„Come with us“: Syrer in Neschwitz Die Männer aus dem Morgenland kamen schon vor Weihnachten – und das, obwohl der Landkreis Bautzen bereits den Asyl-Ausnahmezustand ausgerufen hatte: Mit tausend Flüchtlingen auf 300.000 Einwohner in diesem flächenmäßig mit dem Saarland vergleichbaren Kreis sei man am Ende seiner Möglichkeiten. So die Botschaft von Landrat Harig (CDU). Der Landkreis mietete also für knapp 30 Leute Zimmer im Motel in Holscha an, auf dem Territorium der Gemeinde Neschwitz, wo ich wohne. Und so fühlte ich
Badekleidung liegen und links davon alle nackt sein werden. Und die einheimische Spaziergängerin mit Hund auf der Boxberger Strandpromenade hatte kurz darauf ihrerseits gänzlich Ungewohntes zu verarbeiten, als ihr voraus gelaufenes weißes Hündchen plötzlich von drei orientalischen Jungs verhätschelt wurde, während sich der vierte ein paar Meter dahinter in der Abenddämmerung in (jedem Fernsehzuschauer bekannter) typischer Gebetshaltung gen Mekka verneigte. Da half kein freundliches „Guten Abend“, die
Landtags-Besuch
Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Januar-Februar 2015
mich vom Aufruf der Sozialarbeiterin vom Steinhaus in Bautzen angesprochen, die namens des Bündnisses „Bautzen bleibt bunt“ neben dem Aufruf zu Kleiderspenden auch nach Menschen rief. Sie sollten die neuen Bewohner besuchen, um mit ihnen zu reden und ihnen die deutsche Sprache praktisch näherzubringen. Die Kurse wurden denkbar einfach gebildet: Die Lernwilligen bestimmten in Eigenregie die Zusammensetzung der Gruppen, deren Zahl den Lehrwilligen entsprach, die sich vor Ort eingefunden hatten, und suchten sich dann aus, wer von wem unterrichtet werden will. So hatte ich es meiner libertären Neigung folgend vorgeschlagen, und so realisierte es sich binnen drei Minuten. Mich ereilte der Ruf „Come with us“, der mich aus den Aufenthaltsräumen in eines der Zimmer führte. Eigentlich Zweibett-Zimmer mit nunmehr drei Betten – plus Tisch. Das war vor Weihnachten. Seither sehen wir uns im Schnitt jeden zweiten Werktag für zwei Stunden, anfangs mit drei, zuletzt mit bis zu sechs, manchmal auch sieben Interessenten. Der Lerneifer der ganz Jungen färbt auf die Älteren ab … Mit der Kerngruppe, vier Leute, darunter drei Kurden, gibt’s darüber hinaus Exkursionen, vom Lausitzer Seenland bis zum Landtag. Wir haben viel Spaß miteinander. So etwa mit unserem gemeinsamem Kulturschock-Management. Es ist ja für sunnitische Muslime schon eine mentale Herausforderung, am Bärwalder See mitgeteilt zu bekommen, dass im Sommer am Strand rechts vom Damm die Leute in
Dame ergriff wortlos die Flucht. Die Entscheidung, ob ich wirklich mit ihnen über den islamistischen Terroranschlag auf „Charlie Hebdo“ sprechen will, nahm mir „Al Dschasira“ ab, wo das Verbrechen zu Unterrichtsbeginn bild- und wortreich Thema war, weshalb sie von sich aus ihr Entsetzen zum Ausdruck brachten. Über PEGIDA sah ich mich zu sprechen genötigt, weil der Dresden-Ausflug zufällig am Montag war und uns die Zusammenrottung der Wutbürger zur vorzeitigen Rückfahrt veranlasste. Der Ruf des Freistaates ist offenbar derzeit ohnehin weltweit nachhaltig ruiniert, wenn mir ein 27-jähriger Syrer erzählt, wie er seine Mutter telefonisch beruhigen musste, die ihn in höchste Gefahr sieht, weil er doch „in Sachsen wohnen muss“. Wenn du auf der einen Seite einen Hochschulabsolventen sitzen hast und auf der anderen einen jungen Mann, der darum bittet, erst mal alphabetisiert zu werden, weißt du, was Inklusion ist. Und dass sie in einer Atmosphäre der Solidarität, wie sie diesen Menschen selbstverständlich ist, problemlos funktioniert. Wie schrecklich anstrengend das Lernen für sie sein muss, ermesse ich, als ich versuche, ein paar arabische oder kurdische Worte nachzusprechen. Der Bürgermeister von Neschwitz sagte der „Sächsischen Zeitung“, er hoffe, dass weiterhin alles gutgeht und nichts passiert, schließlich seien die Bürger bisher nicht an Ausländer gewöhnt. Da kann ich nur hinzufügen: An meinen syrischen Freunden wird es nicht scheitern. • Marcel Braumann
Links! im Gespräch
Links! 01-02/2015
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Was die Dresdner „Sozialcharta“ wert ist – Mieter versuchen gemeinsam, ihre Wohnungen zu kaufen Keine Ruhe um die Wohnungen der ehemaligen Dresdner KWV (Woba): 2006 erlaubte sich die Stadt Dresden den ganz großen Coup. Durch den Verkauf sämtlicher Wohnungen im Stadtbesitz an eine US-Heuschrecke (in anderen Kreisen „Finanzinvestor“ genannt) wurde die Stadt schuldenfrei. Vor zwei Jahren hörte man, dass die Käuferfirma Gagfah insgesamt 38.000 Wohnungen veräußern wolle. DIE LINKE und andere Parteien hatten seinerzeit dem Ausverkauf nur zugestimmt, weil eine sogenannte Sozialcharta die Mieter schützen sollte. Dass die das Papier nicht wert sei, auf dem sie gedruckt wurde, monierte der Mieterschutzverein schon damals. Immer mal wieder verkauft fühlen sich Mieter der Gagfah von der Stauffenbergallee – doch sie kämpfen jetzt um ihre Wohnungen. Ralf Richter sprach mit Daniel Rose und Maria Morgenstern vom Verein staufe e.V.
Die Gagfah bietet aber an, dass in dem Falle in preiswerte Wohnungen aus dem Gagfah-Besitz umgezogen werden kann, oder?
ben eine Garage als Ausstellungsraum hergerichtet, die Garage 3. Darin wollen wir mit künstlerischen Mitteln auf die Probleme der Gentrifizierung aufmerksam machen. An der ersten Ausstellung haben sich vier Mieter beteiligt.
Daniel Rose: Dieses Angebot gibt es, doch wir möchten hier wohnen bleiben. In dieser Ge-
Das sind aber keine „gewöhnlichen“ Mieter, sondern richtige Künstler, oder?
nicht durch dann unbezahlbare Mieten verdrängt werden.
wir auch für unsere kleine Galerie eine Homepage eingerichtet – man findet sie unter www.garage3.de
re uns mit einer Bürgschaft durch die Stadt, die uns helfen würde, einen benötigten Kredit zu bekommen.
Ziel aller Bemühungen ist es aber – das wollen wir nicht vergessen –, selbst die Wohnungen zu übernehmen. Und zwar nicht als Eigentumswohnungen für Einzelne, sondern als Genos-
Warum favorisieren Sie eine Genossenschaftsgründung? Könnten Sie sich nicht auch in einer städtischen Gesellschaft gut aufgehoben fühlen?
Was wird aus den Mietern, die aus verschiedenen Gründen keine Genossenschafter werden wollen?
Das ist ein sehr interessantes Areal hier im so genannten Dresdner Hechtviertel, davon konnte ich mich auf dem Weg hierher überzeugen. Worum geht es hier genau? Daniel Rose: Es geht um 142 Wohneinheiten, die zu 95 Prozent belegt sind. Etwa 200 Personen leben hier, davon viele Kinder. Alle Wohnungen liegen an der Stauffenbergallee und wurden um die Jahrhundertwende bzw. in den 20er Jahren gebaut. Wer hat hier früher gewohnt und wie groß sind die Wohnungen? Daniel Rose: Damit müsste man sich vielleicht intensiver beschäftigen – es gibt sowohl kleine zwei Zimmer-Wohnungen mit ca. 50 Quadratmetern als auch größere Drei-RaumWohnungen in der älteren Bausubstanz, in der zum Teil Architekturmerkmale des Jugendstils zitiert werden. Die Gagfah will sie verkaufen, und die Mieter fürchten Luxussanierungen durch den neuen Eigentümer. Daniel Rose: So ist es. Tatsache ist, dass in den Wohnungen etwas getan werden muss und Sanierungen durchaus notwendig sind, das steht außer Frage. Aber es sollte bezahlbar bleiben und die Menschen, die hier wohnen, sollten
Daniel Rose: Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Position zum Wohnungsbau in Dresden doch sehr von den jeweiligen Mehrheiten im Stadtrat abhängig ist – was heute beschlossen wird, kann morgen durch andere Mehrheiten bereits wieder in Frage gestellt werden. Wenn wir gemeinsam die Eigentümer unserer Wohnungen sind, kann uns das politische Auf und Ab in Sachen Wohnungspolitik im Rathaus zwar nicht gleichgültig sein, wir wären dann aber weniger direkt betroffen.
Daniel Rose: Die können einfach weiter als Mieter in ihren Wohnungen bleiben und bezahlen dann ihre Miete an die Genossenschaft. Maria Morgenstern und Daniel Rose in der Garage 3 im Dresdner Hechtviertel.
gend, mit diesen Nachbarn. Wir fühlen uns einfach wohl hier. Ich habe an einer Tür einen Zettel gesehen. Darauf steht, dass Sie sich jeden Dienstag in der Woche treffen … Daniel Rose: Das stimmt. Wir haben einen Email-Verteiler. Als letztes Jahr die Gerüchte aufkamen, dass wir wieder einmal verkauft werden sollen und wir hier draußen darüber im Sommer diskutierten, wollten viele das nicht ernstnehmen – doch das hat sich geändert. Inzwischen ist aus unserer Nachbarschaftsinitiative ein richtiger Verein geworden, der demnächst ins Vereinsregister eingetragen wird, der stauffe e.V. Und dieser Verein engagiert sich nicht zuletzt auch mit künstlerischen Mitteln für das Anliegen der Nachbarschaftsinitiative. Maria Morgenstern: Wir ha-
Das ist eine Lösung, die Schule machen sollte. Wie sehen Sie die Chancen? Maria Morgenstern: Richtig ist, dass ein Teil von uns – ich auch – an der Hochschule für Bildende Künste studieren, und wir konnten auch einen Fördertopf im Zusammenhang mit der Hochschule anzapfen. Das ist aber auch alles. Es handelt sich um unser eigenes, von der Hochschule völlig unabhängiges Projekt. Aber wir haben uns auch mit unserer Garage am Neustadt-Projekt Advenster beteiligt, wo sich Kunstprojekte in der Dresdner-Neustadt im Rahmen der Tage vom 1. bis 24. Dezember vorstellen dürfen. Da hatten wir einigen Anklang. Die Garage ist jetzt allerdings leer. Aber es soll weitere Aktionen geben. Maria Morgenstern: Einerseits kann man sich auf der Homepage stauffe.de informieren – dort gibt es nicht nur Veranstaltungsinformationen, sondern man findet dort unter der Rubrik „Presse“ auch Beiträge, die bislang über uns erschienen sind. Andererseits haben
senschaft. War das in der Sozialcharta seinerzeit überhaupt vorgesehen? Daniel Rose: Die Gagfah beruft sich darauf, dass das Vorverkaufsrecht nur dann angewendet werden könne, wenn die Gagfah einzelne Wohnungen verkaufen möchte, dann hätte der Mieter ein Vorkaufsrecht. Scheinbar wurde an eine Veräußerung an eine Genossenschaft, die von Mietern gegründet wird, nicht gedacht. Manche Dresdner Stadträte denken ja inzwischen wieder laut über eine städtische Wohnungsgesellschaft nach … Daniel Rose: Wir haben hier bereits eine sozial durchmischte Bevölkerung, die in ihrem Wohnumfeld weiter gemeinsam leben möchte. Vielleicht kann man versuchen, etwas Bestehendes zu erhalten. Wie könnte die Stadt helfen? Daniel Rose: Viel geholfen wä-
Daniel Rose: Genossenschaften, die sich in erster Linie ihren Mitgliedern verpflichtet fühlen, werden auf dem Wohnungsmarkt nicht als Preistreiber agieren, sondern auf möglichst niedrige Mieten für ihre Mitglieder achten – das wirkt sich auf den gesamten Mietspiegel aus. Außerdem: Wenn wir es schaffen, eine Genossenschaft zu gründen, könnten das auch andere Mieter tun, deren Wohnungen von ihren Kommunen an Finanzinvestoren verkauft worden sind, nicht nur in Dresden. Auf der Insel Sylt ist es schon so weit gekommen, dass die Sylter sich ihre eigenen Wohnungen und Häuser nicht mehr leisten können und deshalb auf dem Festland leben müssen. Soll es in Dresden so weit kommen, dass sich Dresdner ihre Wohnungen nicht mehr leisten können, sondern Mietwohnungen zu Ferienwohnungen umgewandelt werden, die vielleicht nur einen Bruchteil des Jahres belegt sind? Das kann nicht das Ziel öffentlicher Wohnungspolitik sein.
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Ein Wahlergebnis, das Hoffnung macht Auch hierzulande finden regelmäßig Wahlen statt, mit dem gleichen Prozedere wie in Griechenland. Auch hierfür gilt die Erkenntnis von Kurt Tucholsky: „Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten“! Bei einer Wahlbeteiligung von 63,87 % hat das Parteienbündnis „SY. RIZ.A“ 36,34 % der Stimmen bekommen. Das ergibt 149 von insgesamt 300 Sitzen im hellenischen Parlament. Und damit kommen wir zur ersten Frage: Was ist das für ein bescheuertes Wahlgesetz, das mit 36,5 % der Stimmen eine beinahe absolute Mehrheit ermöglicht? Obwohl die Wahl noch nicht lange zurückliegt, können einige wenige Erkenntnisse gewonnen werden: Noch vor zehn Jahren hatte die Partei „Synaspismos“ mit gerade mal 3,26 % der Stimmen die Hürde genommen und war mit 6 Abgeordneten im hellenischen Parlament vertreten. Kurze Zeit später wurde das Parteienbündnis „Synaspismos der radikalen Linken“ (– SY.RIZ.A Vereinte Soziale Front) gegründet. Die Wahlen 2009 brachten für SY.RIZ.A 4,60 % und 13 Mandate. Dann kam die Finanzkrise und die Parteienlandschaft wurde durcheinander gewirbelt. In Spanien ist Podemos („Wir können“) gerade dabei, ähnliches zu vollbringen. Auch in anderen EU-Ländern gibt es ähnliche Bewegungen, was doch zuversichtlich stimmen sollte. Die Wahlen von 2012 brachten eine neue Partei, die „goldene Morgenröte“, die auf Anhieb 7 % der Stimmen erhielt – kurz nachdem Frau Dr. Merkel das Land besuchte. Übrigens: Trotz
Gibt es denn darüber was zu sagen? Der Volksmund weiß, „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ Der Volksmund weiß freilich auch, dass jemand „Blech“ daherreden kann. Also was denn? Silber oder Blech? Bestimmte Leute (deren „Markennamen“ werde ich nicht durch Wiederholung propagieren), bestimmte Leute wollten in Dresden zunächst gar nicht reden. Sie wollten sich mit ihrem Schweigen vergolden als „patriotische Europäer“ und Goldmedaillengewinner werden im Rennen gegen die Islamisierung Europas. Das wurde jedoch nicht so richtig, weshalb sie dann doch redeten – und jetzt war es Blech. Blech kann aber
der größten Bemühungen und hohem Geldeinsatz war es niemals davor gelungen, eine faschistische Partei in Griechenland zu etablieren! Es wurde offensichtlich, was viele, sehr viele nicht wahr haben wollen: Die EU hat ihr wahres Gesicht gezeigt! Der Versuch der Vertreter der Europäischen Union, das Wahlvolk zu Gunsten der Konservativen Regierung zu beeinflussen, hat Dimensionen angenommen, die eigentlich eine Aufgabe für den Staatsanwalt wären. Es trat klar zutage, was Frau Dr. Merkel, Herr Schäuble, Bundesbank-Chef Jens Weidmann, die deutsche Administration vom „Selbstbestimmungsrecht“ des Volkes halten; was diese Kreise von Demokratie halten. Es ist nicht abzusehen, wie ei-
ne Regierung unter der Führung von „SY.RIZ.A“ den sehr großen Problemen, die das Land hat, begegnen wird, was sie unter Alexis Tsipras den Diktaten des IWF, der EU-Kommission, des Europäischen Rates entgegensetzen werden. Wie sie die hellenische Administration zähmen werden, die kleinen und großen Widerstände im Lande bewältigen. Wie sie das Steuersystem durchsetzen, damit auch die Gewinner der Krise ihren Anteil aufbringen. Hierzulande ergötzt man sich an der „Staatsschuldenkrise“. Im Land der Hellenen ist es aber eine systemische Krise. Seit dem Ende des Bürgerkrieges 1949 war das Land zu keiner Zeit unabhängig. Zu keiner Zeit wurde das Volk gefragt, geschweige denn beteiligt. Der
NATO-Beitritt zum Beispiel ist ohne und gegen die Stimme des Volkes durchgesetzt worden. Auch nach der von NATO und EU geforderten und geförderten Machtperiode der Militärjunta von 1967 - 1974 änderte sich daran nichts. Der EU-Beitritt erfolgte ohne und gegen das Volk. Immer wieder wurden Parteien gewählt, die den Austritt aus EU und NATO versprachen; seien es die Konservative „Nea Dimokratia“, die Sozialdemokratische „PA.SO.K“. Nach 1981 erfolgte ein Kahlschlag gegen kleine und mittlere Unternehmen, den nur die Ostdeutschen nachvollziehen können, die die Jahre nach 1989 erlebt haben. Vielleicht kann die geneigte Leserin oder der geneigte Leser auf die folgende Weise nachvollziehen, was im Hellas los
ist: Bitte die eigene Wohnung einmal anschauen. Wer hat ein griechisches Küchengerät zuhause? Ein Möbelstück, Kleider oder Schuhe aus Griechenland? Irgendwelche Gebrauchsgegenstände? Und nicht gleich „Metaxa“ Weinbrand rufen, der kommt aus den U.S.A.! Der „griechische Schafskäse“ wird in Deutschland von deutschen Unternehmen hergestellt, bitte auf das Etikett achten. Wenn aber in Deutschland kein griechisches Produkt gekauft werden kann, wie, wovon soll das Land der Hellenen leben? Wenn Deutschland „Exportweltmeister“ ist, dann muss wohl Hellas „Importweltmeister“ sein. Was sagt das über die Lebensfähigkeit des Landes aus? Was sagt das über das „gemeinsame Europa“ aus? Wovon sollen die Schulden bezahlt werden? Um gleich hier mit einem Mythos aufzuräumen: die – nicht nur finanzielle – Unterjochung des griechischen Volkes haben weder Frau Dr. Merkel noch Herr Schäuble durchgesetzt. Sie haben sie zur Bedingung gemacht. Durchgesetzt haben es die korrupten, käuflichen griechischen Politiker der beiden Regierungsparteien. Nun haben wir ein Wahlergebnis, das Hoffnung macht. So auch die Hauptbotschaft von „SY.RIZ.A“: Elpida (Hoffnung). Warten wir nun ab! Letzte Frage: Alle hier sprechen von „Hilfe“ oder „Hilfsleistungen“. Wie viel kostet die Griechen diese „Hilfe“? Einen Hinweis hat die Vorsitzende der CDU schon gegeben: “die Europäische Union ist keine Sozialunion“. Stathis Soudias
gefährlich werden. Es hat scharfe Kanten, die verletzen. Blech wurde in der vorelektronischen Zeit auch für Theaterdonner verwendet. Es zeigte das Blech überlaut ein Unwetter an, das nur vorgetäuscht ist. Das Unwetter soll die Islamisierung sein. Wer glaubt denn so etwas? In der österreichischen Stadt Graz etwa sprechen die Menschen, die dort wohnen, im Alltag ungefähr 150 Sprachen. Man redet einfach, wie einem der Schnabel gewachsen ist. In der Regel kommt man aber mit Deutsch, oder dem, was das Steirervolk manchmal so dafür hält, am besten durch das Leben und durch das Reden. Die Stadt ist bunt, geprägt durch Menschen aus aller Herren Länder, kenntlich an ihrer Hautfarbe, an ihrer Kleidung und auch an ihrem Reden. Es gibt moslemische Bethäuser. Eine Moschee soll gebaut werden; und dennoch wird man am Sonntag durch das Läuten der christlichen Kirchenglocken geweckt, nicht durch den Muezzin. Man grüßt sich christlich mit „Grüß Gott!“. Gerade die Chris-
tinnen und Christen denken sich aber selten etwas dabei. Für sie ist es einfach landesüblich. Es hält zusammen und grenzt vom „Guten Tach“ der Piefke ab. „Es hält zusammen und grenzt ab“? Das machen Grüße überhaupt. Auch wenn sie nur so dahergeredet werden. Der Gruß teilt nichts mit. Er stellt eine soziale Beziehung her, bekräftigt und stabilisiert sie. Reden ist eben oft mehr, als etwas wörtlich gemeint mitzuteilen. Wenn
begründen. Das gemeinsame Schreien reicht. Das ist Handeln mit sozialen Folgen. Es gibt ein gutes Gefühl, ein Gefühl des Erfolges, der Übereinstimmung, der Überlegenheit. Deshalb schreien anderswo welche „Toooor!“ Das teilt auch nicht wirklich mit, dass jetzt ein Tor gefallen ist – hat das doch jede und jeder gesehen, ob Freund oder Gegner. Eine gemeinsame Gefühlswelt kommt vielmehr zum Ausbruch. Man gehört zusammen! „Wir sind das Volk!“ Das war tatsächlich einmal eine wörtlich zu nehmende Mitteilung an jene, die behaupteten, „alles mit dem Volk, alles für das Volk und alles durch das Volk“ zu machen. Doch sie hatten das Volk längst enttäuscht, weil sie sich selbstgefällig über dieses erhoben hatten. In Dresden ist der Ruf nur ein diffuser Ausdruck von amorphem Frust, den man oft gar nicht in Worte fassen kann. Wir sind wir und die anderen sind die Anderen! Wir fühlen uns schlecht, warum auch immer, aber uns gehört das Land, und es sind zu viele
da, die nicht dazu gehören, bloß unser Geld kosten und unser Brot essen. Gerede, Geschrei und Gestammel haben ihr Ziel erreicht, zumindest bei „denen da oben“. Die beeilen sich, die unliebsamen Fremden als Fremde zu behandeln. Freilich wollen sie auch reden, reden mit denen, die das eigentliche Reden so lange verweigerten. „Der Redner regiert den Haufen“, sagte schon im 16. Jahrhundert der Magdeburger Pastor Georg Rollenhagen. Die Machtfrage ist gestellt! Welcher Redner regiert den Haufen? Das vorbestrafte Hitlerdouble, für den Menschen „Viehzeug“, „Gelumpe“ oder „Dreckspack“ sein können, oder der gesittete Ministerpräsident? Es besteht der Verdacht, dass auch Letzterer mit seinem Reden nicht mehr bezweckt, als die Leute auf seine Seite zu ziehen, ohne ihre eigentlichen Probleme wirklich zur Kenntnis zu nehmen oder gar lösen zu wollen. Man nennt das „schwindelig reden“. Der falsche Feind des „Haufens“ kommt da sehr gelegen.
Vom Reden, Gerede, Gestammel und Schreien da nun welche in Dresden oder anderswo schreien, „wir sind das Volk“, verkünden sie der Welt am wenigsten eine Tatsache. Nein, sie versuchen damit, sich selbst als genau dieses Volk, das sie nicht sind, zu konstituieren und andere vom Volk auszuschließen. Solches muss man nicht vor sich selbst
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Schwerpunkt: 31. Chaos Communication Congress
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Angekommen in Hamburg beim 31C3 Es mutet etwas unheimlich an. Als der Chaos Communication Congress 2012 (29C3) von Berlin nach Hamburg zog, um das aus allen Nähten platzende Kongresszentrum am Alex durch ein scheinbar überdimensioniertes Tagungsgebäude am Dammtor abzulösen, hatte man an der Alster vor allem Eines: Platz. Das ist nun, der mittlerweile 31. Kongress (31C3) liegt hinter uns, wieder Vergangenheit. 10.000 BesucherInnen brachten auch das
da in der Tasche plötzlich wieder abnimmt. Nun, davor wird wohl eher das Beamen erfunden. Das birgt also absurderweise wieder Gefahren, die man erst 2012 weiträumig umfahren hat: Manche sprachen hinter vorgehaltener Hand vom unvermeidbaren Abriss des gerade entdeckten Gebäudes in zwei Jahren. Ironischerweise unter anderem deshalb, weil es der Stadt Hamburg zu groß ist. Die Säle sind nicht teilbar und etagenweise Ver-
tungen, mehr Cryptopartys. Dagegen ist auch gar nichts zu sagen, zumal sich eben zum Beispiel letztgenannte Cryptopartys immer noch eines gesteigerten Publikumsinteresses erfreuen, eben weit stärker als vor drei Jahren. Die andere Seite des „Mehr“ an Allem ist klassischerweise die Resignation. Man müsse sich sowieso nicht mehr mit diesem Thema auseinandersetzen, denn „die“ sind ja in der Lage, alles und Jeden und immer mitzule-
ßen bedeutet. Und dass so etwas dann eben auch eine Signalwirkung sein kann. Dass mehr und mehr Emailanbieter ihre Dienste (wohlgemerkt nicht so ein PR-Gag wie DEMAIL) einfach von Ende-zuEnde verschlüsseln. Was, nebenbei bemerkt, Dinge sind, die eigentlich nicht erst 2014 möglich gewesen wären. Aber das Bewusstsein ändert sich langsam. Womit sich eben auch zeigt, wie dieses Netz eigentlich funktioniert oder
mietungen nicht praktikabel. Dem Chaos Computer Club ist das egal, der Platz wird dankend angenommen. Aber wohin Europas größter Kongress danach soll, diese Frage wird wohl zu einem organisatorischen Damoklesschwert. Daran dachte aber während des 31C3 vermutlich niemand. Schließlich sollte Aufbruchsstimmung vermittelt werden, das hatte man sich gar in den Titel geschrieben. Was sicherlich bemerkenswert war, nachdem letztes Jahr explizit kein Motto gewählt wurde, um die Sprachlosigkeit gegenüber den Enthüllungen Edward Snowdens, der nachgewiesenen globalen Überwachung zu demonstrieren. Dass das kein Dauerzustand sein kann, ist offensichtlich, man muss eben vielmehr von vorne beginnen, sagte man sich. Oder auch: Anders anfangen und agieren als gewohnt. Schließlich neigt man schnell dazu, den rasanten Fortschritten, dem immensen Budget mit denen NSA & Co. alle Leitungen abgrasen, einfach nur „Mehr“ entgegenzusetzen. Mehr Technik, mehr Verschlüsselung, mehr Anlei-
sen und zu knacken. Die Überwacher als dunkle Magier in hoch gesicherten Burgen.
funktionieren sollte – und was mit dem Aufruf des letzten Jahres, „Systemadministratoren dieser Welt, vereinigt euch!“, gemeint sein könnte. Wenn ein Otto-Normal-User erst dazu kommt, eigentlich notwendige Techniken einzusetzen, wenn deren Anwendung so einfach wie der Start-Button ist, sollte man auch schauen, ob man in diese Richtung gehen kann. Und das tun in Moment so einige Projekte da draußen. Die andere, notwendige, Hälfte ist freilich eine gesellschaftlichpolitische. Dass das Internet im Jahre 2013 von führenden PolitikerInnen als „Neuland“ bezeichnet wird und eine „digitale Agenda“ 2014 vor allem als eine Verschiebung notwendiger Punkte und Debatten erscheint, ist ein reichliches Armutszeugnis. Wenn die EU-Kommission einen Internet-Kommissar ernennt, ist das noch lange kein Grund zur Freude. Oder, wie es ein populäres Blog ausdrückte:
Bild: heipei auf flickr (BY-SA-2.0)
CCH am Dammtor an seine Grenzen. Ausverkaufte Tageskarten und über 120 Stunden Vortrags- und Workshop-Programm scheinen rekordverdächtig. Sogar dem Luxusproblem, dass es bei dieser Fülle an Angeboten immer zu Interessenskonflikten kommen kann, wurde zum ersten Mal Rechnung getragen. Im Vorfeld konnte jede/r im Netz die Vorträge „punkten“, die man am liebsten verfolgen mochte, woraus der eigentliche Zeitplan generiert wurde. Man darf wohl konstatieren, dass dieser Kongress angekommen ist. Ob nun gleich in der sogenannten Mitte der Gesellschaft, wie man in einigen Zeitungen lesen durfte, sei dahingestellt. Aber das Publikum wächst nach wie vor. Und dadurch verändert es sich. Dem oft bemühten Hackerklischee mit all seinen Symbolbildern muss man mittlerweile ziemlich emsig hinterherjagen, um es bestätigt zu sehen. Dass sich das in Zukunft noch einmal ändert, darf bezweifelt werden. Oder vielleicht doch, nämlich dann, wenn die Bedeutung des Internets und der ganzen smarten Technikarma-
a new dawn Man entschied sich also für eine neue Morgendämmerung als Motto, vermutlich sogar für eine neue Ära. Das ist natürlich hoch gepokert, suggeriert es doch im ersten Moment, es gebe für all das eine Lösung, an die man bisher einfach nicht gedacht habe. Das war natürlich nicht gemeint. Aber es geht um diesen Hoffnungsschimmer, den man braucht, um eben nicht der gerade genannten Resignation zu verfallen, und sich stattdessen selbst wieder auf die Füße zu stellen. Dafür gibt es Gründe. Da wäre zum Beispiel der gar nicht so kleine Fakt, dass das allgegenwärtige Unternehmen Google begonnen hat, all seine Dienste standardverschlüsselt anzubieten. Davon bekommt der nur konsumierende Endkunde nicht unbedingt etwas mit. Das ist der Trick dabei. Man kann sich kaum und irgendwie eben doch vorstellen, welche Rolle oder Größe Google für das Netz da drau-
„Günther Oettinger ist jetzt der neue EU-Kommissar für Netzpolitik. Deswegen braucht es noch mehr netzpolitik.org!“
Mit der Vergrößerung dieses Kongresses, der neuen Popularität, kommen natürlich mehr und mehr Menschen, die einen anderen Fokus auf all diese Themen haben, eben durchaus einen eher politischen als technischen. Als loses Beispiel sei nur das Zentrum für politische Schönheit genannt, das im Herbst des letzten Jahres mit seinem „Ersten europäischen Mauerfall“ durch die Medien geisterte und hier über die Aktion berichtete. Diese Bewusstwerdung und damit einhergehende Öffnung einer klassischen Hackerkultur, die laut Symbolfotos in stickigen, dunklen Kellern um die Wette tippt, ist letzten Endes ein großes Pfund, das die besagte Morgendämmerung leuchten lässt. So war es am Ende nicht unbedingt das, was aus diesem Kongress immer nach außen dringt, die unzähligen Vorträge und deren Streams, die einem Mut geben sollten. Diese haben fast schon traditioneller Weise das nötige Salz in offene Wunden gestreut. Wenn billige Fotokameras ausreichen, um von anderen Menschen Fingerabdrücke zu kopieren; wenn Kopierer einer Firma, die überall auf der Welt genutzt werden, beim Scannen Zahlen der Dokumente verändern oder Marktführer wie Microsoft dazu beitragen, dass wir als Benutzer nicht mehr bestimmen können, welche Software unsere Computer ausführen dürfen, zeigt dies wahlweise die schlimmsten Albträume der heutigen Gesellschaft oder einfach nur die Fragilität dessen, von dem wir längst abhängig sind und das mitunter noch immer mit der Wortgruppe „neue Medien“ bezeichnet wird. Es ist eher das, was dazwischen passiert und was, ganz unpathetisch gemeint, zu Hause schwer nachzuvollziehen ist. Man kann diesen Kongress besuchen, ohne einmal einen Vortragsraum aufzusuchen, und stolpert dennoch aller paar Minuten über Menschen, Projekte und Ideen, sodass man Mühe hat, seinen Kopf nicht zu überlasten. Konkrete Vernetzung und Austausch scheinen da, und das ist vielleicht das Bemerkenswerteste, mittlerweile eher am Getränkeroboter als hinter einem Bildschirm stattzufinden. Derweil verziehen sich die Überwacher dieser Welt abgeschottet in immer größere Keller. Aber darüber sprachlos, das schien auf dem 31C3 niemand mehr zu sein. Texte: Gregor Henker
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Schwerpunkt: 31. Chaos Communication Congress
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Dezentralisierung jetzt! Das ist eine Forderung, die vertraut klingt, aber zumindest im Netz noch nicht weit verbreitet ist. Dabei gibt es gerade für politisch Aktive genügend Gründe, sich genau damit auseinanderzusetzen. Folgende Gretchenfrage: Wem vertraut ihr lieber eure Daten an? Dem (menschlich gesehen) anonymen Großkonzern, der wohl eine direkte Standleitung zum Rechenzentrum des Geheimdienstes eures Vertrauens hat? Oder einem im Vergleich winzigen Server irgendwo bei Plauen im Vogtland, dessen Team man im Zweifelsfall persönlich kennt? Die Antwort ist meist verblüffend. Aber es gibt sogar noch etwas dazwischen. Überall auf der Welt haben sich linke Technikaktivisten zusammengetan, um ihr Wissen zu nutzen, zu teilen und daraus Dienste und Angebote für wiederum linke politische Menschen anzubieten. Quasi kostenlos (wenngleich dahinter Kosten entstehen), mit dem Fokus auf Datenschutz und Sicherheit. Auch in Deutschland gibt es das, mehrfach, doch auch dort entsteht interessanterweise wieder ein ungewolltes Monopol. Während des 31C3 entschieden sich die Betreiber des Jabberservers des Chaos Computer Clubs, keine neuen Registrierungen mehr zu erlauben. Der Dienst wurde während des Kongresses quasi überrannt. Nicht zuletzt durch den Namen suggeriert er technisches Know-How, das man anderswo nicht findet. Diese Popularität ist aber Fluch und Segen zugleich. Viele kennen das Phänomen in Sachsen,
wenn sie Mitte Februar auf einmal ihren Jabberaccount nicht mehr nutzen können. Und noch viel einfacher: Da diese Projekte ehrenamtlich betrieben werden, steigt die Verantwortung derer, die dahinterstehen, mit jeden neuem User. Schließlich können sie schlecht einfach eine weitere Person einstellen. Davon abgesehen steigert na-
ter anderem Lavabit, der kleine Emailprovider, den Edward Snowden nutzte. Dieser entschied als letztes Mittel, als per (vertraulichem) Gerichtsentscheid die Herausgabe aller (!) Nutzerdaten des Dienstes gefordert wurde, diesem zuvorzukommen, in dem alle diese Daten gelöscht wurden. Das mag ein drastisches Beispiel sein,
für einen winzigen Computer. Oder man teilt sich als Gruppe oder Kollektiv eben die Kosten für einen größeren Server, der gleich ein paar Hundert Mailaccounts/Jabber-/Owncloud-/ Mumble-/Etherpad- und wasauchimmer-Konten beherbergen kann. Dann bedarf es vielleicht etwas mehr Grundlagenwissen, als man sich mal
schauen. Und später entscheiden. Es ist eben alles eine Frage von liebgewonnenen Gewohnheiten und Ritualen. Übrigens: die Linksjugend Sachsen bietet solche Dienste seit Jahren an. Sei es Jabber, Mail(linglisten), Etherpads oder eine Doodlealternative etc. Wen das interessiert, der kann ja mal nachfragen: services@linksjugend-sachsen.de. Auch Ende 2015 wird es wieder den Kongress geben, dann den 32., wieder oder noch in Hamburg: 27. bis 30.12., wobei am Tag 0, also am 26.12., zumeist die Anreise stattfindet. Unsere Vorbereitung dafür beginnt im Spätsommer oder Herbst. Aufgrund der knackigen Kosten, die die Anreise nach Hamburg, die Tickets, Verpflegung und Unterkunft bedeuten, beantragen wir jedes Jahr Unterstützung bei der Linksjugend Sachsen und bei DIE LINKE. Sachsen. Wen das Interesse gepackt hat, der melde sich doch bitte per Mail an kontakt@linksjugend-sachsen.de, Betreff: 32C3
Bild: Gerald Grote auf flickr (BY-NC-SA-2.0)
türlich auch die Verbreitung solcher Dienste das Interesse derer, die heute etwa fordern, Verschlüsselung zu verbieten. Interesse natürlich im negativen Sinne. Wenn 5.000 Personen ihre Mails und Kommunikation einem Dienst anvertrauen, sind natürlich auch 5.000 Personen ihre Mails und Kommunikationsmöglichkeiten los, wenn diesem Dienst etwas passiert. Dass das nicht nur Mafiajargon ist, zeigte un-
aber es ist eben ein Beispiel. Das Internet ist auch deshalb so erfolgreich, weil es tatsächlich ein „Netz“ ist, das weiter existiert, wenn Teile davon verlorengehen. Die Möglichkeiten, diese Struktur zu erweitern, sind heute viel einfacher als noch vor zehn Jahren. Persönliche Dienste (wie z. B. eine Art Dropbox-Dienst, dessen eigentliche Technik kontrollierbar zu Hause steht) benötigen kaum mehr als 50 € im Jahr
eben anlesen kann. Aber meistens kennt man ja sowieso jemanden, der helfen kann und möchte und das vielleicht sowieso schon für sich selber betreibt. Womit wir wieder bei der Gretchenfrage oben wären. Wer meint, dass er oder sie nicht auf einen speziellen Dienst oder die Oberfläche eines kommerziellen Anbieters verzichten kann, kann sich so etwas ja auch erstmal mit einem Zweitaccount näher an-
jede „nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlung“ unter Strafe stellen. Deutschland hat die Konvention mit unterzeichnet, ist also zur Anpassung seines Strafrechts verpflichtet. Damit würde die alte Losung der Frauenbewegung „no means no – Nein heißt Nein“ endlich umgesetzt. Ein Erfolg, könnte man meinen, und die Umsetzung wäre nur noch ein kleiner formeller Akt im Bundestag. Falsch gedacht. Weigerte sich doch vor allem der Justizminister Heiko Maas (SPD) lange, dieses Gesetz anzupassen. Und auch nach Beschluss der Istanbul-Konvention behauptete er, dass die deutsche Rechtslage schon den Anforderungen der Konvention genüge. Wer das nicht erkenne, sehe das Thema Vergewaltigung wohl „zu weiblich“,
soll er laut Spiegel in einer Runde der Justizminister_innen gesagt haben. Aus Parteiräson und auf Druck einiger Ministerinnen plant er nun zwar doch eine Reform, startete aber erst einmal eine Umfrage bei den Ländern, ob wirklich Bedarf bestehe. Inzwischen liegt auch ein einstimmiger Beschluss vor, den „Vergewaltigungsparagraphen“ zu reformieren, doch eine schnelle Umsetzung der Istanbul-Konvention ist immer noch nicht erkennbar. Viele Täter bleiben somit immer noch, aufgrund der zu engen Auslegung des Gesetzes, ungestraft. Mit der Verabschiedung der Istanbul-Konvention braucht niemand davor Angst zu haben, dass man jetzt grundsätzlich vor jedem sexuellen Akt eine Einverständniserklärung unterschreiben muss, wie böse Zun-
Alle Vorträge und Projekte als Video: http://media.ccc.de/browse/ congress/2014/ Das Wiki zum 31C3: https://events.ccc.de/congress/2014/wiki/Main_Page Das Eventblog, bald mit der Ankündigung für 2015: https://events.ccc.de/ Nachrichtenüberblick des letzten Kongresses: h t t p : // w w w . h e i s e . d e / thema/31C3
Endlich reicht ein „Nein“ Seit vielen Jahren fordern Initiativen, Vereine und Verbände, verschiedene Parteien sowie Politiker_innen eine Reform des §177 des Strafgesetzbuches, des so genannten „Vergewaltigungsparagraphen“. Bis jetzt steht darin, dass sich nur der- oder diejenige strafbar macht, der „eine andere Person mit Gewalt, durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen“. Es genügt also bisher nicht, dass das Opfer eindeutig „Nein“ gesagt hat. Diese Formulierungen weisen zudem viele Lücken auf. So
gilt es z. B. nicht als Vergewaltigung, wenn das Opfer die sexuelle Handlung über sich ergehen lässt, weil die Kinder im Nebenzimmer sind und davon nichts mitbekommen sollen. Und auch wenn das Opfer sich nicht gegen den Täter wehrt, weil es schon früher Prügelattacken des Täters ertragen musste und Angst vor erneuter Gewalt hat, gilt dies nicht als Vergewaltigung. Es wurde ja in der Situation keine Gewalt ausgeübt. Man könnte eigentlich zu dem Schluss kommen, dass der Vergewaltigungsparagraph in seiner jetzigen Form eher pro Täter ist als pro Opfer. Dies soll nun endlich anders werden. In der Istanbul-Konvention des Europarats, die am 1. August in Kraft getreten ist, steht geschrieben, dass die Staaten
gen behaupten. Aber es muss endlich – auch in Deutschland – anerkannt werden, dass „Nein“ auch „Nein“ heißt. Ein Journalist der taz hat für das derzeitige Agieren von Deutschland eine in meinen Augen richtige Schlussfolgerung gezogen: „Dass dies nicht schon längst der Maßstab der Strafbarkeit ist, kann historisch wohl nur damit erklärt werden, dass typischerweise Männer die Täter und Frauen die Opfer sind. Wäre es umgekehrt, sähe das Strafrecht schon seit Jahrhunderten so aus, wie es erst jetzt zum europäischen Standard wurde.“ Hoffen wir, dass Herr Maas schnellstmöglich eine Änderung des §177 im Sinne der Istanbul-Konvention vorlegt. Zum Schutz der Opfer. Sabine Pester
Hintergrund
Links! 01-02/2015
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André Hahn ist Deutschlands oberster Geheimdienstkontrolleur Vor kurzem noch undenkbar, seit Jahresbeginn Realität: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik leitet ein Abgeordneter der LINKEN im Bundestag das Parlamentarische Kontrollgremium für die Geheimdienste. Darüber sprachen wir mit dem früheren Fraktionschef im Sächsischen Landtag, Dr. André Hahn. Trotz der langen landespolitischen Erfahrung war es nicht selbstverständlich, dass Sie auf Bundesebene so schnell Fuß fassen und dort nun sogar den Vorsitz in einem der sensibelsten Ausschüsse übernehmen würden. Wie kam es dazu? Da spielten viele Dinge eine Rolle. So wurde der bisherige Vertreter der LINKEN im Kontrollgremium nicht wiedergewählt, der Platz war also vakant. Es gab mehrere Interessenten, aber ich hatte den Vorteil, in Sachsen bereits seit 1996 Erfahrungen in der Kontrollkommission für den Verfassungsschutz gesammelt zu haben. Ich war damals der erste PDS-Politiker in einem solchen Gremium. In anderen Landesverbänden vertrat man die Auffassung, man würde die Geheimdienste legitimieren, wenn man sich an deren Kontrolle beteiligt. Ich bin heute noch der Auffassung, wenn man in Parlamente geht, sollte man dort auch alle Kontrollmöglichkeiten nutzen. Im Bundestag galt seit langem die Regel, dass der Vorsitz jährlich
zwischen Regierungskoalition und Opposition wechselt, wobei man davon ausgegangen ist, dass der Wechsel immer zwischen CDU und SPD erfolgt. Nun aber sind wir die größte Oppositionsfraktion. Mag sein, dass die Geheimdienste ein Problem damit haben, das ich nun dieses Gremium leite, aber das interessiert mich nicht. Es gibt demokratische Spielregeln, und damit müssen auch die Chefs von BND, MAD und dem
Da darf man sich keine Illusionen machen, denn an den Mehrheitsverhältnissen im Gremium ändert sich ja nichts, auch wenn ich nun Vorsitzender bin. Die Koalition hat sieben Stimmen, die Opposition mit dem Grünen Hans-Christian Ströbele und mir zwei. Da kann man keine großen Sprünge machen. Andererseits habe ich nun Einfluss auf die Tagesordnung der Sitzungen, kann bestimmte Themen set-
Nachrichtendiensten transportieren konnte.
Bundesamt für Verfassungsschutz umgehen, die ja an jeder Ausschusssitzung teilnehmen.
zen und werde auch medial häufiger angefragt. Allein im Januar gab es vier Fernsehund fast ein dutzend RundfunkBeiträge, in denen ich zu Wort kam und dabei auch kritische Positionen der LINKEN zu den
durch die Judikative oder die Medien. Im Parlament gibt es auch ein strukturelles Problem: Die geltende Gesetzeslage schreibt vor, dass die Dienste das Kontrollgremium über die allgemeine Lage in relevanten
Wie groß sind Ihre realen Einflussmöglichkeiten im neuen Amt tatsächlich?
Sie befassen sich nun schon seit zwei Jahrzehnten mit dem Thema. Hand aufs Herz – kann man die Geheimdienste wirklich kontrollieren? Alles, was im Geheimen stattfindet, lässt sich nicht komplett kontrollieren, weder durch parlamentarische Gremien noch
Bereichen sowie über Vorgänge von besonderer Bedeutung unterrichten müssen. Was aber Vorgänge von besonderer Bedeutung sind, entscheiden im Zweifel die Dienste oder letztlich das Bundeskanzleramt. Wirklich Brisantes wird dadurch oft unter der Decke gehalten. Ich werde im Rahmen meiner Möglichkeiten versuchen, hier für mehr Transparenz zu sorgen, denn die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren,
was mit den Millionen an Steuergeldern passiert, die jedes Jahr für die Nachrichtendienste ausgegeben werden. Die Fragen stellte André Nowak.
Abkopplung des Franken vom Euro: Was heißt das? Die plötzliche Abkehr der Schweizer Notenbank von einem gedeckelten Wechselkurs zum Euro hat selbst Experten überrascht. Durch die Ankündigung der Schweizer Nationalbank, den über drei Jahre aufrecht erhaltenen Höchstkurs von 1,20 Euro je Franken nicht weiter aufrecht zu halten, wertete der Franken sprunghaft auf und stabilisierte sich kurz danach vorerst bei einem Kursplus von nahezu 20 Prozent gegenüber dem Euro. Seither wird spekuliert über die Gründe für diesen Kurswechsel der Schweizer Nationalbank, die weitere Kursentwicklung zwischen Franken und Euro, sowie die Gewinner und Verlierer dieser Maßnahme. Bedingt durch die Größenverhältnisse der Währungsräume sind die unmittelbaren Konsequenzen für den Schweizer Franken und Schweizer
Wirtschaft ungleich einschlagender als für die Währung und Ökonomie der Eurozone: Die Verlierer sind vor allem die Schweizer Tourismusbranche und der Exportsektor, da sich die Schweizer Waren und Dienstleistungen für alle Fremdwährungshalter exorbitant verteuert haben und die Absatzprognosen düster stehen. Dementsprechend stürzten vor allem die betreffenden Unternehmensaktien an der Schweizer Börse ab, welche sich mittlerweile leicht erholt hat. Da mit Kurzarbeit die drohende Rezession abgefedert werden soll, sind auch die betroffenen Arbeitnehmer, vor allem die Geringverdiener unter ihnen, zu den Verlierern zu zählen. Als Gewinner profitieren sowohl der Schweizer Importsektor als auch Schweizer Sparer
sowie europäische Besitzer Schweizer Bankkonten bzw. in Franken geführten Konten, die nun einen schlagartigen Kaufkraftgewinn gegenüber der Eurozone verbuchen können (erhöhte Kaufkraft bezüglich Importgüter und Auslands-Urlaube). Zudem werden Exporte aus dem Euroraum in die Schweiz und den Rest der Welt wettbewerbsfähiger. Das sind die kurzfristigen Folgen, aber die langfristigen Lehren kommen erst noch. Denn die Schweiz hat sich symbolträchtig abgekoppelt, der Euro verliert damit einen Teil seines regionalen Leitwährungsstatus. Was bedeutet das für die Zukunft der Schweiz? Es ist offen, ob die Politik der Schweizerischen Nationalbank aufgeht, oder ob es zu einem weiteren massiven Aufwertungsdruck kommt – und wie dieser ein-
zuschätzen wäre. Sicherlich wird es die Schweizer Wirtschaft schwer haben und der Kapitalzustrom in die Schweiz eher anhalten. Für Deutschland wird dieses Experiment ganz speziell lehrreich sein: An der Schweizer Wirtschaft kann nun das Szenario einer „abrupten Aufwertung“ studiert werden, welche auch Deutschland drohen würde – bei einer Rückkehr zur DM bzw. beim Austritt aller strukturschwächeren Euroländer aus dem Euro. Was heißt das für die deutsche und europäische Situation? Zunächst ist es ein weiterer Glaubwürdigkeitsverlust für die Gemeinschaftswährung, wenn sich mitten im Euro-Gebiet eine der bekannten geografischen und währungspolitischen Inseln nun gezwungen sieht, die Seile zum Euroland zu kappen. Zudem lässt sich eine generelle Abwertungs-
tendenz der großen Währungsräume belegen, die von vielen Kommentatoren als Abwertungswettlauf ausgelegt wird, um die global immer mobileren Produktionskapazitäten – und damit Einkommen, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen – bei sich zu konzentrieren. Die Probleme der Eurozone und die von der Politik nicht ausgeräumten Zweifel am Eurofortbestand haben hier den Nebeneffekt, eine andauernde und weiterhin zunehmende Unterbewertung des Euros zu verursachen. Dies nützt der deutschen und europäischen (Export-)Wirtschaft und schafft Arbeitsplätze hierzulande. Dass diese Politik auf Kosten der europäischen Peripherie geht und mit hohen Handelsüberschüssen auch neue Risiken aufgebaut werden, steht auf einem anderen Blatt. Axel Troost
01-02/2015 Sachsens Linke!
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Januar-Februar 2015
Sachsens Linke
Zwei Themen prägen diese Ausgabe: Da ist zum einen der Wahlsieg unserer Schwesterpartei Syriza in Griechenland, der uns dazu bringt, erneut über die Folgen der Austeritätspolitik nachzudenken. Auch den „PEGIDA“, die die politische Land-
Bild: Jakob Huber auf flickr / DIE LINKE
No Future war gestern Die Woche der linken Zukunft im April ist die Chance, für DIE LINKE ihre Antworten für ein besseres Morgen zu diskutieren An die Zukunft denken viele Menschen in politischen Begriffen momentan lieber nicht. Wer kann es ihnen verdenken? Grund für schlechte Laune gibt es schließlich, wohin man schaut: Krieg in der Ukraine, Terror in Paris, Elend in Südeuropa, Prekarisierung selbst im Land des „Exportweltmeister“ und Rassismus auf den Straßen. Es scheint heute häufig tatsächlich realistischer, sich das Ende der Welt als das Ende des Kapitalismus vorzustellen, wie der Kulturtheoretiker Mark Fisher das Fehlen der Utopie im Neoliberalismus einmal umschrieb. Keine guten Zeiten für eine demokratisch-sozialistische Partei, könnte man meinen. Doch es gibt zahlreiche Ansätze und Alternativen, die auch eine ganz andere, hoffnungsvolle Perspektive möglich machen. Manchmal sind sie klein – wie Ansätze einer Shareconomy oder demokratische Haushalte auf kommunaler Ebene –, manchmal groß wie umfassende Konzepte für eine gerechtere Finanzordnung und den sozial-ökologischen Wandel. Zudem machen soziale Bewegungen und neue lin-
ke Parteien, wie Syriza in Griechenland, deutlich, dass die Linke vielleicht europaweit vor einem Comeback steht. Es gibt also keinen Grund, sich in den eignen vier Wände zu verkriechen. Denn wer nicht heute schon an morgen denkt, überlässt anderen dessen Gestaltung. Und wohin die Ideen der neoliberalen Eliten führen, haben wir in den letzten Jahren erleben dürfen. Außerdem braucht eine linke Partei immer auch das überschießende Moment, sie kann im Gegensatz zu den Rechten ihre Poise nicht aus der Vergangenheit borgen, sondern nur aus der Zukunft ziehen. Die LINKE muss also über den Tag hinaus denken, wenn sie ihren eigenen, gesellschaftskritischen Anspruch ernstnimmt. Sie sollte das aber auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse tun. Denn der erfolgreiche Aufbau einer gesamtdeutschen Partei links von der SPD hat in den letzten zehn Jahren wesentlich auf politischen Pfeilern beruht, die eine erfolgreiche Parteientwicklung in Zukunft nicht mehr alleine tragen werden. Weniges veranschaulicht das besser als die jungen Leute, die – konfrontiert mit unserer Forderung „Hartz IV muss weg“ – mit der entgeisterten Frage antworten: Wie, das wollt ihr uns jetzt auch noch wegneh-
men? Natürlich bleiben der Kampf gegen Hartz IV, die Ablehnung der Agenda-Politik (und von Kriegseinsätzen) zentrale Punkte für die Linke. Jedoch sind darüber hinausweisende, nach vorne gerichtete Alternativen gefragt. Gerade das offensichtliche Scheitern des Finanzkapitalismus macht deutlich, dass eine eigene linke Vision von Gesellschaft, eine positive Erzählung und eine dazugehörige Vorstellung von konkreten Einstiegsprojekten nötig sind. Es braucht neue strategische Anker für die Partei. Genau an diesem Punkt setzt die Woche der Linken Zukunft an, die vom 23.-26. April in Berlin stattfinden wird. Mit Beiträgen von Partei, Fraktion und Rosa-Luxemburg-Stiftung sind dafür – nach einem „Call of Ideas“ und intensiver Beteiligung aus der Parteibasis – bereits über 80 Veranstaltungen zu den fünf großen Überthemen „Zukunft der Arbeit“, „Umverteilung“, „Zukunft des Öffentlichen“, „Sozialökologischer Wandel“ und „Aneignung der Demokratie“ organisiert worden. Die Lücke zwischen parteipolitischem Tagesgeschäft und abstrakter Utopie wollen wir dabei ergebnisoffen und sowohl im Hinblick auf die Analyse des Istzustandes als auch die Möglichkeiten der Zukunft dis-
schaft des Freistaates in den letzten Wochen durcheinandergewirbelt haben, widmen wir mehrere Diskussionsbeiträge.
Daneben geht es um 10 Jahre Hartz IV, um Neues aus den LAG und vieles andere mehr.
Aktuelle Infos stets auch
unter
e www.dielinke -sachsen.d
kutieren. Eingeladen zu diesem Forum linker Ideen sind natürlich alle Mitglieder der Partei, aber auch andere kritische Köpfe und HeldInnen des Alltages. Das können der Jobcenter-Mitarbeiter, der keine Sanktionen verhängt, die kritische Polizistin oder der engagierte Netzaktivist sein. Dabei haben schon so viele kritische Köpfe zugesagt, dass es unmöglich ist, sie alle aufzuzählen. Um nur die Bandbreite anzudeuten: der Autor Dietmar Dath, der Autor von Multitude Michael Hardt, die feministische Netzaktivistin Anke Domscheit-Berg, die marxistische Feministin Frigga Haug, der Schriftsteller Volker Braun, die Publizistin Daniela Dahn, die Autorin von „Kommunismus für Kinder“ Bini Adamczak, der Regisseur Volker Lösch und viele internationale Gäste. Vom üblichen Ablauf linker Kongresse wollen wir uns nicht zuletzt dadurch abheben, dass ganz unterschiedliche Formate – von Einführungsveranstaltungen über Workshops bis hin zu Podiumsdiskussionen – immer eine Möglichkeit zur wirksamen Beteiligung bieten. Bereits im Vorfeld der Zukunftswoche hat eine Debatte über verschiedene Themenfelder begonnen, an der man sich jetzt schon auf dem dazugehörigen Blog beteiligen kann. Und natürlich wollen wir nicht nur darüber diskutieren, wie die Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden können, sondern auch selber tanzen. Überhaupt kommt der Kultur eine eigene Bedeutung zu. Es wird Ausstellungen und Lesungen sowie einen Galeriebesuch der besonderen Art geben. Insgesamt hat es ein so offenes Angebot zur Diskussion in unserer Partei – zumindest jenseits des Entscheidungsdrucks (und gelegentlich ja auch Fraktions- bzw. Strömungszwanges) bei Parteitagen und in Gremiensitzungen – seit ihrem Bestehen noch nicht gegeben. Die Chancen stehen insofern gut, dass die Zukunftswoche ihren Anspruch, ein Labor für linke Ideen im Allgemeinen und die linke Partei der Zukunft im Besonderen zu sein, erfüllt. Dafür braucht es aber nicht zuletzt eins: Eure Beteiligung. Katja Kipping
„Opposition“ am Kabinettstisch
Wir erleben im Landtag gerade Erstaunliches. Da haben wir eine Regierungskoalition, in der zwei Partner versuchen, möglichst weiten Abstand voneinander zu halten. Gerade hat die SPD ihren Küchentisch in die Staatskanzlei geschleppt, da muss ihr aufgefallen sein, dass die CDU eben doch nicht der verlängerte Arm der Sozialdemokratie ist, sondern eigentlich ein ziemlich ungleicher Partner. Überraschung! Und so gibt es deutliche verbale Absetzbewegungen: Beim Winterabschiebestopp? Ja, für den hat unsere SPD wirklich große Sympathien, aber man wird doch an so einer Kleinigkeit nicht die Koalition platzen lassen, oder? Mietpreisbremse in Dresden und Leipzig? Großartige Idee, aber leider, leider … Die Koalitionsdisziplin … Kritik am Totalverbot von Demonstrationen in Dresden? Am Ende muss man im Sinne des Koalitionsfriedens … Wir verstehen uns. Nach dem sozialdemokratischen Regierungseinstieg wird deutlich, dass stimmt, was wir vorausgesagt haben: Wirklich neue, eigene Akzente konnte die SPD bisher kaum setzen. Die CDU regiert weiter wie bisher. Die SPD geriert sich allenfalls verbal als Opposition am Kabinettstisch, um eigene Positionen nicht komplett zu räumen. Am Ende stimmt sie aber stets mit der Union. Wie lange wollen die Sozialdemokraten das noch durchhalten? Daraus entsteht ihnen schließlich ein Glaubwürdigkeitsproblem. Je öfter sie von ihrem postulierten Willen abweicht, desto klarer wird: Die SPD hat sich lediglich zum Mehrheitsbeschaffer der Union gemacht. Sprechen wir das auch so aus!
Sachsens Linke! 01-02/2015
Meinungen Zum Leserbrief von Jürgen Eibicht (Sachsens Linke! 12/2014, S. 2) zur Glosse „Blödmann vom Dienst“ von Uwe Schaarschmidt Nach meinem Verständnis wendet sich Uwe Schaarschmidt ausdrücklich gegen religiöse Intoleranz. Auch um zu bekräftigen, dass dies nicht aus Eigeninteresse erfolgt, wird erklärt, warum er mit Religion nichts am Hut hat. Für mich sind viele Lehren von Jesus sehr wichtig. Aber ich kritisiere es auch, wenn Kirchenmitglieder Nichtreligiöse pauschal als Egoisten ohne Werte verurteilen. Und als ich mich wegen eines kirchlichen AntiIslam-Papiers an das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner („Ich danke Dir Gott, dass ich nicht bin, wie jene.“ – Lukas 18, 11) erinnerte und darauf hinwies, dass Jesus diese Haltung kritisierte (Lukas 18, 14), wurde ich als fanatischer Moslem eingeschätzt. Auch bei der Forderung von Jürgen Eibicht kann ich nur an die Bergpredigt erinnern: „Verurteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet“ (Matthäus 7,1). Ich bin somit für die Achtung (nicht-)religiöser Menschen, gegen Verunglimpfungen, Hetze, Sonderrechte für Religionen und Kritikverbote. Uwe Schnabel, Coswig Zu „Agent wider Willen“ (Links! 12/2014, S. 3) Bekanntlich versucht der Westen in Staaten, die sich ihm nicht unterwerfen wollen, einen Umsturz herbeizuführen. Dazu nutzt er auch sogenannte Nichtregierungsorganisationen. Wenn sie ihm für seine Zwecke nützlich erscheinen, können sie u. a. finanziell und inhaltlich unterstützt werden. Es ist verständlich, dass Russland einen Umsturz verhindern und deshalb offenlegen will, wer im Interesse westlicher Staaten und Organisationen handelt. Der Westen ist aber verständlicherweise gegen diese Transparenz. Seine Kritik an Russland ist auch schon deshalb verlogen, weil z. B. das Verbot ausländischer Finanzierung im deutschen Parteiengesetz oder die Extremismusklausel viel einschränkender sind. Auch die Diffamierung all derer, die sich für partnerschaftliche Bezie-
Impressum Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung
hungen mit Russland aussprechen, als Putinversteher, von AntifaschistInnen als linke ExtremistInnen, von kurdischen Vereinen als terroristisch, von Muslimen als Gefahr usw. ist viel kritikwürdiger. Diese Zusammenhänge sollten wir kennen, bevor wir Russland einseitig kritisieren. Rita Kring, Dresden Antifaschistische Bildung kostet Geld – Unterstützung benötigt! In Sachsen haben sich Anfang 2010 junge und ältere Antifaschist_innen zusammengefunden und die Idee einer gemeinsamen Bildungsreise entwickelt. Zum einen soll das Ziel verfolgt werden, Wissen zu erhalten, zum anderen soll auch die Vernetzung der antifaschistischen Akteure, nicht nur in Sachsen, befördert werden. Im Jahr 2011 führte die Reise nach Paris. Die Teilnehmenden schauten sich unter anderem das Resistance-Museum Mémorial Leclerc und das Musée Jean Moulin an. Im Jahr davor waren sie in Slowenien auf den Spuren der Partisan_ innen. Im Jahr 2012 führte die Bildungsreise nach Dänemark. Zum 70. Jahrestag der Landung in der Normandie führte die antifaschistische Bildungsreise im Jahr 2014. Für das kommende Jahr organisieren der Tamara-Bunke-Verein aus Zittau und wir zum 70. Jahrestag der Befreiung Italiens eine antifaschistische Bildungsreise in die Reggio Emilia. Die Fahrt beginnt am 21.04.2015, Rückfahrt (Ankunft) wird am 28.04.2015 in Pirna sein.
und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redakti-
Seite 2 bringung der Hilfesuchenden nicht solidarisch geteilt werden, je nach Wirtschaftskraft eines jeden europäischen Landes? Weil ich ganz viele Fragen dazu habe, schrieb ich an MdEP Dr. Cornelia Ernst diese Mail: Liebes Team von MdEP Dr. Cornelia Ernst,gibt es von der europäischen LINKEN ein Konzept, wie sich die Linke im Europaparlament zur Migration positioniert bzw. wie eine Lösung der Einwanderung von links aussieht? Dies würde mich sehr interessieren und ich bitte um Zusendung, falls es dieses gibt. Nun bekam ich diese Antwort: Hallo Jens, leider gibt es bis jetzt ein solches Papier nicht. Auf der Beratung der europapolitischen SprecherInnen am vorigen Freitag war Migration ein Thema. Dabei wurde zwischen Bund, Ländern und der europäischen Ebene vereinbart, unter Leitung der Bund Länder Koordination ein solches Papier auf den Weg zu bringen, Dies soll innerhalb der nächsten zwei Monate passieren. Unser nächstes Treffen findet am 13. März statt. Ich werde dir schreiben, ob es dann etwas Neues gibt. Ich bin gespannt und neugierig auf das Papier. Auch DIE LINKE muss ein Konzept haben, wie wir mit Hilfesuchenden in ganz Europa umgehen wollen. Solidarisch, offen – das ist klar. Aber wie ganz genau? Jens Thöricht
Auf dieser historischen Reise wird es mehrere Stationen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten geben. Unter anderem ist bisher geplant: - Besuch der Gedenkstätte Flossenbürg - Abendvortrag mit Massimo Strochi zur Geschichte des Faschismus in Italien - Wanderung durch die Berge und Gespräch mit der ehemaligen Partisanin Giacomina am Denkmal für die Frauen in der Resistenza - Marzabotto: am Gedenkort für das größte Massaker an der italienischen Zivilbevölkerung, Spaziergang und Gespräch mit einem Zeitzeugen Francesco Pirini - Tag der Befreiung in Reggio Emilia mit Kundgebungen und Konzerten - Stadtspaziergang zu den Vorfällen im Juli 1960 mit Silvano Franchi, dem Bruder des ermordeten Jugendsekretär der KP, Ovidio Franchi. Nur zehn Jahre nach der deutschen Besetzung erlangten Faschist_innen in Italien erneut politische Stärke. Die Movimento Sociale Italiano (MSI), gegründet von Ministern der Mussolini-Regierung, kam zu Übereinkünften mit den Christdemokraten. Dies führte zu landesweiten Protesten und Generalstreiks. Bei diesen kam es zu Ermordungen durch Carabinieri. - Treffen mit Carlo Marmiroli, dem Sohn des Partisanen „Mirko“, der Vizekommandant einer Garibaldi-Brigade war und hoch ausgezeichnet wurde - Besuch einer Kooperative und eines Centro Sociale Um die Teilnahme für Wenigverdiener_innen möglich zu machen, bitten wir Sie / Dich um eine Spende. Gern stehen wir auch für weitere Informationen zur Verfügung.
Eine Unterstützung kann auf die nachfolgende Bankverbindung überwiesen werden. Die Unterstützer werden (auf Wunsch) namentlich in sämtlichen Publikationen über die Reise genannt. Wir sagen bereits jetzt herzlichen Dank. AKuBiZ e.V. Volksbank Pirna e.G. IBAN: DE34850600001000933180 BIC: GENODEF1PR2 Verwendungszweck: Bildungsreise 2015
onssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf lage von 15.150 Exp. gedruckt.
Ralf Richter, Stathis Soudias.
Redaktionsschluss 27.01.2015
Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.
Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 05.03.2015.
Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,
Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720
Migrationsströme und keine (linke) Antwort? Immer mehr Menschen kommen nach Europa, um hier Zuflucht zu finden oder ein besseres Leben zu führen. Nach der aktuellen Dublin-III-Verordnung gilt die sogenannte Regelung der „sicheren Drittstaaten“. Dies bedeutet, dass das Land einen Asylantrag bearbeiten muss, über welches der Antragstellende europäischen Boden betritt. Also dürfte in Deutschland theoretisch fast kein Asylantrag bearbeitet werden. Aber ist das gerecht? Ich war am Ende des letzten Jahres in Griechenland. Dort schilderten mir griechische Freunde, wie Asylsuchende in ihrem Land untergebracht sind: in Hühnerfarmen weit ab der Zivilisation, ohne Zugang zu ärztlicher Versorgung. In der aktuellen Lage kann und will der griechische Staat vielleicht die Situation für die Asylsuchenden gar nicht verbessern. Es fehlen angeblich finanzielle Mittel. Müsste auf europäische Ebene aber nicht auch ein solidarischer Gedanke vorherrschen? Sollte Europa die Asylsuchenden nicht gleichermaßen auf ganz Europa aufteilen, egal über welches Land sie einreisen? Und sollten die Kosten für die Antragsprüfung und die Unter-
Aufruf zur Satzungskonferenz Der 9. Landesparteitag hat die Gründung einer Satzungskommission beschlossen, die in ihrer Zusammensetzung Ende 2013 beschlossen worden ist. Unterbrochen von Wahlkämpfen hat die Satzungskommission nun gearbeitet und möchte auf einer Zwischenkonferenz erste Ergebnisse und Überlegungen zu Diskussion stellen. Konkrete Diskussionsthemen werden unter anderem die Rolle der diversen gemeinsamen Beratungen verschiedener Gremien im Landesverband, die Mandatszeitbegrenzung und Konsistenz der Satzung sein. Alle interessierten Mitglieder sind herzlich zu der Zwischenkonferenz am Samstag, dem 14.03.2015 ins Gewerkschaftshaus Dresden (Schützenplatz 14, Dresden) eingeladen. Um eine vorherige Rückmeldung an kontakt@dielinke-sachsen.de wird gebeten. Tilman Loos
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Austeritätspolitik ruiniert Wirtschaft und Gesellschaft Dr. Axel Troost, stellvertretender Parteivorsitzender und finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der LINKEN, war vor der Wahl in Griechenland und sprach mit führenden VertreterInnen von Syriza. Im Interview spricht er mit uns über seine Sicht der aktuellen Entwicklungen in Griechenland. Am 25. Januar wählten die Griechinnen und Griechen eine neue Regierung. Kannst Du das für uns kurz zusammenfassen? SYRIZA fuhr am Wahlabend 36,4% der Stimmen ein. Sie hat 149 der 300 Sitze des griechischen Parlaments. Aus den vorgezogenen griechischen Parlamentswahlen ist das linke Parteienbündnis also mit deutlichem Vorsprung als stärkste politische Kraft hervorgegangen. SYRIZA koaliert mit der rechtspopulistischen Partei ANEL, die 13 Sitze bekam. Einzig wirklich gemeinsames Moment beider Parteien ist die kategorische Ablehnung der bisherigen Sparpolitik und die Forderung nach einem Schuldenerlass durch die internationalen Gläubiger. Die Koalition selbst möchte ich hier nicht bewerten. Ziemlich rasch wurde die Zusammenarbeit mit der Troika aufgekündigt. Wie geht es nun weiter? Sicherlich wird die Frage des Schuldenschnittes angesprochen. Und sicher wird auch die Idee einer Schuldenkonferenz, nicht nur für Griechenland, sondern auch für andere südeu-
ropäische Länder, kommuniziert werden. Allerdings denke ich, dass in einer ersten Stufe nicht der Schuldenschnitt oder fatalerweise gar der „Grexit“ thematisiert werden sollte, sondern die Frage der Anschlussfinanzierungen. Griechenland hat in diesem Jahr einen Umschuldungsbedarf in der Größenordnung von ca. 22 Milliarden Euro. Die wird man nicht auf dem Kapitalmarkt erhalten, außer zu horrenden Zinsen. Deswegen muss verhandelt werden. Nur dann kann SYRIZA ihren „Nationalen Plan für den Wiederaufbau“ auch umsetzen. Reformen scheinen nötig. Unstrittig ist, dass es in Griechenland Missstände gab und gibt.
Sie setzen auf ein Programm mit vier Säulen. Die erste ist die Bewältigung der humanitären Krise und die Armutsbekämpfung. Die zweite Säule ist die Ankurbelung der Wirtschaft. Die dritte Säule ist ein Arbeitsmarktprogramm. Die vierte
blähen den Beamtenapparat auf und führen ein süßes Leben auf Pump!“ Eine solche ahnungslose „Kritik“ ist schlicht verunglimpfend. Es ist insbesondere unverschämt, wenn solche Äu-
Zu guter Letzt: Was bedeutet die erklärte Abkehr von der Austeritätspolitik für ganz Europa?
ßerungen dann auch noch von CDU- und SPD-PolitikerInnen kommen, deren Partnerparteien die aktuelle Situation in Griechenland überhaupt erst herbeigeführt haben. Die Pläne von SYRIZA sind ein vernünftiges zivilgesellschaftliches Projekt. Sie wollen sozial- und arbeitsmarktpolitische Sofortmaßnahmen ergreifen, durch eine Schuldenregulierung der Klein- und mittelständigen
Es werden Verbündete im Euroraum notwendig sein. Merkel und Co. halten an der bisherigen Politik jedoch noch verbissen fest. Andere haben erkannt, dass die bisherige Politik in die wirtschaftliche Katastrophe führt, weil Deflation droht, weil weiter hohe Arbeitslosigkeit existiert. Dazu gehören z. B. Frankreich und Italien, aber auch EU-Präsident Juncker. Und die versuchen nun eine Politikvariante, die weiterhin den öffentlichen Haushalten Austeriät verordnen und die sogenannten „Reformen“ beim Arbeitsmarkt und in der Rentenpolitik vorantreiben will, aber auch Wachstum für nötig hält. Daher der sogenannte Juncker-Plan, mit dem private Investitionen gefördert werden sollen. Es ist zumindest die Erkenntnis da: Austeritätspolitik funktioniert nicht und ruiniert Wirtschaft und Gesellschaft. Mit viel parlamentarischer und außerparlamentarischer Unterstützung aus dem linken Spektrum der Länder in der Eurozone ist vielleicht eine zunehmende Akzeptanz dieser Bewertung erreichbar.
ern zahlen, weil sie sich Länder mit den geringsten Steuersätzen aussuchen dürfen. Gemeinsam mit den Grünen haben wir die nötigen Unterschriften von Abgeordneten gesammelt, um einen Untersuchungsausschuss auf den Weg zu bringen. Dieser soll sich mit dem System der untragbaren Steuervermeidung befassen, von dem Großkonzerne wie Amazon, RWE u.a. profitieren. Jetzt muss das Parlament über diesen Ausschuss abstimmen. Allerdings werden im Moment konservative Abgeordnete, die schon unterschrieben haben, von ihren Parteien unter Druck gesetzt. Sie sollen ihre Unterschriften zurückziehen. Viele Regierungen wollen keine Untersuchung, denn sie profitieren von diesem System des Steuerdumpings, auch Deutschland.
Ein anderer Schwerpunkt bleibt das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP). Wir unterstützen den wachsenden Widerstand gegen diesen undemokratischen und intransparenten Vertrag. Letztlich geht es bei TTIP darum, welchen Einfluss gewählte Regierungen auf Märkte für Waren, Finanzen und Dienstleistungen behalten. Geheime Verhandlungen sind für uns ein Angriff auf die demokratische Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger. Wir sind davon überzeugt, dass eine soziale und demokratischere, friedliche und ökologisch nachhaltige EU möglich ist. Dafür werden wir als Linksfraktion auch 2015 streiten. Gabi Zimmer, MdEP, Fraktionsvorsitzende der GUE/NGL im Europaparlament
Was braucht das Land wirklich und wie unterschied sich das Reformprogramm der Troika von den Vorstellungen von Syriza? 40 Jahre Regierung von Pasok und Nea Dimokratia haben das Land herunter gewirtschaftet und zu einem System aus Korruption und Vetternwirtschaft, riesigen Steuerhinterziehungen, Schwarzarbeit und Schmuggel verkommen lassen. Das ist in den vergangenen vier Jahren unter der Troika schlicht ignoriert worden. Die abgewählte Regierung hat in Absprache mit der Troika nur mit der Rasenmähermethode Personal abgebaut und Sozialausgaben gekürzt, aber für keinerlei Effizienzsteigerung im öffentlichen Dienst oder in der Steuerverwaltung gesorgt. Das will SYRIZA ändern. Wie stellen Tsipras und Co. sich das vor?
Unternehmen die Binnenwirtschaft wieder beleben und den Staat auf eine solide Finanzierungsbasis stellen. Dafür sollen endlich auch die Reichen und Gutverdienenden herangezogen und die jahrzehntelange Klientelwirtschaft abgeschafft werden. Das hat es bisher nicht gegeben, sorgt für Unmut und auch für völlig unqualifizierte Wortmeldungen.
Säule ist dann die institutionelle und demokratische Umgestaltung des politischen Systems. Jeder dieser vier Schwerpunkte beinhaltet umfangreiche Einzelmaßnahmen und es wäre wünschenswert, wenn deren Umsetzung wirklich gelänge. Kritik daran klingt – zugespitzt – aktuell so: „Die jagen die Troika aus dem Land, erklären Verträge für nichtig,
Herzlichen Glückwunsch, SYRIZA! Das Linksbündnis SYRIZA mit seinem Vorsitzenden Alexis Tsipras hat die Wahl in Griechenland gewonnen. Die griechische Bevölkerung hat sich gegen die gescheiterte Krisenpolitik von Kanzlerin Merkel entschieden, die die EU in die längste Rezession ihrer Geschichte gestürzt hat. Armut, Arbeitslosigkeit und die Schulden vieler Staaten sind gestiegen. Alexis Tsipras‘ Wahlsieg ist der erste Schritt, um das drastische Kürzungsdiktat zu beenden. Tsipras wird zuerst die humanitäre Krise zu Hause bekämpfen müssen. Die Ärmsten brauchen dringend Nahrungsmittel, Strom und eine intakte Gesundheitsversorgung. Und die EU muss mit ihm verhandeln, um einen tragfähigen Weg aus der Schuldenkrise zu finden. Diese Wahl war ein deutliches Signal an die Regierenden, dass
die Krise nicht auf Kosten der Menschen gelöst werden kann. Ihre Ursachen sind nicht behoben. Schulden privater Banken wurden in Staatsschulden umgewandelt. Deutschland hat seine Löhne gedrückt und prekäre Beschäftigung geschaffen, um billige Produkte in die EU zu exportieren. Dieses aggressive Exportmodell hat die Ungleichheiten in der EU verstärkt. Für die so verursachte Krise mussten die Menschen bezahlen, die es sich am wenigsten leisten konnten. Sozialschutz wurde ausgehöhlt, Bildungs- und Gesundheitssysteme durchlöchert und öffentliches Eigentum privatisiert. Reiche wurden kaum belastet. Banken und Großkonzerne konnten in der Krise ihre Profite weiter steigern. Mit dieser Politik setzt die EU ihre Zukunft aufs Spiel.
Um die Wirtschaftskrise in der EU anzugehen, hat Kommissionspräsident Juncker ein 300-Milliarden-Euro-Investitionspaket vorgelegt. Dieses hat sich als Luftnummer entpuppt. Die EU steuert nur etwa 20 Milliarden Euro aus eigenen Mitteln bei. Ein Großteil davon wird aus vorhandenen Fonds abgezweigt. Die restlichen 280 Milliarden sollen von privaten Investoren kommen. Um deren Verlustrisiko zu verringern, sollen die Bürger_innen Garantien übernehmen. Die Mitgliedstaaten lassen Juncker hängen und geben keinen Euro frisches Geld. Einer unserer Schwerpunkte liegt auf dem Kampf gegen Steuerflucht und Steuervermeidung. Der sogenannte LuxemburgLeaks-Skandal hat gezeigt, dass Großkonzerne Niedrigst-Steu-
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Auf der Bergspitze tanzen die Geister rung“, das die „heute-show“ vergibt. Schnell aber wird klar: So einfach ist es nicht. Die „PEGIDA“ müssen analysiert werden. Denn auch wenn die „Frustbürger“ (Michael Spreng) nicht mehr demonstrieren, existieren sie. Wir konstatieren: Es ist den politischen Akteuren bislang nicht gelungen, durchschlagend zu antworten. Der Zerfall der „PEGIDA“ wegen interner Querelen entlastet nur scheinbar. Wer tummelt sich dort? Bewiesene Antworten gibt es nicht – trotz Erklärungsversuchen, etwa dem des Politikwissenschaftlers Hans Vorländer. Sein Fazit zum „typischen PEGIDA-Demonstrant“ (mittelständisch, männlich, berufstätig usw.) sicherte ihm Medieninteresse. Er verschwieg, dass sein Studiendesign solche Schlüsse nach sozialwissenschaftlichen Maßstäben nicht erlaubt. Auch andere, etwa der Konfliktforscher Dieter Rucht, erhoben Befragungsdaten, betonten aber, nichts über „PEGIDA an sich“ aussagen zu können. Vorerst liegt kein umfassendes empirisches Material vor. Sicher ist: Die „PEGIDA“ sind eine schwer fassbare, heterogene Masse mit vielfältigen Motiven und Themen. Es geht ihnen nicht nur um das Phantom einer „Islamisierung“, sondern auch um „GEZAbzocke“, die EU-Russland-Politik, Kommunalabgaben, um Armut, Rente, Abstiegsangst, Perspektivlosigkeit, vieles mehr. Nach Gerd Wiegel sind „Antimuslimischer Rassismus“ und die „Ablehnung etablierter Politik“ ihre bestimmenden ideologischen Momente. Damit dockten sie an der verbreiteten Islamophobie an. Ihre „Tendenz zur Homogenisierung von Fremd- und Eigengruppe“ mache sie „rassistisch“. Es demonstriere vor allem „ein heterogenes Spektrum aus der bürgerlichen Mitte“; Teile sähen ihren Lebensstandard durch Zuwanderung gefährdet. Tucholsky: „Der Mensch ist ein politisches Geschöpf, das am liebsten zu Klumpen geballt sein Leben verbringt. Jeder Klumpen haßt die andern Klumpen, weil sie die andern sind, und haßt die eignen, weil sie die eignen sind. Den letzteren Haß nennt man Patriotismus“. Diese Geister tanzen auf einem Berg aus gruppenbezogen menschenfeindlichen Einstellungen. Die sind in der „Mitte“ längst vorhanden, wie Untersuchungen des Bielefelder Interdisziplinären Zentrums für Konflikt- und Gewaltforschung um Wilhelm Heitmeyer („Deutsche Zustände“), der Friedrich-Ebert-Stiftung oder der Universität Leipzig („Mitte“-Studien) zeigen. Sie brachen los, nachdem die „PEGIDA“ vereinten, was getrennt
keimte. In Sachsen ist der Nährboden ideal. Wohl nirgendwo sonst konnten die CDU-dominierten Eliten derart ungestört den peinlichen Sachsen-Mythos pflegen, alles aussitzend, was an Missständen offenbar wur-
fühlen. Längst hatten demokratische Gegenkräfte angefangen, auf ehrbare Weise selbst Krach zu schlagen: Mit Blockaden, Demonstrationen, „Reinigungsaktionen“. Bewährte Routinen liefen zügig an, allein: Sie
de, Kritiker als „Rufschädiger“ denunzierend. „Bachmann und Oertel sind die höhnischen Fratzen, die Tillich und Merkel aus dem Spiegel angrinsen“ (Uwe Schaarschmidt). Nun bittet die Regierung zum „Dialogforum“, allerdings ohne Änderungswillen. Damit lässt sich das, was die Geister auf die Spitze treibt, nicht schwächen. Ist das überhaupt gewollt? Ingo Schulze: „Für konservative und regierende Parteien sind die Pegida-Demonstranten eine bequeme Opposition, denn die eigentlichen Fragen werden nicht gestellt“.
verfingen nicht recht, zumindest in Dresden. Aus dem andernorts schnelleren Scheitern der „-gida“-Bewegung könnte man schlussfolgern, es handle sich um ein regionales Problem. Allein: Die Wurzeln von „PEGIDA“, eben das, woraus unser Berg besteht, berührt diese Sicht kaum. Vielmehr könnte es die Proteste sogar angeheizt haben, als – wie Horst Kahrs feststellt – der „Selbstvergewisserung“ dienende „Etiketten wie ,Rassismus‘, ,Nazis‘, ,Fremdenfeindlichkeit‘“ wurden. Was also sollen wir den Berg hinaufrufen? Klar ist, dass wir den vielfältigen Demonstrierenden nicht nur eine Antwort geben können. Den Organisatoren und einem erklecklichen Teil ihrer Nachläufer sagen wir: Ihr seid Rassisten, Fremdenfeinde, obwohl aus euren offiziösen Stellungnahmen reichlich Kreide rieselt. Wir akzeptieren nicht, dass ihr Menschen aufgrund ihrer Religion, Herkunft oder Hautfarbe als „weniger wertvoll“ einschätzt! Neben den Wirrköpfen allerdings gibt es auch jene – wie viele, wissen wir nicht –, die nicht menschenfeindlich sind, aber Ängste, Frust über wirkliche (soziale) Probleme ausdrücken. Es gehört zu unserem Markenkern, diese Missstände – seien es Armut, Zukunftsangst, Kriege, Arbeitslosigkeit – aufzugreifen. Wir sollten versuchen, diese Menschen zu überzeugen, dass sie mit uns bereits verläss-
Bild: Jpfctdayelise/ Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.5
Berge gelten als Orte der Ruhe. Man kann entspannen, wenn man an sie denkt. Derzeit glückt mir das nicht. Ich sehe vor mir keinen prächtigen Monolithen, sondern einen Gipfel in braunen und schwarzen Farben, an düsteren, kalten Wintertagen. Ihn ziert keine üppige Vegetation; stattdessen schwärt er Gestank aus. Tausende bevölkern seine Hänge; viele strömen zur Spitze, wo sie – angeleitet von einem Grüppchen Kreaturen – schauerliche Gesänge anstimmen. Um den Berg rennen aufgescheuchte Scharen, blicken konsterniert hinauf. Mit Hacken, Schaufeln, bloßen Händen kratzen sie am Gestein. Einige machen sich gar selbst auf, wollen verstohlen mittanzen. Wozu diese Analogie? Am Fuß des Berges sehen wir Politiker, Journalisten, Wissenschaftler umherirren. Oben tanzen die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, ihre Ableger und Spaltprodukte. Woraus aber besteht der Berg? Seine Gesteine bekommen von Geologen auch in unserem Bild komplizierte Namen: „Rassismus“, „Fremdenhass“, „Menschenverachtung“ zählen zu den hässlichsten. Wir finden „Existenzangst“, „Armut“, „Perspektivlosigkeit“. In welchem Verhältnis sie vorkommen, ist unklar; Erze sind sie alle nicht. Dresden erlebt eine beispiellose Imagekampagne. Zehntausende „PEGIDA“. Eine Zeichen-SetzAktion am Einkaufssamstag, die schnell als Schimäre gilt, weil die Gegendemonstranten zahlenmäßig wieder unterlegen sind. Der Terror von Paris wird von „PEGIDA“-Führern sogleich ausgeschlachtet. Dazwischen Äußerungen aus Politik, Kirchen, Wissenschaft; Dialogangebote und -ablehnungen, omnipräsente Experten. Als „Lügenpresse“ Gescholtene, die seltsam bereitwillig den Karren jener ziehen, die mit Dreck werfen. Eine CDU-Regierung, die Dialog als Placebo anbietet. Sicherheitsbehörden, die zeitweise die Versammlungsfreiheit aufheben. Nicht zuletzt Widerliches im Social Web: Die Tötung des Asylsuchenden Khaled wird mit „einer weniger“ kommentiert. Die Ankündigung Lutz Bachmanns, Cem Özdemir anzuzeigen, weil er die „PEGIDA“ als „Mischpoke“ bezeichnet hat, begrüßt man – welch Ironie! – mit der Begründung, solche „Mischpoke“ (wie Özdemir) gehöre „in den Gulag“. Die AfD twittert, jene, die die Ausschlachtung des Anschlages auf Charlie Hebdo kritisieren, seien sich weiland „nicht zu schade gewesen“, „Fukushima für die Energiewende zu instrumentalisieren“. Ich amüsiere mich zunächst über das Etikett „Blödenwande-
Haben wir richtig reagiert? Noch einmal Tucholsky: „Der Mensch hat neben dem Trieb der Fortpflanzung und dem, zu essen und zu trinken, zwei Leidenschaften: Krach zu machen und nicht zuzuhören“. Während die „PEGIDA“ also lärmten und gleichzeitig „der Politik“ vorwarfen, nicht zuzuhören, vergaben demokratische Kräfte zunächst pauschalisierende Etiketten wie „Nazis (in Nadelstreifen)“ oder „Rassisten“. Die (nötige!) Unterscheidung einerseits zwischen Führern und Folgenden und andererseits zwischen politisch untragbaren Pegidisten und jenen, mit denen man sprechen sollte, war dem lärmenden Haufen nicht zu vermitteln. So schien es, als wolle „die Politik“ die „PEGIDA“ abtun, was Wasser auf die Mühlen derer goss, die sich „denen da oben“ entrückt
liche Anwälte haben. Allein unsere Minderheitenposition hindert uns, Reformen anzustoßen. Wie aber sollten wir sprechen? Brechen wir Weltbilder auf: Sagen wir, dass Asylsuchende keinen BMW, sondern Geldleistungen bestenfalls in Höhe des Hartz-IV-Satzes erhalten. Sagen wir, dass die Heimunterbringung nicht beneidenswert, sondern menschenunwürdig ist. Sagen wir, dass viele muslimische Flüchtlinge islamistischem Terror entkommen sind und selbstverständlich keine „Islamisierung“ Sachsens bezwecken. Doch aufgepasst: Oft hören wir, „die Politik“ solle „die Welt noch besser erklären“. Ein arroganter Anspruch, insbesondere dann, wenn wir im „PolitSprech“ verharren. Wen erreichen wir, wenn wir – überspitzt – „ein Stück weit dezidiert ausloten, welche Schnittmengen bestehen, um eine Asyl-Debatte anstoßen zu können“? Wir sollten so sprechen, dass wir verstanden werden. Politische Akteure haben, zusammenfassend, keine „Erziehungsaufgabe“ (Herbert Schui). Sie müssen die Welt nicht erklären, sondern verändern. Liefern wir also „alternative, linke Deutungsangebote“, nehmen wir „die Anhänger von PEGIDA als politisch Handelnde ernst“, treten wir „ihrer Ursachenanalyse klar entgegen“ (Horst Kahrs). Kritisieren wir, dass ihr Protest auf dem Rücken der Schwächsten lastet. Sagen wir, wer verantwortlich ist: Die Mächtigen, in Sachsen die CDU-Regierung! Bestehen wir darauf: Durch Wahlen und direkte Demokratie lässt sich etwas erreichen. Eine gerechte Verteilung des Reichtums wäre ein richtiges Rezept. Es mag wieder Ruhe einkehren auf den Straßen, die Bergspitze sich entvölkern. Dennoch brauchen wir neben unseren normativen Argumentationsmustern (Asyl ist Menschenrecht, Zuwanderer sind Bereicherung, etc.) ein eigenes Konzept vor allem von Einwanderungspolitik. Sozialdarwinismus müssen wir mehr entgegensetzen als Empörung und Appelle. Fragen wir uns: Wollen wir ein Zuwanderungsgesetz, und wenn ja, welches? Betrachten wir die „PEGIDA“ dialektisch: Es genügt nicht, diesem Phänomen und allem, was es verursacht, mit einer Antithese zu begegnen. Wir müssen eine Synthese präsentieren. Es ist nichts gewonnen, wenn die Geister wieder auf die Hänge zurückkehren, wo wir sie nicht mehr so deutlich sehen können. Wir müssen den Berg abtragen. Helfen können uns auch Bergbewohner, die andere davon abhalten, uns die Schaufeln aus der Hand zu schlagen. Auch jenen, die ständig neues Gestein heranschaffen, müssen wir widerstehen. Bauen wir schöne Berge, aus Solidarität! Kevin Reißig
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PEGIDA und die Aufgaben der LINKEN In den letzten Wochen ist innerhalb der Partei DIE LINKE und von linken Autoren viel Richtiges über PEGIDA (im Folgenden Sammelbezeichnung für alle „GIDA“-Bewegungen) diskutiert und geschrieben worden. Es handelt sich um einen „gesellschaftlichen Rechtsruck“, dessen Ursachen im Bereich komplexer politischer Fehlentwicklungen zu suchen sind. Notwendig sei eine Aktualisierung linker Politik als Opposition, merkte Dietmar Bartsch in einem Interview mit dem nd vom 19. Januar 2015 an. Der Parteivorstand forderte in seinem Beschluss vom 24. Januar 2015 als Antwort auf PEGIDA zu Recht nicht zuletzt „eine gesellschaftliche Bewegung für soziale Gerechtigkeit“. Übersehen können wir jedoch nicht, dass selbstkritische Überlegungen bislang kaum zu hören sind und die unterbreiteten Schlussfolgerungen für die Politik der LINKEN zu allgemein bleiben. Es fehlt aus unserer Sicht vor allem bisher eine entscheidende Grunderkenntnis: PEGIDA ist auch ein Alarmsignal für Schwächen der Partei DIE LINKE und der antikapitalistischen Linken in Deutschland insgesamt. Bedrohungsängste angesichts Kriegspolitik und sozialer Unsicherheit Die Demonstrationen finden in einer Zeit statt, in der „der Westen“ direkt oder mit Hilfe seiner Gefolgschaftsarmeen an den Peripherien des imperialen Zentrums immer neue Kriege führt. Die medial vermittelten Bilder dieser Kriege sind so unheimlich (von Abu Ghraib bis zum IS), dass sie Folgen für die eigene Unversehrtheit fürchten lassen. Hauptursache der anwachsenden Bedrohungsängste ist aber eben nicht der Islam, sondern die Kriegspolitik von USA
und NATO sowie die Rückkehr zum allgemeinen Banditentum in den internationalen Beziehungen. Die globale Dimension dieses Zusammenhangs hat Papst Franziskus in seiner Predigt anlässlich des 100. Jahrestages des Ausbruchs des 1. Weltkrieges am 13. September 2014 in der militärischen Gedenkstätte Redipuglia schärfer ausgesprochen als es bisher von vielen Linken vernehmbar war: „Auch heute, nach dem zweiten Scheitern eines weiteren Weltkriegs kann man vielleicht von einem dritten Krieg reden, der ,in Abschnitten‘ ausgefochten wird, mit Verbrechen, Massakern, Zerstörungen … Es ist möglich, weil es auch heute hinter den Kulissen Interessen, geopolitische Pläne, Geldgier und Machthunger gibt, und es gibt die Waffenindustrie, die anscheinend so wichtig ist!“ Hinzu kommen die Bedrohungsängste vor den ökologischen Zerstörungen, vor allem aber vor einer sozial ungewissen Gegenwart und Zukunft, die weiterhin durch die Agenda 2010 geprägt sein wird. Der soziale Status vieler Menschen ist real bedroht; soziale Unsicherheit, gesellschaftliche Verrohung und Konkurrenz in der Arbeitswelt nehmen zu.
den Wahlen nicht mehr teil. Zu einem wesentlichen Motiv der Stimmabgabe wird die Protestwahl. Das ist inzwischen eine europaweite Tendenz: Unter den 14 Protestparteien, die bei der Europawahl am 14. Mai 2014 Erfolg hatten, waren nur zwei dezidiert linke Parteien: Syriza in Griechenland und Podemos in Spanien. In den anderen Ländern sind zumeist rechtspopulistische, nationalistische und faschistische Parteien im Aufwind. Nach Heribert Prantl ist die „GroKo das Finale der deutschen Nachkriegsstabilität“. Es existiert faktisch ein neoliberales „Einparteiensystem“ als „rotierendes Elitenkartell“. An der Einbindung der LINKEN in dieses Kartell wird „gearbeitet“. PEGIDA ist neben der Wahl von rechtspopulistischen Protestparteien eine neuartige Form, wie das enorme Misstrauen gegenüber diesem Elitenkartell derzeit nach rechts geht. Es besteht die reale Gefahr, dass die politische Initiative an eine noch disparate, sich gerade neu ordnende Rechte geht, „weil das die einzige Kraft ist, die sich von der zwar etablierten, ideell aber stagnierenden beziehungsweise geistig im Ableben begriffenen Mitte unterscheidet“ (Heino Bosselmann).
Unzufriedenheit geht nach rechts
Aufklärung und Mobilisierung von links
Angesichts dieser dramatischen Entwicklung überrascht es nicht, dass das politische System der Bundesrepublik mit seiner viele Jahrzehnte stabilen Parteienlandschaft seit geraumer Zeit von einer Glaubwürdigkeits- und Legitimationskrise erfasst wird. Immer mehr Menschen, oft sogar die Mehrheit, misstrauen grundsätzlich den herrschenden politischen Eliten, den Leitmedien sowie den etablierten Parteien und nehmen an
Wer über PEGIDA spricht, muss sich klar darüber sein, dass es in der deutschen Geschichte, konkret in der Weimarer Republik, schon einmal eine Situation gab, da der gesellschaftliche und politische Protest als Massenbewegung von ganz rechts organisiert wurde. Die damalige Spaltung der Arbeiterbewegung, die Unfähigkeit von SPD und KPD, ein überzeugendes Projekt einer politischen Alternative von links zu entwickeln, trug
reiten wollte – eine besondere Labsal nach dem Bohnenkaffee und dem faden Geschmack des Spinats vom Mittagsmahl. Und dann kam der Traum: Ich war auf einem mit Benzin betriebenen Schiff, das eine Havarie hatte. Ein Mulatte mit der Mütze eines Admirals auf dem Kopf schüttelte mich, bat um Hilfe und warnte zugleich vor dem Risiko. Man vermutete, ich sei der Algebra mächtig und könnte deshalb jenen verschlüsselten Kode von Ziffern dechiffrieren, mit dem man den Motor wieder in Gang bringen könnte und den angeblich ein Klabautermann auf das Schiff geworfen hatte. Die Sonne stand im Zenit und
blendete gehörig. Der Seemann war offensichtlich vom Alkohol aus der Flasche in jenem Koffer, der im geheimen Magazin des Schiffes stand, betäubt. Sein Gesicht war wie von einer Maske entstellt, der Hals lang wie bei einer Giraffe. Er erklärte mir, es müsse an Bord einen Almanach geben, der jenen Algorithmus enthielte, mit dem man das Geheimnis der Zahlenfolge entschlüsseln könne. Nur wäre gerade dieses Buch seit der letzten Razzia der Hafenpolizei nicht mehr aufzufinden. Ich müsse es also suchen. Genau in dem Moment aber, als ich um die Höhe des Tarifs für meine Mühen streiten wollte, wurde
ganz wesentlich dazu bei, dass die kleinbürgerlich denkenden Teile der abhängig Beschäftigten den Nazis folgten und so zur Manövriermasse der nazifaschistischen „Machtergreifung“ wurden. August Thalheimer hat damals in seiner Faschismusanalyse eine auch für heute gültige Handlungsorientierung des antifaschistischen Kampfes formuliert. Wolfgang Abendroth fasste in seinem Interview „Ein Leben in der Arbeiterbewegung“ (Frankfurt a. M. 1976, S. 135) die Überlegungen von Thalheimer zur Strategie des Antifaschismus dahingehend zusammen, dass angesichts solcher Massenbewegungen von Teilen der abhängig Arbeitenden, die in ihrer Verzweiflung dazu neigen, zu den Faschisten überzugehen, alles davon abhängt, dass „die Arbeiterklasse sich zu einer wirkungsvollen Alternative gegen die monopolkapitalistische Herrschaft entwickelt“. Aktuell heißt das: Nur eine überzeugende und tragfähige politische Alternative, die die Macht- und Systemfrage, die Verteilungs- und die Eigentumsfrage stellt und eine Massenunterstützung für eine linke politische Alternative zu mobilisieren vermag, kann rechten und faschistischen Bewegungen den Boden entziehen. Der Erfolg und das Konzept der griechischen Linken sind von allgemeiner Bedeutung für die Strategie gegen nazifaschistische und rassistische Parteien und Bewegungen. Kern einer erfolgreichen antifaschistischen Strategie muss eine konsequente Oppositionspolitik sein, die eine tragfähige politische Alternative zur neoliberalen Politik vertritt und verständlich über die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse aufklärt. Vieles auch im Kampf gegen Rechtspopulismus und Faschismus nicht nur in Griechenland
wird davon abhängen, ob eine derartige Alternative dort nun auch praktisch politisch durchgesetzt werden kann. In der Bundesrepublik ist es zunächst eine wichtige Aufgabe der LINKEN, den ansprechbaren Teil der PEGIDA-Bewegung, deren große Mehrheit die politischen Verhältnisse nur verzerrt wahrnimmt, mit dem tatsächlichen Gegner zu konfrontieren. Insofern ist auch die Forderung nach konkreter Auseinandersetzung völlig richtig. Diese aber ist nur sinnvoll, wenn die LINKEN konsequent die „antiaufklärerische Aggression“ von PEGIDA zurückweisen und zugleich ihre Vorstellungen von einer politischen und sozialen Alternative zum herrschenden Politikbetrieb vortragen. Sie haben dabei zu beachten, dass im politischen Alltagsbewusstsein auch in Ostdeutschland mittlerweile Vorstellungen deutlich an Einfluss gewonnen haben, die die Schuld für soziale und politische Fehlentwicklungen bei den Schwächsten und nicht bei den in dieser Gesellschaft Herrschenden suchen. Selbst wenn PEGIDA demnächst als Bewegung verschwinden sollte, wächst vermutlich in der nächsten Etappe der neoliberalen Transformation von Staat und Gesellschaft das Potential für ähnliche Bewegungen von rechts – solange es der LINKEN nicht gelingt, die latenten Proteststimmungen als gesellschaftliche Kraft für progressive politische und gesellschaftliche Veränderungen zu nutzen. Eine Politik, die auf sozialen Zusammenhalt, auf mehr Gleichheit und Gerechtigkeit sowie soziale Sicherheit setzt, ist die beste Prävention gegen Ausgrenzung und „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Dr. Volker Külow, Prof. Dr. Ekkehard Lieberam, Dr. Dietmar Pellmann
ich wach. Geweckt hatte mich mein Freund, der immer um diese Zeit zum königlichen Spiel erschien, in welchem er mich in zwei von drei Fällen durch überraschende Rochaden schachmatt setzte. Diesmal hatte mich aber schon der Schlummer besiegt und ich musste mich erst wieder wach massieren.
Wörtern, die Wörter arabischer Herkunft machen also gut 10 % aus. Wer findet sie? Peter Porsch (Diwan, Ebenholz, Matratze, Reibach, Jacke, Joppe, Tasse, Mokka, Zucker, Sirup, Ingwer, Limonen, Soda, Bohnenkaffee, Spinat, Benzin, Havarie, Mulatte, Mütze, Admiral, Risiko, Algebra, Ziffer, dechiffrieren, Klabautermann, Zenit, Alkohol, Koffer, Magazin, Maske, Giraffe, Almanach, Algorithmus, Razzia,Tarif, Rochade, schachmatt, massieren)
Ein Traum Manchmal schlummert man auf dem Diwan ein und hat merkwürdige Träume. Es gehört zwar nicht zur Geschichte, aber ich will schon bemerken, dass das Möbelstück von hervorragender Qualität und Schönheit ist: Beine aus Ebenholz und weich wie die beste Matratze, aber nicht durchgelegen, billig erstanden. Ein Verkauf würde ganz schönen Reibach bringen. Ich hatte noch meine Jacke – in meinem Geburtsland Österreich hört man dafür auch manchmal Joppe – an, als ich einschlief; just nachdem ich mir nach der herrlichen Tasse Mokka ganz ohne Zucker noch einen Sirup mit Ingwer, Limonen und Soda be-
Diese kleine Geschichte, für deren Lektüre wohl niemand ein Wörterbuch braucht, enthält 38 der etwa 500 deutschen Wörter arabischer Herkunft. Sie sind entweder arabischen Ursprungs oder wurden uns über das Arabische überliefert. Der Text besteht insgesamt aus 330
Quelle: Nabil Osman: Kleines Lexikon deutscher Wörter arabischer Herkunft. 6. Auflage, München 2002.
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10 Jahre Hartz IV in Sachsen: kritische Bilanz schlimmsten Auswirkungen für die mittelbar und unmittelbar Betroffenen unterbreitete. Allerdings wurde der 10. Jahrestag des Inkrafttretens von Hartz IV bei den bisherigen Plenartagungen des neuen Sächsischen Landtages von anderen Themen überlagert, weshalb es auch unserer Fraktion nicht möglich schien, seiner angemessen, aber vor allem kritisch zu gedenken. Das mag daran liegen, dass das Thema aus Sicht der Medien kaum noch sensationsbehaftet und schlagzeilenträchtig ist und von der neuen Protestbewegung PEGIDA eindeutig in den Schatten gestellt wurde. Das verweist zugleich darauf, dass PEGIDA nicht nur dem Ruf Dresdens und Sachsens erheblich schadet, sondern als nützlicher Idiot fungiert, weil von wirklich relevanten sozialen Verwerfungen und Konflikten abgelenkt wird. Wir als LINKE müssen hingegen wieder viel stärker unsere Alleinstellungsmerkmale in den Vordergrund unseres politischen Wirkens rücken, selbst wenn das nicht zu permanenten Schlagzeilen führt. Dazu gehört eben, die einzige Anti-Hartz-IVPartei zu sein!
Rückgang der Arbeitslosenzahlen nicht auf die Segnungen von Hartz IV, sondern auf Konjunkturprogramme, Kurzarbeiterregelungen oder insbesondere in Sachsen auf die Beseitigung von Flutschäden zurückzuführen ist. Die sozialen Auswirkungen sind verheerend, insbesondere in den neuen Bundesländern. Dabei stellt Sachsen keine Ausnahme dar. So stieg die offizielle Armutsquote in den letzten Jahren auch im Freistaat weiter an und verharrt bei fast ei-
Langzeitarbeitslose das Rentenalter erreichen; nicht wenige von ihnen, vor allem Frauen, sind seit 2005 auf Arbeitslosengeld II angewiesen. Zu den von der Statistik kaum erfassbaren Auswirkungen von Hartz IV gehört eine massenhafte Entwertung von Lebensleistungen und Biografien, weil es faktisch keine Zumutbarkeitskriterien für die Annahme von Arbeit mehr gibt. Erworbene Qualifikationen werden entwertet, Lebensplanungen zerstört. So ist es für die Ge-
nem Fünftel. Sie liegt damit beträchtlich über dem Durchschnitt Westdeutschlands, aber auch über dem von Thüringen und Brandenburg. Besonders skandalös ist die Entwicklung der Armutsquote bei Kindern und Jugendlichen; bei Kindern unter 15 Jahren verharrt sie bei 25 Prozent. Mehr als 100.000 dieser Alters-gruppe sind in so genannten Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften „gefangen“. Einen Anstieg gibt es auch bei Altersarmut, selbst wenn diese gegenwärtig noch unterhalb der allgemeinen Armutsquote liegt. Das wird sich aber in absehbarer Zeit ändern, wenn
währung von Arbeitslosengeld II unerheblich, wie lange ein Mensch bereits im Berufsleben stand und Beiträge zur Arbeitslosenversicherung geleistet hat. Endstation ist für alle Sozialhilfeniveau.
Bild: Rainer Sturm / pixelio.de
Am 1. Januar vor nunmehr zehn Jahren traten die Hartz-IV-Regelungen, die einen Paradigmenwechsel in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik einleiteten, in Kraft. Die Bilanz fällt je nach parteipolitischer Ausrichtung sehr unterschiedlich aus. Für die CDU, die gerade von Sachsen aus mehrfach die Verschärfung der entsprechenden Regelungen forderte und aktiv betrieb, stellt Hartz IV eine Erfolgsgeschichte dar. Dies macht sie, wenngleich völlig undifferenziert, vor allem am Sinken der Arbeitslosenzahlen fest. Von der SPD, die als damalige Regierungspartei die politische Hauptverantwortung für die Einführung der Hartz-Gesetze trug, dafür aber mit dem Verlust der Kanzlerschaft und massiven Mitgliederschwund bestraft wurde, waren unterschiedliche Signale zu vernehmen. Immer dann, wenn sie in der Opposition war, konnte man zumindest vorsichtige Töne des Abrückens von Schröders Agenda-Kurs auch im Sächsischen Landtag vernehmen. Seitdem sie sich jedoch wieder, wenngleich inzwischen nur noch als Juniorpartner der CDU, in Regierungsverantwortung gefällt, wurde der Schalter wieder umgelegt: Zu Hartz IV habe es keine vernünftige Alternative gegeben und man werde auch künftig daran festhalten. Bestenfalls müsse es einige Veränderungen geben und handwerkliche Fehler korrigiert werden. Die Bündnisgrünen, die dereinst zu den Geburtshelfern gehörten, sehen heute vieles kritisch, schließen aber grundsätzlich die Notwendigkeit zur Rückabwicklung von Hartz IV aus. Von den im Bundestag und im Sächsischen Landtag vertretenen Parteien war es allein DIE LINKE, die Hartz IV von Anfang an prinzipiell ablehnte und seither zahlreiche alternative Vorschläge zur Überwindung des Gesamtkonstrukts oder wenigstens zur Abmilderung der
Hartz IV ist wirklich Armut per Gesetz Bei der Bewertung der Ergebnisse von Hartz IV kann es nicht vordergründig um eine lediglich statistische Reflexion auf Beschäftigungsentwicklung und Arbeitslosenzahlen gehen, zumal beides durch verschiedene Tricks vernebelt wird. So spiegelt die monatliche Arbeitslosenstatistik eben nicht wider, ob es sich um Existenz sichernde Jobs handelt, wer auf Abstellgleisen geparkt oder in die Zwangsaltersrente geschickt wurde. Deshalb muss man zu den offiziellen Arbeitslosenzahlen mindestens noch ein Drittel hinzurechnen. Außerdem verweisen seriöse Untersuchungen darauf, dass der
Vorschläge der LINKEN bleiben aktuell DIE LINKE, darunter ihre Fraktion im Sächsischen Landtag, hat keinen Grund, ihre Haltung zu Hartz IV zu ändern. Wir bleiben dabei: Hartz IV muss rückabgewickelt werden! Dabei sollten wir auch künftig an der Seite von Wohlfahrts- und Sozialver-
bänden sowie Gewerkschaften stehen und gemeinsam nach alternativen Lösungen suchen. Dabei muss es uns zu denken geben, wenn diese potentiellen Verbündeten etwa das so genannte bedingungslose Grundeinkommen als Alternative zu Hartz IV ablehnen. Grundsätzlich plädieren wir für die Aufhebung der Trennung von Arbeitslosengeld I und II und für eine den Lebensstandard sichernde Gewährung von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, die ggf. durch Zuschüsse aus Steuermitteln flankiert werden müssen. Sanktionen, bei denen Sachsen inzwischen Spitzenreiter unter allen deutschen Flächenländern ist, lehnen wir ab. Stattdessen muss es, insbesondere für Jugendliche, wesentlich wirksamere Betreuungs-, Qualifizierungs- und Beschäftigungsinstrumente geben, zu deren Finanzierung auch der Freistaat Sachsen beizutragen hat. Unerlässlich bleibt die Abschaffung des Zwangskonstrukts Bedarfsge-meinschaft. Jede Person ist gesondert zu behandeln, was selbstverständlich auch für die Ansprüche von Kindern gilt. So lange es für diese grundsätzlichen Forderungen noch keine Mehrheiten gibt, müssen wenigstens die schlimmsten Verwerfungen von Hartz IV korrigiert werden. Das betrifft die Anhebung des Regelsatzes auf mindestens 500 Euro pro Monat sowie die Verabschiedung einheitlicher Kriterien für die Unterstützung des Wohnens. Das gilt auch für Einmalzahlungen bei der Beschaffung langlebiger Haushaltsgeräte. Es muss wieder Einzahlungen durch die Bundesagentur für Arbeit in die gesetzliche Rentenversicherung geben, damit auch Arbeits-lose Rentenansprüche aufbauen können. Schließlich sind die Freigrenzen für Vermögen beträchtlich anzuheben. Dietmar Pellmann, Susanne Schaper
„Wir müssen Begeisterung für linkes Gedankengut wecken!“ Am 31. Januar trat die Gemeinsame Beratung des Landesvorstandes, des Landesrates, der Kreisvorsitzenden und des Fraktionsvorstandes in Dresden zusammen. Als Gast wurde auch der Parteivorsitzende Bernd Riexinger begrüßt. In seiner Rede zeigte sich Riexinger irritiert über den Schock, mit dem die hiesige Politik auf den Wahlsieg der griechischen SYRIZA und deren erste Maßnahmen reagiert hat. Er verwies darauf, dass SYRIZA nach der Wahl nur das täte, was sie im Wahlkampf angekündigt hatte: „Offenbar ist
man in Europa nicht mehr gewöhnt, dass eine Regierung ihre Wahlversprechen einhält“. Im Hinblick auf die bisherige Rettungspolitik für Griechenland erinnerte er an verfehlte Weichenstellungen: „So hat die Troika beispielsweise nie von den Griechen verlangt, den Steuervollzug zu schärfen. Stattdessen verlangte sie Kürzungen bei Löhnen, Renten, im Sozialund Gesundheitsbereich“. Diese Kürzungspolitik habe sich jedoch – auch im Hinblick auf das Zusammenbrechen der griechischen Wirtschaft und der
Staatsfinanzen – als falsch erwiesen: „Noch nie ist es gelungen, mit Austeritätspolitik eine Wirtschaft anzukurbeln. Genau deshalb gehört diese Politik beendet und zwar überall“, so Riexinger. In Bezug auf aktuelle Entwicklungen wie PEGIDA verwies er darauf, dass diese keine neuen Phänomene seien. Vielmehr seien Ressentiments in der Bevölkerung schon lange vorhanden: „Neoliberale Ideologien und Ideologien der Ungleichwertigkeit sitzen gesellschaftlich tiefer als wir denken“. Dies sei auch ei-
ne Herausforderung für DIE LINKE. So müsse sie in Zeiten von Prekarisierung gesellschaftliche Mehrheiten für linke Lösungen organisieren und den Menschen wieder Mut machen, sich einzubringen: „Wir müssen Begeisterung für linkes Gedankengut wecken“, so Riexinger. Neben dem Austausch über aktuelle Strategien wurde auch der Finanzplan der Partei beraten. Angesichts der sinkenden Beitragseinnahmen, geringerer Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung und dem Länderfinanzausgleich und dem
dadurch kleiner werdenden Spielraum für die politische Arbeit wurde die Erarbeitung eines Nachtragshaushaltes für den Juni 2015 vereinbart. Bis dahin sollen Vorschläge zur mittelund langfristigen Haushaltskonsolidierung gesammelt werden. Auch eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Evaluation der Wahlund Aufstellungsverfahren der Partei beschäftigt, wurde eingerichtet. Mit dem Beschluss der personellen Besetzung dieser Gruppe wurde der Landesvorstand beauftragt. Thomas Dudzak
Kommunal-Info 1-2015 2. Februar 2015 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de
KFS
Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Krankenhausreform Bund-Länder-Arbeitsgruppe legt Eckpunkte vor Seite 2
Thema: Flüchtlinge Gemeinschaftsunterkünfte und dezentrale Unterbringung Seite 3
Mobilfunkanlagen Weniger Neubau, mehr Erweiterungen
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Veranstaltung Zur Asylpolitik im Landkreis Erzgebirge am 28.02.
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Beigeordnete in Städten und Landkreisen Wenn im Juni bei den in Sachsen anstehenden Wahlen die Bürgermeister und Landräte gewählt sind, werden danach in einer der folgenden Sitzungen der Stadt- oder Gemeinderäte bzw. der Kreistage auch die Beigeordneten neu bestellt, wenn die 7-jährige Amtszeit der bisherigen Amtsinhaber abgelaufen ist. Die Stellen der Beigeordneten sind spätestens zwei Monate vor der Besetzung öffentlich auszuschreiben. Nachfolgend soll behandelt werden, unter welchen Voraussetzungen die Beigeordneten zu bestellen sind und welche Stellung die Beigeordneten in der Verwaltung einnehmen. Die grundlegenden Bestimmungen dafür sind in den §§ 55 und 56 der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO) bzw. den §§ 50, 52 der Sächsischen Landkreisordnung (SächsLKrO) enthalten.
Allgemeine Bestimmungen Nur in Städten und Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern können Beigeordnete bestellt werden. Die mögliche Anzahl der Beigeordneten hängt von der Einwohnerzahl ab und ist je nach den Erfordernissen der Verwaltung in der Hauptsatzung zu bestimmen. Die Höchstzahl der Beigeordneten beträgt bei bis zu 30.000 Einwohnern: 1, bis zu 60.000 Einwohnern: 2, bis zu 100.000 Einwohnern: 3, bis zu 200.000 Einwohnern: 4, bis zu 400.000 Einwohnern: 5, mit mehr als 400.000 Einwohnern: 7. Sinkt die Einwohnerzahl während der siebenjährigen Amtszeit der Beigeordneten unter den jeweiligen Grenzwert, bleibt das unerheblich. Deren Amtszeit wird dadurch nicht etwa vorzeitig beendet. In Kreisfreien Städten muss wenigstens ein hauptamtlicher Beigeordne-
ter als Stellvertreter des Oberbürgermeisters bestellt werden. In den Landkreisen sind unabhängig von der Einwohnerzahl als Stellvertreter des Landrats zwei hauptamtliche Beigeordnete zu bestellen. Durch die Hauptsatzung kann bestimmt werden, dass ein weiterer Beigeordneter bestellt wird.
Anforderungen an die Person Nach § 49 Abs. 1 SächsGemO können zu Beigeordneten von Städten und Gemeinden bestellt werden Deutsche im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes und Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die mindestens das 18. Lebensjahr vollendet haben und ebenso wie der Bürgermeister1 die allgemeinen persönlichen Voraussetzungen für die Berufung in das Beamtenverhältnis erfüllen. Das im Gesetz bestimmte Mindestalter von 18 Jahren dürfte dabei eher theoretischer Natur und kaum von praktischer Bedeutung sein. Für Beigeordnete in Landkreisen hat hierzu die SächsLKrO in § 45 Abs. 1 ein vollendetes Mindestalter von 27 Jahren vorgegeben, was den praktischen Erfordernissen schon eher nahekommt, zumal Beigeordnete nach der neugefassten Gemeinde- und Landkreisordnung ab 1. Januar 2014 die für das Amt erforderlichen fachlichen Voraussetzungen erfüllen müssen. Nicht mehr bestellt werden kann für das Amt eines Beigeordneten, wer das 65. Lebensjahr vollendet hat. Nach § 150 Sächsisches Beamtengesetz haben Beigeordnete mit Ablauf des Monats in den Ruhestand zu treten, in dem sie das 68. Lebensjahr vollenden. Beigeordnete dürfen weder miteinander noch mit dem Bürgermeister/ Landrat oder dem Amtsverweser in
einem die Befangenheit begründenden Verhältnis nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SächsGemO bzw. nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SächsLKrO stehen. Beigeordnete haben die für das Amt erforderlichen fachlichen Voraussetzungen zu erfüllen, was im Gesetz jedoch nicht näher bestimmt wird. Da die Beigeordneten für einen bestimmten Geschäftskreis bestellt werden, darf davon ausgegangen werden, dass hierfür die entsprechenden fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen vorhanden sind (z. B. juristische oder technische Kenntnisse wie etwa in der Bauleitplanung, besondere Erfahrungen in speziellen Aufgabengebieten, etwa im Kulturwesen oder im Sozialbereich usw.). Nach § 30 Sächsisches Besoldungsgesetz sind Beigeordnete je nach Größengruppe der Stadt oder Gemeinde in die Besoldungsgruppen von A 14 bis maximal B 7 eingestuft, bei Landkreisen je nach Zuordnung von B 3 bis zu B 5. Diese Besoldungsgruppen fallen alle unter die Einstufung „Höherer Dienst“. Dafür wird mindestens ein Hochschulabschluss mit einem Master oder gleichwertigen Abschluss mit Diplom, Magister oder Erstem Staatsexamen verlangt.
Die Bestellung der Beigeordneten Die Beigeordneten werden als hauptamtliche Beamte auf Zeit bestellt, deren Amtszeit 7 Jahre beträgt. In Kreisfreien Städten und Großen Kreisstädten kann der Gemeinderat den Beigeordneten die Amtsbezeichnung Bürgermeister verleihen. Die Geschäftskreise der Beigeordneten werden vom Bürgermeister/Landrat im Einvernehmen mit dem Gemeinderat/Kreistag festgelegt. Ebenso bestimmt der Gemeinderat/Kreistag
im Einvernehmen mit dem Bürgermeister/Landrat, in welcher Reihenfolge die Beigeordneten den Bürgermeister/ Landrat im Falle seiner Verhinderung vertreten. „Einvernehmen“ bedeutet, dass der Gemeinderat/Kreistag als Organ mit einfacher Mehrheit seine Zustimmung erteilen muss. Kommt es zu keinem Einvernehmen, entscheidet der Gemeinderat/Kreistag mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Stimmberechtigten allein. Da die Stellen der Beigeordneten 2 Monate vor der Besetzung öffentlich auszuschreiben sind, liegt es auf der Hand, die Ausschreibung im Gemeinderat/Kreistag zu beschließen. Schließlich soll ja in der Ausschreibung das Anforderungsprofil des Beigeordneten für den jeweils zu besetzenden Geschäftskreis bestimmt werden.
Wahl der Beigeordneten Die Beigeordneten werden vom Gemeinderat/Kreistag je in einem besonderen Wahlgang gewählt. Eine Wahl ist auch dann durchzuführen, wenn nur eine Bewerbung für eine Stelle vorliegt. In einem Landkreis kann die Wahl eines Beigeordneten nach § 52 Abs. 2 mit Verweis auf § 24 Abs. 4 SächsLKrO nur erfolgen, wenn das Einvernehmen mit dem Landrat besteht. Sind nach der Hauptsatzung mehrere Beigeordnete zu bestellen, sollen die Vorschläge der Parteien und Wählervereinigungen nach dem Verhältnis ihrer Sitze im Stadt- bzw. Gemeinderat berücksichtigt werden (diese Bestimmung findet nach SächsLKrO in Landkreisen keine Anwendung!). Der Stadt- bzw. Gemeinderat soll danach einen der Vorschrift entspreFortsetzung: folgende Seite
Kommunal-Info 1/2015
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Eckpunkte zur Krankenhausreform Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) hat kurz vor dem Jahresende 2014 die gekündigten Eckpunkte für eine Krankenhausreform vorgelegt. Die Reaktionen darauf reichen von positiv bis in vielen Punkten kritisch. Klar ist: Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) erhält weitere umfangreiche Aufgaben, Bürokratie wird nicht abgebaut – im Gegenteil – notwendige Strukturreformen sind in Trippelschritten geplant. Ziel der Reform soll eine qualitätsorientierte Vergütung der Krankenhäuser sein. Der Gemeinsame Bundesausschuss soll dafür bis Ende 2016 einen Katalog von Leistungen vorlegen, für deren Erbringung Zu- oder Abschläge gewährt werden. Deren Ausgestaltung vereinbaren die Vertragsparteien auf Bundesebene. Stellen sich Qualitätsmängel bei bestimmten Leistungen heraus, haben die betreffenden Krankenhäuser ein Jahr Zeit, diese zu beheben, bevor die Abschläge erhoben werden. Der GBA soll außerdem bis Ende 2016 Qualitätsindikatoren zur Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität erarbeiten, die von den Ländern für die Krankenhausplanung genutzt werden können, aber nicht müssen. Sie können auch eigene Indikatoren nutzen. Krankenhäuser, die ihre Leistungen nicht ausreichend qualitätsgesichert erbringen, können aus dem Krankenhausplan genommen werden. Der GBA bekommt zudem die Aufgabe, vier planbare Leistungen festzulegen, für die Krankenkassen und Krankenhäuser spezielle Qualitätsverträge abschließen können – ein Modellversuch für im Grunde selektives Kontrahieren. Vorgeschlagen wird von der Arbeits-
gruppe ein Pflegestellenförderprogramm im Umfang von 660 Millionen Euro ausschließlich für Pflegekräfte, die am Patienten tätig sind. Eine Expertenkommission soll bis Ende 2017 prüfen, ob in den DRGs der Pflegebedarf für demente, pflegebedürftige und behinderte Patienten leistungsgerecht abgebildet ist. Maßnahmen zur Mengensteuerung sind erst ab 2017 vorgesehen. Diese sollen von der Landes- auf die Krankenhausebene verlagert werden. Ab 2017 sollen sich Mehrleistungsabschläge nicht mehr absenkend auf den Landesbasisfallwert auswirken, sondern nur noch für das jeweilige Kran-
gesehenen Maßnahmen zu erhalten, müssen die Länder Anträge an das Bundesversicherungsamt stellen. Die Mittel werden im Einvernehmen mit den Krankenkassen vergeben. Bedarfsnotwendige Krankenhäuser, die mit Fallpauschalen nicht kostendeckend zu finanzieren sind, können Sicherstellungszuschläge für die Vorhaltung bestimmter Kapazitäten erhalten. Dabei geht es nicht um einzelne Leistungsbereiche, sondern um das Gesamtdefizit. Fortgesetzt werden soll die Konvergenz der Landesbasisfallwerte zu einem bundeseinheitlichen Basisfallwert ab dem Jahr 2016. Der jährlich
kenhaus zu berücksichtigen sein. Geplant ist die Bildung eines Strukturfonds mit dem Ziel, den Abbau von so genannten Überkapazitäten, die Konzentration von Krankenhausstandorten und Umwandlung von Kliniken in ambulante Einrichtungen zu fördern. Dafür wollen Bund und Länder aus dem Gesundheitsfonds einmalig 500 Mio. Euro verwenden, die Länder sollen ebenfalls 500 Mio. Euro dazugeben. Länder, die das nicht tun, erhalten auch keine Mittel aus dem Fonds. Um die Mittel für die vor-
vom Statistischen Bundesamt zu errechnende Orientierungswert soll ab 2018 die tatsächliche Ausgabenentwicklung abbilden und dann nicht mehr nur anteilig wirksam werden. Mehr Kontrollmacht erhält der Medizinische Dienst – er darf unangemeldet kontrollieren, ob die Qualitätsvorgaben des GBA umgesetzt werden. Welche Krankenhäuser an der stationären Notfallversorgung teilnehmen, sollen die Länder festlegen. Diese Häuser erhalten dann Zuschläge entsprechend der dafür vorgehaltenen
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Parteienproporz zustande kommen muss. „Die Gemeinderäte sind nicht verpflichtet, einen ihnen ungeeignet erscheinenden Bewerber zu wählen. Unbeschadet des Rechts einer im Gemeinderat vertretenen Fraktion eine Verletzung des ihr eingeräumten Vorschlagsrechts gerichtlich überprüfen zu lassen, besteht kein einklagbarer Anspruch auf Übertragung der Stelle eines Beigeordneten an einen von ihnen vorgeschlagenen Bewerber.“4 Entscheidende Bedingungen für die Bestellung eines Bewerbers zum Beigeordneten bleiben deren fachlichen Eignung und die erforderlichen Voraussetzungen für die Ernennung zum Beamten.
Bürgermeister/Landrat gegenüber die Verantwortung für seinen Geschäftsbereich. Dem Bürgermeister/Landrat obliegt die Gesamtverantwortung für die Gemeinde-/Landkreisverwaltung, deren Leiter er ist. Der Bürgermeister/Landrat kann den Beigeordneten allgemein oder im Einzelfall Weisungen erteilen. Er kann deshalb durch allgemeine Weisungen die Vertretungsbefugnis der Beigeordneten regeln und sie auch begrenzen. Auch kann der Bürgermeister/Landrat zur Aufgabenerfüllung durch Dienstanweisungen Bearbeitungs- und Entscheidungsgrundsätze festlegen, die von den Beigeordneten zur Vermeidung disziplinarrechtlicher Folgen zu beachten sind. Der Bürgermeister/Landrat kann auch in Einzelfällen bindende Weisungen geben und sich wichtige Entscheidungen vor ihrer Umsetzung vorlegen lassen und ggf. Weisungen zur Abänderung erteilen. Dagegen kann er keine Angelegenheiten aus dem Geschäftskreis der Beigeordneten zur eigenen Bearbeitung gänzlich an sich ziehen. Den Beigeordneten ist ein zur sachgerechten Aufgabenerfüllung ausreichendes Maß an eigenen Entscheidungsbefugnissen einzuräumen, andernfalls stellte sich die Frage nach dem Vorliegen eines Missstandes in
Beigeordnete ... chenden Proporz bei der Wahl der Beigeordneten gewährleisten.2 Das Gesetz fordere als Regelfall die Repräsentation der im Gemeinderat vertretenen Parteien und Wählervereinigungen auch in der „behördenmäßig organisierten Gemeindeverwaltung“.3 Die Berücksichtigung der Parteien und Wählervereinigungen bei der Besetzung der Beigeordneten nach Stärkeverhältnis im Stadt- bzw. Gemeinderat ist jedoch keine zwingende „Muss-Vorschrift“, sondern lediglich eine „Soll-Vorschrift. Dagegen müssen die Bewerber die für das Amt erforderlichen fachlichen Voraussetzungen zu erfüllen. Bei der Entscheidung über die Besetzung einer Beigeordnetenstelle im Stadt- bzw. Gemeinderat dürfte daher die fachliche Eignung der Bewerber Vorrang gegenüber der Parteizugehörigkeit haben. Erst wenn die vorgeschlagenen Bewerber der Parteien und Wählervereinigungen über die fachlich in etwa gleichen Voraussetzungen verfügen, erhielte die Proporzvorschrift dann eine Bedeutung. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass bei einer geheimen Wahl der Beigeordneten eine Entscheidung nach
Rechtliche Stellung Die Beigeordneten vertreten den Bürgermeister/Landrat ständig in ihrem Geschäftskreis und im Falle seiner Verhinderung den Bürgermeister/ Landrat in der festgelegten Reihenfolge. Innerhalb ihrer Geschäftskreise sind die Beigeordneten grundsätzlich zu allen Entscheidungen anstelle des Bürgermeisters/Landrats befugt. Innerhalb seiner sachlichen Zuständigkeit ist der Beigeordnete Vorgesetzter der zu seinem Geschäftsbereich gehörenden Beschäftigten. Er trägt dem
Strukturen. Für Häuser, die nicht teilnehmen, sind Abschläge vorgesehen. Auf bestimmte Fachbereiche spezialisierte Zentren, die sich durch ihre hohe medizinischer Kompetenz und Ausstattung von anderen Krankenhäusern abheben, sollen Zuschläge erhalten, deren Höhe von den Vertragsparteien vor Ort vereinbart wird. Für die Universitätskliniken gibt es keine pauschalen Zuschläge, sie erhalten mehr Geld vor allem für die Notfallversorgung, für Zentren und besondere Qualität. Ein spezieller Teil der Qualitätsberichte der Krankenhäuser muss besonders patientenrelevante Informationen übersichtlich darstellen. Für die Kalkulation der Fallpauschalen erarbeitet das InEK1 ein Konzept für eine neue, repräsentative Kalkulationsgrundlage. Die Selbstverwaltungspartner werden ermächtigt, dafür geeignete Krankenhäuser auszuwählen, für die eine Teilnahme an der Kalkulation dann verbindlich ist. Für die Patienten bringe die Reform einen deutlichen Gewinn an Behandlungsqualität, erklärte Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia PrüferStorcks, die in 2014 Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz der Länder war. Begrüßt wurde das Eckpunktepapier auch vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Politik erkenne damit den Reformbedarf zum Um- und Abbau der Überkapazitäten an. Berlin, 28.12.2014, Interessenverband kommunaler Krankenhäuser e.V. – IVKK (www.ivkk.de) 1 Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus
der Verwaltung, für deren Beseitigung der Gemeinderat/Kreistag dann ggf. zu sorgen hätte.5 AG 1 Vgl hierzu „2015 wieder ein Wahljahr: Bürgermeister und Landräte“, in Kommunal-Info Nr. 10-2014. 2 VG Dresden, Urteil vom 27.01.2004. 3 SächsOVG, Urteil vom 15.03.2005. 4 Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, Erich Schmidt Verlag, Kommentar zu § 56, Rn.
Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen. de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums
Dezember 2014 / Januar 2015
Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag
PARLAMENTSREPORT Sächsischer Sündenfall
Liebe Leserinnen und Leser, ich kann mir gut vorstellen, dass viele kaum verstehen, was derzeit im Freistaat passiert. Es ist absurd: Die Sicherheitsbehörden schleiften, von „PEGIDA“ getrieben, in Dresden vorübergehend das komplette Versammlungsrecht. Das gab es noch nie! Als Rechtfertigung dient ein arabischer Twitter-Beitrag, der die Bedrohung einer einzelnen Person belegen soll. Sicher, Hinweise müssen bewertet, Gefahren bekämpft werden. Das darf aber nicht dazu führen, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Belieben außer Kraft gesetzt wird. Deshalb wollen wir wissen, wie es dazu kam. Mit einem Dringlichen Antrag forderten wir die Staatsregierung zum Beginn der Landtagssitzung auf, uns aufklären. CDU und SPD lehnten ab. Am Abend erreichte uns eine neue bizarre Nachricht: Vor dem großen Toleranz-Konzert mit internationalen Stars hat es eine Bombendrohung gegeben. Die Polizei ging ihr mit Spürhunden nach, ließ die Veranstaltung aber zu. Schon das zeigt, dass das Versammlungsverbot in der Woche zuvor offensichtlich völlig überzogen war. Der Innenminister hatte sich derweil geheim mit Köpfen der „PEGIDA“ getroffen. Dabei wurden, wie er erklärte, „Inhalte oder Positionen zur Seite gestellt“. Er habe über die Sicherheit ihrer Aufmärsche sprechen wollen. Warum aber übernahmen das nicht die Versammlungsbehörden, sondern der Minister höchstselbst? Die Antwort ist einfach: Ulbig will Oberbürgermeister von Dresden werden, das Frustpotential der „PEGIDA“ parteipolitisch abernten. Bis hierhin mag alles „nur“ absurd gewesen sein. Die Welt schaut auf Sachsen und reibt sich die Augen. Es fehlt aber nicht viel, bis es gefährlich wird – für die Demokratie.
Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender
Das Treiben der „PEGIDA“ und ihrer Ableger auf der Straße neigt sich offenbar seinem Ende zu. Turbulente Wochen bleiben in Erinnerung. Das bislang einmalige Versammlungsverbot vom 19. Januar – per polizeilicher Allgemeinverfügung – zog eine bemerkenswerte Landtagsdebatte nach sich. Sie begann mit einer Fachregierungserklärung des Innenministers Markus Ulbig (CDU), von dem man sich Erklärungen versprach. Auch wegen seines Treffens mit seinerzeitigen „PEGIDA“-Organisatoren stand er im Kreuzfeuer. Der Titel seines Beitrages – „Unsere Freiheit braucht Sicherheit“ – ließ eine bemühte Rechtfertigungs-Rede erwarten, die er auch prompt ablieferte. Die Polizei habe mit fünfzehn komplexen Versammlungslagen umgehen müssen, sagte er. Höhepunkt sei der 21. Januar gewesen, als in Leipzig mehr als 5.000 Beamte im Einsatz waren. Dort habe es ein „teilweise erhebliches Gewaltpotential“ gegeben, doch „konnte ein weitestgehend friedlicher Verlauf gewährleistet werden“. Zwei Tage zuvor, in Dresden, habe man „das hohe Gut der Demonstrationsfreiheit gegen andere hohe Güter abgewogen“; nach Warnungen des Bundeskriminalamtes vor einem Anschlag auf einen der „PEGIDA“-Köpfe sei „keine andere Möglichkeit als das Verbot aller Versammlungen“ geblieben. Da sämtliche Anmeldungen räumlich eng beieinander gelegen hätten, seien „die Veranstaltungen für potentielle Täter nicht unterscheidbar gewesen“, behauptete Ulbig. Die Entscheidung würde er unter gleichen Umständen wieder so mittragen. „Sicherheit ist nicht das Gegenteil, sondern die Grundlage von Freiheit! Unsere Freiheit braucht Sicherheit!“, rief er. Die Hintergründe liegen indes weiter um Dunkeln. Oppositionsführer Rico Gebhardt reagierte mit einer harschen Grundsatz-Rede. „Aus unserer Sicht hätte der Ministerpräsident reden müssen. Denn es kann doch heute nicht allein um das Versammlungsverbot gehen. Wir reden über einen der größten gesellschaftspolitischen Konflikte, den der Freistaat in seiner jüngsten Geschichte zu bewältigen hat. Meine Herren an der Spitze der sächsischen CDU, Ihre erprobte Methode des Schweigens oder des Abmoderierens aller Konflikte durch Brandmarkung externer Schuldiger – ob es nun um den Landesbank-Crash, die Sachsensumpf-Affäre oder die NSUMordserie gegangen ist – funktioniert in der PEGIDA-Krise nicht mehr.
Sie tragen die Verantwortung für die Ursachen der Eskalation der Frustration, ja, und teilweise auch der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus, die wir derzeit hierzulande erleben“. Gebhardt erinnerte daran, dass die Staatsregierung mit der Extremismus-Klausel einen Generalverdacht gegenüber allen ausgesprochen hatte, die sich für eine demokratische Kultur einsetzen. Zum 13. Februar in Dresden sei eine einseitige Erinnerungskultur gepflegt worden, „an die Nazis mit ihrem europaweit größten Aufmarsch mühelos anknüpfen konnten“. Antifaschistisches Engagement hingegen habe die CDU verfemt. Erst „die zivilgesellschaftlichen Initiativen bis hin zur Antifa“ hätten „den Neonaziaufmärschen den Garaus gemacht und nicht die Menschenkette“. Zum Dank dafür würden sie kriminalisiert – bis heute. „Einen Dialog, wie jetzt mit den Protestierenden der PEGIDA, gab es seitens der Staatsregierung nicht“, kritisierte Gebhardt. Das Gespräch des Innenministers mit den „PEGIDA“Köpfen habe nicht zuletzt deshalb allem die Krone aufgesetzt.
ten einer Veranstaltung von ,Dresden Nazifrei‘ befinden. Wie absurd!“
Hundertprozentige Sicherheit könne es in einer offenen Gesellschaft nie geben, betonte Gebhardt. Auch die LINKE vertraue aber darauf, dass die Polizei „professionell auch unter schwierigen Bedingungen eine 99,x prozentige Sicherheit“ schaffe. Das Versammlungsverbot sei ein „beispielloser antidemokratischer Sündenfall“, „da helfen alle Ihre Erklärungsmuster, Herr Innenminister, nicht“. Mit letzteren könne man jederzeit die Versammlungsfreiheit beerdigen. „Herr Ulbig, Sie verstehen PEGIDA. Aber Sie verstehen nicht die Flüchtlinge, die sich abends nicht mehr aus dem Haus trauen. Sie machen die PR für PEGIDA gleich mit und erklären im Zuge des totalen Versammlungsverbotes auch alle Gegenveranstaltungen zu bedrohten Zonen, als könnte sich der Ober-Rassist Lutz Bachmann plötzlich inmit-
Die Regierungskoalition wollte diese Sichtweisen nicht mittragen. Dabei wird es auch nach „PEGIDA“ weiter scharfe Debatten geben, etwa über das Asylrecht. Rico Gebhardt schrieb der CDU ins Stammbuch: „Die Basis unseres Zusammenlebens in Sachsen sind weder Bibelzitate noch Koransuren, sondern Artikel 1, Absatz 1 Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Es dürfe nie wieder zugelassen werden, dass eine Religion zur Zielscheibe von Ängsten oder Hass werde; einer Bewegung, die das propagiere, müssten sich alle demokratischen Kräfte in den Weg stellen. „Und nie wieder wollen wir es erleben, dass mit dem Argument ,Sicherheit‘ die ,Freiheit‘ beerdigt wird!“ Die „PEGIDA“ mögen derweil nicht mehr marschieren; die Aufgabe, mit ihrem Protest umzugehen, aber bleibt.
Auch der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Enrico Stange, verlangte eine tragfähige Begründung für das Versammlungsverbot. Diese sei Ulbig schuldig geblieben. Nur ein polizeilicher Notstand könne es rechtfertigen; der Landespolizeipräsident hatte allerdings bestritten, dass ein solcher Notstand bestanden habe. Mit einem Entschließungsantrag (Drucksache 6/818) schlug die Linksfraktion Schlussfolgerungen vor. Das Parlament sollte unter anderem feststellen, dass die Versammlungsfreiheit „nicht aus Gründen diffuser, vermeintlich sicherheitspolitischer Bedenken oder Bedrohungsszenarien eingeschränkt“ werden dürfe. Der Rechtsstaat dürfe nicht unter dem Vorwand, sich vermeintlich schützen zu wollen, seine Freiheiten aufgeben. Der Rechtsexperte der LINKEN, Klaus Bartl, sprach beim Versammlungsverbot von einem „verfassungsrechtlichen Dammbruch“, der sich nicht wiederholen dürfe.
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PARLAMENTSREPORT
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TTIP und Co. gehen uns alle an! „Freihandel“ ist ein schönes Wort. Wenn Zollschranken und andere Hürden fallen, können wir zum Beispiel mehr amerikanische Produkte kaufen; in den USA kommen dann Bautz’ner Senf, Dresdner Stollen und Nürnberger Würstchen in die Regale. Mehr Auswahl, neue Märkte – schön, oder? Sollten wir also hoffen, dass die Verhandlungen über die Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) sowie zwischen der EU und Kanada (CETA) schnell abgeschlossen werden? Weit gefehlt! Denn mit ihnen gingen auch Standards verloren, die wir schmerzlich vermissen würden. Sozial- und Arbeitsrecht, Verbraucher-, Daten- und Umweltschutz: Überall würden soziale und demokratische Rechte und Schutzmechanismen über Bord fliegen. Damit nicht genug: Künftig sollen Unternehmen ganze Staaten auf Schadenersatz verklagen dürfen, wenn Gesetze ihre Gewinne schmälern. Momentan streitet zum Beispiel der schwedische Energieriese Vattenfall mit der Bundesrepublik um eine MilliardenEntschädigung, weil der Atomausstieg seine Profite verringert. Solche Verfahren sollen, wenn es nach TTIP und CETA geht, nicht vor ordentlichen Gerichten, sondern vor geheim tagenden Schiedsgerichten geführt werden. Als Schiedsrichter sollen private Anwälte fungieren, die zum Teil von den Klägern mitbestimmt
schaftsanwältin Lori Wallach spreche zu Recht von einem „Staatsstreich in Zeitlupe“. Die EU-Kommission veröffentlicht keine konkreten Textpassagen, selbst EU-Abgeordnete und die Regierungen der EU-Staaten werden nicht informiert.
werden. Leicht vorstellbar, wie dann ganze Staaten in einen Strudel von Forderungen geraten können, der sie ruiniert. Dennoch gibt es kaum Aufmerksamkeit für die geheimen Verhandlungen. Bald könnten wir uns wünschen, wir hätten genauer hingesehen und uns gewehrt: Denn sind die Abkommen unterzeichnet, ist es zu spät. TTIP und Co. gehen uns alle an! Auch die sächsische Staatsregierung wird im Bundesrat über das Vertragswerk mitentscheiden – sie sollte sich gegen die negativen Folgen der Abkommen wenden.
Deshalb thematisierte die Linksfraktion die Freihandelsabkommen im Landtag. Der wirtschaftspolitische Sprecher Nico Brünler und die verbraucherschutzpolitische Sprecherin Janina Pfau warnten davor, ihre Folgen zu unterschätzen. Es gehe nicht darum, freien Handel oder einheitliche Standards per se abzulehnen, so Brünler, im Gegenteil: „Gedeihlicher Handel ist immer ein Gewinn. Aber er setzt Transparenz, Informationsfreiheit und Freiwilligkeit voraus. Das Ergebnis der Verhandlungen wird aber irgendwann präsentiert nach dem Motto ,Friss oder stirb‘“. Die US-Verbraucher- und Wirt-
Nun sollen, ergänzte Janina Pfau, viele europäische Standards fallen, damit US-Produkte auch in der EU angeboten werden dürfen. Sicherheiten würden angegriffen: Aus gutem Grund gebe es strenge Regelungen für die Qualität von Medikamenten oder ein EU-Verbot von Tierversuchen. Mit Wachstumshormonen erzeugtes Rindfleisch oder mit Chlor desinfiziertes Hähnchen dürfen nicht angeboten werden. Gentechnisch veränderte Lebensmittel müssen bislang gekennzeichnet werden. Chemieunternehmen müssen erst die Unschädlichkeit ihrer Produkte nachweisen, bevor diese freigegeben werden. In den USA hingegen muss erst bewiesen werden, dass ein solches Produkt schädlich ist, bevor es vom Markt genommen wird. In der Debatte kritisierten fast alle Fraktionen die geplanten privaten Schiedsverfahren. Die Staatsregierung muss nun ihre Möglichkeiten ausschöpfen, um die Verhandlungen zu beeinflussen. Sonst bekommt der Freihandel eines Tages das hässliche Gesicht, das ihm die Verhandlungspartner derzeit aufmalen.
Perba, Böhlen und Co.: „So geht sächsisch“ nicht Die Integration von Flüchtlingen ist keine Einbahnstraße. Sie fordert weder, dass sich „nur die Flüchtlinge“ an die Einheimischen anpassen, noch, dass sich „nur die Einheimischen“ an die Flüchtlinge anpassen. Alle Seiten müssen aufeinander zuzugehen. Durch das Kennenlernen wird schließlich deutlich, dass es immer um Menschen geht – mit Geschichten, Gesichtern, Gefühlen. Das nimmt Zweifel und Ängste, die manche befallen, wenn Menschen aus anderen Ländern und Kulturen zu uns kommen. Die staatlichen Stellen, allen voran der Freistaat, müssen umfassend darüber informieren, wo, wann und wie Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Daran hapert es gewaltig: Das Örtchen Perba geriet in die Schlagzeilen, als seine 170 Einwohner und Einwohnerinnen dagegen aufbegehrten, dass 50 Flüchtlinge in einem Wohnblock in der Ortsmitte untergebracht werden. Erst vor etwa zwei Wochen wurden 68 Flüchtlinge nach Böhlen gebracht, das Rathaus weniger als 24 Stunden vorher informiert. Böhlens loff Bürgermeisterin Maria Gang
(DIE LINKE) hatte zwar diese Herausforderung zusammen mit engagierten Bürgern gemeistert, doch vom Freistaat ist mehr Professionalität zu erwarten! Bessere Kommunikation allein genügt freilich nicht. Asylsuchende müssen in der Mitte der Gesellschaft Quartiere finden und sozial betreut werden. Anwohnerinnen und Anwohner, die Spenden sammeln, Veranstaltungen oder Deutschkurse organisieren, sollen nicht alleingelassen werden. In sei-
ner Dezembersitzung behandelte der Landtag den immer noch hochaktuellen Antrag der Linksfraktion „Ganzheitliches Handlungs- und Kommunikationskonzept für eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen und eine bedarfsgerechte Flüchtlingssozialarbeit in
Sachsen“ (Drucksache 6/422). Demnach sollen künftig möglichst alle Geflüchteten – und nicht wie bislang nur knapp die Hälfte – dezentral in Wohnungen untergebracht werden. Das wäre das Ende der großen Heime – keine Utopie, denn in Sachsen stehen etwa 200.000 Wohnungen leer. Juliane Nagel, Fachpolitikerin für die Themen Flüchtlinge und Migration, betonte: „Dezentrale Unterbringung befördert die Integration. Mit ihr können Konflikte vermieden werden – Konflikte, die aus dem Zusammendrängen von viel zu vielen Menschen auf kleinem Raum resultieren, aber auch die Konflikte, die AnwohnerInnen heraufbeschwören, weil sie das Zusammenleben mit geflüchteten Menschen ablehnen“. Die Kommunen brauchen dafür allerdings mehr Geld, das nur vom Freistaat kommen kann. Sonst werden sie durch die steigenden Zuweisungszahlen weiter überfordert. Außerdem muss die Sozialarbeit mit und für die oft traumatisierten Flüchtlinge flächendeckend verbessert werden. Das heißt vor allem: Mehr Personal! Eine staatlich anerkannte Fachkraft soll dabei in Fällen von Gemeinschaftsunterkünften 40 und bei sonstigen Unterkünften
80 Geflüchtete betreuen. Bislang wird die soziale Betreuung finanziell fast allein durch die Kommunen getragen, der Freistaat unternimmt zu wenig. Der kommende Doppelhaushalt verspricht den Kommunen aber eine Million Euro mehr für die Flüchtlingssozialarbeit. Allein die Stadt Leipzig veranschlagt dafür im Jahr 2015 2,4 Millionen Euro. Die Asylsuchenden müssen außerdem besser beim Erlernen der deutschen Sprache unterstützt werden. Das scheitert bisher oft keineswegs an fehlendem Willen, sondern daran, dass es zu wenige erschwingliche Sprachkurse gibt. Nicht zuletzt braucht es endlich eine Kommunikationsstrategie, mit der die Flüchtlingsunterbringung vor Ort begleitet wird. Akteure, die sich für einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen engagieren, müssen bei all dem eingebunden werden. „Lassen Sie uns die humanitäre und völkerrechtliche Pflicht, Menschen Schutz und Asyl zu bieten, endlich gemeinsam und verantwortungsvoll angehen!“, forderte Nagel. Die Koalitionsfraktionen lehnten ab. In den Haushaltsberatungen werden wir uns dennoch dafür einsetzen, dass der Freistaat die Integration von Asylsuchenden verbessert.
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PARLAMENTSREPORT
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Unglaublich, aber wahr: Beim Mindestlohn stimmten CDU und SPD gegen sich selbst Seit dem 1. Januar gilt bundesweit ein gesetzlicher Mindestlohn. Lange hat die LINKE parlamentarisch dafür gestritten, auch als große Gewerk schaften, SPD und Grüne ihn noch ablehnten. Seit dem 1. Januar 2015 stehen nun auch im Freistaat jeder Arbeitnehmerin und jedem Arbeit nehmer mindestens 8,50 Euro brutto je Zeitstunde zu. Laut dem sächsischen DGB profitiert jeder vierte Beschäftigte davon, das sind mehr als 300.000 Menschen. Gleichzeitig reißen die Diskussionen über das Projekt nicht ab. Horror szenarien zu Preissteigerungen und Arbeitsplatzverlusten haben sich bislang nicht bestätigt. Dennoch könnten Unternehmen versuchen, die Lohnuntergrenze zu umgehen. Deshalb muss gut beobachtet wer den, wie die Mindestlohn-Regelun gen umgesetzt werden. Mit einem entsprechenden Antrag (LandtagsDrucksache 6/719) wollte die LINKE deshalb dreierlei erreichen:
tung und einem zeitlich befristeten Fonds, der ihnen übergangsweise hilft, solange sie den Mindestlohn noch nicht aus eigener Kraft finan zieren können. Über alle Ergebnisse müsste die Staatsregierung dann – so die dritte Forderung – das Parla ment unterrichten. Dann folgte eine emotionale Debatte. LINKE-Wirtschaftspolitiker Nico Brünler verwies dar auf, dass in Sachsen nicht zufäl lig so viele Beschäftigte unter die Mindestlohn-Regelungen fallen: „Letztlich hat die CDU-geführte Staatsregierung niedrige Löhne jahr zehntelang für einen Standortvorteil gehalten und damit auch öffentlich geworben“. Weil darunter die Kauf
kraft leide, seien die Löhne auch in Branchen des Handwerks oder bei Dienstleistungen niedrig geblieben – „ein Teufelskreis“. „Manche Gegner des Mindestlohnes haben schon den Einsturz der Grund pfeiler der Sozialen Marktwirtschaft vorhergesehen. Das ist durch die Pra xis längst widerlegt“, stellte die sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Susanne Schaper, klar. Aus ihrer Sicht nutzten Unternehmen nun vor allem zwei Möglichkeiten, um beim Mindestlohn zu tricksen: Sie reduzierten die Arbeitsstunden, in denen Aufgaben zu erfüllen sind, und klammerten Vorbereitungsarbei ten aus. Oder sie überreichten ihren Beschäftigten Zusatzvereinbarun
Erstens soll ein sogenanntes Moni toring-Verfahren, also eine perma nente Beobachtung und Kontrolle der Mindestlohn-Zahlung, eingeführt werden. Gewerkschaften, Arbeit geberverbände, Kammern und ein Institut für Arbeitsmarkt- und Wirt schaftsforschung sollen es unter stützen. So ließen sich die Kontrol len dichter und wirksamer gestalten. Bei Problemen soll betroffenen Unternehmen – zweitens – gehol fen werden: mit Unternehmensbera
gen, um Zuschläge zu kürzen oder zu streichen. Gegen all das könne nur vorgegangen werden, wenn sichere Daten vorlägen. Das Monitoring solle sie liefern. Dann könnten auch wei tere Maßnahmen abgeleitet werden, um das Lohnniveau flächendeckend zu sichern, so Brünler. Beispiels weise solle das Vergabegesetz vor sehen, dass öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die nachweislich den Mindestlohn zahlen. Redner der Regierungsfraktionen beeilten sich daraufhin, zu betonen, dass ein solches Monitoring bereits Teil ihres Koalitionsvertrages sei. Schon vor der Plenarsitzung hatten Medien die Ansicht verbreitet, der LINKE Antrag renne bei CDU und SPD offene Türen ein. Die Koalition aber belehrte uns eines Schlechte ren. Der CDU-Abgeordnete Frank Heidan warf der Linksfraktion vor, sie habe „aus dem Koalitionsvertrag abgeschrieben“, um die Vorschläge dann – welch Ironie! – postwendend als „Angriff“ auf die Marktwirtschaft und die Tarifautonomie abzukanzeln. CDU und SPD stimmten die Forde rungen schließlich nieder, obwohl sie Teil des Koalitionsvertrages sind. Hoffen wir, dass die sächsischen Unternehmerinnen und Unterneh mer bei der Umsetzung des Mindest lohns konsequenter zu Werke gehen. Hunderttausende Beschäftigte, die bisher von ihrer Hände Arbeit nicht leben konnten, brauchen das LohnPlus dringend.
Kommen Straftäter davon, weil Sachsens Justiz schlecht ausgestattet ist? Es war ein Paukenschlag: Anfang Januar berichteten Medien über einen Hilferuf der deutschen Gene ralstaatsanwälte. Selbige treten in der politischen Debatte sonst nicht lautstark oder gar aufrührerisch auf. Bei einem Treffen in Görlitz sollen sie aber in einem „internen“ Papier darauf hingewiesen haben, dass viele kriminaltechnische Institute – auch sächsische – in der Flut von Beweismitteln, die sie auswerten müssen, zu ertrinken drohen. Was zunächst nach einem Detailproblem klingt, hat womöglich schlimme Fol gen: Denn Ermittlungs- und Straf verfahren können nur ordnungsge mäß geführt werden, wenn Beweise rechtzeitig und vollständig aufgear beitet werden. Sonst drohen Verfah rensabbrüche, mutmaßliche Straf täter kommen frei oder bleiben von vornherein unbehelligt. Der verfassungs- und rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Klaus Bartl, ärgert sich dar
über, dass das Papier dem Landtag bis heute nicht vorliegt. DIE LINKE reichte umgehend einen Antrag ein (Drucksache 6/717), damit das Par lament „auf gleiche Augenhöhe mit den wissenden Medien“ gelangt. Das sei dringend, so Bartl, denn schließlich sei vom „Notstand“ in der Justiz die Rede. Ein Ermittler habe dem MDR erklärt: „Das Was ser steht nicht mehr bis zur Ober kante, sondern längst schon einen Meter drüber“. Für Bartl ist klar: „Wenn die beschriebene Situation nur zu Teilen stimmt, ist dies nicht mehr und nicht weniger als der Beweis dafür, dass die Staatsan waltschaft und die zur Strafverfol gung erforderlichen Beamten des Polizeidienstes ihren verfassungs mäßigen Auftrag, möglichst alle Straftaten aufzuklären, wirksam zu verfolgen und dadurch auch präven tiv zu wirken, nicht erfüllen können – ganz offensichtlich trotz großen Einsatzes“.
Mit ihrer Initiative fordert die Links fraktion die Staatsregierung auf, das Parlament über die im „inter nen Papier“ beschriebenen Defizite bei der Strafverfolgung zu informie ren. Schnelles Handeln ist nötig: Wenn Fristen verstreichen, müs sen sichergestellte Beweismittel den Beschuldigten zurückgegeben werden. Zu Verzögerungen kommt es, weil die Institute zu wenig qua lifiziertes Personal und Geld haben oder mit veralteter Technik arbeiten müssen. Das macht den Ermittlern zu schaffen, zumal insbesondere die Internetkriminalität zunimmt: Die Datenmengen auf Festplatten, USB-Sticks, DVDs und Handys, die gesichtet werden müssen, wachsen rasant. Auch die Auswertung von DNA-Proben, die gerade für die Auf klärung schwerer Verbrechen wich tig ist, dauert inzwischen oft länger als neun Monate. In ihrer Not beauf tragen die Ermittler inzwischen private Gutachter. Das ist höchst
bedenklich, nicht nur weil sich die Behörden selbst strafbar machen, wenn sie bestimmte Beweismittel – etwa kinderpornografisches Mate rial – weitergeben. Ein Hoffnungszeichen: Der Antrag wurde nach der Debatte im Plenum auch mit den Stimmen der Koaliti onsfraktionen in den Verfassungsund Rechtsausschuss überwiesen. Die Linksfraktion will erreichen, dass die Staats regierung Maßnahmen entwickelt, um Sachsens Justiz besser auszustatten. Auch der Doppelhaushalt, den das Parlament im April beschließt, muss nachsteuern. Dafür hauen auch wir gern weiter auf die Pauke!
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PARLAMENTSREPORT
Dezember 2014/Januar 2015
Marion Junge ist Sprecherin für Bürgeranliegen
Plenarspiegel Dezember 2014/ Januar 2015 Am 17./18. Dezember 2014 und am 28./29. Januar 2015 fanden die 4., 5., 6. und 7. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Debatte: – „Wie solidarisch ist das ‘Abendland‘? Sorgen ernst nehmen, Willkommenskultur entwickeln!“ – „Kein freier Handel ohne Verbraucherschutz und Rechtsstaatlichkeit“ Anträge: – „Nicht nur lenken, sondern schnell handeln: Ganzheitliches Handlungsund Kommunikationskonzept für eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen und eine bedarfsgerechte Flüchtlingssozialarbeit in Sachsen“ (Drs 6/422) – „Drohende Totalüberwachung des Verkehrs auf Straßen und Autobahnen in Sachsen durch geplante PKW-Maut des Bundesverkehrsministeriums rechtzeitig abwenden“ (Drs 6/272) / „Gesetzliche Berichtspflicht des Innenministers über anlassbezogene mobile automatisierte Kennzeichenerfassung gegenüber dem Landtag rechtzeitig und vollständig erfüllen“ (Drs 6/227) – „Sofortige Neuplanung der 4. Sächsischen Landesausstellung zur Industriekultur 2018“ (Drs 6/254) – „,Gute Arbeit‘ für alle Beschäftigten in Sachsen – Mindestlohn-Monitoring als einen ersten Schritt jetzt auf den Weg bringen!“ (Drs 6/719) – „Ermittlungs- und Strafverfolgungsnotstand in Sachsen rechtzeitig und wirksam vorbeugen – personelle und technische Ausstattung der Kriminalpolizei und Justiz deutlich verbessern!“ (Drs 6/717) Sammeldrucksache 6/449: In den Berichten der Ausschüsse waren folgende Anträge der Fraktion DIE LINKE enthalten: – „Sofortige Aussetzung der Abschiebung von Menschen in die von der Ebola-Epedemie betroffenen westafrikanischen Staaten“ (Drs 6/108) – „Winterabschiebestopp zugunsten von Flüchtlingen im Freistaat Sachsen - Humanitärer Akt und Gebot der Menschlichkeit“ (Drs 6/547) – „Erarbeitung eines neuen Lebenslagenreports – Armuts- und Reichtumsentwicklung im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/423) – „Rundfunkbeitrag sozial gerecht gestalten – Unverhältnismäßige Beitragsbelastungen überwinden“ (Drs 6/424) Auf Empfehlung der Ausschüsse lehnte die Mehrheit im Plenum diese Anträge ab. Drucksachen (Drs) und Redebeiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de
Die Fraktion DIE LINKE hat inzwischen verbindlich die Sprecherbereiche ihrer 27 Abgeordneten festgelegt. Manche Parlamentarier arbeiten weiterhin in ihren bisherigen Feldern, andere werden sich vollständig oder teilweise in neue Gebiete einarbeiten. Marion Junge, bisher Sprecherin für Kommunalpolitik, übernimmt ab sofort eine wichtige Querschnittsaufgabe: Sie wird Sprecherin für Bürgeranliegen. Damit ist ihre Tätigkeit anschlussfähig an alle Politikfelder. Daneben wird sich Marion Junge mit den Bereichen Petitionen, Weiterbildung und B es t at tung s wes en befassen. „Es fällt mir nicht leicht, den kommunalpolitischen Bereich abzugeben, den nun André Schollbach
übernimmt. Aber es gibt durch neue Aufgaben auch neue Chancen für eine stärker bürgerbeteiligte Landespolitik“, schätzt sie ihren neuen Arbeitsauftrag ein. „Ich möchte in der 6. Wahlperiode Ansprechpartnerin für Bürgeranliegen, Bürgerinitiativen und Bürgerbeteiligung sein. Wünsche, Anliegen und Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger sollen viel stärker in der Landespolitik berücksichtigt werden. Aktuelle landespolitische Themen wollen wir mit den Menschen vor Ort erörtern und gemeinsam Lösungen finden“. Sie will vor allem deshalb vernetzen, koordinieren, Anliegen Gehör verschaffen. Die Mitwirkungsund
Beteiligungsrechte für die Einwohnerinnen und Einwohner müssten in Sachsen unbedingt ausgebaut werden, so Junge. Nicht nur die Hürden für Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid müssen gesenkt werden, damit reale Chancen für eine erfolgreiche Volksgesetzgebung entstehen. Auch das Auskunfts-, Frage- und Petitionsrecht der Bevölkerung braucht Veränderung, um Bürgerbeteiligung besser zu gestalten. Marion Junge wird in den nächsten Wochen und Monaten Gespräche mit Bürgerinitiativen, Vereinen und Bürgergruppen führen. Bürgerinnen und Bürger können sich mit ihren Anliegen oder Problemen direkt an sie wenden (marion.junge@slt.sachsen.de; Telefon 0351 493-5806). Alternativ kann auch der Fachreferent für Öffentlichkeitsarbeit und BürgerInnenanliegen der Fraktion, Kevin Reißig, kontaktiert werden (kevin.reissig@slt.sachsen.de; Telefon 0351 493-5871).
Kupfer auf der Schippe Der neue Chef der CDU-Fraktion im Landtag, Frank Kupfer, hat sich in dieser Funktion bislang vor allem als Krawallmacher präsentiert. Die Wahl von Bodo Ramelow zum thüringischen Ministerpräsidenten kommentierte er mit der merkwürdigen Aussage, dass die „Demokratie in ihrer Praxis manchmal schwer zu ertragen“ sei. Als LINKE und Grüne eine eigene Kandidatin für das Amt des Sächsischen Ausländerbeauftragten vorstellten, polterte er, so etwas habe sich bislang nur die NPD erlaubt – ein Vorwurf, den er danach zu bereuen schien, aber nicht ohne weiter darauf zu verweisen, dass das Vorschlagsrecht bei der CDU-Fraktion liege. Das mag zwar eine parlamentarische Sitte sein, heißt aber freilich nicht, dass nur die CDU einen Kandidaten nominieren darf. Zum Jahresbeginn schließlich beglückte er die Öffentlichkeit mit einem Interview in der „Freien Presse“, in dem er unter anderem erklärte, die AfD sei „eine normale demokratische Oppositionspartei. Beim Umgang mit den Linken hätte ich schon viel eher Erklärungsbedarf“. Ob er wohl seinen Amtsvorgänger Steffen Flath dafür gemaßregelt hat, dass er mit einer solchen Gruppierung über die Landesverfassung verhandelte? Dabei haben wir uns übrigens nicht für die Wiederbelebung der DDR eingesetzt. Skurriler geht es nicht? Doch! Ein paar Zeilen weiter wurde Kupfer nach seiner Einschätzung gefragt, welche Folgen Rot-Rot-Grün in Thüringen haben werde. Seine Antwort: „Ich habe das DDR-System hautnah erlebt. Es war aufgebaut auf Angst und Lügen. […] Sogar der Wetterbericht wurde geschönt und gesagt, es seien minus
15 statt minus 20 Grad, weil Kohle zum Heizen fehlte“. Produzieren Ramelow und Co. also demnächst falsche Wetterprognosen? Darauf muss die sächsische Staatsregierung natürlich vorbereitet sein. Schließlich stehen einige Protokolltermine im Nachbarbundesland bevor, zum Beispiel die Eröffnung der länderübergreifenden Haftanstalt in Zwickau-Marienthal. Nicht auszudenken, wenn der Ministerpräsident dort falsch gekleidet aufträte, frieren oder schwitzen müsste, gar nass würde, weil er keinen Schirm dabei hat! Deshalb hat Rico Gebhardt just eine Kleine Anfrage an die Staatsregierung gestellt, um zu kontrollieren, wie sie auf solche Situationen vorbereitet ist. Er wollte wissen: Welche Vorkehrungen treffen die Ministerien, damit ihre Repräsentanten bei Terminen in Thüringen wetterangemessen gekleidet sind? Wer erstellt für die sächsische Staatsregierung verlässliche Wetterprognosen, damit sie nicht auf Täuschungen aus Thü-
ringen hereinfällt? Soll gar Dienstkleidung ausgereicht werden, mit der man auf alle Eventualitäten vorbereitet ist? Falls ja: Kommt diese dann aus dem kältegeplagten Russland, wodurch eventuell Wirtschaftssanktionen verletzt würden? Und überhaupt: Weiß die Staatsregierung, ob die DDR-Bürgerinnen und -Bürger Thermometer kaufen konnten? Die Staatskanzlei gab sich unbekümmert: Man treffe keinerlei Vorkehrungen, erstelle keine Wetterprognosen, Dienstkleidung gebe es nicht und schon gar nicht aus Russland. Man habe davon abgesehen, in den Archiven zu recherchieren, ob es in der DDR Thermometer zu kaufen gab. Überhaupt sei „der für eine vollständige Beantwortung erforderliche Aufwand in Anbetracht der offensichtlich nicht ernstlich gemeinten Kleinen Anfrage nicht zumutbar“. Damit zeigt sich Staatsregierung ähnlich humorbefreit wie der grummelnde CDU-Fraktionschef. Etwas mehr Witz, Kollegen!
Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig
Kommunal-Info 1/2015
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Thema: Flüchtlinge unterbringen
Grundlegendes zur kommunalen Unterbringung von Asylsuchenden in Sachsen Von Konrad Heinze, Chemnitz Hinsichtlich der Unterbringung geflüchteter Menschen in den Kommunen ist bislang von zwei wesentlichen Formen auszugehen. Zum einen die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften (nachfolgend: GU), zum anderen das Konzept der Dezentralen Unterbringung (kurz: DU). Grundsätzlich gilt, dass für Asylsuchende nach Ablauf von drei Monaten die gesetzliche Verpflichtung zum Aufenthalt in einer Erstaufnahmeeinrichtung endet. Aber hinsichtlich der Organisation der weiteren Anschlussunterbringung wird der betreffende § 53 des Asylverfahrensgesetzes von den einzelnen Bundesländern verschieden interpretiert.1
Gemeinschaftsunterkünfte Der Freistaat Sachsen leitet aus diesem schließlich eine generelle Pflicht zur Unterbringung in einer GU ab.2 Hieraus wird wiederum gefolgert, dass die unteren Unterbringungsbehörden, also die Landkreise und kreisfreien Städte, solche Einrichtungen vorzuhalten haben. Den zugehörigen Gemeinden kommt nun die Aufgabe zu, hierfür geeignete Grundstücke und Gebäude zur Verfügung zu stellen. So werden „Gemeinschaftsunterkünfte“ auch explizit im Sächsischen Flüchtlingsaufnahmegesetz benannt.3 Auch im aktuellen Unterbringungs- und Kommunikatonskonzept vom Februar 2014 findet sich ein entsprechender Passus, dass Asylsuchende während einer nicht näher definierten „ersten Phase“ grundsätzlich in einer GU unterzubringen sind.4 Jedoch ist diese auf die GU fokussierte Auslegung nicht unstrittig. Derzeit befinden sich in Sachsen etwa 50 GU, in der Größe von 50 bis 390 Plätzen. Angesichts der steigenden Zahl von Asylanträgen erscheint der Neubau von GU sowie der Ausbau schon bestehender Kapazitäten als wahrscheinlich. Dass sich die Kommunen, an welche die Zuteilung von Asylsuchenden seitens des Landkreises erfolgt, unter Zugzwang sehen, schnellstmöglich eine große Anzahl von Personen unterzubringen, ist ebenso nachvollziehbar. Jedoch spricht eine Reihe von Argumenten gegen die Institution der GU.
Zwangscharakter So steht dem Anspruch einer am Menschen orientierten politischen Praxis bereits der Zwangs- und Verwaltungscharakter der GU entgegen. Asylsuchende werden diesen zugewiesen, die entstehende „Gemeinschaft“ ist eine willkürlich zusammengesetzte. Die Situation wird vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein treffend beschrieben: „da das gemeinsame Wohnen nicht freiwillig geschieht und zwischen den Betroffenen weder verwandtschaftliche noch von vornherein Freundschaftsbeziehungen bestehen, wird das Leben auf engem Raum in der Regel in Mehrbettzimmern und die
gemeinsame Nutzung von Sanitär- und Kücheneinrichtungen sowie – wenn vorhanden – Gemeinschaftsräumlichkeiten als demütigend und belastend empfunden, insbesondere, wenn die Gewohnheiten und Bedürfnisse sehr unterschiedlich oder die sprachliche Verständigung schwierig sind.“5
Bau- und Unterhaltskosten Weiterhin stellt sich die Frage nach den Kosten des Baus und des Unterhalts einer GU. Bundesweit führt allein das Land Thüringen eine vergleichende Statistik, aus der die tatsächlichen Mehrkosten eines Platzes in einer GU gegenüber der DU hervorgehen – pro Platz und Jahr etwa 260 EUR.6 Da Thüringen wie Sachsen für die Aufnahme von Geflüchteten ein Mischsystem aus Pauschale und Spitzabrechnung zur Kostenerstattung des Landes an die Kommunen anwendet, ist die Situation vergleichbar.7 Angemerkt sei noch die kürzlich erfolgte Lockerung des Baurechts in Bezug auf Asylunterkünfte. Nicht nur, dass allein die Möglichkeit solche auch in Gewerbegebieten zu errichten der Isolation von Asylsuchenden Vorschub leistet, wie mehrere Kommunen im gesamten Bundesgebiet von enormen Preissteigerungen bei der Errichtung von Modulgebäuden berichten.8 Tatsächlich sind Einwände dieser Art auch auf Landesebene bekannt. So äußerte sich der ehemalige Sächsische Ausländerbeauftragte Martin Gillo: „Grundsätzlich ist mir bewusst, dass Gemeinschaftsunterkünfte zur Dauerunterbringung ungeeignet sind.“9 Ebenso verweist die Landesregierung auf die kostengünstigere Alternative der DU und „empfiehlt die DU von Familien, Alleinerziehenden mit ihren Kindern und alleinstehenden Frauen sowie von anderen Asylsuchenden, bei denen besondere humanitäre Gründe vorliegen.“10 So kommt es zur an sich paradoxen Situation, dass die Kommunen einerseits GU vorhalten sollen, andererseits die DU dennoch die empfeh-
lenswertere Variante ist. Vernünftiger deshalb, weil sie die weitaus mehr eigenständige, selbstbestimmte und die Privatsphäre achtende Form der Unterbringung darstellt. Das Paradoxe liegt nun in dem die DU betreffenden Erlass des Sächsischen Ministerium des Innern begründet, in welchem lediglich von „Einzelfällen“ gesprochen wird.11 Wie aber bereits angemerkt, ist diese GUfokussierte Gesetzesauslegung strittig. Ein Gutachten des Sozialrechtlers Georg Classen kommt zu dem Schluss, dass die zugrundeliegende Gesetzeslage vielmehr eine „flächendeckende Ermessensentscheidung“ rechtfertigt.12 Zuständig hierfür wären wiederum die unteren Unterbringungsbehörden, also die Kreise und kreisfreien Städte.
Spielraum für Kommunen Genau hier öffnet sich dann auch der Spielraum für die Kommunen. Es läge danach in ihrem Ermessen, die Unterbringung von Asylsuchenden sinnvoll und menschenwürdig zu organisieren. Ohne Zweifel ist dies eine große Aufgabe, die einigen Vorlauf benötigt. Dennoch sollte nicht auf die Obrigkeit gewartet, sondern frühzeitig die Gesellschaft aktiviert und einbezogen werden. So ist zu empfehlen, dass sich in den Kommunen bereits vor der Ankündigung einer bevorstehenden Aufnahme örtliche Initiativen, lokale Akteure der Zivilgesellschaft und Einzelpersonen zusammenfinden, um vorab Pläne anzufertigen. Überdies ist es für die Verwaltung ratsam, frühzeitig mit örtlichen Wohnungsunternehmen und/oder privaten Anbietern, nach geeignetem Wohnraum zu suchen. Weiterhin ist es von Bedeutung, die Bedarfe der Unterzubringenden selbst zu erfragen, um sie mit einzubeziehen. Hierzu empfiehlt sich der Kontakt zum Sächsischen Flüchtlingsrat. Unabdingbar ist aber ebenso, fortgesetzt die Forderungen nach einer bedarfsgerechten Finanzausstattung an das Land zu vermitteln.
Ein positives Beispiel für eine gelingende Aufnahme und die Ausweitung der DU, ist die „AG Asylsuchende“ im Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge. Hier hat ein breites Bündnis in Kooperation mit dem Kreistag bewiesen, dass sich eine bedarfsorientierte DU auch in ländlichen Räumen umsetzen lässt, wenn es nur den erklärten Willen und den Einsatz der Zivilgesellschaft gibt. ___ 1 Vgl. Wendel, Kay: Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland, Frankfurt am Main 2014, S. 11. 2 Vgl. Stellungnahme des Sächsischen Ministerium des Innern zur Drs. 4/12697, Blatt 1. 3 Vgl. §3 Abs.1 SächsFlüAG. 4 Vgl. Wendel, Kay: Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland, Frankfurt am Main 2014, S. 63. 5 Vgl Flüchtlingsrat SH: Unterbringung von Asylsuchenden in den Kommunen, Kiel 2011, S. 19. 6 Vgl. Mediendienst Integration: Wie werden Asylbewerber in Deutschland untergebracht?, 31.10.2014, S. 3. 7 Vgl. hierzu die beträchtlichen Kostenunterschiede zwischen den sächsischen Landkreisen, in: Drs. 4/7428. 8 Vgl. Oberhuber, Nadine: Heime um jeden Preis, 29.10.2014, Zeit Online. 9 Vgl. Sächsischer Ausländerbeauftrager:„Heim-TÜV“ Handreichung für Anwender, S. 3. 10 Vgl. Sächsischer Ausländerbeauftragter: Jahresbericht 2013, S. 24/25. 11 Vgl. SMI: Erlass zur dezentralen Unterbringung von Asylbewerbern, 31.01.2001. 12 Vgl. Classen, Georg: Stellungnahme zur dezentralen Unterbringung nach SächsFlüAG aufgenommener Flüchtlinge, 2009.
Kommunal-Info 1/2015
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Mobilfunksendeanlagen Weniger Neubau, mehr Erweiterungen Im Dezember 2001 gaben die Mobilfunknetzbetreiber gegenüber der Bundesregierung eine freiwillige Selbstverpflichtung ab, in der sie sich zu einem regelmäßigen Monitoring verpflichteten: „Maßnahmen zur Verbesserung von Sicherheit und Verbraucher-, Umwelt- und Gesundheitsschutz, Information und vertrauensbildenden Maßnahmen beim Ausbau der Mobilfunknetze“. Über die Umsetzung dieser Maßnahmen legt das Informationszentrum Mobilfunk e.V. (IZMF) alle zwei Jahre mit einem Gutachten einen Bericht bei der Bundesregierung vor. Das jüngste und achte Gutachten wurde im September 2014 vom IZMF veröffentlicht. Das Deutsche Institut für Urbanistik (Di-
fu) erstellte das Gutachten zusammen mit der Beratungsgesellschaft Schlange & Co. GmbH (Gutachtenteil „Verbraucherschutz und Verbraucherinformation“). Der Gutachtenteil „Kommunikation und Partizipation“ basiert auf den Ergebnissen einer schriftlichen, standardisierten Kommunalbefragung zur Zusammenarbeit mit den Netzbetreibern beim Ausbau der Mobilfunkinfrastruktur. Die Kommunen schätzten für den Zeitraum Juli 2011 bis Juni 2013 ein, ob die Zusagen der Selbstverpflichtung zu den Abstimmungsprozessen mit ihnen hinsichtlich Vollständigkeit und Rechtzeitigkeit bei der Standortplanung eingehalten wurden und ob die Sendebeginnanzeige sie erreichte. Außerdem wurde erhoben, in welchem Umfang Konflikte bei der Standortplanung und beim Ausbau auftraten und inwieweit Standortvorschläge der Kommunen bei der Neuerrichtung von Sendeanlagen berücksichtigt wurden. Auswirkungen der Novelle zur 26. Bundes-Immissions-
chutzverordnung (26. BImSchV) vom 22.8.2013 wurden im Gutachten nicht berücksichtigt, da diese erst nach dem Untersuchungszeitraum in Kraft trat. Aus den Antworten der befragten Kommunen zum Mobilfunkausbau ging hervor, dass im Beobachtungszeitraum in den Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohnern insgesamt etwa 20.000 Sendeanlagen ans Netz gingen. Ca. 3.400 waren neu errichtete Sendeanlagen, etwa 16.000 Erweiterungen von Sendeanlagen an bereits bestehenden Standorten um einen weiteren Funkstandard (UMTS, LTE, seltener auch GSM). Damit ist die Zahl neu errichteter Sendeanlagen gegenüber den Vorjahren weiter zurückgegangen. Die Zahl der Erweiterungen hat dagegen verglichen mit dem vorherigen Zweijahreszeitraum deutlich zugenommen. Das Verhältnis von Standorterweiterungen und Standortneubauten beträgt inzwischen etwa fünf zu eins. Mit dem weiteren Rückgang der Neubauaktivitäten sinkt auch die Bedeutung alternativer Standortvorschläge durch die Kommunen. Anteil und Zahl der Kommunen, die alternative Mobilfunkstandorte benennen, gehen tendenziell weiter zurück. Dies hat sicher auch damit zu tun, dass potenzielle Alternativstandorte wegen der bereits hohen Standortdichte seltener werden. Dennoch sind verglichen mit den letzten Mobilfunkgutachten deutliche Verbesserungen bei der Prüfung der Standortalternativen zu erkennen. In etwa vier von zehn dieser Städte und Gemeinden führen alternative Standortvorschläge zu einem Konsens und einer Errichtung auf der vorgeschlagenen Liegenschaft. Die Zusage aus der Selbstverpflichtung, Kommunen umfassend und rechtzeitig über die Standortplanung zu informieren, erfüllen die Betreiber weitgehend. Insgesamt wurden Verbesserungen erzielt. Die Informationsübermittlung bei Erweiterungen von Standorten der Informationsbereitstellung bei der Neubauplanung hinkt aber leicht hinterher. Die hochgerechnete Zahl der Konflikte bei der Standortplanung und -umsetzung liegt insgesamt etwa auf dem Niveau des vorherigen Untersuchungszeitraums. Während die Gesamtzahl der Konflikte (hochgerechnet) in den Großstädten gewachsen ist, ist sie in den kleineren Kommunen gesunken. Neubaustandorte sind dabei grundsätzlich konfliktanfälliger als Erweiterungsstandorte. Im Gutachtenteil „Verbraucherschutz und Verbraucherinformation“ waren die Ergebnisse der Beobachtungen und Befragungen in den Shops gemischt. Die Zusage, Informationen für den Verbraucher und die Bereitstellung von Informationsmaterialien in den Shops zu verbessern, musste auf Basis der vorliegenden Ergebnisse als nicht erfüllt angesehen werden. Die Informationsmaterialien der Netzbetreiber und des IZMF wiesen eine hohe Qualität auf; auch die Internetangebote der Netzbetreiber und des IZMF wurden ausnahmslos als „gut“ bewertet. Erfreulicherweise hat sich das Angebot strahlungsarmer Mobiltelefone erhöht.
Neue Broschüre beim KFS
Rechte und Pflichten im kommunalen Mandat. Ein Leitfaden; von Achim Grunke; Hrsg.: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V.; Januar 2015; 90 S.; ISBN: 978-3-945564-00-4; Schutzgebühr: 6,90 EUR.
Informationsveranstaltung
Asylpolitik im Landkreis Erzgebirge Sonnabend, 28.02.2015, 10:00 - 14:00 Uhr im „Kulturbahnhof“, Bahnhofstraße 2
Stollberg/Erzgeb.
Schwerpunkte:
Gesetzliche Rahmenbedingungen (Bund, Land), Aufgaben der Kreise und Kommunen in Sachsen (insbesondere Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden), Überblick über die aktuelle Situation in Sachsen Aktuelle Zahlen, Konzeption der Unterbringung, soziale Betreuung und das weithin praktizierte ehrenamtliche Engagement („Unterstützerkreise“)
Referenten:
Johannes Roscher (Ausländerbeauftragter LK Erzgebirge) Konrad Heinze (Politikwissenschaftler, Referent und Teamer beim Netzwerk Demokratie und Courage) Anmeldung & Nachfragen: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Fon: 0351 - 4 82 79 -44 / -45 Fax: 0351 - 7 95 24 53 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de
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Frieden statt NATO! Kurz-Report von der XX. RosaLuxemburg-Konferenz in Berlin So langsam kennt sich der Rosa-Luxemburg-Konferenz-Besucher im Urania-Haus schon aus. Drängende Enge, spannende Vorträge, gute Musik und als Videoclips zugesandte Grußworte bei ständig wechselnden Themen und Gästen. Eigentlich reicht die Zeit hinten und vorne nicht. Bevor man in einem Thema drin ist, kommt man schon wieder raus – und was hat sich nicht alles in einem Jahr angesammelt! Dann plötzlich ein neues Thema: Charlie Hebdo. Plötzlich gibt es in der politischen Welt ein ganz anderes Thema, als es die Macher der Konferenz geplant haben – könnte man meinen. Ist aber nicht so. Tatsächlich hechelt man beim Veranstalter junge welt wohltuenderweise eben keinen Modethemen hinterher, sondern bleibt beim Stoff, der seit Jahrtausenden die Menschheit beschäftigt, also beim Thema Frieden. Es ist aber unverkennbar, dass sich die Alten um die Jungen sorgen, dass Gewissheiten nicht plötzlich wieder in Frage gestellt werden. Wobei man hier nicht von „plötzlich“ sprechen kann. Es ist ein langwährender Prozess, der dafür sorgt, dass junge Deutsche drei Generationen nach der Weltkriegsgeneration nun endlich wieder weltweit mitschießen wollen – und sie werden ja von allen Seiten bestärkt. Da sind die Amerikaner, die gerne die Kosten ihrer Kriege – die sie sich eigentlich überhaupt nicht leisten können – teilen müssen. Da sind aber auch die nur allzu willfährigen
Vasallenregimes in Europa, die sich einen Wettbewerb um die Gunst des US-Präsidenten liefern. „Herr Obama, dürfen wir nicht mit ein paar Spürpanzern da, mit ein paar Tornados dort, einigen Schiffen hier vor der libyschen Küste? Ach bitte doch … und abhören … aber gerne doch! Bitte sicherheitshalber gleich alle! Islamisten, Rote, Kanzlerinnen, die ganze Mischpoke. Wir sind da nicht kleinlich, und wenn die britischen Waffenbrüder gleich mitlauschen – kein Problem! Wir werden auch weiter in unseren Medien schreiben, dass die Bösen ausschließlich Russen, Iraner, Chinesen, Nordkoreaner oder Venezolaner sind – unsere besten Freunde dürfen einfach alles ...“ Der Zugang der jungen Deutschen zum Waffendienst muss einfacher werden, hat die Bundeswehr beschlossen – und deshalb gibt es nun „Showrooms“. Zunächst einen zur Probe in Berlin, bald gibt es davon 16. Karrierecenter im Sinne von Wir.Dienen.Deutschland. Warum die Bundesministerin damit erfolgreich sein wird? Aus verschiedenen Gründen, der eine liegt ganz einfach im nachweisbaren „Erfolg“ der längsten Kriegsmission der Bundeswehr – die zwar offiziell beendet, aber noch längst nicht zu Ende ist: Afghanistan. 56 Tote in 12 Kriegsjahren! Der Krieg hat länger gedauert als Erster und Zweiter Weltkrieg zusammen. Der da vorn auf der Bühne auch von den Karrierecentern spricht, mit langen weißen Haaren, feiert hier seinen 80. Geburtstag. Er taucht tief in die Geschichte ein, um nachzuweisen, wie sich alles seit Homer wiederholt hat
mit den Rechtfertigungen und Begründungen, warum der Krieg doch „alternativlos“ ist. Otto Köhler heißt der Mann, ein Publizist und ehemaliger Herausgeber des „Weltbühne“-Nachfolgeblattes Ossietzky. „Ja, ich bin
ßen im Herbst 2013 mit dem in allen wesentlichen deutschen Medien hochgelobten Buch des australischen Universitätsprofessors Christopher Clark „Die Schlafwandler“. Doch wer wusste im Saal – bevor es ihnen der
es, Theresites – Schmäher aller Kriege, ihrer Feldherrn, ihrer Propagandisten und ihrer Professoren“. Und er macht seine Sache gut, bleibt nicht beim Historischen, sondern flankt verbal locker hinüber in die Gegenwart. Die Wiederentdeckung der deutschen Unschuld am Ersten Weltkrieg begann bekannterma-
80jährige Otto Köhler sagte –, dass Clark zuvor im Auftrag der Hohenzollern deren „Unschuld“ im Zweiten Weltkrieg nachgewiesen hatte, trotz aktiver Beteiligung daran? Schließlich wollen die Hohenzollern ihre Güter wieder zurück, und da hilft es, sich reinwaschen zu lassen. Herfried Münkler hätte es genauso gut
tun können, aber das hätte ein Geschmäckle gehabt – besser, ein Fremder holt die Kastanien aus dem Feuer. Köhler fordert im Ehrenhain der Bundeswehr bei Potsdam ein Denkmal für die von eben dieser Armee ermordeten Frauen und Kinder und weiterer Zivilisten. „Und wenn das nicht geschieht, dann soll der Berliner Senat dafür sorgen, dass im öffentlichen Raum Berlin der Opfer der Bundeswehr in Afghanistan gedacht wird. Und wenn auch das nicht im Senat durchzubringen ist, dann möge die Linkspartei an ihrem Parteihaus in Berlin eine Gedenktafel für die Opfer anbringen“. Großer Beifall. Nach diesem Vortrag hätte man einen „Ossietzky“ kaufen und heimgehen können, um tief über alles nachzudenken. Aber das war erst der Anfang – nun kam die Dänin Freja Wedemborg, Redakteurin bei Arbejderen, und versprach im charmanten dänischen Englisch, dass die linken Medien in Zukunft enger kooperieren werden – auf den Kantinentischen liegt dann auch schon die Reklame für den elektronischen Morning Star. Es gäbe unendlich viel zu erzählen, was aber bei den vom strengen Chefredakteur erlaubten Zeichen schwer gelingen kann – darum ein Friedensangebot an dieser Stelle: Es werden Fotos und Reden ins Netz gestellt, und dies über www.links-sachsen. de verlinkt. Vielleicht hat ja auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dresden noch einen Termin frei, für einen Vortrag „Frieden statt NATO – eine Nachlese zur XX. Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin“. Ralf Richter
Vor Ort beim Bundesprogramm „Demokratie leben!“ Die Gemeinde Schleife liegt in einer fast idyllisch zu nennenden Ecke der sächsischen Lausitz. Viel Wald gibt es hier, den Halbendorfer See, das Naturschutzgebiet Altes Schleifer Teichgelände und so einiges mehr. Doch galt mein Besuch nicht den Schönheiten der Gegend, sondern dem der Regiestelle Schleife im dortigen Bildungszentrum. Im ehemaligen Zivildienstzentrum werden nicht nur Lehrgänge für die Angehörigen des Zivi-Nachfolgers Bundesfreiwilligendienstes angeboten. In derselben Einrichtung befindet sich auch die Regiestelle Schleife, in der die Arbeit des neuen Bundesprogramms „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ koordiniert wird. Unter dem Dach des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) angesiedelt, fällt diese wichtige
Arbeit in den Geschäftsbereich des Bundesfamilienministeriums. Grund genug für mich als dafür zuständigen Haushaltspolitiker, jenseits der nackten Zahlen vor Ort mit den Verantwortlichen zu sprechen und mir einen eigenen Eindruck zu verschaffen. In drei unterschiedlich besetzten Gesprächsrunden wurden mir durch die Abteilungsleiterin des BAFzA, der Referatsleiterin der Regiestelle sowie den ProjektbetreuerInnen und den DozentInnen die Aufgaben der Einrichtung detailliert erklärt. Gerade die Modellprojekte, die für das neue Bundesprogramm entwickelt werden, haben mich sehr interessiert. Den Verantwortlichen ist bekannt gewesen, dass ich mich 2014 – letztlich erfolgreich – für den Erhalt des Bildungszentrums Sondershausen in Sachsen-Anhalt eingesetzt habe und mich auch für eine Umstellung des Bun-
desprogramms auf eine dauerhafte finanzielle Grundlage stark mache. Dadurch war von Anfang an eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre vorhanden. Ein Problem der Regiestellenarbeit ist die Befristung der Arbeitsverträge eines Großteils der MitarbeiterInnen. Begründet wird sie damit, dass Projekte gegen Rechts nur zeitlich begrenzt benötigt würden, nur solange, wie das gesellschaftliche Problem existiert. Die Bekämpfung der Gefahr von Rechts hat sich jedoch zu einer dauerhaften Aufgabe entwickelt. Der Kampf gegen Antisemitismus und der gegen radikalen Islamismus sind hinzugekommen. Aus diesem Grund ist die Forderung nach unbefristeten Arbeitsverträgen berechtigt und vernünftig: Die Aufgabe wird bleiben, auch wenn die einzelnen Projekte und ihre Methoden wechseln. Deshalb werde ich mich gegen-
über dem Ministerium und im Ausschuss für eine Entfristung der Verträge in der Regiestelle des Bundesprogramms einsetzen. Aus demselben Grund – der dauerhaften Aufgabe, der Gefahr des Rechtsextremismus zu begegnen – muss endlich auch eine dauerhafte, institutionelle Förderung der zivilgesellschaftlichen Projekte beschlossen werden. Opferberatungen und Mobile Beratungsteams leisten ihre wichtige gesellschaftliche Arbeit gegen Nazis, Fremdenhass und Antisemitismus seit Jahren ohne langfristige Planungssicherheit. Sie brauchen für den Erfolg ihrer Arbeit endlich dauerhafte Lösungen in Form dauerhaft geförderter Strukturen. Dies gilt ebenso für die neuen Projekte gegen radikalen Islamismus. Auch die Bildungszentren selbst als bundeseigene Einrichtungen sind nach dem Ende des Zi-
vildienstes nicht unumstritten. Der Bundesrechnungshof hat die Kosten kritisiert und angeregt, die Bildungszentren und deren Kursangebot in die Hände private Träger zu überführen. Natürlich müssen die Ausgaben berücksichtigt werden, doch die Umsetzung gesellschaftlicher Bildungsaufgaben darf nicht allein nach Kostengesichtspunkten beurteilt werden. Vor allem aber sollte die Zukunft der Bildungszentren nur im Kontext der Frage erörtert werden, wie es mit den mittlerweile zahlreichen unterschiedlichen Freiwilligendiensten – dem Freiwilligen Sozialen Jahr, dem Freiwilligen Ökologischen Jahr, den zwei internationalen Freiwilligendiensten sowie dem Bundesfreiwilligendienst – langfristig weitergeht. Eine Schließung steht jedenfalls nicht zur Debatte, weder in der schönen Lausitz, noch anderswo. Michael Leutert
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Kreuzritter für das Abendland? Auch wenn trotz der Eigenwerbung keineswegs immer ein kluger Kopf hinter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ steckt, ist sie gleichwohl das Zentralorgan des denkenden Besitzbürgertums. AfD? Da sind wir erst einmal skeptisch. Ein paar Professoren ergeben noch keine brauchbare Partei. PEGIDA? Legida und wie die ganzen IDAS alle heißen? Da reden wir gleich Klartext. Redakteur Jasper von Altenbockum kommentiert lakonisch, anspielend auf die Frankfurter Sponti-Proteste der siebziger Jahre, die sich gelegentlich zu Straßenschlachten auswuchsen: „Die Dresdner Kundgebungen werden im Sande verlaufen. Aber unterm Pflaster liegt der Strand, auf dem sich heutzutage rechts-irrlichterndes Gedankengut ausbreitet“. Einen Grund für die Spaltung von PEGIDA sieht er darin, „dass die AfD Unterstützung signalisiert hat“. Zentrale Forderung der Spalter soll künftig die nach mehr „direkter Demokratie“ sein. Elektrisierend für die AfD, „denn das ist ein Kernanliegen der neuen Partei, die eine ,Bewegung‘ gut gebrauchen kann“. Der neue Verein soll „bürgernah“ und „konservativ“ sowie rechts von der CDU heimisch sein. Und von Altenbockum sieht das Menetekel bereits: „Die CDU schaut zu. Das war damals aber auch nicht anders. Da schaute die SPD den Grünen zu“. FAZ-Autor Olaf Sundermeyer spricht vom „Erfolg fremdenfeindlicher Bewegungen wie Pegida“, der erst durch Hooligans ermöglicht worden sei, von denen etliche „sich als eine Art moderne SA“ verstünden, gar „dass ‚rechtsmotivierte‘ Hooligans als Schutztruppe und lautstarke Einpeitscher dieser bundesweiten fremdenfeindlichen Bewegung auftreten“. Er zitiert den Legida-Redner Friedrich Fröbel: „Nun ein Wort an euch Hools: Wenn die Politik unsere Polizei weiter so kaputt spart,
dann werdet ihr noch einmal gefordert sein, Seite an Seite mit diesen Polizisten Recht und Gesetz zu verteidigen“. Brüllend versichern die Hooligans, dass sie da sein werden. Eine „moderne SA“ eben, die „Hilfspolizei“ von heute. Hooligans haben die Legida von Beginn an geprägt. Ein Rocker steht jetzt an der Spitze des Ablegers in Duisburg. Der Outlaw-Nimbus vereint sie: Outlaws, die nicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, sondern – so das Selbstbild – die sich freiwillig außerhalb der Gesellschaft positioniert haben, da sie für die „gesunde Volksmeinung“ stehen. Nicht die Ge-
gefunden. Lutz Bachmann wäre kein Werbefachmann, wenn er solche Anwürfe nicht bereits bei der Namensgebung bedacht hätte. Positive Botschaften liefern, lautet die Parole. Die übergroße Mehrheit der „19-PunkteProgramms“ liefert Aussagen darüber, wofür man ist. „Patriotische Europäer“ gehen in Dresden auf die Straße. Man weiß, dass der Vorwurf der „Europafeindlichkeit“ Jörg Haider ins Abseits manövriert hatte. Für das „Abendland“ steht man. Und damit als Verteidiger gegen eine aus dem „Morgenland“ stammende Bedrohung. Begriffe, so der faschistische Staatsrechtler Carl Schmitt, seien immer poli-
sollen diese nicht ihr Ende an den Grenzen Europas finden, sondern müssen ins Kernland des Feindes getragen werden. Erstaunt es angesichts dessen, dass Männer den Löwenanteil der PEGIDAisten ausmachen? Ein Kreuzzug ist Männersache. Da komme niemand mit gender mainstreaming! Doch so paradox es klingt: Gäbe es die Islamisten, die Salafisten nicht, so müssten sie extra für PEGIDA und Co. erfunden werden. Denn, wie schreibt Gonzague de Reynold, ein weiterer Abendland-Ideologe: „Die Geschichte lehrt uns, dass es eines gemeinsamen Feindes, einer gemeinsamen Gefahr bedarf,
tische Kampfbegriffe, zur Unterscheidung zwischen Freund und Feind dienend. In seinem Buch „Der Begriff des Politischen“ schreibt er, „in dem tausendjährigen Kampf zwischen Christentum und Islam ist niemals ein Christ auf den Gedanken gekommen, man müsse aus Liebe zu den Sarazenen oder den Türken Europa, statt es zu verteidigen, dem Islam ausliefern“. Und auch wenn von „Verteidigung“ gesprochen wird, ist doch im internen Diskurs klar, dass eigentlich eine Rückeroberung, die Reconquista, gemeint ist. Man befindet sich auf einem Kreuzzug. Und wie die historischen Kreuzzüge
damit Europa ist“. Inzwischen kommt diese Gefahr nicht mehr aus Russland, sondern aus dem Orient. Den ehemaligen Erzfeind sähe man gerne als Verbündeten. Wie in den nachgeschobenen „6 Punkten“ von PEGIDA, in denen ein „Ende der „Kriegstreiberei mit Russland und ein friedliches Miteinander der Europäer“ gefordert wird. Auch das hat mit der angemahnten „direkten Demokratie“ zu tun: Ein starker, direkt gewählter Präsident mit weitreichenden Vollmachten, der sein Reich nach außen verteidigt, die christliche Kirche stärkt und der Dekadenz im Inneren einen Riegel vorschiebt. Kerstin Köditz
Bild: blu-news.org / Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0
sellschaft mit ihren Institutionen repräsentiert danach die Bevölkerung, sondern das Volk selbst muss sich wieder Gehör verschaffen. Auch ein Verständnis von direkter Demokratie. Und diese will auch direkt – auf der Straße – durchgesetzt werden. Da nutzt es auch nichts, wenn der Dresdner Professor Hans Vorländer in seiner höchst fragwürdigen Untersuchung feststellt, nur ein relativ geringer Teil der Demonstrierenden habe den Islam als Hauptthema. Natürlich wissen die Befragten nur zu genau, dass die Bewegung wegen Islamfeindlichkeit in der Dauerkritik steht. Weniger verfemte Gründe sind schnell
Neues vom Landesrat Die 1. Klausurtagung des neugewählten Landesrates fand am 16./17.02.2015 in Dresden statt. Ziel war das persönliche Kennenlernen der neuen für zwei Jahre gewählten Mitglieder, die Wahl eines SprecherInnenrates, die Findung neuer Themen für die Tagungen und die Absprache zu den Terminen für 2015. Als Landesrats-SprecherInnen wurden gewählt: Gudrun Erfurt, Dresden; Dieter Gaitzsch, Dresden; Michael-Alexander Lauter, Leipzig; Alexandra Wolf, Mittelsachsen. Ein Thema, das die beiden Tage beherrschte, war das Initiativrecht des Landesrates: Was sind strategische Aufgaben und Themen? Wozu und wann sollte der Landesrat initiativ werden? Darüber diskutierten die Teilnehmer sehr angeregt und zum Teil gegensätzlich. Für die nächste Sitzung, die schon im Monat Februar die Mitglieder wieder zusammenführt, ist es geplant, AGs zu schaffen, um die Arbeit auf breite Schultern zu verteilen und gute Ergebnisse von einer größeren Klientel präsentieren zu lassen. Der Landesrat erklärte sich solidarisch mit Griechenland und Syriza. Es herrschte zwei Tage lang eine sehr intensive und konstruktive Atmosphäre. Als die Teilnehmer am Sonnabendnachmittag wieder auseinandergingen, hatten sie das Gefühl, in Zukunft gemeinsam etwas erreichen zu wollen und zu können. Zuvor hatten sie sich aber noch spontan entschlossen, an einer Demonstration teilzunehmen, aus Anlass des damals noch ungeklärten Todes des jungen Asylsuchenden Khaled Bahray Idris aus Eritrea. Alexandra Wolf
Welche Zukunft wollen, welche Zukunft haben wir? Der Parteivorstand hat im vergangenen Jahr die Durchführung eines Kongresses unter dem Titel „Linke Woche der Zukunft“ beschlossen. Vom 23. bis zum 26. April 2015 soll er in Berlin stattfinden. Es gab Kritik: zu überstürzt, kein klares Konzept ... Doch scheint es angeraten, dass DIE LINKE sich nicht nur mit der Zukunft der Gesellschaft intensiver befasst, sondern auch mit ihrer eigenen darin. Darum wird es im Landesverband unter dem Titel „Wirksamkeit und Einfluss der Partei DIE LINKE in der Gesellschaft“ eine eigene Veranstaltung geben – am 21. März
2015 in Dresden, im Gewerkschaftshaus am Schützenplatz 14. Als Hauptreferent und Gesprächspartner wurde Prof. Dr. Uwe Hirschfeld von der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit Dresden gewonnen. Folgende Workshops sind geplant: a) „Prekarisierung und Entpolitisierung“. Was verstehen wir unter Prekariat? Gehören Prekarisierung und Entpolitisierung zwangsläufig zusammen? Wie kann DIE LINKE der Entpolitisierung entgegenwirken? Wie ist politische Meinungsbildung unter der Voraussetzung fortgeschrittener Entpolitisierung überhaupt möglich?
b) „Möglichkeiten für linke Transformationsprojekte unter den Bedingungen des freien Marktes“. Wie lassen sich „alternative Wirtschaft“ und „sozial-ökologischer Umbau“ in einer vor allem marktförmig organisierten respektive strukturierten Gesellschaft entwickeln und verwirklichen? Wer sind unsere PartnerInnen dabei, für wen können wir PartnerIn sein, und auf welche Weise ist eine wirksame Zusammenarbeit zu gestalten? Welche Rolle spielen dabei die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte? Wie kann die Wirtschaft demokratisiert werden?
c) „Offene Analyse und Reflexion zu eigenen Möglichkeiten der Linken als politische Gestaltungskraft“. Die LINKE sollte den Mut aufbringen, ihre Stellung und ihren Einfluss im gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Umfeld realistisch einzuschätzen. Sind Aufbau, Arbeits- und Handlungsweisen von Parteien dafür geeignet, ihren gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch glaubhaft zu begründen? Wie kann sie hierfür das Vertrauen der Menschen gewinnen, mit denen sie diese Entwürfe angehen möchte? Daneben ist es möglich, zwei
weitere Workshops nach Wünschen der Teilnehmer*innen durchzuführen. Zudem sind die Mitglieder des Landesverbandes aufgerufen, schon im Vorfeld aktiv zu werden. So können Beiträge zum Hauptthema sowie zu den Unterthemen und auch zu Themen, die darüber hinaus bei der Veranstaltung eine Rolle spielen sollen, bis zum 1. März bei der Landesgeschäftsstelle (am besten per E-Mail an kontakt@dielinke-sachsen.de) eingereicht werden. Dies würde wesentlich zu einer guten Vorbereitung wie zum Gelingen der Konferenz beitragen. Die Grundsatzkommission
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LAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik nun auch in Sachsen tigt mit Menschen ohne diese Beeinträchtigungen am Leben teilnehmen können. Im Alltag gibt es immer wieder Barrieren. Ich gehe fest davon aus, dass
soll am 28. Februar 2015 die Gründungsveranstaltung stattfinden. Eingeladen sind sowohl Experten in eigener Sache als auch Genossinnen und Genossen sowie Sympathisanten, die sich für eine inklusive Gesellschaft engagieren. In unserem Parteiprogramm heißt es u. a. : „DIE LINKE kämpft ... für eine inklusive Gesellschaft, in der jeder Mensch Rahmenbedingungen findet, in denen er seine Fähigkeiten, Fertigkeiten und Talente entfalten kann, niemand außerhalb der Gesellschaft steht und jede und jeder sich einbringen kann.“ Die LAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik wird sich dafür einsetzen, dass das Übereinkommen der Vereinten Nation über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) umgesetzt wird. Die UN-BRK will erreichen, dass Menschen mit körperlichen, geistigen, seelischen oder/und Sinnesbeeinträchtigungen (Menschen mit Behinderungen) gleichberech-
die Mitglieder der LAG sich hierzu mit Vorschlägen für die Parteiarbeit aber auch für die kommunal- und landespolitische Arbeit einbringen werden. Menschen mit Behinderungen werden immer noch eher als „Objekte der Fürsorge“ statt als selbstbestimmt lebende Subjekte angesehen. Sie werden auf ihre Behinderung festgelegt anstatt als Menschen wahrgenommen zu werden, die erst in der Wechselwirkung mit den vielfältigen Hindernissen in ihrem gesellschaftlichen Umfeld eine Behinderung erfahren. Diese Barrieren in den Köpfen müssen überwunden werden, denn sie verhindern, dass Menschen mit Behinderungen als Teil der Gesellschaft anerkannt und die Hindernisse beseitigt werden. Die Mitglieder der LAG selbstbestimmte Behindertenpolitik werden, so hoffe ich, in diesem Sinne eine engagierte Bewusstseinsbildung betreiben. Eine inklusive Gesellschaft ist kein Akt der Gnade, sondern
Bild: 110 Stefan / pixelio.de
Nachdem am 6. Dezember 2014 eine erste Zusammenkunft in Vorbereitung der Gründung der LAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik Sachsen getagt hat,
muss in der heutigen Zeit eine Selbstverständlichkeit sein. Inklusion beginnt in den Köpfen. Wenn dies klar ist, brauchen wir uns über barrierefreie Büros der Partei sowie die Wahlkreisbüros Abgeordneten, barrierefreie Veranstaltungsräume, einfache Sprache, barrierefreies Internet und Zugang zu Führungspositionen und Mandaten auf allen Ebenen der Partei keine Gedanken mehr zu machen. Im „Konzept zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ unter dem Punkt „Inklusive Partei“: „Alle Planungen, Maßnahmen und Aktivitäten der Partei sind in jedem Bereich und auf jeder Ebene aus dem Blickwinkel von Menschen mit Behinderungen zu betrachten“. Damit haben wir unsere Forderungen an uns selbst formuliert, denen wir zuerst gerecht werden müssen, bevor wir
an andere Forderungen stellen. Dies umzusetzen und zu befördern sehe ich eine der Aufgabe der zur gründenden LAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik in Sachsen. Gleichwohl sehe ich eine weitere Aufgabe darin, mit den Genossinnen und Genossen vor Ort sowie mit unseren kommunalen Mandatsträgern alles Erdenkliche zu tun, um Inklusion dort umzusetzen, wo die Menschen leben, wohnen und arbeiten – in den Kommunen. Da gibt es noch vieles zu tun, um Menschen mit Behinderungen, ob in der Schule, im Wohnen, im öffentlichen Nahverkehr, auf der Arbeit oder in der Freizeit, ein Leben ohne Barrieren zu sichern. Ich erwarte von unsere LAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik, dass sie aktiv an
der inhaltlichen Diskussion zur Umsetzung unserer eigenen Beschlüsse wie auch der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention teilnimmt, Wege und Möglichkeiten zur Umsetzung dieser unterbreitet. Nur so werden wir glaubhaft sein und unseren eigenen Beitrag für eine inklusive Gesellschaft leisten. „Nicht ohne uns über uns“: Unter diesem Motto kämpfen die Menschen mit Behinderung und ihre Interessenverbände seit Jahren für ein selbstbestimmtes Leben in der Gesellschaft. Als LAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik ist es unsere Aufgabe, die Interessen aller Menschen mit Behinderung wahrzunehmen. Beschäftigung mit uns selbst schadet dieser Aufgabe und schadet der Behindertenbewegung. Horst Wehner
notwendig, differenziert an das Altersbild heranzugehen. Ein spannendes Thema wird sicher die Gestaltung der Altenhilfepläne in den Kreisen und kreisfreien Städten sein. Die Diskussion hat ergeben, dass das in den Kreisen sehr unterschiedlich gehandhabt wird, die Pläne unkonkret sind und schon über einen längeren Zeitraum bestehen und keiner intensiven Überarbeitung unterzogen werden. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Wir halten es für notwendig, dass in jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt Gremien der Seniorenmitwirkung bestehen“. Welch eine Erkenntnis! Schließlich ist das doch schon seit Jahren eine Forderung der LINKEN. Jetzt müssen wir sie beim Wort nehmen. Es darf nicht nur geprüft wer-
den, sondern es muss schnell umgesetzt werden. Dazu gehört auch die entsprechende finanzielle Ausstattung der Seniorenvertretungen. Vorgenommen haben wir uns, mit Unterstützung des Kommunalpolitischen Forums, im kommenden Jahr eine Schulung zur Altenhilfeplanung mit Vertretern der LINKEN in den Seniorenvertretungen der Kreise und kreisfreien Städte durchzuführen. Also viele Vorhaben, die eine interessante Seniorenarbeit erwarten lassen und in unseren Kreisen und kreisfreien Städten eine konkrete Rolle einnehmen muss. Viele Ideen und Erfahrungen sind gebraucht, und die Landes-AG wird dazu ihren Beitrag leisten. Christine Pastor
Landessenioren-AG mischt sich ein! Wir müssen uns stärker einmischen. Das ist der Grundtenor der Landessenioren-AG. Geht es doch darum, dass sich das Bild der älteren Generation immer mehr verändert und wir uns in den Kreisen stärker mit Forderungen in die Gestaltung einer ausgewogenen Seniorenpolitik einmischen müssen. Die Aufgabenstellungen für das Jahr 2015 sind sehr anspruchsvoll und vielschichtig. Es geht eben nicht nur um die über Jahre hinweg geführte Forderung der Anpassung der Ost-Renten an die Westrenten. Die Rente muss den Lebensstandard im Alter sichern und somit der Altersarmut zuvorkommen. Ein Umdenken in der Seniorenpolitik ist dringend notwendig. Veränderte Leistungsfähigkeit, eigenstän-
dige Bedürfnisse, Ansprüche, Vorstellungen und Erlebnismöglichkeiten stellen sich heute anders dar als noch vor Jahren. Unsere Seniorinnen und Senioren haben einen Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben bei gleichzeitigen Mitgestaltungsmöglichkeiten. Geplant ist für das kommende Jahr eine Landeskonferenz zum Thema „Wohnen im Alter“. Bereits die erste Vorstellung des Konzeptes hat gezeigt, wie umfangreich es ist: Wohnen ist fester Bestandteil der Daseinsvorsorge. Der Mensch steht im Mittelpunkt und hier im Besonderen unsere ältere Generation. Das bedeutet unter anderem, Fragen aufzuwerfen: Welche Infrastruktur steht ihnen im Wohnumfeld zur Verfügung?
Wie sieht es in den Kommunen mit der Versorgung mit altersgerechtem, barrierefreiem Wohnraum aus? Wann sollte ein Umzug in betreutes Wohnen oder in ein Altersheim erfolgen? Wie steht es um den öffentlichen Nahverkehr? Welche soziokulturellen Möglichkeiten bestehen? Und das alles betrachtet aus Sicht des städtischen und ländlichen Raumes. Um alle diese Themen zu beraten, werden wir uns im Vorfeld und zur Konferenz Partner einladen. Gute Ideen und Erfahrungen aus den Kreisen nehmen wir gern entgegen. Ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt wird das Thema „Altersbilder“ sein. Hier geht es uns um den Paradigmenwechsel in der Betrachtung des Alters. Es ist
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Jugend
Das Rechte auf der Avenida Seit dem 20. Oktober 2014 marschieren zahlreiche Menschen unter dem Namen „PEGIDA“ montags durch die Innenstadt Dresdens. Schlichen anfangs noch 350 schwarze undefinierbare Gestalten gen Frauenkirche, so stolzierten zwischenzeitlich bis zu 35.000 Köpfe, arrogant Deutschlandflaggen schwenkend, durch die Stadt. Zuweilen postulieren sie in Sprechchören „Wir sind das Volk“ und schwenken große Transparente mit differenten Aufschriften von „Heimatschutz statt Islamisierung“, „BRD=Diktatur“ bis hin zu „Lügenpresse“. Auf den ersten PEGIDA-Kundgebungen verkündete ein Spruchband „Gewaltfrei und vereint gegen Glaubens- und Stellvertreterkriege auf deutschem Boden“. Später konkretisierten sich die Forderungen gen Antizuwanderung. Es wurde unter anderem eine konsequente Abschiebungspolitik, Null-Toleranz
gegenüber straffälligen Asylbewerber_Innen und Migrant_Innen oder auch eine verstärkte Kontrolle der Zuwanderung verlangt. Alles, um das „christlichjüdische“ Abendland vor einem angeblichen Identitätsverlust zu wahren. Am 10. Dezember wurde seitens der PEGIDA-Organisation ein Positionspapier veröffentlicht. So wurde mit den ersten Worten „die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und politisch oder religiös Verfolgten“ zwar als Menschenpflicht deklariert, weiter wurde jedoch „die Ausschöpfung und Umsetzung der vorhandenen Gesetze zum Thema Asyl und Abschiebung“ befürwortet. Ein ums andere Mal wurde gleichwohl das Verlangen nach „Erhaltung und […] Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur“ betont. Die Kernforderung nach einer Zuwanderungsbeschränkung blieb, allerdings vervielfältigte sich das Spektrum der Inhalte. Themen sind gegenwär-
tig auch die „Brüssel-Diktatur“, „Gender-Mainstreaming“ und vieles mehr. Bis zuletzt war Lutz Bachmann einer der führenden Köpfe des Organisationstrupps. Um ihn selbst wurde schon zwischenzeitlich viel Wirbel gemacht, da er unter anderem wegen Körperverletzung, Einbruch, Diebstahl und Drogenbesitzes mehrfach strafrechtlich in Erscheinung trat. Am 21. Januar trat er jedoch zurück, da die Staatsanwaltschaft Dresden Ermittlungen wegen Volksverhetzung gegen ihn aufnahm. Im Voraus wurden rassistische Postings von ihm bei Facebook bekannt. Der Vorstand von PEGIDA distanzierte sich daraufhin von Bachmann. Eine Abgrenzung gegenüber Rechts kann dies jedoch nicht darstellen wollen. So hat beispielsweise der zum Kreis des PEGIDA-Vorstands gehörende Siegfried Däbritz (ehemals FDPStadtratskandidat Meißen) die HoGeSa-Demonstration in Köln
Seite 10 besucht und pflegt auch weiterhin Kontakte in jene Kreise. Ein weiteres ehemaliges Vorstandsmitglied namens Thomas Tallacker musste aufgrund von rassistischen Bemerkungen gegenüber Muslimen als CDUStadtrat in Meißen zurücktreten. Dahingehend wird es einen wohl kaum wundern, wenn bei diesen Abendspaziergängen Anhänger_Innen der NPD, AfD, der Identitären Bewegung wie auch Personen aus der Hooliganszene mitlaufen. Zugleich gibt es auch einen Teil des PEGIDAZuges, der schlicht nicht einverstanden mit der derzeitigen Politik und den Medien ist. So hören die Beobachter_Innen auch Parolen wie „Merkel muss weg“ oder „Volksverräter“. Um der dennoch vorherrschenden Fremdenfeindlichkeit dieses Schauspiels was entgegenzusetzen, versammelten sich viele Menschen auf zeitgleich veranstalteten Gegendemonstrationen. Auch in anderen Städten entwickelten sich sogenannte PEGIDA-Ableger: LEGIDA, KÖGIDA, HAGIDA und wie sie alle heißen. Den größten Zulauf er-
Kobanê ist frei Vor wenigen Tagen gelang es den kurdischen Selbstverteidigungskräften der YPG gemeinsam mit Einheiten der Pschmerga-Miliz, die Milizen der IS komplett aus Kobanê zu vertreiben. Bis dahin war es jedoch ein langer Weg, der nicht immer hoffen ließ, dass die emanzipatorischen Ansätze der Kurden in Rojava und Kobanê sich durchsetzen würden. Bereits über ein Jahr lang hatten die Milizen des IS versucht, Kobane zu erobern, wurden jedoch immer wieder zurückgeschlagen. Erst nachdem ihnen Waffen und Technik der irakischen Armee in die Hände gefallen waren, konnten sie in einer großangelegten Offensive im September 2014 mehr als 60 kurdische Dörfer rund um Kobanê erobern. Mehrere tausend Flüchtlinge, die in Kobanê Unterkunft gefunden hatten, versuchten deshalb über die türkische Grenze zu fliehen, wurden jedoch behindert, und erst nach großen Protesten wurde die Grenze für sie geöffnet. Mitte September kamen die radikal-fundamentalistischen ISMilizen so nah an Kobanê, dass sie die Stadt, außer von Norden her, umschlossen hatten. Viele der verbliebenen Zivilisten nutzten die letzten Möglichkeiten, um sich über die türkische Grenze in Sicherheit zu bringen. Zurück blieben nur jene, die die Stadt verteidigen wollten. Die PKK forderte daraufhin die Kurden der Türkei auf, sich am Widerstand in Kobanê zu beteiligen, dies wurde aber durch das Ausreiseverbot der Türkei boykottiert. Ende September und Anfang Oktober sah die Situation für die Kurden extrem schlecht aus. Im-
mer wieder mussten sie Rückschläge hinnehmen. Kaum neue Truppen kamen nach Kobanê, und der IS eroberte einen strategisch wichtigen Hügel, von dem aus die Stadt unter Raketen- und Mörserbeschuss genommen wurde. Auch die Luftangriffe, die von der um die USA herum gebildeten Allianz geführt wurden, konnten die nun folgende Großoffensive nicht aufhalten. Innerhalb weniger Tage gelang es den Truppen des IS, mehrere Stadtteile von Kobanê einzunehmen. Mit den Luftangriffen auf das Stadtgebiet wurde es den kurdischen Kämpfer_innen ermöglicht, sich neu zu formieren. Als dann noch aus dem Irak Unterstützung in Form von Pschmerga-Milizen mit schweren Waffen kam, konnten einige Straßenzüge zurückerobert werden. Langsam geriet auch der Nachschub der IS in Gefahr, so dass die Offensive der IS ins Wanken geriet und der Frontverlauf in Kobanê sich verhärtete. Ende Dezember gelangen dann die ersten großen Erfolge. Den Truppen der YPG gelang es, im Häuserkampf einen großen Teil der von IS-Milizen besetzten Stadtgebiete zurückzuerobern. Viele harte Gefechte sollten vor wenigen Tagen dafür sorgen, dass das gesamte Stadtgebiet wieder unter Kontrolle genommen wurde. Kobanê ist jedoch noch lange nicht gesichert. Viele Gebiete der Stadt sind von den IS-Milizen vermint und müssen vorsichtig geräumt werden. Auch ist das Projekt Rojava noch nicht außer Gefahr und sollte weiterhin aufmerksam beobachtet werden. Mathias Fröck
Bild: Ute Brückner
leben dennoch die Proteste in Dresden wie auch in Leipzig. So kam es dort am 21. Januar zu größeren Ausschreitungen, bei denen Demonstrant_Innen auf Journalist_Innen und Gegendemonstrant_Innen losgingen. Ob PEGIDA jedoch ausschließlich ein ostdeutsches Phänomen ist, bleibt vermutlich noch zu beobachten. Mona Sabha
Termine 13.02., 18 Uhr: Klatsch-Café im Kosmotique Dresden. Mehr Infos: http://gleft.de/MP 27.02., 18 Uhr: Klatsch-Café im Kosmotique Dresden. Mehr Infos: http://gleft.de/MP 12.12.2014 – 28.02.2015, Leipzig: Ausstellung „Ich habe den Krieg verhindern wollen. Georg Elser und das Attentat vom 8. November 1939“, http://gleft.de/MQ 22.01.2015 – 27.02.2015, Leipzig: Ausstellung „Kunst und Willkommenskultur zwischen Exil und Verantwortung“, http:// gleft.de/MR 13.02.: Dresden Nazifrei – bleibt informiert! http://gleft. de/MU 15.02., 12 Uhr: Sitzung des Beauftragtenrates in der Wahlfabrik in Dresden 05.03.: Chemnitz Nazifrei – bleibt informiert! http://gleft. de/MV
Ein neuer Anfang im Kreis Zwickau ist geschafft Endlich: In Hohenstein-Ernstthal hat sich am 03.01.2015 ein neuer Verband der jungen Linken gegründet. Unter dem Namen „linksjugend [´solid] Kreis Zwickau“ wollen wir, das sind eine Gruppe junger Menschen aus ca. 40 Mitgliedern, in Zukunft mehr Veranstaltungen besser organisiert und effizient durchführen. Zum Vorstand der neuen Gruppierung wurden mit Marlies Schneider (19 Jahre aus Glauchau), Rene Hahn (33 Jahre aus Zwickau) und Susann Mehlhorn (20 Jahre aus Hohenstein-E.) auch Vertreter der einzelnen Städte gewählt. Den Vorstand ergänzen Schatzmeister Norman Hinke (29), ebenfalls aus Glauchau, und der Jugendpolitische Sprecher des Kreisverbandes, Stefan Roßberg (28) aus Zwickau. Durch
die bessere Vernetzung sollen zukünftige Aktionen mehr Menschen erreichen und einen größeren Wirkungskreis erzielen. Um auch für Sympathisanten und Interessierte junge Menschen erreichbar zu sein, findet man uns – wie soll es anders sein – auch auf Facebook. Wir freuen uns über jedes „Gefällt mir“! Kontakt kann man natürlich auch per E-Mail oder Brief aufnehmen. Für Anregungen, Fragen und Ideen sind wir jederzeit gerne offen. Aus einzelnen Jugendstrukturen zusammengeschlossen, freuen wir uns nun darauf, die Zukunft aktiv mitzugestalten und die Herausforderungen unserer Gesellschaft gemeinsam zu bestreiten. Wir freuen uns auf eure politische Unterstützung. Marlies Schneider
08.03.: Frauen*kampftag, bestimmt auch in deiner Stadt. Mehr Infos: http://gleft.de/vA 14.03. – 15.03.: Awarenessworkshop -Wochenende. Schreibt uns bei Interesse: kontakt@linksjugend-sachsen.de 22.03., 12 Uhr: Sitzung des Beauftragtenrates in der Wahlfabrik in Dresden 27.03.-28.03.: Landesjugendplenum und Landesjugendtag in Chemnitz. Mehr Infos auf dieser Seite oder hier: http://gleft. de/MT 29.03.: Vernetzungstreffen für junge Kommunalpolitische Akteur_Innen in Chemnitz. Bei Fragen einfach an kontakt@linksjugend-sachsen.de schreiben oder auf http://gleft.de/MT informiert bleiben. Falls Du Deine lokalen Termine in dieser Spalte oder auf der Website der Linksjugend Sachsen sehen willst, schick uns doch einfach eine Mail an kontakt@linksjugend-sachsen.de!
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DIE LINKE im Europäischen Parlament
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Und da drüben verläuft die Frontlinie Als wir vier Abgeordneten – ein österreichischer Sozialdemokrat, eine portugiesische Sozialistin, eine niederländische Liberale und ich von der Vereinigten Linksfraktion – am 8. Januar in Erbil, der Hauptstadt von Irakisch-Kurdistan, ankamen, spürten wir sofort die Nähe der Front. Erbil selbst liegt 34 km von dieser Linie entfernt. Ein Vertreter der kurdischen Regionalregierung zeigte uns eine Karte, die die territorialen Ansprüche der ISIS-Terroristen widerspiegelt. Der gesamte islamische Raum ist damit gemeint, Großmachtansprüche, die ernst zu nehmen sind, da die Terroristen breite Unterstützung aus Saudi-Arabien, Katar und letztlich auch der Türkei, wo sie ein offizielles Büro unterhalten, genießen. Letztes Jahr hatten die ISISTruppen, im Irak DAASH genannt, die reiche Öl-Stadt Mossul erobert. Die irakische Armee war im Norden des Landes weggelaufen und hatte ihre Waffen de facto den Terrorbanden überlassen, somit zu deren Ausrüstung beigetragen. Das Versagen von Bagdad hat dazu geführt, dass die meisten, insbesondere die zahlreichen Minderheiten im Irak, die allesamt von den Terroristen bedroht und zu Tausenden hingemordet wurden, nichts mehr von der Zentralregierung erwarten. Wir selbst haben uns insbesondere um die Flüchtlinge, die sich fast ausschließlich in das irakische Kurdistan geflüchtet haben, gekümmert. Einige von ihnen sind nach Deutschland gekommen, aber die allermeisten leben in den Flüchtlingslagern im kurdischen Irak. Allein in der kleinen Region um Dohuk gibt
es 20 Zeltlager, innerhalb von 14 Tagen kamen dort 65.000 Menschen an. Kurdistan umfasst ca. 5,2 Mio. Einwohner, und binnen weniger Monate sind 1,6 Mio. Binnenflüchtlinge in die Kurdenregion geflohen. Hinzu kommen 230.000 Syrer. Die meisten Binnenflüchtlinge sind Jesiden, die aus ihren 26 Dörfern vertrie-
getötet, ebenso andere Minderheiten wie die Shabak. Insbesondere die Jesiden erleben gegenwärtig erneut einen Genozid. Sie und die anderen Minderheiten brauchen dringend internationalen Schutz, wenn sie im Irak eine Zukunft haben sollen. Wir haben die einzigartigen Heiligtümer der Jesiden, die bereits
ten brauchen unverzüglich die Hilfe der EU und der Mitgliedsstaaten, ihren Schutz, wenn sie nicht im Irak für immer ausgelöscht werden sollen. Wir haben drei große Flüchtlingslager gesehen, riesige Zeltlager, bei minus 1 Grad. Es gibt zwar Essen, aber kaum etwas zu heizen, es fehlt an Beklei-
Bild: flickr.com/DIELINKE. In Europa
ben wurden. Tausende wurden getötet, vor allem die Männer, 5.000 Frauen und Kinder gekidnappt, um sie zu verkaufen. Die Älteren, die sich schlechter verkaufen, wurden übrigens deshalb kürzlich freigelassen. Auch Christen wurden vertrieben und
in den Zeiten vor Christus in diesen Gebieten gelebt haben, und eine der ältesten christlichen Kirchen der Welt gesehen. Alle Geistlichen haben uns eindringlich um Hilfe gebeten. „Helfen Sie uns, damit wir im Irak bleiben können!“ Diese Minderhei-
dung, besonders für Kinder. Wir haben kleine Mädchen ohne Schuhe gesehen. Schulen müssen gebaut werden. Zahlreiche Menschen leben in inoffiziellen Lagern, dort herrscht Hunger, es gibt zu wenig Unterstützung. Insgesamt gibt es im Irak
5,2 Mio. Menschen, die humanitäre Hilfe brauchen. 3,6 Mio. müssen unter dem Joch der Terroristen leben. Die EU gibt 2015 gerade mal 38 Mio. für Hilfen vor Ort im gesamten Irak aus, das ist ein Tropfen auf einen heißen Stein. Ganz viele Menschen haben uns gesagt, insbesondere die Geistlichen der Minderheiten, dass sie im Irak bleiben wollen. Sie brauchen aber dringend humanitäre Unterstützung und Hilfe beim Wiederaufbau ihrer Dörfer. Insbesondere wurde darum gebeten, den Frauen und Mädchen, die von der ISIS gekidnappt wurden und sich befreien konnten, medizinische und psychologische Hilfen zu gewähren. Die Jesiden haben ein Komitee zum Rückkauf ihrer Frauen und Kinder gegründet. Viele, die sich befreien konnten oder zurückgekauft wurden, haben sich das Leben genommen, weil sie ihre furchtbaren Erlebnisse, Vergewaltigung, Schwängerung als Minderjährige, nicht verarbeiten konnten. Ein spezielles und unkompliziertes Programm ist nötig. Dringend ist eine wirksame und auf die Bedürfnisse konkret vor Ort ausgerichtete humanitäre Hilfe. Mehr Waffen lösen diese Probleme eben nicht. Heutzutage wird ziemlich viel davon geredet, den Terrorismus zu bekämpfen. Wer das wirklich will, der muss das dort tun, wo er seine Wurzeln hat. 90 % aller irakischen Terroristen sind Iraker, meist Sunniten, die mit der neuen Regierung in Bagdad, keine Versöhnung erfuhren und sich gedemütigt fühlen. Auch Aussteigerprogramme für solche Leute sind nötig. Cornelia Ernst Mehr Fotos unter www.cornelia-ernst.de
Griechenland – auch DIE LINKE muss liefern Die Demokratie in Griechenland ist erwacht. Der Wahlsieg von Syriza sowie Alexis Tsipras ist die Antwort auf die gescheiterte Euro-Politik sowie die Merkel-Krise. Unsere Aufgabe als deutsche Linke besteht darin aufzuklären, anzugreifen und in Deutschland für einen Aufschwung bei öffentlichen Investitionen, Löhnen und Renten zu sorgen. Griechenland hängt wegen der Kürzungsdiktate nun fast sieben Jahre in der Depression, die Massenarbeitslosigkeit beträgt 30 Prozent, jeder zweite Jugendliche ist ohne Job. Die Schulden sind trotz oder wegen des härtesten „Sparpakets“ eines Industrielandes in der Nachkriegsgeschichte gestiegen, statt zu sinken. Denn die Wirtschaftskraft ist seit der Krise um 25 Prozent eingebrochen. Das Gesundheitssystem
ist kaputt, Kinder sind traumatisiert und Oligarchen zahlen noch immer keine Steuern. Die Bundesregierung hat Wahlkampf für die korrupten Eliten und Oligarchen gemacht. Nun wurde das Merkel-Kartell abgewählt. Die Bundesregierung und die EU-Kommission wissen: Wenn die Linke in Griechenland Erfolg hat, droht die Ansteckung mit dem SyrizaFieber – heute Athen, morgen Madrid. Das wollen sie um jeden Preis verhindern, um weiter auf Kosten der Mehrheit kürzen zu können. So droht nun in Deutschland die neue Auflage der „Pleite-Griechen“. Merkel und Co. wollen den deutschen Steuerzahlern einreden, dass sie für das neue Griechenland bluten, weil Syriza einen Schuldenschnitt fordert. Dabei zeigen drei Finger auf das Bundeskanzleramt zurück: Die
Blockade eines frühzeitigen, aber kontrollierten Schuldenschnitts durch Merkel und Co. war Insolvenzverschleppung. Sie hat es den privaten Gläubigern – überwiegend deutsche, französische und Schweizer Banken – ermöglicht, ihre Schäfchen ins Trockne zu bringen und die Risiken auf die Rettungsschirme und somit die Steuerzahler bzw. die Europäische Zentralbank (EZB) abzuwälzen. Die EZB hat jedoch hinreichend Möglichkeiten, die Folgen eines Schuldenschnitts abzufedern, da sie frei bilanzieren kann und über Geldschöpfungsgewinne Abschreibungen auf griechische Staatsanleihen gut verkraftet. Es ist zudem die Kürzungspolitik, die über Rezession zu immer höheren Schuldenquoten führt. Die EZB will Griechenland von den niedrigen Zinsen abschnei-
den und zu weiteren Kürzungsdiktaten zwingen – etwa indem sie keine griechischen Staatsanleihen mehr akzeptiert und somit dem griechischen Bankensystem den Hahn abdreht. Dann bliebe Griechenland nämlich nur der Euro-Exit, um mit eigener Zentralbank die Wirtschaft zu beatmen. Doch dies birgt enorme Risiken, wenn die EZB bzw. andere Zentralbanken eine griechische Währung nicht stützen. Es würde zu einer massiven Abwertung kommen. Da Griechenland wegen der Zerstörung der Wirtschaft viele Lebensmittel und Rohstoffe wie Öl importiert, droht dann importierte Hyper-Inflation. DIE LINKE fordert die direkte Finanzierung öffentlicher Investitionen durch die EZB bzw. die Europäische Investitionsbank, anstatt privaten Banken einfach nur Anleihen abzukau-
fen und das Casino anzufeuern. Zweitens braucht Griechenland einen kontrollierten und selektiven Schuldenschnitt, der Rentenansprüche ausnimmt. Drittens ist eine Vermögensabgabe für Millionäre notwendig. Es kommt nun vor allem auf uns in Deutschland an, Solidarität zu schaffen. Verliert Syriza den Kampf gegen Merkel, EZB und Co., ist die Linke in Europa geschlagen. Daher gilt ab sofort: Wir sind alle Syriza. Fabio De Masi (DIE LINKE) ist Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments.
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DIE LINKE im Bundestag
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Der Mindestlohn ist da! Er muss verteidigt und ausgebaut werden Der 1. Januar 2015 war ein historisches Datum. Endlich gibt es auch in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn. Das war mehr als überfällig und ist ein großer Meilenstein. Selbst die Union kam nicht mehr darum herum, dass es für die Lohnuntergrenze eine breite gesellschaftliche Mehrheit gibt. Der Dank gebührt zu allererst den gewerkschaftlichen und anderen Vorkämpferinnen und Vorkämpfern für die Sache, mit denen zusammen DIE LINKE das Projekt angestoßen hat. Darauf können wir, können viele, stolz sein. Leider hat die Große Koalition den Mindestlohn schon vor seinem Inkrafttreten verstümmelt. Das eine ist die Höhe: 8,50 Euro in der Stunde sind zu wenig. Der Mindestlohn muss zügig auf 10 Euro erhöht werden. Das andere sind die zahlreichen Ausnahme- und Übergangsregelungen, die dafür sorgen, dass der Mindestlohn nicht für alle gilt. Darunter leiden zunächst Zeitungszustellerinnen und Zeitungszusteller und Beschäftigte in Branchen mit einen Branchentarifvertrag unter dem Mindestlohn. Für sie soll der Mindestlohn erst ab dem Jahr 2017 gelten. Langzeitarbeitslose sind die ersten sechs Monate einer Neubeschäftigung von Mindestlohn ausgeschlossen, Jugendliche ohne Berufsausbildung ganz.
Bei der Umsetzung des Mindestlohns droht nun noch schlimmeres Ungemach. Zum einen fehlt ausreichend qualifiziertes Kontrollpersonal bei der zuständigen Finanzkontrolle Schwarzarbeit. Die Deutsche Zollgewerkschaft
bringt ein Gesetz, dessen Umsetzung nicht richtig kontrolliert werden kann? Zum anderen hat die Bundesregierung mit der Verordnung zur Umsetzung des Mindestlohns die Dokumentationspflichten der Arbeitgeber
zu dokumentieren, soll nun bei sogenannten „mobilen Tätigkeiten“ nur noch die Dauer der Arbeitszeit erfasst werden. Das ist eine Einladung an die Arbeitgeber, die Arbeitszeit falsch zu erfassen und so den Mindestlohn zu umgehen.
Bild: GG-Berlin / pixelio.de
beklagt, dass schon jetzt 600 Mitarbeiter fehlen und die Lücke bis 2017 um weitere eintausend Beschäftigte wachse. Das ist unverantwortlich. Was
gelockert. Sah das Gesetz ursprünglich vor, in den mindestlohnrelevanten Branchen und Bereichen die Arbeitszeit exakt mit Anfang- und Endzeit
Wenn zum Beispiel ein Paketzusteller es nicht schafft, die Pakete in der vorgesehenen Zeit auszuliefern, kann der Arbeitgeber statt der tatsäch-
lichen, längeren Arbeitszeit nur die geplante Dauer angeben. Zu Recht sprechen die Gewerkschaften von eine Sauerei und drohen mit einer Klage. Völlig unbeantwortet lässt die Regierung auch die Frage, wie sie damit umgeht, dass Arbeitgeber bestimmte Lohnbestandteile wie das 13. Monatsgehalt oder leistungsbezogene Zuschläge kürzen und quasi auf den Mindestlohn anrechnen wollen. Dazu hört man von der Regierung nichts! Und das ist nur ein Beispiel. Zahlreiche arbeitgebernahe Rechtsanwaltskanzleien arbeiten an Umgehungsstrategien. CDU und CSU leisten hierbei ordentlich Schützenhilfe. Das alles zeigt: Diese Große Koalition wollte und will den Mindestlohn nicht wirklich. Es rächt sich, dass die SPD nicht bereit war, die im Bundestag vorhandene rot-rot-grüne Mehrheit für einen ordentlichen Mindestlohn zu nutzen. Für DIE LINKE bedeutet das, nicht nachzulassen und zusammen mit den Gewerkschaften weiter Druck zu machen für einen Mindestlohn ohne Ausnahmen, der schnell auf 10 Euro erhöht wird, und für strikte Kontrollen mit ausreichend qualifiziertem Personal. Wir wollen einen Mindestlohn, der seinen Namen verdient. Es bleibt noch viel zu tun. Sabine Zimmermann
Flüchtlingsunterbringung finanzieren, Kommunalfinanzen stabilisieren In Zeiten aufgebrachter Wutbürger-Meuten, die vorurteilsgeladen mit allzu oft rassistischen Parolen nicht nur durch die Straßen Dresdens und Leipzigs ziehen, ist es nicht leicht, sachlich über die Unterbringung, Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen und Asylsuchenden zu sprechen. Wir als LINKE stellen uns dieser Herausforderung und brachten unter meiner Federführung einen Antrag in den Deutschen Bundestag ein, der ganz gezielt nur die Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung und -versorgung in den Kommunen zum Inhalt hat. Denn es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Flüchtlinge menschenwürdig und sozial integrativ aufzunehmen. Diesbezüglich gibt es von der LINKEN ebenfalls parlamentarische Initiativen, die unter anderem auf schnelle Integration und Vorrang der Wohnungsun-
terbringung, auf bundesweit verpflichtende Mindeststandards bei der Unterbringung, faire Asylprüfungen und eine Stärkung der Aufnahmebereitschaft abzielen. Daneben wollten wir ganz deutlich aufzeigen, dass das Geld dafür nicht einfach vom Himmel fällt. Es reicht nicht aus, wenn man – wie Vizekanzler Gabriel – vollmundig verspricht, dass der Bund die Kosten für Flüchtlingsunterkünfte übernehmen sollte. Es muss schon gesagt werden, woher das Geld konkret kommt. Doch in diesem Punkt von Regierungsseite: Schweigen im Walde. Es gibt gewiss verschiedene Möglichkeiten der Finanzierung. Wir haben uns in unserem Antrag „Bundesverantwortung wahrnehmen – Kommunen bei Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern sofort helfen
und Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Leistungsberechtigte schrittweise übernehmen“ ( B u n d e s t a g s - D r u cks a ch e 18/3573) bewusst dafür entschieden, den Kommunen nicht nur einen kurz andauernden Geldregen zukommen zu lassen, bei dem ruckzuck der Regenmacher wieder seine Tänze aufführen muss. Nein, wir wollen schnelle, gute, gezielte Hilfen für die Kommunen bei der Flüchtlingsunterbringung und gleichzeitig ein nachhaltiges, stabiles Fundament für kommunale Finanzen. Nur so muss man nicht ständig nachsteuern und gibt den Kommunen mehr als einen Regentropfen auf dem heißen Stein. Wie setzt man diese Doppelstrategie um? DIE LINKE fordert die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Denn: Asylbewerberinnen und Asylbewerber dürfen nicht
länger Menschen zweiter oder gar dritter Klasse sein. Solange dieses Gesetz jedoch noch nicht abgeschafft ist, muss der Bund den Ländern die Ausgaben für die Leistungen an Asylsuchende zu 100 Prozent erstatten. Des Weiteren muss der Bund auch bei den Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung, kurz KdU, Verantwortung übernehmen. Wir fordern hier einen Stufenplan für die Kostenübernahme. So sollen die Kommunen zunächst um 50 Prozent, ab dem Jahr 2017 um 75 Prozent und ab dem Jahr 2019 um 100 Prozent entlastet werden. Denn die KdU sind in den Kommunen ein enormer Ausgabeposten. Diesen muss man verringern und gleichzeitig die Einnahmeseite stärken, z.B. durch die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer. Die Aufnahme von Flüchtlin-
gen und Asylsuchenden sowie die Sicherstellung einer Unterkunft sind von gesamtpolitischen Faktoren abhängig, welche die einzelne Kommune de facto nicht beeinflussen kann. Die finanzielle Verantwortung für die damit einhergehenden gesamtgesellschaftlichen Aufgaben muss demzufolge beim Bund liegen. Dies alles würde in Zeiten von Pegida und AfD nicht nur dauerhaft die Kommunen stärken, sondern auch ein gemeinsames Zeichen für Demokratie und Menschenwürde setzen. Dieses Zeichen brauchen wir im Moment dringender denn je. Susanna Karawanskij
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Gefährlicher Unsinn Am 13. November, ein Vierteljahr nach den Landtagswahlen, gab Stanislaw Tillich eine Regierungserklärung ab. Kurz zuvor hatten sich CDU und SPD auf eine erneute Regierungsbildung geeinigt. Beide Parteien waren schon in den Jahren 2004 bis 2009 eine Koalition eigegangen. Tillich titelt: „Sachsen ist unser Auftrag: mit Kontinuität und Dynamik im Herzen Europas“. Gleich zu Beginn betont er die Legitimationsbasis seiner Politik. Sie verdanke sich der friedlichen Revolution und freien Wahlen: „»Wir sind das Volk« – das war die Losung der Friedlichen Revolution vor 25 Jahren. Heute sind wir hier, weil uns das Volk in freier und geheimer Wahl seine Stimme und sein Vertrauen gegeben hat.“ Dass die sächsische Landespolitik, anders als sie glauben machen will, nur noch eine mangelnde Legitimation in der Bevölkerung aufweist, dafür war die geringe Wahlbeteiligung ein erstes Indiz. Der Einzug der AfD in den Landtag ist ein weiteres Zeichen für das bröckelnde Vertrauen der Bevölkerung in die christdemokratisch dominierte Landespolitik. Mit rund zehn Prozent der Stimmen hatte die AfD, die als ein Rechtsableger der CDU gelten kann, überraschend gut abgeschnitten. Und nun, kaum dass sie die Regierungsgeschäfte aufgenommen haben, erhalten CDU und SPD auch noch massiven außerparlamentarischen Druck. Eine halbe Woche nach der Regierungserklärung versammelten sich erstmals tausende Menschen in der Landeshauptstadt, um ihrerseits den Geist der friedlichen Revolution für sich zu reklamieren. Sie lassen die Montagsdemonstrationen aus der Endzeit der DDR und den Ruf:
„Wir sind das Volk!“ wieder aufleben. Im Unterschied zu einer geringen Wahlbeteiligung, die nur am Wahlabend für Aufregung sorgt, um danach schnell wieder in Vergessenheit zu geraten, kann die politische Klasse die öffentlich demonstrierte Unzufriedenheit mit der Landespolitik allerdings nicht ignorieren. Auch die Aufregung über die AfD legt sich rasch wieder.
einmal als Kleinbürger bezeichnet worden sind. Es sind die vermeintlich Erniedrigten und Beleidigten, die ihren Protest auf die Straße tragen und nicht, wie sonst üblich, an den Stammtischen ausleben. Im „Herzen Europas“, um eine Formulierung des sächsischen Ministerpräsident aufzugreifen, scheint sich eine außerparlamentarische Bewegung zu formieren, die sich
dungs- und Erziehungsauftrag der Schule wurde ein expliziter Religionsbezug aufgenommen. Fortan erfüllt sie ihren Bildungsund Erziehungsauftrag „insbesondere“ dann, wenn sie an „die christliche Tradition im europäischen Kulturkreis“ anknüpft. 2008 wählte der Landtag mit der Mehrheit von CDU und SPD den Unionspolitiker Stanislaw Tillich zum Ministerpräsidenten, der zu seinen politischen Vorhaben ausdrücklich die Reaktivierung der wertkonservativen Trias von Heimat, Familie und Glauben zählte. Der sorbische Katholik Bild: X-Weinzar / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0
Ihre Einbindung in den parlamentarischen Betrieb, so die Annahme, werde sie alsbald politisch neutralisieren. In den in Dresden stattfindenden Protesten jedoch wird die politische Repräsentations- und Vertrauenskrise manifest. Davon, dass die Demonstrierenden der politischen Klasse die Gefolgschaft aufkündigen, nimmt die ganze Welt Notiz. Auf den tausendfach vorgetragenen öffentlichen Protest muss die Landespolitik reagieren. Nur wie sie das anstellen soll, scheint ihr ein Rätsel zu sein. Der Protest, das haben empirische Untersuchungen ergeben, kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Aus ihr rekrutieren CDU und SPD aber ihre Wählerschaft. Es sind diejenigen, die früher
den abenteuerlichen Namen „Pegida“, gegeben hat. Inhaltlich bleibt der Protest der „patriotischen Europäer“ vage und diffus, doch sind es völkische Ziele, die verfolgt werden. Eine solche Bewegung stellt ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik dar. Den geistigen Nährboden dafür, dass die politische Repräsentationskrise im Modus eines Kulturkampfes, unter dem Deckmantel der Religion, ausgetragen wird, haben die sächsischen Christdemokraten selbst bereitet. Sie betreiben seit Jahren eine Leitkulturdebatte, die den Glaubenskämpfern für das christliche Abendland in die Hände spielt. Einige Beispiele: 2004 änderte die damals allein regierende CDU das Schulgesetz. In den Bil-
erschien den strategischen Köpfen in der CDU zur Durchsetzung einer wertkonservativen Politik in Sachsen besonders geeignet. Eine Audienz bei Papst Benedikt XVI. 2012 unterstrich das. Der wertkonservativen Gesinnung fühlt sich auch die AfD verpflichtet. In der Präambel des Wahlprogramms bekräftigt die Partei, dass ihr politisches Handeln von einem „Wertesystem“ bestimmt sei, das „sich aus den Werten des christlichen Abendlandes“ speist. Einer „offen betriebene(n) Herabsetzung und Verhöhnung der Familie“, laut AfD der „natürlichsten aller Gemeinschaften“, werde sich die Partei widersetzen. Politisch korrekter als die beiden konservativen Parteien formulieren die „patriotischen Europä-
er“, was die deutsche Leitkultur bestimmt. In einem Positionspapier heißt es, Pegida kämpfe „für die Erhaltung und den Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur“. Selbst um den Islam lässt sich das Spektrum der Religionen, die das Abendland prägen, erweitern. Angesichts der aktuellen politischen Vorgänge in Sachsen flammt die Debatte über die Leitkultur und ihre religiöse Prägung unter den Politikern wieder auf. Der Historiker Gerhard Besier hält ein solches Gerede für einen „gefährlichen Unsinn“. Es diene allzu oft nur als „eine Waffe im Tageskampf politischkultureller Auseinandersetzungen“. Mit dem „Gerede über eine irgendwie religiös geprägte Leitkultur“, so Besier, gefährden Politiker „die Rechtsgleichheit der Bürger, denn sie machen diese abhängig von ihrer kulturellen Zugehörigkeit“. Wenn ethnische bzw. religiöse Differenzen zum maßgeblichen Kriterium für die Zugehörigkeit zu einem politischen Gemeinwesen erklärt werden, dann wandelt sich das Selbstverständnis der Bürgerschaft eines Landes. Aus rechtlich und politisch gleichen Staatsbürgern, die öffentlich räsonieren und sich dabei den in der Verfassung verankerten Menschen- und Bürgerrechten verpflichtet wissen, werden Volksgenossen, die sich zuallererst einer Kultur zugehörig fühlen. Sie sorgen sich mehr um ihre kulturelle Homogenität und Identität als um die republikanische Gleichheit. Wegen seiner kulturkämpferischen Untertöne klingt der Ruf der „patriotischen Europäer“ „Wir sind das Volk!“ eher wie: „Wir sind ein Volk!“ – auch das ein Erbe der friedlichen Revolution. Zur res publica, der öffentlichen Sache, sollen jedoch alle den gleichen Zugang haben, egal welcher kulturellen Herkunft sie sind. Jochen Mattern
Konzert im Advent – kein Advents-Konzert Als „provinzialer“ Nicht-Chemnitzer aus einer Kleinstadt nebenan interessiere ich mich dennoch sehr für kulturelle Veranstaltungen in Chemnitz. Ich hatte vor, am 2. Advent zu einem Advents-Bläserkonzert in die St. Petri-Kirche in Chemnitz zu gehen. Da erfuhr ich zufällig und sehr kurzfristig durch eine Freundin von dem Konzert „Tausend Stücke“, das Frank Viehweg und zwei Musiker der Formation „Quijote“ (Sabine Kühnrich, Ludwig Streng) im Chemnitzer „Quer Beet“ geben würden. Von diesem Konzert hatte ich nichts erfahren. Da ich „Quijote“ aber kannte, entschied ich mich dafür. Um es vorwegzunehmen: Es war eine sehr gute Entscheidung. Die drei Musiker stellten ihre
neue CD mit gleichem Titel vor. Es sind Lieder von 19 Autoren aus 19 Ländern, aus Lateinamerika, Kuba, Kanada, Russland, Ost-, West- und Nordeuropa. Frank Viehweg brachte sie von seinen Reisen mit und nahm die deutschen Nachdichtungen der Texte vor. Leicht und warm gleiten die Melodien. Die Texte kommen meist nicht vordergründig politisch daher, bleiben dennoch nicht nur im Privaten noch bei platten Lebensweisheiten. Zwar heißt das Lied des Kubaners Silvio Rodriguez „Weihnachtslied“, doch ist es eben keines. Ihm ist Weihnachten nur der Anlass, über soziale Unterschiede zu reflektieren. Man könnte manches für sentimental halten, doch gefehlt. Die Texte beinhalten teilweise eine
sehr spezielle Metaphorik, die sicher bei Zuhörern ganz verschiedene Assoziationen hervorruft. Dann wieder haben sie sehr direkte unmissverständliche Aussagen. In dieser Spannung liegt vielleicht das Geheimnis ihrer Wirkung. Man ist nicht fertig mit einem einmaligen Hören. Die Texte offenbaren Tiefen menschlicher Seele und Sehnsüchte. Alltag wird thematisiert, Gemeinschaftlichkeit, Nöte des Individuums. Aus Verzweiflung und depressivem Rückzug wird im Lied des Niederländers Johan Meijer wieder Aufbruch: „Im Innern scheint das Licht ... Geh mit den Andern geh ...“. Oder das Lied der Dänin Anne Linnet, das dem Konzert und der CD den Titel „Tausend Stücke“ gab, worin sie Unred-
lichkeit, Lüge und Einsamkeit thematisiert: „Wenn die Freunde dich verlassen und die Liebe dich verrät ...“, und doch Mut und Hoffnung nicht sinken lässt: „Doch wenn du sagst, du bist mein Freund, bestimmt wird es so sein“. Es wird auch klar politisch Position bezogen, etwa mit dem Lied des Mexikaners Alejandro Filio „Ein Preis“, worin er die Kapitalisierung grundlegender Lebensbedingungen thematisiert. Und immer kehrt das Motiv der Angewiesenheit auf den Nächsten sowohl im privaten wie im gesellschaftlichen Zusammenhang wieder, wie im Lied „Wie ein Zug“ des Argentiniers Leon Gieco: „Ich habe ein Lied, das beginnt in mir und findet in dir seinen Ton ... ich trag deine Hoffnung in meiner Hand
und all deine Wunden im Lied ...“. Und wir wissen wieder einmal mehr, dass gesellschaftliche wie menschliche Leiden über Kontinente hinweg sehr verwandt bleiben. Eine sehr gute Lieder-Sammlung, tiefsinnige Texte, aus denen viel – auch leidvolle – Lebenserfahrung spricht, ohne Selbstmitleid, mit bleibender Hoffnung. Und mit der (geplanten) Zugabe, die auch auf der CD enthalten ist, verabschiedeten sich die Musiker mit der Zuversicht des Russen Andrej Makarewitsch: „Ich werde immer noch einmal beginnen, solang das Licht nicht stirbt, solang die Kerze brennt“. Kein Advents-Konzert und doch sehr besinnlich, wie es dieser Zeit angemessen ist, aber auch politisch stärkend. Ralf Becker
Geschichte
Links! 01-02/2015
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Zum Geschichtsbild des ukrainischen Ministerpräsidenten Medienpublikum davon zu überzeugen, dass in Kiew jetzt Demokraten und nicht etwa Faschisten an die Macht gekommen sind. Es handelt sich also um die Einlassungen eines „Demokraten“. Noch einmal zum besseren Verständnis: Die Sowjetunion ist also in die Ukraine eingefallen
Armeen der Antihitlerkoalition auch. Dieser Teil der Kritik muss also nach aller Logik auch u. a. die USA in gleichem Maße treffen. Leider sind derartige Sentenzen nach Kenntnis und Erfahrung des Autors nicht etwa eine Entgleisung einer einzelnen Person, sondern allgemeingültige Auf-
(ob „Invasion“ oder „Okkupation“, wie man später „richtiggestellt“ hat, dürfte aus unserer Sicht relativ unerheblich sein), die ja ein wesentlicher, ein konstituierender Teil der Sowjetunion von Anfang an war. Die UdSSR hat also einen Teil von sich selbst okkupiert. Und sie hat sich weiterhin angemaßt, den Aggressor auf dessen Territorium endgültig zu zerschlagen – so wie übrigens die anderen
fassungen des größeren Teils der derzeitigen ukrainischen politischen Elite darstellen, auch wenn andere Vertreter es womöglich gegenüber ausländischen Journalisten doch etwas diplomatische formulieren würden. Pikanterweise würde die Geburtsregion von Jazenjuk, Tschernowzy, ohne die „sowjetische Invasion“ aktuell gar nicht zu diesem neuen Land ge-
Bereits wenige Tage nach Bekanntwerden der Offenbarungen von Arsenij Jazenjuk zu seinem Verständnis der Rolle der Sowjetarmee im Zweiten Weltkrieg (sie hat die Ukraine und Deutschland okkupiert) wird er nun von anderen „Geschichtsexperten“, aber Parteigängern der ukrainischen Nationalisten widerlegt: Der polnische Außenminister Schetyna hat anlässlich des Jah-
restages der Befreiung des KZ Auschwitz herausgefunden, dass dieses Vernichtungslager von Ukrainern befreit worden sei (durch die 1. Ukrainische Front). Im gleichen Tenor hat der US-amerikanische Botschafter in Serbien ermittelt, dass auch Belgrad durch die Ukraine befreit wurde (4. Ukrainische Front). Kurz zur Klarstellung für jene, die sich nicht so intensiv mit der Militärgeschichte beschäftigt haben: Die Verbände der Roten Armee waren in der Regel nicht nach dem Nationalitätenprinzip zusammengestellt, Fronten in gar keinem Falle. Ihre Bezeichnung richtete sich regelmäßig nach Einsatzgebieten bzw. Operationsrichtungen (sonst hätten in der „Donfront“ womöglich nur Donkosaken und in der „Wolchowfront“ Bewohner der Umgebung des Wolchowsees dienen müssen). Man fragt sich natürlich schon, warum sich führende Staatsmänner und Diplomaten, wenn sie schon selbst nicht so sehr im Bilde sind, sich nicht wenigstens fachkundigen Rat holen. Der polnische Außenminister hätte zum Beispiel einen der zahlreichen polnischen Offiziere fragen können, die sowjetische Militärakademien besucht hatten. Die Antwort auf diese Frage ist offensichtlich ebenso simpel wie bedrückend: Ideologische Versatzstücke werden bedenkenlos als Ausgangspunkt für Deutungen geschichtlicher Ereignisse herangezogen. Dies mag für Stammtischdiskussionen vielleicht angehen, aber bei Geschichtsklitterungen dieser Dimension durch führendes politisches Personal demokratischer Nachbarstaaten müsste sich nicht nur aus Russland entschiedener öffentlicher Widerspruch regen! Dr. Reinhold Gläß
Es dürfte jedem Menschen heute klar sein, dass nach einem verlorenen Krieg die Sieger festlegen, wie es weitergehen soll. Deshalb wurde in allen vier Besatzungszonen mit Befehlen „regiert“ – und die, die sie im zivilen deutschen Lebensalltag umsetzen mussten, hatten einen geringen Spielraum. Dass das Leben in der Nachkriegszeit ganz anderen Spielregeln unterlag, dass das Potsdamer Abkommen der Alliierten die Weichen stellte und umgesetzt werden sollte – und dass nicht eigenwillige Maßnahmen von Aktivisten der ersten Stunde ausschlaggebend waren –, scheinen die Macher der Ausstellung ganz vergessen zu haben.
Nach meiner Auffassung ist die Ausstellung weder wissenschaftlich, noch ist sie wertvoll oder seriös. Ihr Hauptanliegen richtet sich gegen die Akteure des Neubeginns nach dem Sturz der Nazidiktatur. In der Ausstellung wird auch nicht davor zurückgeschreckt, zwischen die Akteuren der Umgestaltung und den Sorben einen Keil zu treiben. Deshalb werden wir als Autorenkreis „Lausitzer Almanach“ e.V. erst recht alles tun, um unsere Sonderausgabe III „Vom schweren Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg“ zur Würdigung der Menschen und der Verantwortungsträger in der damaligen entbehrungsreichen Zeit auf den Weg zu bringen.
Dabei werden wir sicher nicht die Menschen abstempeln oder beleidigen, wie das in der Ausstellung gemacht wurde. Wir werden eher aufzeigen, wie die Menschen daran gingen, den Karren aus dem hinterlassenen nazistischen Dreck zu ziehen, die Trümmer wegzuräumen sowie das Leben wieder erträglich und mit antinazistischer Ausrichtung in Gang zu bringen! Denn es sollte ein Geschichtsbild gepflegt werden, das die Leistungen der Menschen und der sie führenden Akteure würdigt, sie in den historischen Prozess einordnet sowie durch kritische Anmerkungen zu schwerwiegenden Fehlern hinterfragt. Dr. Dieter Rostowski
Bild: Ybilyk / Wikimeida Commons / CC BY-SA 3.0
Am 7. Januar 2015 hat der ukrainische Premier Arsenij Jazenjuk den „Tagesthemen“ der ARD folgenden interessanten Einblick in sein Verständnis geschichtlicher Zusammenhänge gewährt – Zitat: „Wir können uns alle sehr gut an die sowjetische Invasion sowohl in die Ukraine als auch in Deutschland erinnern“. „Spiegel Online“ hat diese Sentenz am 8. Januar wie folgt glossiert: „,Wir können uns‘, so Jazenjuk zu Moderatorin Pinar Atalay, ,alle sehr gut an den sowjetischen Einmarsch in die Ukraine und nach Deutschland erinnern.‘ Und in der Tat, waren doch ab 1942 sowjetische Truppen gnadenlos nach Westen vorgerückt. Sie schreckten damals nicht davor zurück, den Armeen des demokratisch gewählten Reichskanzlers A. Hitler auch durch ukrainisches Gebiet zu folgen. Die etwas längere Route südlich des Schwarzen Meeres – unter Umgehung der Ukraine - war ihnen offenbar zu beschwerlich. Schließlich verletzten die Sowjets die deutschen Ostgrenzen und drangen auf deutsches Hoheitsgebiet vor, wie wir uns mit Herrn Jazenjuk alle sehr gut erinnern. Ob das auch auf Frau Atalay zutrifft, wissen wir nicht. Jedenfalls warf der kleine Exkurs in die russische Aggressionsgeschichte bei ihr keinerlei Fragen auf.“ Dem wäre eigentlich kaum etwas hinzuzufügen, würden wir uns als Linke nicht fragen müssen, wie ein doch immerhin irgendwie gebildeter Mensch (zwei Hochschuldiplome), der zumindest einen Teil seiner Schulzeit noch in der Sowjetunion verbracht hat, zu einer solchen Interpretation der Befreiungsmission der Roten Armee kommen kann. Dies umso mehr, als in letzter Zeit penetrant oft versucht wurde, das deutsche
hören! Herr Jazenjuk wäre also heute mit großer Wahrscheinlichkeit gar kein ukrainischer Staatsbürger. Darüber hinaus wird ganz systematisch versucht, dem (westlichen) Partner nach dem Munde zu reden und diejenigen Auffassungen zu bedienen bzw. zu bestätigen, die jener nach dem Verständnis der ukrainischen Protagonisten haben müsste. Dazu gehört eben auch (nicht erschrecken, aber der Autor war bereits in früheren Jahren wiederholt persönlich mit dieser Grundannahme konfrontiert), dass die Deutschen – anderslautende offizielle Verlautbarungen hin oder her – im tiefsten Inneren natürlich nach wie vor Hitler und dem Faschismus anhängen müssten. Der Korrektheit halber sei ausdrücklich darauf verwiesen, dass hier vom Geschichtsbild der aktuellen ukrainischen politischen Eliten die Rede war. Ein sehr großer Teil des ukrainischen Volkes (wahrscheinlich der größere) ist sehr geschichtsinteressiert (nach den Erfahrungen des Autors sehr viel mehr als z. B. in Deutschland) und vertritt gerade in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg Positionen, die den geschichtlichen Realitäten weitestgehend entsprechen. Nachtrag
„Sag mir, wo du stehst ...“ Das waren meine Gedanken, als ich im Kamenzer Malzhaus (Stadtmuseum im Museum der Westlausitz Kamenz) die Ausstellung zum Wirken der beiden Frauen Eva Büttner (nach dem Krieg Kulturreferentin beim Landratsamt Kamenz) und Dr. Gertrud Bobeck (nach dem Krieg Schulrätin beim Landratsamt Bautzen) in der Nachkriegszeit gesehen hatte. Die Ausstellung „Junkerland in Bauernhand“ zum Wirken von Eva Bütter und Dr. Gertrud Bobeck in der „Kulturrevolution“ zwischen 1945 und 1952 ist auf die Bloßstellung der KPD/SED und der sowjetischen Besatzungsmacht am Beispiel dieser zwei Akteure gerichtet. Damit soll nach 25 Jahren „friedliche
Revolution“ die Nachkriegszeit im Osten Deutschlands ins Visier genommen werden, um die antifaschistisch-demokratische Etappe bis 1949 und die junge DDR als „Unrechtsstaat“ in die Ecke zu stellen. Ich weiß, dass beide Frauen als KPD/SED-Mitglieder zu den Aktivisten der ersten Stunde des Neubeginns gehörten. Unerschrocken nahmen sie es auf sich, in entbehrungsreicher Zeit Verantwortung zu tragen. Beiden war eigen und ihnen auch bewusst, dass dieses soeben zugrunde gegangene Naziregime, das sehr viele, Abermillionen Anhänger und Protagonisten hatte, unbarmherzig zur Verantwortung gezogen werden musste.
Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Termine Chemnitz, 9. Februar, Montag, 18.00 Uhr Workshop: Einführung in das Versammlungsrecht*** Mit Tim Detzner, Chemnitz. Eine gemeinsame Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen und des Rothaus e.V. Rothaus, Lohstraße 2, 09111 Chemnitz Was fällt eigentlich unter das Versammlungsrecht? Was muss ich als DemonstrationsteilnehmerIn oder AnmelderIn einer Versammlung beachten? Den Hintergrund bilden das Versammlungsgesetz, das sächsische Polizeigesetz, Fachliteratur und Rechtsprechung aber auch politische Erfahrungen sowie Auseinandersetzungen mit Demonstrationen. Chemnitz, 10. Februar, Dienstag, 19.30 Uhr Lesung Mit aller Stimmkraft … - eine Wladimir-Majakowski-Lesung*** Mit Mike Melzer, Chemnitz. Eine Veranstaltung der RosaLuxemburg-Stiftung in Kooperation mit dem Lesecafé Odradek Lesecafé Odradek, Leipziger Straße 3, 09111 Chemnitz Wladimir Majakowski (18931930) gilt als bedeutendster Dramatiker und Lyriker des russischen Futurismus. Mike Melzer liest aus seinem Werk. Es gilt „mit aller Stimmkraft“ diesem „Schreihals, Aufrührer, Prolet“ wieder Gehör zu verschaffen und ihn der Vergessenheit zu entreißen. Dresden, 11. und 12. Februar, Mittwoch-Donnerstag Workshop „Kommunen im Engagement für eine Kultur des Friedens“*** Mit IG 13. Februar 1945, Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, Stadt Radebeul, Evangelische Hochschule Dresden, Rosa-Luxemburg-Stiftung Landeszentrale für politische
Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke, Rico Schubert
Bildung, Schützenhofstraße 36, 01129 Dresden Wird „Frieden“ als Transformationsprozess zu einer Gesellschaft verstanden, in der die universellen Menschenrechte gewahrt sind, dann wird deutlich: Frieden beweist sich im unmittelbaren Erleben der Menschen. Frieden ist daher auch ein kommunales Thema. Es soll gefragt werden, welche Erfahrungen BürgerInnen, Organisationen und Verwaltungen in der Auseinandersetzung mit dem Thema Frieden auf kommunaler Ebene gewonnen haben. Welche Wirkungsmöglichkeiten eröffnet eine Auseinandersetzung mit Frieden in Städten und Gemeinden? Wie weit reicht kommunales Friedensengagement? Was begrenzt seine Möglichkeiten? Wo sind sie längst noch nicht erschlossen? Dabei soll sowohl eine regionale als auch eine europäische Perspektive eingenommen werden. Dresden, 18. Februar, Mittwoch, 19.00 Uhr Vortrag und Diskussion Das Kapital und die Verteilung im 21. Jahrhundert. Hat Piketty Recht?*** Mit Stephan Kaufmann, Wirtschaftsjournalist und Mitautor des Buches „Kapitalismus. Die ersten 200 Jahre: Thomas Pikettys ,Das Kapital im 21. Jahrhundert‘ - Einführung, Debatte, Kritik“ WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden Der französische Ökonom Thomas Piketty hat 2014 ein in der Weltöffentlichkeit als Sensation wahrgenommene langfristige Analyse der Entwicklung von Einkommens- und Vermögensverteilung vorgenommen. Bis weit in konservative Kreise hinein hat der akribische Nachweis einer wachsenden Verteilungskluft Aufmerksamkeit gefunden. Stephan Kaufmann, Wirtschaftsredakteur der Berliner Zeitung hat untersucht, was ist dran am „Piketty“ und was hat es mit seiner berühmten Formel r > g auf sich?
Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Ter-
Leipzig, 19. Februar, Donnerstag, 18.00 Uhr Jour Fixe – Ein unkonventioneller Gesprächskreis Moderation: Prof. Dr. Klaus Kinner, Historiker (Leipzig) und Prof. Dr. Manfred Neuhaus, Historiker, Vorsitzender des Wissenschaftsbeirates der RLS Sachsen (Leipzig) RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig Thema des Abends sind die Thesen des Ökonomen Thomas Piketty. Dresden, 24. Februar, Dienstag, 18.00 Uhr JUNGE ROSA Vortrag und Diskussion Die „neuen“ Rechten*** Mit Volkmar Wölk, Publizist (Grimma) WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden In Europa und Deutschland sind hohe Wahlergebnisse für „neue“ Rechte zur verzeichnen. Es scheint, dass im Zeitalter der Globalisierung faschistische, am Nationalstaat orientierte Kräfte keine Chance haben werden, neuerlich an die Macht zu kommen. Gilt dies aber auch für einen modernisierten Faschismus, der erneuert und als europäische Bewegung agieren würde? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, dass Bewegungen der extremen Rechten auf nationaler Ebene Erfolge verbuchen können? Welche Rolle spielen Ideologie, Kultur und neue Medien dabei? Leipzig, 24. Februar, Dienstag, 18.00 Uhr Vortrag und Diskussion Bibelkritik und Judenfrage. Anmerkungen zur Philosophie der Junghegelianer und des jungen Marx*** Mit Dr. Werner Wittenberger, Theologe (Leipzig). Moderation: Dr. Jürgen Stahl. RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig „Die heilige Familie“ oder „Kritik der kritischen Kritik“ ist der Titel eines Buches von Karl
mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 15.000 Exemplaren gedruckt. Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter
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In memoriam Marx und Friedrich Engels, das im Frühjahr 1845 erschien. Es war die erste Schrift, die Marx und Engels gemeinsam verfassten. Hauptinhalt ist der Widerspruch zwischen Hegels idealistischer und Marx‘ materialistischer Auffassung von Dialektik und eine Kritik an den Junghegelianern, insbesondere an Bruno Bauers Schriften „Die Judenfrage“ und „Die Faehigkeit der heutigen Juden und Christen, frei zu werden“. Leipzig, 26. Februar, Donnerstag, 18.30 Uhr ROSA L. IN GRÜNAU Konflikte der Energiewende und soziale Folgen - ein Ausblick. Mit Dr. Monika Runge, ehem. Landtagsabgeordnete und Sprecherin für Energiepolitik (Leipzig) Klub Gshelka, An der Kotsche 51, 04207 Leipzig Der Interessenkonflikt zwischen konventioneller Energieerzeugung und erneuerbaren Energien beim Umbau des Energiesystems ist unübersehbar. Brauchen wir zum Gelingen der Energiewende und zur CO2-Reduktion den Braunkohleausstieg? Kann das bisherige Marktgeschehen im Stromhandel bezahlbare Preise in Zukunft garantieren? Wie muss das neue „Marktdesign“ im Stromhandel gestaltet werden, um geringere volkswirtschaftliche Kosten beim Umbau des Energiesystems zu ermöglichen? Leipzig, 28. Februar, Sonnabend, 10.00-13.00 Uhr Ständiges Seminar Analyse politischer Kommunikation*** Mit Dr. Ruth Geier und Prof. Dr. Peter Porsch RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig *** In Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung: Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e.V.
Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio Redaktionschluss: 27.01.2015 Die nächste Ausgabe erscheint am 05.03.2015.
Nach einem tragischen Unglücksfall und langem Leiden ist unser Vereinsfreund Prof. Dr. sc. phil. Roland Opitz am Neujahrstag im Alter von 80 Jahren verstorben. Sein Tod hat eine schmerzhafte Lücke gerissen. Mit ihm verlieren wir einen herausragenden Leipziger Intellektuellen, der das Projekt einer modernen emanzipatorischen Linken mit kritischer Sympathie begleitet und mit ganzer Kraft gefördert hat. 1934 im erzgebirgischen Stollberg geboren, gehörte er zu jener Generation junger Wissenschaftler, die ihre ersten akademischen Sporen an der Moskauer Lomonossow-Universität erworben haben. Roland Opitz lehrte seit 1975 Russische Literatur und Literaturwissenschaft als Professor an der Karl-Marx-Universität, war aber auch am Institut für Literatur „Johannes R. Becher“ stets ein willkommener Gast und hat von 1987 bis 1990 die Geschicke des Leipziger Reclam-Verlages geleitet. 1990 wechselte er an die HumboldtUniversität zu Berlin, 1999– 2003 war er Präsident der Deutschen Dostojewskij-Gesellschaft. Opitz war ein leidenschaftlicher Forscher und begnadeter Hochschullehrer. Die moderne Lermontov-, Dostojewskij- und Leonov-Forschung ist ohne ihn nicht denkbar. Unser Freund, seine Gattin und ihre gelehrten Freunde haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten vorgelebt, wie kreativ Forschung und Bildung auch jenseits des Emeritierungsalters sein können. Den Erfolg unserer gemeinsamen Bemühungen dokumentieren zahllose Vorträge und Debatten, die in den Annalen der Leipziger Kultur- und Wissenschaftsgeschichte ebenso Spuren hinterlassen haben wie mehr als zwei Dutzend Publikationen, die zum wissenschaftlichen Tafelsilber der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen gehören. Wir bezeugen Dr. Antonia Opitz, den Kindern, Enkeln und allen Angehörigen unser tiefempfundenes Beileid und werden Prof. Dr. Roland Opitz ein ehrendes Angedenken bewahren. Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen / Prof. Dr. Peter Porsch, Stefanie Götze, Prof. Dr. Manfred Neuhaus
Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand. Abo-Service Tel. 0351-84389773 Konto: 3 491 101 007, BLZ: 850 900 00, Dresdner Volksbank
Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Jubel und Trubel bei „Luxemburgs“ Wenn im Januar Jubel und Trubel das Leipziger Domizil der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen (RLS) prägen, weiß der Kundige: Preisverleihung für junge Wissenschaftler und Neujahrsempfang fallen auf einen Tag. Diese schöne Tradition erlebte am 24. des Monats ihre 15. Auflage. Wie immer hatten sich neben Stiftungsmitgliedern und Stammgästen Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft eingefunden, das von Gabriel Krappmann (Viola) und Christoph Eisenhaupt (Kontrabass) mit Sonatenklängen von Giovanni Battista Borghi umrahmte Ereignis mitzuerleben. Stefanie Götze, Geschäftsführerin der RLS, begrüßte die Versammelten. Die Entscheidung der Jury über die Vergabe des „Wissenschaftlichen Förderpreises der Rosa-LuxemburgStiftung Sachsen“ für das Jahr 2014 an Dr. Marcel Bois und Dr. Judith Vey begründete Prof. Dr. Manfred Neuhaus. Er versäumte nicht, an die Geschichte des Preises, an Leben, Wirken und Intentionen seines Stifters zu erinnern. Es gehöre zum Gründungskonsens der Stiftung, junge, kritische Wissenschaftler auch unter schwierigen Rahmenbedingungen zu fördern. „Dass aus einer schönen Idee identitätsstiftende Realität wurde, verdanken wir in hohem Maße dem großherzigen Vermächtnis eines außergewöhnlichen Mannes, nämlich unserem Freund und Förderer Günter Reimann“. Der unorthodoxe kommunistische Intellektuelle und radikale Kritiker des internationalen Finanzsystems (1904-2005) hatte den Preis an seinem 90. Geburtstag gespendet. Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats würdigten die Leistungen der Preisträger. Prof. Dr.
tete zurück. Bevor er mit Fakten und Zahlen aufwartete, dankte er allen Mitarbeitern und Ehrenamtlichen für ihren Einsatz. Besonders warmherzige Worte fand er für Ingrid Breuel. „Nach 15 Jahren außerordentlichen Engagements in unserer Geschäftsstelle ist sie nun in den verdienten Ruhestand gewechselt. Wir haben ihr viel zu verdanken. Sie war die Seele des Betriebs“. Und scherzhaft: „Sie war nicht die Vorsitzende, aber die vorn Sitzende für alle, die unsere Geschäftsstelle in Leipzig besuchten. Man sah sie zuerst, weil die Tür ihres Raumes immer offen war, so wie ihr Ohr für Auskunft Heischende. Sie war das Gesicht der Vereins“. Seine Bilanz für 2014 fiel positiv aus. Beispielhaft soll hier nur auf 244 Veranstaltungen mit etwa 10.000 Teilnehmern verwiesen werden. RLS-Auftritte gab es unter anderem in Leipzig, Dresden, Chemnitz, Cunnersdorf bei Kamenz, Hoyerswerda, Görlitz, Weißwasser, Zittau, Augustusburg, Borna, Pirna, Schwarzenberg, Siebenlehn und Torgau. Um den Sektumtrunk nicht länger hinauszuzögern, fasste sich der Gastgeber im Hinblick auf 2015 kurz. „Wir wollen Bewährtes noch besser machen, unsere Kommunikation nach innen und außen qualifizieren und den Gemeinschaftssinn weiter stärken“. Als neue Formen, die im Januar v. l. n. r.: Gerald Diesner, Manfred Neuhaus, Marcel Bois, Peter Porsch, Judith Vey, Klaus Kinner gestartet sind, nannte Porsch das Ständige Seminar „Analyse tor dokumentiere die Auseinan- linker Krisenproteste in Deutsch- vorzustellen. Ihr souveräner Auf- politischer Kommunikation“ und dersetzung in der Partei, in der land 2009/2010“. Die bemer- tritt rundete eine akademische „Jour fixe“, den unkonventionellen Gesprächskreis. Mit seinem Elemente des Linksfundamen- kenswerte Untersuchung wird Jubelfeier ab. talismus Bestandteil der KPD- demnächst im Hamburger VSA- Start in den Neujahrsempfang. Ausruf „Das Büfett ist eröffnet“ Politik blieben. Selbst hier ver- Verlag erscheinen. Gegenhege- Peter Porsch, der vor Jahresfrist gab er den Weg auch frei für anortet, habe Ernst Thälmann ab moniale Praxen, so ließe sich den Vorsitz der RLS übernom- geregte Konversation und ge1925 Stalins machtpolitische eine ihrer Botschaften dechiff- men hatte, hielt in diesem Amt selliges Beisammensein. Nach Schwenkungen bedingungslos rieren, müssen an den lebens- seine erste Ansprache zum neu- wissenschaftlichem Jubel stimin der KPD durchgesetzt. Bois weltlichen Erfahrungswelten an- en Jahr. Traditionell schaute er mungsvoller Trubel in allen Räubeschreibe, wie die Ultralinken setzen, in denen die Unfähigkeit zunächst auf das 2014 Geleis- men. Wulf Skaun Die LPG Großbothen bei der Arbeit, 1986. Bundesarchiv, Bild 183-1986-0813-020. Foto: Kluge, Wolfgang
Klaus Kinner hielt die Laudatio für Dr. Marcel Bois. Dessen Arbeit „Kommunisten gegen Hitler und Stalin. Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik. Eine Gesamtdarstellung“ fülle eine bisherige Lücke. Bois komme das Verdienst zu, die ultralinken Gruppierungen, Anfang der 1920er dominierende Kraft in der KPD, dem Vergessen zu entreißen. Dazu habe er 1200 Biografien von in 30 Gruppen organisierten Linkskommunisten ermittelt. Der Au-
verdrängt und zu Sekten wurden. Ihre kritische Analyse der Politik Stalins sei hellsichtig und zutreffend gewesen, doch ihre eigenen Politikangebote häufig wirr und abenteuerlich. Der Laudator schloss: „Mit einer ersten Gesamtdarstellung der linken Opposition der KPD in der Weimarer Republik ist Marcel Bois ein großer Wurf gelungen“. Dr. Gerald Diesener pries Dr. Judith Veys Dissertation „Gegenhegemoniale Perspektiven. Eine hegemonietheoretische Analyse
des Systems, eine einheitliche und widerspruchsfreie Universalität zu sein, immer wieder spürbar wird, und diese politisieren. Unter herzlichem Beifall der Anwesenden nahmen Dr. Vey und Dr. Bois die Preisurkunden aus, entgegen. Die „Alt-Akademiker“ dankten ihren jungen Kollegen für ihre Forschungstaten und wünschten neue wissenschaftliche Erfolge. Nach so viel Lob erhielten die aufstrebenden Wissenschaftler die Gelegenheit, Ergebnisse ihrer Arbeiten selbst
meinen Ratlosigkeit über Pegida/Legida Rechnung. Gerhard Hoffmann, Arabist und Mediävist, bringt Licht in das Verhältnis von „Orient und Okzident“. Als literarisches Pendant stellt der Medienwissenschaftler und Journalist Wulf Skaun den französischen Erfolgsautor Michel Houellebecq und seinen soeben erschienenen Roman „Unterwerfung“ vor. Gerhard Hoffmanns Diskussionsvorlage gerät zu einer Bildungsstunde. Man wird Mozart, Voltaire, Herder, Goethe (West-östlicher Diwan) fortan anders rezipieren, wenn von Orient und Okzident die Rede ist. Dank Hoffmanns Lotsendienst wissen die Jour-fixe-Teilnehmer nun, welch soziokulturelle Deutungen, politische Propaganda, antisemitische und koloniale Interpretationen in der
Geschichte dominierten, wie sich die Definition von „Abendland“, imperial begründet, wandelte und warum sich das Feindbild des Okzidents (Westen) gegenüber dem Orient seit Ende des 20. Jahrhunderts auf den Islam konzentriert. Sein Fazit aus manipulierter Muslim-Gefährdung des Abendlandes: „Terrorismus ist in allen Varianten, in islamischen wie in anderen religiösen sowie in seinen verschiedensten säkularen Ausdrucksformen, primär ein politisches Problem.“ Diese Erkenntnis lässt sich auch aus Michel Houellebecqs „Unterwerfung“ herauslesen, pointiert Wulf Skaun seine Lektüre. Man müsse sich nur auf die fiktive Geschichte über den Regierungsvorsitz eines gemäßigten Muslimbruders im Frankreich des Jahres 2022 einlassen.
Premiere für Jour fixe 22. Januar 2015. Im Leipziger Domizil der Rosa-LuxemburgStiftung Sachsen hat die Lust an geistvollem Gedankenaustausch zwei Dutzend Leute zusammengeführt. Premiere von Jour fixe. Unkonventioneller Disput am Runden Tisch. Albert Einsteins einstige „Akademie Olympia“ könnte Pate gestanden haben, wie er mit Kollegen gepflegte Konversation übte. Man diskutierte locker-seriös über wissenschaftliche, literarische und zeitaktuelle Themen. Nach Einstein, sehr zum Nutzen aller Beteiligten. Gleiches Anliegen leitet Klaus Kinner und Manfred Neuhaus, die Initiatoren von Jour fixe, und ihre Projektfreunde Gerhard Hoffmann, Hartmut Kästner, Giesela Neuhaus, Peter Porsch, Monika Runge und Wulf Skaun. Anders als
„Akademie Olympia“ und nicht ganz Jour-fixe-gemäß, laden sie alle Interessierten an jedem dritten Donnerstag des Monats zum Diskurs ein. Manfred Neuhaus eröffnet den Abend mit stimmigen Vergleichen digitaler und persönlicher Kommunikation. Der Cyber-Verständigung fehle die für einen Dialog, für das Zuhören konstituierende Gegenwart des Anderen. „Wir aber wollen, dies ist das A und O unseres Jour fixe, einander zuhören, Nachbarschaft, ja Gemeinschaft stiften.“ In diesem Bemühen solle Jour fixe die anerkannten Formen geistig-kulturellen Lebens in der Stiftung ergänzen: „mit prägnanten einführenden Vorträgen frei variierend übergreifende Themen diskutieren.“ Die Agenda des ersten Jour fixe trägt der allge-
Da der eigenwillige Autor bitterböse Satire schreibe, entgehe wohl manchem Leser, dass die Kopfgeburt Houellebecqs – die drohende Islamisierung Frankreichs und Europas – nicht seine erste Zielscheibe sei. Die sei mit seiner Abscheu vor einem ökonomisch, politisch und spirituell erschöpften Frankreich, der Kritik am Konformismus der Politiker, der Medien und der geistigen Elite richtig diagnostiziert. Nach beinahe unaufhaltsamer Diskussion vertröstet Moderator Klaus Kinner die Runde auf den nächsten Jour fixe. Am 19. Februar, 18 Uhr, Harkortstraße 10 in Leipzig, geht es um Thomas Piketty und sein vieldiskutiertes Werk „Das Kapital im 21. Jahrhundert“, sowie um Patrick Modiano, den Literaturnobelpreisträger 2014. W. S.
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Theoretische Fundgrube „Die Linke hat seit zwanzig Jahren eine Aversion gegen theoretische Arbeit. Mit der Wahrnehmung, mit dem realen Sozialismus habe die Theorie versagt, griff ein ,Alles oder nichts‘ um sich: entweder dogmatische Fortführung der alten Annahmen des Marxismus-Leninismus oder völliges Verwerfen. Antworten gibt es aber nur, wenn die Linke zur theoretischen Arbeit zurückkehrt“. Man mag die harsche Kritik des renommierten Wirtschaftswissenschaftlers Heinz Petrak (1929-2014) in der Jubiläumsausgabe von „Z.“ (S. 59) für überpointiert halten, bedenkenswert ist sie allemal – Gerhard Besier hatte unlängst ähnliche Defizite beobachtet. Wer nicht nur Petraks Diagnose und Therapie, sondern einen Thinktank der modernen Linken kennenlernen möchte, dem sei die seit zweieinhalb Jahrzehnten in Frankfurt am Main von namhaften Linksintellektuellen, darunter eine wachsende Anzahl von Sozialwissenschaftlern mit ostdeutscher Sozialisation, verlegte Vierteljahresschrift empfohlen. Im Herbst 1989 gegründet, um nach der Implosion des Realsozialismus einen geistigen Neubeginn zu fokussieren, versteht sich die „Zeitschrift für Marxistische Erneuerung“ als pluralistisches Diskussionsund Publikationsorgan. Herausgeber und Redaktion agieren ohne institutionellen Hinter-
grund, also auch frei und unabhängig von partei- und organisationspolitischen Bindungen. Pluralistisch meint das konkurrierende Neben- und Miteinander unterschiedlicher marxistischer Ansätze und anderer linker Denkrichtungen. Zwei Dutzend Autoren debattieren demgemäß in der Jubiläumsausgabe Probleme und Themen, die für das Selbstverständnis der emanzipatorischen Linken bedeutsam sind, aus unterschiedlicher Perspektive. Im Kern geht es um das Verständnis für die gravierenden Veränderungen in der Welt und daraus abzuleitende Handlungsoptionen. In den vergangenen vier Jahrzehnten, so lautet die ernüchternde Bilanz, hat der internationale Kapitalismus einen „zweiten Atem“ bekommen, vermochte er Arbeiter-bewegung und politische Linke zurückzudrängen. Dieser Dynamik und diesem Druck war auch der Realsozialismus nicht gewachsen. Und so muss sich die Linke heute unter radikal veränderten Bedingungen neukonstituieren. Die Autoren des Jubiläumsheftes analysieren Schlüsselthemen dieses Umbruchprozesses wie den Aufstieg des Neoliberalismus, die Globalisierung und Digitale Revolution sowie den Zusammenbruch des Realsozialismus. Sie beschreiben diese Entwicklung „auch als eine Renaissance des globalen Kapitalismus, als eine ,passive Re-
volution‘ des Neoliberalismus“ (S. 10) und diskutieren, ob es sich dabei um einen Epochenumbruch oder eher ein Kompositum von Kontinuitäts- und Diskontinuitätsmomenten handelt. Während Dieter Boris die These vom Epochenbruch favorisiert, deutet Elmar Altva-
ter die neue Welt- als Unordnung einer langen Kette von Kriegen, Putschen, Krisen, Verletzungen von Menschen- und Bürgerrechten, von Umweltzerstörungen bislang nicht gekannten Ausmaßes. Diese neue Entwicklungsphase des Kapitalismus beleuchten Lucas Zeise,
Joachim Bischoff, Jörg Goldberg und Heinz Petrak, während Georg Fülberth Größe und Grenzen von Thomas Pikettys Bestseller diskutiert. Weitere Themen können nur summarisch aufgeführt werden: Globalisierung – Digitalisierung – Umweltkrise; Soziale Brüche, Neue Weltordnung, Postdemokratie und die Linke und Optionen der Linken. Holger Politt hat einen Aufsatz von Rosa Luxemburg aus dem Jahr 1906 („Taktik der Revolution“) erstmals ins Deutsche übertragen und prägnant kommentiert. Als kleine Sensation könnte das Konzept für eine moderne „Kapital“-Ausgabe aus der Feder von Thomas Kuczynski gelten. Ob das von Klaus Müller an einem volkswirtschaftlichen Dreistufenmodell entfaltete polemische Plädoyer für Marx‘ Werttheorie bei deren Widersachern offene Ohren finden wird, sei dahingestellt. Schließlich versucht Klaus Steinitz zu ergründen, ob Wirtschaftstheorie und -praxis der DDR Erkenntnisse für eine Transformationsstrategie vermitteln können. Summa summarum eine theoretische Fundgrube für Politik und Selbstverständnis der Linken. Rainer Holze / Daniel Sieben Z. 100, 264 S., 10 Euro, Bezug: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Postf. 500936, 60397 Frankfurt/M. – Internet: www. zeitschrift-marxistische-erneuerung.de
in dem er Karl Vorländers Studie „Von Machiavelli bis Lenin. Neuzeitliche Staats- und Gesellschaftstheorien“ (1926) mit Verve auseinandernimmt und eine „Theorie der faktischen Geschichtslosigkeit“ nennt. Ähnlich verfährt er in „Zur Kritik des deutschen Historismus“ (1929) mit Rankes Staatsverständnis, dass bei ihm nur noch „die Aufgabe (habe), das ,heilige‘ Prunkgefäß einer jenseitigen Gottheit und aller diesseitigen Mächte der Tradition zu sein“. Die literaturkritischen Texte atmen den Kampf gegen den Faschismus, besonders seine Wertung von Anna Seghers‘ „Der Weg durch den Februar“ (1935). Die Aufsätze über Don Quijote führen vor, wie sich mit dem Werkzeugkasten der Marx‘schen Methode eine gesellschaftskritische Lesart des Romans als Spiegel der Übergangkonflikte vom feudalen ins bürgerliche Zeitalter zimmern lässt. Der vorliegende Band eignet sich bestens, diesen vergessenen Autor neu zu entdecken. Vergessen vor allem deshalb, weil die gerne zum Moskauer Exil von Schriftstellern wie
Johannes R. Becher und Willi Bredel forschende DDR-Literaturwissenschaft den vermeintlichen „Trotzkisten“ Schmückle nur mit spitzen Fingern anfasste. Hinzu kam, dass die bis 1991 verschlossenen Archivbestände dazu einluden, sich an Stelle der Dokumente an die Memoirenbände über das Exil aus der Feder des Österreichers Hugo Huppert (1902-1982) zu halten, der Schmückle verleumdete, denunzierte und gezielt Falschinformationen streute. Es ist dem Herausgeber hoch anzurechnen, dass er dieses Ende der 1980er Jahre an der Akademie der Wissenschaften in Berlin begonnene Vorhaben nun in Privatinitiative zum Abschluss gebracht hat. Dieses auch in der Dresdner Bibliothek der RosaLuxemburg Stiftung Sachsen vorhandene Buch bietet einen hervorragenden Einstieg in die Beschäftigung mit diesem nun der Vergessenheit entrissenen Dr. Michael Eckardt Werner Röhr (Hg.): Karl Schmückle: Begegnungen mit Don Quijote. Ausgewählte Schriften. Hamburg, Argument Verlag, 2014, 347 S.
Wer war Karl Schmückle? Mit Band 17 der Reihe „Berliner Beiträge zur Kritischen Theorie“ legt Werner Röhr ein Kompendium zu Karl Schmückle vor, das mit den Teilen „I – Von den Utopisten zu Marx: Philosophische und historische Arbeiten“ und „II – Begegnungen mit Don Quijote: Literaturkritische Arbeiten“ weit mehr ist als eine bloße Aufsatzsammlung. Wer aber war dieser Karl Schmückle? Der 1898 im württembergischen Gompelscheuer geborene Karl Schmückle war ein deutscher Kommunist, der sich in den 1920ern in die Sowjetunion begab, um dort den Sozialismus mit aufzubauen. Schmückle wirkte am Moskauer Marx-Engels-Institut (MEI) als Experte für die Handschriften von Karl Marx und arbeitete an der ersten Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) mit. Er galt als Experte für die Marx‘schen Schriften bis 1848. Detailliert wird in der Einleitung Schmückles Werdegang vom Tübinger Theologiestudenten (1919) bis zum in Jena marxistisch ausgebildeten Dr. rer. pol. (1923) beschrieben. 1925 ging er nach Moskau und war dort an der Publikation von
21 MEGA-Bänden beteiligt. Vor diesem Hintergrund erscheint es unglaublich, dass Schmückle 1936 in einer Pressekampagne als „Versöhnler“ und „Parteifeind“ diffamiert wurde. Sein KPdSU-Ausschluss erfolgte „wegen politischer Schwankungen und Verbindungen mit trotzkistischen Volksfeinden“. Seiner Verhaftung lag der berüchtigte NKWD-Befehl Nr. 00439 über die „Operation zur Ergreifung von Repressivmaßnahmen an deutschen Staatsangehörigen, die der Spionage gegen die UdSSR verdächtig sind“ zugrunde. Betroffen waren deutsche Exilkommunisten und als Spezialisten ins Land geholte Arbeiter, 41.898 verurteilte man zum Tode, am 14. März 1938 wurde Schmückle erschossen. Möglich war die „Liquidierung“ dieses vorzüglichen Marx-Philologen nur durch die übertriebene Wachsamkeitshysterie während der Stalinischen Schauprozesse gegen Sinowjew, Radek u.a. mit dem Ziel, alle einstigen Lenin-Vertrauten als ausländische Spione oder Konterrevolutionäre zu stigmatisieren. Hinzu kamen Schrift-
steller-Eitelkeiten und ein literarisches Cliquenwesen mit Rivalitäten und Animositäten. Verstärkt wurden letztere durch die allgemeine Misere der Emigration mitsamt der Psychose in Bezug auf das individuelle Überleben, welche eine wechselseitige Abrechnung mit einer präventiven Denunziation als Ausweg favorisierte. Die Lektüre macht deutlich, dass hier ein Marx-Kenner und Marxist von seinen vom Stalinismus vollkommen korrumpierten Genossen geopfert wurde. Für keine der Vorhaltungen gab es einen Beweis, dennoch wirkten die Unterstellungen noch lange fort, obwohl Schmückle 1958 von einem Militärtribunal rehabilitiert wurde. Eingedenk der anderen ethnisch definierten Säuberungen der Jahre 1937/38 bestand Schmückles „Verbrechen“ lediglich darin, zur falschen Zeit ein in Moskau lebender Deutscher und MarxForscher gewesen zu sein. Aus Kapitel I bleibt neben der erstveröffentlichten Jenenser Dissertation Schmückles Aufsatz „Zur Geschichte der politischen Theorien“ in Erinnerung,
Kultur
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„Die Wahrheit ist konkret“: Dieter Süverkrüp mitzuwirken. Er überraschte das politisch hoch motivierte Publikum durch seine flott-scharfzüngige Vortragsweise. Wenn es damals schon den Begriff „Poetry Slam“ gegeben hätte, würde ihm heutzutage niemand das Wasser reichen können. So temperamentvoll interpretierte er seine bissigen Texte, in denen er buchstäblich die Maske des „braven“ Spießbürgers abriss. Auch prangerten seine Lieder die politischen und sozialen Missstände in der BRD an. 1965 produzierte der „Sender Freies Berlin“ das Programm „Jamboree Chanson Folklore“ vor 2.500 Besuchern live, bei dem auch Peter Rohland, Franz Josef Degenhardt, Christoph Stälin, Hai und Töpsy, Walter Mossmann – der anarchistischste Sänger jener Zeit – und viele andere beteiligt waren. Es folgten mehrere Tourneen durch die damalige BRD. Im gleichen Jahr erschien die Langspielplatte „Ist du Wiener Schnitzel“ und 1967 „Die widerborstigen Gesänge des Dieter Süverkrüp“, ein Meisterwerk. 1968 entwickelte sich die Burg Waldeck zum Zentrum der Studentenunruhen, „Keine Lieder mehr“ hieß die neue Losung. Rote Fahnen wurden geschwenkt und ein Vortrag des Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch ausgebuht. Viele angereiste Liedermacher resignierten und reisten wieder ab. Nur Süverkrüp vermochte es, Aufmerksamkeit zu erhaschen, indem er mit pointiertem politischem Wortwitz die aufgebrachten Gemüter zum
Lachen, aber auch zum Nachdenken brachte. 1970 produzierte er drei weitere Alben, u. a. eine Kinderlieder-EP mit dem Titel „Der Baggerführer Willibald“. Zwei Jahre später begann seine Zusammenarbeit mit dem Kölner Rockkabarett „Floh de Cologne“. Diesmal überzeugte er mit strengeren, drastischeren Ly-
Politbarden bekanntgewordene Kollegen genossen in jenen Jahren bereits einen Kultstatus, der gewiss auch den Plattenfirmen zugutekam. Von linker Romantik war die Rede. Berühmte Kollegen wie Konstantin Wecker, Ari Brauner oder Georg Danzer bekamen bei Polydor die Gelegenheit, in der Doppel-LP-Serie „Liederbuch“ ihre Repertoire zu
präsentieren. Süverkrüp jedoch blieb sich und seiner unbeugsamen Haltung treu. Es folgte eine musikalische Zusammenarbeit mit hochkarätigen deutschen Jazzikonen wie Albert Mangelsdorff, Volker Kriegel, Ack von Rooyen und anderen. So ent-
stand zum Beispiel 1976 ein Musical für Kinder, „Das Auto Blubberbumm“, das auch als Platte erhältlich war. 1977 produzierte er mit Floh de Cologne, Franz Josef Degenhardt, Perry Friedmann und Hannes Wader das Singspiel „Rotkäppchen“ nach dem Text von Jewgeni Schwarz. 1980 erschien seine LP „Soweit weit alles klar“. Dann folgten Konzertauftritte mit Floh de Cologne, dem BürgerschreckEnsemble „Drei Tornados“ und dem populärsten Folkpionier „Zupfgeigenhansel“ aus Schwaben. 1982 und 1983 war er maßgeblich an den Texten für die Platten „Miteinander“ und „Kein schöner Land“ des inzwischen zum Quartett erweiterten Duos „Zupfgeigenhansel“ beteiligt. 1987 lieferte er Texte, Kompositionen und Illustrationen für die „Sendung mit der Maus“, bevor er sich Anfang der 90er wieder seinen Fähigkeiten als Grafiker widmete. Mit seinem Sohn Ben nahm er endlich wieder ein Album auf, diesmal mit Texten des skandinavischen Poetbarden Karl Michael Bellmann. 2002 kam sein Buch „Süverkrüps Liederjahre“ heraus und eine vierteilige CDSammlung erschien bei „Conträr Musiks“ unter demselben Titel. Auch die CD „Hört mal her, ihr Zeitgenossen“ ist sehr empfehlenswert. Dieter Süverkrüp ist weiterhin, trotz seines hohen Alters, künstlerisch aktiv. Seinem Grundsatz „Die Wahrheit ist konkret“ ist er bis heute gefolgt. Jens-Paul Wollenberg
größere Hingabe, einen größeren Willen, eine größere Opferbereitschaft gesehen als die des russischen Volkes und seiner Armeen unter der Führung von Marschall Joseph Stalin“. Doch wenn zum Ende der LP der Lyriker Peter Blackman sein Gedicht „Stalingrad“ rezitiert, ist klar, dass Robert Wyatt dabei nicht nur an den Ort der historischen Schlacht denkt, sondern auch an die Klassenkämpfe im Großbritannien der damaligen Zeit. Robert Wyatt ist im Januar 70 Jahre alt geworden. Politisch war und ist seine Musik immer. Wenn auch nicht so plakativ wie auf „Nothing can stop us“. Aber: Stets war sein Schaffen dem Kampf gegen die „Dummheit in der Musik“ (Hanns Eisler) gerichtet. Und so ist es nur folgerichtig, wenn sein Biograf Marcus O’Dair ihn beschreibt als „mit einem Bart buschiger als der von Fidel Castro, wenn nicht sogar in der Liga von Karl Marx“. O’Dairs Buch, versehen mit zahlreichen Fotos, ist mehr als die Lebensgeschichte, die ein Fan
verfasst hat. Es handelt sich um nicht weniger als um einen wichtigen Teil der Popgeschichte der letzten 50 Jahre, die Robert Wyatt mitgeprägt hat. Beginnend bei der legendären Band „Soft Machine“, die Ende der sechziger Jahre aus Jazz und Rock etwas völlig Neues schuf. Als stilbildend für die so genannte Canterbury Scene. Und – quergeschnittgelähmt, nachdem er besoffen aus dem Fenster gestürzt war – schließlich als Solokünstler. Einen sehr guten Einblick in diese musikalische Biografie gibt jetzt die DoppelCD „Different Every Time“, die ihn einerseits als Komponisten präsentiert und auf der zweiten Seite als gesuchten Sideman – so des Jazztrompeters Mike Mantler, von Björk oder gar von John Cage. Volkmar Wölk Marcus O’Dair: Different Every Time. The Authorised Biography of Robert Wyatt: London: Serpent’s Tail, 2014, 460 S., 20€. Robert Wyatt: Different Every Time; Doppel-CD, Domino Recordings, 2014
Bild: Pläne / Wikimeida Commons / CC BY-SA 2.0 DE
Es ist gewiss nicht verwunderlich, wenn der Musikant und studierte Grafiker mit einem sogenannten „Burg-Waldeck-Siegel“ versehen wird. Galt doch die Großstadtmetropole Düsseldorf, in der er 1934 geboren wurde, als eine Art Filiale dieser bekannten Hochburg Liedermachergeneration. „Bobbies Schnapsecke“ hieß die Kneipe, in der Süverkrüp 1955 erste Auftritte absolvierte, noch nicht als Sänger, sondern als singender Jazzgitarrist gemeinsam mit der zukünftigen Jazzrocklegende Klaus Doldinger am Piano, Volker Lahnstein an der Posaune und – kaum zu glauben – Günter Grass am Waschbrett. „Fettwarmers“ nannte sich die Formation. Als die kleine Band 1957 bei einem Nachwuchsjazzfestival auftrat, bekam Süverkrüp das Prädikat „Bester Jazzgitarrist Deutschlands“. Durch die Bekanntschaft mit dem satirischen Autor Gerd Semmer 1958 wurde er mit den Übersetzungen von Liedern der französischen Revolution konfrontiert. Zwischen 1962 und 1963 erschienen zwei Schallplatten beim gemeinsam mit Semmer gegründeten Verlag „Pläne“, die sich mit diesem Thema befassten. Silvester 1963 hatten drei gestandene Waldecker, darunter der wichtigste Pionier des deutschen Chansons, Peter Rohland, die geniale Idee, ein Chansontreffen auf der Burg Waldeck im Hunsrück zu organisieren. Franz Josef Degenhardt kam ins Gespräch, und schließlich willigte auch Süverkrüp ein,
rics in beinahe expressionistischem Format, wobei scharfe Kritik gegen den schrecklichen Vietnamkrieg, den die USA entfachten, nicht zu kurz kam. In den späten Siebzigern begann es in der BRD-Liedermacherszene zu kriseln. Viele, einst als
„Nichts kann uns aufhalten!“ Die Kühlerhaube des Rolls Royce kennen auch alle, die sich die Nobelkarosse nie werden leisten können. Die Zahl von lediglich 1.300 Mitarbeitern rechtfertigt es nicht, dass das Logo der Firma, zwei verschränkte „R“, weltweit Legende sind. Ebenfalls Legende ist die Kühlerfigur, „Spirit of Ecstasy“, gestaltet von einem Bildhauer. Als 1982 Robert Wyatts Soloalbum „Nothing can stop us“ erschien, als eine der ersten Platten des Independent-Labels „Rough Trade“, zierte ebenfalls die Kühlerhaube eines Rolls Royce des Cover. Und rief umgehend ein breites Grinsen hervor. Statt der „Spirit of Ecstasy“ stand ein Arbeiter im roten Overall auf dem Kühlergrill, die Faust emporgereckt, einen Schraubenschlüssel umgreifend. Zweifellos: Dies war eine politische Botschaft. Drehte man die Plattenhülle, stieß man auf eine überraschende Erklärung für den Titel. Eine, die die Bildbotschaft der Vorderseite zu konterkarieren schien. Es handelt
sich um ein Zitat aus dem 1930 erschienenen Band „America Conquers Britain“ des US-amerikanischen Autors Ludwell Denny: „Wir werden nicht Britanniens Fehler nachmachen. Wir sind zu klug die Welt regieren zu wollen; wir werden sie einfach in Besitz nehmen. Nichts kann uns aufhalten“. Nichts kann uns aufhalten! Wirklich? Robert Wyatt jedenfalls schien sich mit diesem Ansinnen ganz und gar nicht anfreunden zu können. Und das obwohl die Zeichen der Zeit ganz und gar nicht für eine machtvolle Gegenbewegung, oder gar deren Erfolg, sprachen. Großbritannien war wirtschaftlich marode, die Schwerindustrie im Niedergang. Seit drei Jahren regierte die „Eiserne Lady“ Margret Thatcher („Es gibt keine Alternative!“), deren Politik auf Privatisierung, Liberalisierung der Wirtschaft und Zerschlagung der Gewerkschaften zielte. Noch stand die verheerende Niederlage beim Streik der britischen Bergleute 1984/85 bevor.Leisen, verhaltenen und
nur spärlich instrumentierten Optimismus setzte Robert Wyatt dem entgegen. Musik für ein Land in der Krise, für eine Linke in der Krise. Mit Interpretationen der Chilenin Violetta Parra zum Beispiel. Aus „Guantanamero“, das Pete Seeger zu einer Hymne der amerikanischen Gewerkschaftsbewegung gemacht hatte, wird bei Wyatt „Caimanera“. Anspielend auf jenen Ort in der Guantanamo-Bucht, in dem sich USA und Cuba direkt gegenüber stehen. Eine ergreifende Version des Nile Rogers-Titel „At last I am free“ war Nelson Mandela gewidmet. Und wenn Wyatt dann fröhlich schmetternd „Stalin wasn’t stallin‘“ („Stalin zögerte nicht“) intonierte, handelte es sich selbstverständlich nicht um eine Lobpreisung des Stalinismus, sondern um eine augenzwinkernde Coverversion eines Hits des Golden Gate Quartetts von 1943, die damit für den Kriegseintritt der USA warben. Sie griffen damit Worte des US-Präsidenten Roosevelt auf: „Die Welt hat niemals eine