Keine Ausreden. Kein Vergessen!
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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt November 2019
Im Regelfall ist die Verlegung neuer Stolpersteine kein Politikum, sondern allen Demokratinnen und Demokraten ein gemeinsames wichtiges Anliegen. Nicht so offenbar in Groitzsch, Landkreis Leipzig. Schülerinnen und Schüler des dortigen Wiprecht-Gymnasiums haben mit Unterstützung des Leipziger Erich-ZeignerHauses monatelang recherchiert und die Geschichte von Anna Reichardt erforscht. Die am 27. November 1878 geborene jüdische Mitbürgerin hatte in der Leipziger Straße 28 gelebt. 63-jährig gehörte sie zu einer Gruppe von tausend Menschen, die am 10. Mai 1942 ins jüdische Getto von Bełżyce (Polen) verschleppt worden. Dort kam sie um. Die Leipziger Volkszeitung hat berichtet, was nach dem Abschluss der lobenswerten Forschungsarbeit geschah. Die Stadt verwehrt bislang die Genehmigung für die Verlegung von Anna Reichardts Stolperstein. Zur Begründung führt Bürgermeister Maik Kunze (CDU) an, dass der Eigentümer des Hauses, vor dem das kleine Mahnmal in den Boden eingelassen werden soll, seine Zustimmung nicht erteilt habe. Der Rathauschef demnach wörtlich: „Wir können nur dem gewünschten Ort nicht zustimmen. An anderer Stelle ist das aber möglich.“ Das habe ich mit äußerstem Befremden zur Kenntnis genommen, denn zum Wesen
der Stolpersteine gehört schließlich die unmittelbare Verbindung zum früheren Wohnort der Opfer, die zum alltäglichen Erinnern beitragen soll. Offenbar betrachtet die Groitzscher Stadtverwaltung ihre bedenkliche Entscheidung als „abschließend“. Das wäre aber fatal, denn es handelt sich um einen bislang einmaligen Vorgang im gesamten Landkreis – und womöglich noch weit darüber hinaus. Mit der Unterstützung vom Erich-Zeigner-Haus wurden bisher in Leipzig und zehn Städten im Umland mehr als 200 Stolpersteine verlegt. Die Gründe für die Ablehnung sind vorgeschoben. Auf das Einverständnis eines örtlichen Hauseigentümers – dessen Immobilie gar nicht direkt betroffen ist – kommt es für die Verlegung auf öffentlichem Grund gar nicht an. Fadenscheinig ist auch die Behauptung, für die geplante Verlegung sei angeblich die falsche Adresse gewählt worden. Dabei gilt die Archivarbeit des Erich-Zeigner-Hauses als äußerst sorgfältig – mit Hilfe des Vereins, der sich um die Gedenkarbeit verdient gemacht hat, sind bereits zahlreiche Stolpersteine verlegt worden. Soviel ich weiß, hat Herr Bürgermeister Kunze bislang nicht einmal ein praktikables Kompromissangebot unterbreitet. Das ist nicht nur blamabel, sondern auch ein Schlag gegen die öffentliche Erinnerungskultur, gegen ein vorbildliches Bildungsprojekt mit Jugendlichen – und gegen den gemeinsamen Kampf gegen jeden Antisemitismus. Wenn sich die Stadt Groitzsch nicht bewegt, sollte sich der Beauftragte der Staatsregierung für das Jüdische Leben in Sachsen des Themas annehmen. • Kerstin Köditz
Bild: Paulae / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
Stolpersteine erinnern an deren letztem frei gewählten Wohnsitz an Menschen, die dem Terror der Nazis zum Opfer fielen, die verschleppt wurden, umkamen oder bis heute verschollen sind. Bundesweit wurden bereits mehr als 73.000 Stolpersteine in rund 120 Städten und Gemeinden verlegt, sie bilden das größte dezentrale Mahnmal der Welt.