LINKS! Ausgabe 07-08/2015

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Abstimmung über ein neoliberales Angebot

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Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Juli-August 2015

Der Konflikt über die Lösung der Griechenland-Krise steht vor einer dramatischen Wende. Die Verhandlungen wurden abgebrochen, eine Volkabstimmung angesetzt und die Finanzminister der Euro-Zone bereiten sich auf den „Grexit“ vor. Griechenlands überraschende Ankündigung stellt die Euro-Finanzminister vor einen Scherbenhaufen. Bundeskanzlerin Merkel hatte die griechische Regierung zuvor aufgefordert, dem „außergewöhnlich großzügigen Angebot“ der internationalen Geldgeber zuzustimmen. Der griechische Ministerpräsident Tsipras beurteilte diese nicht weiter verhandelbare Position völlig anders. Er verstehe nicht, warum diese im Schuldenstreit auf „derart harten Maßnahmen“ bestehen. Das Vorgehen der europäischen Eliten gegenüber der griechischen Regierung ist geprägt von machtpolitischer Arroganz der Stärke. Sie haben nicht ernst genommen, dass die Regierung sehr wohl zur Position steht, ein Referendum anzusetzen, sollten die Kreditgeber auf den drastischen Sparmaßnahmen beharren. „Wenn ich letztlich mit einer Vereinbarung da stehe, die die Grenzen (meines Mandats) überschreitet, habe ich keine andere Wahl, die Menschen werden entscheiden“, sagte Premier Tsipras schon vor Wochen. Schon Anfang September 2011 verkündete der damalige Premier Papandreou die Phase des „Titanenkampfes“ und wollte die Bevölkerung über die anstehende Austeritätspolitik der Troika abstimmen lassen. In den Hauptstädten Europas wurde diese Entscheidung der griechischen Regierung mit Fassungslosigkeit quittiert. Gedroht wurde damit, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) bereits die nächsten Kredite blockieren könnte. Demokratie hin oder her – das „Vertrauen“ der Finanzmärkte dürfe nicht aufs Spiel gesetzt werden, hieß es von Seiten der Gläubiger. Bekanntlich hat es damals keine Volksabstimmung geben, der Rücktritt der Regierung und die Wahlen führten zur Legitimation einer willfährigen Regierung. Diese Austeritätspolitik wur-

de im Januar 2015 abgewählt. Nichts, was heute in und um Griechenland geschieht, kommt überraschend. Tsipras und Varoufakis sind nicht die Ursache der Misere, sie sind die Folge der Misere. Sie und ihre Partei Syriza wurden im Januar von einem Volk gewählt, das die seit mehr als fünf Jahren andauernde Depression nicht länger ertragen wollte. Es ist schon erbärmlich, mit ansehen zu müssen, wie aus den Reihen der SPD in das selbe neoliberale Horn geblasen wird und der Kern des Problems, die jahrzehntelange Fehlentwicklung eines oligarchischen Kapitalismus und die krisenbedingte Schrumpfung der griechischen Wirtschaft, nicht zur Kenntnis genommen wird. Die verheerende Wirtschaftspolitik wäre nicht nötig gewesen, wenn die Weichen beim Ausbruch der Krise 2010 anders gestellt worden wären. Es war längst absehbar, dass das beinharte Austeritätsprogramm die Schuldenlast nicht reduzieren, sondern erhöhen würde. Griechenland hätte ein binnenwirtschaftlich ausgerichtetes Stabilisierungs- und Investitionsprogramm gebraucht, nicht eine neoliberale Schrumpfkur. Es geht aber nicht nur um das katastrophale Scheitern der neoliberalen Politik, sondern auch um die Weigerung, der ausgebeuteten Bevölkerung einen Neuanfang oder einen Kurswechsel zu ermöglichen. Die Beschädigung der demokratischen Kultur ist offenkundig geworden. Bei jedem Sanierungsprogramm gibt es verschiedene Wege zu den gesteckten Zielwerten. Es ist Sache der demokratisch legitimierten Regierung des Mitgliedstaates, einen dieser Pfade auszuwählen. Aufgabe der internationalen Institutionen ist es, diesen Prozess zu begleiten. Die europäischen Finanzminister und internationalen Experten haben ohne demokratische Legitimation gegen den erklärten Willen der Regierung einen bestimmten Anpassungspfad ultimativ eingefordert, der ihren eigenen Wertvorstellungen entspricht (niedrige Unternehmenssteuern, hohe Rentenkürzungen und so weiter). Das ist politisch inakzeptabel. Die fehlende demokratische Beteiligung an all den Rettungspaketen und Milliardenhilfen der Institutionen wird jetzt durch den Entschluss zum Referendum in Griechenland durchbrochen. Die EU ist als Projekt der Eliten selbst in eine schwere Krise geraten. Und die Bundesregierung hat die Krise mitverursacht. Dies ist mit Sicherheit noch nicht das Ende der Krise der Eurozone. • Axel Troost


Aktuelles

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Links wirkt: Steinmeier in Kuba Herr Leutert, wir können diesmal eine echte Neuigkeit verkünden, die jetzt, wenn wir miteinander sprechen, den Medien noch unbekannt ist. Worum handelt es sich? Als erster deutscher Außenminister überhaupt wird Frank Walter Steinmeier am 7. und 8. Juli zu einem offiziellen Besuch in Kuba weilen. Er folgt damit der Einladung seines Amtskollegen Bruno Rodríguez Parrilla. Damit wird eine politische Eiszeit beendet. Dass dies schon im Juli geschieht, war nicht zu erwarten, aber das Ministerium hat mir den Termin bestätigt. Angesichts der Hardliner-Rolle, die Deutschland in den bilateralen Beziehungen, aber auch innerhalb der EU als Bremser in den Beziehungen zu Kuba eingenommen hat, ist schon die Reise selbst von großer Bedeutung. Ich freue mich sehr, dass es nach fünf Jahren Vorarbeit auf unterschiedlichen Ebenen endlich soweit ist. 2012 sind Sie mit einer Delegation des Haushaltsausschusses nach Kuba gereist. Inwieweit hat die damalige Reise mit dem jetzigen Besuch von Steinmeier zu tun? Wenn Steinmeiers Reise die Eiszeit zwischen Deutschland und Kuba beendet, so fing das Eis damals an, zu schmelzen. Die von mir initiierte Reise mit den Kollegen aus dem Haushaltsausschuss war der erste offizielle Besuch von deutscher Seite nach zehn Jahren völliger Funkstille. 2003 war unter dem damaligen grünen Außenminister Josef Fischer nicht nur ein bereits fertig ausgehandeltes deutschkubanisches Kulturabkommen auf Eis gelegt, sondern auch die Entwicklungszusammenarbeit eingestellt worden. Schon zuvor unter der Regierung Kohl war Deutschland neben Spanien 1996 hauptverantwortlich für den „Gemeinsamen Standpunkt“ der EU, der das Verhältnis zu Kuba definiert und offen einen Systemwechsel fordert. Er gilt bis heute. Ich finde das absurd: So etwas hat die EU zu keinem anderen Land formuliert, auch nicht zu Staaten wie Saudi-Arabien, in denen die Menschenrechte nun wirklich mit Füßen getreten werden. Vor diesem Hintergrund war es das Ziel unserer Reise 2012, auszuloten, wie die offiziellen Beziehungen zwischen Deutschland und Kuba verbessert werden können. Schon dass die Reise überhaupt stattgefunden hat, trug zur Normalisierung der Beziehungen bei. Nach unserer Reise begann ein Tauwetter, wenn man bei der Metapher bleiben will. Wenn völlige Funkstille herrschte: Wie kam es dann überhaupt zu Ihrer Reise nach

Kuba? Noch dazu in Zeiten einer schwarz-gelben Mehrheit! Letztlich war sie ein Erfolg linker Politik, das kann man wirklich so sagen. Keiner Erfolg einer Politik der lauten Aktion, sondern einer der Beharrlichkeit, vieler Gespräche und guter Argumente. Das Auswärtige Amt war zunächst überhaupt nicht be-

was bewirken kann. Dabei geholfen hat mir die bei vielen verbreitete Einsicht, dass die harte Haltung der Bundesregierung ideologischer Quatsch war. Erstaunlich fand ich damals, dass mich ausgerechnet die Vertreter von CDU/CSU und FDP im Haushaltsausschuss sehr gut unterstützt haben. Das hätte ich so nicht erwartet.

Seite 2 für Wiederaufbau (KfW) und der deutschen Wirtschaft in Kuba. Schon beim damaligen Besuch haben unsere kubanischen Gesprächspartner betont, dass auf ihrer Seite großes Interesse an einer stärkeren Zusammenarbeit mit Deutschland bestehe. Ein konkretes Beispiel ist das Thema regenerative Energien. Mittlerweile liegt längst eine fertige Studie der KfW zu „Finanzierungsmöglichkeiten für Erneuerbare Energien in der Republik Kuba“ vor, die sowohl Biomas-

Bei der privaten Kooperative Unidad Básica de Producción Cooperativa (UBPC), einem Kooperationsprojekt mit der Welthungerhilfe. Die Kooperative gehört zur städtischen Landwirtschaft in Kuba, die kleinflächig, natur- und verbrauchernah produziert. Jeder erhält ein – über dem kubanischen Durchschnitt liegendes – Gehalt, die Arbeiter halten zudem Anteile, der zusätzliche Gewinn wird an sie ausgeschüttet. V. l. n. r.: Miquel Angel Salcines López, Chef der UBPC, Michael Leutert, die Dolmetscherin, Dr. Wolf Daerr, der damalige Deutsche Botschafter in Kuba.

geistert. Der damalige Außenminister Westerwelle hat meinen Vorschlag, selbst hinzureisen, mehrfach abgelehnt. Insgesamt hat es mich ein knappes Jahr Überzeugungsarbeit gekostet, bis klar war, dass eine Delegation des Haushaltsausschusses nach Kuba reisen wird. Ich finde, das zeigt, dass linke Politik auch aus der Opposition heraus und sogar in der Außenpolitik et-

Michael Leutert mit dem kubanischen Abgeordneten Prof. Dr. Jorge González Pérez, der 1997 an der Überführung der Gebeine Che Guevaras von Bolivien nach Kuba beteiligt war.

Sie haben von einem Tauwetter gesprochen. Was ist damit konkret gemeint? Die Reise war ein Anfang. Es ist doch so: Ist erst einmal jemand vorangegangen, ist es für die nächsten leichter. Mittlerweile waren unter anderem eine Delegation des Tourismusausschusses, Vertreter der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), der Kreditanstalt

se, Photovoltaik, Solarthermie, Wasserkraft wie auch Windenergie in Kuba umfasst. Denken Sie nicht, dass sich Kuba mit solchen Formen der Zusammenarbeit endgültig dem Kapitalismus öffnet? Natürlich sind von deutscher Seite ökonomische Interessen vorhanden. Doch braucht man deshalb keinen Ausverkauf Kubas zu befürchten. Kuba hat ein jahrzehntelanges US-Embargo überstanden, hat den Zusammenbruch der das Land unterstützenden sozialistischen Staaten überstanden. Bereits vor Jahren hat die kubanische Regierung mit Reformen begonnen, gewisse privatwirtschaftliche Formen eingeführt und zum Beispiel den Tourismussektor ausgebaut. In den kommenden Wochen sollen an verschiedenen Orten öffentliche WLAN-Hotspots entstehen, um den Internetzugang zu erleichtern. Damit werden Preissenkungen verbunden sein, weil die Internetnutzung für normale Kubanerinnen und Kubaner sehr teuer ist. Ich denke, dass die kubanische Regierung weiß, was sie tut. Wird es auf Steinmeiers Reise auch um Fragen der Menschenrechte gehen, und was

können wir überhaupt an konkreten Ergebnissen erwarten? Wenn der Bundesaußenminister zu einem offiziellen Besuch nach Kuba reist, ist das faktisch das „OK“ für die Normalisierung der Beziehungen. Ich gehe davon aus, dass das deutschkubanische Kulturabkommen, das 2003 gestoppt wurde, neu verhandelt wird. Auch die bilaterale Kooperation, beispielsweise in der ebenfalls bislang weitestgehend gestoppten Entwicklungszusammenarbeit, wird intensiviert werden. Als Haushaltspolitiker der LINKEN bin ich für beide Etats – das Auswärtige Amt und das Entwicklungsministerium – zuständig, aus denen Mittel in die deutsch-kubanische Zusammenarbeit fließen können. Ich werde mich dafür einsetzen, dass dies geschieht. Zur Frage der Menschenrechte: Natürlich wird Steinmeier sie ansprechen. Und die Kubaner werden sich anders als andere Gastgeber, die der Außenminister schon besucht hat, auch nicht dagegen sperren. Kuba hat gerade bei der Frage der Meinungsfreiheit weiter Defizite. Aber man muss doch mal die Kirche im Dorf lassen. Wir müssen nur mal schauen, zu wem Deutschland beste Beziehungen pflegt, obwohl dort von Meinungsfreiheit nun wirklich nicht die Rede sein kann. In Kuba ist das zudem nicht Thema Nummer eins, wie mir auch Jaime Ortega, der Erzbischof von Havanna, in einem Gespräch erklärte. Vor allem aber sehe ich mehr Sinn darin, dem kubanischen Staat einen Wissenstransfer in Form eines Austauschs auf Augenhöhe anzubieten, dort, wo er einen Mangel an zivilgesellschaftlichen Lösungsstrategien für Probleme hat. Wenn sich das als eine mittelfristige Folge dieser Reise ergibt, werde ich es unterstützen. Welche Rolle spielt Kuba in Ihrer Arbeit als Bundestagsabgeordneter aktuell, und wofür möchte Sie sich einsetzen? Wie eben erwähnt, bin ich der zuständige Haushaltspolitiker der LINKEN für die beiden internationalen Etats. Das bietet mir die Möglichkeit, mich für ganz konkrete Formen der deutsch-kubanischen Zusammenarbeit einzusetzen. Ich bin ohnehin für das Machbare. Das entspricht auch den Bedürfnissen der kubanischen Partner, wie mir gemeinsame Projekte deutlich machen. Manchmal reicht es auch, einfach Kontakte herzustellen. In Kuba wurde beispielsweise 2011 ein Kleinkreditprogramm gestartet, das weiterentwickelt wird. Durch meine Vermittlung berät der ostdeutsche Sparkassenverband jetzt die kubanischen Banken über die Sparkassenstiftung für internationale Kooperation bei dem Thema. Wenn diese Zusammenarbeit Kuba nützt, bin ich sehr zufrieden. • Die Fragen stellte Leon Renner.


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Kleider machen Leute. Aber wer macht eigentlich meine Kleidung? „Wer macht meine Kleidung?“ Mit dieser Frage macht die Kampagne für Saubere Kleidung auf die zum Teil schrecklichen und lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken in Niedriglohnländern Osteuropas und Asiens aufmerksam, wo die Textilproduktion fast ausschließlich stattfindet. Dort lassen sich Verhältnisse beobachten, die noch heute Marx und Luxemburg als Vorlage für die Geschichte des Kapitalismus dienen könnten. Seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit der Thematik und habe bei meiner vergangenen Dienstreise der Deutsch-Südasiatischen Parlamentariergruppe den Besuch in mehreren Textilproduktionsstätten durchgesetzt. Während des Besuchs trafen wir auch auf die Fabrik in Karatschi der Ali Enterprise, die Ende 2012 ausbrannte und dadurch für mediale Aufregung sorgte. In der Fabrik wurde vornehmlich für den Textildiscounter KiK gefertigt. Bei dem Brand kamen 260 Beschäftigte ums Leben, zum Großteil Näherinnen. Besonders tragisch: Die Notausgänge waren verschlossen, die Fenster vergittert – weil die Mitarbeiterinnen nichts stehlen sollten. Bis heute haben die Angehörigen keine Entschädigung erhalten. Deshalb klagen nun ein Überlebender und drei An-

Der Schelme (und Schelminnen) gibt es offensichtlich sehr viele, zumindest wenn es darum geht, Wirklichkeit und Wahrnehmung von sexueller Vielfalt in der Gesellschaft in Übereinstimmung zu bringen. BILD bildet da zum Beispiel in besonderer Weise: „Linke kämpft für mehr Schwul-Unterricht“. Das war eine Überschrift in der Dresdner Ausgabe vom 10.06.2015. „Schwul-Unterricht“? Was war geschehen? Der Untergang des Abendlandes sollte im Sächsischen Landtag heraufbeschworen werden. Da waren sich BILD mit ihrer Überschrift und die Abgeordneten von CDU und AfD einig. Sie dachten sich unisono Böses bei einem Antrag der Fraktion DIE

gehörige seit März dieses Jahres vor dem Landgericht Dortmund auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 120.000 Euro. Eine ähnliche Katastrophe ereignete sich im April 2013 in Bangladesch im Rana Plaza Gebäude. Bei dem Einsturz des neunetagigen Gebäudes wurden 2400 MitarbeiterInnen verletzt, 1100 starben. Eine Untersuchungskommission befand damals: Einsturz wegen grober Fahrlässigkeit.

Erst im Juni kam die erfreuliche Mitteilung, dass der Opferfonds, den die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) gefordert hatte, durch eine anonyme Spende die erforderlichen 30 Millionen Euro umfasst, sodass weitere Zahlungen an die Angehörigen der Opfer getätigt werden können. Seit diesen Katastrophen ist die Textilbranche aufgeschreckt und langsam entwickelt sich eine Sensibilität für die Arbeitsverhältnisse der

MitarbeiterInnen in der Produktion der Textilbranche. Trotz Morddrohungen und gewaltsamen Übergriffen haben sich in den Ländern erste Gewerkschaften gegründet, zum Beispiel die Home Based Womens Workers Association (HBWWA) in Pakistan. Sie setzen sich für bessere Arbeitsbedingungen und für die Rechte ihrer Mitglieder ein und beginnen sich zu organisieren, entgegen aller Widerstände. Insbesondere für DIE LINKE

ist das ein wichtiges Thema, denn hier wird internationale Solidarität ganz praktisch: Zum einen in der Unterstützung des Aufbaus von Arbeitnehmer- und Frauenrechten, und zum andern auch als Konsument. Denn auch wir können regulatorisch eingreifen. Genauso hat aber auch die Bundesregierung eine Verantwortung: Es ist zu wenig, Lippenbekenntnisse zu geben, wie etwa vom Bundesentwicklungsminister Gerd Müller. Der glaubt, es reichte, ein Umdenken bei den Textilproduzenten zu fordern. Wir benötigen dazu gesetzliche Grundlagen. Deswegen fordert DIE LINKE, dass die Einfuhrbestimmungen von Produkten in Deutschland an die Einhaltung von Arbeitsschutzstandards geknüpft werden müssen. Außerdem muss ein Unternehmensstrafrecht eingeführt werden, damit sich die Unternehmen nicht aus der Verantwortung ziehen, sondern für die Arbeitsbedingungen haftbar gemacht werden können, wenn sie im Ausland ihre Produkte fertigen lassen. Wir haben bereits einen Antrag in den Bundestag eingebracht, damit Katastrophen wie im Rana Plaza oder in Karatschi verhindert werden, und damit MitarbeiterInnen sich gewerkschaftlich organisieren können. Caren Lay

LINKE, der die Sexualbildung in den sächsischen Schulen modernisieren wollte. Es sollte Schülerinnen und Schülern die reale Vielfältigkeit sexuellen Lebens nicht vorenthalten und auch die real längst in Frage gestellte binäre Kategorisierung der Geschlechter in Mann und Frau problematisiert werden. Wir wissen alle, dass mit den alten Erzählungen von sexueller „Normalität“ Ausgrenzungen und Diskriminierungen verbunden sind, mit zum Teil fatalen Folgen für Betroffene. Warum sollte das in der Schule nicht thematisiert werden? „SchwulUnterricht“ war da nicht vorgesehen, wohl aber zum Beispiel und unter anderem die Unterrichtung über die Realität von Schwul-Sein. Die Schelme, männlich und weiblich, wollten das aber nicht wahrhaben. Die Vermutung des Bösen, dem unsere Kinder in der Schule ausgeliefert werden sollten, trieb seltsame Blüten. „Die Schule darf nicht zum Experimentierfeld des Zeitgeistes werden“, empörte sich Herr Sebastian Fischer von der CDU. Der Be-

zug zur Wirklichkeit sexueller Vielfalt wurde als eine „ideologisch verordnete Sexualbildung an Schulen“ denunziert. Von der AfD kam die Mahnung, dass die Kinder in der Schule Rechnen, Lesen und Schreiben zu lernen hätten und das Abfassen sprachlich korrekter Bewerbungsschreiben. Ihre Sexualität sollten sie aber selbst

ihrer Sexualität alleine zu lassen, mit all den frühen Überraschungen, aber auch Nöten, verqueren Phantasien und Schuldgefühlen, sie letztlich der Aufklärung auf der Straße und tollpatschigen Ersterlebnissen mit sich selbst und anderen zu überantworten. Das war Zeitgeist vor noch nicht allzu langer Zeit und sehr wohl auch Unterrichtsprinzip in den Schulen. „Schwul-Unterricht“? Wenn es den überhaupt geben kann, dann fand er in einem anderen Typ Schule statt. Es wird sich im Osten Deutschlands kaum noch wer vorstellen können, wie es in Knaben-Schulen (und sicher auch in Mädchen-Schulen) zuging. Ich habe 12 Jahre KnabenSchule durchlaufen. Dort wurde in der Pubertät Homosexualität zum heimlichen Notprogramm heterosexuell veranlagter Menschen, was übrigens der Diskriminierung von Homosexualität auch noch Vorschub leistete, weil die Heteros ihre Ausflucht als „beschämend“ und ihren eigentlichen Sehnsüchten widersprechend empfanden. Liebe Leute von CDU und AfD und

BILD, habt ihr denn übersehen, dass es eine Entwicklung gibt: Ehebruch (einst § 195 StGB) ist längst nicht mehr strafbar. Hoteliers müssen gemeinsam übernachtende Paare nicht mehr nach der Eheurkunde fragen, weil sie sich ansonsten des Verdachtes der Kuppelei aussetzten. Der § 175 StGB, der sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte, existiert nicht mehr. Aber Frau Andrea Kersten von der AfD sagt: „Die Ideologie ,Gender‘ ist durch die Bürgergesellschaft nie legitimiert worden“. Natürliches Geschlecht unterliegt aber sozialer Prägung, und ist auch soziale Konstruktion, die an der Realität der eigenen sexuellen Einordnung von Menschen vorbeigehen kann. Frau Kersten aber schließt (mit Christian Morgenstern) „messerscharf – (dass) nicht sein kann, was nicht sein darf.“ Eine Schule, die so an die Welt herangeht, sollten, nein müssen wir unseren Kindern wirklich ersparen. Das gilt übrigens nicht nur für die Sexualität!

Ein Schelm, der Böses dabei denkt ... entdecken. Auweia! Das tut wirklich weh! Rechnen, Schreiben, Lesen – das ist Zeitgeist der Kaiserzeit. Mehr war für Untertanen und künftige Soldaten damals nicht nötig. Befähigung oder gar Ermutigung zu einem selbstbestimmten Leben war gleichgestellt mit Gotteslästerung. Sexualität dient einzig der Fortpflanzung. Lust ist Sünde! „Die Sexualität selbst entdecken“ – das heißt doch letztlich die Kinder und Jugendlichen mit


Hintergrund

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Revolutionen im Zeugenstand Matthias Middell erörtert neue Positionen der Geschichtsforschung „Tut mir leid, Jungs“, entschuldigt sich Karl Marx, „war halt nur so ʼne Idee von mir“. Ronald Beiers berühmte Karikatur galt dem Bruch mit dem Kommunismus. Hätte Marx heute auch seine Metapher, Revolutionen seien Lokomotiven der Geschichte, revidiert? Selbstredend, war sich die vierte Jour fixe-Runde der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Leipzig einig. Doch drängte es die 35 Beteiligten, von ihrem Gast Matthias Middell über das veraltete Bild hinaus aktuelle Positionen der neu aufgeflammten internationalen Forschungsdebatte rund um das Phänomen Revolution zu erfahren. Moderator Manfred Neuhaus hatte die Weichen schon auf Disput gestellt, indem er Walter Benjamin zitierte: „...aber vielleicht ist dem gänzlich anders, vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse?“ Der Direktor des Global and European Studies Institute der Universität Leipzig hütete sich, diese Gretchenfrage mit eigenem Topos zu beantworten. Er sei kein Revolutionstheoretiker, sondern nähere sich vergangenen sozialen Umbrüchen als „gelernter“ Historiker. Mithin auf den Spuren seiner akademischen Lehrer Walter Markov und

Manfred Kossok, den Großen der vergleichenden Revolutionsgeschichte. In diesem Geist enthüllte er dem Auditorium, was Geschichtsforschung heute über Revolutionen denkt. Die zum Teil überraschenden (empirischen) Befunde, die in der anschließenden Diskussion zwölf Redner auf den Plan riefen, können hier nur thesenartig angerissen werden. So konstatierte Middell (immer an realen Beispielen), dass die Zeiten allgemein anerkannter Definitionen für Revolution, „wie wir sie kannten“, seit den 1990er Jahren vorbei seien. Das gelte selbst für 1789 (Middell hatte auf dem 21. Welthistorikerkongress 2010 in Amsterdam – Leitthema „Geschichte für eine Welt“ – eine „neue Lektüre“ der Französischen Revolution im Rahmen einer Globalgeschichte des 18. Jahrhunderts gefordert – d. A.). Der 1989 als „friedliche Revolution“ benannte gesellschaftliche Umbruch in der DDR habe es schon deshalb als Begriff schwer gehabt, in der Wissenschaft Fuß zu fassen, weil sich die Akteure selbst nicht als Revolutionäre verstehen wollten. In der politischen Erinnerungskultur erlebte der Begriff nach 2009 eine Renaissance, gerichtet gegen den unverbindlichen „Wende“-Terminus. Middell skizzierte auch das wechselhafte Interesse internationaler Forschung am Revolutionsthema. Auf dem XIV. Welthistoriker-

kongress 1975 in San Francisco habe es letztmalig ausdrücklich auf der Agenda gestanden. Die 22. Auflage dieses Forums in diesem Jahr in China werde sich aber wieder mit „Revolutionen in der Weltgeschichte“ befassen. Gleichzeitig mit dieser neu-

Bei allen Kontroversen zeichneten sich jedoch einige konforme Sichten ab: Revolutionen schaffen neue Rechtsordnungen (Marx) und Raumgebilde innerhalb einer Gesellschaftsformation. Revolutionen sind weder vorhersag- oder herbei-

erlichen Aufmerksamkeit sei die Klarheit darüber, „was eine Revolution ist, den Bach runtergegangen“. Heute würden sehr unterschiedliche soziale Bewegungen schnell dafür ausgegeben.

führbar. Sie ereignen sich als Eruptionen, die in sozialen Imbalancen gründen. Aber, wie bereits von Kossok angedacht, nie in einem Land allein, sondern „in Bündeln“, in globalen Zyklen. Nach Middell bedeuteten diese

Sichten eine Absage an die politische Wissenschaft, aber auch an Geheimdienste, wie man Revolutionen „machen“ könnte. Sie seien auch ein Weckruf an jene Parteien, „die auf der Lauer liegen, wie Revolutionen auszulösen sind, wenn ihnen die Bedingungen günstig erscheinen“. Auch die größten Revolutionäre der Geschichte seien überrascht gewesen, wenn Revolutionen passierten. Lenin zum Beispiel hätte sie (wie Marx und Engels) am ehesten in Westeuropa erwartet. Zwei Anmerkungen waren dem Revolutionshistoriker noch wichtig. Erstens, angelehnt an Markovs Marx verpflichtetem Begriff der „heroischen Illusion“: Jegliches romantische Revolutionsverständnis endet praktisch in programmierter Enttäuschung. Und zweitens: „Gewalt muss Revolutionären nicht peinlich sein, doch die entscheidende Frage heißt, wie findet Revolution aus Gewalt wieder heraus?“ Abschließend legte Middell zwei Tendenzen akademischer Forschungsdiskussionen zur Sinnstiftung von Revolutionen dar. Während an der Sorbonne Revolutionen als weitere Durchsetzung des 1789er Republikanismus verstanden werde, betrachtet Harvard die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 als Prototyp aller folgenden Revolutionen. Wulf Skaun

shirt, buschiger Rübezahlbart, John-Lennon-Brille, lange graue Haarmähne) konnte es ihm hin und wieder passieren, dass er bei seinen eigenen Lesungen ausgesperrt blieb. Rowohlt: „Ich werde jetzt bei meinen eigenen Lesungen reingelassen und an der Tür nicht, wie mir das dreimal im Literaturhaus Hamburg passiert ist, mit der Bemerkung abgewiesen: Hier ist heute Dichterlesung!“ Wenn er längere Dialogpassagen aus Romanen oder Erzählungen vortrug, begnügte er sich für gewöhnlich nicht damit, mit seiner Stimme und fürsorglich gesetzten Pausen für die Zuhörer die jeweils sprechende Figur kenntlich zu machen, sondern führte ein beeindruckendes Einpersonendrama auf, bei dem er sämtliche Rollen spielte, Regie führte und obendrein gekonnt improvisierte. All das tat er im Sitzen, ausgestattet nur mit seiner Stimme und einem kleinen Repertoire an Gestik und Mimik. Kurz: Der Mann war in jeder Hinsicht eine Attraktion, eine Naturgewalt. Rowohlts berühmte Übersetzungen der ärgerlicherweise bis

heute als „Kinderbücher“ missverstandenen Literaturklassiker „Pu, der Bär“ von A. A. Milne und „Der Wind in den Weiden“ von Kenneth Grahame etwa können als Geniestreiche gelten, denn Rowohlt hat, dank seines einzigartigen Talents als Übersetzer und seiner großen Liebe zur Sprache, nicht nur den bloßen Inhalt der Originale ins Deutsche übertragen. Ihm ist gelungen, was nur wenigen gelingt: die deutsche Fassung eines Werks so geistreich, so frisch klingen zu lassen, als handele es sich um das Original. Ein verbissener Dogmatiker und Parteigänger war der Mann nie. Als er einmal in einem Telefoninterview nach seinem Musikgeschmack befragt wurde, antwortete er: „Country“, woraufhin die Fragestellerin, Redakteurin einer linken Zeitung, zurückgab: „Wir Kommunisten mögen keinen Kitsch.“ Darauf wiederum Rowohlt: „WIR Kommunisten aber schon.“ Am 15. Juni ist Harry Rowohlt in Hamburg, wo er las und lebte, gestorben. Thomas Blum / neues deutschland

Früher war mehr Betonung! Viele dürften den rauschebärtigen gutmütigen Gesellen mit der imposanten Brummbärstimme nur als „Penner Harry“, der von 1995 an in der Vorabendserie „Lindenstraße“ zu Wort kam, gekannt haben. Doch die eigentliche Berufung des Schriftstellers, langjährigen „Zeit“-Kolumnisten und Übersetzers war zeitlebens eine andere: die Literatur, und zwar zumeist die vom deutschen Literaturbetrieb jahrzehntelang so sträflich vernachlässigte und belächelte komische. Die las er, liebte er, übersetzte er, kommentierte er. Ihr lieh er die Unzahl von Tonfällen, Dialekten, Sprechweisen, zu denen er mit seiner unfassbaren Stimme fähig war, die diversen Klangnachahmungstechniken und onomatopoetischen Knalleffekte, die er draufhatte, nicht zu vergessen. Bei seinen öffentlichen Auftritten als Vortragskünstler und Rezitator konnte Rowohlt so wirkungsvoll brüllen, dass die Wände vibrierten, und innerhalb von Sekun-

denbruchteilen das schüchterne Antwortfiepen einer Maus hinterherschieben. Die Karriere des – so einer seiner Verleger – „nicht immer ganz einfachen“ Kauzes Harry Rowohlt, Sohn des Verlegers Ernst Rowohlt, war nicht so verlaufen, wie ursprünglich vorgesehen. Sein Vater hatte für ihn eine Laufbahn im Verlag geplant. Doch der Sohn, der zum berühmten Vater ein gespann-

Bild: Kotofeij K. Bajun / Wikimedia Commons / CC BY 3.0

Der Schriftsteller, Übersetzer und Vortragskünstler Harry Rowohlt war eine Naturgewalt

tes Verhältnis pflegte, schlug das Erbe aus, verkaufte seinen Anteil am Verlag und wurde freischaffender Intellektueller. Er übersetzte die Werke zahlreicher Künstler, die vom Betrieb

gern als literarische Außenseiter und Sonderlinge eingestuft wurden, mit einer geradezu obsessiven Genauigkeit, etwa die Comics des UndergroundZeichners Robert Crumb, das Prosawerk des bis heute missachteten irischen Kolumnisten und Schriftstellers Flann O’ Brien, die Erzählungen des USamerikanischen Satirikers Kurt Vonnegut, die Gedichte des vergessenen Songschreibers und skurrilen Lyrikers Shel Silverstein. Einige seiner an die 170 Übersetzungen wurden Bestund Longseller. Darüber hinaus war Rowohlt berühmt für seine Lesungen, die er oft gemeinsam mit gleichgesinnten Schriftsteller- und Journalistenkollegen absolvierte. Zu seinen besten Zeiten waren drei- bis sechsstündige Lese-, Gesprächs- und Quatschsitzungen, bei denen reichlich irischer Whisky die Kehlen hinabfloss, reichlich Witze gemacht wurden und bei denen in der anwesenden Zuhörerschaft nicht eine einzige Minute Langeweile aufkam, keine Seltenheit. Aufgrund seiner späthippiesken Erscheinung (Jeans und lässiges Ringel-


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Sein und rechtes Sollen die Sozialdemokraten (SPÖ), die knapp vor den Konservativen (ÖVP) und eben der FPÖ die Wahlen gewonnen hatten, eine Koalition mit der FPÖ ein. Das bringt der SPÖ derzeit eine Zerreißprobe. Der SPÖ-Bürgermeister von Wien, wo im Herbst Wahlen anstehen, hält die Koalition für einen Fehler und distanzierte sich deutlich, wie nicht wenige in seiner Partei, von diesem Bündnis. „Grenzkontrollen

erdings wurde jedoch eine unglaubliche, in ihrem Zynismus kaum mehr zu übertreffende Steigerung Realität: Die steirische Landeshauptstadt Graz erlebte am 20. Juni eine fürchterliche Tragödie. Die Stadt ist bunt, sie besitzt südländisches Flair und zeigt Bodenständigkeit, ist steirisch und weltoffen zugleich. Studierende aus vielen Ländern machen sie jung. Dazu kommen aus den unterschied-

bürger bosnischer Herkunft, war seine prompte Botschaft: „Wahnsinnstat in Graz! Der Täter ist aus Bosnien. Ein religiös begründetes Attentat wird nicht ausgeschlossen.“ „Wird nicht ausgeschlossen“ – von wem eigentlich? Wie sich herausstellte, nur von Strache und einem Journalismus, der seine Instrumentalisierung des unendlich Tragischen subtil unterstützt. Der 26-jährige WahnsinnstäStrache (FPÖ)

Bild: Thomas Prenner from Vienna, Austria / Wikimedia Commons / CC BY-SA 2.0

Wir müssen es zur Kenntnis nehmen: Gerade in den wohlhabenden europäischen Ländern wie vor kurzem in Dänemark, in Österreich, in Frankreich oder Finnland, aber auch in Ungarn und nicht zuletzt auch bei uns feiern rechtspopulistische, nationalistische, ausländerfeindliche, antiislamische Parteien und Bewegungen bei Wahlen und auf der Straße Erfolge. Übersehen kann man dabei nicht, dass die rechten Agitatoren Ängste schüren, die angesichts zuvor lange nicht gekannter Flüchtlingsströme nach Europa bei nicht wenigen aufkommen. Das Buhlen um die Ängstlichen und das irrationale Bestätigen ihrer Ängste hat System. Eine Partei, die „Freiheitliche Partei Österreichs“ (FPÖ) heißt, tut sich in dieser Sache besonders hervor, ist Vorbild für ähnliche Parteien in anderen Ländern, entwickelt unheilvolle Initiativen auch auf europäischer Ebene. Der jüngst erfolgte Zusammenschluss einschlägiger Parteien zu einer Fraktion im Europaparlament geht maßgeblich auch auf diese Partei zurück. Sie nennt sich gerne „soziale Heimatpartei“. Mit Losungen wie, „Fremd im eigenen Land“, „Heimat und Werte erhalten“ oder „Heimatland in Heimathand“, suggeriert sie Heimatverlust und zumindest Gefahr für Hab und Gut durch Überfremdung. Bei den Gemeinderatswahlen in der Tiroler Hauptstadt Innsbruck verstieg sich der Spitzenkandidat der FPÖ auf seinem Plakat zu dem Spruch, „Heimatliebe statt Marokkanerdiebe“. Das Plakat musste auf Initiative der marokkanischen Botschaft eingezogen werden. Mit Forderungen wie „Wohnungen statt Moscheen“ oder „Grenzkontrollen sofort“ hat diese Partei bei Landtagswahlen in den österreichischen Bundesländern Steiermark und Burgenland kürzlich ihre Stimmenanteile fast verdreifacht. Im Burgenland gingen daraufhin

sofort“, brachte der FPÖ den Erfolg im Burgenland mit seiner Grenze zu Ungarn. Gerade die Öffnung dieser Grenze wurde 1989 bejubelt und läutete das Ende des „Staatssozialismus“ in Europa ein. Ein neuer „Eiserner Vorhang“ wird gerade mit österreichischer Hilfe zwischen Ungarn und Serbien errichtet. In der Steiermark musste der Wahlsieger SPÖ den Posten des Landeshauptmannes (vergleichbar unseren Ministerpräsidenten) an die zweitstärkste ÖVP abgeben, um eine Koalition ohne FPÖ zu retten. Halbherzige Politik bereitet den Boden für den Erfolg. Ein einschlägiger Journalismus steht den Angstmachern der FPÖ zur Seite. So weit, so schlecht! Neu-

lichsten Gründen Zugewanderte. Die Stadt ist sichtbar multikulturell, ohne ihr traditionelles Gesicht auch nur im Ansatz verloren zu haben, und in der Mehrheit ihrer Bewohner erfreulich tolerant. In dieser Stadt tobte an besagtem Tag ein Amokfahrer mit seinem Auto durch die samstäglich belebte Innenstadt. Er hinterließ ein Schlachtfeld, drei Tote (eine Frau, ein Mann und ein vierjähriges Kind) und 36 zum Teil schwer Verletzte. Die Stadt stand und steht unter Schock. Ein Heinz Christian Strache, seines Zeichens Bundesvorsitzender der FPÖ, nutzte jedoch die Gunst der Stunde. Als – warum eigentlich? – gemeldet wurde, der Amokläufer sei österreichischer Staats-

ter war in Bosnien geboren, aber bereits im Alter von vier (!) Jahren mit seinen Eltern auf der Flucht vor dem Krieg in Jugoslawien nach Österreich gekommen. Die Motive für die Tat lagen offensichtlich in unbewältigten familiären Problemen. Das meldeten die Ermittlungsorgane und alle seriösen Medien. Ob sie in voller Absicht und wütend geplant begangen wurde oder psychotisch gelenkt war, blieb auch in der Woche danach noch offen. Die in diesen Dingen niemals zimperliche „Kronen-Zeitung“ beförderte jedoch in ihrer Berichterstattung eine andere Richtung: „Laut derzeitigem Ermittlungsstand ist der 26-jährige Amoklenker zwar kein Mitglied einer Isla-

nen. Ein erster wichtiger Weg ist das neu eingeführte Digitalabo. Jedes Exemplar, das wir nicht in Printform zustellen müssen, spart bares Geld. Deshalb würden wir uns sehr über mehr Digital-Abonnent*innen freuen. Jetzt kostenlos bestellen: www. links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder 0351-84 38 9773. Eine zweite Säule sind Spenden, die stets helfen, obwohl unsere Zeitung kostenlos bezogen werden kann. Jeder Euro zählt! Schon mit einer Jahresspende von 12 Euro helfen Sie und

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mistengruppe, doch sein blindwütiges Vorgehen gegen völlig unbeteiligte Passanten trägt leider auch die schreckliche Handschrift von DschihadistenEinzelkämpfern“ (12. Juni, S. 5). Der Verdacht ist eröffnet! Jetzt kann es munter weitergehen. Man erinnert an eine Großaktion der österreichischen Polizei im Herbst des Vorjahres, als in mehreren Städten Österreichs, so auch in Graz, eine Großrazzia gegen die „Islamistenszene“ (Deckname „Palmyra“) stattfand. „Noch kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem gebürtigen Bosnier um einen ,Schläfer‘ ... handelt ...“. Man sichert sich freilich ab und bestärkt zugleich den Verdacht: „Fix ist nur, dass der Amoklenker NICHT zu den Verdächtigen im Islamisten-Fall ,Palmyra‘ zählte“ (ebenda). Sonst ist aber wohl alles möglich? Am Tag darauf legte man nach: „Alen R. soll neue Freunde kennengelernt haben und öfters in eine Moschee gegangen sein“ (22. Juni, S. 11). Die Absicherung folgt wieder auf dem Fuß: „Dass er dort radikalisiert worden ist, ist Spekulation“ (ebenda). Möglich ist aber bei solchem Umgang alles: „Die Diagnose, er könnte unter einer Psychose leiden, beruht auf der Vermutung einer Polizeiärztin“ (ebenda). Was weiß die schon? Das fügt sicher so mancher und manche in Gedanken hinzu. Leserbriefe und viele Kommentare zur Berichterstattung in der Internetversion der Zeitung bestätigen dies: „... und wenn es doch Terror war und die uns nur beruhigen wollen ...?“; „Soll“, „zwar“, „wenn“, „doch“, „leider“, „nur“ ...“; vorsichtshalber also doch „Ausländer raus!“? – Die giftige Soße ist angerührt. Wer alle unsere Mitmenschen mit ausländischer Herkunft unter Generalverdacht stellt, bekämpft tatsächlich bedrohlichen Terrorismus nicht, sondern treibt ihm Menschen in die Arme, zumal wenn sie persönliche Probleme haben. Peter Porsch

Liebe Leserinnen und Leser! Es liegt wohl in der Natur der Sache, dass solche Artikel von niemandem gerne geschrieben werden. Es geht um ein Thema, das wir zwecks Steigerung unserer Lebensqualität im Alltag gern links liegen lassen: Geld. Allerdings gelingt uns das mit Blick auf die Finanzierung unserer Zeitung, die nunmehr seit 2011 und völlig in ehrenamtlicher Arbeit erscheint, derzeit nicht mehr. Wir begegnen als herausgebender Verein in diesem Jahr einem

Finanzloch, das vor allem aus der Umstellung unserer Vertriebsstruktur resultiert. Durch den standardmäßigen Postversand unter anderem an alle Mitglieder der sächsischen LINKEN erhöhen und sichern wir unsere Reichweite, vor allem im Vergleich zum vorherigen Verteilsystem über Geschäftsstellen und Bürgerbüros im Freistaat. Wir suchen nunmehr, neben den Finanzierungsanteilen unserer einlegenden Partnerinnen und Partner, nach zusätzlichen Einnahmequellen, um die Zukunft des Projekts absichern zu kön-

Bild: Elke Fahr

In eigener Sache Auch ein dritter Weg ist für uns, in begrenztem Umfang, vorstellbar: Das Schalten von Werbeanzeigen für politische Zwecke, die unserer redaktionelle Linien mindestens nahestehen. Sollte unsere deutlich fünfstellige Reichweite interessant sein, freuen wir uns gern über entsprechende Anfragen über die im Impressum genannten Kontaktwege. Wir danken Ihnen und Euch sehr herzlich für jegliche Unterstützung! Ihre/Eure Redaktion, im Namen aller einlegenden Partnerinnen und Partner


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Kreatives Sachsen Als Erfinder des Begriffes der Kultur- und Kreativwirtschaft gilt der kanadische Professor Richard Florida. Er hat mit dem Buch „Der Aufstieg der kreativen Klasse“ den Grundstein für eine neue Betrachtung der Industriebranchen gelegt. Er hat Menschen, deren Beruf „Kreativ-Sein“ ist, als eine Gruppe zusammengefasst. Er konnte darlegen, dass diese, egal, ob sie beispielsweise als Designer*in, als Programmierer*in, in der bildenden Kunst oder als Autor*innen arbeiten, gleiche Voraussetzungen für ihre Kreativität benötigen: Technologie, Talent und Toleranz. Wo diese drei Dinge gepflegt werden, fühlen sich Kreative wohl und siedeln sich an. Ansonsten ziehen sie schnell wieder weg. Ihre Arbeitsweise unterscheidet sich von denen der Industriearbeiterschaft und anderer Dienstleister. Kreativität kann nicht auf Knopfdruck abgerufen werden, sondern braucht Inspiration. Dementsprechend sind Arbeitszeiten, Arbeitsorte und -methoden teilweise völlig anders.

Die Soziologin Dr. Alexandra Manske brachte in ihrem Vortrag die besondere Ambivalenz der Kultur- und Kreativwirtschaft zum Ausdruck. Einerseits sind die Kreativen froh, ihr Talent nutzen zu können und sich dadurch selbst zu verwirklichen. Andererseits tun sie dies in der Regel in einem selbstausbeuterischen Geschäftsmodell und leben dauerhaft prekär. Das ist kein Zufall, da im postfordistischen Kapitalismus die Arbeitsbedingungen generell neu definiert werden. Den klassischen Arbeiter, der gelernt hat, sich selbst zu organisieren, gibt es hierzulande immer seltener. Dagegen steigt die Anzahl derjenigen, die 24 Stunden am Tag zur Verfügung stehen, beweglich sind, sich über ihre Tätigkeit freuen und bereit sind, zu den schlechtesten Konditionen zu arbeiten. So stellen die Kreativen ein Rollenmodell der Arbeiter*in im modernen Kapitalismus dar. Doch obwohl diese Erkenntnis langsam immer klarer wird, stellt sich die Frage: Wovon sollen Künstler*innen leben? Diese Frage war der Ausgangspunkt der zweiten Veranstaltung, bei der Prof. Schieferdecker vom Künstler-

bund Dresden und der Filmemacher Ralf Kukula eingeladen waren. Beide schilderten den Kampf des kreativ Tätigen auch durch verschiedene biographische Phasen hindurch. Interessant waren dabei die unterschiedlichen Erfahrun-

schieden zwischen den Bedingungen von Kreativen in den urbanen Zentren und im ländlichen Raum. Natürlich gibt es dort ebenfalls eine vielfältige Szene. Dr. Sönke Friedreich vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde

gen in der DDR, der unmittelbaren Nachwendezeit und heutzutage, nach dem Ende der Geschichte. Heutzutage ist der künstlerische oder kreative Beruf mehr denn je mit Risiken behaftet. Altersarmut könnte in dieser Branche zum Massenphänomen werden. Für den letzten Termin fuhren die Veranstalter nach Schneeberg und fragten nach Unter-

konnte darlegen, wie das traditionelle erzgebirgische Kunsthandwerk schon lange, aber eben anders als in der Stadt, ein wirtschaftlicher Faktor ist. Den drei T von Richard Florida stellte er ein viertes, das der Tradition, zur Seite. Der Bildhauermeister Harmut Rademann aus Schwarzenberg schilderte eindrücklich seinen Versuch, zwischen kommer-

Grafik: Michael Kremer alias „Spacke“

Resümee zur Veranstaltungsreihe Kultur- und Kreativwirtschaft in Sachsen der Rosa-Luxemburg-Stiftung

ziell verwertbaren Ideen und Selbstverwirklichung authentisch zu bleiben. Der ländliche Raum hat also besondere Schwierigkeiten, Kreative anzulocken, beziehungsweise zu halten. Aber gerade die Frage nach bezahlbarem Raum und inspirierenden Orten ist dort weniger ein Problem als in der Stadt. Die gesammelten Anregungen, wie politisch auf Probleme der Kreativen reagiert werden könnte, müssen aufbereitet werden. Das alternativ-kreative Milieu braucht linke Politik als Partner. Denn es geht hier um mehr als um eine große Branche. Es geht um die Blaupause, wie sich Arbeitsverhältnisse im Kapitalismus fortentwickeln können. Die Kreativen sind demnach erst der Prototyp für weitere Ausbeutungsmechanismen. Selbstausbeutung und Selbstverwirklichung gehen Hand in Hand. Nur eine Organisierung der Akteure und ein Verständnis der Ausnutzung im Kapitalismus kann zu einer Verbesserung der Arbeits- und Produktionsbedingungen führen. Linke Kreative könnten in dieser Vernetzung und Aufklärung eine Aufgabe sehen. Magnus Hecht

Ursprung und Auflösung der als klassisch geltenden Ehe Als die saarländische Ministerpräsidentin warnte, dass die Öffnung der Ehe für Homosexuelle ein Einfallstor für Inzest und Polygamie sei, regte sich berechtigterweise viel Empörung. Ging es doch offensichtlich darum, das Anliegen in den Schmutz zu ziehen. Es ist ein vielgenutztes rhetorisches Mittel, eine Sache zu diskreditieren, indem man sie mit anderen als verwerflich geltenden Sachen in Zusammenhang bringt. Doch an zwei Punkten ist die Empörung kritisch zu hinterfragen: Was ist, wenn diese anderen Sachen gar nicht so verwerflich sind? Und was hat die Ehe damit zu tun? Viele würden nicht lange diskutieren und Inzest als komisch, unnatürlich oder gar krank bezeichnen. Außerdem ist er immer noch eine Straftat in Deutschland. Allerdings bleibt das nicht unwidersprochen. Am 24. September 2014 hat der Deutsche Ethikrat empfohlen, den einvernehmlichen Beischlaf zwischen erwachsenen Geschwistern nicht mehr als Straftat zu behandeln. Die individuelle Freiheit werde sonst grundlos eingeschränkt und einem abstrakten Familien- und Rollenbild geopfert. Zudem stehe der Vorwurf der Eugenik

im Raum, also die zweifelhafte Theorie und Praxis, in einer Population oder Gattung den Anteil positiv geltender Erbanlagen zu vergrößern und negativ geltende Erbanlagen zu verringern. Die erhöhten Gefahren der Vererbung von Krankheiten dürften allerdings, so der Ethikrat, kein Grund für ein Inzestverbot sein. Es gibt ja auch kein staatlich verordnetes SexVerbot zwischen körperlich oder geistig benachteiligten Personen oder Personen mit HIV-Infektion. Wenn es um die Weitergabe „blauen Blutes“ und vor allem des damit verbundenen materiellen Erbes ging, war vielen Adeligen der Inzest bekanntermaßen kein Gräuel. Das ist zwar kein Argument für Inzest, aber zeigt das Wesentliche. Ähnliches gilt für die Polygamie. Der Monogamie gehen – wie Friedrich Engels in „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ dargestellt hat – handfeste Eigentumsverhältnisse voraus, die auch viel älter sind als die christliche Kirche. Letztere ist nicht Ursprung, sondern nur Heiligsprechung dieser Verhältnisse, welche die jahrtausendalte Unterdrückung der Frau beinhaltet. Die Frau-

en waren durch die Schwangerschaften und das Aufziehen der Kinder tendenziell von vielen Arbeitsprozessen ausgeschlossen, was umso schwerwiegendere Isolation bedeutete, je stärker sich die Arbeitsprozesse differenzierten und je mehr durch Viehhaltung und Sesshaftwerdung an Reichtum erarbeitet werden konnte. Die damit einhergehende Entwicklung von Privateigentum spielte dabei eine entscheidende Rolle. Die Männer waren daran interessiert, dass ihre Arbeitsmittel und der damit produzierte Reichtum im Familienclan blieb, was aber durch das tausende Jahre lang geltende Mutterrecht durchkreuzt wurde. Durch die Institution der Vielehe, also die Möglichkeit, gleichzeitig mehrere Menschen zu heiraten, war die Vaterschaft unklar und nur die Mutterschaft durch den Zeugungsakt eindeutig nachvollziehbar. Konzentrierte Erbschaften bzw. die Akkumulation durch Erbe in wenigen Händen waren dadurch unmöglich. Das Interesse am Privateigentum und ihrer Eigentümer löste schließlich die polygamen Familienstrukturen auf und setzte anstelle des Mutterrechts das Vater-

recht, wonach der Vater Familienvorstand und nur seine Söhne erbberechtigt wurden. In dieser Lage drängten bzw. wurden die strukturell bereits benachteiligten Frauen auf eine ausschließlichere Form der Bindung gedrängt. Sie wurden in die Privatsphäre verbannt, die durch die sich entwickelnde Trennung zum Öffentlichen die Isolation verstärkte. Die gesellschaftlich ohnmächtigen Frauen, auch durch Frauenraub und durch die sexuelle Begierde auf Gegenstände bzw. Sklaven reduziert, hatten an der Monogamie ebenso ein Interesse wie der Mann, dem es um das Eigentum seines Vaters oder die Vererbung seines Eigentums an seine eigenen Kinder ging. Aus diesem Interessengemenge entwickelten sich auch Werte wie z. B. Treue und die Keuschheit, wobei Verstöße die Frauen meist härter trafen als die Männer, denen es gar nicht einfiel, den sexuellen Luxus der Vielweiberei aufzugeben. Vielehe und Vielmännerei verschwanden. Die Vielweiberei überlebte, mal offiziell in Form der Harems weniger Reicher, mal inoffiziell durch die ungleiche Behandlung der Geschlechter im Fall des außerehelichen Bei-

schlafs. Heißt das, dass die Polygamie gut oder schlecht ist? Muss sie sogar verboten sein? Es ist unklar, ob jeder Mensch polygam leben will oder das überall ohne Schwierigkeiten funktioniert. Das ist aber bei der Monogamie nicht anders. Kapitalistischer Rationalismus und Frauenemanzipation haben der religiösen Vorstellung der Ehe schwer zugesetzt und einige Unterdrückungsmomente bereits beseitigt. Durch Ehevertrag und Erbrecht leben aber noch immer die alten Zwecke fort. Die Öffnung der Ehe ist ein weiterer aktiver Schritt zur Auflösung derselben. Manche finden das erschreckend. Manche verstehen dahinter das notwendig gewordene Abwerfen historischer Altlasten. Aber es ist keines von beiden. Die Frauen waren lange das Opfer naturwüchsiger und gesellschaftlicher Ordnung und sind es heute immer noch. Doch selbst wenn sie als Frauen keine Opfer mehr wären, bringen die Eigentumsverhältnisse unablässig weitere Widersprüche hervor, für die Frauen seit langer Zeit die prägnanteste, aber nicht die einzige Projektionsfläche sind. Enrico Pfau


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Leo Kofler auf Vortragsreise in der Noch-DDR Der 1907 geborene Gesellschaftstheoretiker und Sozialphilosoph Leo Kofler starb vor zwanzig Jahren, am 29. Juli 1995, in seiner Wahlheimat Köln. Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen (redaktionell leicht gekürzten) Nachdruck aus dem von Uwe Jakomeit u.a. herausgegebenen Band „Begegnungen mit Leo Kofler. Ein Lesebuch“ (Köln: PapyRossa 2011). Ursprünglich erschien er in der „Frankfurter Rundschau“ am 18.6.1990. Siehe auch www.leo-kofler.de. Die steinernen Löwen, die das Hauptportal der Martin-Luther-Universität in Halle bewachen, begrüßt er beim Hineingehen wie alte Bekannte. „Von den beiden habe ich damals immer gewusst, dass sie meine Freunde waren“, sagt er schmunzelnd und überlässt es den Umstehenden, in Gedanken zu ergänzen, dass es bei den damaligen Kollegen und Studenten wohl nicht so leicht zu erkennen war, wer ihm wohlgesonnen war und wer zu denen gehörte, die ihn bespitzelten und an seiner Verweisung von der Universität mitwirkten. Von 1947 bis 1950 hatte der mittlerweile in Köln ansässige Soziologe Leo Kofler an der Hallenser Alma mater einen Lehrstuhl für Geschichtsphilosophie, bis er durch seinen eigenwilligen Umgang mit dem Marxschen Werk in Konflikt mit der Kulturbürokratie der SED geriet, seine Vorlesungen verboten wurden und er gezwungen war, das Land bei Nacht und Nebel zu verlassen. Kofler war nun auf Einladung der Universitäten in Halle und

Leipzig und der Akademie der Wissenschaften in Berlin zum ersten Mal seit seinem unfreiwilligen Weggang wieder in der DDR. Nach der Rehabilitierung von Ernst Bloch, Robert Havemann, Walter Janka und anderen ist damit auch Leo Kofler, der als einer der ersten mit seiner radikalen Kritik an dogmatischer Starre und bürokratischer Enge angeeckt und in Ungnade gefallen war, in der Erinnerung der DDR-Gesellschaft wieder aufgetaucht. Die späte Aufarbeitung seines Falles ist immerhin noch so rechtzeitig angegangen worden, dass der 83-jährige sie bei bester Gesundheit und ungebrochener Lust am „Anecken“ erleben konnte, denn unbequem ist seine Berufung auf Marx jetzt fast schon wieder genauso wie damals, wenn auch aus anderen Gründen. Eine wehmütige Feierlichkeit war dadurch ebenso ausgeschlossen wie eine triumphierende Abrechnung mit den alten Gegenspielern. Koflers Referat vor ca. 200 Zuhörern und die anschließende Diskussion waren unverkennbar auf die Gegenwart bezogen, auch wenn mit dem Thema „Sozialdarwinismus, Religion und Humanphilosophie“ eher theoretische Grundfragen angesprochen waren. Wer allerdings einmal miterlebt hat, wie Kofler seine Vorträge mit Beispielen aus Romanen und Gedichten oder persönlichen Anekdoten anreichert, wie er mit sonorer Stimme unvermutet ein altes Arbeiterlied vorträgt, um einen sinnlichen Eindruck von der sozialistischen Bewegung im Wien der 1920er Jahre zu geben, wie er ins ver-

dutzt-amüsierte Publikum lacht und gleich darauf heftige Attacken gegen die Verkommenheit der entfremdeten Gesellschaft reitet, der kann sich gut vorstellen, dass diese Art

für die Einladung der Universität an Kofler eingesetzt hatte, war die alte Personalakte durchgegangen und berichtete beim Abendessen von dem aufgeregten Briefwech-

der Marx-Interpretation der Parteibürokratie nicht behagte. Die allseitige Entwicklung der Persönlichkeit, die „ReErotisierung des Menschen“ – wie Kofler formuliert – ist für ihn nicht bloße Phrase. Professor Gerlach vom Institut für Philosophie, der sich

sel zwischen Ministerium und Fakultät, den der „Fall Kofler“ damals auslöste. Immer wieder wird darin moniert, Kofler halte sich nicht an die vorgeschriebenen Lehrinhalte. In der Presse tauchte schließlich neben dem Vorwurf des Idealismus das gefährliche (und

unbegründete) Verdikt des „Trotzkismus“ auf; es kam zu einer öffentlichen Auseinandersetzung mit dem späteren Parteisekretär Kurt Hager. Kofler erinnert sich: „Hager hielt mir vor, ich sei ein Träumer, der die Partei auf Abwege bringe. Darauf war ich vorbereitet und zog als Antwort ein Buch aus der Tasche, das ich schon an der entsprechenden Stelle aufgeschlagen hatte. Ich zitierte eine Stelle, in der das Träumen als notwendige und vorwärtsweisende Kraft beschrieben wird. Nachdem ich vorgelesen hatte, nannte ich ohne weiteren Kommentar den Namen des Autors: Lenin! Es gab einen Riesenapplaus, die Versammlung war zu Ende.“ Zu Ende war damit vorläufig auch die Karriere des Universitätsprofessors Leo Kofler. Kofler erzählt von diesen Ereignissen ohne Bitterkeit, allerdings mit einer Leidenschaft, die die Heftigkeit der damaligen Auseinandersetzungen spürbar werden lässt. Auch diese Leidenschaftlichkeit entspringt seinem Verständnis von Gesellschaftstheorie. Nicht zufällig schließt er deshalb den Vortrag in Halle mit einem seiner Lieblingszitate: „Die Kritik ist keine Leidenschaft des Kopfes, sie ist der Kopf der Leidenschaft.“ Wenn man Kofler diesen Satz aussprechen hört und dabei noch einmal die Repräsentanten der vergangenen Staatsund Parteimacht wie Ulbricht, Honecker, Hager Revue passieren lässt, könnte man fast vermuten, Karl Marx sei in der DDR ein unbekannter Autor gewesen. Uwe Jakomeit

Baustein für LINKE Strategie: Frieden und Abrüstung Friedenspolitik und Abrüstung gehören zum sog. „Markenkern“ der LINKEN. Bisher bewegte sich unser landespolitisches Engagement hierzu auf der Ebene des außerparlamentarischen symbolischen und des Solidar-Handelns mit Initiativen und Körperschaften des bürgerschaftlichen Engagements bei Organisation und Teilnahme von öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen. Mit der Gründung der Schnellen NATO-Eingreiftruppe haben wir hier in Sachsen direkt und unmittelbar das Problem des Ausbaus der Militärstrukturen der EU in Form des Panzergrenadierbataillons 371 in Marienberg, das zum Kern dieser NATO-Eingreiftruppe gehört. Europäische Militärpolitik ist damit unmittelbar Gegenstand von Landespolitik geworden. Bisher enthält der

Entwurf eines Leitantrags an den 12. Landesparteitag hierzu (noch) nichts. Ich bin aber der Meinung, dass wir dazu schnell nicht nur eine Position brauchen, sondern auch ein Handlungskonzept als Strategiebestandteil. Das bedeutet, dass wir dazu unmittelbar und schnell die innerparteiliche Diskussion führen sollten. Wollen wir, DIE LINKE Sachsen, die Schnelle NATO-Eingreiftruppe in Sachsen? Meine Position dazu ist klar: Wir dürfen sie nicht wollen. Dann aber braucht es ein kommunizierbares alternatives Standortkonzept. Meine Überlegungen gehen in Richtung Konversion des Standortes gekoppelt an einen Plan zur Stärkung der zivilen Wirtschaftskraft in der Region. Das kann z. B. dadurch geschehen, dass die Bundesmittel zur Unterhaltung des

Militärstandortes für die Stadt und die Region erhalten bleiben und ein THW-Standort in gleicher Größenordnung aufgebaut wird. Bei gleichem Beschäftigungspotential für die Region könnte das u. U. sogar weniger Kosten verursachen, da ziviles Gerät meist preisgünstiger ist als Militärgerät. Damit könnte Deutschland seine schlechte Bilanz bei der bisherigen Nichterfüllung seines Beitrages zum UN-Entwicklungshilfeprogramm aufbessern (0,7 % BIP, bisher nur ca. 0,4 % erreicht). DIE LINKE Sachsen müsste dazu einen Plan parlamentarischer und außerparlamentarischer Initiativen erarbeiten und diese starten, um eine öffentliche Debatte zu befördern. Ein weiterer konkreter landespolitischer Beitrag zur Friedenspolitik der LINKEN Sach-

sen wäre ein „Rüstungs- und Militäratlas Sachsen“, in dem in Sachsen tätige Zulieferer und Produzenten von Rüstungsgütern ebenso erfasst wären wie die Militärstandorte. Diese Anregung hatte die Landtagsfraktion schon aufgenommen. Aber auch hier gibt es im Rahmen der Strategiedebatte noch keinen Vorschlag. Was machen wir mit Standorten von Rüstungsproduktion in Sachsen? Wirtschaftsförderung aus dem öffentlichen Haushalt kann es aus unserem Politikansatz heraus m. E. für solche Unternehmen nicht geben. Die entsprechenden Veränderungen von Wirtschafts-Förderrichtlinien wären anzustreben. Aber: Wir müssen den Dialog mit solchen Unternehmen wollen, um Möglichkeiten der Umstellung und der

Erhaltung der Standorte für zivile Produktion zu diskutieren und Lösungen in den Standortkommunen gemeinsam zu erarbeiten. Dazu müssen sie aber erst einmal öffentlich bekannt sein. Wenn wir Konversion von Rüstungs- und Militärstandorten wollen, brauchen wir eine stärker auf Konversionstechnologie ausgerichtete ingenieurtechnische und -wissenschaftliche Forschung und Entwicklung. Dafür hat Sachsen mit seiner Tradition in den Ingenieurswissenschaf ten sehr gute Voraussetzungen. Ein besonderes Problem dabei sind dual-use-knowledge bzw. -goods. Deshalb muss die Transparenz der Verwendung solchen Wissens und solcher Güter gewährleistet werden. Ralf Becker, LAG Frieden und Internationale Politik


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Zwischen Havelberg und Brandenburg Impressionen von der BUGA 2015 Es wird hart diskutiert im Land Brandenburg. 20 Euro kostet eine Eintrittskarte für die BUGA – ist das nicht zu viel? Für Geringverdiener, Hartz IVEmpfänger? Wenn man sich vorstellt, dass die Karte für den eintägigen Eintritt zu einer großen „Show“ gilt, zweifellos. Doch sie gilt von April bis Oktober, auf einem Areal, das sich über 70 Kilometer erstreckt – schließlich handelt es sich bei der BUGA 2015 im Havelland um die erste dezentrale BUGA, die es jemals gab. Fünf Orte kann man damit sehen. Zwei Bundesländer werden eingeschlossen – Brandenburg und SachsenAnhalt. Und so viel sei gleich gesagt: In zwei Tagen schafft man vielleicht zwei von den fünf Orten. Was tun? Noch einmal fahren! Oder die Karte verschenken, verkaufen. Auch dafür gibt es ein Angebot im Netz: Ein Rathenower hat die BUGA2015-Ticket-Tausch-Börse (kurz: BTTB) als Facebook-Initiative zur Bürger-Selbsthilfe gegründet. Für Kinder bis sechs Jahre ist der Eintritt ohnehin frei, Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre zahlen nur zwei Euro für alle Standorte. Wer mit der Bahn anreist (das Sachsen-Ticket gilt auch für Sachsen-Anhalt), bezahlt 18 statt 20 Euro. Das (inoffizielle) BUGA-Zentrum ist die Stadt Brandenburg, die ihrerseits gleich drei BUGAStandorte aufweist. Diese sind mit der Fähre verbunden, die Mitfahrt kostet einen Euro. Die Stadt ist andererseits aber so klein und sehenswert, dass es sich auch lohnt, die Strecken zwischen den einzelnen Punkten zu Fuß zurückzulegen. Egal, ob man im Sommer oder Herbst anreist, es lohnt sich zu jeder Jahreszeit. Allein die Einbeziehung zweier Kirchen als Blumenhallen sowohl in Havelberg als auch in Branden-

burg gibt der BUGA eine individuelle Note. Ganz im Zeichen Südafrikas (mit großer Flagge der Kap-Repbulik) stand Mitte Mai die St. Laurentius-Kirche in Havelberg. Wer macht sich heute in seinem eigenen Garten oder beim Wandeln durch bunte Parkanlagen schon klar, dass es vor 500 Jahren in unserem Europa kaum bunte Blumen gegeben hat? Wer denkt beim Allerweltsstiefmütterchen daran, dass diese Pflanze eine „Ostafrikanerin“ ist, weil sie aus Tansania stammt, oder bei der Gerbera an deren eigentliche Heimat Südafrika? Es ist der Weg der Gerbera, der sich Mitte Mai in Havelberg durch die Laurentius-Kirche zieht, unter dem Motto „Gerbera – so strahlt Afrika!“, eine Koproduktion von Blumenzüchtern aus Magdeburg und Durban. Ein Höhepunkt ist sicher für viele der Anblick vom „Stolz Afrikas“, der Protea-Blüte. Freilich, alles hat auch ein gewisses „Geschmäckle“: Blumenzucht und Rassentrennung gingen am Kap Hand in Hand. Die prächtige Protea war auch lange die „Nationalblume“ des Apartheidstaates und wurde von der damaligen staatlichen Tourismusagentur SATOUR kräftig eingesetzt, um Touristen anzulocken. Doch Politik wird in der Halle ebenso wenig erwähnt wie die Tatsache, dass die Botanik eine „weiße Wissenschaft“ war. Es waren die weißen Kolonialherren, die die Blumen zu den Gärtnern in Europa brachten, woraus schließlich Parks wie der Große Garten in Dresden oder Sanssouci in Potsdam entstanden. Falsch ist die Darstellung auf einer Tafel, dass Südafrika vor der Ankunft der Weißen „ein Paradies“ gewesen sei – in Afrika hat es zwischen den Stämmen schon immer Kriege gegeben, die Lebenserwartung war gering und das Leben für die einfachen Stammesmitglieder zumeist recht

ärmlich. Unkritisch wird auch die von den Weißen geprägte Bezeichnung „Hexendoktoren“ (man benutzt das englische Wort Witchdoctors) für jene schwarzen Medizinmänner übernommen, die sich am besten mit der Heilwirkung einzelner Pflanzen auskennen und die noch für viele Südafrikaner die wichtigsten Heiler sind. Denn nach wie vor können es sich nur Weiße und reiche Schwarze leisten, zu wissenschaftlich gebildeten Ärzten zu gehen – davon kein Wort in der Ausstellung.

Sehr sehenswert und informativ sind die „NABU-Inseln“. Man erfährt etwas zum naturnahen Gärtnern, und der NABU ist es auch, der sich sehr um die Renaturierung der Havel verdient macht. In Havelberg soll im Juni gleich am BUGA-Parkplatz das „Haus der Flüsse“ öffnen, wo man sicher viel über die Havel lernen kann. Außerdem bietet der NABU zweistündige Schiffstouren ins Renaturierungsgebiet an. Gesamtüberblicke bekommt man am besten von Türmen.

Afrika soll schattenlos bunt und optimistisch herübergebracht werden – das gelingt den Ausstellungsmachern zweifellos. In beiden Kirchen in Havelberg und Brandenburg, die als Blumenhallen genutzt werden, sind insgesamt 16 wechselnde Schauen zu sehen.

Zwei seien empfohlen: Einerseits gibt es – die dritte Novität dieser BUGA – einen mobilen Aussichtsturm, der über den ganzen Ausstellungszeitraum an drei verschiedenen Standorten aufgebaut wird und von dem man eine hervorragende Aussicht haben soll. Allerdings ko-

stet die Aussicht etwas: Sechs Euro für fünf Minuten Fahrstuhlfahren und Aussicht plus möglicherweise dreißig Minuten Schlangestehen. Kostenlos dagegen ist der Aufstieg auf den Friedensturm am großflächigen Ausstellungsgebiet Marienberg in Brandenburg. 900 Veranstaltungen finden an allen Standorten statt – vom Shanty-Konzert bis zur Langen Nacht der Optik in Rathenow. Wer sich gut vorbereiten will für den BUGA-Besuch, dem seien drei Internet-Quellen empfohlen. Einerseits die offizielle Homepage: http://www. buga-2015-havelregion.de. Hier findet man zahlreiche Veranstaltungstipps, eine Übersicht zu Hallen und Standorten sowie Anreiseempfehlungen. Intensiv „medial“ beackert wird die BUGA auch von den „lokal-verantwortlichen“ öffentlich-rechtlichen ARD-Sendeanstalten RBB und MDR. Ob Brandenburg, Premnitz, Rhinow, Havelberg oder Rathenow – beim RBB kann man sich Dank der ins Netz gestellten Städteportraits überall ein erstes Bild machen. Der MDR wiederum bietet eine interessante Web-Reportage an, um ein Verständnis für das Havelland und die Havelländer zu entwickeln: reportage.mdr.de/ sagenhafthavelland. Die BUGA ist bis zum 11. Oktober täglich von 9 bis 19 Uhr geöffnet. Wer die Möglichkeit hat, nicht am Wochenende nach Brandenburg zu fahren, sollte sie nutzen. Denn die Regionalzugverbindung zwischen Berlin und Brandenburg ist ausgezeichnet, weshalb die Berliner bei schönem Wetter gerade am Wochenende Brandenburg fluten werden. Der Sachse mit Wochenend-Ambition sollte also am Wochenende besser mit dem Sachsenticket in Havelberg beginnen. Es ist da wie dort sehr angenehm für einen ersten BUGA-Eindruck. Ralf Richter


Geschichte

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Vor 75 Jahren: Ermordung Trotzkis Am 20. August 1940 zertrümmerte ein Eispickel den Schädel Leo Trotzkis und damit einen der brillantesten marxistischen Köpfe des 20. Jahrhunderts. Geschwungen hat diesen ein vom sowjetischen Geheimdienst angeheuerter Mörder. So endete ein Leben, in dem sich wie in wenigen anderen die ganze Tragik des „Jahrhunderts der Katastrophen“ spiegelte. Aus einer jüdischen Familie stammend, hatte er sich früh der marxistischen Untergrundbewegung im Zarenreich angeschlossen. Verhaftung, Verbannung nach Sibirien, Flucht und Exil prägten seine Jugend und sollten auch sein ganzes Leben prägen. Die meiste Zeit dieses Lebens führte Trotzki eine randständige Existenz, sowohl innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft als auch in der Arbeiterbewegung, an deren revolutionärem Rand er – oft ziemlich isoliert – stand. Es bedurfte großer, die ganze Gesellschaft erfassender revolutionärer Erhebungen, um jemanden wie ihn zeitweilig sogar in die Zentren der Macht zu katapultieren. Zum ersten Mal wiederfuhr dies dem brillanten Redner in der russischen Revolution 1905, als der gerade 28-Jährige zum Vorsitzenden des Arbeiterrates von St. Petersburg gewählt wurde. Nach der Niederschlagung der Revolution folgten wieder Verhaftung, Verbannung, Flucht und Exil. Trotzki blieb eine wichtige Figur der revolutionären

Linken, auch wenn er sich weder den Menschewiki noch Lenins Bolschewiki anschließen mochte. Erst die Politik der Bolschewiki nach der Februarrevolution mit ihrer konsequenten Orientierung auf eine Machtübernahme mit sozialistischer Zielstellung ließ ihn 1917 in die Partei Lenins eintreten. Und wieder wählten die Delegierten des nun Petrograder Arbeiterund Soldatenrates den eben nach Russland Zurückgekehrten zu ihrem Vorsitzenden. Als solcher spielte er eine Schlüsselrolle bei der politischen und militärischen Vorbereitung des Oktoberumsturzes und dann beim Aufbau des Sowjetstaates. Ohne selbst über eine militärische Ausbildung zu verfügen, übernahm er die Leitung der Roten Armee und organisierte die erfolgreiche Verteidigung Sowjetrusslands gegen die Konterrevolution und imperialistische Interventionsheere. In der Frühzeit der internationalen kommunistischen Bewegung wurde sein Name oft in einem Atemzug mit dem Lenins genannt. Beider Portraits hingen weltweit auf Kongressen nebeneinander. Doch mit Lenins Tod begann sein Abstieg. In den Kämpfen um die Nachfolge hatte Stalin mit seinem Zugriff auf den Parteiapparat von Anfang an die Oberhand. Trotzki stand Stalin nicht nur als Person, sondern auch politisch im Wege. Trotzkis Internationalismus war mit Stalins Projekt eines „So-

zialismus in einem Lande“ unvereinbar, ebenso wie es sein Anti-Bürokratismus und sein Beharren auf der Wiederbelebung der Demokratie in Partei und Räten es mit dem Aufbau eines totalitären Staates wa-

massenhafte Anhängerschaft, um den Weg Deutschlands in den Abgrund wirklich beeinflussen zu können. Diese sollte ihm auch die IV. Internationale nicht mehr verschaffen, die er 1938 ins Leben rief. Währenddessen hatte Stalin mit der systema-

tischen Ermordung der Angehörigen und hunderttausender Anhänger Trotzkis in Russland, aber auch weltweit, begonnen. Von Stalin über den Erdball bis nach Mexiko getrieben, wurde 1940 schließlich die Stimme des scharfsinnigsten marxistischen Kritikers Stalins zum Schweigen gebracht. Seine Analysen des Stalinismus blieben allerdings unabgeschlossen und widersprüchlich, was zu unterschiedlichen Interpretationen und anschließenden Spaltungen seiner Anhänger beitrug. Jahrzehntelang wurde sein Erbe vor allem in trotzkistischen Kleinparteien, Zirkeln und Sekten bewahrt und häufig in dogmatisch-abschreckender Form präsentiert. Dabei kann eine Linke des 21. Jahrhunderts viel von der Auseinandersetzung mit Trotzki lernen: Sei es über Transformationsstrategien für einen Übergang zum Sozialismus in unterentwickelten Ländern (Permanente Revolution), sei es über Strategien einer revolutionäre Realpolitik, um auch in nicht-revolutionären Zeiten Mehrheiten für kommunistische Politik zu Gewinnen (Einheitsfront). Sein Internationalismus und seine rätedemokratische Perspektive haben nichts an Aktualität eingebüßt. Die Fruchtbarmachung des Erbes Trotzkis für eine Linke des 21. Jahrhunderts sollte man nicht den Trotzkisten überlassen. Sie sollte Aufgabe der gesamten Linken sein. Dr. Florian Wilde, Mitglied im Sprecherrat der Historischen Kommission der LINKEN.

Dies verwehrten ihnen die Organisatoren allerdings – eine symbolische Handlung, aber eine Handlung. Und ein Fauxpas, der den Kreisvorsitzenden der Erzgebirgs-LINKEN, Klaus Tischendorf, zu öffentlicher Kritik veranlasste: „Wir sind offenbar, wenn überhaupt, nur als Staffage erwünscht. Dabei waren es in den vergangenen Jahren vor allem Sympathisierende und Mitglieder der LINKEN, die an Gedenktagen wie dem Volkstrauertag, dem Tag der Befreiung oder zum Weltfriedenstag vor Ort waren und der beigesetzten Opfer gedachten. Dabei blieben sie in der Regel allein. Enttäuschend ist die symbolhafte Entscheidung, uns kein Grußwort zuzubilligen, vor allem für diejenigen Genossinnen und Genossen, denen der Erhalt und die Wiederherstellung des Mahnmals eine Herzensangelegenheit ist und die oft an Gedenktagen dort gesprochen haben“. Die Genossinnen und Genossen blieben der Eröffnungsfeier deshalb fern. Gedenkworte sprachen schließlich der Pockauer Bür-

germeister, Heiko Friedemann, der Botschafter der Russischen Föderation, Ratnikov, der Referatsleiter im Sozialministerium, Bey, der Pfarrer der Kirchgemeinde Pockau, Schäfer, und – der CDU-Landtagsabgeordnete und frischgebackene Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Prof. Dr. Günther Schneider. Letzterer war am Ort des Geschehens noch niemals vorher gesichtet worden. Die Erzgebirgs-LINKE hat derweil für den Weltfriedenstag am 1. September eine eigene Gedenkveranstaltung am Mahnmal in Nennigmühle angemeldet. Es gilt, den Blick nach vorn zu richten: Auf unser aller Verantwortung, die Erinnerung an die Menschheitsverbrechen wachzuhalten, auch bei der örtlichen Bevölkerung. Der Blick auf das Mahnmal wird hoffentlich vielen dabei helfen, wenn ihre Fahrt sie aus dem kühlen Talwäldchen heraus- und am gesundeten Zeugen der finsteren Vergangenheit vorbeiführt. Kevin Reißig

ohnmächtig den Aufstieg Hitlers zu beobachten. Seine Faschismus-Analysen gehören bis heute den klarsten, die die marxistische Faschismus-Forschung aufzuweisen hat. Doch fehlte ihm eine organisierte

Ankunft Trotzkis in Petrograd, 4. Mai 1917. ren. Bald wurde Trotzki erneut verbannt und schließlich in die Türkei ausgewiesen. Die Parteien der sich stalinisierenden Kommunistischen Internationale wurden von seinen Anhängern „gesäubert“. Trotzki war dazu verurteilt, weitgehend

Ende einer Posse, die mehr ist als das Wer in den letzten Jahren die kleine, idyllisch gelegene Kreisstraße 8112 zwischen den beiden Erzgebirgsörtchen Sorgau und Nennigmühle befuhr, bekam einen schlimmen Anblick geboten: ein am Hang entlang der Straße gelegenes sowjetisches Ehrenmal, bis in die Substanz zerstört. Es ist dies nicht irgendeine Gedenkstätte. Unter dem rotbesternten Obelisken, der eine imposante Freitreppe krönt, haben 96 Rotarmisten ihre letzte Ruhe gefunden. Als Kriegsgefangene waren sie im Lazarett in der Nennigmühle ihren Qualen erlegen, die ersten schon 1942. Gesichert ist, dass die Sowjetsoldaten in einem nahegelegenen Sägewerk sowie in der Papierfabrik Günther & Richter zur Zwangsarbeit gezwungen worden waren. Ein Lazarett für Zwangsarbeiter, im faschistischen Deutschland, dem ein Menschenleben nichts galt? Zweck der Einrichtung war, wie Heimatforscher Ludwig Börner belegt, kein humanitärer, sondern ein verbrecherischer. Im etwa 50 km entfernten Niederschlema fanden auf Be-

fehl des Oberkommandos der Wehrmacht Radon-Versuche an Kriegsgefangenen statt. Diese wurden gezwungen, radioaktive Flüssigkeit zu trinken, deren Auswirkungen man – auch in Nennigmühle – untersuchte; freilich zum bloßen Zwecke der Dokumentation von Krankheitsverläufen. Die Leichen wurden am Berghang verscharrt. Am 8. Mai 2009, nach der Gedenkfeier am Vormittag und 62 Jahre nach seiner Errichtung, wurde das Ehrenmal zerstört und die Grabstätte geschändet – mutmaßlich (was auch sonst?) mit politischer Motivation. Es schloss sich ein jahrelanges Ringen um ihre grundhafte Sanierung an. Aktive der örtlichen LINKEN traten in den Austausch mit Behörden, der russischen Botschaft, dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Im Landtag suchte der Abgeordnete Klaus Tischendorf Bewegung in die Angelegenheit zu bringen. Jahre später stand die sechsstellige Summe, die für die Restaurierung notwendig war, bereit, die Arbeiten begannen. Sie mündeten vor kurzem in die

Fertigstellung des in seiner Monumentalität abgeschwächten, aber ansprechend gestalteten Ehrenmals. Verstimmung hatte es im Vorfeld allerdings gegeben, als die Bagger während ihrer Arbeit – naturgemäß – auf Gebeine stießen. Darüber, ob würdevoll mit denselben umgegangen worden war, entspannen sich lebhafte Diskussionen. Sicher ist: Die Funde verzögerten den Bauablauf. Zum 70. Jahrestag der Befreiung Europas von der faschistischen Herrschaft ließ sich die Eröffnung des Mahnmals folglich noch nicht realisieren – wohl aber zum 20. Juni dieses Jahres. Überschattet wurde das an sich freudige Ereignis von einer Posse, die zum Erhalt des oft zu Unrecht geäußerten Vorurteils, Provinzpolitik sei kleingeistig und engstirnig, beizutragen droht. Örtliche Vertreter der LINKEN, die eine treibende Kraft hinter den Sanierungsbemühungen gewesen waren, baten sich aus, zum langen Portfolio von Rednerinnen und Rednern ein eigenes Grußwort beisteuern zu dürfen.


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Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Termine Chemnitz, 5. Juli, Sonntag, 11.00 Uhr Exkursion: Steine und Namen –Kulturhistorische Führung auf den Spuren der Familien von Stephan Hermlin in Chemnitz. Mit Dr. Jürgen Nitsche, Historiker (Chemnitz). Treffpunkt: Ecke Heinrich-BeckStraße/Ulmenstraße, 09112 Chemnitz Anlässlich des 100. Geburtstages von Stephan Hermlin wollen wir uns auf Spurensuche in Chemnitz begeben. Bevor aus dem Kaufmannssohn Rudolf Leder der bekannte Schriftsteller Stephan Hermlin wurde, verbrachte dieser seine Kindheit und Jugend auf dem Kaßberg. Ein Rundgang zwischen den nur zum Teil erhaltenen Wohnstätten soll einen Eindruck von dem Umfeld vermitteln, das Hermlins frühe Lebensjahre prägte. Außerdem sollen die Grabstätten auf den jüdischen Friedhof aufgesucht werden, die mit Hermlins Verwandten in Verbindung stehen. Männer werden auf dem jüdischen Friedhof um eine Kopfbedeckung gebeten. Dresden, 9. Juli, Donnerstag, 16:40-18:10 Uhr Ringvorlesung: „Wir sind nicht rassistisch, aber ...“ Subjektivierung unter den Bedingungen von Alltagsrassismus – Implikationen für die pädagogische Praxis***. Mit Astride Velho. Eine Ringvorlesung des Instituts für Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Wohlfahrtswissenschaften an der TU Dresden mit Unterstützung des StuRa TU Dresden, verschiedener Fachschaftsräte der TU, Weiterdenken - Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen, Friedrich-Ebert-Stiftung Sachsen, Dresden Postkolonial und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. TU Dresden, Zeunerbau, GeorgeBähr-Str. 3c ZEU/160/H Rassismus zu erfahren ist für viele Menschen in der Bundesrepublik alltägliche Realität. Diskriminierung, Ausschluss, Entrechtung, offene Gewalt, Abschiebung, aber auch Exotisierung, bis hin zur Einbeziehung unter den Vorzeichen der Be-

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e. V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

sonderung machen die Unterschiedlichkeit und Widerspüchlichkeit des Alltagsrassismus aus. Diese Erfahrungen legen spezifische Subjektivitäten nahe, die Einfluss nehmen, denen aber ebenso Möglichkeiten des Handelns und der Widerständigkeit innewohnen. Pädagogische Praxis wie auch das soziale Umfeld können zur Stabilisierung und Fortsetzung rassistischer Verhältnisse beitragen. Gleichzeitig kommt ihnen aber eine besondere Verantwortung zur Veränderung und Intervention zu. Zur Person: Astride Velho, Erzieherin, Diplom-Psychologin, Lehrbeauftragte und Autorin ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Landshut/Fakultät Soziale Arbeit zuständig für die Entwicklung von Bildungsprogrammen für Jugendliche und Pädagog_innen gegen Muslimfeindschaft. Ihre Dissertation „Alltagsrassismus erfahren: Prozesse der Subjektbildung – Potentiale der Transformation“ erscheint noch 2015. Leipzig, 9. Juli, Donnerstag, 20.00 Uhr Vortrag und Diskussion. REIHE: Absolute Gegenwart. Das demokratische Subjekt und die Korruption der Zeit***. Mit Jan Völker, wissenschaftlicher Mitarbeiter (Institut für Kunstwissenschaft und Ästhetik an der Universität der Künste Berlin) Visiting Lecturer (Bard College Berlin) Gastdozent (Institute of Philosophy, Scientific Research Centre in Ljubljana). Institut für Zukunft, An den Tierklinken 38-40, 04103 Leipzig Absolut ist unsere Gegenwart nicht nur, weil sie sich als eigentümliche Gleichgültigkeit und Zeitlosigkeit entpuppt, sondern auch da substanzielle Veränderungen in ihr zunehmend undenkbar werden. Die absolute Gegenwart ist eine paradoxe Zeit, der sowohl Beschleunigung als auch Stillstand, sowohl Rastlosigkeit als auch Erschöpfung attestiert werden. Die Reihe analysiert zusammen mit internationalen Gästen gesellschaftliche Symptome dieser absoluten Gegenwart und sucht nach

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 10.950 Exemplaren gedruckt.

neuen Artikulations- und Verhaltensweisen. Chemnitz, 10. Juli, Freitag, 14.00 Uhr Refugees welcome. Kickern, Informieren, Zusammenkommen. Eine Veranstaltung des Netzwerkes Flucht und Vertreibung in Kooperation u.a. mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. Rosenhof , 09111 Chemnitz Das Netzwerk Flucht und Migration Chemnitz veranstaltet am 10.07.2015 im Rosenhof ein Kicker-Turnier für Migrant*innen, Flüchtlinge und anderen Chemnitzer*innen. Es stehen zahlreiche Kicker zur Verfügung und jede/r kann mitmachen. Für die richtige Stimmung sorgen DJ’s und Liveacts. Kicker wird überall auf der Welt gespielt. Mit der Veranstaltung wollen wir eine Möglichkeit bieten, in Kontakt und ins Gespräch zu kommen. Die Kickertische werden von Chemnitzer Jugend- und Kultureinrichtungen zur Verfügung gestellt. Mehrsprachige Flyer und Einladungen erreichen über unsere Netzwerkpartner Menschen in Flüchtlingsunterkünften und in Jugendeinrichtungen der Stadt. In inhaltlichen Beiträgen und an Info-Ständen wird auf die menschenunwürdige Situation von Flüchtlingen aufmerksam gemacht, auf das tödliche europäische Grenzregime und den Rassismus, der den Geflüchteten zum Beispiel als PEGIDA/Cegida entgegenschlägt. Die Anmeldung ist am 10. Juli ab 14:00 vor Ort möglich. Informationen unter: www.flumichemnitz.blogsport.de/netzwerk-flumi2013@tu-chemnitz.de Dresden, 16. Juli, Donnerstag, 16:40-18:10 Uhr Ringvorlesung: „Wir sind nicht rassistisch, aber ...“. Rassismus in historischer Perspektive***. Mit Susan Arndt. TU Dresden, Zeunerbau, GeorgeBähr-Str. 3c ZEU/160/H Die durch die PEGIDA-Bewegung ausgelösten Debatten haben unter anderem darauf hingewiesen, dass Rassismus

Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter. Kontakt: redaktion@linke-bildung-kultur.de Tel. 0351-84389773 Redaktionschluss: 26.06.2015 Die nächste Ausgabe erscheint am 03.09.2015.

existiert. Zugleich wird die Zuschreibung, „rassistisch“ zu sein, von fast allen Menschen vehement abgelehnt. Rassismus ist ein unangenehmes Thema, mit dem sich die meisten Menschen nicht gerne beschäftigen. Auch in den aktuellen Diskursen wird „rassistisch sein“ vor allem mit Nationalsozialismus und Rechtsextremismus in Verbindung gebracht und damit als von der gesellschaftlichen Mitte weit entferntes, störendes Randphänomen thematisiert. Rassistische Zuschreibungen und Verhaltensweisen gehören jedoch zur allgegenwärtigen Erfahrungswelt von Menschen, die als vermeintlich „Andere“ und „Fremde“ markiert und damit diskriminiert und ausgegrenzt werden. Mit dem Titel „Wir sind nicht rassistisch, aber …“ wollen wir dazu einladen, sich damit auseinanderzusetzen, was rassistische Denkmuster und Strukturen mit uns und der Gesellschaft, in der wir leben, zu tun haben. Chemnitz, 25. Juli, Samstag, 14.00 - 19.00 Uhr Festival Tüdelü 2015. Eine Veranstaltung des different people e. V. mit Unterstützung der RLS Sachsen. Park vor der Stadthalle, Straße der Nationen, Ecke Brückenstraße, 09111 Chemnitz Das „Tüdelü“ geht nunmehr in die vierte Runde! Ein wenig „back to the roots“ wird der Park vor der Stadthalle erneut in eine bunte „Tüdelzone“ verwandelt und verzaubert die Bürger*innen mit glamourös vielfältiger Normalität. In dieser lebhaften, vielfältigen Regenbogenlandschaft ist jede Menge Platz für bunt verrückte, aber respektvolle Erlebnisse, die noch lange danach in den Köpfen schweben werden. Eine Premiere bildet die Ausstellung „Ach, so ist das?!“, die erstmals in Chemnitz zu sehen sein wird und bisher „fremde“ L(i)ebenswelten begreifbar macht. Zusätzlich werden diverse Chemnitzer Akteur*innen das Fest künstlerisch und kreativ bereichern. Sowohl der Informationsgewinn als auch der Abbau von Berüh-

Die Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Kontodaten:

rungsängsten und Vorurteilen stehen dabei im Vordergrund. Ziel ist es, durch gemeinsame Aktivitäten das Annähern bisher fremder Personen zu unterstützen und zu zeigen: Hetero-, Homo-, Bi- oder Trans? Chemnitz die Stadt der Vielfalt kann‘s! Dresden, 23. Juli, Donnerstag, 16:40-18:10 Uhr Ringvorlesung: „Wir sind nicht rassistisch, aber ...“ Rassismus und die Frage nach sozialer Gerechtigkeit***. Mit Prof. Dr. María do Mar Castro Varela, Professorin für Soziale Arbeit und Allgemeine Pädagogik an der Alice Salomon Hochschule Berlin. TU Dresden, WEB/KLEM, VictorKlemperer-Saal, Weberplatz 5, 01217 Dresden *** Am 6. August startet die 11. GlobaLE, ein politisches Filmfestival. Das Medium Film wird genutzt, um die globalen Auswirkungen des Neoliberalismus zu dokumentieren, aber auch den Widerstand gegen Ausbeutung und Ausgrenzung zu zeigen und wie Menschen ihren Mut, ihre Würde und ihre Hoffnung nicht verlieren. Dabei ist Film eine Ausdrucksform, die einen direkten, sinnlichen Zugang zur globalen Wirklichkeit schaffen kann. Thematische Filme, hauptsächlich Dokumentationen, sollen einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Die Filme stehen jedoch nicht allein, sondern werden mit Vorträgen und Diskussionen begleitet. Die Veranstaltungen in Sommer finden unter freiem Himmel statt, im Herbst geht es dann in die Programmkinos. Veranstaltet wird die globaLE vom globale e.V. Leipzig. Unterstützung für dieses Festival kommt auch von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V. Der Eintritt ist frei. Das vollständige Programm finden Sie in Kürze unter: http://www.globale-leipzig.de/ *** in Kooperation mit RosaLuxemburg-Stiftung. Gesellschaftsanalyse und politische Bildung e. V.

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Rezensionen

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Ein Lied für alle Deutschen Hartwig Runge alias Ingo Graf wirbt für „seine“ Nationalhymne „Einigkeit und Recht und Freiheit ...“ Man muss kein Prophet sein, um dem Lied der Deutschen zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit Hochkonjunktur vorherzusagen. Von den Klangsymbolen eines Staates ist die Nationalhymne schließlich das wichtigste. So wird rund um den 3. Oktober 2015 die beseelte Melodie der „Kaiserhymne“ von Joseph Haydn öfter als sonst erklingen. Gesungen wird, um nationalistischem Missverständnis vorzubeugen, allein die dritte Strophe des Liedes der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben. Es ist hier nicht der Platz, die wechselvolle Textgeschichte der deutschen Nationalhymne zu erörtern. Doch mit Blick auf den Umbruch 1989/90, der wieder in deutsche Einheit mündete, soll an Bestrebungen einiger Bürgerinitiativen erinnert werden, die Kinderhymne Brechts „Anmut sparet nicht noch Mühe“ zur neuen Nationalhymne zu wählen. Andere Stimmen suchten in identitätsstiftender Absicht, Textbausteine von BRD- und DDR-Hymne zu vereinen. So schlug Ministerpräsident Lothar de Maizière während der Verhandlungen zum Einigungsvertrag 1990 vor, die dritte Strophe des Deutschlandliedes mit dem Text Johannes R. Bechers „Auferstanden aus Ruinen“ zu verbinden. Der Bratschist de Maizière wusste, die „Becher-Hymne“ folgt bis auf den Schluss dem Versmaß der „Kaiserhymne“ von Haydn. Die

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Texte beider deutschen Hymnen harmonieren also jeweils mit der Melodie der anderen und können – bis eben auf den Schluss – wechselseitig gesungen werden. Was der Musiker de

den Schluss der Becherhymne nach Haydn-Versmaß singbar zu machen, hatte sich Hartwig Runge schon vor Jahren verschrieben. Vielen ist der 76-Jährige noch als Schlagersänger

the/Physik-Lehrer, der auch das Diplom eines Philosophen besitzt. Nach der Wende saß er für die PDS im Leipziger Stadtrat. Der singende KomponistLehrer-Philosoph integrierte Fallersleben, Becher und Brecht aus politischer Motivation in Haydns unsterbliche Melodie. Wenn schon Einheit, dann auch

Maizière wollte, konnte der Politiker de Maizière, wie fast alles, was er aus dem Osten zu retten gedachte, ncht durchsetzen. Fall erledigt? Nicht für einen anderen musikalischen und politischen Kopf. Bechers und Brechts Texte, von Hanns Eisler vertont, mit Fallerslebens Worten in eins zu bringen und auch

Ingo Graf bekannt, der in den 1960ern und 70ern manchen Hit und eigene Fernsehsendungen hatte. Dass er etliche Titel selbst komponierte, die sich wohltuend vom üblichen geistfreien Trallala abhoben, hatte seinen Grund. Runge alias Graf war vor und nach seiner Musikerkarriere passionierter Ma-

im Einheitslied! Die Herausforderung, den Bechertext auch am Schluss mit Haydns Melodie in gesangliche Harmonie zu bringen, löste Hartwig Runge mit der Verdopplung einiger Worte, wobei ihm Monika Führer und Christian Führer, Pfarrer a. D. der Nikolaikirche, halfen. Die so entstandene Fassung nann-

te Hartwig Runge „Das Lied der deutschen Einheit“. Eine von ihm besungene CD mit dem deutsch-deutschen Textmix hört sich „wie aus einem Guss“ an. Runge-Graf sieht seine Absicht bestätigt: „Das ,Lied der deutschen Einheit‘ belebt die Intentionen der drei deutschen Dichter-Emigranten Fallersleben, Becher und Brecht. Es führt Geistesgeschichte und Geschichtshandeln der Menschen in Ost und West zusammen. Becher und Brechts Worte fügen der Triade Einheit, Recht und Freiheit historische Konkretheit hinzu und lassen diese nicht als vergangene, sondern neue Herausforderung erleben“. Runges Projekt blieb bisher Idee. In einer 55-seitigen Dokumentation aber wirbt er für seine Überzeugung, mit seinem Lied der deutschen Einheit auch emotionale Einheit zu fördern. Er lässt Politiker, Dichter und Denker zu Wort kommen, die sich zu der Synthese von Fallersleben, Becher und Brecht auf Haydn bekennen. Und er berichtet von Auftritten vor großem Publikum, das sein Lied hören wollte und will. Hartwig Runge ist Realist. „Mein Lied der deutschen Einheit muss ja nicht zur Nationalhymne werden. Schon als ein schönes Lied in Haydns wunderbarer Tongebung kann es sinnlich helfen, den Weg von der formellen Einheit zur innerlichen Vereinigung durch alle Widerstände hindurch zu beschreiten, nicht nur als Nationalhymne, sondern auch als Sozialhymne.“ Die Jubiläumsfeierlichkeiten zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit scheinen Hartwig Runge alias Ingo Graf geeignet, seine Idee wiederum ein Stückchen mehr Wirklichkeit werden zu lassen. Wulf Skaun

„By any means necessary…“ Kein Revolutionär hat es verdient, zur Ikone gemacht zu werden. Und doch sind viele dazu geworden. Wer das Bild von Che Guevara an der Wand hängen hat, muss nichts mehr erklären. Es gibt Bilder in der Kollektivsymbolik, die sich von alleine erklären. Das Foto von Frank Zappa auf der Toilette gehört dazu, auch das vom die Zunge herausstreckenden Albert Einstein. Von Malcolm X gibt es solche Bilder nicht. Zu nüchtern, geradezu asketisch erscheint sein schmales Gesicht mit der Brille und dem Kurzhaarschnitt. Und es ist zu befürchten, dass etliche jener jungen HipHop-Fans, die mit der schwarzen Wollmütze mit dem schwarzen „X“ darauf herumlaufen, nicht wissen, für wen jener Buchstabe steht. Am 21. Februar 1965 wurde er in New York ermordet. Geboren wurde er als Malcolm Little. Neben Martin Luther King war er der wohl wichtigste schwarze Bürgerrechtler in den USA der sechziger Jahre.

Doch anders als dieser predigte er nicht die Gewaltlosigkeit, folgte nicht dessen Ausspruch „I have a dream“. Im Gegenteil: „Ich sehe Amerika durch die Augen des Opfers. Ich sehe keinen amerikanischen Traum; ich sehe einen amerikanischen Alptraum“. Aus einem Alptraum befreit man sich nicht durch einen Traum. Er galt als der „zornigste Mann Amerikas“. Ihm ging es darum, „das bösartig im Körper Amerikas wuchernde Krebsgeschwür des Rassismus zu zerstören“. Für ihn war klar, dass das nicht gewaltfrei möglich sein würde. Und noch 50 Jahre danach wird sein Andenken wach, wenn – wie kürzlich in Baltimore – mal wieder ein Schwarzer durch Polizeigewalt stirbt. Spätestens dann fällt sein wohl bekanntester Satz, der ironischerweise nicht von ihm, sondern von Jean-Paul Sartre stammt: „By any means necessary“. Wir werden uns mit allen notwendigen Mitteln wehren. „Notwendig“ in jeder Be-

deutung des Wortes. Mindestens genauso wichtig aber seine Aussage: „Es gibt keinen Kapitalismus ohne Rassismus“. Britta Waldschmidt-Nelson, Professorin und stellvertretende Direktorin des Deutschen Historischen Instituts in Washington, hat jetzt die erste deutschsprachige Biografie des Malcom X vorgelegt. Sie hat dazu die neueste Forschungsliteratur ebenso genutzt wie umfangreiches Quellenmaterial und Gespräche mit Kampfgefährten und Angehörigen. Der Band ist genau, gut lesbar und zudem preiswert. Vor allem aber ist er mehr als nur eine Lebensgeschichte. Er bietet Einblick in die Geschichte der Schwarzen in Amerika im 20. Jahrhundert. Und doch bleibt er notgedrungen unvollständig. Viel zu wenig Platz bleibt für seine Folgewirkung: auf die „Black Power“-Bewegung, auf „Black is beautiful“, für eine neue schwarze Ästhetik. Es waren der schwarze Jazz und der Soul, die zur Musik der Black Panther wurden. Zur politischen

Befreiung gehörte symbiotisch auch die kulturelle Befreiung. Philip Cohran ist ein Beispiel dafür. Sein „Artistic Heritage Ensemble“ legte 1968 einen musikalischen Tribut an Malcolm X vor, erschienen auf dem eigenen Label „Zulu Records“. Dem Ex-Mitglied der Band des Jazzavantgardisten Sun Ra ging es

um die Verschmelzung afrikanischer Rhythmen, Funk und JazzImprovisation. Und natürlich um politische Botschaften. Auch mittels des „Affro Arts Theatre“ im Black Culture Center in Chicago, in dem er wirkte. In Chicago lebt Cohran noch immer, fast neunzig Jahre alt, in einem bescheidenen Apartment. Wie Malcolm X ist er zum Islam konvertiert, hat den neuen Namen Kelan angenommen. Kulturaktivist ist er noch immer, Musik macht er weiterhin. Zuletzt mit dem „Hypnotic Brass Ensemble“. Es besteht aus acht seiner Söhne. Sie alle werden Malcom X nicht zur Ikone machen. Sie führen seine Gedanken einfach fort. Volkmar Wölk Britta Waldschmidt-Nelson: Malcolm X. Eine Biographie; C.H. Beck, 2015, 384 S., 18,95 €. Philip Cohran and the Artistic Heritage Ensemble: The Malcolm X Memorial; CD, Reissue 2006, Katalyst Lelan Philip Cohran & The Hypnotic Brass Ensemble; 2x LP, Honest Jon’s, 2012.


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Tiefste Seele in höchsten Tönen: Im Gedenken an B. B. King Memphis Handy Park kennenlernte, erwarb er weitere stilistische Erfahrungen auf der EGitarre. So konnte er sie schon bald spielen wie sein großes Vorbild T-Bone Walker – zumal er sich auch später an den Techniken der Jazzgitarristen Charlie Christian und Django Reinhardt orientierte, um einen ganz speziellen Sound zu kreieren. Es folgten erste Auftritte in Radiosendern und auf den Bühnen in Memphis. So dauerte es nicht lange, bis er seine ersten großen Erfolge feiern konnte. 1948 ergab sich für Riley die Möglichkeit, im Sender WDIA, der hauptsächlich für die afroamerikanische Bevölkerung ausstrahlte, als Diskjockey zu fungieren. Seitdem nannte er sich B. B. King! Ein Jahr später war es ihm vergönnt, eine erste Schallplatte aufzunehmen. 1951 tauchte sein Song „Three O’Clock“ ganz oben in den Hitparaden auf und hielt sich mehrere Monate lang auf Platz 1. Daraufhin begab er sich mit seiner neugegründeten Big Band auf Tournee durch die Vereinigten Staaten (u. a. Apollo Theatre New York, Royal Theatre Baltimore). Im Jahr 1956 bestritt er sagenhafte 320 Auftritte. Anfang der sechziger Jahre überschwemmte der Rock’n’Roll die Charts, und Blues schien kurzzeitig in Vergessenheit zu geraten. Doch bald sollte sich das Rad wieder drehen, da in den späten Sechzigern ein sogenanntes Blues-Revival aufkam. Diesmal standen weißhäutige, langmähnige, bärtige, jeanstragende Barden auf den Bühnen

und spielten ihren kraftvollen Blues, der auch die Hippie- und Protestkultur erreichte. Bands wie Canned Heat, Butterfields Bluesband oder Mike Bloomfields Gruppe seien genannt. Letzterer übrigens holte während eines seiner Konzerte im

tritt euphorisch von den meist jugendlichen Zuhörern gefeiert. Auch englische Rockgruppen, die sich auf ihre afroamerikanischen Vorbilder besannen, bewahrten diese vor dem Vergessen und weckten durch gemeinsame Sessions das interna-

Jahr 1966 B. B. King auf die Bühne und kündigte ihn als den besten lebenden Bluesgitarristen an. Der wurde nach seinem Auf-

tionale Interesse an ihnen – z. B. 1970 mit den „The London Howlin‘ Wolf Sessions“. Dem Musikagenten Sid Seidenberg, der zu

jener Zeit auf B. B. King aufmerksam wurde, war es schließlich zu verdanken, dass dieser auch außer Landes populär wurde. Sein Song „The Thrill is Gone“ erreichte weltweite Anerkennung. Mitte der Siebziger scheute King sich nicht, mit europäischen Rockmusikern aufzutreten, und probierte sich als Soulsänger. Schließlich lag die Wiege dieses Genres ebenfalls in der Gospel-Tradition, die ihn einst prägte. Anfang der Achtziger kehrte King allerdings kompromisslos zum Blues zurück. So erschien 1983 das wunderbare Album „Blues ´n Jazz“, das unter anderem den Titel „Inflation Blues“ beinhaltet, in dem er die US-Regierung und ihre Politik scharf aufs Korn nimmt. 1985, zu seinem sechzigsten Geburtstag, erschien die LP „Six Silver Strings“. B. B. King entwickelte sich in all den Jahren unbestritten zum berühmtesten und einflussreichsten Bluesgiganten und zum beispielgebendsten Gitarristen seiner Zunft. Er tourte durch die ganze Welt, selbst in der Epoche des „Kalten Krieges“ gastierte er in der Sowjetunion und begeisterte hunderttausende Fans. Er war auch als Stargast in einer „Blues-Gala“ in Warszawa live zu erleben. Mit seiner hohen, glasklaren Stimme, die tief aus seiner Seele erklang, und seinem beispiellosen Gitarrensound erreichte er ein Millionenpublikum – bis ihm am 14. Mai 2015 in Las Vegas das Herz versagte. Jens-Paul Wollenberg

Aufträge von der kirchlich beeinflussten öffentlichen Hand zu erhalten? Plötzlich fließt auch unendlich viel Geld aus Riad in die Hochschulen Frankreichs, denn die saudischen Stiftungen sind reich, und die Hochschulprofessoren und die „Eliten der Gesellschaft“ verkaufen sich nur zu gern. Mit der selbst geschriebenen „richtigen Ratgeberliteratur“ organisieren die obersten Konvertiten den Übergang der Untertanen in die neue Religion. Der muslimische Herrscher setzt völlig andere Prioritäten – nicht Wirtschaft ist wichtig, sondern Familie und Bildung. Im Gegensatz zur wankelmütigen EU-Politik der vergangenen Jahrzehnte hat er auch eine Vision: Er will ein europäisches Großreich, wie es zum Beispiel mit dem Römischen Reich in der Vergangenheit bestanden hat. Schnell sind die Assoziierungsverträge mit klaren Beitrittsperspektiven der Türkei und Marokkos geschlossen. Europa wird Kalifat (An dieser Stelle darf daran erinnert werden, dass sich bereits Kaiser Wilhelm an römischen

Kaisern ein Vorbild nahm – und u.a. aus dem diesem Grund im hessischen Saalburg im Taunus eine Römerfeste originalgetreu wieder aufbauen ließ. Wilhelm sah sich Jahrzehnte vor Hitler als Führer Europas.). Die „Unterwerfung“ ist eine Satire, böse und mit mehr als einem Körnchen Wahrheit: Denn welcher Wandel uns in Zukunft auch ereilen wird, eines sieht der Autor klar: Anpassung ist stets die Regel, Widerstand die Ausnahme. Der Wechsel von der verlogenen Demokratie in die echte Diktatur wird still erfolgen. Die Mehrheit arrangiert sich. In Sachsen zu Napoleons Zeiten mit Frankreich, nach ´45 mit der Sowjetunion, nach ´89 mit dem Westen – warum nicht morgen mit Riad? Ein moslemischer Prinz ist bereits Stammgast in der Semperoper, und wenn der/die OB morgen muslimisch werden müsste, damit es das Silicon Valley Saxony weiter gibt … Die zeitlose „Unterwerfung“ gehört auf die Bühne der Schauspielhäuser! Ralf Richter

Bild: Werner100359 / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

Riley B. King wurde am 16. September 1925 in einer Kleinstadt unweit von Indianola im Mississippidelta als Sohn eine Musikerehepaares geboren. Nach der Trennung der Eltern und dem Tod seiner Mutter nahm ihn seine Großmutter auf, die Witwe eines Jazzgitarristen. Seine Kindheit verbrachte er als Farmarbeiter auf Baumwollfeldern, versäumte es jedoch nicht, die Schule zu besuchen. Dort lernte er zwei Freunde kennen, mit denen er in einem Spiritualchor sang, bevor er eine eigene Gospelgruppe „The Elkhornsingers“ ins Leben rief. Nach zweijähriger Militärzeit zog es ihn nach Memphis, wo sein Onkel, der Bluesmusiker Bukka White, wohnte. Der nahm Riley bei sich auf und unterrichtete ihn auch musikalisch. Nebenbei jobbte King als Traktorist oder sang als Straßenmusikant erste Bluessongs. Das war für ihn, der von der kirchlich geprägten Gospeltradition kam, ein ziemlich revolutionäres Wagnis. Denn damals wurde Blues von der älteren Generation als unreligiös bewertet und als „Musik aus der Hölle“ verpönt. 1948 besuchte King den Sänger und Mundharmonikavirtuosen Sonny Boy Williamson II, den er bereits aus der Deltazeit kannte und der in einem regionalen Radiosender als Discjockey Bluesmusik vorstellte. Dessen Gitarrist, ein gewisser Robert Jr. Lockwood, gab dem Jungen weiteren Gitarrenunterricht. Durch die Zusammenarbeit mit den „Beale Streeters“, die er im

Und 2017 kommt der Umsturz Ob der alte Verleger es noch gelesen hat und wenn ja, welche Meinung er wohl dazu hatte? Das ist es, woran man kurz nach der Mitteilung, dass Alfred Neven Du Mont gestorben ist, denkt. Ausgerechnet in seinem Verlag (DUMONT) erschien der aktuelle „Franzosen-Schocker“ von Michel Houllebecq, „Unterwerfung“. Dem alten Du Mont wird nachgesagt, er habe seinen Verlag nach Gutsherrenart geführt, wie ein kleiner Diktator. Houllebecq hat bislang nur einmal aus seinem Werk in Deutschland gelesen: in Köln, bei DUMONT im Frühjahr. Der Umsturz kommt in Frankreich mit den Wahlen 2017 – der Front National steht unter der charismatischen Marine Le Pen vor dem Durchmarsch. In Europa haben die Muslime Parteien gegründet und stellen sich überaus erfolgreich zur Wahl. Die Sozialisten verhelfen Ben Aben, Chef der Moslempartei, an die Macht – um den Front National zu verhindern. Damit Frankreich nicht rechts wird, wird es nun islamisch – mit einer großen Sau-

ce von Multikulti-Sympathie versucht man, das der Wählerschaft zu erklären. Ein Wahlversprechen (das gehalten wird!) der Moslempartei ist die drastische Reduzierung von Arbeitslosigkeit und Kriminalität – nebenbei wird der Alkoholausschank stark eingeschränkt. Doch um welchen Preis wird die Arbeitslosigkeit gesenkt? Alle Frauen bekommen „Herdprämien“ und verlieren ihre Jobs – die Moslempartei ist da konsequenter als die CSU (Unversehens erinnert sich der Leser, der einmal mit einer türkischen Maschine in die Türkei geflogen ist, daran, dass über den Wolken Essen und Tee ausschließlich von Stewards kredenzt wurde. In den Restaurants gibt es Kellner und in der Schule Lehrer – endlich müssen die sozialistischen Feministinnen nicht mehr über „in“ oder „Innen“ streiten, denn es gibt sie nicht mehr, Frauen in Erwerbsarbeit). Mit einem Schlag haben hunderttausende Männer Arbeit, und sämtliche weibliche Arbeitslose sind ebenfalls aus der Statistik verschwunden.

Der Roman spielt überwiegend im Hochschul-Milieu. Man findet Parallelen zu Christoph Heins „Weißkerns Nachlass“, der ebenfalls aus der Sicht eines Dozenten geschrieben ist, der die eigene Kaste durchleuchtet: Den alten hässlichen Prof, der, seine Machtstellung ausnutzend, attraktive, aber weniger intelligente Studentinnen zu seinen Gespielinnen macht. Im Frankreich nach 2017 kommt in dieser Frage eine klare „Weiterentwicklung“: Studentinnen werden die Frauen der Professoren, besser gesagt, eine der Frauen im Harem. Spannender als aber ist die Wandlung des Ich-Erzählers, der sich anfangs als „politisch wie ein Handtuch“ beschreibt und nun anfängt, über Politik und sein Verhältnis zu Gott nachzudenken. Er ist leidenschaftsloser Atheist, muss aber Moslem werden, um seine Stelle zu behalten – wie war das doch gleich mit den Architekten, die nach der „Wende“ wieder in die Kirche eintraten und sogar kirchlich heirateten, um weiter


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Juli-August 2015

Sachsens Linke Mit

Gregor-Poster!

Der September-Parteitag rückt näher. Dort wird es um Personalentscheidungen gehen, vor allem aber um unsere Strategie für die kommenden Jahre. Der Landesvorstand gibt den Entwurf eines Leitantrages in die Debatte, den wir in dieser Ausgabe beleuchten.

Außerdem würdigen wir Gregor Gysi, der nach Jahren auf dem Chefsessel der Bundestagsfraktion seinen Rückzug angekündigt hat.

Aktuelle Infos stets auch

Es reicht!

Für eine Handvoll Euro tei engagieren, bringen meist ihre Leidenschaft und Tatkraft in die Landespartei ein. Doch ihre Einkommenssituation lässt zumeist nur unterdurchschnittliche Beiträge zu. Das ist nichts, was nur den Landesverband Sachsen beschäftigt. Erst kürzlich beriet der Bielefelder Parteitag über eine Änderung der Beitragssatzung auf Antrag des Bundesschatzmeisters in Absprache mit dem Bundesfinanzrat. So wurde der Mindestbeitrag auf 3,00 Euro angehoben. Für Empfänger von Transferleistungen bleibt der Mindestbeitrag bei 1,50 Euro, die Möglichkeit, beitragsfrei gestellt zu werden, bleibt bestehen. Auch dies ist eine Maßnahme, um die Einnahmesituation der Partei insgesamt zu verbessern und für Beitragsehrlichkeit zu werben. Denn es gibt immer noch eine große Anzahl von Mitgliedern, die – obwohl wirtschaftlich in der Lage – nur den Mindestbeitrag bezahlen. Und dieser ist für die Partei nicht kostendeckend. Niemand hat ein Interesse daran, Menschen von der politischen Mitwirkung in unserer Partei auszuschließen. Wir sind aber als Partei darauf angewiesen, dass jeder ent-

sprechend seiner Leistungsfähigkeit Beiträge entrichtet, gerade auch weil wir uns nicht abhängig machen wollen von Spenden aus der Wirtschaft. In diesem Jahr werden wir auf Grund der schlechteren Einnahmesituation weniger Geld in den Wahlkampffonds einzahlen. Wollen wir, dass wir im nächsten Wahlzyklus mindestens auf dem Niveau der vorangegangenen Wahlen arbeiten können, müssen wir die entstandene Lücke schließen. Die Kosten im Wahlkampf sind fix: Ein Doppelplakat am Laternenmast kostet uns rund fünf Euro. Ein Paket von 250 Wahlzeitungen schlägt mit 25 Euro zu Buche. Eine mobile Werbefläche im ländlichen Raum kostet uns pro Tag etwa 35 Euro. Und für eine Tankfüllung für das Wahlkampfmobil müssen wir 50 Euro aufwenden. Wenn wir im gleichen Maße Präsenz zeigen wollen, sind das die Kosten, die wir aufwenden müssen. Haben wir weniger zur Verfügung, finden wir einfach weniger statt. Um dies zu vermeiden, hat die Partei eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen. So wurde u.a. der Geschäftsstellenbetrieb optimiert, um Kosten zu sparen. Besonders günstige Tagungsorte werden bevor-

unter

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Bei der Beratung des Landesvorstandes, des Landesrates, der Kreisvorsitzenden und des Fraktionsvorstandes am 20. Juni ging es mal wieder um Finanzen. Schon im Januar hatte sich die gleiche Runde mit dem Haushalt der Landespartei beschäftigt. Der damals vorliegende Haushaltsentwurf wies ein Defizit aus, so dass die Beratung eine vom Landesschatzmeister geleitete Arbeitsgruppe damit beauftragte, mögliche Einsparungen im Landeshaushalt zu suchen. Ein nachgebesserter Haushalt sollte nun im Juni beschlossen werden. Und wie sich herausstellte: Große Einsparpotentiale gibt es in der Landespartei derzeit nicht. So bleibt es dabei, dass im laufenden Geschäftsjahr auf die Rücklagen zurückgegriffen werden wird. Tatsächlich, so erscheint es, hat die Partei kein Ausgaben-, sondern ein Einnahmeproblem. Die Anzahl der Mitglieder in der Partei sinkt auf Grund der Altersstruktur seit Jahren kontinuierlich. Und gerade die älteren Mitglieder unserer Partei sind es, die mit überdurchschnittlichen Mitgliedbeiträgen die Arbeit der Partei unterstützen. Junge Menschen, die sich in der Par-

Der G7-Gipfel in Elmau und die Lage in Griechenland sind weitere Schwerpunktthemen dieser Ausgabe.

zugt. Ausgaben für Dienstverträge wurden seit 2009 nicht erhöht. Seit vergangenem Jahr steigt der geleistete Durchschnittsbeitrag im Landesverband wieder. Unser Ziel ist es, nicht nur politische Arbeit im Freistaat weiterhin zu ermöglichen, sondern mindestens genauso schlagkräftig in den nächsten Wahlkampf zu gehen. Dazu brauchen wir auch Eure Unterstützung und möchten euch bitten: Überprüft noch einmal Euren Mitgliedsbeitrag. Solidarische Beitragsehrlichkeit ist das, was die Arbeit in unserer Partei erst möglich macht. Wenn jedes Mitglied den Beitrag monatlich nur um einen Euro anheben würde, würde die Landespartei im Jahr 100.000 Euro mehr einnehmen, die für unsere politische Arbeit und als Rücklage für den Wahlkampf zur Verfügung stünden. Natürlich kann nicht jedes Mitglied diesen Euro im Monat leisten. Aber deshalb bitten wir diejenigen, die wirtschaftlich in der Lage dazu sind, eine Erhöhung wohlwollend zu prüfen. Es geht für jeden von uns um die sprichwörtliche Hand voll Euros, die am Ende den Unterschied machen. Antje Feiks

Seit Oktober widme ich diese Kolumne in jeder zweiten Ausgabe dem Thema Asyl. Jedes Mal in der Hoffnung, es nicht wieder tun zu müssen. Doch ich muss es wieder tun. Ich habe es satt. Asylunterkünfte brennen. In Freital steht der Mob davor. Ein mutmaßlicher Böllerwurf gegen das Heim in Freiberg entpuppte sich als Sprengstoffanschlag. Vor Monaten habe ich gewarnt: Die Stimmung gleicht der von Rostock-Lichtenhagen. In den 90ern kapitulierte die Politik vor den Rassisten: mit dem „Asylkompromiss“. Und heute? Heute werfen CDU-Politiker Medien, die über die Übergriffe berichten, Stimmungsmache vor. Sie verunglimpfen antirassistisches Engagement als Eventtourismus. Der Landrat von Meißen will kein Rassismusproblem sehen, nennt solche Feststellungen „Quatsch“. Und der Sozialexperte der CDU-Fraktion will Asylsuchende ohne Pass in den Knast stecken. Die CDU Sachsen zündelt. Sie meint, sie nehme Stimmungen von der Straße auf. Dabei geben sie nur denjenigen recht, die Rassismus und Menschenfeindlichkeit verbreiten. Die CDU Sachsen bietet keine Lösung für Asylfragen. Sie ist Teil des Problems. Deshalb müssen wir sie mit aller Härte angehen. Sie beschäftigt sich lieber mit „Sorgen und Nöten“ der Rassisten, wirbt für Verständnis, während sie es nicht schafft, mit Betroffenen zu reden. Stattdessen diskreditiert sie Engagement für Asylsuchende. Eine Partei, die Brandstiftern argumentativ das Feuerzeug reicht, muss an den Pranger gestellt werden. Es gibt kein Recht auf menschenfeindliche Hetze und Übergriffe.


Sachsens Linke! 07-08/2015

Meinungen

Vor linkem Politikwechsel Es macht sprachlos und wütend zugleich, dass Gregor Gysi nicht näher bezeichnete Zugeständnisse für eine möglich künftige Mitte-Links-Regierung einräumen möchte. Auf dem Altar der Macht will er u.a. auch die friedenspolitischen Grundsätze opfern und meint sogar, dass steuerpolitische Konfliktpunkte wesentlicher als Differenzen in außenpolitischen Zielen unserer Partei zur SPD und den Grünen seien. Damit zeichnet sich ein nicht hinnehmbarer Paradigmenwechsel zumindest in der Führungsetage der LINKEN ab. Dies würde die endgültige Aufgabe unserer Vision von einer antikapitalistischen, antimilitaristischen und antifaschistischen Gesellschaft bedeuten. Wir sollen mit denen koalieren, die Kriegseinsätze, u.a. entgegen den UN-Grundsätzen, der Verelendung von Bürgerinnen und Bürgern durch Hartz IV und dem Schulterschluss mit faschistischen Elementen in der Ukraine nahezu vorbehaltlos unterstützen und befördern. Wir sollen unsere Programmatik, in engagierten sowie aufreibenden Wahlkämpfen und mit Entschlossenheit öffentlich geführt sowie verteidigt, für Ergebnisse von „Hinterzimmergesprächen“ mit Gabriel aufgeben? Worin besteht das Entgegenkommen von SPD und Grünen zur Schaffung einer friedlichen und sozial determinierten Bundesrepublik? Welch Realitätsverlust, wenn er meint, dass uns der öffentlich erklärte Wille für eine Regierungsbeteiligung mehr als 10 Prozent Zustimmung bei Wahlen bringen würde. Kann er die Wahlergebnisse zu Landtagswahlen, wo wir überdurchschnittlich, vor allem bei Regierungsbeteiligung, an Wählerstimmen verloren haben, vergessen? Hier sei auch an das Debakel von 2002 erinnert, als die Parteiführung mit einer falschen Strategie in die Bundestagswahl ging, vor allem da taktische und personalpolitisch unausgewogene Entscheidungen getroffen worden sind. Ganz entschieden möchte ich dem widersprechen, dass die LINKE den Politikwechsel nicht wirklich will. Für eine andere Politik bin ich in dieser Partei geblieben und habe mit mei-

nen Genossinnen und Genossen im Ortsverband gearbeitet und Erfolge erzielt, aber nicht um den Preis der Selbstaufgabe zugunsten von Macht. Vertrauen beruht u.a. auf Verlässlichkeit bei der Wahrnehmung und Vewirklichung politischer Grundüberzeugungen und nicht auf Gefälligkeitspolitik. Raimon Brete, Chemnitz

Impressum

Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Sachsens Linke! Die Zeitung der LINKEN in Sachsen

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.

Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V.,

Zur Strategiedebatte von A. Recht, P. Schäfer, A. Troost, A. Werner (Sachsens Linke 05/2015, S. 4) Die Thesen halte ich für stark verbesserungswürdig. Formelles: Die Sprache muss von allen Bürgern verstanden werden, frei von englischen Schlagzeilen, ohne schwer zu verstehende Fremdworte. Auch deutsche Begriffe sind kritisch zu prüfen, z. B. „erneuerbare Energien“, auch „regenerative Energie“ genannt. Die Energie kann man nicht erneuern oder zurückerzeugen. Es gilt der Erhaltungssatz der Energie, d. h. Energie kann man umformen. Richtig ist die Bezeichnung alternative Energie, alternativ zur Kernenergie und fossilen Energieträgern, wie Kohle und Erdöl. Inhaltliches: Das vermeintliche Hauptproblem „Regieren oder Opposition“ sehe ich völlig anders. Es wird nicht durch die Partei oder Partei-Fraktionsführungen bestimmt. Es wird durch die Gesamtheit der Wähler bestimmt. Demzufolge muss die Partei um die Wähler und Parteimitglieder ringen (siehe Maithesen) und ihren Markenkern voranstellen. Die LINKE ist die Partei für soziale Gerechtigkeit und konsequente Antikriegspartei. Im Mittelpunkt müssen die natürlichen Bedürfnisse und Sorgen der Bürger, insbesondere der benachteiligten Bürger stehen. Ich nenne hier nur in Stichpunkten: Arbeitsplätze, Entlohnung, Wohnen, Preis für Strom, Gas, Wasser und Abwasser, Schulsystem, Bildung und Studium, ÖPNV, Gesundheitsfürsorge, Kitas, menschenwürdiges Leben der älteren Menschen, auskömmliche Renten sowie Teilnahme an einem kulturvollen Leben in einer gesunden Umwelt. Die Thesen gehen an diesen Lebensrealitäten fast völlig vorbei! Übrigens, der Satz „lustvolles Verharren in der Op-

Seite 2 position ist Mist“ würde mir nie über die Lippen gehen. Der Satz ist politische Kapitulation. PS: 15 Jahre lang war ich Mitglied des Bautzener Stadtrates und habe in der Opposition viel bewirkt. Joachim Loos, Bautzen Air Base Ramstein schließen! Von der US-Luftwaffenbasis Ramstein aus wird der weltweite Drohnenkrieg, der bereits 6000 Todesopfer forderte, geführt. Über die US-Basis in der Bundesrepublik Deutschland wird das Morden durch amerikanische Soldaten per Joystick in Pakistan, Afghanistan oder Somalia erst möglich. Diese Mordzentrale auf deutschen Boden muss unverzüglich aufgelöst werden. Die Morde per Drohnen sind völkerrechtlich zu ächten. Wir begrüßen und unterstützen ausdrücklich die Aktivitäten der Friedensaktivisten und der Bundestagsabgeordneten der LINKEN vom 15. Juni am Westgate der Luftwaffenbasis. Claudia und Matthias Schwander, Chemnitz Zu „Zur Aktualität von Revolutionen im 21. Jahrhundert“ (Sachsens Linke! 06/2015, S. 7) Selbst positive Reformen können das kapitalistische System stärken und beim Nachlassen des Widerstandes jederzeit wieder verschlechtert werden. Somit ist es notwendig, schon jetzt Keimzellen einer nachkapitalistischen Gesellschaft aufzubauen. Dazu gehören z. B. die Gemeingüterökonomie (Commons, Allmende), Umsonstläden, Gemeinschaftsgärten, das Mietshäusersyndikat, Repaircafes, der geldlose Teil der auf Teilen statt Tauschen beruhenden Wirtschaft usw. Sie verringern einerseits die Abhängigkeit vom kapitalistischen System und zeigen andererseits, wie es anders geht. Wichtig ist die Vernetzung dieser Ansätze, damit die gemeinsame Versorgung besser gewährleistet ist und die Projekte nicht den Marktzwängen unterworfen sind. Damit sie aber nicht langfristig wieder zerstört werden, ist eine revolutionäre Gesellschaftsveränderung notwendig. Gleichzeitig erleichtern diese Projekte auch den Kampf für diese revolutionäre Veränderung. Auf diesem Weg können Lebensverbesserungen, Reform und Revolution verbunden werden. Reformen ohne diesen Anspruch gehen aber entweder in die falsche

Richtung (z. B. Agenda 2010) oder können zumindest gegen die Menschen verwendet werden (z. B. Frauenemanzipation für wirtschaftliche Verwertbarkeit). Und viele Menschen sind mit dem gegenwärtigen System unzufrieden. Sie sind somit für eine revolutionäre Emanzipation gewinnbar. Aber sie können sich häufig eine bessere Gesellschaft nicht vorstellen oder wissen nicht, was sie dazu beitragen können. Durch unser Vorbild können wir es ihnen zeigen. Uwe Schnabel, Coswig Zu „Statt sozialem Klassenkampf tobt der nationale Existenzkampf“ (Links! 06/2015, S. 7) Europa geht bis zum Ural. Die EU ist nur ein Teil davon und sollte zumindest von uns nie mit Europa verwechselt werden. Auch die Vorläuferorganisationen der EU wurden allein zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen gegründet (im Text „managerial mindset“). Das richtet sich offensichtlich gegen die Bedürfnisse der großen Mehrheit der Bevölkerung. Deshalb wurden die in Sonntagsreden betonten europäischen Werte, der emanzipatorische Gründungsmythos, in Bezug auf aufklärerische Traditionen erfunden (im Text „Kantian mindset“). Wie von Andreas Haupt /Hauke Brunkhorst nachgewiesen, spielt dies in der praktischen EU-Politik keine Rolle. War das jemals anders? Und wie der Faschismus, insbesondere der deutsche Nazismus, aber z. B. auch der terroristische „Krieg gegen den Terror“, Bankenrettung, Privatisierungs-, Deregulierungs- und Kürzungszwänge zeigen, wird diese Fassade auch beseitigt, wenn dies den wirtschaftlichen Machtinteressen dient. Somit sind die emanzipatorischen Errungenschaften dadurch nicht geschützt, im Gegenteil. Sie können nur durch den erwähnten „demokratischen Klassenkampf“ wie in Griechenland, Spanien und Portugal geschützt, gefestigt und ausgebaut werden. Auf die EU, das EU-Parlament oder EUVerträge als Vertreter der Kapitalseite sollten wir dabei keine Hoffnung setzen. Lediglich einzelne Abgeordnete können gegen den Widerstand dieser Institutionen in Zusammenarbeit mit den erwähnten sozialen Bewegungen soziale und demokratische Verbesserungen unterstützen. Rita Kring, Dresden

Glosse

Kleineres Übel von Stathis Soudias Alles was Recht ist, die Wahrheit muss gesagt werden: Diese Partei mutet einem so manches Mal zu viel zu. Jawohl, ich spreche von der Wahl, namentlich der Oberbürgermeisterwahl in Dresden. Da hing der Innenminister an Säulen, Masten, Bäumen, wenn auch nur als Plakat und, versprach mir 5.000 Wohnungen. Dass seine Parteikollegin davor 40.000 Wohnungen verkauft hatte, das verschwieg er! Versprach, dass „Dresden gewinnt“, vergaß aber, mir die Lottozahlen der nächsten Ziehung zu sagen. Ekelhaft. Da hing also eine Menge Volk an Plakaten und grinste mich an. Widerlich. Ich kenne niemanden. Und listig sind sie! Ein gewisser Lars, genannt Lara, zeigte mir seinen Busen, und ein Hilbert machte mich an, vermutlich weil ich ein „nützlicher“ Ausländer bin. Nur solche will er haben. FDP halt! Aber ich komme vom Thema ab. Da bin ich also früh am Sonntag in der Wahlkabine, halte den Wahlschein in den Händen und bin regelrecht verzweifelt. Der Stadtvorstand hat – in seiner unermesslichen Weisheit – gesagt, wir sollen die SPD-Frau wählen. Eine gemeinsame Kandidatin. Klingt nicht schlecht, „rot-rot-grün“-Projekt. Auch wenn die Erfahrung mit dem FDP-Mann Roßberg gezeigt hat, dass sie nur das Geld und die Stimmen wollen, den Rest machen sie ohne uns. Den Sozialdemokraten traue ich nicht über den Weg, die Grünen hassen uns, was im Übrigen der Hauptgrund ist, warum wir sie öfter als Frau Doktor im Bildschirm sehen, und, eine Alternative haben wir sieben Jahre lang nicht zustande gebracht. Strategisches Denken halt! Bin wieder vom Thema abgekommen. Da stehe ich also, den Stift in die Hand, und bin echt unentschlossen. Ich überlege, was nun das kleinere Übel ist. Noch heute quält mich diese Frage. Habe ich richtig gewählt? Ach, diese meine Partei; sie mutet mir zu viel zu!

Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­lage von 10.950 Exp. gedruckt.

Ralf Richter, Stathis Soudias.

Redaktionsschluss 26.06.2015

Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, iStockphoto, pixelio.

Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 03.09.2015.

Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,

Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Tel. 0351-8532725 Fax. 0351-8532720


07-08/2015 Sachsens Linke!

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Ein langer Weg – 10 Jahre „Linkspartei.PDS“ Mitunter ist es sinnvoll, auf Gewesenes und auf gegangene Wegstrecken zurückzublicken. Man analysiert: Was wurde getan, was wurde unterlassen, wo lagen Defizite, wo liegen Potentiale? Schließlich verständigt man sich über die Perspektive des jeweiligen Projekts; hier das der LINKEN. Man will weiterkommen, und da heißt es nach vorne schauen – gekoppelt an eine Replik auf 2005, als alles begann: Außerordentliche Tagung des 9. Parteitages der PDS, 17. Juli 2005. Hauptsächlicher Grund war die Umbenennung der Partei in Linkspartei.PDS. Später sollte im Zuge der Parteineubildung (2007) und dem Zusammengehen mit der WASG auch der Zusatz „PDS“ zum „Abfallprodukt“ werden. Im Arbeitsheft zu jenem Parteitag findet sich ein Brief des langjährigen Vorsitzenden Prof. Lothar Bisky an die Mitglieder, in dem er die – namentliche – Statutenänderung, aber auch die geplante Parteineubildung mit der WASG begründet. Er schrieb von turbulenten Tagen. Innerhalb von drei Wochen wurde mit den Vertretern der WASG in wichtigen Fragen Einigungen erzielt. Demnach wollten PDS und WASG einen Prozess der Vereinigung gestalten und so ein erweitertes Projekt der Linken in Deutschland auf den Weg bringen. Bei den vorgezogenen Bundestagswahlen 2005 wollten beide Parteien nicht gegeneinander antreten. Als ein Zeichen dafür, dass wir etwas Neues beginnen, sei die PDS auch bereit, ihren Namen zu ändern. Als ich im Rundfunk die entsprechende Nachricht

hörte, sagte ich fast bettelnd: Bitte nicht schon wieder, nicht den Namen ändern! Wenn man so will, ab 2007 wurde es noch bunter. Meine damaligen Bedenken habe ich am Rande eines Infostandes der Bundestagsfraktion mit einer Vertreterin der Parteibildungskommission strittig diskutiert. Denn: Wer nannte sich nicht alles schon „links“ und war es mitunter gar nicht? Zudem klang das zu sehr nach Beliebigkeit, was aber auch als Aufforderung an die dann kommende „LINKE“ gelten konnte, für eine stärkere inhaltliche Profilierung zu arbeiten. Für mich hatte das alles mit Traditionen und Emotionen, mit Entwicklungen und Identitäten und deren Wahrung zu tun, worauf Bisky im Brief an die Mitglieder selbst einging. All das mag auch eine Rolle gespielt haben, als ich später seine letzte Rede als PDS-Vorsitzender auf

und stürzt sich ins Unbekannte. Jedenfalls – unser Lothar hat es wunderbar verstanden, an die damals zu Ende gehende Zeit der Partei PDS, ihr Agie-

gen bilanzierte, die man mit der PDS verband. Und ja – ein ganzes Stück des Weges war man mitgegangen. Da schraubt man eben sein „Firmenschild“ nicht

ren in der großen und weiten politischen Arena, mit all ihren Schauplätzen und Kampfplätzen zu erinnern. Ebenso fand

dem entsprechenden Parteitag in der Berliner Kongresshalle hörte. Allgemein trennt man sich ja ungern von Vertrauten

Bisky eindrückliche Worte, als er von den Resultaten ihres Wirkens sprach, wobei er erfüllte wie unerfüllte Erwartun-

einfach so ab ... Ferner brachte Bisky seine Überzeugung zum Ausdruck, dass wir innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Male vor einer großen Chance stehen würden. Die erste wurde mit der zuvor erfolgten Gründung der Europäischen Linkspartei (EL) genutzt, deren Vorsitzender auch er selbst noch sein konnte. Die zweite Chance tat sich für ihn mitten in der Bundesrepublik auf. Sie biete sich an, brauche aber auch Mut zur Entscheidung: Die Gründung einer linken Partei mit demokratischsozialistischer Programmatik. Genau deshalb bin ich in PDS eingetreten. Im Anschluss definierte der Noch-PDS-Vorsitzende, worin die Chance des Augenblicks bestehe: darin, in Deutschland ein Zeichen zu setzen, dass sich die Linke nicht immer mehr splittet. Darin, ein Bei-

spiel dafür zu schaffen, dass etwas gleichberechtigt zusammenwachsen kann. Darin, in Deutschland links von der SPD eine Kraft zu konstituieren, die sich dauerhaft als drittstärkste politische Kraft erweisen kann. Ja, mit einem Erfahrungsschatz aus den politischen Auseinandersetzungen seit 1989/90, mit vielen politischen Konzepten unterschiedlicher Reife, mit ihrer Programmatik, verbunden mit ihrem Gestaltungsanspruch, das waren Dinge, die die PDS in den Vereinigungsprozess mit der WASG einzubringen hatte. Hat sie es? Hat sie im Parteibildungsprozess und nach der letztlichen Gründung der LINKEN wirklich nicht vergessen, wozu der briefschreibende Vorsitzende die Partei mahnte, sie solle es nicht vergessen? „Vergessen sollten wir überdies nicht, dass wir im Grunde angetreten sind, die Welt zu verändern. Das sollte die Fähigkeit einschließen, uns selbst zu verändern“. Hat die Partei DIE LINKE das? Wo steht sie heute? Und warum? Soll sich die Frage jeder selbst beantworten. Immerhin konnte Lothar Bisky den SPIEGEL (Nr. 21, S. 23) zitierend auf dem 1. Parteitag der LINKEN (Cottbus, 23.05.2008) vortragen: „Seit Jahrzehnten hat keine Parteigründung das politische Gefüge Deutschlands stärker verändert als die der LINKEN ... Niemand kann es noch leisten, die soziale Frage zu ignorieren. Selbst die FDP redet inzwischen recht geschmeidig“. Genützt hat es der FDP nichts, wie wir seit den Bundestagswahlen 2013 wissen. René Lindenau

hier wird eine „Erneuerung“ nötig. Denn die innerparteiliche Demokratie muss als gelebte Form politisch selbstbestimmten Engagements der Mitglieder weiterentwickelt werden. Politische Bildung, entschieden verbesserte Ermöglichung von Engagement prekär lebender Mitglieder und Sympathisanten, Hierarchieabbau, Ressourcen(um) verteilung und Personalentwicklung jenseits von berufspolitischen Karrieren sind Grundvoraussetzungen dafür. Wir beklagen immer den Rückgang des Engagements der Mitglieder, v. a. auch altersbedingt, es gibt Vorwürfe der „Abgehobenheit“ an die Landtagsfraktion. Wir finden aber bisher keine dauerhaft tragfähigen neuen Formen effektiver und freudvoller politischer Ar-

beit, die den veränderten Bedingungen in der Gesellschaft wie in der Partei selber hinreichend Rechnung trügen. Hier sieht der LKS eine seiner Aufgaben. Durch die Aktivität der Mitglieder wird der LKS transparent. Er ist bereits jetzt breit und tief verwurzelt im ganzen Landesverband. Interessenten haben so die Möglichkeit, auch über ihnen bekannte GenossInnen in ihrem eigenen Kreis- bzw. Ortsverband Kontakt aufzunehmen und die notwendige innerparteiliche Diskussion voranzutreiben. Der LKS mischt sich aktiv in die aktuelle Zukunfts- und Strategiedebatte ein. Er will den gegenwärtigen Kurs des Landesverbandes und seiner Landtagsfraktion auf den Prüfstand stellen. Der Zu-

sammenhang zwischen Parteiprogramm, Bundes- und Landespolitik der Fraktionen muss enger und fundierter hergestellt werden. Das betrifft inhaltliche Profilschärfung, die organisationspolitischen Strukturen und Arbeitsweiarbeitsteiligen sen, den Ressourceneinsatz und die strategischen und periodenspezifischen politischen Prioritätensetzungen. Der vorliegende Entwurf eines Leitantrages an den 12. Landesparteitag im September offenbart nun das gravierende Strategie-Defizit. Diskussions- und Antragszeit über die Sommerpause sind nicht gerade günstige Bedingungen für eine ausführliche, solidarische und produktive Diskussion. Machen wir dennoch was draus. Ralf Becker

Ganz normale Parteiarbeit Der Liebknecht-Kreis Sachsen (LKS) hat sich als Landesweiter Zusammenschluss nach § 4 der Landessatzung gebildet und ist entsprechend durch den Landesvorstand anerkannt. Ihm gehören inzwischen mehr als 70 Mitglieder aus 12 Kreisverbänden an, auch aus anderen Landesverbänden gibt es Interesse. Mit zwei Broschüren ist er an die Öffentlichkeit getreten. Auf einer Website und einem Blog wird aktuell berichtet. Die mit seiner Gründung bei manchen Funktionären und Mitgliedern unserer Partei verbundenen Irritationen und Verdächtigungen scheinen überwunden. Jedoch war es ein Novum, dass zum ersten Mal in unserer Parteigeschichte einem Zusammenschluss vorgeworfen wurde, dass und wie er

sich gegründet hat. Indes ist jetzt die Ruhe der satzungsgemäßen Normalität eingekehrt. Der LKS will ausgehend vom Erfurter Programm ein inhaltlich und wissenschaftlich fundiert arbeitender Zusammenschluss sein. Sein Arbeitsfeld ist zunächst auf Sachsen begrenzt: Warum kann DIE LINKE nicht an Einfluss gewinnen, nicht auf Bundesebene, nicht auf Landesebene? „Demokratie“ ist zwar eine ihrer Grundforderungen, aber sie ist nicht als ständiges Anliegen praktischer Politikfindung ausgeformt und entwickelt – weder auf Bundesebene noch im Landesverband Sachsen, nicht für die Gesellschaft und nicht für ihr eigenes Innenleben. Selbst im Innenleben wird sie kaum über Satzungsvorschriften hinaus noch thematisiert. Auch


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Leitantrag zum Parteitag

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Soziale Sicherheit und Ökonomischer Fortschritt Der Landesvorstand hat den Entwurf eines Leitantrages an den 12. Landesparteitag beschlossen, der am 12. und 13 . September 2015 in Neukieritzsch stattfindet. Damit ist die Debatte eröffnet! Da der Umfang des Papiers einen vollständigen Abdruck nicht zulässt, wollen wir es mit einigen Beiträgen in entsprechend gekürzter Form vorstellen. Die komplette Fassung findet sich demnächst unter www. dielinke-sachsen.de. Der Bundesparteitag hat Anfang Juni die Kampagne „Das muss drin sein“ beschlossen. Damit wendet sich DIE LINKE vor allem gegen prekäre Lebens- und Arbeitsbedingungen. Wer die damit verbundenen sperrigen Begriffe wie „Prekariat“ und „Prekarität“ nachschlägt, kommt schnell dahinter, dass damit vor allem soziale Unsicherheit gemeint ist. Die strategische Hauptlinie der Bundespartei liegt also nun im Kampf gegen soziale Unsicherheit – oder, ins Positive gekehrt, im Kampf für soziale Sicherheit. Das ist für eine linke, sozialistische Partei nicht wirklich neu, da für uns die Soziale Frage in all ihren Formen neben der Friedensfrage schon immer eine der beiden Hauptkonstanten war und dies auch bleiben wird. Unter den konkreten Bedingungen der sich weiter als Zwei-Drittel-Gesellschaft ausformenden Bundesrepublik besteht in der The-

matisierung und Bekämpfung dieser Entwicklung unsere zeitgemäße und damit strategisch angemessene Aufgabe. Damit wenden wir uns auch jenen Bevölkerungsgruppen zu, die eben nicht nur sozial ausgeschlossen werden, sondern die zugleich Stück für Stück Abschied nehmen von den verschiedenen Beteiligungsformen an der gegenwärtigen Demokratie. Denn es ist nicht nur unsere eigene jahrelange Erfahrung vor Ort, sondern inzwischen auch umfänglich wissenschaftlich belegt, dass „Wahlenthaltung als Klassenverhalten“ beschrieben werden muss – wie dies zum Beispiel Horst Kahrs in einem so benannten Papier getan hat. Wir können also feststellen, dass eine positive Frage, ob wählen gegangen wird, mit sinkendem Einkommen und Bildungsstand unwahrscheinlicher wird. Nun sollten wir nicht so vermessen sein und sagen: Wir machen mal eine Kampagne und – zack! – gehen die Leute wieder zur Wahlurne und wählen darüber hinaus auch noch uns. Dennoch ist es erstens unsere programmatisch festgelegte Verantwortung, diese Interessen zu vertreten. Zweitens vertreten wir damit natürlich auch die Interessen derjenigen, die von prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen noch gar nicht unmittelbar betroffen, dennoch aber von diesen bedroht sind! Ähnlich wie beim Kampf um den Mindestlohn, der durch unsere

Partei seit Anfang dieses Jahrtausends geführt wurde, ist auch der Kampf um soziale Sicherheit ein sehr hartes und dickes Brett, das wir langfristig und mit Geduld bohren müssen. Gegen den neoliberalen Zeitgeist müssen wir Stehvermögen zeigen. Dies gilt ebenso für die Gewinnung neuer Wäh-

Krise entstanden sind – von der viele befürchten, dass sie auch auf Deutschland übergreifen könnte. In der intensiven Debatte der letzten Monate habe ich mich sehr gefreut, dass nicht nur Sebastian Scheel und ich in unserem Strategiepapier den Begriff des „Fortschritts“ wieder

ler_innengruppen. Langfristige und zuverlässige Interessenvertretung heißt hier die Aufgabe, die kurzfristigen Aufwallungen auf jeden Fall vorzuziehen ist. Die Orientierung „soziale Sicherheit“ ist anschlussfähig an verschiedene weitere Probleme und Ängste, die unter der Bedingung der europaweiten sozialen

aufgenommen haben, sondern dass auch Axel Troost in den „Aprilthesen“ darauf eingegangen ist. Die umfängliche Digitalisierung und Automatisierung des produktiven Sektors sowie die beständige Ausweitung des Dienstleistungssektors verändern die Arbeits- und Produktionswelt auf grundsätzliche Wei-

se. Die Globalisierung nicht nur der Produktion, sondern auch großer Dienstleistungsbereiche ist eine nicht ignorierbare Tatsache. Die beständige Umwälzung aller gesellschaftlichen Verhältnisse hat „zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen“. Unsere Antworten auf die daraus entstehenden sozialen Verwerfungen müssen mit den immer schnelleren Entwicklungen in der Ökonomie Schritt halten. DIE LINKE muss viel stärker wieder die Partei des Fortschritts sein. Dabei dürfen wir Fortschritt nicht auf die dynamische Entwicklung im produktiven Bereich reduzieren. Unsere Verantwortung besteht vielmehr darin, Fortschritt gesellschaftlich zu verstehen. Ökonomischer Fortschritt ohne sozialen Fortschritt spaltet die Gesellschaft. Es ist deshalb angemessen, über Modelle nachzudenken und Konzepte zu entwickeln, die dem gesamtgesellschaftlichen Charakter der Produktion entsprechen. Dazu gehören ausdrücklich auch Vorschläge wie die solidarische Mindestrente, eine Kindergrundsicherung, eine sanktionsfreie Mindestsicherung, oder, darüber hinausgehend, ein Grundeinkommen. Wer der sozialen Sicherheit den politischen Vorrang gibt, darf sich von häufig neoliberal begründeten Denkverboten nicht schrecken lassen. Rico Gebhardt

Jogiches aus dem Jahr 1899 zu sagen: „Schließlich muß man sich sagen, daß es keinen Sinn hat, alles zu kritisieren, über alles zu brummen, ohne es selbst besser zu machen.“ Genau darauf basiert eine der drei Grundideen des Erfurter Programms: „Individuelle Freiheit und Entfaltung der Persönlichkeit für jede und jeden durch sozial gleiche Teilhabe an den Bedingungen eines selbstbestimmten Lebens und Solidarität – das gilt uns als erste Leitidee einer solidarischen Gesellschaft. Darin ist die Dominanz des Profits überwunden, und verlässliche und gute Lebensbedingungen für alle sind das Ziel des Wirtschaftens“, heißt es da. Dieser Begriff der Freiheit – der Freiheit, die wir meinen – grenzt sich also deutlich von dem liberalen Freiheitsbegriff ab. Freiheit des Einzelnen ist noch nicht erreicht, wenn jeder frei von staatlicher oder staatlich legitimierter Repression lebt, sondern erst, wenn jeder aktiv an der Gesellschaft teilhaben kann. Die Frei-

heitsrechte verbinden wir mit dem Versprechen, die sozialen Bedingungen zu garantieren, diese auch leben zu können. Es ist dies der wesentliche Unterschied zur Sozialdemokratie, die allein auf die soziale Gerechtigkeit abstellt und mithin selbst dieses Ziel in herrschender Politik nicht umzusetzen gewillt ist. Für uns ist die Universalität der Freiheit unbestreitbar: Es kann keine sozialistische Gesellschaft geben, die die Freiheit in beiden Dimensionen nur einem Teil der in ihr lebenden Menschen zukommen lässt. Genau deshalb ist es richtig, das Leitbild der Freiheit in seiner sozialen wie libertären Dimension in den Mittelpunkt – als Richtschnur und roter Faden – unserer Strategie zu rücken. Genau dies muss deshalb auch der Leitantrag leisten. Das ist nicht nur Verpflichtung des Erfurter Programms, sondern vielmehr der Idee des Sozialismus als Idee der Befreiung des Menschen von Unterdrückung, Ausbeutung und Zwängen. Thomas Dudzak

Freiheit, die wir meinen „Freiheit statt Sozialismus“: Zugegeben, das ist eine der einprägsamsten Losungen des vergangenen Jahrhunderts, die stets zu Felde geführt wird, um den Sozialismus von der bürgerlichen Gesellschaft abzugrenzen. Nur die bürgerliche Gesellschaft garantiere Freiheit, Sozialismus sei eine Idee der Unfreiheit. Was für ein Schwachsinn. Natürlich wäre es möglich, den Sozialismus auf das Soziale zu begrenzen: Jeder Mensch soll ohne Not und Armut, satt und behütet leben können. Ungleichheiten in der Gesellschaft sollen angegangen werden. Aber all das würde der Idee des Sozialismus mitnichten gerecht. Vielmehr verfolgt Sozialismus den Kampf gegen soziale Ungleichheiten in der Gesellschaft nur aus einem Zweck: Der Freiheit des Individuums. Jeder Mensch soll in Freiheit leben und sich frei entfalten können. Ungleichheiten zu bekämpfen ist nicht das Ziel des Sozialismus, sondern ein Mittel, um Unfreiheit zu überwinden.

Wen kann das überraschen? Ist doch der Sozialismus, wie wir ihn meinen, ein – zugegebenermaßen ungewolltes – Kind des radikaldemokratischen Liberalismus. Gerade auch der junge Karl Marx war geprägt von den Kämpfen für Freiheit in einer absolutistischen Gesellschaft. In Abgrenzung zum Liberalismus definierte er jedoch Freiheit nicht als pure Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz. Freiheit wird als Möglichkeit zur Emanzipation verstanden, die sich nur durch eine soziale Integration aller Menschen in die Gesellschaft erreichen lasse. Nur wer teilhaben kann an der Gesellschaft, ein Leben ohne Zwänge leben kann, der kann sich wirklich frei entfalten. Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums war und ist kein Selbstzweck. So definierte Marx das Ziel des Sozialismus als eine Assoziation freier Menschen, in der die Freiheit des einzelnen Grundbedingung der Freiheit aller ist. Freiheit also durch Sozialismus? Mitnichten. Rosa Luxemburg

war es, die mit ihrem – mittlerweile geflügelten – Wort von der Freiheit als Freiheit der Andersdenkenden die Richtschnur sozialistischen Handelns definierte. Wer unter denen, die diese Worte im Munde führen, denkt heute noch an den Kontext? Der Satz stammt aus dem Werk „Die Russische Revolution“. Adressat ist nicht die bürgerliche Gesellschaft. Diese Worte stammen aus einem revolutionären Kontext und sind unmissverständliche Zielsetzung: Freiheit und Demokratie sind notwendige und wichtige Voraussetzungen für den Sozialismus. Freiheit und Sozialismus also. Insofern war und ist es notwendig, sich mit den realexistierenden Widersprüchen des realexistierenden Sozialismus auseinanderzusetzen. Das hat die PDS getan, das tut DIE LINKE immerfort. Ja, soziale Sicherheit und soziale Rechte wurden in der DDR gestärkt. Ohne die Freiheit eines jeden Einzelnen jedoch sind sie alle nichts. Oder, um es mit den Worten Rosa Luxemburgs in einem Brief an Leo


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07-08/2015 Sachsens Linke!

Leitantrag zum Parteitag

Sachsen 2015: Eine erstarrte Gesellschaft? Strategiefindung braucht eine Analyse ihrer Ausgangslage. Der Leitantrag versucht sich daran und nimmt den Zustand der sächsischen Gesellschaft sowie der LINKEN in den Blick. Wir dokumentieren einige Feststellungen zu Machtpfeilern der CDU. Im 25. Jahr der Einheit bietet Sachsen ein widersprüchliches Bild. Der Freistaat kann, wenigstens im Vergleich der ostdeutschen Bundesländer, Erfolge verzeichnen. Wirtschaftswachstum, sinkende Arbeitslosigkeit, niedrige Staatsverschuldung – vielen Sächsinnen und Sachsen stellt sich die wirtschaftliche Lage als solide dar. Aber bei weitem nicht allen. Kehrseiten der guten Kennzahlen sind mindestens die langjährige Niedriglohnstrategie, die Prekarisierung der vieler Arbeits- und Lebenswelten, eine kleinteilige Wirtschaftsstruktur und das Unvermögen, zum Produktionsniveau Westdeutschlands aufzuschließen. Die relative wirtschaftliche Prosperität hat sich keineswegs mit allgemeiner sozialer, kultureller oder Bildungsprosperität verbunden. Trotz alledem wirken die politischen Verhältnisse wie versteinert. Weshalb? Die Schaffung rechtlicher, politischer und ökonomischer Strukturen ist nach einem Vierteljahrhundert weitestgehend abgeschlossen. Auch deshalb

sind die meisten großen landespolitischen „Schauplätze“ prinzipiell befriedet. Streit entzündet sich an Prozessen des Substanzverzehrs, die aus der Sparpolitik bei gleichzeitiger Rücklagenhäufung folgen, an Ideenlosigkeit und verpassten Zukunftschancen. Grundsatzdebatten abseits (haushalts)politischer Detailentscheidungen finden dennoch kaum statt. Auch Oppositionspolitik erschöpft sich meist in Forderungen nach „Mehr!“, seien es Haushaltsmittel, Haushaltsstellen oder „gestaltende Konzepte“. Seit 25 Jahren bleibt die CDU die mit Abstand stärkste Partei. Kurt Biedenkopf „legte den Grundstein für die landespolitische Identität Sachsens, die für alle Parteien der Landespolitik einen unhintergehbaren politischen Diskursrahmen schuf“ (Benjamin Hoff/Horst Kahrs). Zu Fall gebracht wurde er durch Affären, in die er persönlich involviert war. So erging es im Mai 2008 auch seinem Nachfolger Georg Milbradt. Ernste Funktionsstörungen im CDU-Getriebe beruhten mithin weniger auf Protesten gegen politische Fehlentscheidungen, sondern auf parlamentarischem und juristischem Aufklärungsstreben. Weitere große Skandale – wie jene um den „Sachsensumpf“ oder um das Versagen der Sicherheitsbehörden gegenüber

dem NSU-Terror – hat die CDUHerrschaft nahezu unbeschadet überstanden. Die gewachsenen Strukturen des schwarzen Monolithen funktionieren auf Landesebene und im ländlichen Raum weitgehend wie ein Uhrwerk. Das hat viele Gründe. Vor allem zu nennen ist der immerfort reproduzierte „Sachsen-Mythos“, den die CDU nach 1990 festsetzte. Dazu hat sie sich teilweise der Landesgeschichte bemächtigt. Neben Appellen an das „Sachsengefühl“, anknüpfend auch an die Industrie- und Bergbaugeschichte des Freistaates, ist vor allem die „Friedliche Revolution“ Dreh- und Angelpunkt opportunistischer Umdeutungen. Kern ist die Erzählung, die Umwälzung nach 1989 sei von Sachsen ausgegangen und nicht von Berlin oder gar von Moskau. Der „Sachsen-Mythos“ erweist sich als außerordentlich stabiles, weil die Mehrheitsbevölkerung emotional involvierendes Machtinstrument. Es entsteht die Fiktion einer „heilen Welt“, in der Bedrohungen stets als fremdverursacht gelten. Zusätzliche Stützen der christdemokratischen Herrschaft sind auch Vetternwirtschaft, gesteuerte Ämtervergabe, Duckmäusertum und Katzbuckeln von vielen, die im Freistaat „etwas werden“ wollen. Hinzu kommt nicht zuletzt der – mit Hilfe der CDU-

nahen Politikwissenschaft gepflegte – Anti-„Extremismus“Konsens, dessen exzessive Durchsetzung immer wieder die Grundrechte in Gefahr bringt („Sächsische Demokratie“). Ein weiterer Pfeiler sind geschickt dosierte Wohltaten für gesellschaftliche Teilgruppen, deren Widerständigkeit prophylaktisch gebrochen wird. Diese Maßnahmen liefern vortreffliches Futter für Inszenierungen nach dem Prinzip: Sachsen investiert X € in Y und ist „zukunftsfest“. Auch so gelang es der CDU, das (Selbst)Bild vom Freistaat als „Primus des Ostens“ zu zeichnen. „Dieses WirBild nach dem Motto ,Sachsen sind die Besten‘ führt zu einer beträchtlichen kollektiven Selbstüberschätzung einerseits und Ausgrenzungserscheinungen andererseits“ (Gerhard Besier). Allerdings knüpfen Sachsens Christdemokrat*innen bei weitem nicht mit allen Machttechniken an historische Bezüge an. Sie nutzen vor allem während ihrer Wahlkämpfe die Strategie der „asymmetrischen Demobilisierung“. Durch den weitgehenden Verzicht auf polarisierende Aussagen ebenso wie durch bewusste inhaltliche Beliebigkeit werden gegnerische Lager „eingeschläfert“. An die Stelle pointierten, „kantigen“ Agierens treten Personalisierung, Emoti-

Ländlichen Raum mit LINKS erobern? Bereits 2008 haben wir konstatiert, dass wir mehr Augenmerk auf den ländlichen Raum legen müssen, wenn wir weiterhin den Anspruch haben, eine flächendeckend präsente Partei zu sein. Dieser Ansatz wurde sowohl inhaltlich diskutiert als auch durch Personalentwicklungskonzepte untersetzt. Dennoch fassen die Freien WählerInnen im Raum mehr und mehr Fuß und die Hegemonie der CDU ist zumindest auf Landkreisebene ungebrochen. Und ja, hier müssen auch wir uns hinterfragen und vor allem Ideen entwickeln. Aus diesem Grunde ist das Kapitel 5 des Leitantrages dem „ländlichen Raum“ gewidmet. Der Ansatz des Leitantrages fußt auf dem Gedanken, dass überall in Sachsen gleichwertige Lebensbedingungen anzustreben sind und der Mehrwert unserer Partei sich perspektivisch daraus generieren kann, dass wir Visionen entwickeln können und wollen, progressive linke Debatten in den Kreisen führen und uns mit einem Verwalten des Unterganges nicht abfinden. Mutig über andere Wege zu diskutieren, über Perspektiven, über eine neue Wichtung der Schwerpunkte, über

ein Mehr an Forderungen gegenüber Bund und Freistaat – das könnten unsere Chancen sein, um im ländlichen Raum wieder eigene LINKEN Debatten erfolgreich zu führen. Um hier voran zu kommen, müssen wir auch die Debatte führen, wie die Strukturen in den Kreisverbänden perspektivisch zu gestalten sind. Junge und nicht mehr ganz junge Menschen wandern nicht nur aus den Kreisen ab, sondern fehlen auch bei uns in der Partei vor Ort. Wer kann also die MittlerInnen- oder MultiplikatorInnenrollen übernehmen, um wieder an Personenkreise ranzukommen, die links sind, aber nicht zwangsläufig DIE LINKE wählen? Wie schaffen wir es, für die jüngeren in den Flächenkreisen zu sprechen, wie formulieren wir ihre Ansprüche an der richtigen Stelle? Welche Rolle können da unsere Gemeinderäte und Kreistagsmitglieder spielen? Wir wollen Landkreise zum Bleiben. Dabei ist klar, dass man in der Fläche nicht die Infrastruktur einer Großstadt bieten kann. Aber sie bietet andere Vorteile. Zum Beispiel mehr Zusammenhalt, mehr Erholung. Dennoch muss Infrastruktur sicherstel-

len, dass man sich in seinem Kreis gut „versorgt“ fühlt. Das heißt, dass der ÖPNV ermöglichen muss, dass man am gesellschaftlichen Leben auch nach der Tagesschau teilnehmen kann. Dafür braucht es kreative Ideen und Konzepte. Es heißt auch, dass genügend Ärzte und Pflegekräfte in allen Re-

zum Bleiben einladen. Unsere KommunalpolitikerInnen haben die letzten 25 Jahre in der Fläche DIE LINKE Fahne hochgehalten. Dennoch hat sich ein Pragmatismus eingeschlichen, der unserer Partei manchmal nicht gut tut. Nachdem es sicherlich in den ersten Jahren nach der Wende schwer

Bild: Eva Kröcher (Eva K.) / Wikimedia Commons / GNU Free Documentation License 1.2

gionen Sachsen auch perspektivisch da sein sollten, dass es wohnortnahe Schulen gibt, Kitas. Und dass es z. B. auch Breitbandversorgung und Orte des Treffens geben muss – denn so können Menschen sich vernetzen. So bekommen aber gleichzeitig auch Unternehmen Rahmenbedingungen geboten, die

war, Akzeptanz bei den anderen Parteien zu entwickeln, sind wir doch eigentlich jetzt in einer Position, in der wir inhaltlich mit wehenden Fahnen vorangehen könnten. Indem wir Konzepte entwickeln, indem wir Abläufe hinterfragen, Transparenz herstellen, Bürgerbeteiligung einfordern und praktizieren. Wir

onalisierung, Technokratismus, die sämtlich ein offensichtliches Angriffspotential vermissen lassen. Der Kollateralschaden, den das Regierungssystem durch diesen Stil erleidet, lässt sich als De-Politisierung beschreiben: Auseinandersetzungen bleiben entweder im Austausch oberflächlicher Meinungsbekenntnisse oder in Detailfragen verhaftet, die den Perspektiven der Mehrheitsbevölkerung entrückt sind. An der Stärke der „bürgerlichen Mehrheit“ in Sachsen – die nur 2004 episodisch unter Druck geriet – hat sich bis heute also wenig geändert. Ihr Spiegelbild ist die traditionelle Schwäche des „linken Lagers“. Die gesellschaftliche Hegemonie der „neuen Staatspartei“ CDU, deren Einfluss weit in Subsysteme wie Wirtschaft, Verwaltung, Medien, Kultur oder Wissenschaft reicht, scheint unverändert stabil. Die Vorherrschaft der Konservativen ruht mithin auf einer breiteren Basis als jener, die durch ein anderes Landtagswahlergebnis unmittelbar oder kurzfristig zu kippen wäre. Der sächsischen Bevölkerung müssen wir eine realistische „Ablösungsperspektive“ (Horst Kahrs) bieten – zumal Versuche, Bewegung in den gelähmten Freistaat zu bringen, inzwischen nicht mehr nur von links kommen. Kevin Reißig

müssen hier ernstzunehmende Partnerin für die Menschen sein und nicht zuerst für andere Fraktionen. Eben das Außerparlamentarische betonen und ernstnehmen. Das kann den Unterschied ausmachen und trüge möglicherweise zur Politisierung bei – in Kreisen, in denen wir das nicht gedacht haben. Mit schonungsloser Ehrlichkeit, wo die finanziellen Grenzen in Kreisen liegen, aber mit offenen Fragen, wo Prioritäten zu setzen sind, können wir gewinnen. Alle anderen Parteien verschleiern hier. Zu keinem Zeitpunkt hat DIE LINKE den Kreisen und Kommunen den Geldhahn abgedreht – für deren Ausbluten ist die CDU verantwortlich. Insofern müssen wir uns den Zwängen auch nicht beugen. Wir müssen wieder eine sichtbare LINKE Kreispolitik jenseits des reinen Sachzwangarguments entwickeln. Und wer hindert uns daran? Am meisten wir selbst, weil wir uns die Argumente der Regierenden zu eigen machen. Das ist falsch. Lasst uns mutig sein und gegen den Strich bürsten. Erste Ideen dafür sind im Leitantrag im Kapitel 5 zu finden, es können sehr gerne mehr werden. Antje Feiks




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Danke, Gregor!

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„Macht aus alledem was draus!“ Gregor Gysi hat auf dem Bielefelder Parteitag seinen Abschied als Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag angekündigt. Nach 25 Jahren in führender Position von SED, PDS und der LINKEN verabschiedet sich damit einer der GenossInnen aus der ersten Reihe, ohne dessen herausragendes Wirken – zweifellos – es unsere Partei heute nicht geben würde. Wie würdigt man eine solche Person angemessen? Wir haben uns entschieden, ihn in eigenen Worten wiederzugeben, und dokumentieren seine Bielefelder Rede in Auszügen. Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, verehrte Gäste, heute spreche ich letztmalig als Vorsitzender unserer Bundestagsfraktion auf einem unserer Parteitage. Die Legislaturperiode des Fraktionsvorstandes endet im Herbst 2015, ich werde nicht erneut kandidieren, da die Zeit gekommen ist, den Vorsitz unserer Fraktion in jüngere Hände zu legen. […] In den ersten Jahren meiner politischen Tätigkeit begegneten mir fast nur Extreme. Entweder wurde ich geliebt, fast angebetet, oder gehasst. Beides ist sehr anstrengend. Hass deshalb, weil man mit sich selbst nicht klarkommt, ich verstand die Ablehnung nicht. Ich wusste nicht, was ich den Leuten getan hatte. Aber die tiefe Zuneigung war noch schlimmer, weil ich wusste, dass ich die Wünsche der Menschen nicht erfüllen konnte, und es tat mir so weh, sie enttäuschen zu müssen. Ihr werdet euch wundern, aber damals war es für mich im Westen leichter, obwohl wir dort ziemlich chancenlos waren, vielleicht auch, weil wir dort chancenlos waren. […] Ich habe dann Hass und Ablehnung auch im Bundestag gespürt, ich weiß, welche Journalisten gegen mich ermittelt haben und in jeder Weise gegen mich vorgegangen sind und vorgehen. Ich weiß, wie viele Prozesse ich führen, wie sehr ich um meinen Ruf kämpfen musste. Ich werde die Anhörung im Immunitätsausschuss des Bundestages nie vergessen. […] Den Rechtsstaat habe ich zu schätzen gelernt, denn die Gerichte gaben mir Recht und nicht den anderen. Die Staatsanwaltschaften stellten die Ermittlungen gegen mich ein, wollen es zumindest, weil sie sich nicht missbrauchen ließen und lassen. Gerade weil ich auch in einer Diktatur gelebt habe, kann ich Euch nur raten, die Rechtsstaatlichkeit hoch zu schätzen und sie immer zu schützen, auch wenn einem die Gerichts-

urteile logischerweise nicht immer gefallen. […] Ich werde nicht anfangen, einzelne Leute auf meinem politischen Weg zu würdigen, weil ich wichtige vergäße, was sie mir übel nähmen und ich mir selbst noch viel übler nähme. Aber ich möchte Hans Modrow würdigen, der als vorletzter Ministerpräsident der DDR eine höchst komplizierte und sehr verantwortliche Tätigkeit leistete, die viel zu wenig, viel zu selten auch von uns gewürdigt wird. Ich weiß, Hans, dass wir nie eng befreundet waren, aber du sollst wissen, dass ich dich immer geschätzt habe und auch heute schätze. Außerdem muss ich euch von dem Küchenkabinett erzählen, dessen Ruf so war, dass man es nicht in Ordnung fand, dass es dieses überhaupt gab, und sich gleichzeitig freute, dass es existierte. Dazu gehörten Lothar Bisky, dessen Tod mir sehr zu schaffen gemacht hat; Michael Schumann, dessen Tod eben so furchtbar für mich war; Dietmar Bartsch, André Brie, Heinz Vietze und ich. Natürlich wurden gelegentlich auch weitere Personen hinzugezogen, aber eine Truppe war das schon. Und wenn wir uns auf meinem damaligen Grundstück in Buckow trafen, haben wir alles Wichtige besprochen, oft auch geklärt. Allerdings haben wir auch sehr gut gegessen und nicht schlecht getrunken, um es ehrlich zu sagen. Diesem Kabinett fehlte zweifellos die demokratische Legitimation, aber in der damaligen Zeit ging es nicht anders, dazu waren die Angriffe auf die Partei viel zu schwerwiegend. Und ich weiß, es gab ein Problem bei diesem Kabinett, die Quotierung. Aber ich versichere Euch, unter den Sechs war zumindest ein in jeder Hinsicht ausgewiesener Feminist. Ich sage Euch aber nicht, wer es war. Bedanken will ich mich aber heute und ausdrücklich bei Dietmar Bartsch, André Brie und Heinz Vietze. […] Aus der SED eine PDS zu transformieren, war eine ungeheuer schwere Aufgabe. Wie konnte ein wirklicher Drang zu Freiheit und Demokratie erreicht werden? Wie konnte man sozialistisch bleiben, ohne als Anhängerin bzw. Anhänger des gescheiterten Staatssozialismus zu gelten? Es gab zunächst massenhaft Austritte, den Wunsch nach Auflösung, aber auch den Wunsch nach Reformen. Dass es uns gelungen ist, die Partei so umzukrempeln und Schritt für Schritt die Akzeptanz im Osten zu erweitern, das war eine Leistung, auf die wir stolz

sein können. Trotzdem, das Projekt PDS wäre ausgelaufen, weil es kulturell nur äußerst geringe Chancen in den alten Bundesländern hatte. Deshalb war die Vereinigung von der Partei des Demokratischen Sozialismus mit der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit zur Partei DIE LINKE ein so wichtiger Akt, egal wie die Entwicklungen danach im Einzelnen beurteilt werden. […] Die Frage ist, was sollte unsere Partei auszeichnen? Erstens: Wir brauchen ein zutiefst kritisches Verhältnis zum Staatssozialismus, also auch zur DDR. Wir müssen die Einschränkungen von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit deutlich herausarbeiten und so glaubhaft wie möglich garantieren, dass wir ein Höchstmaß an Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit anstreben. Wir müssen herausarbeiten, weshalb die Wirtschaft nicht funktionierte, den Mangel an Produktivität, Produkten und Dienstleistungen. Wir müssen für die Zukunft garantieren, dass es auch mit uns eine hohe Produktivität, eine funktionierende Wirtschaft und keine Mangelwirtschaft geben wird. Viel zu wenig wird mit uns eine funktionierende Wirtschaft verbunden, das muss sich ändern.

Wir brauchen ein zutiefst kritisches Verhältnis zum Staatssozialismus Andererseits dürfen wir aber nicht zulassen, dass das Bild von der DDR, die Leistungen der Menschen dort und ihre Biografien so arrogant, so von außen und ohne Kenntnis gewertet werden. Es gab beachtliche soziale und kulturelle Leistungen. Es gab leider eine politische Ausgrenzung auch in der Bildung, die es nie hätte geben dürfen, aber es gab keine soziale Ausgrenzung, wie wir sie heute massenhaft erleben. Der Zugang zu Bildung, Kunst und Kultur war für jede und jeden in der DDR im Unterschied zu heute bezahlbar. Wenn wir das richtige Maß an deutlicher Kritik auf der einen Seite und an Respekt auf der anderen Seite finden, dann sind wir glaubwürdig. Zweitens: Wenn wir sozialistisch bleiben wollen, müssen wir erklären, was uns und warum am Kapitalismus stört, auch was uns nicht stört, sondern im Gegenteil gut ist und wie man das Störende überwinden und das andere erhalten kann. Gegen eine kapitalistische Diktatur ist die Anwendung von Ge-

walt gerechtfertigt, um sie zu überwinden, braucht man eine Revolution. Wir aber leben in einer politischen Demokratie. Deshalb kommt für uns nur der gewaltfreie Weg der Transformation in Frage. Wir müssen versuchen, eine Mehrheit der Menschen in unserem Land von unserem Weg zu überzeugen. Wenn uns das nicht gelingt, haben wir nicht das Recht, sie zu unserem Weg zu zwingen.

Für uns kommt nur der gewaltfreie Weg der Transformation in Frage Aber was funktioniert am Kapitalismus und was nicht? Der Kapitalismus kann eine höchst effiziente und produktive Wirtschaft hervorbringen, es gibt so gut wie nie einen Mangel an Waren und Dienstleistungen. Allerdings steht der Profit über allem. Ein Medikament für seltene Krankheiten rechnet sich nicht und wird so gut wie nie entwickelt. Die großen Banken und Konzerne haben eine übergroße und demokratiegefährdende Macht. Sie organisieren für sich eine funktionierende Weltwirtschaft, nehmen alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Haftung, und es steht ihnen nicht einmal im Ansatz eine funktionierende Weltpolitik gegenüber. Wenn wir über eine Einschränkung der Macht der großen Banken und Konzerne nicht nur reden, sondern sie tatsächlich erreichen wollen, brauchen wir das Bündnis mit dem Mittelstand. Auch ihn stört die Marktdominanz der großen privaten Banken und Konzerne. Ihn stört auch, dass sie selbst Pleite gehen dürfen, die anderen aber nicht. Ihn stört, dass er ehrlich Steuern bezahlen muss, während sich die Konzerne und großen privaten Banken erfolgreich davor drücken. Ein solches Bündnis brauchen wir also, aber es darf kein Zweckbündnis sein. Wir müssen es ernst meinen. Sie dürfen nicht den Eindruck haben, dass wir sie über die Steuern kaputt machen wollen. Klar muss für uns und sie sein, dass es unsere Pflicht ist, die Schwächsten in unserer Gesellschaft, dann die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber eben auch die breite Mitte der Gesellschaft, zu vertreten. […] Wir sollten dafür streiten, dass die öffentliche Daseinsvorsorge ausschließlich in öffentliche Hand gehört, dafür, dass die großen Privatbanken verkleinert und öffentlich-rechtlich wie die Sparkassen gestaltet

werden. Alle Unternehmerinnen und Unternehmer sollten wissen, dass wir immer für mehr Demokratie in Unternehmen, das heißt für mehr Mitbestimmung und für angemessene und gerechte Löhne streiten werden. Aber sie sollen bis zum Mittelstand auch wissen, dass wir das Bündnis mit ihnen ehrlich suchen, auch ihre Interessen vertreten. […] Der Kapitalismus kann keinen Frieden sichern. Das hat mindestens zwei Gründe. Es geht um die Eroberung von Märkten, und es wird am Krieg zu viel verdient. Deshalb sind unsere Forderungen nach einem Verbot von Rüstungsexporten und nach der Überwindung von privater Rüstungsproduktion besonders wichtig. Wir sind und müssen eine Friedenspartei sein und bleiben. Der Kapitalismus bringt andererseits hervorragende Leistungen auf den Gebieten der Forschung, Wissenschaft, Kunst und Kultur hervor. Wir müssen aber einen zunehmenden Kulturabbau ebenso bekämpfen wie wir uns dafür einzusetzen haben, den chancengleichen Zugang aller zu Kunst, Kultur und Bildung zu ermöglichen. Wir müssen die entschiedensten Kämpfer auch dort gegen soziale Ausgrenzung sein. […] Der Kapitalismus ist sozial höchst ungerecht. Es gibt eine zunehmende Tendenz, den Reichtum in wenigen Händen zu konzentrieren und die Armut zu verbreiten. (…) Es darf nicht sein, dass Menschen wegen der Höhe des Profits verhungern müssen. 80 Personen auf der Welt besitzen genauso viel Vermögen wie 3,5 Milliarden Menschen, also die finanziell untere Hälfte der Menschheit – absurd! Wir sind also die Partei, die am entschiedensten für soziale Gerechtigkeit kämpft. Der Kapitalismus hat aber auch große Schwierigkeiten, ökologische Nachhaltigkeit durchzusetzen. Wir stehen vor einer Klimakatastrophe. Ökonomische Interessen sprechen zum Teil gegen ökologische. Das ist das Problem des Kapitalismus. Wachstum ist übrigens ein positiver Begriff. Es ist nicht klug zu sagen, dass man gegen Wachstum sei, weil die Menschen das dahingehend missverstehen, dass man ihnen etwas wegnehmen, dass man ihre Lebensqualität einschränken will. In Wirklichkeit bedeutet aber ökologische Nachhaltigkeit ein Wachstum an Lebensqualität. […] Drittens: Ich möchte euch etwas zu einer möglichen Regierungsmitverantwortung im Bund sagen. Ich kann dies jetzt völlig frei tun, weil ich mit Sicherheit


Danke, Gregor!

Seite 9 einer solchen Verhandlungsdelegation nicht angehören werde und nicht die geringste Absicht habe, Bundesminister zu werden. Es gibt bei uns viele, die eine Regierungsverantwortung anstreben und es gibt solche, die sie nicht wollen. Letztere können das aber nicht zugeben und werden nur für sehr viele rote Haltelinien streiten, die man auf gar keinen Fall unterschreiten dürfe, in der Hoffnung, dass SPD und Grüne schon an der zweiten Haltelinie scheitern. […] Ehrlicher wäre, sie sagten einfach, dass sie dagegen sind. Aber sie wissen, dass sich 90 Prozent unserer Wählerschaft wünscht, das wir in einer Regierung Verantwortung übernehmen. Das hemmt sie in ihren Aussagen.

90 Prozent unserer Wählerschaft wünschen, dass wir in einer Regierung Verantwortung übernehmen Ich finde übrigens im Unterschied zu vielen von uns, dass Haltelinien jeglicher Art, die andere Parteien kaum kennen, ein Misstrauen gegenüber der eigenen Verhandlungsdelegation zum Ausdruck bringt, das wir nicht nötig haben. Wir beschließen ein Wahlprogramm, das ist die Richtlinie. Die Vorsitzenden der Partei wären die Verantwortlichen für solche Verhandlungen. Misstrauen gegen sie ist nicht gerechtfertigt. Dabei ist doch eines klar, man muss kompromissfähig sein, aber man darf seine Identität nicht verlieren. Die Schritte können nach unserer Auffassung zu kurz sein, aber sie müssen in die richtige Richtung gehen. Und liebe Genossinnen und Genossen, wir sind eine 10-ProzentPartei, keine 50-Prozent-Partei. Das müssen wir zunächst zur Kenntnis nehmen. Außerdem müssten bei uns die Mitglieder der Partei über eine Koalition im Bund ohnehin durch Urabstimmung entscheiden. Die gesellschaftliche Akzeptanz, die wir inzwischen erreicht haben, ist über viele Jahre gewachsen und schwer erarbeitet worden. Dass wir kaum noch aus dem Bundestag wegzudenken sind, dass die Menschen im Land DIE LINKE inzwischen schon weitgehend für selbstverständlich erachten, sollte uns selbstbewusster machen. Es ist uns gelungen, das politische Spektrum der Bundesrepublik deutlich nach links zu erweitern, was vor 1989 völlig undenkbar war. Das ist eine historische Leistung. […] Wir haben die Mitverantwortung durch Regieren bisher

auch als Mittel betrachtet, gesellschaftliche Akzeptanz zu erringen. Dann aber macht man vielleicht das eine oder andere Zugeständnis zu viel, dann ist man vielleicht das eine oder andere mal zu wenig selbstbewusst. Wir können und sollten auch auf Bundesebene regieren wollen, und zwar selbstbewusst, mit Kompromissen, aber ohne falsche Zugeständnisse. […] Selbst wenn wir nicht jeden Bundeswehrsoldaten aus dem Ausland zurückbeordert bekämen, aber es schafften, dass sich Deutschland an Kriegen wie gegen Jugoslawien, gegen Afghanistan, gegen den Irak, gegen Libyen, bei allen Kampfeinsätzen auf keinen Fall während unserer Regierungsmitverantwortung beteiligte – welch ein gewaltiger Fortschritt wäre dies? Wahrscheinlich schafften wir es nicht, dass es keinen Waffenexport mehr gäbe. Aber wenn wir erreichten, dass es keine Waffenexporte mehr in Spannungsgebiete und an Diktaturen gäbe – welch ein gewaltiger Fortschritt wäre dies? Natürlich schafften wir es nicht, die Europäische Union völlig umzukrempeln, aber wenn statt Sozial- und Demokratieabbau ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit und Demokratie entstünde - welch ein gewaltiger Fortschritt wäre dies? Stellt Euch ein Aufbauprogramm für Griechenland, durch eine solche Regierung vorangetrieben, vor - welch ein gewaltiger Fortschritt wäre dies? Wenn es uns gelänge, die TTIPVerhandlungen wenigstens auszusetzen und damit in der Zeit unserer Mitregierungsverantwortung zu stoppen – welch ein gewaltiger Fortschritt wäre dies? Eine erfolgreiche Zeit der Aussetzung könnte das Ganze auch nach einer Regierungsverantwortung von uns zum Stoppen bringen. Wenn uns im Verhältnis zu Russland Deeskalation gelänge, wenn Russland in Europa wieder integriert werden würde, und dadurch auch das Selbstbestimmungsrecht des ukrainischen Volkes wiederhergestellt werden könnte - welch ein gewaltiger Fortschritt wäre dies? Natürlich gäbe es auch bei einer Regierungsmitverantwortung von uns noch Geheimdienste und die NSA. Wenn es uns aber gelänge, selbstbewusst gegenüber der US-Regierung aufzutreten, Verhandlungen über ein No-Spy-Abkommen nicht vorzutäuschen, sondern zu erreichen, die Massenüberwachung und die Wirtschaftsspionage zu überwinden, die Vorratsdatenspeicherung zu verhindern sowie die eigenen Geheimdienste deutlich einzuschränken und wirksam zu kontrollieren – welch ein gewaltiger Fortschritt wäre dies?

Stellt euch vor, wir könnten die Zustimmungsrechte der Betriebsräte und der Personalräte erweitern und die prekäre Beschäftigung deutlich zurückdrängen. Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter hätten zumindest ab der ersten Stunde Arbeitszeit Anspruch auf 110 Prozent des Lohnes, den jemand aus der Stammbelegschaft für die gleiche Arbeit in dem Unternehmen erhält. Damit würde Leiharbeit zur Ausnahme werden und die Stammbelegschaften nicht mehr über sie unter Druck gesetzt werden können. Der Niedriglohnsektor könnte viel effektiver bekämpft werden. Befristete Arbeitsverhältnisse gäbe es nur noch mit Sachgrund und nicht willkürlich. Der Missbrauch von Werkverträgen könnte ausgeschlossen, zumindest zurückgedrängt werden. Welcher gewaltige Fortschritt wäre es, wenn wir den Druck erhöhten, endlich für gleiche Arbeit in gleicher Arbeitszeit in Ost und West den gleichen Lohn zu zahlen? Und wenn wir durchsetzten, dass man in Ost und West für die gleiche Lebensleistung die gleiche Rente bezieht?

Man muss kompromissfähig sein, aber man darf seine Identität nicht verlieren Welchen gewaltigen Fortschritt bedeutete mehr Steuergerechtigkeit? Es könnte uns gelingen, die Steuerfreibeträge für den ärmeren Teil der Bevölkerung zu erhöhen, die kalte Progression und den Steuerbauch für die Mitte der Gesellschaft zu beseitigen und den Spitzensteuersatz angemessen zu erhöhen. Natürlich müsste auch die Vermögensteuer wieder erhoben werden, ohne die kleinen und mittleren Unternehmen dadurch zu schwächen oder gar kaputtzumachen. Welchen gewaltigen Fortschritt bedeutete es, endlich eine angemessene und stabile Finanzierung der Kommunen zu erreichen? Was nur über Umverteilung und Steuergerechtigkeit verwirklicht werden kann. […] Dasselbe gilt für unsere Vorstellungen, die Rente grundsätzlich zu reformieren. In der nächsten Generation wollen wir, dass alle mit Erwerbseinkommen in die Gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Wir gönnen ihnen berufsständische Versorgungen und private Versicherungen. Aber es ändert nichts an ihrer Pflicht zur Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung und das ohne Beitragsbemessungsgrenze. Wer ein hohes Einkommen erzielt, muss eben auch einen Bei-

07-08/2015 Sachsens Linke! trag von dem hohen Einkommen bezahlen. […] Altersarmut könnte also abgebaut und dann überwunden werden. Durch eine Veränderung des Versicherungssystems könnten wir erreichen, die Zwei-Klassen-Medizin zu überwinden und eine ausreichend finanzierte Gesundheitsvorsorge und Gesundheitsfürsorge zu gestalten, die sich ausschließlich nach der Art der Erkrankung des Menschen und nicht nach seiner sozialen Stellung richtet. Wir könnten die Pflege so finanziert bekommen, dass sie sich nicht nach Minuten, sondern nach den Bedürfnissen der Betroffenen richtet. Schwierig wären auch die Verhandlungen zu einer sanktionsfreien Mindestsicherung. Entschieden müssen wir uns für deutlich bessere Bildungseinrichtungen und Chancengleichheit vor allem für alle Kinder in der Bildung einsetzen und für die Überwindung der schlechten Bezahlung der so genannten Frauenberufe. Wir müssen versuchen, die Gesellschaft dafür zu öffnen, dass nicht nur gleicher Lohn für gleiche Arbeit, sondern auch gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit erreicht werden muss. […] Na, und dass endlich die HomoEhe käme, wäre wohl selbstverständlich. Liebe Genossinnen und Genossen, wenn es jemals zu Verhandlungen kommt, werden sie schwer, aber wir alle haben nicht das Recht, uns vor Schwierigkeiten zu drücken. Und außerdem brauchen wir auch etwas Neues. Immer nur zu sagen, wir sind und bleiben Opposition und gehen auf gar keinen Fall in eine Bundesregierung, ist für die Akteurinnen und Akteure langweilig und für die Wählerinnen und Wähler wenig überzeugend. Aber leicht ist es nicht, in die Regierung zu gehen und trotzdem gesellschaftlich Opposition zu bleiben. Aber ich denke, wir könnten das schaffen. […] Viertens: Eine wichtige Frage für unser Image besteht auch darin, ob wir eine Partei des Verbietens oder des Erlaubens werden. Jede und jeder von uns weiß, dass es bestimmte Verbote geben muss. Aber ich empfehle entschieden, dass wir eine Partei des Erlaubens werden. […] Fünftens: Natürlich müssen wir eine Partei bleiben, die Rassismus, Antisemitismus, Faschismus und jede Form von Nazitum entschieden bekämpft. Deshalb steht uns auch keine Arroganz gegenüber dem so genannten Kleinbürgertum zu, im Gegenteil. Wir müssen versuchen, es zu gewinnen, dürfen es nicht dem Rechtsextremismus oder Rechtspopulismus einfach überlassen. […] Wenn wir diese fünf Punkte

stärker beachteten, können wir uns endlich aus dem 10-Prozent-Wert bei den Bundestagswahlen nach oben entwickeln und auch außerparlamentarisch eine bedeutendere Rolle spielen. Ich möchte heute die Gelegenheit nutzen, kurz für mich Resümee zu ziehen. Als ich mich 1989 entschied, in die Politik zu gehen, ahnte ich nicht einmal im Ansatz, was auf mich zukommen sollte. […] Ich will und kann gar nicht einschätzen, was ich in der ersten Reihe der Politik in den letzten 26 Jahren geleistet habe, aber ich glaube schon, dass ich einen Anteil an den Möglichkeiten habe, die wir uns inzwischen erschließen konnten. Ich glaube auch, dass ich einen Anteil am gewachsenen Respekt habe. Und ich bin auch ein bisschen stolz darauf, dass wir inzwischen in der Geschichte der Bundesrepublik den ersten Ministerpräsidenten stellen, der links von der Sozialdemokratie organisiert ist. Ich freue mich, dass ich einen Anteil daran habe, dass man über einen demokratischen Sozialismus im Kapitalismus wieder ernsthaft diskutieren kann und dass herausragende linke Persönlichkeiten der deutschen Geschichte nicht vergessen sind. Das gilt für Karl Marx und Friedrich Engels, für Wilhelm Liebknecht und August Bebel, für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, für Clara Zetkin, für Karl Kautsky und Eduard Bernstein und viele andere. Auch für linke internationale Persönlichkeiten wie Antonio Gramsci, die ich aber nicht schaffe, auch nur einigermaßen vollständig aufzuzählen, gilt, das wir einen Beitrag geleistet haben und auch künftig leisten müssen, dass sie nicht aus dem Gedächtnis der Gesellschaft gestrichen werden. Ich habe eine Bitte an Euch: Macht aus alledem was draus! […] Zum Schluss will ich allen Mitgliedern unserer Partei, will ich allen Sympathisantinnen und Sympathisanten unserer Partei, will ich allen Wählerinnen und Wählern unserer Partei, will ich aber auch denjenigen, die zwar unsere Partei nicht wählten, aber mir ihre Stimme gaben, will ich denen, die das alles nicht waren, aber unsere Partei immer fair begleiteten und auch denjenigen, die dies zwar nicht wollten, aber immerhin mich fair begleiteten, will ich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, meinen Freundinnen und Freunden und meinen Angehörigen, die ich heute hier begrüßen darf, vor allem meiner Schwester Gabriele, meiner langjährigen Partnerin Andrea in dieser Zeit, meiner vorherigen Partnerin Monika, meinen Kindern Anna, George und Daniel, euch und ihnen allen ein Wort sagen: Danke.


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Jugend

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Fundamentalistischer „Marsch für das Leben“ in Annaberg-Buchholz gestört Am 1. Juni – passend zum Weltkindertag – hatten die Christdemokraten für das Leben (CDL) einen „Marsch für das Leben“ in Annaberg-Buchholz geplant. Diese Märsche führen sie jedes Jahr in Münster, Berlin und Annaberg mit

ellen Lebensweisen bis hin zu Erzählungen von „EuthanasieÄrzten“ oder der „internationalen Homo-Lobby“. Im letzten Jahr gab es erstmalig Proteste gegen den ca. 500 Menschen starken Marsch, wobei 30 Aktivist*innen rela-

Es kamen drei Busse aus Leipzig und Dresden sowie mehrere Autos, so dass ca. 300 Menschen auf der Gegendemo laut und bunt durch Annaberg zogen. Die Polizei war relativ kooperativ und ermöglichte an zwei Stellen sogar Protest in

Schildern vor Ort dabei. Ein relativ umfangreicher und differenzierter Bericht lief in den MDR-Abendnachrichten und auch im Internet war die Resonanz der Proteste groß. Obwohl der Marsch laufen konnte, war der Protest durch seine

ker zu mobilisieren, damit Fundamentalist*innen nicht unbemerkt und unwidersprochen marschieren können. Wir kommen wieder nach Annaberg-Buchholz! Fundi-Märsche zum Desaster machen! Josefine Michalke

Termine 03.07.2015 – 05.07.2015, Gut Frohberg, Schönnewitz 9 in Krögis: Linke Sommerakademie. Anmeldung unter http://gleft.de/Wn 04.07.2015, Marktplatz Pirna: Christopher Street Day. Infos: http://gleft.de/Wo 11.07.2015–12:00 Uhr, Leipzig, ab Markranstädter Straße: Global Space Odyssey, Demo „Bleiberecht auf Stadt“. Infos: http://www.gso-le.de/ 18.07.2015, Leipzig: Christopher Street Day, Demo & Straßenfest. Infos: http://gleft.de/ Wp

mehreren tausend Menschen durch. Und jedes Jahr tragen sie dabei ihre fundamentalistischen, fortschrittsfeindlichen und sexistischen Positionen auf die Straße – vom Abtreibungsverbot über die Verteufelung von nicht-heterosexu-

tiv brutal von der Polizei daran gehindert wurden. Dieses Jahr hatten sich erstmals mehrere Gruppen überregional zusammengefunden, um sachsenweit zu mobilisieren und die Fundamentalist*innen nicht unbemerkt laufen zu lassen.

Sicht- und Hörweite, vor allem der CDL-Abschlusskundgebung konnte lautstark etwas entgegen gesetzt werden. Die linksjugend [‘solid] war in die Vorbereitungen und in die Mobilisierung involviert sowie mit eigenem Transparent und

Außenwahrnehmung und das politische Contra sehr erfolgreich – vor allem, weil es der erste größere Protest seit Bestehen des Marsches in Annaberg war. Wir nehmen das zum Anlass, im nächsten Jahr wieder und noch stär-

Gedenkstättenfahrt der Jugendverbände Vom 17.-21. Juni fand unsere Gedenkstättenfahrt nach Krakau & Auschwitz statt, an deren Organisation wir uns aktiv als Teil des Bündnisses „Dass Auschwitz nie wieder sei“ eines breiten Spektrums von Jugendverbänden beteiligt haben. Diese Zusammenarbeit von Jugendverbänden ist historisch einmalig und hat sich anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz zusammengefunden. Zum Bündnis gehören: Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), die Jusos in der SPD, Naturfreundejugend Deutschlands, SJD – Die Falken, linksjugend [´solid], Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend (aej), Jugendwerk der AWO, Grüne Jugend, DIDF, Österreichische Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) und der israelische Gewerkschaftsbund sowie die israe-

lische Gewerkschaftsjugend (Histadrut und HaNoar HaOved VeHaLomed). Etwa 1.000 Jugendliche aus dem gesamten Bundesgebiet

sowie Delegationen aus Österreich und Israel absolvierten intensive Vorbereitungswochenenden und fuhren im

Juni gemeinsam nach Krakau, um Führungen, Gedenkstätten und ein großes Workshop-Programm zu besuchen. Zudem kamen sie zu einer ge-

meinsamen Gedenkzeremonie in Auschwitz-Birkenau zusammen, hatten Raum für Austausch und Vernetzung

und konnten ein Zeitzeugengespräch mit Esther Bejarano erleben. Impressionen und Berichte von der Fahrt wurden hier gesammelt: www.70yllf.de (für: 70 years later, looking forward) Die linksjugend [‘solid] hat sich aktiv in die Vorbereitung eingebracht, viele Workshops angeboten, 50 Teilnehmende finanziert und sieben Teamende extra ausbilden lassen. Im Rahmen dessen wurde ein neues Bildungskonzept für Gedenkarbeit erarbeitet, das auch nach dieser Fahrt weiter von uns genutzt wird. Wir werden auch im Verband weiter zum Thema arbeiten und regelmäßige eigene Gedenkstättenfahrten etablieren. Die erste eigene Fahrt nach Krakau & Auschwitz wird für das Frühjahr 2016 geplant. Kein Vergeben, kein Vergessen – dass Auschwitz nie wieder sei! Josefine Michalke

25.07.2015 – 12:00 Uhr, Leipzig, Bornaische Straße 3D, Linxxnet: Sitzung des Beauftragtenrates. 01.08.2015 – 09.08.2015, Lärz, Fusiongelände: Sommercamp der Linksjugend. Infos: http://gleft.de/Wq 14.08.2015 – 16.08.2015, überall im Rheinland: AntiBraunkohleaktion 07.08.2015 – 17.08.2015, auch im Rheinland: Klimacamp. Infos: http://gleft.de/ Wt 22.08.2015 – 12:00 Uhr, Chemnitz, Rosenplatz 4, im Büro der Linksjugend: Sitzung des Beauftragtenrates. 28.08.2015 – 30.08.2015, Jena: f*reakend! Feministisches Seminar- und Vernetzungswochenende. Infos: http://gleft. de/Wr 19.09.2015 – 12:00 Uhr, Leipzig, Bornaische Straße 3D, Linxxnet: Sitzung des Beauftragtenrates. 17.10.2015 – 12:00 Uhr, Chemnitz, Rosenplatz 4, im Büro der Linksjugend: Sitzung des Beauftragtenrates. Infos auch unter www.linksjugend-sachsen.de


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DIE LINKE im Europäischen Parlament

Die EU am Scheideweg tens jetzt selbst über sich entscheiden, in einer Angelegenheit, gilt in Demokratien als normal. Wo ist die Demokratie in Europa geblieben? Diese Frage stellte auch der griechische Europaminister, unser Freund Nikos Chountis, der lange Jahre Mitglied des Europaparla-

viel Mehrwertsteuer die Bürger zahlen? Und wieviel Lohn griechische Bürger bekommen? Was wir erleben, ist der Tiefpunkt europäischer Kultur und Staatspolitik, zerstörerisch, rücksichtslos, inhuman, unverzeihlich. Und alle, wirklich alle politischen Bereiche in Grie-

rin arbeitet gegenwärtig fast nur mit Ehrenamtlichen. Das Memorandum verbietet es ausdrücklich, Juristen als Rechtsbeistand und Sozialarbeiter für Flüchtlinge einzustellen. Gemeinsam mit meinen Fraktionskolleg_innen aus dem Innenausschuss haben wir ein griechisches Flücht-

ments war. Als unsere Fraktion zu ihren Studientagen in Athen war, Anfang Juni, stellte er Fragen in den Raum: Wozu haben die Griechinnen und Griechen eigentlich gewählt? Welchen Sinn haben Wahlen, wenn keine eigenständige Politik gemacht werden darf? Was ist daran demokratisch? Wieso entscheiden andere über die Rentenhöhe der griechischen Pensionäre? Wieso legt die Troika fest, wie-

chenland sind betroffen. Das Land bekommt keine EU-Mittel ausgezahlt, solange die Verhandlungen anstehen. Alle Programmauszahlungen sind gestoppt. Das Memorandum verbietet es, Menschen einzustellen oder wieder einzustellen. Wir besuchten die griechische Migrationsministerin, ein neues Amt, geschaffen, um die Situation der Flüchtlinge endlich zu verbessern. Die Ministe-

lingslager besucht, ein Detention Center. Diese Center sind Gefängnisse, in denen zu VorSyriza-Zeiten Flüchtlinge bis zu 18 Monate lang eingesperrt wurden. Die Ankündigung, diese Gefängnisse aufzulösen, beantwortete die EU-Kommission damit, für einen solchen Fall die entsprechenden EU-Mittel zurückzufordern. Da diese Millionen aus bekannten Gründen nicht vorhanden sind, wurden

Bild: flickr.com/DIE LINKE. in Europa

Wenn dieser Artikel erscheint, wird das Referendum in Griechenland bereits Geschichte sein. Wir werden so oder so in einer neuen Situation sein. Schon jetzt stellt sich die Frage: Was ist das für eine Europäische Union, in der wir leben? Hat sie noch etwas zu tun mit einem europäischen Integrationsprozess und dem Gründungsmotto „Vereint in Vielfalt“, oder wurde derselbe auf dem Altar eines mitgliedsstaatlichen Nationalistenstadls geopfert? Die Stimmung ist mittlerweile überall aufgeheizt und „die Griechen, die ihr Geld unter dem Kopfkissen horten“, wie in der ARD am Wochenende festgestellt, werden zu den Buh-Leuten des Kontinents. Chauvinismus pur. Wer hätte das gedacht, 70 Jahre nach dem Ende eines Krieges, dessen geistige Wurzeln ebenfalls im Chauvinismus lagen. Wir werden uns als Linke Gedanken machen müssen, wie wir uns künftig aufstellen, was von dieser Union noch zu erwarten ist und was nicht. Ich bin wahrlich eine Europäerin durch und durch. Genau deshalb aber glaube ich, dass die üblichen Proteste nicht ausreichen. Wir müssen begreifen, dass alles, was momentan in Athen geschieht, eine Angelegenheit der gesamten Linken in Europa ist. Es trifft uns, direkt. Und wir sind als Linke auch direkt gemeint. In gewissem Sinne müssen wir Europa verteidigen, gegen die selbstgerechten Zerstörer unter ihrer Anführerin Merkel. Dass die Griech_innen wenigs-

07-08/2015 Sachsens Linke!

die Center geöffnet und die Verweildauer auf sechs Monate verkürzt. Zugleich reist die Migrationsministerin durchs Land, um mit Bürgermeister_innen Wohnungen für Flüchtlinge zu erschließen. Zeitgleich kommen tausende neue Flüchtlinge auf den griechischen Inseln an. Es wäre dringend nötig, dass andere Mitgliedsstaaten bei der Aufnahme von Flüchtlingen Unterstützung gewähren. Italien und Griechenland platzen förmlich aus den Nähten. Aber dazu konnten sich die EU-Innenminister bekanntlich nicht durchringen. So ist die Lage. Da ist die viel gepriesene Solidarität. Und nicht viel anders ist es in anderen Bereichen. Arbeitsbeschaffungsprogramme zur Armutsbekämpfung hat die neue griechische Regierung beschlossen, Programme, die sie nicht umsetzen kann, weil sie keinen Cent dafür zur Verfügung hat. Also werden gerade Dinge im Parlament beschlossen, die möglichst nichts kosten. Dazu gehören das Gesetz zur Anerkennung der HomoEhe und die Anerkennung der Staats-bürgerschaft von Migrantenkindern, die in Griechenland geboren sind. Die EU steht am Scheideweg. Vermag sie noch Impulse für soziale Entwicklung in den Mitgliedstaaten und zur Wahrung der Humanität zu vermitteln? Oder ist sie längst untergegangen im Getöse der neuen Führerschaft im nicht geeinten Europa? Ich weiß es nicht. Cornelia Ernst

G7: Weltfremd in den Bergen Die Gruppe der großen Industrienationen (G7) traf sich kürzlich auf Schloss Elmau in den Alpen, um mal nebenbei die Welt zu retten. Die Bergluft ist Obama, Merkel und Co. offenbar zu Kopf gestiegen. Denn die Probleme der Weltwirtschaft oder den Klimawandel ohne China, Russland und andere Staaten anzugehen, ist unseriös. Für diesen weltfremden PR-Gipfel zahlte der Steuerzahler 360 Millionen Euro. Gegen das Spektakel protestierten zu Recht Tausende. Man wolle Russland wegen Völkerrechtsbruchs bei der Wiedereingliederung der Krim keine Bühne geben. Fakt ist: Hätten nur Länder am G7-Gipfel teilnehmen dürfen, die sich seit der Nachkriegszeit nicht an völkerrechtswidrigen Kriegen beteiligt haben, wäre Japan alleine gewesen. Nebenbei wurde das Treffen als Bühne genutzt, von der aus EUKommissionspräsident JeanClaude Juncker abermals die

griechische Regierung von Alexis Tsipras angriff. Dabei ist die Aufforderung lächerlich, die griechische Seite müsse nun endlich Vorschläge vorlegen, angesichts der 50-seitigen Reformliste, die Tsipras in der Woche zuvor an die Ex-Troika übermittelt hatte. Dagegen stehen die immer gleichen Forderungen von Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF), noch weitere Rentenkürzungen und Steuererhöhungen für die Ärmsten durchzuführen. Dies mündete in sieben Jahre Depression und führt zudem durch den Wirtschaftseinbruch immer tiefer in den Schuldensumpf. Dabei werden auch die deutschen und europäischen Steuerzahler betrogen, die am Ende für die Griechenland-Kredite haften. Bei der korrupten Regierung der Ukraine – die ihre Bevölkerung frieren lässt, aber weiter aufrüstet – soll übrigens weiter Geld fließen. Im Programm befassten sich

die G7 mit Umwelt- und Klimaschutz, Gesundheitspolitik sowie Entwicklungszusammenarbeit. Selbst in diesen Bereichen herrscht blindes Vertrauen in die Multis. So sollen private Investoren für Projekte zur Verringerung von Klimagasen oder Müllbergen sowie zur Entwicklungsfinanzierung gewonnen werden. Wobei deren Profite dann oftmals über öffentlichprivate Partnerschaften durch die Steuerzahler abgesichert werden – genau wie beim Juncker-Investitionsplan für die EU. Dass solche Konzerne oftmals für miserable Arbeitsbedingungen und Umweltschäden in globalen Lieferketten hauptverantwortlich sind, wird verschwiegen. Konkrete Maßnahmen sind Fehlanzeige, höchstens ruft man zu freiwilligen Selbstverpflichtungen auf. Diese sollen übrigens auch die Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika nutzen, um sich Versicherungsprodukte gegen Klimaschäden zuzulegen. Was

für ein Zynismus. Gleichzeitig rauben Steueroasen, wie Junckers Luxemburg oder auch der US-Bundesstaat Delaware direkt um die Ecke von Washington, Ländern des globalen Südens jedes Jahr Milliarden Dollar an Einnahmen. Das Volumen schmutziger Finanzflüsse aus Afrika übersteigt das der Entwicklungszusammenarbeit um ein Vielfaches, aber hierzu versteckt sich die G7 hinter dem unzureichenden BEPSProjekt der Industrieländerorganisation OECD. Bei dessen Ausarbeitung sitzen die reichen Länder – wie so oft – unter sich. Sie sind auch die einzigen, die von Fortschritten beim automatischen Informationsaustausch zu Steuerdaten sowie den Steuervorbescheiden für Multis profitieren. Wer nicht das passende IT System hat – die Mehrheit der anderen –, erhält auch keine Informationen. Gleiches gilt für die gefährlichen Freihandelsabkommen. So drängen die G7 auf

den möglichst schnellen Abschluss der Handels- und Investitionsabkommen mit den USA (TTIP), Kanada (CETA) sowie des Dienstleistungsabkommens TISA. Freilich inklusive Regulierungsräten – eine Art Gesetzes-TÜV der Lobbyisten – sowie privaten Schiedsgerichten. Dort sollen Konzerne Staaten verklagen, wenn neue Gesetze ihre Profite bremsen. Dabei haben gerade zwei Millionen Menschen im Rahmen der von der EU-Kommission nicht anerkannten Europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA unterschrieben. Doch auf Elmau zählen die Interessen der Mehrheit nicht. Fabio De Masi


Sachsens Linke! 07-08/2015

DIE LINKE im Bundestag

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Dresden: G7-Finanzministertreffen ist überstanden Ende Mai wurde Dresden von den Finanzministern und Zentralbankchefs der G7 heimgesucht. Anders als in Elmau, wo sich die Regierungschefs in einem abgelegen Bergschlösschen verschanzten und eine riesige Entourage aus Unterhändlern und Journalisten extra aus München angekarrt werden musste, trafen sich die Minister in Dresden fast unter den Augen der Öffentlichkeit. Doch nur fast, denn natürlich fanden die eigentlich interessanten Gespräche hinter verschlossenen Türen statt. Entsprechend blieben vor allem blumige Erklärungen hängen und inszenierte Bilder, wie die Finanzminister alte Münzen anguckten, Sekt schlürften und Kirchenbänke plattdrückten. Die magere Ausbeute hängt aber auch damit zusammen, dass in Dresden fast nichts Neues besprochen wurde und dort, wo es spannend wurde, die Widersprüche unter den Teppich gekehrt wurden. DIE G7 inszeniert sich nach außen als Wertegemeinschaft. Wenn es um den Rest der Welt geht, sind sie auch gerne bereit, eine gemeinsame Strategie zu verabreden. Wenn es um innere Angelegenheiten geht, etwa im Bereich der Wirtschaftsund Finanzpolitik, gibt es zwar durchaus Bedarf für eine abgestimmte Politik. Konkrete Vorschläge dazu werden aber,

egal von wem sie kommen, von den Regierungen zunächst einmal als unerwünschte Einmischung oder unberechtigte Kritik abgetan. Dies kam auch in Dresden zum Ausdruck. Die Bundesregierung wollte eine allgemeine Theoriedebatte führen, um für Schuldenabbau und Strukturreformen zu werben – worunter jeder etwas anderes verstehen kann, die Bundesregierung aber die Kürzung von Staatsausgaben und die

diese Haltung im Ausland unter Ökonomen aber als weltfremd. Die Reaktionen folgten prompt. Anstelle von Ideologie wünschte sich US-Finanzminister Jack Lew eine „pragmatische Lösung“ der griechischen Schuldenkrise. Einer seiner Amtsvorgänger, der ebenfalls geladene US-Ökonom Larry Summers, fand noch deutlichere Worte: „Mehr Wachstum durch Austerität zu erzielen ist die am wenigsten plausible Variante

haben diese Warnungen aber leider nicht. Nach wie vor hat die Bundesregierung nicht erkannt, dass eine rund laufende Wirtschaft der Schlüssel zum Schuldenabbau ist und nicht umgekehrt. Weitere Themen des Finanzministertreffens waren die Bekämpfung von Steuerflucht und der Terrorismusfinanzierung sowie die Finanzmarktregulierung. Als Gastgeberin hätte die Bundesregierung dabei neue Akzente setzen kön-

Beschneidung von Arbeitnehmerrechten. Im Rest der Welt gibt es zwar auch Anhänger dieser Theorie (einige davon hatte die Bundesregierung extra zu ihrer Unterstützung eingeflogen), mehrheitlich gilt

der Wirtschaftspolitik“. Ein namentlich nicht genannter Notenbanker ergänzte: „Es ist gut, wenn Schäuble jetzt auch von hochrangigen Ökonomen hört, dass Sparen in einer Rezession Gift ist“. Verfangen

nen, beschränkte sich aber auf ohnehin laufende Reformvorhaben. Neu war nur der wenig revolutionäre Vorschlag, dass die Steuerverwaltungen international besser kooperieren und gemeinsame Betriebs-

prüfungen durchführen sollen. Dazu sollte man aber wissen, dass in Deutschland eine vernünftige Betriebsprüfung von Großunternehmen seit Jahren schon daran scheitert, dass sich Bund und Ländern darauf nicht einigen können. In der Finanzmarktregulierung war der einzig neue Vorschlag ein Verhaltenskodex für Bankangestellte. Angesichts der ständigen Bankskandale, die zu vielen milliardenschweren Strafzahlungen geführt haben, spricht natürlich einiges für einen Kulturwandel. Doch längst hat sich jede größere Bank einen eigenen wohlklingenden Verhaltenskodex gegeben. So ist die neue Initiative eher ein Zeichen dafür, dass die G7 keine gemeinsame Basis für weitreichendere Maßnahmen mehr haben und deswegen auf Alibi-Politik zurückgreifen müssen. Wie viele andere wichtige Themen vernachlässigt wurden, zeigten exemplarisch verschiedene Aktivitäten außerhalb des offiziellen Gipfelprogramms. Dazu gehörte die LINKE mit einer Performance auf dem Postplatz. Außerdem appellierte das Bündnis Erlassjahr an die G7, ein faires Entschuldungsverfahren für arme Staaten nicht länger zu blockieren. Und die Entwicklungsorganisation ONE forderte endlich Taten im Kampf gegen extreme Armut. Axel Troost

Fraktion des Gemeinsamen Gregor Gysi hat viele Verdienste – nicht nur für unsere Partei. Beispielhaft erwähnen möchte ich sein Wirken für das Zusammenwachsen von Ost und West und seine brillante Art und Weise, soziale Missstände zu thematisieren. Wenn ein so außergewöhnlicher Politiker die erste Reihe der politischen Bühne verlässt, ist dies ein Verlust. Deshalb möchte ich zunächst die Gelegenheit nutzen, ihm für das Geleistete „Danke“ zu sagen. Für Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, die Bernd Riexinger und ich als Parteivorsitzende der Fraktion als Nachfolger vorschlagen, wird es nicht einfach sein, Gregor Gysi nachzufolgen. Als ich gemeinsam mit Bernd Riexinger 2012 nach dem turbulenten Parteitag von Göttingen den Parteivorsitz übernommen habe, wurden wir mit ähnlichen Fragen konfrontiert. Wir setzten auf eine Kultur des Zuhörens, verbunden mit einer Politik, die Gemeinsamkei-

ten in den Mittelpunkt stellte. Später entwickelten wir hieraus das Konzept der „verbindenden Partei“. Ein Konzept, das die Partei als Ort denkt, in dem verschiedene politische Ansätze, Arbeit in den sozialen Bewegungen und parlamentarische Arbeit, Regieren und Opponieren, nicht als unauflösliche Gegensätze betrachtet, sondern als berechtigte und notwendige Momente. Diese Herangehensweise hat dazu beigetragen, dass wir bei Wahlen und Umfragen wieder gut dastehen. „Verbindende Partei“ meint zudem, die Forderungen in den Mittelpunkt zu rücken, die die verschiedenen sozialen Gruppen von Erwerbslosen über Prekäre bis hin zur Kernbelegschaft verbinden. Wie die Partei muss auch die Fraktion zu allen zentralen Fragen eine gemeinsame Position entwickeln und das Gemeinsame in den Fokus rücken. Eine Fraktion, die sich lediglich als Konföderation der verschiedenen Strömun-

gen versteht, würde stets weit unter ihren Möglichkeiten bleiben. Eine Fraktion, die hingegen das politisch Gemeinsame betont und in der die gewachsene Mitte der Fraktionsmitglieder, die sich keiner der innerparteilichen Strömungen zurechnen, personell stark eingebunden ist, kann so womöglich sogar gestärkt aus den personellen Veränderungen hervorgehen. Gestärkt müssen wir auch in die kommenden beiden Jahren gehen. Denn das Wahljahr 2017 rückt näher. Die Medien interessieren sich zunehmend für Koalitionsfragen statt für unsere Inhalte. Unser Diskussionsstand aber ist viel klüger, als die Koalitionsfrage trivial mit Ja oder Nein zu beantworten. Wenn wir die Machtfrage also nicht nur abstrakt, sondern konkret stellen wollen, dann müssen wir dies entlang inhaltlicher Kriterien tun. Schließlich lautet unser Maßstab: Wie können wir das größtmögliche Maß an gesellschaftlicher Verbesse-

rung durchsetzen? Dabei haben wir uns darauf geeinigt, dass es Haltelinien gibt: z. B. nicht „ja“ zu Kriegseinsätzen, zu Privatisierungen oder zu Sozialkürzungen zu sagen. Und es gibt Fortschritte, die wir unbedingt erreichen wollen: z. B. gute Arbeit ohne sachgrundlose Befristungen, ein Ende des Hartz-IV-Sanktionssystems, die solidarische Bürger*innenversicherung, Umverteilung von privat zu öffentlich sowie einen humaneren Umgang mit Flüchtlingen. Wenn es Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch gelingt, die Arbeit der Fraktion auf die 95 Prozent zu fokussieren, die sie politisch einen, werden wir unserer Rolle als angriffslustige Opposition auch in den letzten beiden Jahren dieser Legislaturperiode gerecht. Und Oppositionsführerschaft ist auch dringend geboten: Unter Führung der Großen Koalition nimmt die soziale Ungerechtigkeit nicht ab. Die Umverteilung von unten nach oben wurde fortgeführt. Die bornierte

Austeritätspolitik von Schäuble, Merkel und Gabriel treibt die Spaltung in Europa voran. Große Zukunftsfragen, wie Arbeitszeitverkürzung und der Kampf für Klimagerechtigkeit, werden erst gar nicht in den Blick genommen. Als größte Oppositionsfraktion haben wir hier eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen. Gregor Gysi sagte während seiner Rede auf dem Bielefelder Parteitag: „Macht was draus“. Als verbindende Partei und Fraktion der Gemeinsamkeiten werden wir was daraus machen. Katja Kipping


Kommunal-Info 6-2015 1. Juli 2015 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Flüchtlinge Unter welchen Voraussetzungen können Flüchtlinge ein Bankkonto eröffnen Seiten 2 u. 3

Elternbeiträge Was zu beachten ist, wenn KitaElternbeiträge erhöht werden Seite 3

Seminare Vorschau auf Seminare nach der Sommerpause: - Kommunales Haushaltsrecht - Aufsichtsräte in Unternehmen Seite 4

Graffiti anonym oder legal An der Frage, ob Graffiti an Hauswänden und in Tunneln Kunst ist, scheiden sich die Geister. Für die Kommunen ist eines klar: Illegale Sprühwerke sind Sachbeschädigung, deren Beseitigung hohe Kosten verursacht. Die Graffitiszene hat bekanntermaßen ihren eigenen „Slang“ und Stolz. So freut sich ein „Writer“ (= Grafittisprüher) diebisch, wenn er ein neues „Masterpiece“ (= besonderes Kunstwerk) angefertigt hat und beim „Bombing“ (= illegales Sprayen) nicht erwischt wurde. Dadurch konnte er seinem Ruf als „All city king“ (= Sprayer, der im Stadtbild mit seiner Graffitikunst überall präsent ist) wieder einmal gerecht werden. Zweifelhafte Reputation mit unrühmlichen Ausgang erlangten im Frühjahr in Singapur zwei Sprayer aus der deutschen Graffitiszene. Die beiden jungen Männer wurden beim illegalen Sprayen in Singapur erwischt und hart bestraft. Die Deutschen wurden jeweils zu neun Monaten Haft und drei Stockschlägen auf den blanken Hintern verurteilt. Wer in Deutschland beim „Bombing“ ertappt wird, kann sicher sein, dass ihm keine körperliche Gewalt angetan wird – dafür drohen jedoch empfindliche Geldstrafen. In deutschen Kommunen ist man sich einig, dass illegale Graffitikunst eine teure und illegale Sachbeschädigung darstellt. „In den wenigsten Fällen handelt es sich bei Graffiti um künstlerische Werke, sondern um einfache Kürzel, deren Sinn wohl nur Eingeweihte verstehen“, betont Anton Philipp Knittel, Pressesprecher der Stadt Heilbronn. Im sächsischen Radebeul wird bei diesem Thema ähnlich gedacht: „Wenn Graffiti als Gekrakel wahllos und ungenehmigt an privaten und öffentlichen

Gebäuden, Masten und Zäunen aufgesprayt wird, hat dies nichts mit Kunst zu tun, sondern ist eindeutig und konsequent als Sachbeschädigung zu verfolgen“ (Ute Leder, Pressesprecherin der Stadt Radebeul). Dennoch gehen die Kommunen differenziert mit diesem Thema um. Es lässt sich eben nicht wegdiskutieren, dass Graffiti mittlerweile eine „etablierte“ Ausdrucksform der urbanen Jugendkultur darstellen, für die im Stadtbild ebenfalls Raum vorhanden sein muss. „Wenn spezielle Flächen für eine künstlerische Gestaltung ausdrücklich von den Eigentümern zur Verfügung gestellt worden, dann verhält sich das ganz anders“, so die Pressesprecherin der Stadt Radebeul.

Legale Flächen in der Stadt Dem Thema differenziert begegnen will ebenfalls die sächsische Landeshauptstadt Dresden. „Dies bedeutet einerseits, illegalem Graffiti vorzubeugen und andererseits legales Sprayen zu ermöglichen“, erklärt Anke Hoffmann von der Pressestelle der Stadt. Das geschehe unter anderem durch das Anbieten von legalen Flächen sowie durch präventive Angebote in Zusammenarbeit mit verschiedenen Vereinen im Stadtgebiet, insbesondere „Spike Dresden“. Im Lokalen Handlungsprogramm für Ordnung und Sauberkeit seien finanzielle Mittel eingestellt, um dieses Ziel zu erreichen. In Dresden gibt es sechs öffentliche Plätze, an denen es erlaubt ist, die Kunstform der Graffiti legal auszuleben. Diese Flächen seien mit einem „Legal-Plain-Logo“ gekennzeichnet. „Nur wenn sie dieses Logo tragen, dürfen sie besprüht werden“, erklärt die Mitarbeiterin der städtischen Öffentlichkeitsarbeit.

Legale Graffiti und Graffitgestaltungen können durchaus eine positive Wirkung haben. „Durch die einzigartige Gestaltung zum Beispiel der Bahnbögen am Bahnhof Dresden-Mitte und des Gorbitzer Fußgängertunnels konnte und kann illegalen Schmierereien größtenteils vorgebeugt und eine erneute illegale Bemalung größtenteils verhindert werden“, so Anke Hoffmann. Die Stadt Heilbronn geht konsequent gegen illegale Graffiti in der Innenstadt vor. „Da der künstlerische Aspekt in den allermeisten Fällen keine Rolle spielt, wirkt sich Graffiti negativ auf das Stadtbild aus“, sagt Pressesprecher Anton Philipp Knittel. Der Bürger empfinde das Graffiti als schmuddelig und verbinde die Farbsprühereien mit einem unsauberen Erscheinungsbild, meint Knittel. Graffiti an städtischen Objekten würden daher durch die Bauverwaltung schnellstmöglich entfernt. Das sei besonders an exponierten Lagen oder bei politischen Parolen der Fall. Dank einer entsprechende Initiative sei in den letzten zwei Jahren ein Großteil der privaten Hausbewohner oder Geschäftsinhaber in der Innenstadt mit der Bitte angeschrieben worden, die aufgesprühten Graffiti an den Gebäuden entfernen zu lassen. Oberstes Ziel in Heilbronn sei die zeitnahe Entfernung der Graffitis, um bei den Urhebern die „Freude“ am Werk zu reduzieren und eventuell Folgetaten zu vermeiden.

Schwierige Reinigung Auch in Dresden wird betont, dass für die Entfernung von Graffiti nicht nur im öffentlichen Raum immer der jeweilige Eigentümer des betroffenen Objektes zuständig sei. Ob er aber eine

Entfernung vornehme oder veranlasse, liege in seiner Verantwortung. Sobald aber verbotene Schriftzüge und Symboliken ins Spiel kämen, sei der Eigentümer zur Entfernung verpflichtet. Ob illegale Graffiti nun als ästhetische Ausdrucksform urbaner Jugendkultur oder als hässliche Schmiererei eines Schmutzfinken wahrgenommen werden, hängt in erster Linie vom Auge des jeweiligen Betrachters ab. Was sich jedoch ohne große Diskussion festhalten lässt: Aufgesprühte Graffiti an denkmalgeschützten Gebäuden können der historischen Bausubstanz erheblich schaden. Besonders problematisch seien Krakeleien auf Sandstein oder Granit, weil die Farbe in diese Baustoffe besonders tief eindringen kann, sagt Heilbronns Pressesprecher. Es gäbe in der Prävention verschiedene Schutzlacke, die aber noch im Test sind, inwiefern Mauerwerke beeinträchtigt werden, so Ute Leder, Pressesprecherin der Stadt Radebeul. Als Spezialist auf dem Gebiet der Graffitientfernung gelte die Deutsche Bahn (DB), die oft von Schmierereien betroffen sei. Die Stadt Radebeul arbeitet daher eng mit dem Unternehmen zusammen. Es gibt derzeit eine vertragliche Kooperation des Verkehrsverbundes Oberelbe (VVO) mit der Deutschen Bahn, wo derartige Schmierereien in Bahnhöfen regelmäßig entfernt werden, berichtet Ute Leder. „Wir bemühen uns als Stadt zudem darum, von der Deutschen Bahn die Möglichkeit der künstlerischen Gestaltung der Bahnunterführungen zu erhalten und wollen diese dann mit unseren Schulen in Patenschaft gestalten“, untermauert die Pressesprecherin. (Quelle: www.treffpunkt-kommune.de, 5. Juni 2015)


Kommunal-Info 6/2015

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Bankkonten für Geflüchtete? Von Konrad Heinze, Chemnitz Ein Bankkonto zu haben ist für die allermeisten Menschen in Sachsen eine Selbstverständlichkeit. Zahlungen entgegennehmen, Rechnungen begleichen, bargeldloses einkaufen – kaum ein Aspekt des täglichen Lebens bleibt hiervon unberührt. Seien es beispielsweise die monatliche Miete, der Mobilfunkvertrag oder der Mitgliedschaftsbeitrag im Verein, nur noch selten werden derartige Transaktionen in bar getätigt. Somit kann die Verfügung über ein Bankkonto private Autonomie und gesellschaftliche Teilhabe schaffen. Die Eröffnung eines Kontos wird jedoch gerade geflüchteten Menschen immer wieder verwehrt. Ein wesentlicher und immer wieder genannter Grund ist, dass die betreffenden Banken rechtliche Bedenken in Bezug auf die Legitimation der Person geltend machen. Dies bezieht sich auf das 2008 in Kraft getretene „Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten“, kurz auch „Geldwäschegesetz (GwG)“. Demnach sind die Banken verpflichtet, vor der Kontoeröffnung die Identität der antragstellenden Person zu überprüfen, was anhand geeigneter Dokumente erfolgen soll, mit denen „die Pass- und Ausweispflicht im Inland erfüllt wird, insbesondere anhand eines inländischen oder nach ausländerrechtlichen Bestimmungen anerkannten Passes, Personalausweises oder Pass- oder Ausweisersatzes“.1 Hierin liegt nun die Schwierigkeit, denn oftmals wird die Bescheinigung über die Aufenthaltsgestattung für den Aufenthalt2 im laufenden Asylverfahren als auch die Bescheinigung über die Duldung3 für nach dem Ende des Asylverfahrens abgelehnte Asylsuchende nicht als Ausweisersatz anerkannt. Die Folgen davon sind mannigfaltig und bedeuten in ihrer Gesamtheit einen Ausschluss vom gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben. So wurde zwar in letzter Zeit vielfach über den erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylsuchende diskutiert, aber die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bleibt solange erschwert, wie die betreffende Person kein Konto für die Lohneinzahlungen vorweisen kann.4 Ohne Arbeitsvertrag wird es auch schwerfallen, den Lebensunterhalt eigenständig zu sichern als auch selbstständig eine Wohnung anzumieten. Eine Vielzahl von privatrechtlichen Verträgen, wie etwa das genannte Beispiel eines Mobilfunkvertrages, benötigen zwingend eine Einzugsermächtigung. Kleine, angesparte Beträge wie sie im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) auch ausdrücklich erlaubt sind5, lassen sich ohne Konto nicht verzinsen.

Mehr Kosten und Aufwand Da die Leistungen nach AsylblG in Bar ausgezahlt werden, müssen die leistungsberechtigten Personen gerade im ländlichen Raum teils weite Wege zur Ausgabestelle zurücklegen, welche wiederum mit Fahrtkosten verbunden sind.

Mancherorts bieten die ansässigen karitativen Einrichtungen wie die Caritas oder die Diakonie Asylsuchenden ohne Konto an, Rechnungen über von den Vereinen geführte Konten zu begleichen. Diese Vorgehensweise, lobend herauszustellen und getragen von viel Engagement, kann jedoch keine flächendeckende Lösung sein, gerade weil für den zu betreibenden Aufwand auch die Zeit für Beratungsgespräche etc. abgeht. „Kurzum: Ein normales Leben ist heutzutage in Deutschland ohne Konto nicht möglich.“6 Aber auch den Verwaltungen der Kommunen, welche ja als untere Unterbringungsbehörde für die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zuständig sind, entsteht ein zusätzlicher Aufwand. Staatliche Leistungen

schen dem BMF, dem DSGV als auch der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) folgendem Umstand Rechnung getragen: „angesichts des starken Zustroms erhalten derzeit nicht alle Asylbewerber und Flüchtlinge zeitnah eine Bescheinigung nach § 63 AsylVfG. Auf Anregung des DSGV hat sich deshalb das BMF bereit erklärt, übergangsweise auch Meldebescheinigungen - sofern diese mit einem Lichtbild versehen sind – als Identifikationspapier im Sinne von § 4 Abs. 4 Nr. 1 GwG anzuerkennen. Das BMF trägt damit dem Umstand Rechnung, dass auch die Bescheinigung nach § 63 AsylVfG letztlich wie die Meldebescheinigung nur auf eigenen Angaben der Betroffenen beruht.“8 Dem Kontext ist zu entnehmen, dass

Duldung existiert in zwei Varianten, die sich darin unterscheiden, ob ein eigener Nationalpass auf zumutbare Weise beschafft oder die Nicht-Zumutbarkeit der Beschaffung nachgewiesen werden kann.10 Im ersten Fall wird die Bescheinigung über die Duldung als Ausweisersatz mit Lichtbild ausgestellt, auch qualifiziert Duldung genannt. Hingegen wird im zweiten Fall die Bescheinigung mit dem Hinweis versehen, dass selbige nicht der Passpflicht genügt.11 Diese Form stellt auch die überwiegende Zahl der ausgestellten Duldungsbescheinigungen dar.12 Angemerkt sei noch, dass die Entscheidung über die Zumutbarkeit im Ermessen der zuständigen Ausländer-

werden in aller Regel bargeldlos überwiesen, nur eben im Falle der Leistungen nach AsylblG nicht. Im Zweifel erfordert dies mehr Personal und Kosten, etwa für die Barausgabe selbst als auch für die Sicherung der Kassenräume.

„Meldebescheinigung“ hier die „Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender“, kurz BÜMA, meint. Diese wird von der Stelle ausgegeben – entweder eine Polizeidienststelle oder Ausländerbehörde – bei der sich die betreffende Person als asylsuchend zu erkennen gab. Eine BÜMA gilt nicht als Aufenthaltstitel, bescheinigt aber den Aufenthalt zum Zwecke der Stellung eines Antrags auf Asyl. Konkret heißt es weiter: „Die Meldebescheinigung (in einigen Bundesländer gibt es sog. „Heimausweise“ die eine ähnliche Gestaltung aufweisen) entspricht daher der Aufenthaltsgestattung nach §63 AsylVfG (so auch die ausstellende Behörde), die unstreitig zur Kontoeröffnung herangezogen werden könnte.“9

behörde liegt und immer wieder Grund für Klagen und Gerichtsverfahren ist. Hinsichtlich der Thematik der Kontoeröffnung gilt eine Duldung mit dem genannten Hinweis nicht als die Identi-

Der Identifikationsnachweis Hinsichtlich des Problems der Legitimation von Dokumenten über die Identität einer asylsuchenden Person stellte jedoch kürzlich das Bundesministerium der Finanzen (BMF) in einer E-Mail an den Deutschen Sparkassenund Giroverband e.V. (DSGV) unmissverständlich klar: eine Bescheinigung über die die Aufenthaltsgestattung nach § 63 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) genügt den Kriterien der Identitätsfeststellung des GwG vollumfänglich. Dies gilt auch dann, wenn auf dem benannten Papier das Feld „Personenangaben beruhen auf eigenen Angaben des Inhabers“ angekreuzt ist.7 Weiterhin wird in Absprache zwi-

Bescheinigung über Duldung In Bezug auf die Personen, die nach einem abgelehnten Asylverfahren eine Duldung erhalten, gilt es zu differenzieren. Die Bescheinigung über die

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.


Kommunal-Info 6/2015

Seite 3 tät legitimierendes Dokument – was in der Folge dafür sorgt, dass es während des laufenden Asylverfahrens möglich ist, ein Konto zu eröffnen, an dessen Ende unter Umständen aber nicht. Dieses Paradoxon gilt gerade in Betracht dessen, dass Geduldete in der Regel über Jahre im Land verbleiben.13 Jedoch verweist das BMF in einer neuerlichen Pressemitteilung darauf, dass die oben genannte Übergangsregel über eine mit Lichtbild versehene Meldebescheinigung als Legitimation zur Kontoeröffnung auch auf Geduldete übertragen werden kann. „Das Recht gilt dann auch für Asylsuchende sowie für Personen, die zwar keinen Aufenthaltsstatus haben, aber aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht ausgewiesen werden können. Da dieser Personenkreis in vielen Fällen derzeit nicht in der Lage ist, ihre Identität in der von § 4 Abs. 4 Nr. 1 des Geldwäschegesetzes (GwG) verlangten Form bei der Kontoeröffnung nachzuweisen bereitet das Bundesministerium der Finanzen derzeit ebenfalls eine Anpassung dieser Norm vor, um die bestehende Ungleichbehandlung beim Zugang zu einem Zahlungskonto zu beenden.

gten bringt und wiederum in gewissem Maße einer Landes- und Bundesgesetzgebung vorgreifen kann. — 1

Zahlungskontengesetz Bis zum Inkrafttreten des Zahlungskontengesetzes werden für die Kontoeröffnung von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auf Vorschlag des BMF auch Meldebescheinigungen als Legitimationsgrundlage für eine Kontoeröffnung herangezogen werden können, wenn diese ein Lichtbild enthalten, um diesem Personenkreis die Eröffnung eines Kontos zu ermöglichen.“14 Das erwähnte Zahlungskontengesetzes bezieht sich auf die Umsetzung der europäischen „Richtlinie über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontenentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten und den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen 2014/92/EU“, kurz: Zahlungskontenrichtlinie. Selbige muss bis zum 18.09.2015 in nationales Recht umgesetzt werden, was aber nach Medienberichten bereits Anfang 2016 vollzogen sein soll.15 Das Kernstück der Richtlinie wie auch des Umsetzungsgesetzes ist, jeder Privatperson einen rechtlich verbindlichen Anspruch auf ein Guthabenkonto mit grundlegenden Zahlungsfunktionen zu gewähren.

Vorteile für Kommunen Von kommunaler Seite aus ergeben sich nun eine Reihe von Perspektiven, einen solchen Anspruch für Asylsuchende wie auch Geduldete noch vor Jahresbeginn 2016 voranzutreiben. Zum einen in Bezugnahme auf die bereits angesprochene BÜMA. Die Praxis der letzten Monate hat gezeigt, dass Asylsuchende immer früher auf die Kommunen verteilt werden. Infolgedessen warten sie dann mitunter über Monate auf die formale Antragsstellung beim BAMF – und eben solange auf die Ausstellung einer Aufenthaltsgestattung nach § 63 AsylVfG. Demnach kann sich die Geltungsdauer einer BÜMA weit über ihren eigentlichen Rahmen hinaus verlängern, aber auch wie dargelegt als Legitimation zur Eröffnung eines Kontos herhalten. Zum anderen kann der mehrfach

Vgl. § 4 Abs. 4 Satz 1 GwG. Vgl. §55 und §63 AsylVfG. 3 Vgl. §60a Abs. 4 und §78 Abs. 5 AufenthG. 4 Vgl. Landtag Baden-Württemberg, Drucksache 15/6329, S. 6: „Nicht auszuschließen ist aber, dass interessierte Arbeitgeber deshalb von der Einstellung eines Flüchtlings oder einer asylsuchenden Person Abstand nehmen könnten. Deswegen wird ein leichterer Zugang zu Zahlungskonten als zielführender Beitrag zur Erleichterung der Integration angesehen.“ 5 Vgl. §7 Abs 5 AsylblG. 6 Vgl. Pro Asyl (Hrsg.): Petition für das Recht Geduldeter auf ein Konto, Frankfurt a. M., 2008, S. 3. 7 Vgl. E-Mail des BMF an den DGSV, Betreff: Verifizierung und Identifizierung von Flüchtlingen bei Kontoeröffnung, vom 03.06.2015. 8 Vgl. Landkreistag Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Sonderrundschreiben S 186/2015. Kontoeröffnung für Flüchtlinge und Asylsuchende, vom 05.03.2015, S. 3. 9 Vgl. ebenda, S. 7. 10 Vgl. §55 AufenthV. 11 Vgl. §78 Abs. 5 AufenthG. 12 Vgl. Laut Pro Asyl wird nur in ca. 10% der Fälle eine qualifizierte Duldung ausgestellt, siehe: Pro Asyl (Hrsg.): Petition für das Recht Geduldeter auf ein Konto, Frankfurt a. M., 2008, S. 2. 13 Vgl. Wendel, Kay: Kettenduldung. Bleiberechtsregelungen und parlamentarische Initiativen 2000-2014, August 2014, S. 6-8. 14 Vgl. BMF (Hrsg.): Zahlungskonto für alle, vom 15.06.2015. 15 Vgl. Ratzesberger, Pia: Konto für Alle schon ab Anfang 2016, vom 13.06.2015. 16 Vgl. Fuhrmann, Andreas: Geduldete Flüchtlinge dürfen in Göttingen Konto einrichten, vom 02.04.2015. 17 Vgl. Walbrecht, Sigmar: BMF: Gesetz soll ab Anfang 2016 allen Gestatteten und Geduldeten Recht auf Konto garantierten, vom 17.06.2015. 18 Vgl. §6 Abs. 1 Gesetz über die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute im Freistaat Sachsen und die Sachsen-Finanzgruppe . 19 Vgl. §8 Abs. 1 Gesetz über die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute im Freistaat Sachsen und die Sachsen-Finanzgruppe. 20 Vgl. DSGV (Hrsg.): Ab Oktober Bürgerkonto für jede Privatperson. Pressemitteilung 97/2012, vom 26.09.2012. 21 Vgl. §5 Abs. 1 SächsSpkVo. 22 Vgl. Kässer, Waltraud: Asylbewerber im Kreis Konstanz bekommen Girokonto statt Bargeld, vom 23.01.2014. 23 Vgl. SPD-Stadtratsfraktion Aschaffenburg: Bankkonten für Asylbewerber bei der Sparkasse Aschaffenburg, vom 04.09.2013. 2

bemühte Begriff der „Meldebescheinigung“ auch mehr im Wortsinne gehandhabt werden. Konkret wird es in Göttingen Geduldeten so ermöglicht, ein Konto zu eröffnen. Ausschlaggebend hierfür war eine gemeinsame Initiative der Stadtratsfraktion der Grünen und des städtischen Integrationsrates. In Absprache mit dem dortigen Oberbürgermeister in seiner weiteren Funktion als Verwaltungsratsvorsitzender der Sparkasse Göttingen, stellen Stadt und Landkreis geduldeten Menschen ein personenbezogenes Dokument mit Lichtbild aus. Dieses wiederum wird von der Sparkasse Göttingen zum Zwecke der Identitätsfeststellung akzeptiert.16 Ähnlich pragmatisch wird im Landkreis Hildesheim verfahren. Bei der dort ansässigen Sparkasse können Geduldete ein Konto eröffnen, gesetzt den Fall, dass sie eine Aufenthaltsgestattung besaßen und diese in Kopie vorlegen.17 So erscheint nicht ohne Grund auch im Freistaat Sachsen die Ansprache der Sparkassen am zweckmäßigsten und aussichtsreichsten. Dies liegt darin begründet, dass die Verwaltungsräte von Sparkassen in kommunaler Trägerschaft von den Kreis- und Stadträten gewählt werden.18 Die Aufgabe des Verwaltungsrates besteht auch darin, die Richtlinien der Geschäftspolitik zu bestimmen.19 Darüber hinaus haben die Sparkassen bereits im Jahr 2012 eine Selbstverpflichtung beschlossen, „jeder Privatperson in ihrem Geschäftsgebiet ein Guthabenkonten –

sprich: Bürgerkonto – einzurichten.“20 Des weiteren sei auf die Sächsische Sparkassenverordnung verwiesen, nach der „die Sparkasse verpflichtet ist, für natürliche Personen mit Wohnsitz im Trägergebiet auf Antrag Girokonten zur Entgegennahme von Einlagen zu führen.“21 Mit dem formulierten politischen Willen, Asylsuchende wie Geduldete bei der Einrichtung von Bankkonten zum Gewinn an privater Autonomie und zur Erlangung eines Stücks Normalität im alltäglichen Leben zu unterstützen, lassen sich ebenso Vorzüge für die unterbringende Kommune gewinnen. Als Beispiel sei der Landkreis Konstanz angeführt. Der dortige Landrat hatte sich bei den Vorstandsvorsitzenden der im Landkreis ansässigen Sparkassen dafür eingesetzt, möglichst vielen der im Kreis untergebrachten geflüchteten Menschen ein Guthabenkonto zu ermöglichen. Im Endeffekt wird Verwaltungsaufwand eingespart, welcher auf 1,5 Personalstelle beziffert wird, weiterhin fallen die zusätzlichen Ausgaben für die Sicherung der Kassen weg.22 Ein Antrag der SPD-Fraktion im Stadtrat Aschaffenburg aus dem Jahr 2013 argumentiert ebenfalls mit Erleichterungen für die Asylsuchenden als auch für die städtische Verwaltung.23 Demnach zeitigt die Thematik des Zugangs zu und der Verfügung über Bankkonten für Asylsuchende und Geduldete, dass ein kommunales Handeln möglich ist, Vorteile für alle Beteili-


Kommunal-Info 6/2015

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Erhöhung der Elternbeiträge in Kitas Von Jens Matthis, Dresden Ganz unabhängig davon, mit welchen Ergebnissen die Tarifverhandlungen zwischen Verdi und dem Kommunalen Arbeitgeberverband ausgehen werden, so ist auch künftig wiederholt damit zu rechnen, dass die Elternbeiträge angepasst werden. Was ist dabei zu beachten?

Korrekte Berechnung der durchschnittlichen Personal- und Sachkosten Grundlage der Erhebung bzw. Erhöhung von Elternbeiträgen sind die Personal- und Sachkosten. Diese wurden bis zur letzten Änderung des Kita-Gesetzes als „Betriebskosten“ bezeichnet. Die neue Bezeichnung ist sicher klarer und unmissverständlicher, eine inhaltliche Veränderung ist aber mit der Umbenennung nicht verbunden. Das Sächsische Kita-Gesetz bestimmt dazu: § 14 Personal- und Sachkosten (1) Personal- und Sachkosten im Sinne dieses Gesetzes sind solche, die für den ordnungsgemäßen Betrieb einer Kindertageseinrichtung erforderlich sind. (2) Die Gemeinde hat jährlich bis zum 30. Juni des Folgejahres die durchschnittlichen Personal- und Sachkosten im Sinne von Absatz 1 eines Platzes je Einrichtungsart unter Berücksichtigung der Betreuungszeit, ihre Zusammensetzung und ihre Deckung zu ermitteln und bekannt zu machen. Die Kosten für zusätzliches Personal zur Umsetzung der Schulvorbereitung nach § 2 Abs. 3 sind hierbei nicht zu berücksichtigen. Aufwendungen für Abschreibungen, Zinsen und Miete sind gesondert auszuweisen. Für die Kindertagespflege ist unter Berücksichtigung der Betreuungszeit die durchschnittliche von der Gemeinde gezahlte laufende Geldleistung zu ermitteln und bekannt zu machen. Die ermittelten Personal- und Sachkosten im Sinne von Absatz 1 für Kindertageseinrichtungen sowie die durchschnittliche von der Gemeinde gezahlte laufende Geldleistung für die Kindertagespflege sind durch die Gemeinde bis zum 31. Juli dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu melden, der die Daten bis zum 31. August an das Staatsministerium für Kultus weiterleitet. Zunächst sollte geprüft werden, ob diese exakt ermittelt sind und hier nicht in unzulässiger Weise investive Kosten des Kita-Bereichs oder sachfremde Kosten versteckt mit hineingerechnet wurden.

Mehrbelastung der Gemeinde? Mit dem Doppelhaushalt 2015/16 wurde im Sächsischen Landtag auch die seit vielen Jahren überfällige Verbesserung des Betreuungsschlüssels in Kitas beschlossen. Dieser verbessert sich schrittweise: am 01.09.2015 im Kindergarten von 1:13 auf 1:12,5; am 01.09.2016 im Kindergarten von 1:12,5 auf 1:12; am 01.09.2017 in der Krippe von 1:6 auf 1:5,5; am 01.09.2018 in der Krippe von 1:5,5 auf 1.5.

Die Berechnungen der Sächsischen Staatsregierung zum Haushaltbegleitgesetz gehen davon aus, dass den Gemeinden ihre Mehrkosten durch die Erhöhung der Landespauschale ausgeglichen werden. Dazu ist der Freistaat nach Verfassung auch verpflichtet. Die Landespauschale beträgt seit 01.01.2015 2.010,00 Euro und steigt ab 01.09.2015 auf 2.085,00 Euro, ab 01.09.2016 auf 2.165,00 Euro, ab 01.09.2017 auf 2.295,00 Euro, ab 01.09.2018:auf 2.455,00 Euro, berechnet jeweils auf jedes 9 h betreute Kind, egal ob Krippe, Kindergarten, Hort oder Tagespflege, bei geringeren Betreuungszeiten entsprechend anteilig. Auch wenn angenommen wird, dass im landesweiten Durchschnitt die kommunale Mehrbelastung tatsächlich ausgeglichen wird, ist dennoch zu bezweifeln, dass dies für jede Kommune gilt. Bekanntlich gilt das Sprichwort: „Der Dorfteich ist im Durchschnitt einen Meter tief und trotzdem ist die Kuh ersoffen“. Es wird Gemeinden geben, für die die erhöhte Landespauschale recht auskömmlich ist und andere, bei denen ein Defizit bleibt. Insbesondere bei Kommunen mit überdurchschnittlichen Krippenkinderanteilen und bei Kommunen mit wachsenden Betreuungszahlen besteht die Gefahr eines Defizits. Es empfiehlt sich deshalb, sich von der Stadt- bzw. Gemeindeverwaltung eine genaue Kalkulation vorlegen zu lassen und im Falle eines Defizits entsprechende Forderungen gegenüber dem Freistaat Sachsen aufzumachen.

Spielraum beim Elternbeitrag? Die aus einer Verbesserung des Betreuungsschlüssels folgende Erhöhung des Personal- und Sachkosten können sich aber lt. § 14 Abs.2 SächsKitaG erst im Jahr 2016 auf die Elternbeiträge niederschlagen. Eine Erhöhung des Elternbeitrages im Jahr 2015 hat mit dieser Verbesserung noch nichts zu tun und kann nur Ausdruck der allgemeinen Kostenentwicklung sein. Laut Kita-Gesetz müssen sich die Elternbeiträge zwischen 20% und 30% (Kindergarten) bzw. 20% und 23% (Krippe) bewegen. In einer Gemeinde darf für die gleiche Betreuungszeit in der jeweiligen Betreuungsart nur ein einheitlicher Elternbeitrag festgesetzt werden. Manche Kommunen passen ihre Elternbeiträge jährlich an, andere nehmen Veränderungen (in aller Regel Erhöhungen) in größeren Abständen vor. Gerade im Kindergartenbereich ist es nicht zwangsläufig, dass die Verbesserung des Betreuungsschlüssels zu einer Erhöhung der Elternbeiträge führen muss. So könnte eine Gemeinde, wenn sie bisher den Elternbeitrag im oberen Bereich (25-30%) erhoben hat, es sich durchaus leisten, den absoluten Elternbeitrag nicht zu erhöhen. Das heißt: Der Elternbeitrag bliebe in Euro und Cent stabil, würde aber künftig einen geringeren Prozentsatz der durchschnittlichen Personal- und Sachkosten ausmachen. Nur die 20%-Marke dürfte er nicht unterschreiten. Die Möglichkeit einer solchen Vorgehensweise sollte zumindest geprüft werden. Allerdings

Vorschau auf Seminare nach der Sommerpause Den kommunalen Haushalt lesen und verstehen. Doppik für Mandatsträger Schwerpunkte: Haushaltssatzung und Haushaltsplan – was beinhalten beide? Nach welchen Haushaltsgrundsätzen ist der Haushaltsplan aufzustellen? Wie ist ein „doppischer“ Haushaltsplan aufgebaut? Was wird durch den Ergebnishaushalt und was durch den Finanzhaushalt abgebildet? Was geschieht, wenn die Haushaltssatzung nicht beschlossen wurde und nur eine vorläufige Haushaltsführung möglich ist? Welche Abweichungen vom Haus-haltsplan sind zulässig, wann ist ein Nachtragshaushalt zu beschließen? Wie ist die Eröffnungsbilanz aufzustellen, was ist dabei zu beachten? Unter welchen Voraussetzungen wird im „doppischen“ Haushalt der Haushaltsausgleich erreicht? Unter welchen Voraussetzungen darf die Kommune Kredite aufnehmen? Wann muss ein Haushaltsstrukturkonzept aufgestellt werden, was muss darin enthalten sein? Nach welchen Grundsätzen hat die Kommune den Jahresabschluss zu erstellen? Freitag 18.09.2015 ab 18:00 Uhr bis Sonnabend 19.09.2015 ca.15:30

Kommunale Unternehmen und die Rechte und Pflichten von kommunalen Vertretern in Aufsichtsräten Schwerpunkte: Unter welchen Voraussetzungen darf eine Kommune in Sachsen wirtschaftliche Unternehmen führen (§ 97 SächsGemO)? Welche Unternehmensformen des öffentlichen und des privaten Rechts kommen als kommunale Unternehmen infrage (§ 95 SächsGemO)? Wo liegen die wesentlichen Unterschiede zwischen den Rechtsformen, welche Motive gibt es für die Wahl bestimmter Rechtsformen? Unter welchen Voraussetzungen darf eine Kommune in Sachsen wirtschaftliche Unternehmen in einer Privatrechtsform betreiben (§ 96 SächsGemO)? Welches sind die pflichtigen Mindestinhalte, die im Gesellschaftsvertrag einer GmbH enthalten sein müssen, welche „fakultativen“ Regelungen sind möglich? Welche Aufgaben hat ein Aufsichtsrat in einer GmbH, unter welche Voraussetzungen kann ein „fakultativer“ Aufsichtsrat gebildet werden, welche wesentlichen Unterschiede bestehen zum „pflichtigen“ Aufsichtsrat (§§ 95 ff AktG, § 52 GmbHG)? Welches sind wesentliche Rechte und Pflichten kommunaler Vertreter in Organen von Unternehmen des Privatrechts (Rechte und Pflichten nach AktG und GmbHG, Pflichten nach § 98 SächsGemO)? Der Interessenkonflikt – wessen Interessen haben die kommunalen Vertreter in Organen von Unternehmen des Privatrechts vorrangig zu vertreten? Können Unternehmen und Beteiligungen ohne weiteres veräußert werden (§ 100 SächsGemO)? Was gehört als Mindestinhalt in einen Beteiligungsbericht (§ 99 SächsGemO)? Freitag 20.11.2015 ab 18:00 Uhr bis Sonnabend 21.11.2015 ca.15:30 Uhr Für beide Seminare ist der Veranstaltungsort: Hotel „Schwarzes Roß, Freiberger Straße 9, Großschirma ST Siebenlehn Teilnahmegebühr für jedes Seminar: 20,00 Anmeldungen werden jetzt schon entgegengenommen unter: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. 01127 Dresden, Großenhainer Straße 99 Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de bedeutet eine Entscheidung zu Gunsten der Eltern zugleich eine Mehrbelastung der Gemeinde.

Ermäßigungs- und Befreiungstatbestände? Es ist durchaus sinnvoll, darüber nachzudenken, welchen Spielraum § 15 Abs. 1 bei der Festsetzung von Elternbeiträgen bietet: § 15 Elternbeiträge (1) Die Elternbeiträge werden von der Gemeinde in Abstimmung mit dem Träger der Kindertageseinrichtung

und dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe festgesetzt. Sie werden vom Träger der Kindertageseinrichtung erhoben. Absenkungen sind vorzusehen für 1. Alleinerziehende und 2. Eltern mit mehreren Kindern, die gleichzeitig eine Kindertageseinrichtung oder Kindertagespflegestelle besuchen. Die Differenzbeträge werden übrigens dabei vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Landkreis bzw. kreisfreie Stadt) übernommen.


Juni 2015

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

PARLAMENTSREPORT Moderne Sexualerziehung: Weit mehr als eine technische Frage! Liebe Leserinnen und Leser, „Sachsen ist kein Land für politische Gewalttäter! Militante Ausschreitungen in Leipzig konsequent bekämpfen“ – mit diesem Titel haben CDU und SPD eine heiße Debatte vorprogrammiert. Die zielte offenbar auf unsere Fraktion, sollte uns als vermeintliche Rädelsführer vorführen. Tatsächlich wurden wir von einigen Rednern unverhohlen mitverantwortlich gemacht für den Gewaltexzess vom 5. Juni im Leipziger Süden. Dort waren etwa 100 Vermummte demolierend umhergezogen. Das seien „Ihre militanten Gruppen“ gewesen, schleuderte uns der CDUAbgeordnete Ronald Pohle entgegen. Seine Kollegin Ines Springer unterstellte uns gar, wir würden das links­ radikale Internetportal www.linksunten. indymedia.org betreiben. Wer aber das dort veröffentlichte Bekennerschreiben liest, stellt fest: Die Verfasser_innen wenden sich nicht nur an den Leipziger Oberbürgermeister und den Polizeipräsidenten, sondern auch an „die Parteien von rechts bis links“. Sie sagen: „Unser Ziel wart ihr. […] Die Gewalt, die mit uns kommt, es ist eure Gewalt. […] Sie richtet sich gegen euch“. Deutlicher kann man sich nicht distanzieren. Autonome heißen „Autonome“, weil sie autonom sein wollen, stellte Enrico Stange klar! Der Staat muss sein Gewaltmonopol verantwortungsvoll und deeskalierend einsetzen. Wir wollen vermitteln, Ursachen der Randale analysieren, Subkulturen verstehen. Anders kann man Gewalt nicht bekämpfen. Das ist nötig, denn Gewalt zerstört, worum sie kämpft. Kämpfe z. B. für eine menschliche Asylpolitik oder gegen Gentrifizierung sind richtig. Wer sie aber mit Gewalt führt, organisiert Ablehnung in der Mehrheitsbevölkerung, anstatt sie für gute Forderungen zu gewinnen.

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

Selten wurde ein Thema so aufgeregt debattiert wie unsere recht unspektakuläre Forderung, Lehrpläne zu überarbeiten. Nichts anderes begehrten wir mit unserem Antrag (Drucksache 6/1539), die Sexualbildung in den sächsischen Schulen zu modernisieren. Dennoch trieben unsere vermeintlichen Absichten so manchen BeobachterInnen, nicht nur in den sozialen Medien, Schaum vor den Mund. Warum eigentlich? Ziel des Antrages ist es, Kindern und Jugendlichen Vielfalt zu zeigen und jedem Kind und allen Jugendlichen ihr Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ohne Angst vor Ausgrenzung zu ermöglichen. Wer kann ernsthaft etwas dagegen einwenden? Wir plädieren dafür, „die Sexualbildung in den Schulen inhaltlich und methodisch-didaktisch auf den neuesten Stand sexualwissenschaftlicher und soziologischer Erkenntnisse zu bringen“. Sexualaufklärung soll nicht nur Wissen über biologische Vorgänge und die Technik der Verhütung vermitteln. „Sie muss“, so das Bundesverfassungsgericht, „emotional ansprechend sein und die vielfältigen Beziehungsaspekte, Lebensstile, Lebenssituationen und Werthaltungen berücksichtigen“. Dabei soll insbesondere darüber aufgeklärt werden, wie vielförmig sexuelles Leben und Lebensstile sind. Menschen leben in unterschiedlichen Beziehungen und Familienmodellen, in heterosexuellen, lesbischen, schwulen und bisexuellen Paarbeziehungen, allein, mit oder ohne Kinder. Die Schule muss diese gesellschaftliche Realität abbilden! Dazu bedarf es einer Anpassung der Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern. Und es muss ein Rahmenlehrplan zur Sexualbildung entworfen werden. Wer nüchtern auf die Präsenz sexueller Vielfalt in sächsischen Schulen blickt, wird erkennen, warum das notwendig ist. Gemäß § 36 des Schulgesetzes ist die Familien- und Sexualerziehung eine schulische Pflichtaufgabe. Der „Orientierungsrahmen für die Familien- und Sexualerziehung an sächsischen Schulen“ stammt allerdings von 2006 und ist unter wissenschaftlichen wie praktischen Gesichtspunkten hoffnungslos veraltet. Der Begriff der „sexuellen Vielfalt“ spielt darin ebenso wenig eine Rolle wie in den eigentlichen Lehrplänen. Somit bleibt deren Förderung der Eigeninitiative von Lehrkräften überlassen.

Sarah Buddeberg, Sprecherin für Gleichstellungs- und Queerpolitik, beschrieb den Lebensraum Schule mit Blick auf sexuelle Gleichstellung und führte auch Untersuchungen an. So seien gängigen Studien zufolge im Durchschnitt mindestens 5-10 % der Jugendlichen schwul, lesbisch oder bisexuell. Folglich sei davon auszugehen, dass mindestens eine Person pro Klasse eine nicht-heterosexuelle Identität aufweist. Dennoch seien alternative L(i)ebensweisen in der schulischen Umgebung „so gut wie unsichtbar“. Alle Lehrmaterialien zeigten traditionelle Rollenbilder. Wenn Nicht-Heterosexualität dann auch noch nur im Zusammenhang mit AIDS-Prävention diskutiert werde, werde sie stigmatisiert. In Befragungen sagt regelmäßig eine Mehrheit der nicht-heterosexuellen Kinder und Jugendlichen aus, dass sie Opfer von Mobbing­ attacken seien. Homo- und trans­ phobe Witze seien an der Tagesordnung, der Begriff „schwul“ als Schimpfwort in Gebrauch. Der Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2013 kommt zu der Erkenntnis, dass die Schule der am meisten homophobe Raum ist – neben Fußballstadien. Kinder und Jugendliche, die selbst nicht heterosexuell sind, erleben also täglich ein Umfeld, das Menschen ausgrenzt. Buddeberg: „Unsere Forderung ist, dass die Vielfalt von Lebensweisen mitgedacht wird. Das bedeutet in erster Linie: Familien- und Lebensmodelle jenseits der klassischen VaterMutter-Kind-Familie. Vielfalt bezieht

sich also genauso auf Patchwork­ familien und Alleinerziehende. Aber eben auch auf Lesben, Schwule, Bi­ s exuelle, Transidente, Intergeschlechtliche und queere Menschen“. Vor allem die CDU behauptete, unsere Vorschläge würden das Mitspracherecht der Eltern einschränken. Für Cornelia Falken, bildungspolitische Sprecherin, eine „scheinheilige“ Argumentation: Zwar sage die Verfassung, dass die Eltern entscheiden, was gelehrt wird. „Aber an welcher Stelle lassen Sie das denn wirklich zu? Sie lassen es nur zu, wenn Sie als CDU der Auffassung sind: Wir müssen die Kinder schützen. Da schieben wir mal die Eltern vor, und dann klappt das schon“. Eine Reihe schulpolitischer Entscheidungen, etwa die Streichung des AstronomieUnterrichts oder die Umwandlung der Fächer Geschichte und Geografie zu Wahlfächern in den 10. Klassen der Mittelschulen, sei an den Eltern vorbei getroffen worden. Die LINKE sei bereit, die Eltern in die Neugestaltung der Sexualerziehung einzubinden. „Aber wir müssen es angehen. Wir als Parlament haben die Aufgabe, die Staatsregierung zu beauftragen, diese Aufgaben umzusetzen.“ Alle Schülerinnen und Schüler müssen in der Schule Akzeptanz und Wertschätzung erfahren, unabhängig von ihrer geschlechtlichen oder sexuellen Identität oder der Familienform, in der sie leben. Das ist heute nicht der Fall und muss sich ändern. Nichts anderes haben wir gefordert.

Mehr

als nur Blumen und Bienchen. Information und Aufklärung über sexuelle Vielfalt können zu einer offenen und respektvollen Gesellschaft führen.


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PARLAMENTSREPORT

Juni 2015

Sollen Tausende ihre Datschen verlieren? Kündigungsschutz jetzt! Derzeit wird viel davon gesprochen, dass die deutsche Einheit schon 25 Jahre alt ist. Im nächsten Satz geht es dann oft – leider zu Recht – um Probleme, die sich noch heute aus dem Beitritt der DDR zum Rechtsgebiet der BRD ergeben. Eines betrifft tausende ältere Sächsinnen und Sachsen sowie deren Nachkommen. Denn wer zu DDR-Zeiten eine Datsche – ein Wochenendhaus auf einem Erholungsgrundstück – errichtet hat, muss heute bangen, es zu verlieren. Ausgangspunkt der juristischen Auseinandersetzungen ist die Besonderheit des DDR-Rechts, nach dem das Eigentum an Grund und Boden häufig nicht mit dem Eigentum an Immobilien zusammenfiel. Deshalb stehen bei unzähligen Datschengrundstücken auch heute noch andere BodenEigentümer im Grundbuch. Die Datschenbesitzer, die ihre Häuschen mit erheblichem Aufwand errichtet und unterhalten haben, sind Pächter der Grundstücke. Laut Bundesverfassungsgericht besaßen schätzungsweise 53 % der DDR-Haushalte ein Erholungsgrundstück; hochgerechnet für Sachsen ergibt sich noch heute eine Zahl von vielen tausend Betroffenen. Wer von ihnen hätte damals ahnen sollen, dass sie eines Tages ihr Eigentum verteidigen müssen? Im Oktober 2015 soll der Kündigungsschutz für die Grundstücks-Pachtverträge enden. Dann müssen viele Datschen-Besitzer entweder ihr Haus räumen oder es gar auf eigene Kosten abreißen lassen. Entschädigungen sind nicht vorgesehen, obwohl sich der Wert vieler Immobilien seit 1990 noch gesteigert hat! Die Linksfraktion setzt

sich weiter dafür ein, dass diese Enteignungen nicht stattfinden oder ihre Zahl mindestens begrenzt wird. Mit einem Antrag (Drucksache 6/1693) wollten wir einen „Schutzschirm für Nutzer_innen von Erholungsgrundstücken“ aufspannen und ein Kündigungsschutzmoratorium einführen. Dabei geht es um Erholungsgrundstücke, die unter das Schuldrechtsanpassungsgesetz fallen und sich im Eigentum der öffentlichen Hand (Kommunen und Freistaat) befinden. Bei Privatgrundstücken fehlt dem Landtag die Handlungsgrundlage. Wir hoffen, damit wenigstens einem Teil der Nutzerinnen und Nutzer den Verlust ihrer Datschen ersparen zu können. Freilich begehren wir keine unendliche Verlängerung der Pachtverträge, auch keine Enteignung der Grundstückseigentümer. Wir wollen lediglich einen besonderen Kündigungsschutz für weitere zehn Jahre erreichen. Ein dauerhafter

Rechtsfrieden, bei dem die Interessen von Grundstücks- und Bauwerksbesitzern ausgeglichen sind, braucht Zeit, die das Moratorium schaffen soll. Das war schon bei den DDR-Altgaragen erfolgreich, die denselben rechtlichen Rahmenbedingungen unterliegen. Verfassungs- und Rechtsexperte Klaus Bartl blickte im Plenum auf den Entstehungsprozess des DatschenProblems zurück: „Nach der Rechtsdoktrin der DDR durfte Grund und Boden, jedenfalls soweit es sich um volkseigenen, genossenschaftlichen oder im Eigentum von gesellschaftlichen Organisationen befindlichen handelte, nicht an Private verkauft werden. Um den Bürgerinnen und Bürgern, die auf derartigen Flächen mit staatlicher Genehmigung Eigenheime, Garagen oder Wochenendbauten errichteten, ihr Eigentum an diesen dauerhaft zu sichern, sah das Zivilgesetzbuch der DDR einen hohen Schutzstandard

vor. Danach war ein Nutzungsvertrag über Erholungsgrundstücke auf Dauer angelegt und nahezu unkündbar“. Die Regierung von Lothar de Maizière bestand bei Abschluss des Einigungsvertrages darauf, dass diese Eigentumsverhältnisse gesichert werden. Deshalb wurde der eigentlich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) der BRD verankerte Grundsatz „Gebäude folgt dem Boden“ durchbrochen – bis das Schuldrechtsanpassungsgesetz 1994 diesen Bestandsschutz aufhob. Bei Beendigung des Nutzungsvertrages, so wurde festgelegt, soll das Eigentum an Bauwerken und Anpflanzungen auf den Grundstückseigentümer übergehen. Die Verträge dürfen ab dem 4. Oktober 2015 nach den Bestimmungen des BGB gekündigt werden. Bartl erneuerte deshalb die Forderung nach einem „Schutzschirm für Datschen“. Er erinnerte daran, dass das Land Brandenburg 2014 mit einer Gesetzesinitiative im Bundesrat die Kündigungsfrist um drei Jahre zu verlängern versuchte. Die sächsische Linksfraktion hatte damals im Landtag beantragt, dass die Staatsregierung dieses Ansinnen in der Länderkammer unterstützen möge, was sie auch tat. Die „Große Koalition“ lehnte den so aus dem Bundesrat heraus entstandenen Gesetzentwurf im Bundestag jedoch ab. So handhabten CDU und SPD es auch im Sächsischen Landtag, als unser jüngster Antrag zum Schutz der Datschen-Besitzer zu Abstimmung stand. So wird die Liste rechtlicher Benachteiligungen aufgrund der deutschen Einheit für viele ostdeutsche Bürgerinnen und Bürger auch nach einem Vierteljahrhundert nicht kürzer.

LINKE unterwegs im Dienste des Rechtsfriedens Was zunächst langweilig klingt, hat oft ganz lebensnahe Folgen. DIE LINKE hat ein „Gesetz über Musterverfahren in Kommunalabgabenstreitigkeiten im Freistaat Sachsen“ (Drucksache 6/1695) vorgelegt. Wir alle, ob wir zur Miete wohnen oder sogar Immobilien besitzen, haben früher oder später mit Kommunalabgaben zu tun. Dazu zählen beispielsweise kommunale Steuern, Benutzungsgebühren, Beiträge, die Kurtaxe oder die Fremdenverkehrsabgabe. Ein Thema also, das uns in den seltensten Fällen ein freudiges Lächeln ins Gesicht zaubert. Eher im Gegenteil: Oft kommt es zu Rechtsstreitigkeiten, aktuell zum Beispiel über Kleinkläranlagen. Allein das Oberverwaltungsgericht Bautzen musste zum Sächsischen Kommunalabgabengesetz in 233 (dokumentierten) Fällen entscheiden. Hinzu kommen unzählige Verfahren vor den Verwaltungsbehörden und

-gerichten. Das verschlingt viel Geld, belastet sowohl die Portemonnaies betroffener Bürgerinnen und Bürger wie auch die Kassen der Behörden, die wir größtenteils mit Steuermitteln füllen. Gerichte und Behörden werden durch die oft jahrelangen Verfahren enorm belastet. Wir wollen Abhilfe schaffen. Unser Gesetzentwurf stärkt die Rechte aller Verfahrensbeteiligten: Einwohnerinnen und Einwohner, die bei kommunalen Abgabensatzungen in aller Regel nicht mitreden dürfen, sollen einen umfassenden Rechtsanspruch auf Akteneinsicht erhalten. „Hier erfahren Demokratie und Bürgerfreundlichkeit im Freistaat Sachsen eine deutliche Aufwertung“, so der kommunalpolitische Sprecher der Linksfraktion, André Schollbach. Die Akteneinsicht versetzt Gebührenschuldner in die Lage, nachvollziehen zu können, auf welchen Grundlagen Abgaben jeweils

festgesetzt werden. Zweiter wichtiger Punkt: Künftig sollen Musterverfahren im Kommunalabgabenrecht zugelassen werden. Gibt es zu einer Abgabensatzung viele Widersprüche zu ähnlich gelagerten Rechtsfragen, sollen Musterverfahren verbindliche Entscheidungen für alle bringen. So sparen alle Beteiligten Zeit, Geld und Nerven. In Mecklenburg-Vorpommern gebe es damit bereits gute Erfahrungen, so Schollbach.

„Dieser Gesetzentwurf stärkt die Rechte der Bürgerinnen und Bürger, entlastet Behörden und Gerichte. Er trägt zu zügiger Erreichung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden bei“, warb Schollbach um Zustimmung. Demnächst wird der Landtag entscheiden. Dann muss die Regierungskoalition Farbe bekennen – und zeigen, ob sie tatsächlich eine vielzitierte „Politik für die Menschen“ verfolgt.


Juni 2015

PARLAMENTSREPORT

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Schicksalsfragen für den Osten Sachsen braucht nach 2020 eine Entwicklungsperspektive. Das betont der Ministerpräsident zu Recht. Allerdings ist fraglich, ob die CDU-geführte Regierung sie bieten kann. Oft agiert sie selbstherrlich – offenbar auch bei den Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich. Dabei sind die Finanzströme zwischen den Bundesländern, die nicht alle gleichermaßen wirtschaftlich leistungsfähig sind, ein zentraler Faktor. Die Linksfraktion brachte das Thema per Aktueller Debatte ins Plenum. Die Wirtschaftsleistung des Freistaates liegt bei nur drei Vierteln des Bundesdurchschnitts, seine Steuerkraft – also das Maß an Steuereinnahmen, das erzielt werden kann – bei etwa der Hälfte. Der Finanzminister sagt, der Freistaat sei „nach wie vor auf Hilfe angewiesen“. Obwohl der Länderfinanzausgleich im Detail nur für Fachleute interessant ist, beeinflusst er unser aller Leben. Denn auch von ihm hängt ab, wie viel Bildung, Sicherheit, Kultur oder Infrastruktur wir uns leisten können. Die Ministerpräsidenten wollen die Verhandlungen zu den Bund-LänderFinanzbeziehungen bis Sommer 2016 abschließen. Die Fronten sind verhärtet. Jede Regierung versucht naturgemäß, für ihren Haushalt so viel wie möglich herauszuschlagen. Die reichen Länder wollen entlastet werden, weil sich – so ihre Sichtweise – Bemühungen für sie nicht lohnten;

der Finanzausgleich müsse reformiert werden, weil durch ihn am Ende alle Ostländer sogar ein höheres Steueraufkommen zur Verfügung haben als die Geberländer Bayern, Hessen, Baden-Württemberg und Hamburg. Finanzschwache Länder, vor allem ostdeutsche, verweisen hingegen auf Defizite, die Transferzahlungen weiter nötig machen. Derweil mehren sich in strukturschwachen Gebieten in Westdeutschland Rufe nach Unterstützung. Hinzu kommt das Demografie-Problem, das langfristig sinkende Steuereinnahmen vorzeichnet. Der Kampf tobt.

Geld auszugeben, das andere erarbeitet haben. Dabei bekommt der Freistaat mehr als die Hälfte seiner Einnahmen von Dritten. Ohne diese Zahlungen hätte er keinen ausgeglichen Haushalt, sondern deutlich höhere Staatsschulden. Sachsen sollte seine Verhandlungsposition nicht schwächen, indem es andere herabwürdigt. Sebastian Scheel, Finanzexperte der Linksfraktion, wirft der Staatsregierung vor, an der Entsolidarisierung der Bundesländer mitgewirkt zu haben.

Die finanziellen Rahmenbedingungen für den Freistaat werden in den nächsten Jahren unsicherer werden. Wie wird sich die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs auswirken? Was wird aus dem 2020 auslaufenden Ost-Förderprogramm „Solidarpakt II“? Kommen noch nennenswerte Fördermittel von der EU? Gleichzeitig greift 2019 die grundgesetzlich vereinbarte Schuldenbremse, Investitionen werden kaum noch über Kredite finanzierbar sein. Trotz alledem gibt sich Sachsens Regierung arrogant, lobt sich für rigides Sparen, während sie andere Bundesländer – im Subtext – bezichtigt, nur

„In der ,Sächsischen Zeitung‘ vom 15. April 2012 stand: ,Tillich für Sanktionen für hoch verschuldete Bundesländer‘. Ja, wer meint denn, ein stolzes Land wie Nordrhein-Westfalen derart brüskieren zu können? Meine Damen und Herren, Sie sollten weniger großmäulig sein, Herr Ministerpräsident, Sie sollten nicht den Lehrmeister spielen, sondern versuchen, eine gemeinsame, von Respekt getragene Kommunikationslösung für den Länderfinanzausgleich zu finden“. Sachsen wird etwa vom Saarland, von Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalens mitfinanziert; dennoch wollen Tillich und Unland über einen gemeinsamen Länder-Schuldenfonds nicht einmal reden. Das sei schäbig, so Scheel; traurig sei auch, dass der Landtag nicht über den Fortgang der Verhandlungen informiert werde. Ziel allen Bemühens, so Scheel, müssten gleichwertige Lebensverhältnisse im Bundesgebiet sein. Die BundLänder- Finanzbeziehungen müssten sich „nicht nach Himmelsrichtungen, sondern an Bedürftigkeit orientieren“. Die Staatsregierung hat genug Spielraum für kluges Verhandeln, sie muss ihn nutzen. Das ist ein zentraler Baustein für die Zukunft, nicht erst nach 2020.

Preis Willkommenskultur Sachsen vergeben Anlässlich des UN-Weltflüchtlingstages am 20. Juni haben die Abgeordneten der Linksfraktion den Preis „Gelebte Willkommenskultur und Weltoffenheit in Sachsen – 2015“ gestiftet. Er soll Menschen und Organisationen, die sich für Asylsuchende, Geflüchtete und Migrant_innen einsetzen, würdigen. Über die Vergabe hat eine Jury entschieden, der Johanna Stoll (Sächsischer Flüchtlingsrat), Emiliano Chaimite (Ausländerrat Dresden e. V.) sowie die Abgeordneten Juliane Nagel (Sprecherin für Flüchtlings- und Migrationspolitik), Lutz Richter (demokratiepolitischer Sprecher) und Marion Junge (Sprecherin für Bürger_innenanliegen) angehören. Ursprünglich sollte die Auszeichnung in den Kategorien „Praktische Hilfe“ und „Politisches Engagement“ vergeben werden. Nicht zuletzt der Blick auf die Bewerbungen hat aber gezeigt, dass man beides nicht trennen kann: Wer Asylsuchenden praktisch hilft, wirkt politisch, und wer politisch für Asylsuchende wirkt, hilft ihnen praktisch. Deshalb hat sich die Jury für zwei andere Kategorien entschieden: „Etablierte Initiative“ für Projekte, die schon seit längerer Zeit arbeiten, und „Junge Initiative“ für Projekte, die am Anfang ihrer Tätigkeit stehen. Außer-

dem konnte zusätzlich eine engagierte Einzelperson geehrt werden. Den Preis erhielten in der Kategorie „Etablierte Initiative“ der Verein „Bon Courage e. V. “ aus Borna, in der Kategorie „Junge Initiative“ das Bündnis „Willkommen in Roßwein“ und in der Kategorie „Engagierte Persönlichkeit“ Frau Ines Mättig aus Bautzen. Sie kümmert sich um einen krebskranken Flüchtling und dessen Familie. Anlässlich der Verleihungsveranstaltung forderte Fraktionschef Rico Gebhardt, dass Menschlichkeit im Zentrum aller Politik stehen solle. „Sie muss verteidigt werden – in einer Zeit, in der Fremdenfeindlichkeit und Ras-

sismus Konjunktur haben. In einer Zeit, in der Hetzer die Ungleichwertigkeit von Menschen propagieren und Ängste ausnutzen. In einer Zeit, in der viele ihre Ressentiments ausleben, nicht wissen oder nicht wissen wollen, in welcher Situation sich Geflüchtete befinden. In einer Zeit, in der die Axt an den zivilisatorischen Grundkonsens gelegt wird, nach dem alle Menschen das Recht haben auf ein Leben in Würde“. In einer solchen Zeit gebe es standhafte Menschen, die sich trotz großen Gegenwinds für die Belange von Schwächeren einsetzen. Prof. Dr. Martin Gillo, der zwischen 2009 und 2014 in vorbildlicher Weise das Amt des Ausländerbeauftragten

ausübte, sagte in seinem Grußwort als „sehr stolzes Mitglied der CDU“, dass „wir langsam, aber sicher zu Deutschen aus aller Welt“ werden. Die Herausforderung, Migrantinnen und Migranten zu integrieren, sei „zu groß für die sonst üblichen Abgrenzungen zwischen den Parteien“. Getrübt wurde die Freude über den Anlass einzig von der Gewissheit, dass nicht alle Einsenderinnen und Einsender mit einer Auszeichnung bedacht werden konnten, obwohl sie es verdient hätten. Die Linksfraktion will dennoch alle Engagierten weiter aus ganzer Kraft unterstützen – nicht nur am Weltflüchtlingstag.


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PARLAMENTSREPORT

Juni 2015

Ein neues Schulgesetz für Sachsen! Seit 2004 sitze ich im Landtag und kämpfe für Änderungen im Bildungssystem. Unsere Forderungen sind klar: längeres gemeinsames Lernen, mehr Mitbestimmung an Schulen, kostenfreie Schülerbeförderung, ein kostenfreies Mittagessen in Schule und Kita, kleinere Klassen, mehr Schulsozialarbeiter und Schulpsychologen. Ziel ist die rhythmisierte Gemeinschaftsschule als Ganztagsschule, in der jedes Kind seinen individuellen Bildungsweg im Schutz eines solidarischen Umfeldes gehen kann und dort ausreichend Unterstützung erfährt. Bildung umfasst dabei den mathematisch-naturwissenschaftlichen, den musisch-kulturellen und sozialen Bereich. Für DIE LINKE ist Bildung in erster Line die Entwicklung einer selbstbewussten Persönlichkeit und nicht die Züchtung funktionaler Humanressourcen. Von einem zukunftsfähigen Bildungssystem sind wir in Sachsen meilenweit entfernt. Die Debatte wird von Themen bestimmt, bei denen man sich eher wie eine wasserlose Feuerwehr fühlt, die ständig neue Brandherde entdeckt. Von strategischer Planung fehlt im Kultusministerium jede Spur. Die Regierungsfraktionen üben sich im Schönfärben, sei es bei den Landesmitteln für den Schulhausbau in kreisfreien Städten oder bei den Einstellungen von Lehrkräften. Stets gaukelt die Kultusministerin der Öffentlichkeit vor, sie habe alles im Griff. Seit Jahren belege ich Halbjahr für Halbjahr das Gegenteil. Die offiziellen Zahlen suggerieren ein falsches Bild. Nach wie vor scheiden mehr Lehrkräfte aus, als eingestellt werden.

Plenarspiegel Juni 2015 Manch einer war geneigt, an Besserung zu glauben, als er den Koalitionsvertrag las. Dort steht: „Wir werden das Schulgesetz […] novellieren. Ziel ist es, einen Entwurf im Jahr 2015 vorzulegen“. Bereits ein halbes Jahr später wurde die Frist verlängert. Aktuell heißt es: 2017. Das Schulgesetz ist seit 2004 nicht geändert worden, trotz Lernmittel-Urteil, trotz Umettiketierung der Mittelschule in „Oberschule“, trotz demografischer Diskrepanz zwischen Großstädten und ländlichem Raum, trotz des Erfolgs reformpädagogischer Ansätze in öffentlichen Schulen, deren Modellversuchscharakter alsbald ausläuft, etwa bei der Leipziger Nachbarschaftsschule. DIE LINKE ist auf Gesetzesänderungen im Schulbereich vorbereitet. Die Fraktion erarbeitet zurzeit ein Eckpunktepapier, das alle wesentlichen Bereiche erfasst. Dazu gehören neben den oben erwähnten Forderungen folgende Punkte: eine solide und bedarfsorientierte Schulnetzplanung, Rahmenbedingungen für Integration

und Inklusion, mehr Eigenverantwortlichkeit für die einzelne Schule zum Beispiel durch Schulbudgets und die Stärkung der Weiterbildung sowie die Möglichkeit zweiter Bildungswege etwa an Volkshochschulen. Diese Eckpunkte möchte ich im Namen der Landtagsfraktion gern mit einer breiten Öffentlichkeit diskutieren. Von September bis Dezember werden wir dazu in jedem Kreis eine Veranstaltung anbieten, um mit Schülervertreter_innen, Elternvertreter_innen, Lehrer_innen und den Bildungsgewerkschaften ins Gespräch zu kommen. Unter www.cornelia-falken.de/veranstaltungen finden Sie die Termine. Die Pilotveranstaltung am 16. Juni in Zwickau war ein voller Erfolg – zahlreiche Bürgerinnen und Bürger waren vor Ort und neugierig auf das, was DIE LINKE in Sachen Bildung verändern möchte. Ich freue mich auf eine angeregte Diskussion im Herbst auch in Ihrer Nähe! Cornelia Falken, MdL

Andrea Roth erhält hohe sächsische Auszeichnung Der Präsident des Sächsischen Landtages, Matthias Rößler, hat die langjährige Landtagsabgeordnete der LINKEN, Andrea Roth, mit der Sächsischen Verfassungsmedaille geehrt. Hintergrund ist ihr kontinuierliches Engagement für die Vernetzung von Bürger- und Schulinitiativen, mit dem sie aktiv zur Stärkung von politischer Mitbestimmung und direkter Demokratie beigetragen hat. Das Engagement für mehr Bürgerbeteiligung – ob es um Schul­ standorte, Straßenausbau, Abwasserentsorgung oder andere Themen der öffentlichen Daseinsvorsorge gegangen ist – steht im Mittelpunkt ihrer bemerkenswerten politischen Biographie. „Mit Andrea Roth wird im 25. Jahr der deutschen Einheit eine langjährige profilierte Politikerin der sächsischen LINKEN mit einer hohen Auszeichnung bedacht, die dem Wirken für Demokratie und Freiheit im Freistaat gewidmet ist. Das erfüllt uns

mit großer Freude“, kommentierte Rico Gebhardt, Fraktionsvorsitzender der LINKEN, die freudige Nachricht. Andrea Roth habe vielen Menschen den Weg in die Kommunalpolitik geebnet, zur Einmischung ermutigt und nötigenfalls zum gesellschaftlichen Widerstand. Als erste Untersuchungsausschuss-Vorsitzende ihrer Fraktion habe sie bei aller menschlichen Freundlichkeit und Empathie unerbittlich Versagen in Regierungs- und Verwaltungshandeln offengelegt und auf Abhilfe im Sinne sozial- und umweltverträg­ licher Lösungen gedrungen. Mit ihrer verdienten Auszeichnung verbindet sich auch eine Hoffnung – und zwar, dass der Landtagspräsident nun auch moderierend tätig wird, um die Blockade der sächsischen CDU gegen die Absenkung der Hürden für Volksbegehren endlich aufzulösen. Letzteres ist und bleibt ein Herzensanliegen der Preisträgerin.

Die 15. und 16. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages fanden am 10. und 11. Juni 2015 statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten: Aktuelle Debatte: – Aktuelle Debatte auf Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema „Länderfinanzausgleich – Solidarität am Ende?“ Gesetzentwürfe: – 1. Lesung des Entwurfs „Gesetz über Musterverfahren in Kommunalabgabenstreitigkeiten im Freistaat Sachsen“ (Drs 6/1695) – 2. Lesung des Entwurfs „Gesetz zur Verbesserung der Informationsbeziehungen zwischen dem Sächsischen Landtag und der Staatsregierung – insbesondere in Angelegenheiten der Europäischen Union“ (Drs 6/421) Anträge: – „Sexualbildung in den Schulen im Freistaat Sachsen modernisieren“ (Drs 6/1539) – „Schutzschirm für Nutzer/innen von Erholungsgrund­stücken – Kündigungsschutzmoratorium für Wochenendgrundstücke jetzt!“ (Drs 6/1693) Sammeldrucksache 6/1788 Darin enthalten ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE – „Ermittlungs- und Strafverfolgungsnotstand in Sachsen rechtzeitig und wirksam vorbeugen - personelle und technische Ausstattung der Kriminalpolizei und Justiz deutlich verbessern!“ (Drs 6/717) Drucksachen (Drs) und Rede­beiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Kevin Reißig


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