klarstellende Formulierung. Bei Beschäftigten der Gemeinde bzw. des Landkreises, die nicht mehr im aktiven Dienst tätig sind und sich in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befinden, ist eine Interessenkollision nicht zu befürchten und damit auch kein Hinderungsgrund gegeben.2
Einreichung der Wahlvorschläge
Wahlvorschläge zu Gemeinderats-, Ortschaftsrats- und Kreistagswahlen können nur von Parteien und Wählervereinigungen eingereicht werden, nicht jedoch von Einzelbewerbern.3 Wahlvorschläge können frühestens am Tag nach der Bekanntmachung der Wahl (diese hat spätestens am 90. vor dem Wahltag zu erfolgen). Sie müssen spätestens am 66. Tag vor der Wahl bis 18.00 Uhr beim Vorsitzenden des jeweiligen Wahlausschusses eingereicht werden: das ist der 20. März 2014. Es wird empfohlen, die Unterlagen mit den Wahlvorschlägen nicht erst am letzten Tag der Einreichungsfrist abzugeben, sondern spätestens eine Woche vor Ende der Einreichungsfrist. Es besteht dann noch ausreichend Zeit, um evtl. fehlende Angaben oder Formfeh-
Kommunal-Info 1/2014 ler zu korrigieren. Stellt der Vorsitzende des Wahlausschusses bei einem Wahlvorschlag Mängel fest, benachrichtigt er sofort die Vertrauenspersonen der einreichenden Partei und fordert sie auf, behebbare Mängel rechtzeitig zu beseitigen. Bis zum Ende der Einreichungsfrist kann ein eingereichter Wahlvorschlag nur durch gemeinsame schriftliche Erklärung der Vertrauenspersonen zurückgenommen oder inhaltlich geändert werden. Für die Behebung von Mängeln, die den Inhalt des Wahlvorschlags nicht verändern, genügt die schriftliche Erklärung einer Vertrauensperson. Nach Ablauf der Einreichungsfrist können nur noch Mängel an Wahlvorschlägen behoben werden, die den Inhalt des Wahlvorschlags nicht verändern. Ausnahmsweise kann ein Wahlvorschlag auch nach Ablauf der Einreichungsfrist inhaltlich geändert werden, wenn ein Bewerber des Wahlvorschlags stirbt oder seine Wählbarkeit verliert. Nach der Entscheidung über die Zulassung des Wahlvorschlags ist jede Änderung ausgeschlossen. Was ist mit dem Wahlvorschlag noch alles einzureichen?
Zustimmungserklärung und Wählbarkeitsbescheinigung
Mit dem Wahlvorschlag ist eine Erklärung jedes Kandidaten einzureichen, dass er oder sie der Aufnahme in den Wahlvorschlag zugestimmt hat. Diese einmal abgegebene Zustimmung kann nicht widerrufen werden. Auszufüllen ist die Zustimmungserklärung auf dem Mustervordruck Anlage 16 zur KomWO. In der unteren Hälfte des gleichen Blattes der Anlage 16 ist durch die zuständige Gemeinde die Bescheinigung über die Wählbarkeit des Kandidaten für die betreffenden Wahlen (Gemeinde, Ortschaft, Landkreis) auszustellen. Dieses Blatt kann bei http://revosax. sachsen.de/ heruntergeladen werden (KomWO, Anlage 16). Es empfiehlt sich, bereits nach der Gewinnung von Kandidaten ihre Zustimmungserklärung einzuholen, damit nachfolgend das Blatt an die Gemeinde, in der der Kandidat wohnhaft ist, zur Bescheinigung der Wählbarkeit weitergegeben werden kann. Zur Versammlung für die Aufstellung der Kandidaten sollte das Blatt mit der Zustimmungserklärung und der bescheinigten Wählbarkeit vorliegen. Schließlich sollen ja Kandidaten für die Wahl aufgestellt werden, die dafür auch die Voraussetzungen erfüllen.
Weitere Unterlagen
Weiterhin sind dem Wahlvorschlag insbesondere folgende Unterlagen beizufügen: Eine Ausfertigung der Niederschrift über die Mitglieder- oder Vertreterversammlung, auf der die Kandidaten aufgestellt wurden, nach Mustervordruck Anlage 17 KomWO. Die Versicherung an Eides Statt nach dem Mustervordruck Anlage 18 KomWO. Hierbei haben der Leiter der Versammlung und zwei stimmberechtigte Teilnehmer an Eides Statt zu versichern, dass die Wahl der Kandidaten in geheimer Wahl erfolgt ist und den Kandidaten die Gelegenheit gegeben wurde, sich und ihr Programm der Ver-
Seite 2 sammlung vorzustellen. Eine Bestätigung des zuständigen Vorstands der Partei auf Gemeindebene, wenn es erforderlich war, in einer Mitgliederversammlung auf Gemeindeebene Kandidaten für die Ortschaftsratswahl aufzustellen, weil die Mitgliederzahl in der Ortschaft für die Durchführung einer eigenen Mitgliederversammlung nicht ausreichte; gleiches gilt für den Kreisvorstand der Partei, wenn es unumgänglich war, in einer Versammlung auf Landkreisebene die Kandidaten für die Gemeinderatswahl und ggf. auch die für die Ortschaftsratswahl aufzustellen, weil die Mitgliederzahl in der Gemeinde für die Durchführung einer eigenen Mitgliederversammlung nicht ausreichte. Der zuständige Vorstand hat in der schriftlich unterzeichneten Bestätigung zu erklären, dass die Voraussetzungen vorlagen, um auf diese Weise die Kandidaten aufzustellen. Für diese Bestätigung gibt es keine Mustervorlage nach KomWO.
Wahlvorschläge
Die Wahlvorschläge sind nach Mustervordruck der Anlage 15 KomWO einzureichen. Darin sind folgende Angaben zu machen: der Name der einreichenden Partei zur Bezeichnung des Wahlvorschlags; die Namen der Kandidaten sind in der durch die Versammlung der Partei festgelegten Reihenfolge aufzuführen; bei den Angaben zu den Kandida-
ten ist u.a. darauf zu achten, dass die Familiennamen, Vornamen korrekt geschrieben sind (besonders bei Doppelnamen darauf achten!); bei Beruf oder Stand ist der z.Z. als Hauptberuf ausgeübte oder der zuletzt ausgeübte Beruf zu nennen, insbesondere dann, wenn ein anderer Beruf erlernt wurde; die zusätzliche Angabe von akademischen Graden und Wahlehrenämtern (Gemeinderat, Kreisrat, Bürgermeister usw.) ist zulässig; das Wahlgebiet (Gemeinde, Ortschaft, Landkreis) und bei Unterteilung des Wahlgebietes in mehrere Wahlkreise den Wahlkreis. In jedem Wahlvorschlag sollen eine Vertrauensperson und eine stellvertretende Vertrauensperson benannt werden. Fehlt diese Bezeichnung, so gilt der erste Unterzeichner des Wahlvorschlags als Vertrauensperson und der zweite Unterzeichner als stellvertretende Vertrauensperson.
Vertrauenspersonen
Die Vertrauenspersonen sind nicht durch die Versammlung zu bestimmen, auf der die Kandidaten aufgestellt werden, sondern werden vom zuständigen Vorstand der Partei bestellt.
Vertrauenspersonen können durch eine Erklärung der Mehrheit der Unterzeichner des Wahlvorschlags an den Vorsitzenden des Gemeindewahlausschusses abberufen und durch andere ersetzt werden. Den Vertrauenspersonen kommt nach der Einreichung des Wahlvorschlags eine besondere Bedeutung zu. Nur sie sind, jeder einzeln, berechtigt, verbindliche Erklärungen zum Wahlvorschlag abzugeben und Erklärungen der Wahlorgane entgegenzunehmen, soweit KomWG und KomWO nichts anderes bestimmen. Die Vertrauenspersonen werden zur Sitzung des Gemeinde- bzw. Kreiswahlausschusses eingeladen, in dem über die Zulassung der Wahlvorschläge befunden wird.
Die Versammlung
Die Aufstellung in einer Mitgliederoder Vertreterversammlung der Partei ist zwingende Voraussetzung, um als Kandidat in einem Wahlvorschlag eingereicht werden zu können. Diese Versammlungen haben in den jeweiligen Wahlgebieten stattzufinden, also für die Ortschaftswahlen in der Ortschaft; die Gemeinde- bzw. Stadtratswahlen in der Gemeinde bzw. der Stadt; die Kreistagswahlen im Landkreis. Zu den Mitgliederversammlungen, die in den Wahlgebieten zur Aufstellung der Kandidaten stattfinden, sind dann alle Mitglieder der Partei einzula-
den, die im jeweiligen Wahlgebiet seit mindestens 3 Monaten ihren Hauptwohnsitz haben und zum Zeitpunkt der Versammlung das 18. Lebensjahr vollendet haben. Ob weitere Mitglieder eingeladen werden und an der Mitgliederversammlung teilnehmen, weil ggf. die Parteiorganisationsstrukturen nicht mit dem Wahlgebiet übereinstimmen, ist dabei unbeachtlich. Jene dürfen allerdings nicht an Abstimmungen und Wahlen zur Aufstellung der Kandidaten teilnehmen. In Wahlgebieten mit mehreren Wahlkreisen (Kreisfreie Städte und Landkreise) hat die Aufstellung der Kandidaten aller Wahlkreise in einer gemeinsamen Mitglieder- oder Vertreterversammlung des Wahlgebiets stattzufinden. Dabei sind für jeden Wahlkreis getrennte Wahlen durchzuführen. In jedem Wahlkreis sollte unbedingt ein Wahlvorschlag mit wenigstens einem Kandidaten eingereicht werden! Ohne Wahlvorschlag gingen der Partei dann Stimmen verloren, wenn die eigenen Anhänger die eigene Partei nicht wählen können. In offener Abstimmung sind neben
dem Versammlungsleiter ein Schriftführer, eine Wahlkommission und zwei Versammlungsteilnehmer zu bestimmen, die gemeinsam mit dem Versammlungsleiter an Eides Statt zu versichern haben, dass die Wahl der Bewerber in geheimer Wahl erfolgt ist und den Bewerbern die Gelegenheit gegeben wurde, sich und ihr Programm in der Versammlung vorzustellen.
Zum Wahlverfahren
Nach dem KomWG sind beim Verfahren zur Aufstellung der Kandidaten folgende Anforderungen zu erfüllen: Die Kandidaten sind in der Mitglieder- oder Vertreterversammlung in geheimer Wahl aufzustellen. Ebenso in geheimer Wahl ist die Reihenfolge der Kandidaten auf der Liste festzulegen. Jeder stimmberechtigte Teilnehmer der Versammlung ist berechtigt, Wahlvorschläge für die jeweilige Liste zu machen. Den Kandidaten ist Gelegenheit zu geben, sich selbst und ihr Programm in der Versammlung vorzustellen. Näheres über das Verfahren für die Aufstellung und Wahl der Kandidaten können die Parteien und durch ihre Satzungen regeln. Die Bestimmungen des Wahlrechts haben jedoch Vorrang gegenüber den Satzungsregelungen der Partei. Die zu wählenden Kandidaten können einzeln oder im Block gewählt werden. Bei einem Blockvorschlag ist jedoch sicherzustellen, dass jeder wahlberechtigte Versammlungsteilnehmer die Liste (wenigstens durch das Streichen einzelner Kandidaten) in geheimer Wahl verändern kann.4 Sieht die Satzung einer Partei z.B. vor, dass eine Wahlvorschlagsliste quotiert nach Geschlechtern aufzustellen ist, dann ist dennoch zu gewährleisten, dass die wahlberechtigten Versammlungsteilnehmer in geheimer Abstimmung die Reihenfolge der Kandidaten beeinflussen können, hierbei dann eben getrennt nach den Geschlechtern. AG 1 Unter www.kommunalforum-sachsen. de Rubrik „Infothek-Texte und Schriften“ kann hierzu ein ausführliches Material heruntergeladen werden. 2 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar, G § 32, Rdn. 2. 3 Vgl. Kommunalverfassungsrecht Sachsen, Kommunal- und Schulverlag Wiesbaden, Kommentierung der wahlrechtlichen Bestimmungen zu § 6c KomWG, S. 72. 4 Vgl. ebenda.
Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de V.i.S.d.P.: A. Grunke Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.
Dezember 2013/Januar 2014
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag
ParlamentsReport Erstmalig nach fast 20 Jahren: LINKE beantragt Volksentscheid Liebe Leserinnen und Leser, das letzte Jahr der Wahlperiode hat begonnen. Auf große Reformen kann der Freistaat nicht zurückblicken, warum auch – von einer CDU, die sich in fast 25 Jahren bequem ins Verwalten eingerichtet hat, war nichts dergleichen zu erwarten. Keine Experimente! Es ist, als mahne Konrad Adenauer posthum zum Abwürgen oder Behindern jeglicher Impulse. Während die Große Koalition auf Bundesebene einen Mindestlohn beschlossen hat, der eben nicht sofort und flächendeckend für gute Standards sorgen wird, bemüht sich die sächsische Staatsregierung weiter nach Kräften, diesem wichtigen Projekt Bremsklötze anzulegen. Dabei müsste gerade das Niedriglohnland Sachsen zum Vorreiter werden, wenn es darum geht, gute Arbeit anständig zu bezahlen. Andere Bremsklötze hingegen werden nicht angetastet: etwa die hohen Hürden für die Volksgesetzgebung, die sie de facto unmöglich machen. Eine Verfassungsänderung, die diesen Zustand endlich beendet, bleibt eine Hauptaufgabe. DIE LINKE lässt nicht locker – wir wollen, dass Sie mitentscheiden können, bei allen Angelegenheiten, die Ihr Leben betreffen. Nicht nur deshalb ist mir der direkte Draht ins Land sehr wichtig. Nachdem ich im letzten Frühjahr sächsische Unternehmen besucht und mir ein Bild von ihrer Situation gemacht habe, gehe ich erneut auf Tour: Ab dem 24. Februar werde ich alle dreizehn Kreise besuchen und mit Bürgerinnen und Bürgern sowie mit kommunalen Entscheidungsträgern ins Gespräch kommen. Dabei wird es insbesondere um das Thema Bürgerbeteiligung gehen. Ich freue mich auf das vor uns liegende, hochgradig politische Jahr – und auf frische Ideen für dieses Land!
Ihr Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender
Wer von einer Entscheidung betroffen ist, muss sie beeinflussen können – diesen Anspruch müssen Demokratien wenigstens grundsätzlich befriedigen. Perfekt gelingen kann dies ebenso wenig, wie sich ein vollkommenes politisches System schaffen lässt – geflügelt ist längst das Wort des linker Umtriebe gänzlich unverdächtigen Winston Churchill, der am 11. November 1947 vor dem Unterhaus sagte: „Demokratie ist die schlechteste Regierungsform – außer all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind“. Doch auch jedes demokratische System – auch das sächsische – muss ständig daraufhin überprüft werden, ob es verbessert werden kann. Insbesondere die noch wichtigen Instrumente der Volksgesetzgebung, die die hiesige Landesverfassung enthält, gehören auf den Prüfstand. Im Verfassungsleben nämlich zeigt sich die faktische Wirkungslosigkeit von Volksanträgen, Volksbegehren und Volkentscheiden – und das, obwohl Staatsregierung, Landtag und Volk laut Verfassung gleichrangige Gesetzgeber darstellen. Dennoch konnte die Bevölkerung ihre Funktion als direkter Gesetzgeber bislang kaum wahrnehmen. Seit der Annahme der Sächsischen Verfassung im Mai 1992 wurden acht Anträge als Volksanträge und vier Volksbegehren beim Präsidenten des Sächsischen Landtages eingereicht. Allerdings gab es bislang nur einen einzigen Volksentscheid; alle anderen Volksbegehren scheiterten an der Notwendigkeit, 450.000 Unterstützerunterschriften zusammenzubekommen. Schließlich müssen diese Unterschriften frei gesammelt werden, also ohne die Unterstützung etwa der Kommunalverwaltungen. Die Zahl der notwendigen Unterstützungsunterschriften für Volksantrag und Volksbegehren wurde noch nie an die Bevölkerungsentwicklung angepasst, obwohl Sachsen seit 1990 etwa 15 Prozent seiner Einwohnerinnen und Einwohner verloren hat. Der Blick auf die Geschichte lässt nur einen Schluss zu: Die Hürden, die die Bevölkerung überwinden muss, um sich selbst Gesetze geben zu können, müssen gesenkt werden. Die CDU blockiert dieses Ansinnen seit jeher. Daher beschritt die Fraktion DIE LINKE zum Dezemberplenum einen ungewöhnlichen Weg: Sie beantragte im Landtag gemäß Artikel 74, Abs. 3 der Verfassung des Freistaates Sachsen die Durchführung eines Verfassungsreferendums. Es war das erste
Mal, dass der Landtag über eine solche Initiative zu befinden hatte. Mit dem Antrag (Landtags-Drucksache 5/13108) wollte die LINKE über eine Änderung der Verfassung durch Volksentscheid erreichen, dass nur noch 35.000 statt 40.000 Unterschriften für einen Volksantrag beizubringen sind. Ein Gesetz soll per Volksantrag erlassen, geändert oder aufgehoben werden können. Außerdem soll die Bevölkerung den Landtag verpflichten können, sich im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Zuständigkeit mit bestimmten Gegenständen zu befassen. Der Landtag soll die Antragsteller nicht mehr nur anhören, sondern sich auch binnen vier Monaten mit dem Gegenstand des Volksantrages beschäftigen müssen. Alle diesbezüglichen Sitzungen, auch die der Ausschüsse, sollen öffentlich sein. Stimmt der Landtag einem Volksantrag nicht zu, soll künftig bereits nach vier Monaten ein Volksbegehren möglich werden, um einen Volksentscheid herbeizuführen. Damit es zu einem solchen kommt, sollen künftig nur noch 280.000 und nicht 450.000 unterstützende Unterschriften notwendig sein. Neu ebenfalls, dass ein Volksentscheid über ein vom Landtag bereits beschlossenes Gesetz stattfinden kann, wenn ein Drittel der Landtagsmitglieder oder 175.000 Bürgerinnen und Bürger dies verlangen. Dann könnte die Bevölkerung ein beschlossenes Gesetz wieder kippen. „Das Volk kann sein in der Verfassung garantiertes Recht auf die Ausübung der gesetzgebenden Gewalt praktisch nicht anwenden. Nicht nur für mich ist das eine tiefe Kluft von Verfassungstext und Verfassungspraxis“, begründete Andrea Roth, Spre-
cherin für Direkte Demokratie, das Anliegen der Fraktion DIE LINKE: „Über 12 Jahre sind vergangen, ohne dass ein weiterer Volksantrag vorgelegt wurde. Das ist eine traurige Bilanz“. Die Erfahrung aus vielen Ländern zeige, dass direkte Demokratie die parlamentarische ergänze, vervollkommne und belebe. Rechtsexperte Klaus Bartl pflichtete ihr bei: „Wir müssen uns als Parlament vom Verdacht befreien, dem Souverän ein Instrument vorzugaukeln, dessen er sich in Wahrheit in ernsthafter und erfolgversprechender Weise nicht bedienen kann“. Durch Volksgesetzgebung kann nicht nur verhindert werden, dass Volksvertreter die Interessen der Vertretenen aus den Augen verlieren. Durch sie kommt auch frischer Wind in die politische Landschaft, was angesichts der Verkrustungen von mehr als 20 Jahren CDU-Herrschaft in Sachsen notwendig ist. Außerdem ist Volksgesetzgebung dem Einfluss von Lobbyisten und Interessengruppen weitgehend entzogen. „Wir können ja eh nichts machen!“ ist ein Satz, den man auch in Sachsen oft hört. Durch Volksentscheide bekommt jede und jeder Einzelne Gelegenheit, konkret etwas zu verändern – wenn die Rahmenbedingungen stimmen, was die LINKE erreichen will. Allerdings wies die schwarz-gelbe Koalitionsmehrheit den Antrag ab. Wenn es noch eines Beweises bedurft hat, dass mehr Bürgerbeteiligung mit CDU und FDP nicht zu machen ist, dürfte er spätestens jetzt erbracht sein. Es wird von den politischen Mehrheiten im Land abhängen, ob politische Entscheidungen künftig auch zwischen den Wahltagen beeinflussbar werden.
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PARLAMENTSREPORT
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Niedriglohnland mit (Ab)Wirtschaftsminister „Parlamentsreport“ sprach mit dem arbeitsmarktpolitischen Sprecher, Thomas Kind, und dem Gewerkschaftsexperten der LINKEN, Heinz Hoffmann, über einen unfähigen Minister und darüber, was geschehen muss, um die Niedriglohnpolitik in Sachsen zu beenden.
schaften zu dieser Frage überhaupt keine Beschlüsse gibt, im Gegenteil: Die Arbeitnehmervertreter unterstützen einen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro. Das will diesem neoliberalen Wirtschaftsminister nicht in den Kopf. Er kennt und vertritt nur die wirtschaftlichen und sozialen Interessen, für die er persönlich steht. Hat Morlok abgewirtschaftet?
DIE LINKE hat zum Dezemberplenum eine Aktuelle Debatte zum Thema „Unkenntnis und Inkompetenz des stellvertretenden Ministerpräsidenten am Beispiel Mindestlohn“ beantragt und damit dem FDP-Wirtschaftsminister Morlok gemeint. Warum verdient er dieses Urteil? Kind: Weil er nach wie vor der Meinung ist, dass der Mindestlohn uns in Sachsen schaden würde. Nachdem die LINKE das Thema vor mehr als zehn Jahren auf die politische Agenda gesetzt hat, hat sich nun herumgesprochen, dass der Mindestlohn reif ist, selbst Vertreter der Wirtschaft und des Handwerks bekunden das. Das will Morlok alles nicht hören und führt ideologische Argumente an: Mindestlohn sei Staatsdirigismus, und das könne Sachsen nur schaden. Hoffmann: Inkompetenz demonstriert er aber vor allem Dingen darin, dass er in fortgesetzter Ignoranz einfach die Zusammenhänge von Niedriglohn und Regionalentwicklung in Sachsen ignoriert und die Notwendigkeit deutlich besserer Löhne für die Leute, die jeden Tag hart arbeiten gehen, leugnet. Morlok hat behauptet, Vollversammlungen der sächsischen Handwerkskammern hätten sich unter Beteiligung von Arbeitnehmervertretern „klar und eindeutig gegen einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro ausgesprochen“. Kind: Das ist eine Lüge, weil sich die Versammlungen der Handwerkskammern mit den Arbeitnehmervertretern dafür ausgesprochen haben. Hoffmann: Da kann ich voll zustimmen. Sowohl die stellvertretende Präsidentin der Handwerkskammer Leipzig als auch ihr Kollege von der Handwerkskammer Dresden haben erklärt, dass es von ihren Körper-
Hoffmann: Aus Sicht der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Sachsen, aus Sicht aller DGBGewerkschaften, hat dieser Minister nichts für die Zukunft der arbeitenden Menschen, die hier die Werte schaffen, getan. CDU und FDP widersprechen ja gar nicht, dass die Löhne in der sächsischen Industrie am niedrigsten sind. Sie setzen noch eins drauf, indem sie sagen: Tolle Leistung, im verarbeitenden Gewerbe in Sachsen haben die Unternehmen die höchsten Eigenkapitalquoten und den geringsten Verschuldungsgrad. Niedrige Löhne und hohes Eigenkapital sind aber die beiden Seiten der Verteilungsmedaille, hier Ausbeutung pur, dort Profitmacherei pur. Kind: Er hat nicht abgewirtschaftet, denn er hat nie gewirtschaftet. Morlok hat das Amt in den vergangenen viereinhalb Jahren nie so ausgefüllt, wie er das hätte tun sollen. Was die Wirtschaftsförderung und die Unterstützung des Mittelstandes angeht, ist er sehr schmalbrüstig geblieben in seinem Agieren. Die Kaufkraft in Sachsen hinkt der in allen anderen Bundesländern hinterher. Wie vielen Menschen würde ein Mindestlohn helfen? Hoffmann: Ein flächendeckender Mindestlohn, gesetzlich geregelt und ohne Ausnahmen, würde in Sachsen mindestens 40 % der abhängig Beschäftigten helfen. Doch je später die Höhe des Mindestlohns korrigiert werden kann – die 8,50 € haben 2018 nur noch eine Kaufkraft von 7,68 € –, umso länger werden diese Menschen eine Mindestsicherung brauchen. Deswegen muss die Entwicklung hin zu 10 € durchgesetzt werden. Sonst
bringt dieser Mindestlohn viele noch lange nicht aus der Armut heraus. Kind: Ein großer Teil der Arbeitsverhältnisse ist nicht tariflich geregelt, gerade in Klein- und Kleinstunternehmen. Wenn wir vom allgemeinen Durchschnittseinkommen ausgehen, liegt Sachsen auf dem letzten Platz aller neuen Bundesländer. Sachsen ist das Niedriglohnland. Die Kaufkraft wird in Zukunft noch dramatisch sinken, auch weil eine neue Generation ins Rentenalter kommt, die keine geschlossenen Erwerbsbiografien mehr aufweist. Würde der Mindestlohn nicht zunächst viele kleine und mittlere Unternehmen in Branchen, in denen bislang geringe Löhne gezahlt werden, überfordern? Kind: Alle empirischen Erhebungen bestätigen gerade nicht, dass massiv Arbeitsplätze vernichtet werden. Sicher werden sich einige Strukturveränderungen ergeben. Es wird auch der eine oder andere Billiganbieter etwa im Handwerk, der mit Selbstausbeuterpreisen agiert hat, vom Markt verschwinden. Aber für die Fachkräfte wird es wohl kein Problem geben, weil das Auftragsvolumen dann von Firmen bearbeitet wird, die entsprechende Löhne zahlen können. Die Nachfrage wird nicht sinken, und so wird es auch ein Angebot geben. Hoffmann: Wenn wir sehen, dass gegenwärtig eine Reihe von Betrieben im Friseurhandwerk schrittweise die Löhne anheben, sagen die uns ja, dass sie nicht mit dem Verlust von Arbeitsplätzen rechnen. Das deckt sich auch mit den Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern. Was man nicht ausschließen kann, ist, dass in personalintensiven Dienstleistungsbereichen auch Preise steigen werden. Aber das muss man akzeptieren, denn: „Wasch mich, aber mach‘ mich nicht nass!“ geht nicht. Alle Leistungen, die kein verzichtbarer Luxus sind, werden nachgefragt. Zweitens stehen die Niedriglohnbereiche, um die es hier geht, überhaupt nicht im internationalen Wettbewerb – sie können hier auch nicht ersetzt werden. Höhere Einkommen würden auch zu einer zusätzlichen Nachfrage führen.
Warum ist der Mindestlohn volkswirtschaftlich sinnvoll und könnte der kleinteiligen sächsischen Wirtschaft nützen? Hoffmann: Ein Ökonom hat mal gesagt: Die Arbeitnehmer geben aus, was sie verdienen, und die Unternehmer verdienen, was sie ausgeben. Das heißt: Wenn das Gros der Menschen zu wenig Geld in der Tasche hat, um zahlungsfähige Nachfrage zu entfalten, dann gibt es Probleme. Hier in Sachsen muss über die Massenkaufkraft endlich die regionale Wirtschaft gestärkt werden. Der Mindestlohn würde endlich eine Linie einziehen, die durch Druck und Erpressung nicht mehr unterschritten werden kann. Das bringt auch Unternehmen, die keine große Marktmacht haben, Sicherheit, dass sie nicht ständig unterboten werden. Kind: Gerade bei den Klein- und Kleinstunternehmen ist die Tarifbindung sehr gering, die Flächentarifbindung und auskömmliche Löhne wurden durch die Schwächung der Gewerkschaften über Jahre zurückgedrängt. Wie sind die Festlegungen der Großen Koalition zum Mindestlohn zu bewerten und was kann auf Landesebene überhaupt getan werden? Hoffmann: Dass der gesetzliche Mindestlohn im Gesetzblatt stehen wird, ist ein Fortschritt. Das kann ein Anfang sein für eine neue Ordnung am Arbeitsmarkt, aber mehr schreibe ich dem nicht zu. Die langen Einführungsphasen und die Tatsache, dass frühestens unter der nächsten Bundesregierung eine Erhöhung möglich sein soll, machen den Barwert dieses Mindestlohns zu einer gesellschaftlichen Lachnummer. Überall dort, wo ein Stundenlohn unter 10,30 € gezahlt wird, wird Altersarmut produziert, kommen Menschen mit dem Hintern nicht an die Wand. Wir müssen das Thema im Land aktiv auf der Tagesordnung lassen, denn auch dieser Mindestlohn ist nicht vom Himmel gefallen. Linke und Gewerkschaften haben lange gegen alle anderen dafür gekämpft. Kind: Die Festlegung auf 2015 ist eine absolute Mogelpackung. Auch, dass die Höhe zwischen Ost- und Westdeutschland unterschiedlich ausfallen soll, ist 25 Jahre nach der Einheit absolut unzeitgemäß. Es wäre ohne weiteres möglich gewesen, den Mindestlohn sofort einzuführen. Man will Zeit gewinnen, um sich um den Mindestlohn herumzudrücken. Mit diesem Zugeständnis hat die SPD wieder Gesicht verloren. Um von Sachsen aus etwas zu verändern, gibt es nur eine Möglichkeit: eine andere politische Mehrheit, weil die aktuelle Landesregierung in Berlin immer wieder auf die Bremse tritt und Mindestlohninitiativen im Bundesrat nicht unterstützt.
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PARLAMENTSREPORT
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Hoffnung und Wahrheit Sei fleißig und arbeite hart, dann wirst Du es weit bringen – diese Aufforderung kennen viele aus ihren Kindertagen. Längst hat die gesellschaftliche Realität diesen Mythos überholt: Wie kaum ein anderer Faktor beeinflusst die soziale Lage des eigenen Elternhauses die Chancen auf eine gute Qualifikation und attraktive Lebensperspektiven. Mit der Großen Anfrage „Chancengleichheit in der frühkindlichen, vorschulischen und schulischen Bildung Sachsens“ (Landtags-Drucksache 5/12366) wollte die LINKE der Staatsregierung Daten zur sächsischen Situation entlocken. Bereits in der Kindertagesstätte muss damit begonnen werden, Bildungschancen zu verbessern. Die Rahmenbedingungen sind alles andere als gut: Die Kitas leiden unter Personalnot. Das führt unter ande-
rem dazu, dass mittlerweile 4,3 % aller Kinder beim Übergang von der Kita in die Grundschule sonderpädagogisch gefördert werden müssen – hier liegt Sachsen deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Die Staatsregierung rühmt sich indes, 100 zusätzliche Stellen für Kitas zu schaffen, in denen besonders viele benachteiligte Kinder betreut werden. Mit Blick auf die 2.800 Kitas und 29.000 Erzieherinnen und Erzieher in Sachsen ist das nahezu bedeutungslos. Bildungs- und Zukunftschancen junger Menschen hängen auch hierzulande immer stärker vom Einkommen ihrer Eltern ab. Armut und Bildung hängen unmittelbar zusammen. Obwohl bereits der 14. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung darauf hinweist, dass es „besonders nachdenklich stimmt“, „dass Kinder, die in Armutsverhältnissen auf-
wachsen, subjektiv schon früh ein Gefühl dafür entwickeln, dass ihnen bestimmte Optionen verschlossen bleiben“, behauptet die Staatsregierung, dass gleichwertige Entwicklungschancen gegeben seien. Dabei muss jeder fünfte Minderjährige in Sachsen in Armutsverhältnissen aufwachsen. Der Anteil der Jugendlichen, die die Schule gänzlich ohne Abschluss verlassen, ist auf 10,4 Prozent gestiegen. Die Zahl der Berufsschulabgänger ohne Abschluss hat sich zwischen 2002 und 2011 mehr als verdreifacht. „Die Forderung, über das Bildungssystem die Chancengleichheit und damit den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen zu erhöhen, ist keine Sozialträumerei von linken Gerechtigkeitsfanatikern, sondern ein wesentliches Element nachhaltiger Wirtschafts- und Sozialpolitik“, forderte Annekatrin Klepsch, Sprecherin für Kinder- und Jugendpolitik, die Koalition zum Handeln auf. Mit einem Entschließungsantrag (Drucksache 5/13390) wollte die LINKE die Staatsregierung beauftragen, fundiert zu analysieren, wie Bildungsstand und Einkommen von Eltern mit den Bildungs- und Zukunftschancen ihrer Kinder zusammenhängen. Ganztagsangebote sollen zu Ganztagsschulen entwickelt werden. Außerdem sollen Kindertagesstätten leichter zugänglich und die Betreuungsverhältnisse verbessert werden. CDU und FDP sahen jedoch keinen Handlungsbedarf – sie pflegen offenbar lieber Legenden, anstatt die Verhältnisse zur Kenntnis zu nehmen.
Urteil zu Freien Schulen: Opposition drängt die Staatsregierung zur Umsetzung Im vergangenen Jahr konnte die demokratische Opposition einen Erfolg erzielen: Gemeinsam erreichten die Fraktionen von LINKEN, SPD und Grünen mit einer Normenkon trollklage, dass der Sächsische Verfassungsgerichtshof das Gesetz über die Schulen in freier Trägerschaft für nicht verfassungsgemäß erklärte – und der Staatsregierung auftrug, bis zum 31.12.2015 eine neue Regelung zu treffen. Bedenkt man, wie lange es gemeinhin dauert, bis Gesetzesvorhaben umsetzungsreif sind, drängt dabei die Zeit – während die Freien Schulen weiterhin auf Geld warten müssen, das sie benötigen. Um die Situation der Freien Schulen schnell zu verbessern, wollten LINKE, SPD und Grüne den Druck erhöhen und forderten die Staatsregierung mit einem gemeinsamen Antrag (Landtags-Drucksache 5/13292) auf, dem Landtag ihre Schlussfolgerungen aus dem Urteil
sowie einen Zeitplan für die nun notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen vorzulegen. Darüber hinaus soll sie bis zum 31. März 2014 eine Übergangsregelung präsentieren, um Genehmigung und Förderung allgemeinbildender Ersatzschulen sicherzustellen. Mit den Trägern dieser Schulen muss sie sofort wieder verhandeln. Die Bildungsexpertin der LINKEN, Cornelia Falken, schrieb der Koalition ins Stammbuch: „Diese Staatsregierung und die Fraktionen der CDU und der FDP haben ein Gesetz verabschiedet, das vollumfänglich in allen Punkten gegen die Sächsische Verfassung verstößt, und das ist eine Aussage, die Sie, werte Kollegen von der CDU, in Ihrer Regierungszeit noch nie erhalten haben. Hier haben Sie eindeutig eine Grenze weit überschritten“. Sie forderte die Staatsregierung auf, die Forderungen des Urteils nun schnellstmöglich umzusetzen.
Offenbar hat dieser Druck gewirkt: Kultusministerin Kurth verkündete Anfang Januar, dass ihr Haus eine Förderrichtlinie erarbeite, damit die freien Schulen zügig zusätzliches Geld bekommen. Die Höhe dieser Zuschüsse ist allerdings bislang unklar und soll gemeinsam mit den Schulträgern ausgehandelt werden. Der Antrag der demokratischen Opposition wurde in den Schulausschuss überwiesen. Nun muss die Staatsregierung beweisen, ob sie in der Lage ist, für die Freien Schulen eine verfassungsgemäße Regelung zu schaffen.
Plenarspiegel Dezember 2013 Am 17. und 18. Dezember 2013 fanden die 88. und 89. Sitzung des 5. Sächsischen Landtags statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Debatte: – Fraktionen DIE LINKE und SPD: „Unkenntnis und Inkompetenz des stellvertretenen Ministerpräsidenten am Beispiel Mindestlohn“ Große Anfrage: – „Chancengleichheit in der frühkindlichen, vorschulischen und schulischen Bildung Sachsens“ (Drs 5/12366), dazu Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE (Drs 5/13390) Anträge: – „Stärkung der öffentlichen Berufsschulen in Sachsen“ mit Stellungnahme der Staatsregierung (Drs 5/12416), dazu Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE (Drs 5/13369) – „Antrag gemäß Artikel 74 Absatz 3 Satz 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen über einen Volksentscheid zur Änderung der Verfassung“ (Drs 5/13108) – Fraktionen DIE LINKE, GRÜNE und SPD: „Umsetzung des Verfassungsgerichtshofurteils zu Ersatzschulen in freier Trägerschaft“ (Drs 5/13292) Entschließungsantrag: – Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE (Drs 5/13395) zum Gesetzentwurf der Staatsregierung „Gesetz zur Neuordnung des Dienst-, Besoldungs- und Versorgungsrechts im Freistaat Sachsen (Sächsisches Dienstrechtsneuordnungsgesetz – Drs 5/12230)“ In den Berichten der Ausschüsse (Sammeldrucksache 5/13313) war folgender Antrag der Fraktion DIE LINKE enthalten: » „‚Metropolregion Mitteldeutschland‘ gehört auf den Prüfstand“ (Drs 5/11488) und die Antwort des Staatsministerium des Innern Auf Empfehlung der Ausschüsse lehnte die Mehrheit im Plenum diese Anträge ab. Wahl eines Mitglieds der Parlamentarischen Kontrollkommission des Sächsischen Landtags: – Auf Vorschlag der Fraktion DIE LINKE wurde als Mitglied mit großer Mehrheit MdL Rico Gebhardt gewählt. Drucksachen (Drs) und Redebeiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de
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PARLAMENTSREPORT
Dezember 2013/Januar 2014
Wirtschaft und Regionen fördern – mit starken Berufsschulen Sachsen braucht ein bestandsfähiges und leistungsstarkes Berufsschulnetz. Unternehmen sind auf Nachwuchs angewiesen, der vor Ort ausgebildet wird und dann dort arbeitet – so bleiben Regionen lebenswert. „Für die Entwicklung im ländlichen Raum ist es entscheidend, dass Ausbildung auch weiterhin in den beruflichen Schulzentren des Landkreises stattfindet. Dies ist ein Standortfaktor für die mittelständische Wirtschaft“, kommentierte MdL Verena Meiwald einen Antrag der Fraktion DIE LINKE (Landtags-Drucksache 5/12416), der eine Stärkung der öffentlichen Berufsschulen zum Ziel hatte. Dass das notwendig ist, weiß Verena Meiwald aus eigener Erfahrung. In ihrem Heimatkreis Sächsische Schweiz-Ostererzgebirge sind zwei von vier Berufsschulstandorten akut gefährdet, da viele junge Menschen zur Ausbildung nach Dresden abwandern. Grund ist vor allem eine mangelhafte Schulnetzplanung. Die Probleme der Berufsschulen im Raum Dresden hat jüngst auch das ifo-Institut bestätigt: Die Berufsschulstruktur im Raum Dresden sei reformbedürftig, es mangele ihr an Planungssicherheit, auch in Bezug auf die personelle Ausstattung. Es herrsche ein ruinöser Wettbewerb um Berufsschüler.
Mit ihrem Antrag wollte die LINKE erreichen, dass kreisfreie Städte und Landkreise bei der Schulnetzplanung enger zusammenarbeiten. Die Staatsregierung soll dies koordinieren und den Schulträgern Vorgaben unterbreiten – eine freiwillige Abstimmung, die bis jetzt stattgefunden hat, hat sich nicht bewährt. So könnten Sogwirkungen, bei denen städtische Berufsschulstandorte Schülerinnen und Schüler von ländlichen Standorten abziehen, vermieden werden. In bestimmten Berufsfeldern gibt es zudem die Möglichkeit, mit der Berufsqualifikation gleichzeitig die Studienzugangsberechtigung zu erwerben. Gerade im ländlichen Raum könnte diese Kombination von Abitur und Berufsausbildung bedrohte Standorte retten, weshalb solche Angebote nach dem Willen der LINKEN ausgeweitet werden sollen. Außerdem befürwortet die LINKE kleinere Fachklassen. Schließlich gilt auch an den Berufsschulen: Talente können nur dann individuell gefördert werden, wenn die Lehrkräfte die Schüler auch individuell betreuen können. Dafür müssen die Klassen ausreichend klein sein – derzeit können Berufsschulklassen allerdings aus bis zu 16 Schülerinnen und Schülern beste-
hen. Würde diese Zahl reduziert, könnten insbesondere Berufsschulen abseits der großen Städte leichter Fachklassen bilden. Da langfristig mit steigenden Schülerzahlen zu rechnen ist, ist zudem ein Schließungsmoratorium für die Berufsschulstandorte notwendig – insbesondere auf dem Land. Staatlich anerkannte Berufe – etwa die von Rettungsassistentinnen und -assistenten oder von Erzieherinnen und Erziehern –, sollten wieder in öffentlichen Berufsschulen ausgebildet werden. Das bleibe „eine öffentliche Aufgabe, und das öffentliche Ausbildungsbzw. Berufsschulsys tem muss die Grundlage der Berufsausbildung bleiben, gerade weil wir damit die Grundlage für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land legen“, begründete
Thomas Kind, Sprecher für Arbeitsmarktpolitik, diese Forderung. „Nur wenn in den Landkreisen ausgebildet wird, bleiben diese für die jungen Menschen attraktiv“, fasste Verena Meiwald das Anliegen zusammen. Die Mehrheit des Hauses lehnte allerdings ab – eine Entscheidung, die klar zulasten der sächsischen Berufsschulen geht.
Abschiebungen im Winter? Menschenunwürdig! MdL Heiko Kosel, Sprecher für Europa-, Friedens- und Minderheitenpolitik, über eine denkwürdige Reise Sechs Abgeordnete des Landtages begaben sich von Sachsen aus auf den Balkan. Kein touristisches Ziel lockte sie – vielmehr suchten sie am Ort des Geschehens Antworten auf eine handfeste politische Frage: Darf man Asylsuchende aus Sachsen im Winter in ihr Herkunftsland abschieben? Das Gesamtergebnis der Visite ließ bei einigen vorher gefestigte Positionen wackeln. Gespräche mit staatlichen Institutionen und Nichtregierungsorganisationen, Besuche bei den betroffenen Minderheiten, den Roma, Ashkali und Balkanägyptern im Kosovo, Besuche in Mazedonien und Serbien auf dem winterlich ungastlichen Balkan können nun in die Entscheidungsfindung einfließen, ob und in welcher Weise eine Rückführung im Winter durchgeführt werden kann. Was die Abgeordneten noch ergründen wollten, war für das sächsische Innenministerium allerdings von vornherein klar: Es würde keinen Winterabschiebestopp geben. Ach, wäre doch mancher Bürokrat, der hierzulande über Abschiebungen entscheidet, doch auch durch
die Regionen und Länder gefahren, hätte mit Betroffenen geredet und mit eigenen Augen gesehen, dass die Menschen in Containern untergebracht werden, zumeist am Rande der Stadt, wo die Innentemperatur gleich der Außentemperatur ist, dass die Rückkehrer kaum Arbeitsmöglichkeiten haben und dass die Abgeschobenen mitunter in Deutschland eine Arbeit hatten, die sie zufrieden stellte. „Ich mochte die Kollegen, die Kollegen mochten mich. Hier komme ich zurück wie ein Fremder“, sagte mir in fließendem Deutsch ein Mann, den ich versuchte, auf Serbisch anzusprechen. Er freue sich über den Besuch aus Deutschland, vielleicht würde der etwas bewirken.
Vor allem die Minderheiten leiden unter den aktuellen Verhältnissen. Es sind nicht nur die widrigen sozialen Gegebenheiten des wiedererrichteten vormaligen Armenhauses Europas, viel schlimmer sind die rassistische Diskriminierung und die Ausgrenzung aus dem gesellschaftlichen Leben, bei der Gesundheitsversorgung, der Bildung, beim Zugang zum Arbeitsmarkt. In der Stadtverwaltung von Fushe Kosove/Kosovo Polje verdunkelte sich das von manchem hier- wie auch dortzulande gezeichnete positive Bild: Rückführungen – so erklärten die dortigen Kommunalpolitiker – sollten „aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Situation nur sukzessive und nicht als Massenabschiebungen erfolgen“. Nicht alle zur Rückkehr Gezwungenen hätten Anspruch auf Sozialhilfe, auch gebe es Probleme im Gesundheitswesen, Schwierigkeiten bereite die behelfsmäßige und auch dauerhafte Unterbringung. Ein Abschiebestopp soll nicht begründet sein? Die konkrete Lage, das gesellschaftliche Umfeld und die Lebenslage der Abgeschobenen zeigen genau das Gegenteil.
Dass der Freistaat Sachsen, regiert durch CDU und FDP, stur auf seiner Position beharrt, nicht für einen Winterabschiebestopp auf den Balkan zu stehen, gab einigen angesichts des beobachteten Elends zu denken, ebenso wie die Tatsache, dass sich Sachsen im Gegensatz zu anderen Bundesländern nicht am Rückkehrerprojekt „URA 2“ beteiligt – obwohl es vehement für die Abschiebung eintritt. Dieses Projekt umfasst verschiedene Tätigkeiten, von Arbeitsvermittlung und Wohnraumsuche bis zum Schulbesuch. Sachsen stellt sich doppelt stur, die Leidtragenden sind die Betroffenen.
Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig
Kommunal-Info 1/2014
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Abbau des Langzeitbezugs von HARTZ IV
Soziale Teilhabe sicherstellen – Langzeitleistungsbezug wirkungsvoll abbauen Der Leistungsbezug im SGB II stellt für viele Personen nicht lediglich eine vorübergehende Hilfe dar, die sie als Arbeitsuchende in einer Notlage beanspruchen. Stattdessen sind viele Personen längerfristig auf diese Leistung angewiesen – oftmals über Jahre. Hinzu kommt, dass die Langzeitleistungsbeziehenden eine sehr heterogene Gruppe sind, die sich von Jobcenter zu Jobcenter ganz unterschiedlich zusammensetzt. Die Hebel, um sie beruflich zu integrieren, sind genauso unterschiedlich wie die Probleme, die der Hilfebedürftigkeit zugrunde liegen. Daraus leiten sich unmittelbare Konsequenzen ab: Die Jobcenter müssen dem Abbau des Langzeitleistungsbezugs eine hohe Priorität einräumen. Denn mitunter betrifft er vier von fünf Leistungsbeziehenden eines Jobcenters. Und: Es gibt keine Schablone für eine erfolgreiche Vermittlung. Jedes Jobcenter muss für sich die individuelle Zusammensetzung von Teil-Zielgruppen identifizieren und individuelle Antworten finden. Die individuelle Stärke der Jobcenter kann nur zum Tragen kommen, wenn die grundsätzlichen Rahmenbedingungen stimmen. Um angemessen und wirkungsvoll mit Langzeitleistungsbeziehern arbeiten zu können, müssen die Voraussetzungen für die tägliche Arbeit in den Jobcentern verbessert werden. Die Optionskommunen leiten daraus folgende Forderungen ab: 1. Die sozialpolitische Dimension anerkennen: Die Jobcenter haben eine sozialpolitische Verantwortung für fast 6,2 Millionen Erwachsene und Kinder in Deutschland. Diese muss sich widerspiegeln – in den Zielen, aber auch in den Mitteln und Instrumenten, die den Jobcentern an die Hand gegeben werden. Dabei geht es neben der Integration in Arbeit auch und gerade darum, soziale Teilhabe sicherzustellen. Es bedarf der Möglichkeiten, auch präventiv handeln zu können, um eine Verfestigung der Hilfebedürftigkeit zu vermeiden. 2. Realistische Ziele ausgeben: Die Realitäten im SGB II müssen anerkannt werden. Das bedeutet, realis-
tische Erwartungen an die Jobcenter zu richten. Eine offene und ehrliche Betrachtung bedeutet auch, die Grenzen und Möglichkeiten anzuerkennen. Sie bedeutet aber nicht, Menschen vom Fördern und Fordern auszugrenzen. 3. Nachhaltigkeit fördern: Bund, Länder und Kommunen müssen nachhaltiges, langfristiges Handeln der Jobcenter stärker honorieren als kurzfristige Erfolge. Nur so kann dem Langzeitleistungsbezug nachhaltig begegnet und die Chancen gesteigert werden, dass eine Integration in den Ersten Arbeitsmarkt gleichbedeutend ist mit der Aufnahme einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit. 4. Stigmatisierung beenden: Politik und sozialpolitische Akteure müssen sich offen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende bekennen. Es ist eine große und verantwortungsvolle Leistung, jedem Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen; das ist der Kern des deutschen Sozialstaats. Politik und sozialpolitische Akteure tragen die Verantwortung dafür, dass Jobcenter und Leistungsbeziehende in einem wertschätzenden Umfeld gemeinsam daran arbeiten können, den Leistungsbezug schnellstmöglich zu beenden. 5. Bedarfsgerechte Budgets bereitstellen: Die vom Bund zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel müssen ausreichend und aufgabenadäquat bemessen sein. Im Rahmen der Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe waren ca 3.200 pro erwerbsfähigem Leistungsberechtigten und Jahr für Aktivierung, Eingliederung und Leistungsgewährung veranschlagt, im Jahr 2012 standen dagegen nur ca. 1.700 zur Verfügung. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, inwiefern die Veränderungen in der „Struktur“ der Leistungsbeziehenden – v. a. der kontinuierlich steigende Anteil „arbeitsmarktferner“ Personen – höhere Budgets zur Aktivierung und Qualifizierung erforderlich machen. 6. Langfristige Strategien ermöglichen: Die Jobcenter benötigen eine Haushalts- und Finanzplanung, die längerfristige Strategien und überjährige Verpflichtungsermächtigungen in ausreichender Höhe ermöglicht. 7. Instrumente flexibilisieren: Gerade für Langzeitleistungsbeziehende ist es in vielen Fällen geboten, flexible Lösungen zu finden, um die erforder-
lichen Fortschritte zu erzielen. Der Handlungsspielraum zum Einsatz und zur Ausgestaltung von Instrumenten muss vergrößert, der Einsatz individueller Maßnahmen erleichtert werden. Und die Möglichkeiten zum Einsatz langjähriger Instrumente müssen verbessert werden. Drei weitere konkrete Anpassungen für Langzeitleistungsbeziehende sind zudem geboten: Eine individuelle Nachbetreuung nach der Integration muss möglich sein, um diese zu stabilisieren. Dabei muss Dauer und Intensität bedarfsgerecht gestaltet werden können. Die Möglichkeiten und Förderansätze zur beruflichen Fort- und Weiterbildung für die zahlreichen Langzeitleistungsbeziehenden mit Bedarfen in diesem Bereich muss verbessert werden. Die modellhafte Erprobung des „Passiv-A ktiv-Tausch / Transfer“ muss im SGB II rechtlich verankert werden. 8. Sozialen Arbeitsmarkt gewährleisten: Im Sinne der sozialpolitischen Verantwortung muss auch solchen Personen eine würdige Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht werden, die den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt nicht schaffen. Die Optionskommunen bekräftigen daher die Forderungen der kommunalen Spitzenverbände nach einem Sozialen Arbeitsmarktes bzw. einer öffentlich geförderten Beschäftigung. Damit aus solcher Beschäftigung neue Perspektiven erwachsen, ist es notwendig, darin auch Qualifizierungsanteile zu integrieren. 9. Integrierte Sozialgesetzgebung aufsetzen: Perspektivisch ist es Aufgabe des Gesetzgebers, die Rahmenbedingungen für eine umfassende Unterstützung der Leistungsbeziehenden zu verbessern. Im Interesse der betroffenen Bürger/innen muss eine integrierte (Sozial-) Gesetzgebung auf den Weg gebracht werden. So könnten auf kommunaler Ebene die Kräfte gebündelt und für die Erarbeitung besserer (Lebens-) Perspektiven von Leistungsberechtigten genutzt werden. Die Rechte der Bürger/innen, insbesondere bezüglich des Datenschutzes müssen dabei selbstverständlich gewahrt werden.
Fachtagung des Deutschen Landkreistages und des Deutschen Städtetages am 4. Dezember 2013: Kommunale Jobcenter wollen dauerhaften Bezug von Hartz IV-Leistungen abbauen Mehr als drei Millionen Menschen beziehen seit mindestens zwei Jahren Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Sie konnten bisher kaum von der positiven Arbeitsmarktentwicklung profitieren. Die kommunalen Jobcenter in Deutschland haben vor diesem Hintergrund gemeinsame Vorschläge zum Abbau des Langzeitbezugs entwickelt. In einer Fachtagung des Deutschen Landkreistages und des Deutschen Städtetages in Berlin haben 250 Vertreter der mehr als einhundert kommunalen Jobcenter ein Neun-Punkte-Programm dafür beschlossen. Die kommunalen Jobcenter die die Umsetzung des Sozialgesetzbuch II (Hartz IV) als sogenannte Optionskommunen das in alleiniger Verantwortung ausführen, richten sich mit den 9 Forderungen an Politik und Fachöffentlichkeit. Sie und umfassen Aspekte der sozialen Teilhabe und der Nachhaltigkeit sowie der erforderlichen Ressourcen und Instrumente, damit die Jobcenter ihre Aufgaben bestmöglich bewältigen können. Dabei wird berücksichtigt, dass der dauerhafte Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II ganz unterschiedliche Gründe haben kann und deshalb unterschiedliche spezifische Strategien und Herangehensweisen erforderlich sind, um den Langzeitbezug von Leistungen zu verringern: für Alleinerziehende, ältere Menschen, junge Erwachsene ohne Berufsausbildung, Menschen mit Migrationshintergrund und für erwerbstätige Personen, die den Lebensunterhalt für sich und ihre Familienangehörigen nicht aus eigener Kraft decken können. (Pressemitteilung vom 5. Dez. 2013)
Nebenstehend ist das 9-Punkte-Papier dokumentiert.
Kommunal-Info 1/2014
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Neues Finanzierungsmodell für ÖPNV? Finanzierung des ÖPNV-Betriebes durch Beiträge Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) prüft neues Finanzierungsmodell für den ÖPNV Die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs durch Bund, Länder und Kommunen ist derzeit nicht gesichert. Trotz kontinuierlicher Fahrpreiserhöhungen und Effizienzmaßnahmen fehlt es zunehmend an Mitteln zur Finanzierung des laufenden Betriebs, d.h.
weise als Drittnutzer bezeichnet. Sie nehmen zwar die Angebote nicht selbst in Anspruch, könnten dies aber bei Bedarf, z.B. bei einem Defekt des eigenen Autos oder als Alternative bei Regen, Schnee oder Glatteis tun. Neben diesen potenziellen Nutzern gibt es weitere Nutznießer, die beispielsweise von den Fahrgästen des ÖPNV als Kunden, Besucher oder Mitarbeiter profitieren. Umweltbelastung und Flächeninanspruchnahme verringern sich, es gibt weniger Staus und Konkurrenz um
vor allem auch eines attraktiven ÖPNV-Angebots. Gründe hierfür sind beispielsweise die steigenden Aufwendungen für Kraftstoffe und die vielerorts rückläufigen Schülerzahlen und die damit sinkende Nachfrage. Während politisch akzeptierte Spielräume von Tarif- bzw. Preiserhöhungen bereits weitgehend ausgeschöpft sind, sinkt in den Kommunen die Finanzkraft im steuerlichen Querverbund der Stadtwerke-Unternehmen als wichtige Stütze der ÖPNV-Finanzierung. In ihrer Rolle als Aufgabenträger stehen Kommunen in der Finanzverantwortung für die Bestellung des ÖPNVAngebots, das im Nahverkehrsplan für die „ausreichende Verkehrsbedienung“ als notwendig erachtet wird. Nur selten kann dieses Angebot eigenwirtschaftlich durch die Verkehrsunternehmen erbracht werden, so dass der Aufgabenträger den Betrieb bezuschussen muss. Dazu reichen die aus Steuern und allgemeinen Zuweisungen verfügbaren Haushaltsmittel angesichts einer großen Zahl weiterer Aufgaben jedoch nicht aus. Um ein attraktives ÖPNVAngebot „bestellen“ zu können, und auch für den Erhalt der Infrastruktur, benötigen die Kommunen zusätzliche Mittel. Der ÖPNV hat neben seinen Fahrgästen, die einen unmittelbaren Nutzen aus der Inanspruchnahme des Angebots ziehen, auch viele weitere indirekte Nutzer. Diese werden üblicher-
knappen Straßenraum sowie Parkplätze, wenn auf den eigenen PKW verzichtet und der ÖPNV genutzt wird. Daher gibt es gute Argumente, auch die davon profitierenden Drittnutzer, an der ÖPNV-Finanzierung zu beteiligen und zu prüfen, wie ein entsprechendes Instrument ausgestaltet werden könnte. Im In- und Ausland existieren verschiedene Beispiele für eine Finanzierung des ÖPNV unter Einbeziehung von potenziellen Nutzern und Nutznießern. Mit ihrem Semesterticket finanzieren Studenten in Deutschland – unabhängig davon, ob sie den ÖPNV selbst auch nutzen wollen – vielerorts bereits mit den Pflichtbeiträgen den ÖPNV mit. Frankreich hat z.B. eine Nahverkehrsabgabe als Steuer für die Arbeitgeber, die neben der Infrastrukturinvestitionsfinanzierung eine wesentliche Stütze des ÖPNV-Angebots sind. Vor dem Hintergrund, dass in Deutschland zusätzliche Belastungen der Arbeitgeber kaum umsetzbar sind, hat das Difu Möglichkeiten für die Einführung eines ÖPNV-Beitrages geprüft. Als Beitragspflichtige kommen unterschiedliche Gruppen in Frage, denen öffentliche Einrichtungen einen besonderen Vorteil gewähren. So wäre es denkbar, die Einwohner einer Stadt oder Gemeinde als beitragspflichtigen Personenkreis für einen ÖPNV-Beitrag festzulegen. Nach deutschem Recht lässt sich ein
Nahverkehrsbeitrag als regelmäßiger Pflichtbeitrag festsetzen, wenn Beitragszahler dafür eine adäquate Gegenleistung bekommen. Die kostenlose oder ermäßigte ÖPNV-Nutzung wäre so eine adäquate Gegenleistung. Die Berechtigten könnten einen Berechtigungsausweis erhalten, mit dem der ÖPNV in einem bestimmten Gebiet – generell, oder nur zu bestimmten Zeiten – zum ermäßigten Tarif oder unmittelbar genutzt werden kann. Ein ausreichend bemessener Nahverkehrs-
beitrag könnte damit eine verlässliche finanzielle Basis für den ÖPNV-Betrieb schaffen, tarifliche Zugangsbarrieren zum ÖPNV abbauen und auf Seiten der Verkehrsunternehmen zu Kosteneinsparungen durch reduzierte Vertriebskosten führen. Da der ÖPNV bei niedrigeren Tarifen bzw. kostenloser Nutzung auch stärker genutzt werden dürfte, gilt es hier auch, die Kosten der benötigten zusätzlichen Kapazitäten mit zu kalkulieren. (aus: Difu-Berichte 4/2013)
Fachtagung
„Mobilität in der Region Leipzig-Halle“ Sonnabend, 8. Februar 2014, 10 bis 16.30 Uhr in Leipzig „citytagung“, Brühl 54
Impulsreferate: Öffentliche Mobilität ist Lebensqualität für die Region Mitteldeutschland. Die strategische Ausrichtung der Partner im MDV bis 2025 Steffen Lehmann - Geschäftsführer des Mitteldeutschen Verkehrsverbunds (MDV) Fahrscheinloser ÖPNV. Ein neuer Finanzierungsweg Matthias Bärwolff - „fahrscheinloser ÖPNV“ Erfurt Die Mitteldeutsche S-Bahn als Mobilitätsbaustein für eine zusammenwachsende Region Oliver Mietzsch - Zweckverband für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) Vernetzter öffentlicher Verkehr - Pendler/innen-Beziehungen in der Region Dr. Albrecht Kauffmann - Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) Die Leipziger Verkehrsbetriebe(LVB) - Erfahrungen aus Sozialticket und kommunalem Zuschuss Steffen Tippach - Leiter Markt/Strategie der LVB Die ÖPNV-Finanzierung im Spannungsfeld politischen Handelns und nutzerbezogener Beteiligung. Was bringt die Zukunft? MdL Enrico Stange - Sprecher für Landesentwicklung und Infrastruktur Anmeldung bitte an: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Str. 99, 01127 Dresden Telefon: (0351) 482 79 44 oder 482 79 45; Fax: (0351) 795 24 53 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de
Teilnahmebeitrag: 10 Euro
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Gesamtmitgliederversammlung der BAG Rote Reporter Am 12. Januar 2014 fand in Berlin die Gesamtmitgliederversammlung der Bundesarbeitsgemeinschaft Rote ReporterInnen statt. Auf der Tagesordnung standen die Wahl der Delegierten der BAG sowie die Diskussion zu den nächsten Aufgaben, die wir in Angriff nehmen wollen. So hatte die BAG in der Vergangenheit schon mehrfach Anträge an den Bundesparteitag gestellt, wonach ein integriertes Kommunikations- und Publikationskonzept zu erstellen ist. Bisher sind die Ergebnisse eher dürftig. In der Diskussion wurde auch deutlich, dass das von den 2010 gewählten Bundesgeschäftsführern vorgelegte Konzept eines Mitgliedermediums nicht den Vorstellungen der BAG Rote ReporterInnen ent-
spricht. Das mit dem Piloten zum Parteitag 2012 vorgelegte Mitgliedermagazin wird von der BAG Rote Reporter nicht unterstützt. Das Projekt sollte auch
sammlung, sollte der DISPUT weiter qualifiziert und der Blick auf das integrierte Kommunikations- und Publikationskonzept gerichtet werden. Ein Aspekt
zukünftig nicht weiterverfolgt werden. Stattdessen, so die Meinung in der Mitgliederver-
soll dabei der Beitrag des Konzepts zum Parteiaufbau sein. Auf diesem Konzept beruhend
Antifaschistische Bildung kostet Geld In Sachsen haben sich Anfang des Jahres 2010 junge und ältere Antifaschist_innen zusammengefunden und die Idee einer gemeinsamen Bildungsreise entwickelt. Zum einen soll das Ziel verfolgt werden, Wissen zu erhalten, zum anderen soll auch die Vernetzung der antifaschistischen Akteure, nicht nur in Sachsen, befördert werden. Im Jahr 2011 führte die Reise nach Paris. Die Teilnehmenden schauten sich unter anderem das Resistance-Mu-
(Saarbrücken), der Verein AKuBiZ e.V. (Pirna) und der TamaraBunke-Verein aus Zittau eine antifaschistische Bildungsreise in die Normandie, um die Spuren des Widerstandes in Frankreich weiter zu erkunden und an den Feierlichkeiten anlässlich des 70. Jahrestages der Landung der alliierten Streitkräfte und des damit begonnen Kampfes regulärer Armeen an der Westfront in Europa gegen das faschistische Deutschland teilzunehmen.
mit Kämpfer_innen der Resistance und der Marquis geben. Um allen Interessierten eine Teilnahme zu ermöglichen, sind die Teilnehmer_innenbeträge nach Einkommen gestaffelt. Um die Teilnahme für Wenigverdiener_innen möglich zu machen, bitten wir Sie/Dich um eine Spende. Gern stehen wir auch für weitere Informationen zur Verfügung. Eine Unterstützung kann auf die nachfolgende Bankverbindung überwiesen werden. Die UnterBild: Frank Vincentz / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
seums Mémorial Leclerc und das Musée Jean Moulin an. Im Jahr davor waren sie in Slowenien auf den Spuren der Partisan_innen. Im Jahr 2012 führte die Bildungsreise nach Dänemark. Über die Reisen kann sich hier informiert werden: http:// infoladen-zittau.de/ Für das Jahr 2014 organisieren der CriThink! e.V. – Gesellschaft zur Förderung des kritischen Denkens und Handelns
Die Organisator_innen möchten einen Teil der NS-Geschichte auf der Reise in die Normandie mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufarbeiten. Auf dieser historischen Reise wird unter anderem das Fort Breendonk, ein ehemaliges Konzentrationslager in Belgien, besichtigt. Neben der Teilnahme an Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Landung in der Normandie soll es außerdem Gespräche
stützer werden namentlich auf Wunsch in sämtlichen Publikationen über die Reise genannt. Wir sagen bereits jetzt herzlichen Dank. AKuBiZ e.V. Volksbank Pirna e.G. Konto: 1000 933 180 BLZ: 850 600 00 Verwendungszweck: antifaschistische Bildungsreise 2014 AKuBiZ e.V., Tamara Bunke Verein
wird dann zu einem späteren Zeitpunkt erneut ein Antrag an den Bundesparteitag gestellt werden. Einigkeit bestand darüber, dass dies zeitlich weder zum Europaparteitag im Februar noch zum Wahlparteitag im Mai möglich sein wird. Sprecher Klaus Czernitzki, gleichzeitig Mitglied im LiMA e. V., informierte über die aktuelle Situation des Vereins und die Tatsache, dass das bisherige geschäftsführende Vorstandsmitglied Christoph Nitz von seinen Aufgaben entbunden wurde (ND und Junge Welt berichteten). Trotz aller Schwierigkeiten wird die LiMA 2014 in der Zeit vom 17.-22. März in Berlin stattfinden. Die BAG wird zudem ein Kontingent von 40 Tickets erwerben und für Mitglieder der BAG kostenlos zur Verfügung
stellen. Übernachtungs- und Reisekosten müssen dann über die Landesarbeitsgemeinschaften geklärt werden. Diese werden nur in Ausnahmefällen von der BAG übernommen. Für den 22. März ist zudem eine weitere Gesamtmitgliederversammlung der BAG geplant, auf der dann auch der neue Sprecherrat gewählt werden wird. Wer sich vorstellen kann, in diesem Gremium mitzuarbeiten, ist gebeten, sich zu melden. Die Mitgliederversammlung am 12. Januar 2014 wählte, wie bereits erwähnt, auch die Delegierten zu den Bundesparteitagen. Vertreten wird die BAG Rote ReporterInnen durch Isabel Michels (Niedersachsen), Simone Hock (Sachsen) und Klaus-Dieter Heiser (Berlin). Simone Hock
Wir stellen vor:
Die Neuen im Landesvorstand In dieser Ausgabe: Juliana Zybul, 38, Steuerfachangestellte, Sozialpädagogin Warum hast Du Dich entschieden, für den Landesvorstand zu kandidieren? Als Mutter von zwei Kindern und Elternsprecherin an der Sorbischen Mittelschule in Ralbitz blicke ich kritisch auf die Entwicklung unseres Bildungssystems wie auch den zukünftigen Weg der Sorben innerhalb unseres Bundeslandes. Ich musste in der Vergangenheit miterleben, wie groß die Gefahr ist, dass seitens der Landesregierung weiter an der Schließung sorbisch-sprachiger, aber auch anderer Schulen, insbesondere auf dem Land, gearbeitet wird. Gemeinsam mit der Partei Die LINKE und engagierten sorbischen Vertretern/ innen konnte ich vor einigen Jahren verhindern, dass die sorbische Mittelschule in Ralbitz ein ähnliches Schicksal erfährt wie andere Einrichtungen der Sorben bzw. Institutionen auf dem Land. Von diesem Moment an sagte ich mir: Ja, genau das möchte ich, weil ich überzeugt bin, gemeinsam mit der Partei DIE LINKE unsere Ziele zu erreichen. Es war mir eine Herzensangelegenheit, für den Landesvorstand zu kandidieren und meine Erfahrungen als Potential einzubringen. Was sind die wichtigsten Ziele Deiner Vorstandsarbeit? Zentrale Ziele meiner Vorstandsarbeit sind die Vertretung unserer bildungspolitischen Gedanken wie auch ein fester Standpunkt für den Erhalt
der sorbischen Sprache und Kultur. Durch mein Studium der Sozialpädagogik wurde mir klar, dass die Bildung unserer Kinder ein inhaltlich fundiertes Gesicht mit ganzheitlichem Anspruch benötigt. Durch den Beschluss neuer Bildungspolitischer Leitlinien durch die Landespartei ist somit für uns alle ein weiterer Eckstein auf dem Weg zu einer erfolgreichen Landtagswahl 2014 gesetzt. Aber diese Inhalte sollen vor allem authentisch mit Leben erfüllt sein. Politik ist nicht nur eine Programm-, sondern auch eine Stilfrage. Das Sorbische beispielsweise ist mehr als Tradition oder Folklore – es ist ein lebendiger Beitrag auch zu einer sächsisch-europäischen Kultur der weltoffenen Gesellschaft. Welche Themen liegen Dir besonders am Herzen und warum? Da ich neben meiner Arbeit im Landesvorstand auch als Pädagogin tätig bin, stehen besonders bzw. vorrangig die Themen auf dem Gebiet der Bildungspolitik im Fokus. Mein Beruf zeigt täglich, dass wir besonderen Herausforderungen gegenüberstehen und eine entsprechend sichere bildungspolitische Ebene benötigen. Als eine der beiden Sprecherinnen der Sorbischen Linken blicke ich wachsam auf die gesamte Entwicklung in Fragen für sorbische Angelegenheiten. Besonders als Mutter ist es für mich wichtig, dass unsere Kinder auch in Zukunft ihre Sprache und Kultur pflegen können, besonders im ländlichen Raum.
Sachsens Linke! 01-02/2014
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Die Ukraine im geostrategischen Sandkasten Medien und Politik ringen zurzeit um die Deutungshoheit hinsichtlich der Entwicklungen in und um die Ukraine. Dabei stellen sie die seit Wochen in Kiew Protestierenden assoziativ bevorzugt in eine Reihe mit den Aufbegeh-
sierungsschub der Ukraine und für eigenes nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Frühzeitig suchten die politisch Herrschenden der postsowjetischen Ukraine den Ausweg im Schulterschluss mit der EU und machten die „Westorien-
erungen von Erweiterungskommissar Füle, der sich gegen Bestrebungen der Wiederauflage einer Politik des Cordon Sanitaire (Sicherheitspuffer aus unabhängigen Staaten, d. Red.) zur Russischen Föderation aus-
die EU soll ausdrücklich nicht eine Mitgliedsperspektive in der EU eröffnen. Vielmehr geht es um die Durchsetzung feststehender und nicht verhandelbarer ökonomischer und juristischer Normensysteme der EU in diesen Län-
spricht, halten viele politisch Verantwortliche in der EU und v. a. in ihren Mitgliedstaaten daran fest, die an den Westen grenzenden ehemaligen Sowjetrepubliken aus der GUS herauszubrechen und den Einfluss Russlands möglichst auf sein Staatsterritorium zu begrenzen. Die politische Umsetzung dieser Option erhielt 2008 mit der Politik
dern und die Öffnung der entsprechenden Märkte für westeuropäische Unternehmen. Die von der EU hierfür entwickelten und aneinander gekoppelten Instrumente sind Assoziierungsabkommen und sogenannten vertiefte und umfassende Freihandelsabkommen. Diese beiden Abkommen mit der Ukraine zu unterzeichnen, stand für Rat und Kommission ganz oben auf der Tagesordnung des im November letzten Jahres in Vilnius tagenden Gipfels der östlichen Partnerschaft. Drei diesem Ansinnen entgegenlaufende Prozesse ließen den Wunsch jedoch wie eine Seifenblase platzen. Die EU selbst macht eine tiefgreifende wirtschaftliche, politische, aber auch institutionelle Krise durch, die weltweit mit einer deutlich abnehmenden Attraktivität und einer begrenzten eigenen Handlungsfähigkeit einhergeht. Das wurde besonders sichtbar, als die Ukraine angesichts eines nach 2008 drohenden zweiten Staatsbankrotts auf die bei der EU angefragte Finanzunterstützung nur ein Abwinken erhielt. Das musste Präsident Janukowytsch angesichts der 2015 anstehenden Wahlen und seines kompromisslosen
Der Dnepr in Kiew. Bild: Dmitry A. Mottl / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
renden im arabischen Raum, um zu suggerieren, es würde um eine historische Wahl zwischen dem demokratischen „Westen“ und dem autokratischen „Osten“ gehen. Stimmen die Interpretationsmuster aber wirklich, oder: Worum geht es gerade in der Ukraine? Zwanzig Jahre nach der Unabhängigkeit ist die Ukraine noch immer auf der Suche nach sozialer und wirtschaftlicher Stabilität und damit auch ihrer Position im europäischen und weltpolitischen Koordinatensystem. Die in den Neunziger Jahren im Land durchgeführten marktradikalen Wirtschaftsreformen hatten zwar eine umfassende Privatisierung der Wirtschaft, nicht aber deren Modernisierung zum Ergebnis. Noch heute ist Subsistenzwirtschaft weit verbreitet, steht die Wirtschaft auf schwachen Füßen, sind ihre Produkte auf den globalen Märkten kaum konkurrenzfähig. Die traditionell tiefen wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland sichern der Ukraine in diesem Kontext wirtschaftlich stabile Rahmenbedingungen. Sie bieten wegen des eigenen Modernisierungsstaus aber keine hinreichende Basis für den benötigten Moderni-
tierung“ zur unumstößlichen Komponente der eigenen Außen- und Sicherheitsdoktrin, eine Orientierung, an die sich alle ukrainischen Präsidenten und Regierungschefs unabhängig der innenpolitischen Machtkämpfe untereinander nicht nur stoisch gehalten, sondern die sie auch praktisch umgesetzt haben. So ist die Ukraine heute z. B. in die
Bild: Premier.gov.ru / Wikimedia Commons /CC BY 3.0
EU-Battle Groups integriert und nimmt ebenso aktiv an militärischen Aktivitäten der NATO teil. Die EU nutzt diese Entwicklungen als geostrategische Option: Entgegen den Beteu-
der Östlichen Partnerschaft einen formalen Rahmen. Das mit dieser Politik angestrebte Heranführen der Ukraine, und ebenso von Weißrussland, Moldawien, Armenien, Georgien und Aserbaidschan an
Kurses auf politische Machterhaltung vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Kollapses in Richtung Moskau treiben. Ungeachtet dieser Situation trieben Rat und Kommission mit Forderungen wie u. a. der nach der Freilassung der verurteilten ehemaligen Ministerpräsidentin oder der Absetzung des Generalstaatsanwalts den politischen Preis für die Ukraine permanent nach oben und stellten damit für die herrschenden Machteliten in der Ukraine die Machtfrage. Angesichts der 2015 anstehenden Wahlen und des zunehmenden Drucks aus Russland war man in Kiew aber nicht bereit, diesen Preis zu zahlen. Russlands Agieren, auch als Ausdruck eines sich verschärfenden geopolitischen Konflikts zwischen der EU und Russland, hat sich jüngst in dem Maße verschärft, wie sich das sich in Moskau gegenseitig ablösende Präsidentenduo Putin/Medwedew darauf verständigte, das Land aus der Verwahrlosung der Jeltsin-Ära herauszuführen und hierfür mit der Eurasischen Union ein eigenes, mit der EU konkurrierendes Integrationsprojekt aufzusetzen – womit man den strategischen Interessen der EU nach freiem Zugang zu den russischen Märkten und Ressourcen in die Quere geriet. Seit der von Präsident Janukowytsch verweigerten Unterschrift unter die Abkommen setzt die EU mehr oder weniger offen auf den Sturz des ‚unzuverlässigen‘ und damit ‚störenden‘ Partners. An seine Stelle soll ein von der EU finanziell und politisch beeinflusstes Parteienkartell treten, das aus den drei, über den weiteren Kurs des Landes selbst zerstrittenen, Pro-EU-Parteien der ehemaligen Ministerpräsidenten Tymoschenko und des BoxWeltmeisters Klitschko sowie der mit der NPD und der französischen Front National eng kooperierenden rechtsextremen Partei Swoboda besteht. Dieses, nur einen kleinen Teil der bemerkenswert breiten politisch pluralistischen Gesellschaft der Ukraine repräsentierende, Kartell wird uns von den Medien gerade als der sogenannte MaidanProtest verkauft. Quo vadis, ukrainische Bürgerinnen und Bürger? Helmut Scholz, Dr. Norbert Hagemann
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Mein Bauch gehört nicht mir, sondern so einem konservativen Arschloch Oder: Wie das Europäische Parlament die Stärkung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit verhindert hat Großes Tohuwabohu war am 22. Oktober 2013 bei der Sitzung des Europäischen Parlamentes (EP) in Straßburg angesagt. Grund dafür war der erstmals im Plenum vorgestellte Initiativbericht der portugiesischen Abgeordneten Edith Estrela (S&D). Er trug den Namen „Sexuelle und reproduktive Gesundheit und die damit verbundenen Rechte“ (sexual and reproductive health and rights = SRHR). Berichte im Europäischen Parlament Abgeordnete können in Ausschüssen sogenannte Initiativberichte entwerfen, die dann dem Parlament vorgestellt werden. Finden die Abgeordneten den Bericht gut und stimmen zu, wird er der Kommission vorgelegt. Diese muss darauf reagieren. Wie, ist nicht festgelegt. Es kann ein Vorschlag für eine Richtlinie oder eine Verordnung kommen, muss aber nicht. Der formalen Form entsprechend kommen erst Verweise auf Berichte, Resolutionen und andere wichtige Texte zu diesem Thema. Darauf folgen Er-
wägungen und Erkenntnisse, die deutlich machen sollen, warum der Bericht wichtig ist. Zum Schluss kommt das Wichtigste: die Forderungen an die Europäische Union. Der Bericht bezieht sich gleich am Anfang auf die Schlusserklärung und das Aktionsprogramm der Internationalen Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung (ICPD) 1994 in Kairo. Darin wird sexuelle und reproduktive Gesundheit als ein Zustand des physischen, mentalen und sozialen Wohlbefindens in Zusammenhang mit der individuell ausgelebten Sexualität verstanden. Jede Person hat das Recht, selbst zu entscheiden, wann, wie oft und in welcher Form sie Sex hat. Alle Menschen, egal welchen Alters, sollen einen freien Zugang zu Informationen über Sexualität, aber auch zu sicheren Maßnahmen der Familienplanung und medizinischer Versorgung vor, während und nach einer Schwangerschaft haben. Dieses Aktionsprogramm, das von 180 Staaten unterzeichnet wurde, hält fest, dass SRHR ein Menschenrecht und in nationalem wie auch internationalem Recht festgeschrieben ist. Die den Bericht einleitenden Verweise und Erwägungen lassen das feministische Herz höher schlagen. Die SRHR gelten für alle Menschen, egal welcher Herkunft, sozialen
Stellung oder sexueller Orientierung. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die parlamentarische Verpflichtungserklärung zur Durchführung des ICDP-Aktionsprogramms und viele andere Hinweise unterstreichen die Grundlage und die Verankerung dieses Themas. Die Gleichstellung der Geschlechter ist durchaus eine präsente Forderung innerhalb der EU. Dennoch betont die Berichterstatterin, dass die faktische Ungleichbehandlung in Verbindung mit weit verbreiteten und immer wieder reproduzierten stereotypen Ansichten über Geschlechter eine große Hürde für die Umsetzung der SRHR darstellt. Das Herzstück: Kontroverse Forderungen Die Forderungen der Berichterstatterin sind bis in das Detail durchdacht. Die SRHR stellen ein grundlegendes und unumstößliches Element der Menschenwürde dar. Zum Schutz der Menschenwürde sei es notwendig, dass reproduktive Wahlmöglichkeiten in einem diskriminierungsfreien Raum zur Verfügung stehen. Ziel sei es, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch durchzusetzen. Das Mindestmaß an Menschenwürde, fordert der Bericht ein, seien legale Schwangerschaftsabbrüche nach einer Vergewal-
tigung oder wenn sie eine Gefahr für das Leben der Frau darstellen. Gefordert werden ebenfalls, unter anderem, eine umfassende und altersgerechte Sexualerziehung in Schulen, eine EU-weite Datenerfassung über sexuelle und reproduktive Gesundheitsindikatoren und ein Ausbau der Prävention und Behandlung von sexuell übertragbaren Krankheiten. Stichhaltige Argumente gegen den Bericht gab es keine, deshalb wurde der Pappkamerad der nicht beachteten Subsidiarität aufgestellt. Die EU solle sich nicht in die Gestaltung nationaler Gesundheitspolitik einmischen. Das entkräftende Argument liefert der Bericht selbst. Obwohl nicht im Befugnisbereich der EU, hätte solch ein Beschluss bewirkt, dass die EU offiziell unterstützend zur Seite stehen könnte. Eine Bürgerinitiative macht Druck Die europäische Bürger_Inneninitiative „One of Us“ hat im Vorfeld mächtig Stunk gemacht. Bis zum 1. November 2013 sammelte sie insgesamt und europaweit 1.897.588 Unterschriften für das Ziel, dass die EU keine Gelder für embryonale Stammzellenforschung und Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung stellt. Den Begriff der SRHR sehen sie als schöne
Umschreibung für Mord an „ungeborenem Leben“. Die Basis dieser Initiative ist ganz klar, die der Konservativen. Bekannte Botschafter_Innen wie Papst Franziskus, aber auch CDU-Mandatsträger_Innen werben für sie. Verschiedene Websites boten ganz nebenbei noch an, vorgefertigte Texte an Europaabgeordnete zu verschicken – um für die Ablehnung des Berichtes zu plädieren. Die Büros bekamen mehrere tausend Stück – täglich. Gespickt wurde die vorgefertigte Textversion von nicht wenigen mit wüsten moralischen Drohungen und Worten wie „Können Sie das vor Gott verteidigen?“, „Wie können Sie Mord nur zustimmen?“, „Sie wird eine gerechte Strafe treffen!“ Der öffentliche Druck durch die Petition, Demonstrationen und die teils einseitige Berichterstattung über diesen Bericht hatten einen großen Einfluss darauf, dass der Bericht bei der ersten Lesung im Parlament im Oktober in den Ausschuss zurückverwiesen wurde. Dort wurde er noch einmal bearbeitet und mit kleinen Änderungen dem Plenum im Dezember erneut vorgelegt. Dort ist er mit einer sehr knappen Mehrheit von nur 5 Stimmen wieder abgelehnt worden. Die Europäische Union ist nicht per se gegen die SRHR. Schon in der Vergangenheit gab es mehrere Beschlüsse zu ihrer Förderung, nur eben ohne eine Forderung nach der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Damit wurden der Gleichstellung wieder einmal riesige Brocken in den Weg gelegt. Aber auch der Forderung nach einer unvoreingenommenen, wissenschaftlichen und altersentsprechenden Sexualerziehung wurde durch die Ablehnung des Berichts eine Abfuhr erteilt. Um Gleichstellung nicht nur auf dem Papier zu bejahen, muss sie auch endlich voll und ganz umgesetzt werden. Und dazu gehört eben auch die Entscheidung über den eigenen Körper. Und die individuelle Familienplanung. Marie Wendland Der Estrela-Bericht zum Nachlesen unter: h t t p : / / w w w. e u r o p a r l . e u ropa.eu/sides/getDoc. do?pubRef=-//EP// TEXT+REPORT+A7-20130426+0+DOC+XML+V0//DE oder unter dem Aktenzeichen A7-0426/2013
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Jugend
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Als junger LINKER im Stadtrat
Du bist jetzt schon eine ganze Weile politisch aktiv, auch bei Dir in der Kommune. Was genau machst Du da und seit wann? Seit 2004 sitze ich hier in Geringswalde im Stadtrat, zwischendurch war ich fünf Jahre lang Jugendbeauftragter der Stadt. In der Fraktion DIE LINKE darf ich mich stellvertretender Fraktionsvorsitzender nennen. Die Aufgaben sind sehr unterschiedlich im Stadtrat, meist Redebeiträge – aber ich finde, dass sich Politik nicht nur im Rathaus abspielen darf, sondern draußen auf der Straße, sei es eine Demo, ein vor-Ort-Termin, ein Gespräch oder einfach mal ein „Hallo“ ... Wie bist du denn überhaupt auf die Idee gekommen, in Geringswalde für den Stadtrat zu kandidieren? Nun, das ergab sich damals, als wir in der Schule das Klassenzimmer streichen wollten und im Stadtrat waren, um nach Geld für Farbe zu betteln. Damals hat nur die PDS gesagt: „Klar, macht das, klingt gut“. Dieses Erlebnis, etwas machen zu wollen, mit dem Rückhalt der damaligen Schule und dem „Nein“ der übrigen Stadtratsfraktionen, hat
mich irgendwie geprägt und das war dann, als man mich fragte, auch der Punkt, wo ich etwas verändern wollte. Wie viele sitzen denn insgesamt bei euch im Stadtrat – und wie viele davon sind jung? 16 Stadträte, davon bin ich mit 30 Jahren der Jüngste :‘( Hattest du Startschwierigkeiten im Stadtrat? Nun, die Schwierigkeiten hatten eher die anderen (lacht). Klar är-
eingereicht von einer anderen Fraktion, wieder. Und am Ende zählt, dass etwas Gutes umgesetzt wird, womit mensch das Leben vor Ort besser macht. Was siehst Du als Erfolg Deiner Stadtratstätigkeit? Nun, einiges. Das geht vom Bau eines Bolzplatzes über die Kostenfreie Nutzung der kommunalen Turnstätten und Gebäude durch Vereine bis hin zur Verhinderung von Steuererhöhungen. Die Hundesteuer sollte beispielsweise erhöht werden, Bild: privat
David Rausch ist 30 Jahre alt und als Stadtrat in Geringswalde aktiver Kommunalpolitiker. Wir haben mit David über positive und negative Erlebnisse gesprochen, die ein junger Mensch in der Kommunalpolitik hat.
gert mensch sich, wenn ein Antrag von einem abgelehnt wird. Aber – und das haben mir die vergangenen neun Jahre Stadtrat gezeigt – meist fand ich meinen Antrag drei Monate später,
und unsere Fraktion war als einzige dagegen. Als es dann zur Abstimmung kam, organisierten wir eine Demo mit 70 Geringswaldern vor dem Rathaus. Alle Stadträte sind umgekippt, das
Steuererhöhungsthema war vom Tisch. Okay, und gibt es irgendetwas, was dich frustriert? Oh ja. Sitzungen hinter verschlossenen Türen zum Beispiel. Oder die Arroganz mancher, über Themen zu entscheiden, ohne mit den Betroffenen vorher geredet zu haben. Zum Beispiel wurde ein Jugendparlament bei uns abgelehnt, weil eben Leute im Stadtrat mit Altersdurchschnitt 65 meinen, genau zu wissen, was „die Jugend“ braucht und will. Wie liefen denn Dein Wahlkampf und Deine Wahl ab? Nun, als junger Mensch stach ich auf dem Wahlzettel mit all den nicht so jungen anderen Kandidierenden hervor und hatte es schon deshalb relativ leicht. Außerdem platzierte mich die PDS damals auf dem zweiten Listenplatz. Und dann waren ja vier Jahre Zeit, um mich zu beweisen. Bei der letzten Wahl hatte ich dann von allen Kandidierenden mit Abstand die meisten Stimmen. Das hat manchen damals ganz schön gewurmt. Was würdest du jungen Leuten sagen, die überlegen, für ein kommunales Mandat anzutreten? Da würde ich raten, die Überlegung schnell in die Tat umzusetzen. Und das geht am besten bei der LINKEN. Und unsere Zukunft gestalten wir am besten doch selbst. Die Fragen stellte Tilman Loos.
Heraus zum 8.März! Frauen*kampftag 2014 Am 8. März 2014 findet wieder der sogenannte „Internationale Frauentag“ statt. Als die Genossinnen 1911 den ersten Frauentag ins Leben riefen, ging es um die Erkämpfung gleicher gesellschaftlicher und poli-
Du hast Lust auf Kommnalpolitik, weißt aber noch nicht genau, wie das alles so läuft? Stadtrat und Gemeindetag sind für Dich abschreckende Worte, aber wie sowas läuft, wolltest Du trotzdem mal wissen? Kein
tischer Rechte. Auch viele folgende Generationen riefen Forderungen nach Gleichstellung auf den Plan, der 8. März hat dabei immer eine wichtige Rolle gespielt. Viele der Themen und Forderungen sind heute nach
Problem! Wir planen gerade eine kleine Veranstaltung für alle interessierten Menschen – egal ob Mitglied oder nicht. Außerdem wollen wir die Vernetzung der Interessierten, Kandidierenden und der jungen
wie vor aktuell. Doch leider sind aktuell die ursprüngliche Funktion und die politischen Anliegen des Frauentages weitgehend verloren gegangen. Nur ganz vereinzelt wird dieser Tag als Anlass zur politischen Ausei-
und junggebliebenen Kommunalpolitiker_innen stärken. Dazu haben wir eine Mailingliste eingerichtet, die nur darauf wartet, dass ihr euch eintragt. communal.linksjugend-sachsen.de
nandersetzung mit Sexismus, gesellschaftlichen Ungleichheiten und Diskriminierung genommen. Deswegen hat sich ein breites bundesweites Bündnis gefunden, das den 8. März zu einem Tag des politischen Kampfes machen will. Es gilt, feministische Forderungen offensiv in die Öffentlichkeit zu tragen. Das Bündnis ruft zu einer bundesweiten, kämpferischen Demonstration am 8. März 2014 in Berlin auf, die von allen solidarischen Menschen so groß und bunt wie möglich gestaltet werden soll. Startpunkt ist der Gesundbrunnen um 14 Uhr, die Demo zieht quer durch die Innenstadt. Auch in Leipzig wird ein Bündnis aus lokalen Gruppen Veranstaltungen organisieren, Aktionen durchführen und für die Demonstration mobilisieren. In Dresden und Chemnitz entstehen weitere Aktivitäten. Es wird Busse aus verschiedenen Städten geben. Weitere Infos: www.frauenkampftag2014.de
Termine 06. Februar 2014, ab 18:00 Uhr: „Aktionstraining - gut vorbereitet und angstfrei zur Demo“ im Haus der Begegnung, Großenhainer Straße 93, Dresden 07. Februar 2014, ab 18.30 Uhr: Workshop: 1. Hilfe auf Demos im WUMS e.V., Columbusstr. 2, Dresden 07. Februar 2014, 09:30 bis 17:00 Uhr: Tagung zum institutionellen Rassismus in Sachsen im Deutschen Hygienemuseum, Lingnerplatz 1, Dresden, mehr unter http:// kulturbuero-sachsen.de/index.php/100-tagung-zu-institutionellem-rassismus-insachsen.html 08. Februar 2014, ab 19:00 Uhr: Vortrag und anschließendes Solikonzert „Antiziganismus in Tschechien“ im AZ Conni, Rudolf-Leonhard-Straße 39, Dresden 12. Februar 2014, ab 19:00 Uhr: Vortrag und Diskussion, Wer schützt unsere Verfassung? Betrachtungen zur Tätigkeit des Verfassungsschutzes. Mit Bodao Ramelow. WIR AG, Martin-Luther-Straße 21, Dresden 13. Februar 2014: Mahngang Täterspuren und Nazis blockieren in Dresden, aktuelle Infos unter http://www.dresden-nazifrei.com/ 14. Februar 2014, ab 23 Uhr Uhr: Soliparty OPEN YOUR FUCKING MIND im Sabotage, Bautzner Str. 75, Dresden 19. Februar 2014, ab 18:30 Uhr: Vortrag: Gibt es „Extremismus“? in der TU Dresden 01. März 2014, abends: Vernetzungstreffen für junge Kommunalpolitiker_innen und Kandidat_innen in Leipzig, Infos unter http://kommunal. linksjugend-sachsen.de/ 02. März 2014: Landesjugendplenum in Leipzig, Infos unter http://www.linksjugend-sachsen.de folgen 05. März 2014: Nazis in Chemnitz im Weg stehen: http://chemnitz-nazifrei.de/ 08. März 2014: Internationalen Frauen*kampftag, mehr unter http://www.linksjugend-solid.de/kampagnen/ frauenkampftag-2014/ 15. März 2014: 11. Landesparteitag DIE LINKE. Sachsen im Flughafen Dresden Mehr Infos unter www.linksjugend-sachsen.de
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DIE LINKE im Europäischen Parlament
01-02/2014 Sachsens Linke!
„Europäische Kommune, kommunales Europa“ Als ich letzten Dezember in Duisburg war, führten mich unsere Stadtratsgenoss/innen durch ihre Stadt. Duisburg ist etwas kleiner als Dresden, wesentlich ärmer und hat einen monatlichen Zuzug von ca. 200 Einwanderern. Geschätzte 8000 Roma aus Bulgarien und Rumänien sind nach Duisburg gekommen, die meisten kennen sich aus ihrer Herkunftsregion. Sie sind Einwanderer, nach EU-Recht steht ihnen Freizügigkeit zu. Aus bitterarmen Verhältnissen stammen sie, die meisten leben jetzt im Stadtteil Hochfeld. Es gibt einen Platz in der Stadt, wo jeden Morgen Hunderte Roma stehen und als Tagelöhner von Firmen angeheuert werden. Sie erhalten Lohn, besser „Taschengeld“, oder manchmal gar nichts. Ein gutes Geschäft nicht nur für halbseidene Firmen. Geht man durch die Stadt, dann findet man in diesem Stadtteil, den „Die Zeit“ zum „Symbol des Schreckens“ hochstilisiert hat, nicht nur das so genannte Problemhochhaus, wo auf kleinstem Raum an die 1000 Menschen leben, sondern auch an jeder Straßenecke Vereine und Organisationen zur Beratung und Betreuung der Neuankömmlinge. Ich habe selten so viele unterschiedliche Anlaufpunkte für Einwanderer gesehen wie dort. Duisburg selbst ist mit 2 Mrd. Euro hoch verschuldet. Die Stadt ist auf private Betreiber solcher Häuser angewiesen, weil sie selbst keinen sozialen Wohnungsbau betreibt und keine Wohnungen besitzt. Die Stadt erarbeitete ein Handlungskonzept zur Integration der
Einwanderer, das ca. 18 Mio. Euro zwingend benötigt. Das Land hat aber nur 1,6 Mio. Euro herausgerückt. Es gibt kein Programm der Regierung, das speziell auf die erhöhten Integrationsbedürfnisse dieser Region zugeschnitten wäre, obwohl die EU vorschreibt, Aktionspläne dafür zu erarbeiten. Dafür gibt es eine EU-Roma-Strategie, die konkrete Vorgaben zur Wohnungs-, Bildungs-, Gesundheits- und Arbeitsintegration macht. Aber diese im Ganzen vernünftige Strategie wird nicht „verordnet“, es mangelt also an Verbindlichkeit, obwohl das Europaparlament diese eingefordert hat. Als Verordnung oder Richtlinie könnte bei deren Nichtumsetzung beispielsweise mit einem Vertragsverletzungsverfahren die Umsetzung erzwungen werden, wie in Wirtschaftsangelegenheiten üblich. Duisburg kann aufgrund der hohen Verschuldung selbst keine EU-Mittel abfassen. Es sei denn, das Land würde die Kofinanzierung übernehmen, das tut es aber nicht. Ab 2014 sehen sowohl der EFREFonds als auch der ESF-Fonds spezielle Fördermöglichkeiten für „marginalisierte Gemeinschaften“ besonders „von Diskriminierung Betroffene“ vor. Mit dem Blick insbesondere auf Roma wurden die Zielstellungen beider Fonds durch die Förderung solcher Gemeinschaften und Bevölkerungsgruppen ergänzt, übrigens auf Grund unseres Fraktionsantrages in den Verhandlungen. Nun muss regional gehandelt werden, das heißt
auf Landesebene. Natürlich gibt es auch Bundes- und Landesprogramme, die genutzt werden können, wie die Soziale Stadt oder Quartiersmanagement etc. So bleiben Möglichkeiten ungenutzt und Probleme offen. Die alten und neuen Duisburger werden vom Land hängengelassen. Also tun sie, was irgend geht. Roma-Kinder werden mit Erfolg beschult, Eltern gleich mit einbezogen. Ich habe in Duisburg viele engagierte Menschen kennen gelernt, vor denen ich mich verneige. Und doch sorgt das fehlende Zusammenspiel zwischen europäischer und Landespolitik dafür, dass Probleme wie mit einem Schneeschieber aufgetürmt werden. Und da haben wir noch den Rassismus, gut geschürt vom ehemaligen Innenminister und dem bayrischen Großfürsten in Union mit dem britischen Premier. Weil sie die von ihnen zwar lange verzögerte, aber letztlich nicht verhinderte Freizügigkeit von Bulgarien und Rumänien nicht noch weiter verschieben konnten, schlugen sie im Europäischen Rat vor, die Freizügigkeitsrichtlinie zu novellieren. In den ersten drei Monaten sollen Einwanderer keine Sozialhilfe leisten, Sozialhilfeleistungen sollen gekürzt werden, wenn jemand arbeitslos wird oder ist. Damit gerieten Europas Nationalisten in direkten Konflikt mit der Kommission. Die Kommissare Reding und Andor wiesen diese Ungleichbehandlung zurück, übrigens mit breiter Unterstützung des Europaparlamentes. Eine pauschale Absenkung
der Sozialhilfe für Einwanderer verstößt gegen EU-Recht und kann daher in der Bundesrepublik nicht durchgesetzt werden. Bis der nächste „Vorschlag“ der konservativen Clique von CSU und CDU kommt … An diesem Beispiel zeigt sich die enge Verknüpfung von europäischer Landes- und kommunaler Politik. 60 bis 70% aller unmittelbaren Entscheidungen in der Kommune haben mit EU-Recht zu tun, im Guten wie im Schlechten. Die gesamte Innenpolitik unseres Landes ist europäische Innenpolitik, eher von Brüssel als von Berlin geprägt, was die Grundausrichtung angeht. Das trifft für andere Politiken auch zu, und die Fragen sind immer konkret, auch in Bezug auf unser Europawahlprogramm, das sich für ideologische Stellvertreterkriege nicht eignet. Wir können natürlich die EU zum Hort des Bösen erklären. Abgesehen davon, dass es die Politik der Regierungen im Rat, die die Musik in der EU weiterhin bestimmen wollen, also Merkel und Co., entlastet, ist es auch noch falsch. Der Fiskalpakt zum Beispiel, mit dem ganze Mitgliedsstaaten ausgeblutet werden können, wurde weder vom Europaparlament noch von irgendeinem anderen Parlament der Welt beschlossen. Aber von 25 Regierungschefs. Wir können auch trefflich streiten über pro und kontra europäischer Politik und am Ende über eine neue EU, eine linke EU. Oder über den Austritt woraus auch immer. Und apropos Austritt: Wollen wir neuerdings auch aus der BRD austreten? Ich glau-
be nicht, dass wir damit wirklich zu einer anderen EU kommen und auch nur einem einzigen Altoder Neubürger in Duisburg geholfen wird. Wir brauchen ganz andere Debatten. Wie kriegen wir einen Politikwechsel in der EU hin? Denn natürlich muss die EU reformiert werden! Aber für diese Frage müssen wir uns auf die europäische Ebene einlassen, sie als eine eigenständige Politikebene geistig wahrnehmen, politisch betreiben und nicht als Wurmfortsatz des Bundestages betrachten. Wir müssen klären, wie wir die Demokratie auf dieser Ebene stärken wollen, sie transparenter gestalten. Welche konkreten Aufgaben müssen wir in den einzelnen Politikfeldern angehen? Welche Bündnisse auf europäischer Ebene sind dafür nötig und möglich? Wie kriegen wir es hin, Rechtsextremisten und -populisten auf europäischer Ebene wirksamer zu bekämpfen? Wir sind als Linke die Einzigen, deren Zielstellung es ist, eine Sozialunion auf europäischer Ebene zu entwickeln. Niemand sonst steht für diesen Politikansatz und gilt aus dieser Sicht als glaubwürdig. Auch deshalb hat die Europäische Linke Alexis Tsipras zu ihrem Europäischen Spitzenkandidaten gewählt, die beste Antwort, und eine redliche, die sich Merkel und Co. wahrhaft verdient haben. Vielleicht ist das ein bisschen so wie David gegen Goliath. Aber nicht nur die Griechen haben sich eine widerständige und einflussreiche Linke verdient. Auch die EU. Cornelia Ernst
Soziale EU statt Ausgrenzung unserer Nachbarn Die CSU hat mit einer unsäglichen Kampagne den Vorwahlkampf auf die Kommunal- und Europawahlen eröffnet. Rumänische und bulgarische Bürgerinnen und Bürger wurden Opfer dieser Diffamierungskampagne, in der Angst vor „Armutszuwanderern“ und vorm Missbrauch der Sozialsysteme geschürt wurde. Seit dem 1. Januar 2014 gilt auch für Menschen aus Bulgarien und Rumänien die Freizügigkeit, ein Kernstück der Europäischen Integration. EU-Bürgerinnen und -Bürger dürfen sich in den EUMitgliedstaaten um einen Arbeitsplatz bemühen. Zehntausende Deutsche nutzen dieses Recht seit Jahren. Die deutsche Politik zeigt sich seit Jahren sehr zugeknöpft, wenn Menschen aus neuen EU-Mitgliedstaaten die Freizügigkeit erhalten sollen, obwohl Zuwanderung von Menschen gerade in Deutschland als Glücksfall betrachtet werden sollte. Die Bevölkerung altert, aber weder werden Frauen aus-
reichend gefördert noch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich verbessert. Derzeit leben und arbeiten etwa 400.000 Menschen aus Bulgarien und Rumänien in Deutschland. Sie zahlen Steuern und Sozialabgaben. Die deutsche Wirtschaft profitiert massiv von diesen Arbeiternehmerinnen und -nehmern. Nur etwa zehn Prozent dieser Menschen nehmen Sozialleistungen in Anspruch; meistens, weil ihre Arbeitgeber nicht genug bezahlen, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu sichern. Einige können sich nicht einmal ein Dach über dem Kopf leisten und werden obdachlos. Vor kurzem wurde das Beispiel eines rumänischen Bauarbeiters bekannt, der für eine Vollzeitstelle in Berlin 600 Euro brutto erhalten hat. Offensichtlich missbrauchen deutsche Unternehmen das deutsche Sozialsystem und die Arbeiterinnen und Arbeiter aus Rumänien. Statt diese Unternehmenspraktiken zu ver-
hindern, werden EU-Bürgerinnen und -Bürger in Deutschland pauschal von Sozialleistungen ausgeschlossen. Das deutsche Sozialgesetzbuch widerspricht mit seiner sogenannten Ausschlussklausel der EU-Grundrechtecharta, der EU-Anti-Diskriminierungsrichtlinie und aus meiner Sicht auch dem Grundgesetz, nach dem niemand wegen seiner Nationalität benachteiligt werden darf. Das muss dringend reformiert werden. Jeder Fall ist individuell zu prüfen, denn Sozialleistungen werden wegen der Bedürftigkeit von Menschen gezahlt. Das ist ein zutiefst humanistischer Anspruch! Über diese Missstände verlieren die Konservativen kein Wort. Wegen ihrer panischen Angst vor der Alternative für Deutschland (AfD) kopieren CSU und CDU Thüringen AfD-Konzepte und schüren lieber Ausländerangst. Sie sollten besser konkrete Vorschläge machen, wie sie den Städten und Kommunen unter die Arme greifen wollen,
die mit der Zahlung von Sozialleistungen überlastet sind. Oder wie den obdachlosen und in Armut lebenden Menschen geholfen werden kann, beispielsweise durch soziale Dienste. Die Konservativen wollten eine schnelle Osterweiterung der EU. Dabei hatten sie neue Absatzmärkte und billige Arbeitskräfte vor Augen. Für Unternehmen versprachen die osteuropäischen Länder billigste Arbeitskräfte, die ohne Rücksicht auf Tarif- und Mindestlöhne und deutsche Arbeitsstandards zu Dumpinglöhnen ausgebeutet werden konnten. Gleichzeitig konnten osteuropäische Märkte mit den eigenen Produkten überschwemmt werden. Diese marktradikale Politik in der EU führt zu tiefen sozialen Spaltungen zwischen Arm und Reich, zu mehr Armut und Arbeitslosigkeit in und zwischen den Mitgliedstaaten. Die Konservativen haben den solidarischen Charakter der europäischen Integration aufgehoben.
Statt Armut zu bekämpfen, grenzen sie Arme aus. DIE LINKE fordert seit Jahren eine soziale Union, in der Wettbewerb nicht durch Sozialdumping und auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und -nehmer ausgetragen wird. Die Konservativen lehnen das ab. Wir wollen eine soziale Union, in der armutsfeste Mindestlöhne und -einkommen Menschen ein würdevolles Leben und die Teilhabe an unseren demokratischen Gesellschaften sichern; eine soziale Union, in der Menschen aufgrund des riesigen Armuts-Reichtums-Gefälles nicht gezwungen sind, ihre Heimatländer zu verlassen und Jobs zu jeglichen Bedingungen anzunehmen. Um das zu erreichen, brauchen wir eine starke Linke in der EU. Gabi Zimmer
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DIE LINKE im Bundestag
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Keinen Stillstand akzeptieren
Immer diese Superwahljahre – schon wieder steht uns in Sachsen ein Wahlmarathon ins Haus: Kommunal-, Europa- und Landtagswahl. Und da Wahlprogramme ja stets ein trefflicher Grund für Streit sind, geht es turbulent zu, in der Partei. Aber inhaltlicher Streit kann ja
Einladung richtet sich auch an Sozialdemokraten und Grüne, deren Herz für einen sozialökologischen Umbau schlägt, aber generell an Menschen in Bewegungen, Gewerkschaften und kritische Köpfe in Kunst und Wissenschaft. Ihr Einsatz ist unverzichtbar, wenn man
mit einem Vorhaben gewinnen will, wird der andere schnell die Schuldenbremse ziehen. So wird es laufen – oder besser gesagt, nicht laufen – denn das Ergebnis wird Stillstand sein. Hinzu kommt – wie schon erwähnt –, dass Union und SPD in diesem Jahr in einigen Bun-
wird viel Tamtam um unbedeutende Fragen gemacht werden. Aber wenn einer der Koalitionspartner oder sogar alle verlieren werden, wird die Nervosität zusätzlich steigen und die Bereitschaft, drängende Probleme zu lösen, sinken. Und gerade die gibt es zuhauf: Riesige Ex-
ergiewende mit sozialem Siegel zu den Schwerpunkten unserer Arbeit machen, weil diese Regierung in diesem Politikfeldern entweder viel zu wenig, völlig Falsches oder einfach gar nichts tun wird. Mit einem Erfolg am Jahresende sind wir übrigens ins neue Jahr
Bild: Jürgen Matern / Wikimedia Commons / CC-BY-3.0
durchaus auch weiterbringen und das hoffe ich auch für uns. Im Jahre 2013 hatten wir Grund zur Freude – schließlich haben wir uns bei der Bundestagswahl konsolidieren können. Andererseits ist die jetzige Kräfteverteilung im Bundestag eine problematische, da sie die Rechte der Opposition arg beschränkt. Nichtsdestotrotz werden wir eine kämpferische Oppositionsführerin sein, die den Finger immer wieder in die Wunden legt. Wir wollen zudem eine Opposition der Einladung sein. Diese
den Zeitgeist verändern will. Und das scheint mir auch notwendiger denn je zu sein, wenn man sich den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ansieht. Soziale Ungleichheit, lahmende Energiewende, kaputt gesparte Kommunen, nichts wird wirklich angepackt. Und so wie sich diese drei Parteien schon jetzt blockieren, wird es so sein, dass die Schuldenbremse das wichtigste Steuerungsinstrument der Großen Koalition wird. Immer, wenn der eine Koalitionspartner Profil
desländern gezwungen sind, gegeneinander Wahlkampf zu machen, auch in Sachsen. Das wird für die Vertrauensbasis in der Koalition nicht förderlich sein und den Stillstand befördern, wo wichtige gesellschaftliche Aufgaben anzugehen wären. Aber beide Koalitionspartner sind ja Meister der Inszenierung, wie wir bei den Koalitionsverhandlungen und beim Mitgliederentscheid der SPD gesehen haben. Deshalb werden die Wahlen wohl nicht zum Sprengstoff werden. Es
portüberschüsse Deutschlands verschärfen die Krise in Europa. Steigende Profite, sinkende Reallöhne, erodierende soziale Sicherheit, eine stockende Energiewende, Klimaveränderungen, die zu großen Naturkatastrophen führen. An diesen Themen werden wir ansetzen. Wir werden deshalb Themen wie Steuergerechtigkeit, Stopp der Leiharbeit, Mindestsicherung, eine Kehrtwende in der Europapolitik, eine friedliche Außenpolitik, den Kampf gegen Rüstungsexporte und eine En-
gestartet: Die Petition von Inge Hannemann zur Abschaffungen der Sanktionen bei Hartz IV fand rund 85.000 Unterstützer_innen. Damit wird auch DIE LINKE Forderung nach sofortiger Abschaffung aller Sanktionen bestätigt. Wir werden die öffentliche Anhörung nutzen, um das Repressionssystem Hartz IV zu skandalisieren, einen Antrag zur Abschaffung aller Sanktionen einbringen und den parlamentarischen und außerparlamentarischen Druck erhöhen. Katja Kipping
deutsche Sozialsystem profitiert von den Rumänen und Bulgaren, die nach Deutschland kommen. Zu der anderen Behauptung der CSU, der angeblich massenhaften Einwanderung: Wie viele werden denn überhaupt kommen? Nach Einschätzung des Direktors des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Zimmermann, ist für 2014 mit maximal 200.000 Zuwanderern zu rechnen. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass umgekehrt auch viele Deutschland wieder verlassen. So kamen nach Daten des Statistischen Bundesamtes 2012 rund 116.000 Menschen aus Rumänien nach Deutschland. Zugleich zogen im selben Jahr rund 70.500 Rumäninnen und Rumänen wieder weg. Politische Flüchtlinge und Zuwanderung aus Südosteuropa sind nicht die Ursache für die gravierenden sozialen Probleme in Deutschland wie Arbeitslosigkeit, Hartz IV, dro-
hende Altersarmut, hohe Mieten und Energiepreise oder ein Bildungssystem, das für Kinder aus sozial schwächeren Haushalten weniger Chancen birgt. Indem Politiker aus der CSU und andere – nicht zum ersten Mal – mit dem Finger auf angebliche Sündenböcke weisen, lenken sie davon ab, dass wir endlich eine andere, gerechte Politik in Deutschland brauchen. Angesichts einer seit Jahren wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich ist es Zeit für eine Umverteilung von oben nach unten. Unsere Aufgabe als LINKE ist es, den Blick darauf zu lenken und realistische Alternativen aufzuzeigen. Michael Leutert
Zuwanderung: Fakten gegen Vorurteile Wenige Themen werden zurzeit öffentlich so intensiv und kontrovers diskutiert wie die Aufnahme politischer Flüchtlinge in und die angebliche Armutsmigration von Rumänen und Bulgaren nach Deutschland. Von der CSU bis zur NPD wird die diffuse Angst vieler Bürgerinnen und Bürger geschürt. Anschläge rechter Gruppen haben nicht lange auf sich warten lassen. Gegen Stammtischparolen und Vorurteile helfen am besten Fakten. Eine unkontrollierte Zuwanderung gibt es in Deutschland nicht – weder aus politischen, noch aus wirtschaftlichen Gründen. Auf der einen Seite gibt es das Recht auf Asyl für Menschen, die in ihrer Heimat verfolgt werden oder in deren Heimat Krieg herrscht. So sind nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unter den fünf Hauptherkunftsländern von Flüchtlingen 2013 mit Russ-
land, Syrien und Afghanistan drei Länder, in denen seit Jahren Krieg oder Bürgerkrieg herrscht, und mit Serbien und Mazedonien zwei Länder, in denen eine Minderheit (Sinti und Roma) zunehmend verfolgt wird. Hinzu kommt, dass das deutsche Asylrecht Anfang der neunziger Jahre erheblich verschärft wurde und nur einer Minderheit der Flüchtlinge Asyl gewährt wird: Laut BAMF wurden bis November im letzten Jahr 74,9 Prozent aller Asylanträge abgelehnt oder aus formalen Gründen gar nicht erst zur Entscheidung angenommen. Nur 1,1 Prozent (!) aller Antragsstellerinnen und Antragssteller wurde Asyl in Deutschland gewährt, für insgesamt weitere 24 Prozent gilt Flüchtlingsschutz oder vorübergehender Abschiebestopp. Auf der anderen Seite geht es um die Einwanderung von Wirtschafts- oder ‚Armutsflüchtlingen’ aus Rumänien
und Bulgarien, die seit Beginn dieses Jahres im Rahmen der EU-Freizügigkeit ohne Visa nach Deutschland reisen dürfen. Angeblich sollen sie in Massen kommen und angeblich nur, um von unserem Sozialsystem zu profitieren. Bernd Riexinger nennt das „Hetze“ und ich schließe mich dem an. Warum? Weil es nicht stimmt und gerade die CSU-Politiker, die das Vorurteil verbreiten, es wissen müssten. Auf eine Kleine Anfrage der LINKEN im Bundestag hat selbst die CDU/CSU-SPD-Bundesregierung Ende Dezember 2013 geantwortet, „dass es sich bei der Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien nicht in erster Linie um sogenannte ‚Armutsflüchtlinge’ handele“. Vielmehr sind es in der Mehrzahl gut qualifizierte Fachkräfte wie Ärzte oder Ingenieure, die in Deutschland gebraucht werden und die in die deutschen Sozialkassen einzahlen. Es ist also umgekehrt: Das
Geschichte
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Eine Frau schreibt Geschichte
Am 26. Januar wurde die amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis 70 Jahre alt
Der 4. Juni 1972 sollte zu einem denkwürdigen Datum in der US-amerikanischen Nachkriegsgeschichte werden. An diesem Tag wurde im kalifornischen San Jose das Urteil über Angela Davis gefällt, die man nach ihrer Enttarnung als Mitglied der KP der USA zunächst des Mordes, des Menschenraubs und der Verschwörung bezichtigt, auf die FBI-Liste der zehn am meisten gesuchten Verbrecher gesetzt und lange, qualvolle Monate in Isolationshaft gehalten hatte. Die damals 29-Jährige wurde in allen drei Punkten freigesprochen, obwohl sich in unter den 12 Geschworenen nur ein Latino und kein Schwarzer befand. Aus der von FBI-Chef Edgar J. Hoover zur Verbrecherin Gestempelten wurde die weltweit gefeierte Siegerin von San Jose. Wie war es zu diesem aufsehenerregenden Prozess gekommen? Als schwarze Frau, militante Intellektuelle, Bürgerrechtlerin, Kommunistin und Pazifistin hatte sich die am 26. Januar 1944 in rassistischen Süden geborene Angela Davis, die Mitte der sechziger Jahre u. a. bei Herbert Marcuse in Frankfurt/Main Philosophie und Soziologie studiert hatte, mit ihrem Eintreten gegen den Vietnamkrieg schon frühzeitig den Hass des USStaates zugezogen. 1970 in-
teressierte sich dann auch das FBI für sie, weil sie im (falschen) Verdacht stand, bei der Beschaffung von Waffen für die Befreiung eines schwarzen Bürgerrechtlers beteiligt gewesen zu sein. Dem bereits seit seinem 18. Lebensjahr in Haft sitzenden George Jackson, der im Gefängnis Mitglied der Black Panther Party wurde, hatte Davis vorgeschlagen, ein Buch über seine Haftbedingungen zu schreiben, was er mit Soledad Brother auch tat. Im August 1970 lieferte sich Jacksons Bruder Jonathan bei einem missglückten Befreiungsversuch in einem Gerichtssaal eine Schießerei mit der Polizei, bei der vier Menschen getötet wurden. Angela Davis wurde vorgeworfen, die Waffe für diesen Überfall geliefert zu haben, da diese auf
ihren Namen gekauft worden war. Gegen ihre Verhaftung im Herbst 1970 entwickelte sich eine weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinausreichende Welle des öffentlichen Protests. So schickten ihr auch viele tausend Menschen, insbesondere Schülerinnen und Schüler aus der DDR, unter dem Motto „Eine Million Rosen für Angela Davis“ Postkarten ins Gefängnis. Jede bzw. jeder, der wie der Autor dieser Zeilen daran aktiv beteiligt war, wird diese beispiellose Solidaritätsaktion nie vergessen. Während bei Sacco und Vanzetti, bei Ethel und Julius Rosenberg die Kraft noch nicht ausreichte, ihre Leben zu retten, gelang es nun bei Angela Davis, deren geplante Hinrichtung in der Gaskammer des
kalifornischen Zuchthauses San Quentin zu verhindern, was sie zu einer globalen Symbolfigur für siegreiche Solidarität machte. Ihre beiden Besuchsreisen in die DDR, die auch die Verleihung der Ehrendoktorwürde für Philosophie durch die Karl-Marx-Universität am 13. September 1972 in Leipzig beinhaltete, glichen einem Triumphzug für Angela Davis, die überall stürmisch und ehrlichen Herzens gefeiert wurde. Ab Mitte der 70er Jahre setzte sie ihre wissenschaftliche Laufbahn in den USA fort und lehrte u. a. von 1975 bis 1977 African American studies am Claremont College und später women‘s and ethnic studies an der San Francisco State University. In den republikanisch dominierten Wahljahren 1980 Bild: Gerd Eiltzer
und 1984 bewarb Davis sich für das Amt der US-Vizepräsidentin mit dem Präsidentschaftskandidaten Gus Hall, dem damaligen KP-Vorsitzenden. 1991 begründete Angela Davis zusammen mit anderen Linken (u. a. Pete Seeger) und ehemaligen KP-Mitgliedern das Committee of Correspondence for Democracy and Socialism. Den Hauptschwerpunkt ihrer vielbeachteten wissenschaftlichen Arbeit der letzten Jahre bildete die Untersuchung des „Gefängnisindustriellen Komplexes“, der Verbindungen zwischen Unterdrückung aufgrund des Geschlechts, der Rasse und der Klasse in den USA und weltweit in Zeiten der Globalisierung nachweist. Sie entwickelte hier Überlegungen, wie der Kampf um Demokratie enger mit dem Kampf gegen die Hinterlassenschaften der Sklaverei verknüpft werden kann. 38 Jahre nach ihrem ersten Leipzigaufenthalt besuchte Angela Davis während einer Deutschlandreise im Juni 2010 auf Einladung der Leipziger LINKEN erneut die Messestadt. Der Abend in der völlig überfüllten „Schaubühne Lindenfels“ zählte gewiss zu den emotional schönsten Veranstaltungen, die der Stadtverband seit 1990 organisiert hatte. „Hier in Leipzig“, erinnerte sich Angela Davis vor dem sichtlich bewegten Publikum, „wurde mir damals ein unglaublich herzliches Willkommen bereitet, das ich niemals im Leben vergessen werde“. Nachträglich Happy Birthday, liebe Angela! Volker Külow
Notiz zu Lenin In diesen Tagen nähert sich der 90. Todestag von Wladimir I. Lenin. Vielleicht eine kleine Notiz in den hinteren Seiten einer Zeitung – das wird es gewesen sein. Und dennoch meine ich, dass es etwas mehr über ihn zu sagen gibt. Ironischerweise geht auch das nur im Rahmen einer Notiz. So ziemlich alles, was die politischen Politikkonzepte Lenins betrifft, kann man als gescheitert betrachten: die Kaderpartei, die Sowjetdemokratie etc. Dennoch bleibt etwas Anregendes zurück: 1. Lenin hat das Verhältnis zwischen marxistischer Theorie und politischer Praxis radikal von der Praxisseite her begriffen. Darin erweist er sich gerade als Gegenteil des orthodoxen Marxisten. Theorie mag hilfreich sein, ei-
ne Situation zu analysieren, aber gegebenenfalls muss sie an die praktischen Herausforderungen angepasst werden. Wenn Russland im Jahre 1917 trotz der Februarrevolution zur weiteren Radikalisierung trieb, stellte sich die Frage, wie die Bolschewiki diese Gelegenheit nutzen konnten. Dass die Orthodoxie predigte, die Revolution könne nur in den entwickelten kapitalistischen Ländern ihren Ausgang nehmen, hat Lenin dabei relativ wenig beeindruckt. Das ist keine Theoriefeindlichkeit, sondern Ablehnung eines orthodoxen Dogmatismus. Immerhin interessiert sich die Wirklichkeit auch nicht für theoretische Vorgaben. 2. Auch im Zusammenhang mit Revolution in Russland hat Lenin für den damaligen Mar-
xismus am klarsten die Frage formuliert, welche Form ein Staat annehmen muss, um einen revolutionären Klasseninhalt haben zu können. Natürlich hat Marx diese Frage genauso aufgeworfen. Aber in der marxistischen Debatte zur Zeit Lenins wurde sie verflacht und musste wieder klar gestellt werden. Sicher ist die Sowjetdiktatur ein Modell, das sich nicht bewährt hat. Am Unverständlichsten ist, warum Errungenschaften wie eine Gewaltenteilung so sträflich ignoriert worden sind. Aber die Fragestellung nach Veränderungen im Staat bleibt richtig. Sie bleibt auch für uns wichtig, sobald wir etwas ambitioniertere Eingriffe in die Produktionsweise politisch ernstnehmen und über Parolen hinausgehen wollen. 3. Über diese genannten,
stets aktualisierungsbedürftigen Probleme hinaus ist Lenin bis heute ein Anreger für die Theoriebildung geblieben. Er war dies schon in den 20er und 30er Jahren, als die Begründer des „westlichen Marxismus“ Georg Lukács, Karl Korsch und Antonio Gramsci wesentliche Impulse durch Lenin erfuhren. Selbst in den Diskussionen der „Kritischen Theorie“ lässt sich Lenins produktive Präsenz nachweisen. Und schließlich war Lenin der erste, der darauf hinwies, dass man Marx‘ „Kapital“ nicht recht verstehen könnte, wenn man nicht den starken Einfluss der Hegelschen Logik, der weit in die Begriffsbildung hineinreicht, dort erkennen würde. Aber auch letzter Zeit ist ein erneutes Interesse aufgeflammt: der sogenannte „Neoleninis-
mus“. Hier wären Autoren zu nennen wie Alan Badiou, Slavoj Žižek und – im Deutschen – Dietmar Dath. Wenn ich es zusammenzähle, so steht der Name Lenin für eine völlig widersprüchliche Gemengelage: Für eine letztlich doch gescheiterte Revolution und die mit ihr verbundenen Konzepte, für einen mit dem Bürgerkrieg entfesselten Massenterror, für das Aufwerfen von bis heute richtigen Fragestellungen, für ein bis heute fortwirkendes Anregungspotenzial der linken Theoriebildung. Das Widersprüchliche muss man stehen lassen. Der Versuch, die Widersprüche zu glätten, wo sie doch wirklich sind, macht uns geistig und dann auch politisch schwächer. Olaf Mimiec
Geschichte
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Russländischer Emigrantenfaschismus in Nazideutschland Im Sog anwachsender faschistischer Bewegungen in Italien, Deutschland, Spanien formierten sich auch innerhalb der 1,6 Mio. Emigranten aus Russland in den 20er und 30er Jahren weltweit faschistische Parteien mit insgesamt 40 000 Mitgliedern – u. a. in Bulgarien und Jugoslawien (1930 Nationaler Bund der Russischen Jugend), in China einschließlich der japanisch besetzten Mandschurei (1931 Russländische Faschistische Partei), in den USA (1933 Allrussische Faschistische Organisation), in Frankreich (1936 Russischer Nationalbund der Kriegsteilnehmer). In Deutschland lebten 1923 600.000 Emigranten, davon mehr als die Hälfte in Berlin. Bayern wurde nicht nur zur Brutstätte des deutschen Nazifaschismus, hier entstand auch schon 1920 eine erste deutschrussische faschistische Organisation, die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung WAV. In ihr wirkten prodeutsche, völkisch-monarchistisch gesinnte baltendeutsche, russische, ukrainische Politiker, Militärs und Unternehmer mit Vertretern der frühen Hitlerpartei wie dem Geschäfteführer der NSDAP und des Völkischen Beobachters Max Amann oder dem Naziideologen Alfred Rosenberg zusammen. Der bayrische Industrielle Freiherr von Cramer Klett, ein finanzieller Förderer der völkischen Wehrverbände der Region, übernahm die Präsidentschaft, sein Vize war der emigrierte Zarengeneral Vasili Biskupskij (1878-1945). Ziel der kleinen Eliteorganisation war es, die Niederlage des kaiserlichen Deutschland 1918 und der zaristischen Konterrevolution im Interventions- und Bürgerkrieg 1917-1920 durch einen gemeinsamen Kreuzzug gegen die als „jüdisch-bolschewistisch“ verunglimpfte Sowjetmacht wettzumachen und den Großfürsten Kirill als Thronnachfolger des hingerichteten Nikolaus II. einzusetzen. Führende Funktionäre des WAV wie dessen Geschäftsführer Erwin Scheubner-Richter (1884-1923) gehörten zugleich zu den Aktivisten des Hitler-Ludendorff-Putsches im November 1923. Erst nach Hitlers Machtübernahme in Deutschland entstand innerhalb nur noch 100.000 (1936) russländischen Emigranten nach dem Vorbild der NSDAP eine Faschistenpartei – die Russländische Völkische Befreiungsbewegung ROND mit Sitz in Berlin-Wilmersdorf und Filia-
len in Brandenburg, Schlesien, Sachsen, Mecklenburg, Vorpommern, Westfalen und im Rheinland. Ihr Führer war der baltendeutsche Weißgardist und Nazi Heinrich Pelchau, der sich den slawischen Namen Andrej Svetozarov zulegte. Parteihymne wurde das Horst-Wessel-Lied mit russischem Text. Die 2000 Parteimitglieder wollten das Land „vom Joch der
dort Elemente vorherrschten, die weder blutsmäßig Russen, noch gesinnungsmäßig Nationalsozialisten waren. Aus Gründen der Staatssicherheit musste deshalb der ,Rond‘ – selbst unter Würdigung des ursprünglichen Wollens der Bewegung – verboten werden“. Es ging aber nicht um ein generelles Verbot der russländischen Faschisten, sondern
1935 Funktionäre des PRO zusammen mit außerpreußischen ROND-Organisationen die Russländische Nationale und Soziale Bewegung RNSD gründeten, deren Führung der Chef der sächsischen RONDFiliale, Oberst Nikolei Skalon, übernahm. Auf seinem 2. Parteitag im Dezember 1935 hatte der RNSD bereits 14 Filialen (u. a. in Dresden, Leipzig,
Molotov und Ribbentrop unterzeichen den deutschsowjetischen Nichtangriffspakt. 23. August 1939. Bild: Wikimedie Commons / nara.gov
dritten kommunistischen Internationale mittels nationaler Revolution befreien“. Die „nationalsozialistische Diktatur“ werde auch in einem neuen „Russland mit angemessener Großmachtstellung“ den Grundsatz „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ durchsetzen, „auf allen Gebieten ein völkisches Leben“ schaffen. Doch bereits am 28. September 1933 entschied das preußische Innenministerium: „Der ,Rond‘ wurde im Anschluss an die nationale Revolution in Deutschland ins Leben gerufen .... Es ist der Leitung nicht geglückt, die Bewegung im nationalsozialistischen Sinne auszubauen, da
um deren politische Unterordnung unter die Ziele des Naziregimes, wie sie Hitler nach 1923 formulierte. Dieses plante nicht nur die Vernichtung des Sozialismus, sondern auch die koloniale Unterwerfung der sowjetischen Staates. Daher kam es schon im Oktober 1933 zum Umbau des ROND mit verändertem Spitzenpersonal unter neuem Namen Partei der Russländischen Befreiung PRO. An die Spitze gelangte „Fürst“ Pavel Bermondt-Avalov (1884-1974), Kommandeur der weißen Russischen Westarmee 1919. Doch die neuerlichen Querelen in der Führung hatten zur Folge, dass Anfang
Breslau, Hamburg, Giersleben, Augsburg). Mit dem Anschluss Österreichs kam die Wiener Filiale der mandschurischen Russischen Faschistischen Partei zum RNSD, nach der Besetzung der Tschechoslowakei 1939 faschistische Emigrantengruppen Prag und Brno auf dem Gebiet des sog. Protektorats Böhmen und Mähren. Die russische Diaspora, die sich in Nazideutschland befand, wurde von der Gestapo kontrolliert und gesteuert. Das geschah seit 1936 zentral durch die Verwaltung der Angelegenheiten der russischen Emigration UDRE unter General Biskupskij, ehemaliger Ko-Vorsitzender der
WAF 1920-1924 und Vertrauensmann Himmlers. Die politische und ideologische Gleichschaltung der Emigranten aus der Sowjetunion durch die UDRE war langwierig. Die Gestapo konstatierte noch 1937, dass der faschistische RNSD zwar die führende Organisation des russländischen Exils sei, es ihm aber noch nicht gelungen sei, den „Großteil der in Deutschland lebenden russischen Emigranten zu erfassen“. So gab es noch die 1935 vom RNSD abgespaltene Russländische Nationale Befreiungsbewegung RNOD unter Oberst lvan Kryzanovskij. Sie wirkte in Berlin, Westfalen, Rheinland, Mecklenburg und Vorpommern. 1938 verlegte der Russische Nationalbund der Kriegsteilnehmer RNSUV unter General Anton Turkul (1892-1957) seinen Sitz von Paris nach Berlin. Im gleichen Jahr gründete mRNSD und RNOD mit den faschistischen Organisationen in China, Japan, Frankreich, Jugoslawiens und Bulgarien die Nationale Front des Ausländischen Russland RZNF; doch die fiel schon 1939 wieder auseinander. Das Naziregime war außerstande, die außerhalb Deutschlands tätigen Gruppen zu kontrollieren. Der unerwartete Abschluss des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes am 23. August 1939 und das Angebot Hitlers an Stalin im November 1940, dem Kriegspakt Berlin-Rom-Tokio beizutreten, ernüchterte und irritierte die Anhänger des russischen Emigrantenfaschismus vor allem in Deutschland und Japan. Zwar blieben dort die faschistischen Parteien bestehen, aber ihre öffentlichen antisowjetischen Aktionen wurden vorrübergehend eingeschränkt. Erst die nazideutsche Besetzung Westund Osteuropas 1939-1941 und die äußerst geheim gehaltene Vorbereitung des Krieges mit der UdSSR seit Dezember 1940 (Barbarossa-Plan) ermöglichten es der deutschen Naziführung, das beachtliche politische und militärische Potential der europäischen Zentren des russländischen Emigrantenfaschismus gleichzuschalten, für den Feldzug gegen die Sowjetunion zu mobilisieren und für den Aufbau der Kollaboration in den 1941-1944 deutschbesetzten Gebieten der UdSSR auszunutzen. Karl-Heinz Gräfe Literaturempfehlung: Halbjahreszeitschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik, Heft 1/2 2013, S. 54-73.
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Termine Leipzig, 6. Februar, Donnerstag, 18.00 Uhr Buchvorstellung und Gespräch »Die Frau meines Vaters - Erinnerungen an Ulrike«. Mit Anja Röhl, Autorin. Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig »Kind sein heißt allein sein, schuld sein, essen müssen, schlafen müssen, brav sein müssen. Kind sein heißt, sich nicht wehren zu können«. So erlebt Anja Röhl ihre Jugend in den 1950er und 60er Jahren. Im Arbeiterviertel HamburgBarmbek herrscht die Dumpfheit der Nachkriegszeit. Die Mutter, als geschiedene Alleinerziehende geächtet, ist erst spätabends zu Hause; der Vater, übergriffig und manipulierend, aber von der linken Schickeria hofiert, kommt nur unzuverlässig; die Altnazi-Großeltern bieten bei kurzen Besuchen noch die meiste Wärme. Doch als sie fünf Jahre alt ist, stellt ihr ihr Vater, der Konkret-Verleger Klaus Rainer Röhl, seine neue Freundin vor: Ulrike Meinhof. Für das Kind ist sie die einzige Erwachsene, die es wirklich versteht, die für es gegen den Vater Partei ergreift, bei der es keine Angst haben muss vor Strafe und bei der es sich zugehörig fühlt. Die Dankbarkeit für diese Erfahrung prägt auch die Beziehung zu Ulrike Meinhof nach deren Trennung von Mann und Kindern. Anja Röhl bleibt ihr verbunden, besucht sie im Gefängnis, schreibt ihr Briefe, allen Anfeindungen zum Trotz und obwohl sie Ulrikes politische Positionen nicht teilt. Ein Dokument der Zeit- und Mentalitätsgeschichte der frühen Bundesrepublik, aus der Per-
Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert
spektive eines Mädchens erzählt. (Edition Nautilus) Chemnitz, 7. Februar, Freitag, 18.00 Uhr Buchvorstellung und Gespräch »Die Frau meines Vaters - Erinnerungen an Ulrike«. Mit Anja Röhl, Autorin. AJZ, Mediencafé m54, Chemnitztalstraße 54, 09114 Chemnitz Dresden, 12. Februar, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion Wer schützt unsere Verfassung? Betrachtungen zur Tätigkeit des Verfassungsschutzes. Mit Bodo Ramelow, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE im Thüringischen Landtag, Erfurt WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Durch die Enthüllungen zu Aktivitäten des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes NSA sind die Tätigkeiten von Geheimdiensten in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Derzeitig wird viel über die USA gesprochen, doch was ist mit den Geheimdiensten, die im Auftrag der Bunderepublik Deutschland tätig sind? Welche Ziele verfolgen sie? Kann man ihre Tätigkeiten als demokratischer bezeichnen? Für Deutschland sind drei Geheimdienste tätig. Nach Innen richten sich die Tätigkeiten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, nach Außen die des Bundesnachrichtendienstes und der Geheimdienst für die Armee ist der Militärische Abschirmdienst. In dieser Veranstaltung wollen wir uns näher mit den Aktivitäten des Verfassungsschutzes beschäftigen. Wir fragen nach seinen Aufgaben, wie er diese löst und fragen, ob es ihm gelingt, zum Einen die Verfassung zu schützen und sich dabei zum Anderen auf dem Boden des Grundgesetzes zu bewegen? Was passiert mit den ermittelten Ergebnissen und wie kommen sie zu Stande? Und wer schützt nun eiVerleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Ter-
gentlich unsere Verfassung? Bodo Ramelow wurde mehr als 10 Jahre durch den Verfassungsschutz beobachtet. Im Oktober 2013 wurde diese Beobachtung vom Bundesverfassungsgericht für rechtswidrig erklärt. Dresden, 14. Februar, Freitag, 16.00 Uhr Exkursion: Dresden im Nationalsozialismus Mit Mathias Beyer, Stadtführer Eine Kooperationsveranstaltung mit igeltour Dresden Kulturpalast/Ecke Schlossstraße, 01067 Dresden Vom Aufstieg der NSDAP - im Mutterland der Sozialdemokratie - zur ersten Ausstellung entarteter Kunst in Deutschland. Von der ersten Bücherverbrennung des “tausendjährigen Reiches” zur zerstörten Synagoge Gottfried Sempers. Die Führung widmet sich einem der dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte, der Rolle Dresdens im Nationalsozialismus. Unser Rundgang durch die Innenstadt blickt hinter vertraute Fassaden und erzählt andere Geschichten von Altmarkt, Semperoper und Brühlscher Terrasse. Dresden, 18. Februar, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion REIHE: JUNGE ROSA Dialektik der Aufklärung – Eine Einführung in die Kulturkritik der Frankfurter Schule. Mit Steffen Juhran, Leipzig. WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden „Seit je hat Aufklärung im umfassendsten Sinn fortschreitenden Denkens das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.“ Mit diesen Worten beginnt die Schrift, die auch als schwärzeste der Frankfurter Schule bezeichnet wird: die Dialektik der Aufklärung. Geschrieben im amerikanischen mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der Lausitzer Rundschau Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 15.150 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter
Exil läutet sie eine pessimistische Wende ein, die für die kritische Theorie bezeichnend werden sollte. Statt der Hoffnung auf Revolution und den Ausgang aus der Vorgeschichte in die Welt vernünftiger Zustände bleibt nur mehr die Frage ‚Wie war dies möglich?‘ Wie konnte der Faschismus seinen Siegeszug antreten, wie der Spätkapitalismus sich so dauerhaft einrichten? Adorno und Horkheimer suchen eine Antwort, indem sie die Aufklärung als Gründungsmythos des Abendlandes einer umfassenden Kritik unterziehen - von der Odyssee bis zur Kulturindustrie des Spätkapitalismus. Der Vortrag wird sich die zentralen Thesen der Dialektik der Aufklärung zum Gegenstand nehmen und eine Einführung in die „pessimistische“ Kulturkritik der Frankfurter Schule bieten. Leipzig, 25. Februar, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion Prüfstein Marx: Zur Edition und Rezeption eines Klassikers Mit Prof. Dr. Matthias Steinbach. Moderation: Prof. Dr. Manfred Neuhaus. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Leipzig, 27. Februar, Donnerstag, 18.30 Uhr REIHE: Rosa L. in Grünau Metropolregion Mitteldeutschland - Fiktion oder reales Zukunftsprojekt? Mit Enrico Stange, Mitglied des Sächsischen Landtags und Dr. Ilse Lauter, Leipziger Stadträtin Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04177 Leipzig Chemnitz, 27. Februar, Donnerstag, 15.00 Uhr Ausstellungsbesuch: Otto Dix und der 1. Weltkrieg. Mit Anja Eichhorn, Kunsthistorikerin, Dresden. Städtische Kunstsammlungen Chemnitz, Museum Gunzenhauser, Stollberger Straße 2, 09119 Chemnitz Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluss: 25.01.2014 Die nächste Ausgabe erscheint am 2702.2014.
In memoriam
Prof. Dr. sc. oec. Hans-Georg Trost Bild: privat
Leipzig, 4. Februar, Dienstag, 18.00 Uhr Buchvorstellung und Gespräch »Heilige Lanzen«. Mit Reinhold Andert. Moderation: Prof. Dr. Peter Porsch Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig
Nach schwerer Krankheit ist unser verehrter Vereinsfreund und Kollege Prof. Dr. sc. oec. Hans-Georg Trost am 12. Dezember 2013 im Alter von 73 Jahren in Zittau verstorben. Hans-Georg Trost gehörte zu jenen Wissenschaftlern, denen die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen Außerordentliches verdankt. Er hat den Regionalen Arbeitskreis Oberlausitz gegründet und ihn länger als ein Jahrzehnt engagiert geleitet. Dabei knüpfte er Kontakte zu Kooperationspartnern in verschiedenen Orten, organisierte und moderierte Vorträge, Lesungen und Konferenzen mit namhaften Wissenschaftlern, Politikern und Künstlern, hielt selbst interessante Vorträge und verankerte so die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen auch in dieser Region. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen hat einen langjährigen und verdienstvollen Mitstreiter verloren. Hans-Georg Trost wird uns sehr fehlen. Wir bezeugen seinen Angehörigen unser tiefempfundenes Beileid und werden unserem verstorbenen Freund ein ehrendes Angedenken bewahren. Dr. Monika Runge, Vorsitzende der Stiftung Prof. Dr. Manfred Neuhaus, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service Tel. 0351-84389773 Konto: 3 491 101 007, BLZ: 850 900 00, Dresdner Volksbank
Essay
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Zwei Bretteln, ein gführiger Schnee juchee ... Wintersport ist in und international! Man merkt es an den Leuten bei den Liften und den
de ich. Nicht weil das Wort aus Norwegen kommt, sondern weil mir Langlauf zu anstren-
unter Umständen adas Prestige von Sprachen, weshalb so mancher und manche hofft,
Alltagskultur so ähnlich, die stark vom angelsächsischen Kulturraum beeinflusst sind,
was nicht – die Beispiele zeigen es – kann bei Entlehnungen kein Regelwerk klären.
Bild: Federicodella / Wikimedia Commons / CC BY 3.0
gend ist. Der schon erwähnte „Lift“ (von englisch: „to lift“ – „heben“) oder eine Seilbahn (bestehend aus zwei schon im Althochdeutschen nachzuweisenden Wörtern) bringt mich zum Ausgangspunkt meiner Abfahrt. Natürlich liebe ich das „Apré ski“, also das, was, französisch gesagt, nach der Anstrengung wartet. Angesichts des obigen Angebots stand ich dennoch etwas ratlos da. Geholfen haben die Bilder. Ist hier ein Problem erkannt, gibt es dennoch keine einfache Lösung. Die Vielfalt der Sprachen besteht nicht in der Isolation des Verschiedenen, sondern in vielfältigen Kontakten der Verschiedenheiten durch die Zeiten bis heute und auch morgen. Alle Sprachen sind
auch das eigene Prestige im Nachäffen oder zumindest unkritischen Übernehmen zu steigern. Das war so mit Latein und Griechisch, das war so mit dem Französischen im 17. und 18. Jahrhundert und das scheint auch heute mit dem Englischen so zu sein. Gelassenheit ist hier, wie oft, die bessere Ratgeberin als Aufgeregtheit. Nicht alles, was von außen kommt, ist natürlich notwendig und als Bereicherung zu verstehen. Eitelkeit und Angeberei spielen hier, wie schon erwähnt, oft eine schlechte Rolle. Die Übernahme von Sachen und Verrichtungen, deren Ursprung anderswo als im Eigenen liegen, lassen ganz selbstverständlich auch die Wörter mitkom-
Bild: Folker T. / pixelio.de
Seilbahnen. Dennoch: Vielleicht vermeidet manche und mancher aus Angst, nicht zu verstehen oder nicht verstanden zu werden, dorthin zu fahren, wo ihm ein „Swatch Snow Mobile“ zum „Ski-Opening“ angeboten wird. Andere wird möglicherweise gerade die Sprache des Angebots reizen. Man muss sie ja nicht immer verstehen. Hauptsache man gehört dazu und ist auch im Besitz des entsprechenden „Equipments“ vom „All-Mountain-Ski“ über den „One-Suit“ bis hin zum „Gravity Celar Green Helm“ (alles aus „Freizeit-Kurier“, Wien, 13.11.2010, S. 62). Ich selbst fahre seit über 60 Jahren „Ski“. Das Wort ist norwegischen Ursprungs. Der
„Anorak“ – ein Eskimowort – war lange Zeit selbstverständlicher Wind-, Feuchtigkeits- und Kälteschutz. Ich habe mich, ohne mich am Wort zu stoßen, mit einem „Snow-Board“ versucht und trage auf der aus dem Französischen kommenden „Piste“ neuerdings brav eine schon im Althochdeutschen „Helm“ genannte Kopfbedeckung. Die „Loipe“ mei-
ein lebendiges Zeugnis der Geschichte ihrer Kontakte, aber auch des sozialen Umgangs damit. Es gab und gibt die Lächerlichkeit der Fremdwortjäger genau so wie jene, die vor Eitelkeit und Selbstbespiegelung nichts Fremdes auslassen wollen, weil es ihnen als Ausweis für Vornehmheit, Bildung und Weltläufigkeit erschien. Das Prestige von Kulturen hebt
men. Der Einfachheit halber übernimmt man diese dann auch, zumal wenn sie der eigenen Sprache anpassungsfähig sind. Ein altes Zeugnis dafür ist der Weinbau, der noch heute terminologisch in vielen Sprachen auf dem Latein der römischen Winzer (lateinisch: „vinitor“) beruht. Das ist in vielerlei Hinsicht in den heutigen Wissenschaften, in Technik und
weil von dort die Neuerungen kommen. Da muss man nicht gleich „laptop“ durch „Klapprechner“ ersetzen oder „e-mail“ durch „Netzpost“, wie es vor einiger Zeit vom damaligen Verkehrsminister Ramsauer vorgeschlagen wurde. Nein, man darf das gar nicht. Das hätte wohl etwas gemein mit dem Versuch, die „Nase“ gegen den „Gesichtserker“ auszutauschen – jedenfalls im Lexikon. Aber wenn man einen „Support“ angeboten bekommt, weil man etwas nicht gleich verstanden hat, könnte es leicht passieren, dass Support („Unterstützung“) gleich zweimal gebraucht würde: erstens, um das Wort zu verstehen, und zweitens die Sache, um die es eigentlich geht. Ramsauer könnte man folgen, wenn er auf Bahnhöfen „meeting-point“ durch „Treffpunkt“ oder das „ticket-center“ wieder durch „Schalterhalle“ ersetzt haben will. Freilich schon auf Flughäfen stellt sich das Problem anders dar. Egal ob Bahnhof oder Flughafen könnte jedoch ein möglicherweise peinliches Malheur verhindert werden, wenn man ein seit langem so genanntes WC (englisch: „water closet“) fände, anstatt bei „Mc Clean“ in höchster Not vorbei zu laufen. Die von französisch „toile“ (Tuch) kommende Toilette würde in großer Not auch noch helfen. Restlos ins Reich des Obskuren gehört vielleicht, wenn man im Internet auf der Seite „contentmanager.de“ zu „briefing“ folgendes erfährt: „Dafür gibt es leider keinen passenden deutschen Begriff. ,Briefing‘ ist Englisch und bedeutet ,Anweisung‘ oder ,Lagebesprechung‘ ...“ Da entfährt einem ein Ausruf des Erstaunens. Die Bedeutungsangabe ist doch deutsch und entspricht ziemlich dem, was man bei und mit „briefings“ so erlebt. Was fremd sein kann und
Dafür braucht es Sprachwissen, Sprachgefühl, Achtung vor den jeweiligen Sprachen gepaart mit Toleranz und Einsicht in das Funktionieren von Sprache auch nach Gruppen und Verwendungsbereichen. Daraus resultiert ein Bildungsauftrag und kein Kampfauftrag! Deshalb braucht es auch keine Kampfbegriffe wie „Denglisch“. Benennt das Wort eine Augenblicksaufnahme im lebendigen Prozess des Sprachkontakts, so mag es etwas leisten. Suggeriert es aber, dass es beim kritischen Umgang mit „Eigenem“ und „Fremdem“ nur sich ausschließende Alternativen gibt, so verdunkelt es die Wirklichkeit fruchtbarer gegenseitiger sprachlicher Beeinflussung bis zur Unkenntlichkeit. Sprachkontakt mit seinen Folgen kann nur mehr als unerwünscht verstanden werden. Das wäre fatal. Wir würden am Ende eingemauert in einem fensterlosen, engen babylonischen Turm sprachlicher Selbstgenügsamkeit verblöden und ersticken. Peter Porsch
DISPUT Über Aktionen und Fraktionen, über Infostände und Hartz-IV-Beratung. Über »große« Politik und »kleine« Basisgruppe. Mit Berichten, Porträts, Interviews und Reportagen (nicht nur) aus dem politischen Alltag. Und mit einer einzigartigen Seite 48. Jeden Monat für 2 Euro. Im Jahresabo für 21,60 Euro: DISPUT. Mitgliederzeitschrift der Partei DIE LINKE Kleine Alexanderstraße 28 10178 Berlin disput@die-linke.de Telefon (030) 24 00 95 10
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Rezensionen
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Am Rande der Wahrnehmung Mehr oder weniger sichtbare Grenzlinien finden sich eben nicht allein an den Außengrenzen der EU, sondern auch in ihrem Innern. Hier
leistet der Band Pionierarbeit, indem er den Alltag in den Lagern und Abschiebeeinrichtungen erfahrbar macht, deren Charakter als
Bild: Nicor/Wikimedia Commons Bild: Gutleut Verlag
Der jüngst im Gutleut Verlag Frankfurt/Main erschienene Sammelband „Grenzlinien. Von Grenzen, Grenzüberschreitungen und Migration“ gibt nicht nur einen kritischen Abriss der restriktiven EU-Flüchtlingspolitik des letzten Jahrzehnts und ihrer Umsetzung in den einzelnen Mitgliedsstaaten. Er zeichnet auch den Weg der Flüchtlinge Richtung Europa nach, schildert anschaulich, auf welche Bedingungen die Migrantinnen und Migranten an den EU-Außengrenzen treffen, erzählt vom Warten in den Auffanglagern, so sie es geschafft haben, auf Lampedusa beispielsweise, dieser Mittelmeerinsel, die in letzter Zeit öfters in den Schlagzeilen gewesen ist. Während andere Orte des Wartens und sozialen Todes kaum in der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Die bundesdeutschen Ausreisezentren etwa, eine Begrifflichkeit, die suggeriert, hier wollte jemand freiwillig das Land verlassen, indes es um den knallharten Fakt der Abschiebung Asylsuchender geht.
Warteraum wie unerschöpfliches Reservoir, das sicherstellt, dass dem schwarzen und grauen Arbeitsmarkt, der ethnisch segmentiert ist, die billigen Arbeitskräfte nicht ausgehen (Tom Holert, S. 152). Ursula Schmidt berichtet über ihre Erlebnisse und die Atmosphäre auf Lampedusa, am Rande der Wahrnehmung, wo sie mit Flüchtlingen in Kontakt zu kommen versucht. Der Zutritt zum Auffanglager wird ihr aber verwehrt. Vor fünf Jahren, im Januar 2009, kurz vor Ankunft der Autorin, brachen hunderte Flüchtlinge aus dem Lager aus und zogen ins Dorf, um gegen die Zustände im Lager zu protestieren, viele der Einwohner sollten sich mit ihnen solidarisieren. Lampedusa, so ist zu erfahren, war früher lange Zeit eine Häftlingsinsel, und etliche der heutigen Bewohner sind Nachkommen der Verbannten. Thomas Küpper hält seine Beobachtungen und Gespräche vor Ort in einem Tagebuch fest, das er zwischen 2008 und 2010 geführt hat. Leider sind die-
se Passagen nur auf Englisch zu lesen. Den Tagebuchauszügen beigegeben sind Fotos, eines zeigt übereinandergeschichtet jene Boote, mit denen die Flüchtlinge anlandeten. Seit 2008 verfolgt der Autor das Projekt „Ein Leuchtturm für Lampedusa“, der den Flüchtlingen künftig den Weg übers Meer weisen soll. Dieser Band ist nicht zuletzt auch als künstlerisches Unterfangen zu betrachten; neben den informellen Sachtexten, Essays und Portraits von MigrantInnen finden sich zum Beispiel fotokünstlerische Arbeiten, Dokumentationen von Performances und Installationen, die sich aus anderer Perspektive der Thematik nähern. Und es geht auch um das Entwickeln von Projekten, die die Möglichkeit eröffnen, Grenzlinien aufzuheben. Jayne-Ann Igel Grenzlinien. Von Grenzen, Grenzüberschreitungen und Migration. Hrsg. von Christine Taxer und Raul Gschrey. Gutleut Verlag Frankfurt/M., 2013.
Graue Traumfabrik: Nathanael West zeigt bereits 1939 die hässliche Seite Hollywoods 1965, zur deutschen Erstveröffentlichung des Werks, urteilte der SPIEGEL euphorisch: „Das vierte und letzte Buch des zu Lebzeiten verkannten misanthropischen US-Roman- und Drehbuchautors West (1940 tödlich verunglückt) ist sein bestes und
Leben nur vier Romane veröffentlichen konnte. Seinen zweiten, Miss Lonelyhearts, fand ich witziger und böser. Und in der modernen Erzählweise mittels eines namenlosen Helden auch interessanter. Nathanael West wurde 1903
Weinsteins legten bei der Erziehung Nathans und seiner Schwestern Hinda und Laura großen Wert auf Schulbildung, kaum jedoch auf Religion; so wurde Nathan zwar wohl rituell beschnitten, wurde aber nie Bar Mitzwa, heißt es bei Wikipedia. Dass
Wests Held, Tod Hackett, ein Maler, der sich als Filmarchitekt verdungen hat, beschreibt ebenso gelassen wie angeekelt Leerlauf und Hysterien der kalifornischen Gesellschaft. Langeweile, Leere, das Gefühl der Erfolglosigkeit und tatsächliche ErfolglosigBild: Sörn / Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0
der bisher bestgelungene literarische Racheakt an Hollywood und seinen Kunden“. Dem kann ich mich nicht ganz anschließen. Außer vielleicht in der Bestätigung der Tragik, dass West in seinem kurzem
als Nathan Wallenstein Weinstein in New York geboren. Seine Eltern waren um 1890 als deutschsprachige Juden aus dem damals russisch beherrschten Litauen nach Amerika ausgewandert. Die
er später seinen Namen änderte, um sein Jüdischsein zu verbergen, zeugt von einem insgesamt unruhigem Lebenslauf – zwischen jüdischen Wurzeln, dem Paris der Bohème und Hollywood.
keit, das ist wohl das Leben der Glücksritter, die in der Hoffnung auf das große Geld in der Zeit der großen Depression nach Hollywood gehen. Doch dort gibt es tatsächlich nur Kulissen. Das muss
auch Tod feststellen. Auf der Suche hofft er, wenigstens die Liebe gefunden zu haben, doch die platinblonde Halbschönheit Faye entpuppt sich als skrupellose Ausbeuterin der Herzen der Männer, nicht nur Tods. Sie träumt von Starruhm, er von Faye. Beide gehen leer aus. Wie überhaupt alle in diesem Roman. Wests eigene Erfahrungen als Drehbuchschreiber in der Traumfabrik mögen ihren Teil dazu beigetragen haben, dass er in seinen Romanen sehr kalt und illusionslos ist, ja, dass er desillusioniert dem eitlen Gebaren Hollywoods faktisch seine Reduzierung auf das bloße Geld vor Augen hält. Das schlägt sich auch in der nüchternen sachlichen Sprache nieder. Die modernen amerikanischen Erzähler wie Raymond Carver haben bei ihm gelernt – und sind ihrerseits Klassiker geworden. Vielleicht schon deswegen lohnt sich die Lektüre. Dass er das noch bisweilen ausgesprochen witzig beschreibt, ist ein weiteres großes Plus. Rico Schubert Nathanal West: Der Tag der Heuschrecke. Manesse, 261 Seiten, 19,95 Euro.
Kultur
Links! 01-02/2014
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Landesausstellung: Was schert uns ein Beschluss von gestern … Es ist ausgesprochen selten, dass eine Sächsische Landesausstellung bereits vier Jahre vor ihrer Durchführung innerparteiliche Machtkämpfe in der Staatspartei CDU und damit verbundene Schlagzeilen produziert. Doch die vierte, für 2018 geplante, Landesausstellung tut das gerade in überraschendem Ausmaß. Das liegt möglicherweise am Thema, denn mit der Industriekultur verlässt man im Unterschied zu den drei bisherigen Landesausstellungen (1998 „Zeit und Ewigkeit – 128 Tage“ im Kloster St. Marienstern in PanschwitzKuckau, 2004 „Glaube und Macht – Sachsen im Europa der Reformationszeit“ in Torgau und 2011 in Görlitz zur Via Regia) das Mittelalter und die frühe Neuzeit und setzt einen sehr gegenwartsbezogenen Schwerpunkt. Die sächsische Industriekultur als Landesthema wurde lange Jahre von der Staatsregierung sträflich unterschätzt, was die LINKEN im Landtag immer wieder heftig bemängelten. Eine Reaktion auf diese berechtigte Kritik war ein Antrag der schwarzgelben Koalition im Jahr 2011, in dem die Regierung explizit aufgefordert wurde, „die vierte sächsische Landesausstellung als einen herausragenden Anziehungspunkt für
die Präsentation des sächsischen industriekulturellen Erbes zu konzipieren und dabei einen Schwerpunkt in der Region Chemnitz zu setzen“. Umso größer war die Überraschung, als vor einigen Tagen im Hause der zuständigen Ministerin für Wissenschaft
durchgesetzt. Nicht nur bei der CDU und FDP im Chemnitzer Raum schrillten nun die Alarmglocken. Auch die Fachleute traten an die Öffentlichkeit und verteidigten das in jahrelanger Arbeit entwickelte dezentrale Konzept mit der Region Chemnitz als
Kultur- und Sozialgeschichte und umfasst damit auch den Alltag der Menschen, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen. Es geht bei diesem breiten Ansatz eben nicht nur um die unmittelbaren Hinterlassenschaften und Sachzeugen der Industrie- und Tech-
Maschinenfabrik von Richard Hartmann, Chemnitz, 1868.
und Kunst für 2018 eine Vorentscheidung zugunsten der Autostadt Zwickau getroffen wurde. Dem Vernehmen nach hatte sich der dortige Landrat mit dem VW-Konzern im Rücken in den Monaten zuvor für diesen Standort stark gemacht und nun anscheinend
Herzstück der nächsten Landesaustellung vehement. Dieses Konzept kann getrost mitgetragen werden, da es von einem Begriff der „Industriekultur“ geprägt ist, der die gesamte Kulturgeschichte des Industriezeitalters umfasst. Er verbindet Technik-,
nikgeschichte, sondern auch um das dazugehörige Umfeld mit den daraus entstandenen infrastrukturellen, städtebaulichen, sozialen, politischen, künstlerischen und gesellschaftlichen Überlieferungen. Einbezogen sind auch immaterielle Zeugnisse
wie persönliche Erinnerungen und gesellschaftliche Überlieferungen. Gerade vorbildhaft wurde dieser Ansatz im letzten Jahr in Baden-Württemberg mit der Landesausstellung „Durch Nacht zum Licht? Die Geschichte der Arbeiterbewegung 1863 bis 2013“ im TECHNOSEUM Mannheim realisiert. Die Ausstellung thematisierte Aufstieg, Blüte und Krisen der Arbeiterbewegung in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse. Trotz Fokus auf „Technik und Arbeit“ wurde umfassend auf die prägenden gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen eingegangen. Inzwischen ist klar, dass die Landesausstellung 2018 in Zwickau stattfinden wird und nicht, wie 2011 vom Landtag beschlossen, im Raum Chemnitz. Eine Begründung bleibt das Kabinett schuldig. Damit stößt die Kunstministerin auch Fachleute vor den Kopf, die im Vertrauen auf den Beschluss ein dezentrales Konzept entwickelt haben. Die Chance, dem Publikum das ganze Spektrum der sächsischen Industriekultur inhaltlich und räumlich zu präsentieren, dürfte damit auf fatale Weise vertan worden sein. Volker Külow
Marek Grechuta – Der polnische Troubadour des poetischen Gesangs die er dann notierte. Nach und nach fielen ihm auch Texte ein, und so kamen seine ersten Chansons zustande. Im Frühjahr 1966 gründete er mit zwei Krakówer Kommilitonen das Kabarett „ANAWA“. Der Name stammt vom französischen „en avant“ und bedeutet „nach vorn“. 1966 fand auch die erste Premiere im Klub „Bambuko“ statt. Im Lauf der Zeit entwickelte sich ANAWA zur musikalischen Begleitband von Marek Grechuta und feierte einen riesigen Erfolg beim „Festival der singenden Studenten“. Da das polnische Fernsehen zugegen war, wurde das Ensemble blitzartig in ganz Polen populär. Die Gruppe bestand nun aus sechs hoch motivierten Instrumentalisten und Sängern bester Qualität. Die erste LP „Marek Grechuta i Anawa“, die 1970 erschien, beinhaltete charmant vorgetragene Chansons, die sehr melancholisch wirkten, während die Musik des folgenden Albums „Korowód“ (Der Reigen) von 1971 wesentlich experimenteller klang. Es
entstand ein exzellenter Mix aus Folkrock, Jazz, indischer Musik und moderner Klassik á la Schostakowitsch oder Penderecki mit teilweise psychedelischem Charakter. Die Texte, die Grechuta leidenschaftlich sang, stammten teils aus eigener Feder und teils von klassischen polnischen Dichtern wie Adam Mickiewicz oder Konstanty Ildefons Gałczynski. Auf dieser Schallplatte, die übrigens zum wichtigsten Album in der Geschichte der polnischen Populärmusik erklärt wurde, ist unter anderem der Titel „Swiecie Nasz“ (Unsere Welt) zu hören, der auch auf einem DDR-Sampler auf Deutsch vorgetragen wurde (Hallo Nr. 5 Amiga 855335). Obwohl Marek Grechuta nicht unbedingt als politischer Liedermacher zu bezeichnen war, setzte er sich in diesem Lied sehr kritisch mit dem Thema Umwelt auseinander. Es kam zu Auftritten in der CSSR, UdSSR, den Niederlanden, England und auch in der DDR, wo drei seiner Titel auf
Amigasamplern in deutscher Sprache produziert wurden. 1972 trennte sich Grechuta Bild: Paweł Ciesla Staszek Szybki Jest / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
Marek Grechuta war mit Abstand der populärste Sänger Polens. Als er zwei Jahre alt war, kauften seine Eltern ein Klavier, für das sich der kleine Junge schon bald interessierte. Der am 10. Dezember 1945 geborene Marek nahm ab seinem siebenten Lebensjahr Klavierunterricht bei einem Kirchenorganisten in seiner Heimatstadt Zamosc. Sein Abitur absolvierte er an einem Kunstgymnasium, bevor er sich an der Technischen Hochschule in Kraków bewarb, um dort Architektur zu studieren. Während des Studiums lernte er außergewöhnliche Künstler aus dem bekannten Kabarett „Piwnica pod Baranami“ kennen, so beispielsweise die großartige Chansonsängerin Ewa Demarczyk oder Zygmunt Kioniechny, die ihn sofort begeisterten. Im Haus der Architektur entdeckte er ein Klavier, das ihn magisch anzog, und er nutzte jede Gelegenheit, auf diesem Instrument zu improvisieren, bis erste, an sich ungewollte Kompositionen entstanden,
von ANAWA, um neue Wege einzuschlagen. Er gründete die Gruppe „Wiem“ (Ich weiß). Mit dieser Band gab er über hundert Konzerte, die durch zwei Alben gekrönt wurden: „Droga za widnokres“ (Der Weg ins Unendliche, 1972) und das als sein Meisterwerk bezeichnete „Magia Obłokow“ (Magie der Wolken, 1974), auf dem auch die Musik für den Dokumentarfilm „Jastrum“ enthalten ist. 1975 löste sich „Wiem“ auf.
Im selben Jahr war Grechuta auch als Theaterkomponist aktiv. So schuf er die Musik für das Stück „Exodus“ von L. A. Moczulski, das im STU-Theater Kraków Premiere feierte. 1977 erarbeitete Grechuta mit einem ehemaligen Mitglied ANAWAs, Jan Kanty Pawluskiewicz, das erfolgreiche rockige Musicalspektakel „Szalona Lokomotywa“ (die fliegende Lokomotive), das auch als Schallplatte erschien. Von 1979 bis 1985 schrieb er fast ausschließlich Kompositionen und Texte für Fernseh- und Theaterstücke. Zwischendurch kam 1984 sein erster Gedichtband „Du wirst lächeln“ auf den Markt. Bis zum seinem Tod am 9. Oktober 2006 war Marek Grechuta künstlerisch kreativ tätig, veröffentlichte insgesamt sechzehn Alben und diverse Sampler und zwei weitere Gedichtbände. Trotz vergänglicher Modetrends blieb er stets er selbst und gilt noch heute als der genialste Chansonsänger Polens. Jens-Paul Wollenberg