LINKS! Ausgabe 6/2017

Page 1

Es gibt keine Argumente gegen den Finanz-TÜV

Jetzt kostenlos bestellen: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder 0351-84 38 9773.

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Juni 2017

Foto: DIG/trialon

Links!

im Digitalabo. Jede Ausgabe schon drei Tage früher im Mailpostfach!

Am 17. Mai fand im Finanzausschuss des Bundestages die Öffentliche Anhörung zum Antrag der Linksfraktion „Zulassungspflicht für Finanzprodukte schaffen ‒ Finanz-TÜV einführen“ statt. Natürlich konnte man gespannt sein, welche Geschütze die Bankenlobby auffahren würde, um eine obligatorische Zulassungsprüfung für Finanzprodukte und -akteure als Hirngespinst abzutun. Doch Kinderschlitten und Atomkraftwerke werden auch vorab geprüft, warum sollte das bei Finanzprodukten anders sein? Bemerkenswert war, dass sowohl die Deutsche Kreditwirtschaft als auch die Fondsbranche sehr defensiv bis geradezu ängstlich in der Angeht folglich um den Punkt hörung argumentierten. So der regelmäßigen Nachkonwurde zumeist nur der hohe bürokratische Aufwand durch trolle: Gewiss sollte dies der Finanz-TÜV mit der Zeit mitInstallation eines Finanz-TÜV übernehmen, da er aber gerakritisiert. Natürlich bedarf eide zu Beginn mit den Neuzune gründliche Prüfung vieler lassungen alle Hände voll zu Finanzinstrumente ausreitun hätte, müssen BaFin und chenden und qualifizierten die Marktwächter Finanzen Personals. Dadurch entstedie regelmäßigen Nachkonthen auch Kosten – doch in rollen mitübernehmen. Diese der Anhörung widersprach beiden Aufsichts- bzw. Frühniemand den Argumenten warnstrukturen wollen wir der Sachverständigen Prof. auch nicht beschneiden, sonDr. Rudolf Hickel von der Uni dern eng mit dem Finanz-TÜV, Bremen und dem Fachanwalt der ja auf europäischer Ebene für Kapitalmarktrecht, Peangesiedelt sein soll, um Umter Mattil, die auf Einladung gehungsstrategien zu vermeider Linksfraktion teilnahmen, den, verzahnt wissen. dass durch die Vorabprüfung Kreditwirtschaft und Fondserhöhte Kosten entstehen, verbände wirkten in der Anhödafür aber die nachgelagerte rung alles in allem zurückhalPrüfung verschlankt werden tend in der Argumentation bis könne und man dort Personal interessiert am Inhalt. Fast und Ressourcen einspare. schien es so, als leuchte ihNoch bemerkenswerter: Zum ersten Mal wurde nicht entge- nen der Nutzen eines Finanzgen gehalten, dass die Errich- TÜV erstmals so richtig ein. Natürlich kann man auch satung eines Finanz-TÜV grundgen: Sie haben ja nichts zu besätzlich nicht möglich sei, fürchten, weil ein Antrag der weil er gegen EU-Recht verLINKEN im Bundestag kaum stoße und die Haftungsfrage - wer haftet, wenn ein zugelas- eine Mehrheit finden dürfsenes Finanzprodukt doch für te. Doch selbst dann spricht es ganz klar für den „LINKEN“ wirtschaftliche Turbulenzen Finanz-TÜV, dass die Gegensorgt? – zu Problemen führe. seite kein einziges, ich betoKlar ist: Eine TÜV-Zulassung ne: kein einziges, inhaltlich ist keine Unbedenklichkeitsfundiertes Argument gegen bestätigung, genauso wenig den Finanz-TÜV vorbringen wie man auf ein durch den konnte. TÜV zugelassenes Auto eine Unfallfreiheitsgarantie erhält. Um Verbraucher besser zu schützen und für mehr FiZurecht wurde gesagt, dass nanzmarktstabilität zu sorgen, ein Finanzinstrument zum muss das Projekt „FinanzZeitpunkt der Zulassung TÜV“ also weiter verfolgt werdurchaus ungefährlich und den. Widerstand gegen dieses vom Risiko beherrschbar wirInstrument lässt sich mit dieken kann, sich dies im Lauf ser Anhörung nicht mehr inder Zeit durch äußere Effekte jedoch ändern kann, wodurch haltlich begründen. Es kommt nun also darauf an, zukünfdieses Finanzinstrument tig weitere Wälle des Widernun doch verbraucher- und/ stands einzureißen. oder volkswirtschaftsschädigend wirken könnte. Es • Susanna Karawanskij


Links! im Gespräch

Links! 06/2017

DIE LINKE für mehr Demokratie in NRW Am 24. Juli 2010 kamen in Duisburg bei der Love Parade 21 Menschen ums Leben. 500 Menschen wurden verletzt. Dieses Debakel war keineswegs eine Naturkatastrophe, sondern menschengemacht. Verurteilt wurde niemand. Schlimmer noch: Adolf Sauerland (CDU), verantwortlicher Bürgermeister, sah absolut keinen Grund, zurückzutreten. Was kaum bekannt ist: Es war DIE LINKE in Duisburg, die mit dafür sorgte, dass der Bürgermeister zumindest seinen Posten räumen musste. Ralf Richter sprach mit Martina Ammann-Hilberath, der CoVorsitzenden der Stadtratsfraktion DIE LINKE. Duisburg. Herzlichen Glückwunsch zu Verdopplung der Stimmen­ zahl! Viel hat ja nicht gefehlt, nur wenige tausend Stim­ men. Wie war die Lage in Duisburg? Wir haben sechs Prozent geholt – worin wir aber ein großes Problem sehen und was jetzt auszuwerten ist, das bezieht sich auf unsere Schwäche im Duisburger Norden, wo die sozial Schwächsten wohnen. Stichwort Marxloh. Wie wurde dort gewählt? Man kann in Marxloh von einem doppelten Desaster sprechen: Einerseits holten wir dort sechs Prozent, während die AfD 16 Prozent einfuhr. Andererseits gingen insgesamt nur 33 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl. Die Mehrheit dort hat die NRW-Wahl also gar nicht interessiert. Die Bevölkerung fühlt sich abgehängt und nicht mehr von den Parteien vertreten. Wie ist die Bevölkerungs­ struktur in den Städten des für NRW so wichtigen Ruhr­ gebietes? Es ist in Duisburg so wie im gesamten Ruhrgebiet, dass in den nördlichen Stadtvierteln Menschen mit einem sehr geringen Einkommen leben, es hohe Arbeitslosigkeit und einem großen MigrantInnenanteil gibt. Dort befanden sich die Industriereviere, die massiv Personal abgebaut haben. In der Nähe hat man damals in den 60er Jahren schon MigrantInnen angesiedelt und kaum etwas in die Stadtteilentwicklung investiert. So sind soziale Brennpunkte entstanden.

Welche Forderungen hat die LINKE gestellt? Wir haben gesagt, wir brauchen eine Stadt für alle. Wir brauchen Investitionen überhaupt für gute Schulen, eine Stadtentwicklungsplanung mit Investitionen in die Infrastruktur – und das muss allen zu Gute kommen: Sowohl den MigrantInnenfamilien mit schulpflichtigen Kindern, den Familien, die ihr geringes Einkommen aufstocken, als auch den Älteren, die oft unter Altersarmut zu leiden haben. Duisburg hat ja einen hohen MigrantInnenanteil und da­ mit ganz eigene Herausfor­ derungen. Wie hat sich die Situation entwickelt? Ab 2011 kamen besonders viele Zuwanderer aus Südosteuropa nach Duisburg, also aus Bulgarien und Rumänien, nachdem diese Länder EU-Vollmitglieder wurden. Es handelt sich dabei in Duisburg um 17.000 Personen – dazu kommen jetzt nach aktuellen Zahlen noch einmal fünf- bis sechstausend Geflüchtete. Die Menschen kamen mit der Hoffnung auf Arbeitsmöglichkeiten und die Verbesserung ihrer Situation, letztlich sind sie hier gestrandet. Hinzu kommt die Krise in der Industrie … Im Norden befand sich insbesondere die beschäftigungsintensive Stahl- und Bergbauindustrie, die in den letzten Jahren teilweise 80 bis 90 Prozent des Personals abgebaut haben. Das führte einerseits zur Abwanderung jüngerer Beschäftigter und andererseits zur Verarmung der Älteren, die anderswo keinen Job mehr fanden. Ausgerechnet dort in die­ sen schwierigen Regionen hat die AfD also so viele Stimmen gewonnen. Wie ist das anderswo im Ruhr­ gebiet? Man kann sagen, dass die AfD überall in NRW, wo es soziale Brennpunkte gibt, sehr gut abgeschnitten hat. Das geht weit über das Ruhrgebiet hinaus. Auch in Köln und Düsseldorf gibt es solche Stadtteile, die geprägt sind von Perspektivlosigkeit für viele. Mit welchen Themen haben Sie Wahlkampf gemacht?

Wir haben uns auf die Sozialpolitik und die nötigen Investitionen in diesem Bereich fokussiert und da besonders auf die Bildung. Die Kinderarmut ist hoch und viele NiedriglöhnerInnen müssen mit Hartz IV aufstocken – auch deren Zahl ist ziemlich hoch. Duisburg hat

Seite 2

zu diesem Zeitpunkt so, dass man noch zwei Drittel des Rates brauchte, um einen Bürgermeister abzuwählen. Diese Mehr­heit war einfach nicht vorhanden. Wir haben es als Duisburger Ratsfraktion in Kooperation mit der Landtagsfraktion geschafft, dass die Gemeindeordnung so geändert wurde, dass eine einfache Mehrheit im Rat ausreichte, um ein Abwahlverfahren ein­zu­ leiten. So kann in NRW jetzt jedeR BürgermeisterIn nach Paragraph 66 der Gemeindeordnung im ver­ einfachten Verfahren abge­ wählt werden.

War DIE LINKE in der BürgerInnenbewegung die treibende Kraft? Wir haben immer gesagt, dass die Aktion parteiübergreifend sein muss, und haben das Ganze natürlich mitinitiiert. Uns war aber bewusst, dass dieses Verfahren für die ganze Stadt wichtig ist, über die Parteigrenzen hinweg. In dem Prozess war uns ein breites Spektrum an Bürgerbeteiligung wichtiger als unsere eigene Bedeutung herauszustellen. Wir haben uns als Teil des Ganzen begriffen. Das Zustandekommen eines so breiten Bündnisses, das es in Duisburg so noch nicht gegeben hat, sehe ich als den größten Erfolg. Das Quorum der Unterschriftensammlung lag bei 30.000 Unterschriften. Das wurde mit 70.000 Unterschriften weit überschritten. Wie war und ist das Ver­ hältnis zu den Opfern und ihren Angehörigen? Es gab verschiedene Initiativen. Kontinuierlich dabei geblieben ist die Gruppe der Angehörigen, die sich regelmäßig trifft. Die Opferbetreuung hat ein Kollege aus dem evangelischen Kirchenbereich übernommen, so dass dieser Part über die Kirche in Koordination mit der Stadtverwaltung läuft.

Martina Ammann-Hilberath, Co-Vorsitzende der Stadtratsfraktion DIE LINKE. Duisburg Wie habt Sie das gemacht? Wir hatten eine wirklich gute Zusammenarbeit mit der Landtagsfraktion. Zudem bildete sich unter dem Namen „Neuanfang Duisburg“ eine Bürgerinitiative, die das Abwahlverfahren eingeleitet hat – außerdem hatten die Abwahl-Befürworter eine einKommen wir zu einem ande­ fache Mehrheit im Rat, zu denen wir auch gehörten. Im ren Thema: 2011 hat Duis­ Februar 2012 war es dann burg Schlagzeilen gemacht mit dem großen Unglück auf endlich so weit: Sauerland wurde als Bürgermeister abder Love Parade. Waren Sie gewählt. Besonders hervorzudamals selbst in der Stadt? heben ist aber das immense Ich war selber nicht da, aber bürgerschaftliche Engagemein Sohn war dabei und so habe ich die Love Parade prak- ment, das weit über die linken Kreise hinausging – Gewerktisch als Elternteil miterlebt. schaften, Vereine und VerDie halbe Nacht lang habe ich bände: alle zogen an einem vergeblich versucht, meinen Strang. Sohn und meine Nichte zu erreichen und kann gut nachvollWas haben die Linken von ziehen, wie Eltern sich fühlen, OB Sauerland erwartet? deren Kinder verletzt worden Der Mann war an führensind oder denen noch Schlimder Stelle, als es passierte. meres widerfahren ist. Wir haben erwartet, dass er als Stadtoberhaupt zu seiBürgermeister Sauerland ner politischen Verantwormachte keine Anstalten, tung steht. Wir gingen davon politische Verantwortung aus, dass er zurücktritt und zu übernehmen. Was hat zwar unverzüglich. Aber das DIE LINKE getan, um den tat er nicht. Leider war erst Mann aus dem Rathaus zu ein Bürgerentscheid notwenvertreiben? dig, um ihn zum Rücktritt zu Damals war DIE LINKE noch zwingen. im Landtag vertreten. Es war landesweit eines der niedrigsten Einkommen privater Haushalte. Sehr viele Menschen arbeiten prekär. Sie schlagen sich mit mehreren Jobs oder Minijobs durch. Deshalb haben wir gute Arbeit gefordert, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und Tariflöhne.

Die Abwahl von OB Sauer­ land ist das eine und die Strafverfolgung ist das an­ dere. Was muss in Deutsch­ land getan werden, damit Bürgermeister für ihre Handlungen haftbar ge­ macht werden können? Wir würden gern auf allen Ebenen bürgerschaftliches Engagement verankern. Überall da, wo es kommunale Unternehmen gibt oder solche mit kommunaler Beteiligung, sollte es auch einen Beirat geben. Genau so soll ein OB regelmäßig Rechenschaft ablegen. Bislang konstatieren wir stattdessen oft Verschleierungstaktik und undemokratisches Verhalten, in dem nicht diskutierte so genannte „Dringlichkeitsbeschlüsse“ ohne Diskussion mit der Bürgerschaft durchgepeitscht werden. Das hat nicht mehr viel mit Demokratie zu tun. Jetzt hoffen wir auf eine juristische Aufarbeitung der Geschehnisse von 2010. Warum gab es bis heute kein Verfahren vor Gericht? Das Hauptverfahren der Staatsanwaltschaft wurde aus verschiedenen fadenscheinigen Gründen nicht zugelassen. Erst jetzt sieht es danach aus, als ob es nun dazu kommen könnte. Bis jetzt war es jedes Mal ein Schlag ins Gesicht der Opfer und Angehörigen.


Die dritte Seite

Seite 3

06/2017 Links!

Foto: wilhei / pixabay.com / CC0

In eigener Sache: Das Experiment

Liebe Leserinnen, liebe Leser, die Zeitung „Links!“, die Sie wie gewohnt in diesem Monat in den Händen halten, hat sich stets als Debattenorgan verstanden. Wir waren immer bemüht, aktuelle Themen aufzugreifen und auch Kontroversen und Auseinandersetzun-

gen in ihrer Breite abzubilden. Wir sind stolz darauf, dass wir diesen Anspruch verfolgen können – und das mit einer vollständig ehrenamtlich arbeitenden Redaktion. Eine Vielzahl von Autoren liefert uns dafür Monat für Monat Texte, manchmal deutlich mehr, als in zwei Zeitungen Platz finden können. Wir

treffen dann eine Auswahl, wägen ab, kürzen. Manchmal mehr, als wir dies im Sinne der AutorInnen und unserer Redaktion selbst tun wollen. Im Ergebnis standen in der Vergangenheit oft sehr textlastige Seiten: Vieles, was geschrieben werden wollte, fand auf engstem Raum Platz. Der Versuch, möglichst vie-

Zweitausend Jahre und nichts geändert Aufmerksame Leserinnen und Leser meiner Kolumnen werden sich erinnern, einen ähnlichen Titel gab es schon mal. „Zweieinhalbtausend Jahre – und nichts geändert“ hieß es 2013 in der Novembernummer von „Links“. Es ging damals um die hinterhältig-schmeichelhafte Rede des römischen Konsuls Mennenius Agrippa, mit der er die sich verweigernden Plebejer zur Sicherung römischer Herrschaft wieder nach Rom zurück lockte. Sie waren auf den Heiligen Berg ausgewandert. Das alles hatte für mich große Ähnlichkeit mit Bemühungen verschiedener Parteien im Bundestagswahlkampf, die Einheit aller Deutschen zwecks Sicherung und Ausbau deutscher Stärke zu beschwören. Heute setzen wir etwa 500 Jahre später an. Um die Zeitwende hatte das Römische Reich bereits eine bewegte Geschichte hinter sich. Gut

500 Jahre zuvor hatte man das Königtum durch eine geniale republikanische Staatsform abgelöst. Alle Ämter durften nur für ein Jahr bekleidet werden und waren doppelt besetzt, bis in die Staatsspitze. An der standen zwei Konsuln. Nur in Krisenzeiten, bei Krieg, innerem Aufruhr oder für bestimmte protokollarische Pflichten, wurde für eine begrenzte Zeit (maximal sechs Monate, oft aber auch nur für Stunden oder Tage) eine Einzelperson als Diktator ernannt. Das funktionierte lange ganz gut, wurde der Republik aber schließlich doch zum Verhängnis. Lassen wir alles zuvor Passierte im Schoße der Geschichte ruhen und kommen wir ins Jahr 44 vor unserer Zeit. Nachdem Gaius Julius Caesar eine Reihe von Kriegen und Machtkämpfen geführt und gewonnen hatte, wurde er schließlich auf sein Betreiben hin vom Senat zum „dictator perpetuus“,

zum „Diktator auf Lebenszeit“ ernannt. Seiner Macht entledigte man sich wieder - durch Mord. Seinem Nachfolger Augustus konnte man nicht mehr entkommen. Er erfand das „Prinzipat“ und wurde im Jahr

27 vor der Zeitwende von einem hilflosen und willfährigen Senat mit Sondervollmachten ausgestattet, die pro forma immer wieder erneuert wurden, aber de facto für immer galten. Damit waren die Grundlagen des Römischen Kaiserreiches gelegt, das gut 600 Jahre andauern sollte.

len Stimmen Raum zu geben, fand immer wieder Zustimmung. Die Textlastigkeit allerdings auch Kritik. In dieser Ausgabe möchten wir deshalb einen Versuch wagen: Wir wollen das gewohnte Raster ein wenig aufbrechen, den AutorInnen für ihre Beiträge mehr Raum bieten und gleichzeitig die Textseiten auflockern. Wir haben uns deshalb dazu entschieden, einige Texte diesmal auf ihren Seiten für sich allein stehen zu lassen und gestalterisch aufzulockern. Mit mehr Weißraum, mit mehr Platz für Bilder. Natürlich führt das dazu, dass diese Ausgabe nicht die Artikeldichte beinhaltet, die Sie normalerweise von der Links! gewohnt sind. Gleichwohl verbinden wir dieses Experiment mit der Hoffnung, dass durch eine leicht veränderte Aufbereitung gerade auch längere Texte für Sie als LeserInnen „lesbarer“ werden. Wie gesagt: Es handelt sich um ein Experiment, das wir mit Ihnen als LeserInnen gerne wagen möchten. Genau deshalb bitten wir Sie um Ihre Meinung: Ist das Experiment gelungen? Schreiben Sie uns

einfach eine E-Mail, rufen Sie uns an. Sagen Sie uns, wie Ihnen diese „Links!“ gefallen hat. Wir zählen auf Sie! • Die Redaktion

Wem jetzt noch immer nicht der Franzose Emmanuel Macron oder der Österreicher Sebastian Kurz eingefallen ist, dem und der ist nicht zu helfen. Ich will es dennoch versuchen. Übrigens kann man auch noch den polnischen Präsidenten Jaroslaw Kaczynski oder den ungarischen Premier Victor Orban in der Reihe nennen. Sie ist damit längst nicht komplett. Die Wege dieser Männer waren und sind verschieden, das angestrebte Ende ähnelt aber immer dem der römischen Geschichte. Bei Macron und Kurz ist es nicht gleich ein Ende für ihr Land, aber zumindest für ihre Parteien. Macron ließ sich vom Volk die Vollmacht geben, Erster im Staate zu sein. Das ist gelungen. Danach erst hat er eine Partei gegründet, in der er alle Vollmachten hat und die ihm den endgültigen Sieg, den Sieg bei den Parlamentswahlen geben soll. Er bestimmt allein die Regierung und allein die Kandidatinnen und Kandidaten zur Parlamentswahl. Der zornige junge Mann Kurz ging umgekehrt vor. Er bemächtigte sich zuerst der altehrwürdigen Österreichischen Volkspartei und stellte

ihr sieben Bedingungen, deren Erfüllung ihm das alleinige Sagen in der Partei gibt. Der Putsch war erfolgreich. Die Parteigranden gaben klein bei wie einst der Römische Senat bei Caesar und Augustus. So ausgestattet will er nun die nach seinem Willen vorgezogenen Nationalratswahlen im Herbst gewinnen. Es ist überhaupt nicht abwegig anzunehmen, dass Macron und Kurz, wenn ihnen ihre Vorhaben glücken, den Staat nicht anders regieren werden als ihre Parteien - autokratisch. Ich will keine platten Vergleiche anstellen, doch wehret möglichen Anfängen. Ähnlich begann das Verhängnis in der Zwischenkriegszeit in Italien und Deutschland. Ein Sieg bei Wahlen brachte Männer an die Macht, die die Diktatur wollten und schließlich auch durchsetzten. Zeus entführte einst die schöne Frau Europa. Was Europa jetzt bleibt ist die Hoffnung, dass jene Frauen, die von den Herren zwar umgarnt, aber letztlich auch nur auf streng quotierte Listen „entführt“ wurden, sich wehren und so mögliche schlimme Vorhaben der „starken Männer“ verhindern könnten. • Peter Porsch

Sie erreichen uns unter Telefon 0351-84389773 oder unter redaktion@linkebildung-kultur.de

Übrigens: Der Bezug der Zeitung „Links!“ ist grundsätzlich kostenfrei für Sie. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen dieser Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 10 Euro. Sollten Sie an uns spen­ den wollen, verwenden Sie bitte folgende Konto­ daten: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Bank: Dresdner Volksbank Raiffeisenbank


Links! 06/2017

Hintergrund

Seite 4

Schäuble als Strippenzieher Die Quasi-Privatisierung der öffentlichen Fernstraßen. Von Axel Troost

Foto: Tobias Steinert / pixabay.com / CC0

Fernstraßen privatrechtlich organisiert, zweitens die Tür für flächendeckende Öffentlich-Privaten Partner­ schaften (ÖPP) weit geöffnet, und drittens die Maut­ein­ nah­­men exklusiv an den Straßenbau gebunden wer­ den. Am 24. September wird die CDU/CSU hoffentlich auch daran gemessen, dass sie die Kontrolle über unser öffentliches Eigentum in die Hände privater Kapital­ interessen überweist.

Straßen sind Lebensadern – sie müssen öffentliches Eigentum bleiben und für alle nutzbar sein Aktiengesellschaft in öffentEs ist geradezu ein politilicher Hand gemacht wurde. scher Krimi, wie FinanzminisDie entsprechenden Grundgeter Schäuble und die CDU/ setzänderungen sollen nun am CSU die Privatisierung öf2. Juni 2017 innerhalb eines Tafentlichen Eigentums gegen ges durch Bundestag und Bunalle Wiederstände vorandesrat gedrückt werden. treiben. Worum geht es? Die Konservativen wollen die bislang durch die BundeslänDruck von der verwalteten Fernstraßen Zivil­gesellschaft beim Bund zentralisieren und und politischer mittels Öffentlich-PrivaterOpposition teilPartnerschaften (ÖPP) für weise erfolgreich private Kapital­anleger öffnen. Dabei erpresst SchäubPositiv ist zunächst, dass die le die Bundesländer, indem ursprünglich für den 19. Mai die Quasi-Privatisierung der angesetzte Bundestags-AbFernstraßen mit in das Paket stimmung platzte und bei zur Neuordnung des LänderNachverhandlungen nun finanzausgleichs geschnürt grundgesetzlich „eine unmitwurde, von dessen Fortfühtelbare oder mittelbare Beteirung das Schicksal gerade ligung privater Dritter“ an der strukturschwacher BundesInfrastrukturgesellschaft Verländer abhängt. Somit müskehr und ihren Tochtergesellsen auch Mitte-Links geführte schaften ausgeschlossen wird Bundesländer (wie Thüringen, (Artikel 90 (2) GG) sowie auch Brandenburg, Berlin) dieses das wirtschaftliche Eigentum lebenswichtige, aber kontami- beim Bund verbleiben soll (Arnierte Paket wohl zähneknirtikel 90 (1) GG). Diese – teilschend durch den Bundesrat weise „einfachgesetzlichen“, passieren lassen. teilweise grundgesetzlichen Wie ist nun der aktuelle Stand? – Zugeständnisse sind ein Der letzte, und nun wohl endgroßer Erfolg und die direkgültige Kompromiss1 zwischen te Folge unseres gemeinsamen Protests von politischer SPD und CDU/CSU bedeutet Opposition (der LINKEN und für die deutschen Fernstrader Grünen) sowie der Zivilßen eine Quasi-Privatisierung gesellschaft, u.a. organisiert – ähnlich der Deutschen Bahn, von der „Plattform gegen eidie vor 23 Jahren zu einer prine Bundesfernstraßengesellvatwirtschaftlich geführten

schaft“.2 Von einem durchschlagenden Erfolg kann jedoch keine Rede sein, denn die Quasi-Privatisierung und die Festlegung auf einen hermetisch geschlossenen Finanzierungskreislauf aus Mauteinnahmen und Straßenbau sind keineswegs verhindert, sondern kommen nun wie befürchtet (nur etwas verklausulierter) durch die Hintertür.3

CDU/CSU drücken jedoch unbeirrt die Quasi-Privatisierung der Fern­ straßen durch Erstens: die Infrastrukturgesellschaft soll die Form „einer Gesellschaft privaten Rechts“ bekommen. Das bedeutet, dass der Straßenbau künftig rein betriebswirtschaftlich geführt wird, öffentliche Interessen müssen hinten anstehen und auch demokratisch wird die Verkehrspolitik damit weniger beeinflussbar. Wie schon bei den kleineren Bahnhöfen und Bahn-Nebenstrecken drohen weite Teile des Landes als „betriebswirtschaftlich unrentabel“ abgehängt zu werden. Wie aber sollen strukturschwache Regionen eine wirtschaftliche Chance haben, wenn sie weder über Zug noch Straße or-

dentlich angebunden sind? Zweitens sind – anders als von Sozialdemokraten behauptet –4 ÖPPs nicht ausgeschlossen, sondern die individuellen Projekte nur größenbeschränkt. Und dass, obwohl Rechnungshöfe immer wieder aufzeigen, dass ÖPP die Bürger fast immer teurer zu stehen kommen. Drittens werden die gerade beschlossenen Mauteinnahmen zweckgebunden5 und vollständig an die quasi-privatisierte Bundesfernstraßen-Gesellschaft fließen. Die Einnahmen können also nicht mehr zur Linderung der externen (Umweltund Gesundheits-) Kosten des Autoverkehrs oder zur Querfinanzierung anderer Verkehrsträger, wie Schiene, ÖPNV oder Fahrrad genutzt werden. Somit wird auch der sozialökologischen Verkehrswende eine wichtige Finanzierungsquelle abgeschnitten.

Mit Merkel und Schäuble kommt die Autobahn­ privatisierung Fazit ist also: Geht es nach Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble, soll erstens die Verwaltung der

Auch wenn die Grünen aktuell mit der LINKEN gegen eine Privatisierung trommeln: Bei entsprechendem Wahlergebnis im September stehen sie für eine Koalition mit CDU/ CSU (und evtl. FDP) – auch wenn sie diese Option mit dem eigenen Absacken in den Umfragen mittlerweile defensiver kommunizieren - sicherlich weiter gerne zur Verfügung. Daher gilt weiterhin und jetzt erst recht, Widerstand gegen Privatisierung und Sozialabbau – parlamentarisch wie außerparlamentarisch. Es geht darum, sich nicht einlullen zu lassen durch substanzlose Beruhigungs-Formeln, sondern den Kampf für eine gute Infrastruktur in öffentlicher Hand, die allen Menschen unabhängig von Wohnort und Geldbeutel gleichermaßen zur Verfügung steht, zu organisieren! 1 Vgl. Änderungsanträge der Arbeitsgruppen Haushalt der Fraktionen CDU/ CSU und SPD, Ausschussdrucksachen 4314 (http://gleft.de/1J0) und 4315 (http://gleft.de/1J2) , sowie die Synopse Grundgesetz (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 90, 91c, 104b, 104c, 107, 108, 109a, 114, 125c, 143d, 143e, 143f, 143g) und die Synopse Begleitgesetz (Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020 und zur Änderung haus­haltsrechtlicher Vorschriften) woraus auch die folgenden Zitate entnommen sind. 2 Zu den Zielen der Plattform: http://gleft.de/1J3 3 Siehe auch die Analysen von Gemeingut in BürgerInnenhand: Autobahn­privatisierung. Ein Fall für Sherlock Holmes und Dr. Watson (http://gleft.de/1J4) sowie aktuell: http://gleft.de/1J5 4 Internes SPD-Papier vom 17. Mai 5 Siehe Begleitgesetz Artikel 21 Bundes­fernstraßenmautgesetz §11 Mautaufkommen (2) sowie Artikel 22 Infrastrukturabgabengesetz §15 (2)


Hintergrund

Seite 5

Marx schrieb in einem seiner Briefe an Engels, dass Religion das Opium des Volkes sei. Das mag, zumindest in der Vergangenheit, zutreffend sein. Und wenn ich die Art der Auseinandersetzung mit dem diesjährigen Jubiläum der Reformation sehe, so finde ich manches recht oberflächlich. Denn bei all dem Fortschriftlichen, was Luther mit seinen Thesen auf den Weg brachte, wird eines doch nur all zu gern vergessen: Luther war glühender Antisemit, der mit seinen antisemitischen Aussagen Hitler so manches „Argument“ an die Hand gab. Doch wenn wir dieses Jubiläum begehen, so darf dieser Teil der Geschichte Luthers und der Reformation eben nicht vergessen werden sondern gehört ebenso kritisch hinterfragt wie betrachtet. „Opium fürs Volk“ suggeriert aber auch, dass Gläubige sich in den Glauben flüchten, um ein Stück weit der Realität zu entfliehen und die Verantwortung für das eigene Leben, für eigene Entscheidungen abzugeben, dass die Kirchen unpolitisch sind. Doch auch das erlebe ich vielfältig anders. In der DDR waren es die Kirchen,

Religionen – mehr als nur Opium fürs Volk?!

Von Simone Hock

Staat obliegen – etwa Sucht-, Schuldner- und Wohnungslosenhilfe – und ihre Mitglieder engagieren sich in Vereinen und Demokratiebündnissen, sind Mitglieder in Parteien.

Foto: DIG/trialon

Um es vorwegzunehmen: Ich wurde getauft, Christmette zu Weihnachten, Weihnachtsund Osteroratorium von Bach, Filme wie „Die zehn Gebote“ oder Bücher wie „Das Gewand des Erlösers“ haben mich mein Leben lang begleitet, auch die Bibel habe ich gelesen. Wirklich religiös erzogen wurde ich nicht, dennoch hat der christliche Glauben seine Spuren in meinem Leben hinterlassen. Wie tief diese sind, wurde mir durch die Bekanntschaft mit zwei jungen Männern wirklich bewusst, die zunehmend zu guten Freunden werden. Wir haben viel diskutiert. Geschieden, schwul in einer Partnerschaft und dann noch in einer Einrichtung der Caritas arbeitend? Nach meinem bisherigen Bild von der katholischen Kirche ging das gar nicht zusammen. Doch ich lernte schnell, dass sich auch die katholische Kirche im Wandel befindet, auch wenn sich dieser sehr langsam vollzieht und es eine ganze Menge zu kritisieren gibt, gerade auch mit Blick in die (jüngere) Vergangenheit. Dennoch, und über diesen Satz des katholischen Freundes habe ich lange nachgedacht, bietet die katholische Kirche eine zentrale und damit sehr stabile und verbindliche Auslegung des Glaubens der Bibel. Im Islam beispielsweise gibt es eine solche zentrale Auslegung nicht, jeder Imam bzw. jede Gruppe hat eine eigene Interpretation gefunden, was nicht immer unproblematisch ist.

06/2017 Links!

die Räume für Bürgerrechtsbewegungen schufen, die Engagement für Umweltschutz und Frieden jenseits der staatlichen Ordnung ermöglichten. In den letzten Jahren bezogen immer wieder Kirchen und ihre Vertreter deutlich Position gegen Fremdenhass, beispielsweise indem Gotteshäuser ihre Beleuchtung löschten wenn Pegida, AfD und Co. in ihrer Nähe aufmarschierten, um ihre menschenverachtenden Parolen zu ver-

breiten. Es waren die Kirchen, die gemeinsam mit demokratischen Parteien und zivilen Organisationen zu friedlichen und bunten Protesten gegen den AfD-Bundesparteitag in Köln aufriefen. Und es sind immer wieder Kirchgemeinden, die von Abschiebung bedrohten Geflohenen und Asylbewerbern Kirchenasyl gewähren. Darüber hinaus sind sie freie Träger der Jugend- und Sozialarbeit und erfüllen Aufgaben, die eigentlich dem

Auf dem Kirchentag in Berlin gab es am 25. Mai eine im TV übertragene Podiumsdiskussion mit Bundeskanzlerin Merkel und dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama. Von den Gläubigen kamen Fragen, die ganz konkret die Alltagspolitik betreffen: Was kann man tun, damit hier gut integrierte Geflohene bleiben können und nicht trotz Arbeitsplatz abgeschoben werden? Was kann die Politik im Hier und Jetzt tun, damit jetzt nicht noch mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken? Wie stehen sie zur Drohnentechnologie, die in ihrer Amtszeit (Obamas) gefördert wurde und an Bedeutung gewann? – Man kann die Antworten auf diese Fragen unterschiedlich, ja kritisch beurteilen. Muss man vielleicht sogar. Aber dass diese Fragen im Rahmen des Kirchentages

gestellt wurden, zeigt deutlich, dass Religion heute alles andere als unpolitisch ist. Nimmt man dieses vielfältige Engagement der Kirchen und ihrer Mitglieder für eine bessere und friedlichere Welt, die Aussagen des Papstes und anderer prominenter Kirchenvertreter zum Weltfrieden, zu Ausbeutung und sexueller Vielfalt, so verstehe ich die zum Teil sehr abwertenden Kommentare gerade auch in den sozialen Netzwerken gegenüber Christen – denn sie sind das häufigste Ziel – nicht. Wir linke und LINKE fordern Toleranz gegenüber Mitgliedern anderer Kulturen und Religionsgemeinschaften, doch lassen häufig diesen geforderten Respekt gegenüber Christinnen und Christen vermissen. Wie können wir Toleranz und Akzeptanz gegenüber fremden Kulturen und Religionen einfordern, ohne es in unserem eigenen Kulturkreis gegenüber Gläubigen selbst zu leben? Und wie müssen wir unsere Kommunikation gestalten, damit sich Christen von der Forderung nach einem laizistischen Staat nicht mehr angegriffen fühlen, diese Forderung nicht mehr als Angriff auf ihre Religion empfinden? In Markus 12,31 heißt es: „Liebe Deinen nächsten wie dich selbst“. In diesem Sinne wünsche ich mir, dass wir allen mit Respekt begegnen, auch und gerade den Christinnen und Christen in unserer Gesellschaft. Denn sie sind unsere Partner, wenn es um den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft geht, wenn es gilt, für Weltoffenheit, Toleranz und die Stärkung unserer Demokratie zu streiten.


Links! 06/2017

Hintergrund

Seite 6

Ein Weltbestseller wird gedruckt Vor 150 Jahren erschien erstmals der erste Band von Karl Marx’ „Das Kapital“ in gedruckter Fassung. Von Manfred Neuhaus Es ist zweifelsohne das Haupt­­ werk im Schaffen von Marx und fasst nach Jahrzehnten akribischer ökonomischer Studien und diversen Vorarbeiten dessen Analyse und Kritik der kapitalistischen Gesellschaft zusammen. Kaum ein Werk dürfte so weitreichende Wirkungen in der Arbeiterbewegung und in der Geschichte des 20. Jahr­ hunderts gehabt haben wie dieses. Aus diesem Anlass dokumentieren wir an dieser Stelle einen Auszug aus dem Vortrag, den der lang­ jährige Mitarbeiter an der Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA), Manfred Neuhaus, auf dem Kolloquium der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen aus Anlass des Ersterscheinens am 6. Mai 2017 in Leipzig gehalten hat. Den 5. Mai 1867, seinen 49. Geburtstag, verbrachte Karl Marx getrennt von Frau und Töchtern im fernen Hannover. Er genoss dort die Gastfreundschaft von Louis Kugelmann, einem angesehenen Arzt und erfindungsreichen Gynä­ko­lo­gen, um die soeben aus Leipzig eingetrof­fenen ersten Korrekturbogen seines Opus magnum durchzumustern. Er war bereits drei Wochen zuvor, am 12. April, nach schwerer See mit dem Segelraddampfer „John Bull“ in Hamburg gelandet, um dem Verleger Otto Carl Meiß­ ner das Manuskript persönlich zu überbringen und die Moda­litäten der Herstel­lung des Buches zu besprechen. Den Verlagsvertrag hat­te Marx᾽ Gewährsmann Wilhelm Strohn, ein ehemaliges Mitglied des Bundes der Kommunisten, ausgehandelt. Nach ei- Marx-Relief auf dem Campus Jahnallee in Leipzig ner ersten kurzen Begegnung lernten sich Marx’ und Meißbuchhandlung im Revolutions­ „Netter Kerl, obgleich etwas ner während eines ausgiebijahr 1848 gegründet und versächselnd“, notierte Marx gen Dinners in Zingg’s Hotel legte juris­tische Fachliteratur, über den gebürtigen Quedlinbald genauer kennen und geSchulbücher und Hamburgen­ genseitig schätzen. Dazu mag burger. sien, Zeitschriften und Landauch beige­tragen ha­ben, dass karten, aber auch Werke der In der weltoffenen Freien und Meißner, ein Demokrat ohne Politik und Zeitge­schichte. Hansestadt Ham­­burg wehFurcht und Tadel, bereits eiSein Verlag war nicht die erste ein anderer Wind als in nen Titel aus der Feder von te Adresse in Hamburg, galt den preußischen Kern­landen Engels, „Die preußische Miaber als solides Unternehmen. des Norddeutschen Bundes. litärfrage und die deut­sche Neben Engels, Feuerbach und Meißner hatte die VerlagsArbeiter­partei“, verlegt hatte.

„Das Kapital“ von Karl Marx in einer Ausgabe von 1867 aus der Sammlung Saitzew in der Zentralbiblio­ thek Zürich

Walther Wilhelm Wigand am Lassalle zählten später auch Roß­platz 3b gesetzt und geAlfred Lichtwark und Alfred Brehm zu seinen Autoren. Wie druckt. Als der erste Band des „Kapitals“ in der Offizin der Gesich zeigen sollte, war auch brüder Wigand gedruckt wurMarx hier gut aufgehoben. de, liefen in Leipzig die Fäden Wer die Handschrift des bärdes deutschen Verlagswetigen Welterklärers aus Trier sens zusammen. Für die Wirjemals vor Augen hatte, Umkungsgeschichte des Werkes fang und Schwie­rig­keitsgrad dürfte dies nicht ohne Belang der Satz­ma­terie bedenkt, wird kaum erstaunt sein, dass gewesen sein. Dass die BuchMarx seinem Alter ego am 24. und Messestadt von Zeitgenossen bereits als KristallisaApril das Folgende nach Mantionskern der proletarischen chester berichtet: „Meißner, der die Geschichte in 4−5 Wo- Emanzipationsbewegung, oder − um Wolfgang Schröder chen fertig haben will, kann zu zitieren −, als „Wiege der nicht in Hamburg drucken deutschen Arbeiterbewegung“ lassen, weil weder die Zahl wahrgenommen wurde, war der Drucker noch die Gelehrfür die künftige Rezeptionssamkeit der Korrektoren hingeschichte vielleicht noch bereichend. Er druckt daher bei deutsamer. Otto Wigand (rather dessen Sohn, […] Heut vor 8 Tagen Die Indizien sprechen für den schickte er das Manuskript nach Leipzig. Er wünscht nun, 11. September als Erscheinungstag. Auf Otto Meißners daß ich zur Hand bin, um die Geheiß hatten die Gebrüder ersten 2 Druckbogen zu reWigand 1000 Exemplare gevidieren und zu­gleich zu entdruckt. Die Erstausgabe, 796 scheiden, ob der Schnelldruck mit einmaliger Revision Druckseiten komplexester Sachprosa mit 1023 Fußnoten, meiner­seits ,möglich ist.“ Enwurde „ordinär“, also ohne gels hatte Gründe, den Optifesten Einband, in einem gelmismus seines Freundes zu ben papierenen Umschlag zu dämpfen: „Ich glaube nicht, einem Preis von drei Thalern daß die Gelehrsamkeit der Leipziger Korrektoren für Dei- und zehn Neugroschen angeboten. Von diesem Betrag ne Art hinreicht. Meine Brohätte eine fünfköpfige Famischüre ließ M[eißner] auch lie eine Woche ihren Lebensbei Wigand drucken, und was unterhalt bestreiten können. haben die Schis­ser mir für Karl Winkler, Arbeiter in einer Zeug da hineinkorrigiert.“ Die Chemnitzer Werkzeugmaschi­ Schisser waren Otto Alexnen­­­fabrik, berich­tete seinen ander und Walther Wilhelm Eltern am 21. Oktober 1867, Wigand. Traditionsbewussder Prinzipal zahle ihm 2½ te Söhne, die sie waren, fir­ Thaler Wochenlohn; wie wir mierten sie ihre Buchdruckefeststellen müssen, zu wenig, rei, laut Adressbuch Roßplatz um Marxens Werk erwerben 3b, parterre und 1. Stock, als zu können. „Otto Wigand’s Buchdruckerei“. Bis Inge Kießhauer das filigrane Geflecht der Wigand- In der alphabetischen Sortie­ rung von Meißners Jahresschen Familienunternehmen programm figuriert der er­ vor zweieinhalb Jahrzehnten ste Band des „Kapitals“ entwirrte, war es gang und völlig arglos zwischen Wilgäbe, das berühmte Verlagshelm Lazarus’ Studie „Ue­ unternehmen des Vaters mit ber Mortalitätsverhält­nisse der Buch­druckerei der Söhund ihre Ursachen“ und ne zu verwechseln. Als geCarl Heinrich Prellers Beibürtiger Brandenburger des trag zur nordalbingischen sächsi­schen LokalpatriotisInsekten­­fauna mit dem vielmus unverdächtig, will ich es deshalb noch einmal betonen: sagenden Titel „Die Käfer von Der erste Band des „Kapitals“ Hamburg und Umgegend“. So gut lässt sich ein künftiger wurde vor 150 Jahren in LeipWelt­­best­seller allemal verzig in der Buch­druckerei der stecken … Brüder Otto Alexander und


Nachruf

Seite 7

06/2017 Links!

„Seit ihrem ersten Auftreten werden die Kommunisten verleumdet, mundtot ge­ macht und verfolgt. Was tut’s! Man braucht Mut für seine Überzeugung, man muss sagen, was man ist. Ich bin Kommunist!“ Etienne Cabet

Er hat seine linke Überzeugung gelebt In memoriam Dr. Edmund Schulz. Von Wulf Skaun „Mein Freund Eckard Spoo ist gestorben“, sagte Eddi mit belegter Stimme. Ich sah, der Tod des linken Journalistenkollegen, der 1997 die Zeitschrift „Ossietzky“ gegründet hatte, ging ihm sehr nahe. Als Autor hatte er, Edmund Schulz, den in der Tradition der „Weltbühne“ stehenden Heften die Treue gehalten. Nun ist er selbst, ein gutes Vierteljahr später, am 30. März für immer von uns gegangen. Klaus Haupt, mit dem Eddi nicht nur die politische Weltanschauung, sondern auch die Liebe zu Egon Erwin Kisch teilte, hat ihm in der „Ossietzky“ berührende Worte des Abschieds gewidmet. Als Student, Wissenschaftlerkollege, Genosse und Freund an der Fakultät und späteren Sektion Journalistik der Karl-Marx-Universität Leipzig (KMU) habe ich Edmund Schulz seit 1969 erlebt und geschätzt. Ich kenne nicht viele Menschen, die, ihren Überzeugungen getreu, ihren Lebensweg so geradlinig gegangen sind wie er.

Die ersten Schritte ins Leben tat der kleine Edmund in Kiel, wo er am 9. November 1933 geboren wurde. Als Sohn eines klassenbewussten Werftarbeiters wuchs er in kämpferisch-proletarischem Milieu auf. Frühzeitig begriff er die Dialektik des politischen Lebens, wie sie Brecht im „Lied vom Klassenfeind” gelehrt hatte. Also beteiligte sich der Jungkommunist auch an illegalen Aktionen gegen die Remilitarisierung der Bonner Republik. Dass „drüben“ ein deutsches demokratisches Staatswesen errichtet wurde, in dem eine freie deutsche Jugendorganisation zu dessen aktivsten Erbauern zählte, dass die Staatsdoktrin das von den Arbeitern und Bauern geschaffene Kapital auch diesen selbst verhieß, begeisterte ihn. 1953, gerade 20, entschied er sich für ein Leben in der DDR. Hier konnte er das Abitur erwerben, hier wurde er 1957 zum Studium delegiert. An der Journalistenfakultät der KMU erwarb

er das Diplom, ehe er dort die akademische Laufbahn einschlug. In Erziehung, Lehre und Forschung hat er als Hochschuldozent seine Erkenntnisse, Erfahrungen und Überzeugungen von Frieden und Gerechtigkeit, von Humanität und sozialistischen Idealen Generationen von Studenten vorgelebt. Der ,,rote Eddi’“ wurde nicht müde, die Wechselfälle in Politik und Gesellschaft aus ihren in letzter Instanz von ökonomischen Interessen bestimmten Ursachen zu erklären. Wichtige Forschungsarbeiten, so zu ,,Wesen und Funktion” gesellschaftlicher Information und Kommunikation, sind mit seinem Namen verbunden. In der Ausbildung und Lehrforschung verantwortete er das Themenfeld „Imperialistische Medien“. Dass so einer, der Journalisten für die sozialistische Medienpraxis aus entschieden linker Gesinnung und Gesittung herangebildet hatte, keinen Platz mehr im Universitätsbetrieb nach

1990 haben würde, war keinem klarer als Edmund Schulz selbst. Nie und nimmer hätte er sich für jene Verhältnisse instrumentalisieren lassen, gegen die er sich bereits in jungen Jahren bewusst entschieden hatte. Doch Eddi war nicht der Charakter, sich nach einer schmerzlich erfahrenen Niederlage Wunden leckend und barmend ins Mäuseloch zu verkriechen. Seiner linken Überzeugung folgend, dass der Kampf um eine bessere Welt weitergehen müsse, begab er sich nun verstärkt an die linke journalistische Pressefront. 1993 gehörte er zu den Mitbegründern von „Leipzigs Neue“, die er mit zahlreichen Beiträgen bereicherte. Seine Autorschaft schätzten die Zeitungsmacher von „Ossietzky“, „Rotfuchs“, „Unsere Zeit“, „ND“, „Junge Welt“. Bleibende Verdienste hat sich Eddi mit der Erforschung und Herausgabe der Werke Upton Sinclairs erworben. In einem auch international beachte-

ten Projekt hat er sämtliche Arbeiten des großen amerikanischen Schriftstellers erfasst, kommentiert und in einer deutschsprachigen Bibliographie veröffentlicht. Dass er damit in Ost und West bei Lesungen ungeteilte Anerkennung gefunden hat, empfand der Publizist als eine gelungene letzte Runde in seinem konsequent linksdemokratisch gelebten politischen Dasein. In der „Ossietzky“ hatte er einmal den revolutionären französischen Publizisten und Politiker Étienne Cabet (1788−1856) zitiert: „Seit ihrem ersten Auftreten werden die Kommunisten verleumdet, mundtot gemacht und verfolgt. Was tut’s! Man braucht Mut für seine Überzeugung, man muss sagen, was man ist. Ich bin Kommunist!“ Genau diese Zeilen hat Edmund Schulz’ Familie für ihre Traueranzeigen in der linken Presse gewählt. Treffender konnte sie ihren, unseren Freund und Genossen nicht ehren.


Links! 06/2017

Seite 8

„... so hette ich das maul gehalten“ Jour fixe diskutierte Lebens- und Wirkungsgeschichte Martin Luthers. Von Wulf Skaun Manufakturkapitalismus, Beginn des neuzeitlichen Kolonialismus machte Hoffmann deutlich, welche gesellschaftlichen Entwicklungen die Moderne vorbereiteten, die mit Luther und seinem Wirken nichts zu tun hatten.

Was wunder, wenn über nur wenige Persönlichkeiten der Weltgeschichte mehr publiziert wurde als über den Wittenberger. Forschergenerationen, geistliche wie weltliche Stimmen in Pro- und ContraPosition, vermittelten Heutigen das Bewusstsein, wohl fast alles über Martin Luther zu wissen. Doch die 500-jährige Wiederkehr seines berühmten Thesenanschlags von 1517 wider den Ablass und den Wucherhandel in einer verderbten katholischen Kirche spülte, vorhersehbar, neue mediale Luther-Wellen in die Öffentlichkeit. Für den unkonventionellen Gesprächskreis Jour fixe an der Leipziger Dependance der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen Anlass genug, sich bei seiner 24. Auflage des Themas anzunehmen. Unter der Überschrift „Religiöse Erwähltheit und weltliche Bewährung − Anmerkungen zu Willi Winklers Biographie ,Luther. Ein deutscher Rebell‘“ lieferte der Leipziger Mediävist Gerhard Hoffmann eine anregende Diskussionsgrundlage. Er bereitete die komplexe und widersprüchliche Lebens- und Wirkungsgeschichte des streng bibeltreuen Theologen historisch konkret auf, um den Mythos Luther aus seiner Zeit, den Fehden seiner Kontrahenten, seinen selbst gewollten Zwecken und unabsichtlich über ihn gekommenen Entwicklungen zu erklären. Das interessierte Auditorium

Foto: thierry ehrmann / flickr.com / CC BY 2.0

Man müsse einen Arsch in der Hose haben, hieß einer von Martin Luthers derb-deftigen Sinnsprüchen. Er selbst hielt sich daran, bot sogar Papst und Kaiser die Stirn. Seine gesellschaftlichen und theologischen Leistungen, im Reformationswerk manifestiert, machten ihn zu einem Geistesriesen, dem höchste Bewunderung zufloss. Friedrich Engels würdigte ihn mit den Worten: „Luther fegte nicht nur den Augiasstall der Kirche, sondern auch der deutschen Sprache aus, schuf die moderne deutsche Prosa und dichtete Text und Melodie jenes siegesgewissen Chorals, der die Marseillaise des 16. Jahrhunderts wurde.“

Komplexe und widersprüchliche Lebens- und Wirkungsgeschichte erfuhr, dass sich der Journalist und Publizist Willi Winkler, Jahrgang 1957, in seinem Buch mehr oder weniger konsequent auf Luthers Lebensgeschichte konzentriert hat. Für den bayrischen Autor gilt der Reformator zuallererst als Evangelist und Prophet, der vom Heiligen Geist berufen und erweckt sei, um den Gläubigen als neuer Messias Gottes Heil zu versprechen. Als fundamentaler Gegner des Teufels predigte Luther den

Kampf gegen jegliches Teufelswerk. Solches sah er auch in den Sünden des aus seiner Sicht antichristlichen Papsttums ebenso wie in einem sich gegen alle Juden steigernden religiösen Antijudaismus oder in den türkischen Osmanen. Für die grundlegende Reform der christlichen Kirche im Namen des Erlösers Jesus bedürfe es der Unterstützung durch die von ihm anerkannte gottgewollte weltliche Obrigkeit. Dieser theologischen

Logik gemäß, habe Luther die aufständischen Bauern und Thomas Müntzer als mörderische Rotten bzw. Mordpropheten charakterisiert. Winklers These, Luther habe das Mittelalter beendet, stünde im Widerspruch zur heute gängigen Auffassung, die eine monokausale Verbindung von Reformation und Neuzeit ablehne. Mit solchen Stichwörtern wie geografische Entdeckungen, Renaissance, kopernikanische Wende, Früh-, Handels- und

In der Diskussion wurde diese Fragestellung von einigen Rednern weiter verfolgt. So monierte Klaus Kinner Winklers vordergründige Theologisierung der Lutherischen Rolle zu Lasten seiner gesellschaftlichen Wirkung. Gerhard Hoffmann, der den Gedankenaustausch auch moderierte, gab zu bedenken, dass Luther sich ganz als Theologe verstanden habe, dessen ureigener Auftrag die Bibelexegese zur Reform der Kirche sei. Gesellschaftliche Wirkungen hätten ihn wie göttlich „Erwählte“ in anderen Weltreligionen von seinem religiösen Anliegen deutlich entfernt. Dieses Dilemma bezeugten seine von Willi Winkler als Wahlspruch gewählten Worte: „Hette ich die sache so weit gesehen, als sie Gott lob kommen ist, so hette ich das maul gehalten.“ Hartmut Kästner erinnerte an den Leipziger Historiker Max Steinmetz, der aus Anlass des 450. Reformationsjubiläums mit seinerzeit vielbeachteten Thesen die Bedeutung Luthers und den Zusammenhang von Reformation und Bauernkrieg auf eine neue Weise interpretiert hatte. Manfred Neuhaus nahm diesen Ball auf, um die Forschungen der Leipziger Mediävisten Max Steinmetz, Gerhard Zschäbitz, Siegfried Hoyer und Gerhard Brendler zu würdigen. Wie der Berliner Historiker Günter Vogler in einer bemerkenswerten Bestandsaufnahme der jahrzehntelangen Forschungsdebatte unlängst herausgestellt habe, sei deren von Friedrich Engels inspiriertes Konzept einer deutschen frühbürgerlichen Revolution von Fachkollegen im Westen zunächst ignoriert oder ohne Diskussion zurückgewiesen, dann aber als Herausforderung angenommen worden, um über Gegenkonzepte nachzudenken.


Geschichte

Seite 9

06/2017 Links!

Gramsci und die Oktoberrevolution

In den Beiträgen zur Geschichte der Arbeiterbewegung (Berlin 33, 1991,1, S. 3 –12) verwies Prof. Harald Neubert darauf: Ihr – gemeint waren R. Luxemburg und A. Gramsci – theoretischer Beitrag, wäre geeignet gewesen, die Herausforderungen der Zeit besser zu erkennen und zu bewältigen. Dies blieb jedoch in der kommunistischen Bewegung und in den sozialistischen Ländern weitestgehend unbeachtet. ihm zu lesen, dass es gelingen Und später ergänzte er: „Viele „proletarische Revolution“, „die werde, die reale Kluft zwischen natürlich in ein sozialistisches seiner (Gramscis) großartigen der Rückständigkeit Russlands Regime einmünden muss“. Ideen wurden von den parteiund dem sozialistischen Inhalt Schließlich begrüßte der Thepolitischen Eliten nicht einmal der Politik zu schließen. oretiker der „Philosophie der als Herausforderung betrachNeben dem schon zitierten Praxis“ - so verstand er den tet; sie wurden ignoriert oder Beitrag „Revolution gegen das stillschweigend geduldet, nicht Marxismus - die Oktoberrevolution. Aber er tat es nicht aber begriffen“. blind, wie so viele orthodoxe Wollen wir hiermit gegen jene Parteisoldaten. Ignoranz und stillschweigende So ist schon die Überschrift eiDuldung anschreiben – im nes Aufsatzes recht provokant, 100. Jahr der Oktoberrevolutider erstmals am 24. November on und zum 80. Todestag, des 1917 in der Mailänder Ausgaso schwer „Begreifbaren“: Antonio Gramsci (1891 –1937). be der „Avanti“ erschien: „Die Revolution gegen das „Kapital“ von Karl Marx. Da heißt es unFür den Sozialisten und später anderem: „Die Revolution teren Mitbegründer und Geder Bolschewiki ist mehr von neralsekretär der KP Italiens, der Ideologie als von den TatAntonio Gramsci, wurde die „Kapital“ findet sich in „Antosachen hervorgebracht worOktoberrevolution zu einem nio Gramsci - vergessener Huprägenden politischen Ereignis den“. Später liest man: „Die manist?“ (Dietz-Verlag Berlin, Tatsachen haben die Ideologie für das eigene politische Denüberholt. Die Tatsachen haben 1991) ein Brief an das ZK der ken und Handeln seiner Zeit, die kritischen Schemata ad ab- KPdSU (B). Nach Angaben von die, wie man weiß, so knapp surdum geführt, denen zufolge Palmiro Togliatti soll ihn der bemessen war. frühere Komintern-Vertreter die Geschichte Russlands sich Demzufolge fand die Oktoberder italienischen KP in der ersnach den Grundprinzipien des revolution ihren Ausdruck in ten Oktoberhälfte des Jahres historischen Materialismus zahlreichen Schreibarbeiten 1926 verfasst haben. hätte entwickeln müssen“. Gramscis. Auf einige seiner Darin äußerte Gramsci unter Für manche mag jene seiner Gedankengänge dazu sei an anderem: „Wir kennen aus der Positionen auch widersprüchdieser Stelle eingegangen. Geschichte keine Situation, in lich sein: So vertrat Gramsci Schon die Februarrevolution der die herrschende Klasse die Auffassung, dass Russland unterstütze er. In einem Artikel vom 29. April 1917 charak- nicht reif für eine sozialistische in ihrer Gesamtheit unter Bedingungen lebt, die schlechter Revolution war. Ebenso ist von terisierte Gramsci sie als eine

Von René Lindenau

sind als jene von bestimmten Elementen und Schichten der beherrschten und unterdrückten Klasse“. Eine Gefahr für die weitere Entwicklung der Sowjetunion sah er bei den Auseinandersetzungen inner-

„Die Revolution ist kein wundertätiger Akt, sie ist ein dialek­tischer Prozess der historischen Entwicklung.“ Gramsci, 1919

Vor 110 Jahren geboren: Maria Fensky Geboren am 15. Juni 1907 in Wühlrath, trat Maria Fensky gegen den Willen ihrer Familie 1926 in den Kommunistischen Jugendverband ein. Mit 21 Jahren zog sie nach Düsseldorf und verdiente ihren Lebensunterhalt in einer Metallfabrik. Sie wurde Mitglied der „Roten Hetzer“, einer Agitprop-Gruppe der KPD, der sie 1929 beitrat. Im Juni 1933 wurde Maria Fensky in faschistische „Schutzhaft“ genommen. Die brutalen Folterungen durch die Gestapo überlebte sie mit schweren lebenslangen gesundheitlichen Schädigungen. Bis Ende 1938 war sie in den Frauen-Konzentrationslagern Moringen und Lichtenburg in-

haftiert. Da sie für Düsseldorf Stadtverbot bekommen hatte, zog sie nach Köln. Hier gelang es ihr, Kontakt mit den dortigen „Edelweißpiraten“, einer jugendlichen Widerstandsorganisation, aufzunehmen und nahm auf vielfältige Weise in Köln am KPD-Widerstand teil. Als sie 1944 zur Fahndung ausgeschrieben worden war, lebte sie fortan in den Trümmern der Kölner Altstadt. Nach dem Ende des Krieges am 8. Mai 1945 fand bereits im Juni 1945 die erste Nachkriegskonferenz der KPDMittelrhein statt. Maria Fensky wurde Bezirkssekretärin der Partei, verantwortlich für das Sekretariat „Frauenfragen“. Im Oktober 1945 hielt

sie vor 900 Frauen in der Aula der Kölner Universität eine grundlegende Rede zum Thema „Die Aufgaben der Frauen im neuen Deutschland“, die als denkwürdig bezeichnet worden ist. Sie betonte, dass es vor allem darauf ankommt,

die Trümmer, die der Faschismus in den Köpfen der Menschen hinterlassen hat, zu beseitigen. Als Mitglied des ersten Stadtparlament Kölns nach Kriegsende kümmerte sie sich besonders um die sozialen und politischen Ängs-

halb der Führung nach Lenins Tod, namentlich zwischen Stalin und Trotzki. Er fürchtete die Spaltung oder gar die Auflösung der Partei. Die Meinungsverschiedenheiten in der KPdSU-Führung bekümmerten den „kritischen Kommunisten“ nicht, hingegen waren es die Art und Weise, wie sie ausgetragen wurden. Sinowjew, Trotzki, Kamenjew nannte der Briefautor zum Beispiel als Genossen, die uns zur Revolution erzogen hätten. Sie waren unsere Lehrer, was

bedeutete, sie könnten keine Feinde der Revolution sein. So formulierte es Gramsci, der in der Oktoberrevolution immer auch ein Vorbild für eine sozialistische Revolution in Italien sah. Wenn auch nicht als ein Modell, das man mechanisch auf Italien anwenden könnte. Doch einen Stalin kümmerte das nicht. Er versetzte jene Lehrer im Zuge seiner Säuberungen in den Tod. Wie sehr Gramsci sich mit dem „Roten Oktober“ verbunden fühlte, lässt die Erinnerung eines journalistischen Zeitgenossen, Piero Gobetti, deutlich werden. Beide publizierten damals in der Il Grido popolo (Volksstimme). Der Autor der Biographie „Das Leben des Antonio Gramsci“ (Rotbuch Verlag, 2013), Giuseppe Fiori, bietet dafür den Platz zu dieser Erinnerung. Gobetti: „Aus der kleinen Propagandazeitschrift der Partei wurde 1918 eine Zeitschrift des kulturellen und intellektuellen Lebens. Sie veröffentlichte die ersten Übersetzungen der russischen Revolutionsschriften und versuchte eine politische Einschätzung des bolschewistischen Vorgehens. Die Anregung zu diesen Studien ging von Gramsci aus“. Antonio Gramsci vertrat den Anspruch, man müsste immer etwas für ewig schaffen. Der Sarde hat es wohl geschafft. Nennen wir nur sein Hauptwerk, die zehnbändige Ausgabe der Gefängnishefte (Argument Verlag). Aber die Oktoberrevolution? Nach vierundsiebzig Jahren gingen „Staat und Revolution“, geschrieben von Lenin 1917, unter. Nichts mit ewig!

Gründen freigelassen, setzte und Nöte der Frauen. Sie te sie sich auf Aufforderung organisierte überparteiliche der KPD nach Berlin ab. Dort Frauenausschüsse in mehrearbeitete sie für den „Deutren Stadtteilen, die basisdeschen Freiheitssender 904“, mokratisch arbeiteten. der vorwiegend Sendungen Ende 1946 musste sich Maria Fensky wegen einer schweren nach Westdeutschland ausstrahlte. Erst 1968, als das Tuberkulose und den generelVerfahren gegen sie eingelen Folgeerscheinungen der faschistischen Haft und Folte- stellt worden war, konnte sie nach Köln zurückkehren. Sie rungen von allen politischen wurde Gründungsmitglied der Aufgaben zurückziehen. Erst DKP, wollte aber keine expoAnfang der 50er Jahre war es nierte Rolle mehr in der Parihr wieder möglich, Schritt teipolitik spielen. In den letzfür Schritt gesellschaftliten Jahren ihres Lebens hielt che Aufgaben zu übernehsie enge Kontakte zu einer men. Sie engagierte sich in großen Anzahl jüngerer Frauder „Westdeutschen Frauenfriedensbewegung“ und in der en, denen sie die Erfahrungen ihres Lebens vermittelte „Nationalen Front des demound ihnen Mut für politisches kratischen Deutschland“. Als Engagement gab. Am 5. Judie NF 1953 in der BRD verli 1989 verstarb Maria Fensky boten wurde und Maria Fensin Köln. ky dennoch ihre Arbeit illegal In mehreren Publikationen fortführte, wurde sie bald im wird vor allem ihr Widerstand selben Jahr wegen „Vorbereigegen den Faschismus getung zum Hochverrat“ verhafwürdigt, so insbesondere von tet. Bis Ende 1955 blieb sie in Yvonne Küsters. Untersuchungshaft. Vorübergehend aus gesundheitlichen • Prof. Dr. Kurt Schneider


Rosa-Luxemburg-Stiftung

Links! 06/2017

Seite 10

Terminübersicht F* Frauenbildungszentrum Oskarstrasse 1 01219 Dresden Teilnahmegebühr: 25 € wenn möglich. Wenn nicht möglich: auf Anfrage für weniger. Anmeldung bis zum 2. Juni unter fbz@frauenbildungshausdresden.de Leipzig Dresden Dienstag, 13. Juni 18 Uhr

Dresden Freitag, 9. Juni 15 bis 19 Uhr

Lesung und Diskussion: Wörterbuch des besorgten Bürgers ★

Wir kennen TINA nicht! Was nun? Ein Workshop zum System danach ★

(Politikwissenschaftler, sprachlos-blog.de), Nancy Grochol (Lektorin, sprachlos-blog.de)

n Mit Elisabeth Voß (Betriebswirtin) n Eine Veranstaltung des F* Frauenbildungszentrums n Mit Unterstützung der RLS Sachsen.

Der Workshop widmet sich den grundlegenden Fragen, wie der Begriff Wirtschaft alternativ gedacht und wie wirtschaftliche Selbsthilfe praktisch gelebt werden kann. Ein Vortrag gibt Einblicke in Formen solidarischer Ökonomie: Was unterscheidet diese Alternativen von der herkömmlichen, gewinnorientierten Wirtschaftsweise? Was sind ihre Besonderheiten und Möglichkeiten aber auch Risiken? Beispiele aus verschiedenen Lebensbereichen zeigen, wie vielfältig dieses andere Wirtschaften gestaltet sein kann: Gemeinschaftliche Wohnprojekte und selbstverwaltete Betriebe, Versorgung mit Lebensmitteln aus der Region sowie Kämpfe gegen Privatisierungen und für eine demokratische Gestaltung öffentlicher Unternehmen. Im Anschluss gibt es Raum für eure Fragen und Wünsche: Habt ihr konkrete Anliegen oder bereits Ideen, sucht Mitmachende oder Unterstützung? Was können erste Schritte sein? Der theoretische Einstieg sowie der kreative Austausch von bislang Unbekanntem und bereits Erfahrenem bilden den Auftakt zu Tag 2 unseres TINA-Abschlusswochenendes – der Stadtrundfahrt der realistischen Utopist*innen – und kann gleichzeitig ein Auftakt für die Entwicklung gemeinsamer Ideen und Projekte sein.

n Reihe: Junge Rosa n Mit Robert Feustel

Die Sprache der besorgten Bürger, die sich solcher seltsamen Wörter und Begrifflichkeiten wie „Deutschland GmbH“, „Ficki-Ficki-Fachkräfte“, „Schuldkult“ oder „Merkel­ diktatur“ bedient, ist bizarr, manchmal witzig und oft gefährlich. Rhetorische Zumutungen und dreiste Umdeutungen sind unter der Glocke von Pegida und AfD Mode. Hier entsteht ein Zerrbild, in dem Deutsche umstandslos Opfer sind und die Welt sich gegen „das Volk“ verschworen hat. Die Lesung nimmt die Sprache der Besorgten von den so beliebten Ausrufezeichen bis zu „Volksverdünner“ aufs Korn. Unterstützt von O-Tönen sowie Bild- und Tonmaterial werden ihre Abgründe aus- und ihre verqueren Dreher beleuchtet. WIR-AG Martin-Luther-Straße 21 01099 Dresden

wird die Verantwortung der Wissenschaften diskutiert. Virulent sind Fragen zu deren Rolle im Kolonialismus, denn Gelehrte und Wissenschaftler waren oftmals in die koloniale Aneignung anderer Länder und Kulturen involviert. Heute wird daher verstärkt die kulturelle Prägung von Wissen und Wissenschaft erforscht. Solche Ansätze hinterfragen die alte Tradition einer einseitigen Sichtweise des „Exports“ von Wissenschaft aus dem „Westen“ in den „Süden“ und „Osten“. In der heutigen scientific community sind internationale Vernetzung und Austausch fest verankerte Grundwerte. Schrittweise entwickeln sich sogar Ansätze eines interkulturellen Dialogs, der verstärkt auch von Wissenschaftlern außerhalb Europas eingefordert wird. Die aktuellen Ergebnisse von Forschungen in Archiven und Bibliotheken in Russland, Deutschland und Großbritannien ermöglichen es, interessante Aspekte der politischen und ökonomischen Kontexte der Wissenschaftsgeschichte zu beleuchten. genauer Ort unter: www.sachsen.rosalux.de Mittwoch, 14. Juni 19 Uhr

„Comrade, where are you today?“ ★ n Film mit anschließendem Gespräch mit der Regisseurin Kirsi Marie Liimatainen n Eine Veranstaltung des StuRa der Uni Leipzig in Kooperation mit der RLS Sachsen

In den 80ern fliegt die Finnin Kirsi Marie Liimatainen in die DDR, um die Lehren von Marx und Lenin zu studieren. In ihrer Heimatstadt Tampere hatte Leipzig sie Häuser besetzt, jetzt trifft Dienstag, 13. Juni sie an der FDJ-Jugendhoch19 Uhr schule „Wilhelm Pieck“ am Bogensee in der Nähe Berlins auf Gleichgesinnte aus über achtVortrag und zig Ländern. Sie sind FunktioDiskussion: näre, Befreiungskämpfer oder Wissenschaft linke Aktivisten. Lauter junzwischen ge Menschen, vereint in ihKolonialismus und rer Hoffnung auf eine besseinterkulturellem re Welt. Kurz nach Ende des Dialog ★ Studienjahrs fällt im Herbst 1989 die Berliner Mauer und n Mit Dr. Hilmar Preuß die DDR ist bald Vergangen(Publizist) heit. Heute, über zwanzig Jahre später, sucht Kirsi nach den Gegenwärtig findet eine kritische Bestandsaufnahme in der Kameraden von damals. Sie will wissen, was in einer gloWissenschaft statt. Sowohl aus wissenschaftshistorischen, balisierten Welt übrig geblieben ist vom großen Traum der kulturwissenschaftlichen und Revolution. „Comrade, Where weiteren disziplinären Perspektiven als auch vor dem Hin- Are You Today?“ nennt sie ihren Dokumentarfilm, der sie tergrund der Globalisierung

rund um den Globus führt – ger Zeitzeugen können davon nach Bolivien, Chile, in den Linoch persönlich berichten. Oft banon und nach Südafrika. Da- sind es nur bruchstückhafte bei entsteht ein einzigartiger Bilder, die sich ihnen ins GeBlick auf Geschichte und Gedächtnis eingeprägt haben. genwart linker Bewegungen. Das Projekt „Bruch|Stücke Cineding – Die Novemberpogrome in Karl-Heine-Straße 83 Sachsen 1938“ versucht die04229 Leipzig se Erinnerungsstücke zusammenzuführen. Es erschließt bekannte und neue DokumenDresden te, Fotografien, Geschichten, Donnerstag, 15. Juni lokale Forschungsergebnis19 Uhr se und Objekte, wobei es die Akteure – Betroffene, Beteiligte und Zuschauer – und deVortrag und ren Handlungsspielräume in Diskussion: den Mittelpunkt stellt. Nach „Die Synagoge der erinnerungs- und gesellbrennt ...“ – Die schaftspolitischen Bedeutung Novemberpogrome der Pogrome für Gegenwart in Sachsen 1938: und Zukunft wird ebenfalls geEine Spurensuche ★ fragt. Der Vortrag führt in die Spurensuche des Projekts ein, n Mit Daniel Ristau präsentiert die bisherigen Er(Historiker) gebnisse und wendet sich speDie antisemitischen Novemziell den Pogromereignissen berpogrome jähren sich 2018 im Dresdner Raum zu. zum achtzigsten Mal. Sie stell- Daniel Ristau (geb. 1980 in ten eine neue Stufe der EsDresden) studierte Neuere/ kalation in der Ausgrenzung Neueste Geschichte und Pound Verfolgung von als „Julitikwissenschaft an der TU den“ verfolgten Menschen dar. Dresden. Er arbeitet als freiMehr als fünfzig kleinere und beruflicher Historiker und progrößere Orte sind für das Gemoviert zur Geschichte der jübiet des heutigen Sachsen bis- dischen Familie Bondi im 19. lang bekannt, an denen es zu Jahrhundert. antijüdischen Kundgebungen, WIR-AG Verhaftungen, Gewalttaten Martin-Luther-Straße 21 bis hin zum Mord, öffentlichen 01099 Dresden Demütigungen, Wohnungsund Geschäftsdemolierungen ★ in Kooperation der sowie Zerstörungen von SyRosa-Luxemburg-Stiftung. nagogen und GemeindeeinGesellschaftsanalyse und richtungen kam. Immer wenipolitische Bildung e.V.

Impressum Links! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt Herausgeber: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Achim Grunke Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­lage von 10.950 Explaren gedruckt. Der Redaktion gehören an: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Thomas Dudzak, Ralf Richter Gestaltung und Satz: Ostsüdost

Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, pixelio, iStockphoto Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Telefon 0351-8532725 Fax 0351-8532720 Redaktionsschluss: 24.05.2017 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 03.07.2017. Die Zeitung „Links!“ kann kostenfrei abonniert werden. Wir freuen uns jedoch über eine Spende, mit der Sie das Erscheinen unserer Zeitung unterstützen. Kostendeckend für ein Jahresabo ist eine Spende in Höhe von 12 Euro. Sollten Sie an uns spenden wollen, verwenden Sie bitte folgende Konto­daten: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V. IBAN: DE83 8509 0000 3491 1010 07 BIC: GENODEF1DRS Dresdner Volksbank Raiffeisenbank Aboservice: www.links-sachsen.de/abonnieren, aboservice@links-sachsen.de oder Telefon 0351-84389773


Rezensionen

Seite 11

06/2017 Links!

Reichlich bestücktes Gedankendepot Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke, Band 7/1 und 7/2 – vorgestellt von Prof. Dr. Kurt Schneider Unmittelbar anschließend an die 2016 von Clara Zetkin erschienenen „Kriegsbriefe 1914 –1918“ hat der rührige Karl Dietz Verlag Berlin den Band 7 der „Gesammelten Werke“ Rosa Luxemburgs, gegliedert in zwei Halbbände, verlegt. In dem 65-seitigen Vorwort, verfasst von der hoch anerkannten Rosa-Luxemburg-Forscherin und -Editorin Annelies Laschitza, werden die bereits im Band 6 behandelten Umstände, Probleme, Stärken und Schwächen der Herausgabe der fünf Bände von 1970 bis 1975 ergänzt. Die innenpolitischen Entwicklungen, die zum Beitritt der DDR zur BRD geführt hatten, waren, wie in Erinnerung gerufen wird, für die Rosa-Luxemburg-Forschung und -Edition mit großen Unsicherheiten verbunden. Der Herausgeber, das Institut für Marxismus und Leninismus beim ZK der SED, löste sich auf. Das aus ihm hervorgegangene Institut Geschichte der Arbeiterbewegung war bedroht und beendete am 31. März 1992 seine Tätigkeit. Das Schicksal der unersetzlichen Bestände des Zentralen Parteiarchivs war ungewiss. Die Klärungen waren schwierig. Mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung wurde schließlich ein neuer Herausgeber gefunden. Hintergrund und Rückhalt, der die Fortsetzung der Editions- und Forschungsarbeit über Rosa Luxemburg ermöglichte, wird skizziert. Der Anfang 2014 erschienene Band 6 enthält für die Zeit von 1893 bis 1906 270 Dokumente. Im vorliegenden Band 7 befinden sich 160 Dokumente aus der Zeit von 1907 bis 1918. „Damit wird“, schreibt Annelies Laschitza, „die Vervollständigung der ‚Gesammelten Werke‘ durch sämtliche seit den 70er Jahren bis heute aufgefundenen und identifizierten Reden und Schriften Rosa Luxemburgs in deutscher Sprache abgeschlossen.“ Aufgenommen worden sind auch die Übersetzungen von fünf Texten aus der englischen, französischen und russischen Sprache.

Rosa Luxemburg: Gesammelte Werke, Band 7/1 und 7/2 1907 bis 1918. Herausgegeben und bearbeitet von Annelies Laschitza und Eckhard Müller. Mit einem Vorwort von Annelies Laschitza. Karl Dietz Verlag Berlin 2017, 1233 Seiten, je Band 49,50 Euro. Bd. 7/1: ISBN 978-3-320-023324, Bd. 7/2: ISBN 978-3320-02333-1

Zu vermerken ist, dass sich der Band 7 von dem Band 6 durch eine völlig andere Struktur unterscheidet. Das rührt vor allem daher, dass er weit mehr handschriftliche Texte enthält, die fast die Hälfte des Bandes füllen. Zur absoluten Neuheit gehören 65 handschriftlich beschriebene Blätter zur Entstehung und Entwicklung des Kapitalismus mit wirtschafts- und weltgeschichtlichen Vergleichen, die aus dem Nachlaß von Jürgen Kuczynski stammen und erstmalig vollständig veröffentlicht werden. Der Ökonomie-Komplex des Bandes vermittelt insgesamt die ökonomische Begründung des Kapitalismus. Daraus ergibt sich, dass Rosa Luxemburg des Öfteren ihre Erkenntnisse, anknüpfend an Karl Marx, wie Annelies Laschitza schreibt, auf den Nenner brachte: „Der Kapitalismus kann nicht die ewige Produktionsweise bleiben, kann nicht das letzte Gesellschaftssystem sein. Solange er existiert, wird es zu Krisen und Kriegen kommen, gibt es keine sichere Chance für soziale Gerechtigkeit, uneingeschränkte Demokratie und ewigen

Frieden. Es kann nicht genug betont werden: Die Revolutionstheorie erschloss sich für Rosa Luxemburg hauptsächlich aus der Ökonomie des Kapitalismus.“ Davon zeugt auch ihr handschriftliches Fragment über Widersprüche und Tendenzen des Kapitalismus. Wie von der Autorin des Vorwortes angeführt, sagte Franz Mehring über Rosa Luxemburg, dass sie „durch Fülle der Kenntnisse, Glanz der Sprache, logische Schärfe der Untersuchung, Unabhängigkeit der Denkarbeit“ dem klassischen Werk von Karl Marx am nächsten käme und über dessen Grenzen hinaus die wissenschaftliche Kenntnis erweitere.

im September 1913 ermahnte sie die Gewerkschaftsführer: „Sorgen Sie dafür, dass das Feuer, welches die Massen jetzt ergriffen hat, kein Strohfeuer bleibt. Lassen Sie die Kampfeslust der Arbeiterschaft nicht einschlafen, es würde uns nachher schwer fallen, die Massen wieder aufzurütteln.“ In mehreren Beiträgen setzt sie sich mit dem deutschen Militarismus und dem Kampf gegen ihn auseinander. Sie prangert die Verletzung der Volksfreiheit und -rechte sowie die Soldatenmisshandlungen und den Kasernenhofdrill an. Die Frankfurter (Main) Staatsanwaltschaft sagte dazu, „daß die sozialdemokratische Agitation gegen den Militarismus den Lebensnerv des Gegenwartsstaates“ treffe.

Eine größere Anzahl von Dokumenten aus dem Jahre 1910, bringt Rosa Luxemburgs HalMit aller Kraft warnte sie vor tung zum Wahlrechtskampf der drohenden Kriegsgefahr. und seinen Lehren zum AusDer Weltkrieg war für Rosa Ludruck. Sie macht keinen Hehl xemburg die Feuertaufe auch daraus, dass der Kampf um das allgemeine, gleiche, gehei- der deutschen Sozialdemome und direkte Wahlrecht eine kratie. Senkt sie ihr Haupt, so wird die Geschichte von ihr saEtappe auf dem Wege zum Sogen: Gewogen und zu leicht bezialismus, ein „Mittel zur Verfunden! „Vor diesem schreckwirklichung unseres Endziels“ lichen Urteil sichern wir uns ist. Ebenso deutlich äußert sie nur, indem wir auch in allem sich zum politischen MassenSturm und Wetter des Weltstreik, verbunden mit heftiger krieges treu bleiben und unseKritik an die Gewerkschaften. rer glorreichen Vergangenheit.“ In ihrer Diskussionsrede in der Der 4. August 1914 wurde soerweiterten Parteivorstandsmit zur „Schicksalsstunde der sitzung mit Vertretern der Gedeutschen Sozialdemokratie werkschaften Anfang August wie des internationalen So1913 betont sie mit großem zialismus“. Ihr Urteil lautete: Nachdruck, dass das „Füh„Nachdem sich die Existenz der len und Denken mit der MasSozialdemokratie als einer rese“ den Gewerkschaftsführern volutionären Klassenpartei geabhanden gekommen ist. Es schichtlich als Scheinexistenz sei immer „dasselbe alte Lied erwiesen hat, ergab sich ihre von der dumpfen trägen Masfortschreitende politische Zerse, die von oben herunter geleithammelt werden müßte“. In setzung und damit auch ihr organisatorischer Zerfall als unmanchen gewerkschaftlichen Kreisen herrschten „eigentüm- vermeidlicher Vorgang, der mit liche Vorstellungen selbst über der ehernen Logik eines Naturprozesses im Laufe des Kriedas Wesen des Sozialismus ges einsetzen mußte.“ Damit und des Klassenkampfes sostellte Rosa Luxemburg klar: wie über die Klassengegensät„Die ,Schicksalsstunde der ze“. Wer das weiß, schlussfolPartei‘ ist nicht der Entschluß gert sie, „wird sich über nichts mehr wundern“. Der politische der Parteiinstanzen zur HinMassenstreik „erfordert vor al- ausdrängung der Opposition“, sondern der 4. August 1914. len Dingen entschlossene und Für sie galt es, „eine Welt zu tatbereite Führer“, von denen erobern und gegen eine Welt nichts zu bemerken sei. Mit den Blick auf den bevorstehen- anzukämpfen“. Sie war sich dessen bewusst: „Die proletaden Jenaer Parteitag der SPD

rische Revolution kann sich nur stufenweise, Schritt für Schritt, auf dem Golgathaweg eigener bitterer Erfahrungen, durch Niederlagen und Siege zur vollen Klarheit und Reife durchringen.“ Mit dem Kalender für das Jahr 1918 im Breslauer Frauengefängnis und ihre erstaunlichen dort angefertigten Geologischen und und Botanischen Notizen schließt der mit einem hohen Bearbeitungsgrad abgefasste Band ab, der als reichlich bestücktes Gedankendepot es vermag, zu vielen Überlegungen, Anregungen und Disputen neu anzuregen. Alle, die zu diesem Band beigetragen haben, verdienen Respekt und Anerkennung.

Berichtigung In der letzten Ausgabe ist durch einen technischen Fehler in der Rezension „Die DDR hat’s nie gegeben“ der Inhalt verfälscht worden. Dort heißt es: „Dieser Art Geschichtsschreibung stellt Siegfried Prokop, einer der profiliertesten maoistischen DDR-Geschichtsschreiber, die These entgegen: ‚Interpretation der DDR-Geschichte bedarf der strikten. Sachlichkeit. Wo diese verlassen wird, steht auch die Akzeptanz durch die betroffene Bevölkerung in Frage.‘“ Richtig muss es heißen: „Dieser Art Geschichtsschreibung stellt Siegfried Prokop, einer der profiliertesten marxistischen DDRGeschichtsschreiber, die These entgegen: ‚Interpretation der DDR-Geschichte bedarf der strikten. Sachlichkeit. Wo diese verlassen wird, steht auch die Akzeptanz durch die betroffene Bevölkerung in Frage.‘“ Die Redaktion bittet diese Fehler zu entschuldigen.


Die letzte Seite

Schon am Anfang der 1970er Jahre überzeugte er mit ersten Langspielplatten die Musikwelt. Er entdeckte Liedgut von Woodie Guthrie, Lead Belly, Sleepy John Estes, Jesse Stone oder Sidney Balley wieder und bearbeitete es, ohne dessen Originalität zu vernachlässigen. Erweckt wurde Cooders Begabung schon in Kinderjahren, als sein Vater ihm liebevoll Gitarrengriffe beibrachte. Nach einem Unfall seines Sohnes – der kleine Ryland verlor während eines Spiels mit einem scharfen Gegenstand sein rechtes Augenlicht – schenkte ihm der Vater eine Gitarre und zu seinem achten Geburtstag eine Langspielplatte des Bluessängers Josh White. Die faszinierte ihn so sehr, dass er begann, die Bluesakkorde nachzuspielen. Zwei Jahre später war es ihm vergönnt, auf einer echten „Martingitarre“ unterrichtet zu werden. Zu jener Zeit wuchs sein Interesse an der traditionellen Folkmusik Amerikas. Er suchte nahegelegene Folk- bzw. Blueskneipen auf, um Konzerte von Blind Willie Johnson oder Sleepy John Estes zu erleben. Während sich in den Sechzigern viele junge Musiker in Bands zusammenfanden, um der Beat- bzw. Rockmusik zu huldigen, bevorzugte Cooder stillere Töne, deren Reiz er in der Virtuosität akustischer Instrumente fand. So traf er sich oft mit Joseph Spence, einem Meister auf der Slidegitarre, geblich am Kultalbum „Safe der ihm das Fingerstyle- und as Milk“ beteiligt war. Doch Bottleneckspiel beibrachte. hier, wie so oft auch später, Auch erlernte er nebenbei das Spiel auf Banjo und Mandoline, kam es zwischen den individualistischen Exzentrikern zu die er bald beherrschte und Problemen. Denn das dadaisdas ihn bereits als Sechzehntische Bluesverständnis Beefjährigen bekannt werden ließ. hearts stieß bei dem sensiblen So bekam er rasch das AngeZwanzigjährigen nicht auf Verbot, die damals sehr bekannte Sängerin Jackie DeShannon ständnis. Er verließ die „Magic Band“, um bei Phil Ochs zu begleiten, bis „Taj Mahal“ oder Ron Nagle als Rhythmusauf ihn aufmerksam wurde, gitarrist mitzuwirken. 1970 mit dem Ry Cooder dann die erschien Cooders erstes SoBand „Rising Sons“ gründeloalbum, das durch sein unverte. Die Band verschmolz auwechselbares Bottleneckspiel thentisches Songmaterial aus Blues, Rock und Folk, was den geprägt ist. Auch gesanglich Plattenproduzenten überhaupt überzeugte er mit Lockerheit. So luden ihn die Rolling Stones nicht passte. Es erschien nur in die Studios, in denen Coodie Single „The Devil‘s Got der gemeinsam mit dem Team My Woman“, in der Cooders um Mick Jagger und Keith Spiel auf der Slidegitarre aufRichards an mehreren Aufnahhorchen ließ. Die LP kam erst men beteiligt war: 1969 „Per1992 als CD „Rising Sons feat. formance“, ebenfalls 1969 Taj Mahal And Ry Cooder“ auf „Let It Bleed“, 1971 „Sticky den Markt. Fingers“ sowie 1972 „JamDie Gruppe überzeugte vor alming with Edwards“. Der Song lem durch ihre Livekonzerte in den unzähligen Clubs von L.A. „Country Honk” von der LP „Let it bleed” (eine folkige Versioder als Vorband von Soulgröon des Superhits „Honk Tonk ßen wie Otis Redding. 1966 Woman“) soll übrigens von Ry löste sich das Ensemble auf, Cooder kreiert worden sein. jedoch blieb die Freundschaft Überhaupt ist anzunehmen, zwischen Mahal und Cooder dass Cooder großen Einfluss erhalten. auf die Superband ausübte. 1967 wurde Ry Cooder MitAuch stand zur Debatte, die glied in der „Magic Band“ von Captain Beefheart, wo er maß- Nachfolge des verstorbenen

Seite 12

Foto: Steve Proctor / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0

Links! 06/2017

Unbestechlich kreativ

Am 15. März wurde Ry Cooder 70 Jahre alt. Doch wenn man ihn live erlebt, will man das einfach nicht glauben. Er strahlt noch immer eine unbändige Kraft aus. Von Jens-Paul Wollenberg Brian Jones anzutreten, doch auch hier hielt sich Cooder zurück. Er war nie geneigt, sich einem Ensemble zu unterwerfen, sondern blieb ein unbestechlich kreativer Musikant, der seinen eigenen Weg gehen wird. Des Weiteren tauchte er bei Studioaufnahmen von Randy Newman, Gordon Lightfoot oder Arlo Guthrie auf. 1972 erschien Cooders zweite LP „Into the Purple Valley“ und auch seine dritte, „Boomers Story“, unter Mitwirkung von Sleepy John Estes und des begnadeten Schlagzeugers Jim Keltner, der auf fast allen Platten Cooders trommelte. Das Cover des vierten Albums „Paradise And Lunch“ präsentiert Cooder als lässigen Cowboy. Diesmal fand er gesangliche Unterstützung in Bobby King, Gene Mumford, Bill Johnson, George McCurn, Walter Cock, Richard Jones, Russ Titelman sowie Karl Russel. Nach einem Cooder-Konzert in Honolulu machte er Bekanntschaft mit dem populären Hawaiigitarristen Gabby Pahina, der u.a. mit dem mexikanischen Akkordeonist Flaco Jimenez an der Produktion des vierten Albums „Chicken Skin Music“ von 1976 beteiligt

war. Mit dem gleichnamigen Projekt folgte eine Welttournee. 1978 erschien sein erstes Jazzalbum, das maßgeblich dem Ragtime verschrieben ist. Sein bis dahin erfolgreichstes Album trägt den Titel „Bop Till You Drop“ (1979) und war das erste Rockalbum überhaupt, das digital eingespielt wurde. Auf dieser Platte gastieren neben Jim Keltner und dem Multiinstrumentalisten David Lindney die Jazzsängerin Chaka Khan, Bobby King, Milt Holland und Ronnie Baron. Ab 1980 komponierte und produzierte Cooder bis Anfang der Neunziger fast ausschließlich Filmmusik, die auch in die Läden kam. Der für den Spielfilm „Paris Texas“ von Wim Wenders 1985 komponierte Soundtrack wurde zum Welterfolg. Erst Ende der Achtziger begann Cooder, sich wieder als Songwriter zu etablieren. Die Platte „Got Rhythm“ überzeugt durch einen mitreißenden Mix aus Soul- Rock- und Folkeinflüssen. 1993, nach dem Scheitern des von der Supergruppe „Little Village“ angekündigten Plattenprojektes mit John Hiatt, Nick Lowe und Jim Keltner, verlagerte sich Cooders Interesse. Er begann, sich auf Musik

asiatischer, afrikanischer und karibischer Herkunft zu konzentrieren. So kam es zur Zusammenarbeit mit dem indischen Sitarvirtuosen Vishna Mohan Bhatt, dessen spirituelle Spielweise sich buchstäblich seelenverwandt mit Cooders meisterhaft gespielter Gitarrentechnik ergänzte. 1993 erschien ihr gemeinsames Werk „A Meeting By The River“. Als nächstes folgte ein Plattenprojekt mit dem malinesischen Sänger und Gitarristen Ali Farka Touré, der unter die Haut gehende Gesänge in Stammessprache präsentierte. Auch diese Scheibe, „Talking Timbuktu“ von 1994, besticht durch ihre beruhigende Wirkung. Cooders größtes musikalisches Erlebnis hieß jedoch „Buena Vista Social Club“. Trotz des Embargos der USA gegen Kuba und des Risikos, hohe Geldstrafen zahlen zu müssen, erfüllte er seinen langersehnten Wunsch, mit den noch auf Kuba lebenden Protagonisten der urwüchsigen SonMusik, Vorreiter des späteren Salsa, ins Studio zu gehen. Mit 22 einheimischen Musikerlegenden, die sich auf Grund ihres hohen Alters längst vom Bühnenbetrieb zurückgezogen hatten, produzierte er ein grandioses, berauschendes Kunstwerk voller Lebensfreude, das wie ein percussiv-phonetisches Gewitter karibischer Urwüchsigkeit daherkommt. Die gleichnamige Tournee durch Europa ermutigte Wim Wenders, einen Dokumentarfilm zu realisieren, die weltweit auf große Resonanz stieß und Kubas Musik zum Kultstatus verhalf. 2005 brachte Ry Cooder das Album „Chavez Ravine“ heraus, eine sehr sozialkritische Platte, gewidmet den Mexikanern, die in den Fünfzigerjahren aus Chavez Ravine, einem Vorort von Los Angeles, vertrieben wurden. Auch die 2007 erschienene CD „My Name Is Buddy“ setzt sich mit sozialpolitischen Themen auseinander. Auf diesem abwechslungsreichen Folkalbum, das sehr an seine Langspielplatten aus den frühen Siebzigern erinnert, beschreibt er das trostlose Schicksal der verarmten Land- und Industriearbeiter Nordamerikas – unter Verwendung alter Gewerkschaftssongs, des Blues der Baumwollpflücker, von Bluegrass und Liedern der Bürgerrechtsbewegung. Musikalische Unterstützung bekam er von Folkheroen wie Pete und Mike Seeger, Roland White, Paddy Maloney von den irischen Altfolkies „Cheeftrains“ oder Juliette Commagare. Ry Cooders kreative und unbestechliche Schaffenskraft hält an. Dabei ist er gerade erst 70 geworden.


06/2017 Sachsens Linke!

Seite 1

Juni 2017

Sachsens Linke

Wir verbinden Geschichte und Gegenwart: Katja Kipping würdigt das „Kapital“ – während Axel Troost erklärt, was nötig ist, damit wirtschaftlicher Erfolg nicht nur wenigen nützt. Halina Wawzyniak untersucht, wie sich ein „Mega-Bundestag“ verhindern lässt.

Aktuelle Informationen gibt es stets auch unter www.dielinkesachsen.de

Tag der (Neu-) Mitglieder in Leipzig Der erste Arbeitsblock ist vor- der (Neu-)Mitglieder nun zum wiederholten Mal am 13. Mai bei, aus den Töpfen dampft durchgeführt. Diesmal traf die Kartoffelsuppe, an den Timan sich in Leipzig, im Pavilschen haben sich die Teilnehlon der Hoffnung auf dem almerInnen bunt gemixt. Viele führen die offene Debatte fort, ten Messegelände. Dort, im die den Tag der (Neu-)Mitglie- ökumenischen Zentrum der Leipziger Ev.-Luth. Andreasder eröffnet hatte. Eben noch kirchgemeinde unweit des hatten Julia Schramm, Antje großen Messe-Ms, sollten Feiks und Kevin Scheibel auf dem Podium Platz genommen, den ganzen Tag die interessierten Mitglieder der Partei moderiert von Tilo Hellmann, im Mittelpunkt stehen. Rund der die TeilnehmerInnen an 50 waren gekommen, zum aldiesem Tag durch das Prolergrößten Teil eben jene Neugramm führen sollte, um die mitglieder. Im Auftaktpodium Frage zu klären: „Sind Parteien noch zu retten?“ Eine pro- – wahrscheinlich keine Überraschung, wenn unter den anvokante Fragestellung, doch wesenden Neumitgliedern die Antwort darauf aus dem eine ganze Anzahl von Ex-PiSaal war klar: Ja, zumindest ratInnen zu finden war – ging DIE LINKE ist es, zumindest, es schnell auch um die Frage, wenn es ihr gelingt, gemeinwie sich Partei gerade vor den sam mit den vielen NeumitHerausforderungen der Digigliedern und jenen, die schon talisierung organisieren und länger in der Partei sind mit vernetzen sollte. ihren verschiedenen ErwarKlar wurde schnell: DIE LINKE tungen, Ansprüchen und Vorstellungen an die Partei, diese ist bei dieser Frage eine Partei der zwei Geschwindigkeiten. zu organisieren. Während viele GenossInnen Wie kommen neue Mitglieder klassische Parteikommunikain der Partei an? Wie schaftion betreiben, wächst der Anfen wir den ortsübergreifenteil derer stetig, die sich vor den Kontakt der Neumitglieallem online austauschen und der mit den „alten Hasen“, die wie selbstverständlich das Inschon seit Jahren in der poternet zur Parteiarbeit nutzen. litischen Praxis und auf den Das eine zu tun, ohne das anverschiedenen Ebenen arbeiten? Als ein Angebot dafür hat dere zu lassen, bleibt also Anspruch und Aufgabe der Partei. der Landesverband den Tag

Wie schnell man angesichts der großen Lücken in der Breitband-Infrastruktur des Freistaates auch an Grenzen digitaler Arbeit kommen kann, nahm so auch sehr viel Raum in der Debatte ein. Nach dem Mittagsblock sollte es aktiv weitergehen: Der Bundestagswahlkampf steht vor der Tür und die GenossInnen wollten sich fitmachen für die kommende Wahlauseinandersetzung. In vier Workshops – Argumentieren, Infostand, Plakatieren und richtig Flyer stecken – ging es nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch an die Arbeit. Kein Wunder, dass die Umgebung des Tagungsortes dabei plakatiert und wieder entplakatiert wurde, die Kunden des benachbarten Einkaufszentrums junge Mitglieder beim Infostandtraining beobachten konnten oder in den Nachbarstraßen an diesem Tag Material der Partei im Briefkasten gefunden werden konnte. Nach der Abschlussrunde mit der Vorstellung der Ergebnisse der Workshopphase sollte dieser erfolgreiche Tag schließlich im Leipziger Projekt- und Abgeordnetenbüro bei einem Kneipenquiz und gemütlichem Beisammensein ausklingen.

Sind Parteien noch zu retten? Ja, wenigstens DIE LINKE, mit genug neuen Mitgliedern und „alten Hasen“

Doch auch nach dem Tag der Neumitglieder geht es weiter: Der Landesverband veranstaltet nämlich für die kommende Bundestagswahl drei dezentrale Wahlkampf­ camps. n Am 24. Juni 2017 zwischen 10 bis 18:30 Uhr für die Kreisverbän­ de Zwickau, Vogtland, Erzgebirge und Chem­ nitz im „Aktiv ab 50“, Kopernikusstraße 7 in Chemnitz. n Die Kreisverbände Mittelsachsen, West­ sachsen und Nord­ westsachsen treffen sich zur selben Zeit im E-Werk, Lichtstraße 1 in Oschatz. n Für Verbände SOE, Dresden, Meißen, Bautzen und Görlitz findet der Schulungstag am 1. Juli 2017, 10 bis 18:30 Uhr in Dresden statt. Angefragt ist das Haus der Begegnung in der Großenhainer Straße 93. Für weitere aktuelle Informationen besucht unsere Homepage www. dielinke-sachsen.de

CDU setzt Sicherheit aufs Spiel! Es wird immer absurder: Mit dem Slogan „Endlich Zugang zum Polizeirechner“ wirbt der Freistaat Sachsen seit 2016 um Computersicherheitsexperten. Eine ganz neue Bedeutung bekommt solch ein Slogan, wenn man erfährt, wie schlecht es um die Computer-Ausstattung der Polizei Sachsen steht. Denn das neue Personal wird in den Dienststellen Rechner mit vollkommen veralteter Software vorfinden. Rund 12.000 Polizeicomputer laufen noch mit dem Betriebssystem „Windows Vista“. Betroffen sind alle Arbeitsplatzrechner in allen Dienststellen, wie Innenminister Ulbig auf Anfrage von Enrico Stange mitteilen musste. Dumm nur, dass die Aktualisierung für „Windows Vista“ seit Mitte April 2017 eingestellt wurde. Die Firma Microsoft hatte darüber lange informiert. Eine Sicherheitsaktualisierung gibt es nicht mehr. Damit ist der Weg für Unbefugte frei, auch an sensible Informationen aus Polizeidatenbanken zu kommen. Abhilfe wird es so schnell nicht geben. Der „Zugang zum Polizeirechner“ ist offen. Das mag zwar wie eine Episode klingen, zeigt aber einmal mehr, dass die Jagd nach der schwarzen Null und immer größeren Überschüssen inzwischen ans Eingemachte geht. Wir kennen vielfältige Beispiele, doch nun riskiert der Freistaat unter CDU-Ägide nicht weniger als die Integrität und Datensicherheit seiner Sicherheitsorgane. Staat und Verwaltung kosten Geld. Dazu gehören, so banal es klingt, im 21. Jahrhundert auch die Investitionen in die Computer-Infrastruktur. Einmal mehr zeigt sich: Die sächsische CDU setzt die Sicherheit des Landes auf das Spiel. Das zu ändern ist unser Ziel 2019!


Sachsens Linke! 04/2017

Seite 2

Karikatur: Heinrich Ruynat

Leserbriefe

Bericht aus dem Landesvorstand Vom 9. bis 11. Juni tritt in Hannover der Bundesparteitag unserer Partei zusammen, um über das Bundestagswahlprogramm zu beraten. Unser Landesverband ist bekanntermaßen sehr aktiv, wenn es darum geht, sich an Programmarbeit zu beteiligen. Im Vorfeld des Bundesparteitages hat der Landesverband deshalb drei thematische Regionalkonferenzen in Dresden, Leipzig und Chemnitz durchgeführt, auf dem auch konkrete Anregungen für Änderungen an den Leitantrag zum Bundestagswahlprogramm beraten wurden. Zu den Themenkreisen Soloselbstständige, Kindergrundsicherung, dem Europapolitischen Teil des Programms und zum Themenfeld Ostdeutschland hat der Landesvorstand auf seiner Sitzung am 19. Mai 2017 in Dresden deshalb zu Änderungsanträgen aus dem Landesverband beraten und Unterstützung si-

gnalisiert. Insgesamt 122 Änderungsanträge, nicht nur aus dem Landesverband, sondern auch aus der Fraktionsvorsitzendenkonferenz, der ständigen Kulturkonferenz, der BAG Netzpolitik oder auch von Einzelbeantragenden, waren Verhandlungsgegenstand in der Sitzung. Für einen großen Teil davon hat der Landesvorstand Unterstützung signalisiert. Deshalb wird der Landesverband beispielsweise mit einbringen, dass die Forderung nach einer Kindergrundsicherung bei den vordringlichen Projekten der Partei in der Präambel ergänzt wird. Ebenso soll ein Unterkapitel mit der Vision von einer Republik Europa als Gegenbild zur nationalistischen und rechtspopulistischen Rückkehr in die Nationalstaaten aufgenommen werden. DIE LINKE. Sachsen wird also auch diesmal mit eigenen Forderungen auf dem Bundesparteitag präsent sein.

der Welt sind. Als Begründung Zu „Lasst uns der Pulse of Euro- „Hochgehen“ einer Turbine in führt der Verfasser an, dass pe sein!“ (Links! 05/2017, S. 5) einem normalen Kraftwerk in Deutschland der Bau von zu vergleichen, ist für mich Atomkraftwerken auf gefährblanker Zynismus. Beide ErWäre Solidarität detem Untergrund verboten eignisse haben auf Jahrzehnte nicht besser? ist. Auch das AKW Tschernounbewohnbare Gegenden hinbyl steht nicht auf erdbebenterlassen und Menschen wie Die EWG/EG/EU dienten von gefährdetem Territorium. Die Umwelt massiv geschädigt. Anfang an den Interessen der Die Verwechslung der Begriffe Ursache für die Katastrophe wirtschaftlich Mächtigen. Das war menschliches Versagen. „Bremsstäbe“ und „Brennstäschloss Kriege nach außen Das ist auch für deutsche AKW be“, deren Einfahren bei einer ein. Es gibt immer mehr gemeinsame EU-Streitkräfte und Havarie im Atomkraftwerk das nicht auszuschließen. Ein weiteres Problem besteht in der Austreten von Radioaktivität EU-Auslandseinsätze zur Sinicht gewährleisteten sicheren cherung des Zugangs zu Märk- verhindern soll, ist bestimmt Endlagerung von radioaktivem nur ein Druckfehler – oder ten und Rohstoffen und zur doch nicht? Und noch ein Satz Abfall. Auch Terroranschläge Unterdrückung der Opposisind nicht auszuschließen. Aus zum Braunkohleausstieg: eition. Sollen wir diese Kriegs-, all diesen Gründen ist es richnen sofortigen Ausstieg forSanktions- und Geflüchtetentig und notwendig, den Betrieb bekämpfungspolitik unterstüt- dert niemand, in unseren Pavon AKW in Deutschland gezen oder gegen die EU gemein- pieren steht ein schrittweiser ordnet auslaufen zu lassen. Ausstieg und Strukturwandel same Lösungen von unten Es ist heute technisch mögbis 2040. Also bitte die Kirsuchen? Was ist der Vorteil lich, eine stabile und umweltche im Dorf lassen. Außerdem eines EU-Nationalismus gefreundliche Energieversorgung werden wir ja sehen, wann die genüber einem nationalstaatauf Basis regenerativer EnerEnergiekonzerne die Grenze lichen Nationalismus? Wieso der Wirtschaftlichkeit von Koh- gie zu gewährleisten. Dieser sollen wir uns für die Interesplanmäßige Auslauf muss mit lekraftwerken erkannt haben. sen des deutschen Kapitals der Schaffung neuer zukunftseinspannen lassen? Wollen wir Dann wird es sehr schnell georientierter Arbeitsplätze für hen mit dem Ausstieg, wahrkleine Verbesserungen innerdie im Bergbau und den Kohlescheinlich noch vor 2040. Die halb der EU mit großen Verwie Atomkraftwerken BeschäfLEAG hat in der Lausitz schon schlechterungen (Stärkung ihre Pläne reduziert und ist da- tigten verbunden sein. Es ist der Kapitaldiktatur, z.B. durch die vorrangige Aufgabe der pomit wohl weiter im Denken als Freihandelsabkommen und litisch Verantwortlichen, dieRainer Tippmann. stärkere Bevölkerungsbespitsen Prozess durchzuführen. zelung) erkaufen? Wäre nicht • Sabine Kunze, Mitglied internationale Solidarität mit von Adele – LAG Ökologie • Günter Dietzsch, Bad Düben allen Benachteiligten und Inder LINKEN Sachsen ternationalismus weit über die EU-Grenzen hinaus besser? Leserbrief zum Beitrag „,Erneuerbare‘ Energie?“ • Uwe Schnabel, Coswig (Links! Mai 2017, S. 9) Impressum Leserbrief zum Beitrag „,Erneuerbare‘ Energie?“ Energieversorgung (Links! Mai 2017, S. 9) Sachsens Linke! auf Basis von

Die Kirche im Dorf lassen

regenerativer Energie ist möglich

Diesen Artikel ohne Kommentar in der Zeitung unserer ParEhrlich gesagt hat mich der tei zu veröffentlichen, halte Beitrag von Rainer Tippmann ich für bedenklich. Natürlich in Erstaunen versetzt. Erist es richtig, dass die Begrifstaunt bin ich sowohl über fe „Erneuerbare Energie“ und die Sprache als auch über die „Regenerative Energie“ wisSelbsternennung eines „Experten“, der nicht zu erkennen senschaftlich nicht exakt sind. Beide Begriffe werden aber gibt, was für ein „Experte“ er von vielen Menschen genutzt, ist. Der sich aber anmaßt, andie sich für die Energiewende dere als „Schwätzer“, „krause Laientheorien“ verbreitend, engagieren. Diese als Schwätzer zu bezeichnen, die in Phymit „kleinfritzigem Verstand“ sik nicht aufgepasst haben, zu schelten, die nicht seiner finde ich anmaßend und beleiMeinung sind. Das ist schon digend. Die Abgeordneten des starker Tobak. Denn wer, wie Bundestages haben ein Geer, in Physik aufgepasst hat setz verabschiedet, welches und also weiß, dass Energie den Begriff „Erneuerbare Enerimmer nur aus einer Form in die andere umgewandelt wird, gien“ benutzt, das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Seit über aber dann von „Energiegewin20 Jahren begehen jährlich vienung“ spricht, hat wohl selbst ein Fachproblem. Ein Hohelied le Bürgerinnen und Bürger den auf die Atomenergie zu singen „Tag der Erneuerbaren Energie“. Selbst die Bundeskanzlerin, und zu vergessen, dass es immer noch kein Endlager für die promovierte Physikerin, nutzt den Begriff häufig. jahrhundertelang strahlende Weitere Behauptungen im ArHinterlassenschaft gibt, zeugt tikel sind nicht nur anmaßend, von einer bemerkenswert einsondern falsch und irrefühseitigen Betrachtung dieser rend. Als besonders bedenkhoch riskanten Technik. Die lich bewerte ich die BehaupFolgen eines GAUs in einem tung, dass die deutschen Atomkraftwerk wie in Tschernobyl oder Fukushima mit dem Atomkraftwerke die sichersten

Die Zeitung der LINKEN in Sachsen Herausgeberin: DIE LINKE. Sachsen Verleger: Verein Linke Bildung und Kultur für Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kürzungen vor. Termine der Redaktionssitzungen bitte erfragen. Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf­lage von 10.950 Explaren gedruckt. Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Thomas Dudzak, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt, Ralf Richter, Stathis Soudias. Gestaltung und Satz: Ostsüdost Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt: Archiv, pixelio, iStockphoto Kontakt: kontakt@dielinke-sachsen.de Telefon 0351-8532725 Fax 0351-8532720 Redaktionsschluss: 24.05.2017 Die nächste Ausgabe erscheint voraussichtlich am 03.07.2017.


06/2017 Sachsens Linke!

Seite 3

Mut zur Veränderung

Bild: Dennis Skley / flickr / CC BY-ND 2.0

DIE LINKE drückt sich nicht vor klaren Ansagen in der Steuerpolitik. Von Axel Troost

Ein oft vernachlässigtes Ziel der Steuerpolitik Die Schere zwischen Arm und Reich klafft auseinander. Zugleich ist unser Gemeinwesen – Schulen, Turnhallen, öffentliche Verwaltung, Polizei und Justiz – in beklagenswertem Zustand. Ein starker Wohlfahrtsstaat und soziale Gerechtigkeit – der Schlüssel dazu liegt in einem solidarischen Steuersystem.

DIE LINKE ist die einzige Partei, die einen klaren Kurs in Richtung Umverteilung fährt. Unsere Millionärsteuer auf Nettovermögen ab einer Million Euro würde dafür sorgen, dass seit 1997 endlich wieder eine Vermögensteuer erhoben wird. Zweitens müssen Unternehmen wieder eine höhere Körperschaftsteuer

zahlen. Eine reformierte Erbschaftsteuer würde drittens verhindern, dass überbordender Reichtum von Generation zu Generation übertragen wird. Eine Finanztransaktionsteuer würde viertens spekulative Geschäfte an den Finanzmärkten zurückdrängen. Und nicht zuletzt wollen wir Steuerhinterziehung wirkungsvoll be-

kämpfen und den Steuervollzug verbessern, damit nicht der Ehrliche der Dumme ist. Die anderen Parteien drücken sich in ihren Wahlprogrammen um klare Ansagen. Mut zur Veränderung sieht anders aus. Ein Beispiel dafür ist die Einkommensteuer – DIE LINKE wird als einzige konkret. Wer weniger als 7100 Euro im

Monat (rund 86.000 Euro im Jahr) Lohn erhält, muss weniger zahlen. Wer über ein höheres Einkommen verfügt, wird stärker belastet. Einkommen in Höhe unserer Grundsicherung (monatlich 1050 Euro) bleiben komplett steuerfrei. Wer so arm ist, dass er oder sie kaum Steuern zahlen kann, hat natürlich nichts von Steuersenkungen. Auch unsere reformierte Einkommensteuer bringt dann nur wenig. Daher müssen noch viele andere Regeln geändert werden. Wir wollen, dass jede und jeder, der arbeiten will, auch vernünftig entlohnt wird – etwa durch einen höheren Mindestlohn und weniger Leiharbeit und Befristungen. Wir wollen, dass Lebensleistungen, die unentgeltlich erbracht werden – wie Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen – auch honoriert werden. Gegen Altersarmut brauchen wir ein höheres Rentenniveau. Und wo es keine Arbeit gibt, dürfen Menschen nicht mit den Schikanen und niedrigen Sätzen von Hartz IV abgespeist werden. Ein Programm für Gerechtigkeit und Gleichheit, und das möglichst konkret – unter den Parteien haben wir dafür das überzeugendste Angebot.

Dresdner Arbeiterdichter

Roland Mauer: Habt ihr da oben kein Gewissen? – vorgestellt von Marcel Braumann

Meine Handy-Nummer steht im Internet und natürlich(!) ist man als Öffentlichkeitsarbeiter der größten Oppositionsfraktion des Landtags prinzipiell irgendwie immer für den Rest der Welt erreichbar. Aber, nun ja, es gibt Besucher des Parlaments, für die von den am Empfang Tätigen verzweifelt Kontaktpersonen der Fraktionen gesucht werden, weil – man nicht am Schreibtisch sitzt und darauf wartet, dass unangemeldet ausführlich ein Buch präsentiert wird. Aber Herr Mauer bekam selbstverständlich von mir einen Termin – an einem Freitagnachmittag. Damit handelte ich mir eine einstündige Lesung von Gedichten ein (ich stehe eigentlich nicht auf Ly-

rik) und kaufte ihm hinterher begeistert zwei Exemplare ab. Nach Komplettierung durch eigene Lektüre sagte ich mir: Das muss wohl Arbeiterliteratur sein, brachte der „Bitterfelder Weg“ auch solches hervor? Roland Mauer, Jahrgang 1944, schrieb die über hundert Gedichte dieses Büchleins im Laufe der Jahre. Sie sind die mehr oder weniger gereimte Reflexion des Lebens eines Arbeiters, der sich damit beschäftigt, wie sich der Kapitalismus auf die Beziehungen zwischen den Menschen auswirkt. Böse Zungen würden sagen: Das Werk ist wohl DDR-nostalgisch. Tatsächlich aber findet sich darin kein gu-

tes Wort über irgendein System, Mauer lässt die schlichte Alltagserfahrung sogenannter einfacher Leute sprechen, die in Frieden leben, in Ruhe arbeiten und lieben wollen, ohne ständig in Konkurrenz zueinander stehen oder vor den Rendite-Ansprüchen einer Wirtschafts-Oligarchie buckeln zu müssen. Er wendet sich auch den zeitgenössischen Folgen der Zerstörung von sozialer Infrastruktur zu: „Was ist nur mit den Dörfern los, / man hat die Seele rausgerissen, / sie sehn wie leere Schläuche aus, / traurig dies zu sehen, es ist ein Graus.“ Das thematische Spektrum reicht von der Liebe bis zum Tod. Alles kreist

Roland Mauer: Habt ihr da oben kein Gewissen? Politische Lyrik. Edition Fischer, 9,90 Euro

um den zentralen Gedanken: „Unsere Waffe / ist Verstand und Menschlichkeit, / zum Wohl / aller Menschen dieser schönen Erde.“ Am Ende obsiegt nach vielen durchschrittenen Tälern der Tränen der Optimismus, trotz allem: „Es darf nicht sein, Gemeinsamkeit, / zu menschlich für die neue Zeit, / doch die Mehrheit wird es wenden, / der Kapitalismus einmal enden.“ Denn auch wenn zwischendurch „mein liebster Freund, mein Hund“, gewürdigt wird: Dass sich in der Menschheit „die Stimme der Vernunft“ durchsetzen wird und „ein Fundament des Friedens“ wird, davon ist der Autor zutiefst überzeugt.


Sachsens Linke! 06/2017

Der Nutzen von Schlüsselprodukten In Vorbereitung der Einführung der Doppik wurden für den Kreishaushalt Schlüsselprodukte beschlossen, die zu einer effizienten Steuerung in den betreffenden Bereichen führen sollten. Der erste doppische Doppelhaushalt ist bereits Geschichte, also genügend Zeit, um die Tragfähigkeit besagter Schlüsselprodukte zu analysieren. Die Kreistagsfraktion DIE

LINKE. beantragte deshalb n Wirtschaftlichkeit. die Berichterstattung zu den Des Weiteren fordern wir nun Schlüsselprodukten u. a. zu eine regelmäßige Berichterfolgenden Punkten: stattung zum Stand einzelner 1. Auswertung aller Schlüssel- Schlüsselprodukte in den zuprodukte für den Doppelhaus- ständigen Ausschüssen (halbhalt 2015/16. jährlich) sowie die langfristige 2. Vergleich aller SchlüsselDiskussion der Schlüssel­ produkte Doppelhaushalt produkte in Vorbereitung des 2015/16 zu 2017/18 Haushaltes 2019/20. n Erfahrungen als Steue• Dr. Barbara Drechsel, rungselement Kreisrätin und Mitarbeiterin der Fraktion n Praktikabilität

Ortsverband Niederwürschnitz nominiert Bürgermeister­kandidaten Am 12. Mai 2017 haben die GenossInnen von Niederwürschnitz einmütig ihren Kandidaten für das ehrenamtliche Bürgermeisteramt nominiert. Steffen Kaddereit ist 55 Jahre alt. Bereits seit 20 Jahren engagiert er sich als Linker im Gemeinderat. Er übt den Beruf des Elektromonteurs aus. Seine Ziele umreißt der Vater von fünf Kindern klar: „Alles was die Lebensqualität im Ort auszeichnet, bleibt mit mir erhalten.“ So ist Bewahrung der größtmöglichen Eigenständigkeit der Gemeinde Niederwürschnitz sein Ziel. „Wir dürfen uns von Stollberg

Seite 4

DIE LINKE im Erzgebirge

nicht über den Tisch ziehen lassen, das mit Lugau Erreichte muss Maßstab sein.“ Die Gemeinde Niederwür-

schnitz so schnell wie möglich nach Stollberg einzugemeinden sieht er nicht als gangbaren Weg an. „Wir brauchen ein gemeinsames Handeln vom neuen Bürgermeister mit dem Gemeinderat, der Verwaltung und den Einwohnerinnen und Einwohnern, denn damit haben wir bis jetzt alles im Ort erreicht“, meint Kaddereit. Aktuelle Probleme mit Kindergarten und Schule müssten im Interesse der Kinder und Eltern gelöst werden. • Dr. Barbara Drechsel, Vorsitzende des Ortsverbandes Stollberg und Umgebung

Termine Landkreistour 12. Juni Bärenstein: Gespräche übern Gartenzaun 13. Juni Geyer: Infostand 14. Juni Tannenberg und Schlettau: Gespräche übern Gartenzaun 15. Juni Burkhardtsdorf: 9:30 bis 12 Uhr, Wochenmarkt 16. Juni Elterlein: 9:30 bis 12 Uhr, Wochenmarkt anschl. Scheibenberg: Gespräche übern Gartenzaun 19. Juni Lugau: Gast: Rico Gebhardt, 9:30 bis 12 Uhr, Paletti Parkt 20. Juni Markt Neukirchen: 9:30 bis 12 Uhr anschl. Niederdorf: Gespräche übern Gartenzaun 21. Juni Thermalbad Wiesenbad: Gespräche übern Gartenzaun

22. Juni Crotendorf und Sehmatal: Gespräche übern Gartenzaun 23. Juni Auerbach: Edeka Markt

Veranstaltungen 12. Juni Annaberg-Buchholz: „Altersarmut Ost: Keine Bürger zweiter Klasse!“ Gast: Dr. Martina Bunge (Sozialwissenschaftlerin, zwischen 2005 und 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages), Moderation: MdL Klaus Tischendorf 18 Uhr, Hotel „Goldene Sonne“ 13. Juni Annaberg-Buchholz: Besuch beim VdK, Dr. Martina Bunge, MdB Jörn Wunderlich und MdL Klaus Tischendorf 10 Uhr 13. Juni Niederwürschnitz: Altersarmut Ost: Keine Bürger zweiter Klasse!“ Gast: Dr. Martina Bunge (Sozialwissenschaftlerin, zwischen 2005 und 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages), Moderation: MdB Jörn Wunderlich 16 Uhr, Gaststätte „Zum Kronprinz“


Seite 5

DIE LINKE. Kreisverband Zwickau

06/2017 Sachsens Linke!

Buntes Treiben auf dem Alten Markt in Wilkau-Haßlau Strahlend blauer Himmel und angenehme sommerliche Temperaturen lockten schon einige Zeit vor dem offiziellen Beginn erste neugierige Kinder, ihre Eltern und Großeltern zum Ort des Geschehens. Von Horst Wehner

Kinderaugen strahlten – doch auch der „Ernst des Lebens“ blieb beim politischen Kinderfest nicht ganz im Abseits Der Alte Markt in Wilkau-Haßlau, vorm Schützenhaus gelegen, verwandelte sich am Nachmittag des 20. Mai 2017 in ein buntes Kinderparadies mit vielfältigen Angeboten aus Sport und Spiel, Kulturprogrammen, Kinderschminken und Wissensangeboten. Gleich zwei Hüpfburgen boten Gelegenheit zum wilden Toben, verschiedene Fahrgeräte des Freizeitzentrums

Termin 28. Juni Sahra Wagenknecht kommt Kornmarkt Zwickau 17 Uhr

zum Ausprobieren. Vielfältig war die Beteiligung durch die Kindertagesstätten der Stadt, die nicht nur kleine Programme gestalteten sondern auch eine Bastelstraße aufgebaut hatten. Viele kleine Kunstwerke entstanden so in kurzer

Zeit. Eine Tombola, von der örtlichen SPD initiiert, sorgte für kleine Überraschungen und die kindliche Neugier wurde am Stand der Grünen gestillt. Hier konnten Amphibien aus dem heimischen Garten bestaunt werden. Außerdem erfuhren die Kinder, wie man Samenbomben selber herstellen kann. Die damit verbundene Matscherei machte natürlich ganz besonders viel Spaß. Etwas ernster ging es beim DGB zu, der die Großen daran erinnerte, dass Vorsorge fürs Alter wichtig ist. Mit einer Fotoaktion „Wofür muss die Rente reichen…“ regte sie die Besucherinnen und Besucher zum Nachdenken an. Denn jede und jeder von uns hat andere Hobbys oder Vorlieben, die ihm wichtig sind und die auch im Alter nicht ins Abseits geraten sollen. Natürlich war auch für das leibliche Wohl gesorgt mit Rostern und von den Genossinnen selbst gebackenem Kuchen sowie Zuckerwatte und Popcorn, Kaffee und alkoholfreien Erfrischungsgetränken. Ein gelungenes

Fest, zu dessen Gelingen viele beigetragen haben. Als unsere Stadträtin Steffi Müller mit der Idee kam, hatte ich ja kleine Bedenken, ob wir das hinbekommen und habe natürlich gern mit meinem Kirchberger Büro das Vorhaben unterstützt. In Zusammenarbeit mit vielen Partnern, zu denen auch zahlreiche Spender aus und um Wilkau-Haßlau gehör-

ten, die mit Geld und Sachspenden halfen, ist ein tolles, buntes und vielfältiges Kinderfest entstanden. Ganz herzlichen Dank auch an Oberbürgermeister Stefan Feustel, der die Schirmherrschaft übernahm und zusagte, die Neuauflage des Festes auch im nächsten Jahr zu unterstützen. So hatten wir uns das gedacht: Ein Kinderfest für die großen und

kleinen Einwohner der Stadt, welches in diesem Jahr zum ersten aber ganz sicher nicht zum letzten Mal stattfand. Herzlichen Dank an alle Helfenden, auch den Regionalmitarbeitern meiner Fraktion und meinem Fraktionskollegen Rene Jalaß, Sabine Zimmermann, Unterstützenden, Akteuren und natürlich unserer Stadträtin Steffi Müller für Idee und Regie.

Steffi Müller, BM Steffen Feustel, Sabine Zimmermann und Wolfgang Wetzel


Sachsens Linke! 06/2017

DIE LINKE. Kreisverband Meißen

Seite 6

Fotos: Daniel Bahrmann

In Meißen brennt die Luft Und das ist durchaus politisch gemeint. Ein CDU-Stadtrat, dem leider einige an sich hoch intelligente Kollegen blind zu folgen scheinen, scheint das diesjährige Literaturfest mit dumpfen Schlagworten ausbremsen zu wollen. Wir erinnern uns: Zum Literaturfest lasen solche Leute wie Volker Külow, Rico Gebhardt und auch der frühere Innenminister Heinz Eggert einträchtig, wenn auch aus unterschiedlichsten Werken. Bisher ging das. Jetzt aber wittern „Bolschewisten-Hasser“ wohl Morgenluft

und schicken sich an, das slawische „Misni“ von „Entarteter Kunst“ und Kultur „reinigen“ zu wollen. Die Hass-Angriffe auf Sahra Wagenknechts Auftritt in Meißen gingen bereits durch die Presse und wurden durch unseren Bundestagskandidaten Tilo Hellmann angemessen gekontert. Seine Presseerklärung ist online abrufbar. Hoffen wir, dass die Mehrheit der Stadträte zu Meißen das traditionsreiche Fest nicht scheitern lässt. Das wäre ein Armutszeugnis von historischem Ausmaß. • Reinhard Heinrich

Sahra W. in Meißen „Hier kann man jedes Wort unterschreiben“, sagt die Frau neben mir. Gemeinsam mit vielen Meißnern und Gästen hat sie auf Sahra Wagenknecht, die Spitzenpolitikerin der LINKEN gewartet. Und es hat sich gelohnt. Ja, es ist wahr und viele kennen es aus dem eigenen Leben: Die Schere zwischen arm und reich wird immer größer und

dagegen muss man etwas tun. änderungen herbei zu führen. Naturgemäß sehen das Und überhaupt, was nützt nicht alle so. Die Facebookuns aller Wohlstand, wenn Eintragungen diverser polider Frieden nicht sicher ist tischer Gegner zeigen das und Deutschland Waffen in deutlich. Was für eine Angst die Welt schickt. Beifall in der müssen die vor dieser Frau Runde. haben, dass sie zu so armseliAlt und Jung stehen beieinander und sind sich im Wesentli- gen (und gefährlichen) Mitteln greifen. Ich denke, wir haben chen – nicht in Allem – einig. alles richtig gemacht. Wir brauchen eine starke LINKE im Bundestag, um Ver- • Harald Kühne

Demonstrative Politik im Erholungsort Weinböhla Weinböhla, das ist der Ort, wo Peter Sodann aufgewachsen ist. Und die Kommunistin Lene Glatzer, die 1935 von der Gestapo ermordet wurde. Am Dorfteich steht ein Gedenkstein für die in der Umgebung Weinböhlas gefallenen Rotarmisten. In russischer Sprache, direkt daneben, steht ein Schild mit der deutschen Übersetzung. Wer aber steht nun bei dem Stein, wenn der 8. Mai wieder einmal gekommen ist, und „die Bäume ausschlagen“? Nach Weinböhla kommt Innenminister Thomas de Maiziére – aber nicht zu 8. Mai. Den Sohn eines Generalinspekteurs der Bundeswehr hat die Rote Armee wohl nicht befreit. Oder hat es Mutti nicht erlaubt? De Maiziére kommt elf Tage später nach Weinböhla, um eine Anti-Bahnlärm-Demo zu veranstalten. Hat der Innenminister schon alle Hausaufgaben erledigt? Sind die merkwürdigen Ermittlungspannen um den Berliner LKW-Fahrer Anis Amri aufgeklärt? Oder will er

Umwelt- und Verkehrsminister werden? Wir wissen es nicht. Aber wir wissen: Die Bundestagswahl steht vor der Tür und Weinböhla liegt in seinem Wahlkreis. Auf seine 500 Handzettel reagieren (lt. SZ) nur gan-

ze 30 Anwohner und kommen zum Gespräch mit ihm. Da haben wir, als DIE LINKE in Coswig und Weinböhla, schon mal eine höhere Teilnehmerquote. Sowohl wenn Sahra Wagenknecht im Zentralgasthof liest, als auch wenn wir am 8.

Mai Blumen am Ehrenmal beim Dorfteich niederlegen. Natürlich ist da noch Luft nach oben. Ein paar Genossen singen leise „Partisanen vom Amur“, „Katjuscha“ und „Wetscherni Svon“. Andere steht schweigend vor dem Stein, wo unsere Blumen liegen. Einer fehlt dieses Jahr: der Unbekannte, mit dem nie Wie in jedem Jahr macht ein Gespräch zustande kam, der Ortsvorstand Radebeul der aber so manche Jahre ein eine Ausfahrt mit den Glas Wodka (sto gram) und eiGenossinnen und Genossen ne Scheibe Brot darüber am Nach einer romantischen Gedenkstein hinterließ, um auf Busfahrt von Radebeul seine sehr persönliche Weiüber den Auer, Moritzburg se die Soldaten zu ehren, die nach Wahnsdorf landeten ihr Leben bei Weinböhla laswir am Panoramarestaurant sen mussten, um die Bestie „Spitzhaus“. Hier trafen wir Faschismus zu besiegen. Geuns zu einem gemütlichen denken konkret – so konkret Kaffeeplausch. wie die Wahrheit, die wir hegen Jedes Jahr treffen wir uns und pflegen müssen, damit an immer einem anderen nationale Hirngespinste nicht Ort. Der Anlass dazu ist die wieder die Oberhand gewinAnerkennung von Mitgliedern nen. In Weinböhla und überall. für ihre langjährige Treue Den Titel Erholungsort hat sich und Mitarbeit in unserer Weinböhla übrigens mühsam Partei. Dies geschieht durch erkämpft. Coswig dagegen ist die Übergabe einer selbst nur Wallfahrtsort. Dazu später gestalteten Urkunde und mehr. • Reinhard Heinrich einem Blümchen, welche von

Anerkennung

unserer Kreisvorsitzenden Uta Knebel erfolgte. Erhalten haben diese für: n 70 Jahre: Helga Mertens, Gerhard Brendel und Horst Kreschnack n 65 Jahre: Gisela Zimmer, Brigitte Gnauck und Walter Noack n 60 Jahre: Liane Forker und Christine Menz n 55 Jahre: Hilde Lehmann und Horst Müller n 35 Jahre: Mathias Wegner Genossinnen und Genossen, die nicht teilnehmen konnten, wurden zu Hause aufgesucht. Nach Meinung der Genos­ sin­nen und Genossen war das Treffen wieder eine gelungene Sache und trägt zu weiterem Zusammenhalt und gemeinsamer Arbeit bei. • Ch. Menz, AG Veteranen


Seite 7

DIE LINKE. Kreisverband Bautzen

06/2017 Sachsens Linke!

Fotos: Benjamin Rehor

Ankündigungen lassen aufhorchen

Starker Gegenprotest machte den 1. Mai in Bautzen für die NPD und ihre Jugendorganisation zum politischen Rohrkrepierer.

Wir wollen das „Spreehotel“ erhalten! Als 2014 auch im Landkreis Bautzen immer mehr Geflüchtete ankamen, war Peter Kilian Rausch, Betreiber des damals noch tatsächlich im Hotelbetrieb befindlichen „Spreehotels“ einer der ersten, die Hilfe anboten. In den Folgemonaten hielt er, trotz rechter Demos und gewalttätiger Angriffe gegen das Spreehotel, sein Vorhaben durch und entwickelte eine Vorzeigeeinrichtung zur Unterbringung geflüchteter Menschen im Landkreis. Aktuell leben im Spreehotel Bautzen 70 Asylsuchende mit sehr guter Bleibeperspektive sowie knapp 40 anerkannte Flüchtlinge. Jetzt wurde bekannt: Im Juli läuft der Betreibervertrag des Landkreises mit Rausch aus, er wird vom Landratsamt aus Kostengründen nicht verlängert. Damit steht das „Spreehotel“ als Geflüchtetenunterkunft vor dem Aus. DIE LINKE im Landkreis Bautzen findet: Soweit darf es nicht kommen. Deshalb waren auf Initiative von Caren Lay und der Kreistagsfraktion bereits weni-

ge Tage nach dem Bekanntwerden Vertreter bei Herrn Rausch. „Wir als LINKE unterstützen das Konzept des Betreibers des Spreehotels in Bautzen zur Einrichtung eines Integrationszentrums mit Übergangsheim für anerkannte Flüchtlinge und fordern die Verantwortlichen in der Landkreisverwaltung, insbesondere Landrat Harig, auf, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um diese einzigartige Einrichtung zu erhalten“, stellten die Lausitzer Bundestagsabgeordnete Caren Lay und der Kreistagsfraktionsvorsitzende Ralph Büchner im Nachgang fest. Die Menschen im Spreehotel benötigen umfassende Hilfe bei Anträgen und Behördengängen, beim Transfer in die sozialen Sicherungssysteme nach geklärtem Aufenthaltsstatus, bei Wohnungssuche, Umzug, bei Schule und Ausbildung, kurz: bei der Integration! Die Zahl der anerkannten bzw. noch anzuerkennenden Flüchtlinge mit Unterstützungsbedarf ist auch trotz zurückgegangener Asylsuchendenzahlen

weiterhin sehr hoch, vor allem durch Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Eritrea und Somalia. Anders als bisher steht nun aber nicht allein die Unterbringung von Flüchtlingen im Vordergrund. Vielmehr bedeutet es nun eine große, auch politische Verantwortung, diese Menschen zu befähigen, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren. Hier fehlt es bislang an geeigneten Konzepten. Deshalb machten Lay und Büchner gemeinsam klar: „Die LINKE im Kreis Bautzen versteht den Erhalt der Einrichtung auch als Signal in die Bevölkerung, eine wirkliche Integration der Flüchtlinge und Asylsuchenden von staatlicher Seite zu wollen und dies tatkräftig zu befördern.“ Der Betreiber und die Beschäftigten des Spreehotels leisten seit Jahren eine überaus engagierte Arbeit und verfügen über die notwendigen Erfahrungen, Kompetenzen und Netzwerke, um die Geflüchteten optimal zu integrieren. Es wäre wirklich das falsche Signal, ausgerechnet das Spreehotel jetzt zu schließen.• Silvio Lang

Der größten Aufmerksamkeit konnte sich Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) beim 13. Lausitzforum am 3. Mai im neuen Bürgerzentrum „Braugasse 1“ sicher sein, als er stolz verkündete, dass sich ein chinesischer Automobil-Zulieferer Beijing WKW Automotive in Rothenburg bei Niesky Elektroautos für den europäischen Markt bauen und mehr als 1.000 Arbeitsplätze schaffen möchte. Der brandenburgische Wirtschaftsminister Gerber konnte immerhin die Schaffung weiterer 300 Arbeitsplätze durch den in Lauchhammer ansässigen Windkraftanlagen-Hersteller Vestas vermelden. „Es tut sich also noch etwas in der Lausitz“ und „die Region sollte sich nicht unter Wert verkaufen“, waren die Hauptbotschaften der beiden Minister. Das Tagesprogramm hielt danach drei durchaus interessante Podien zu den Themen „Verkehr – Lebensadern für Wirtschaft, Tourismus, Bildung und Kultur“, „Gute Arbeit & Gute Bildung – Stellschrauben für die Fachkräftesicherung der Region“ sowie „Energie – Perspektiven der Industriepolitik“ bereit, bei denen sowohl Erreichtes als auch Defizite klar benannt wurden, wie z.B. die verbesserungswürdige ÖPNV-Versorgung in ländlichen Gebieten, die mangelnde Tarifbindung der in der Lausitz ansässigen Firmen oder die bisher unzureichende Bündelung der „pro Lausitz“-Aktivitäten und Initiativen. Zu Letzterem konnte erfreulicherweise vermeldet werden, dass der Plan, die bereits in Brandenburg bestehenden und agierenden „Innovati-

onsregion Lausitz GmbH“ auf Sachsen zu erweitern, auf einem guten Weg sei und die länderübergreifende Gesellschaft bereits ab Juli 2017 ihre Arbeit aufnehmen könne. Als wichtigste Zielsetzung zur Weiterentwicklung der Lausitz wurde die Etablierung der Lausitz als Energieregion der Zukunft mit den Schwerpunkten Elektromobilität und Speichertechnologien sowie Erneuerbare Energien angeregt, da das Know-how und die Infrastruktur dafür bereits vorhanden sind. Wichtig dabei ist die Vernetzung der Hochschulen der Region mit den ansässigen Firmen, um innovative Produkte entwickeln zu können. Für uns LINKE gilt es, den Wandlungsprozess weg von der Kohleverstromung hin zu modernen und umweltfreundlichen Technologien konstruktiv zu begleiten und zu forcieren, anders als die Gewerkschaften, die sich allzu gern an der Kohleverstromung festklammern. Gemeinsames Ziel ist es aber, die Lausitz zu einer Region zu entwickeln, in der es sich vor allem für junge Menschen durch anständige Löhne, möglichst kurze Arbeitswege und längerfristige Planungssicherheit sowie ein gutes Kinderbetreuungs- und Schulnetz als Voraussetzung für die mögliche Familienplanung und dauerhafte Ansiedlung an einem Ort in der Lausitz ihren zukünftigen Lebensmittelpunkt finden können. Am 13. Lausitzforum nahmen der Landesvorsitzende und Fraktionschef Rico Gebhardt, MdL Kathrin Kagelmann, MdL Mirko Schultze und Kreisräte der LINKEN teil. • Felix Muster

Erste Sozialberatung auf dem Dorf Im sorbisch geprägten Ort Crostwitz fand am 25. April die erste „Sozialberatung auf dem Dorf“ des Landtagsabgeordneten und Rechtsanwalts Heiko Kosel zusammen mit dem im Sozialrecht besonders erfahrenen Anwaltskollegen Gregor Janik statt. Weitere Sozialberatungen auf dem Dorf sind geplant und werden in den lokalen Medien sowie unter www.heiko-kosel.de angekündigt.


Sachsens Linke! 06/2017

Seite 8

Durchblicken mit Marx Die aktuellen Krisen zeigen: Es muss sich Grundlegendes ändern. Nur was? Darauf gibt „Das Kapital“ Antworten, heute wieder mehr denn je. Von Katja Kipping

Aufbauend auf seinen Erkenntnissen und unter Aneignung seiner Methode gilt es, die aktuellen Krisen zu analysieren und nach Wegen zu ihrer Überwindung zu suchen. Ich vertrete hier die These, dass alle kapitalismusinternen Lösungen (seien sie konservativer oder sozialdemokratischer Art) die aktuellen Krisen nur verwalten, nicht aber auflösen werden. Insofern stellt sich die Frage nach einer grundlegenden Alternative. Selbst für diejenigen, die erst einmal nur verstehen wollen, wie die Produktionsweise funktioniert, lohnt sich die Lektüre von Marx. Nehmen wir seine Abhandlungen zum Charakter der Ware, mit denen er „Das Kapital“ beginnt. Die Unterscheidung zwischen dem Gebrauchswert einer Ware und ihrem Tauschwert ist mehr als reine Begriffsarbeit. Diese Unterscheidung erleichtert zu hinterfragen, ob der Preis einer Ware wirklich ihrem Gebrauchswert entspricht. Ausgehend davon kommt Karl Marx zu der Erkenntnis, dass eine ganz bestimmte Ware mehr Wert zu schaffen vermag, als sie selbst wert ist: die menschliche Arbeitskraft. Die Arbeitskraft als Ware zu bezeichnen, mag im ersten Moment ungewöhnlich klingen. Gemeint ist: Wer einer Erwerbsarbeit nachgeht, tauscht seine Arbeitskraft als Ware gegen Lohn. Leider findet dieser Tausch nur selten auf Augenhöhe

Lange bevor globalisierungsstatt. Diejenigen, die nur ihkritische Bewegungen auf re Arbeitskraft als Ware hadie Straße gingen, beschrieb ben, sind darauf angewiesen, Marx den Drang zur Marktdiese zu verkaufen, um überausdehnung, welcher der Gloleben zu können. Erwerbslosigkeit und Existenzangst wir- balisierung zugrunde liegt: ken wie ein Damoklesschwert, „Der Markt muss beständig ausgedehnt werden, sodass das gefügig macht. Und gedie regelnden Bedingungen nau so funktioniert das jetzige Hartz-IV-Sanktionssystem. immer mehr die Gestalt eines von den Produzenten unabUm diesem Sanktionssystem hängigen Naturgesetzes anzu entgehen, akzeptieren vienehmen.“ Um mehr Produkte le Beschäftigte familienunfreundliche Arbeitszeiten und zu verkaufen, müssen neue niedrigere Löhne. Geschult an Märkte erobert werden. Dies ist dann möglich, wenn woanKarl Marx können wir sagen, ders hin mehr Waren verkauft dass die Hartz-IV-Sanktionen als von dort eingekauft wernicht nur eine Belastung für den. So geschehen nach der die Erwerbslosen, sondern Wende, als westdeutsche Firauch ein Angriff auf die Höhe men im Osten plötzlich einen der Löhne sind. Karl Marx analysiert ganz tref- neuen Absatzmarkt hatten. Einen Markt voller Appetit auf fend, dass im Kapitalismus die neuen Produkte. das einzelne Unternehmen einen begrenzten Entscheidungsspielraum hat. Denn: „Die Konkurrenz herrscht jedem individuellen Kapitalisten die immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise als äußere Zwangsgesetze auf.“ Soll heißen: Infolge des Konkurrenzdrucks ist Wettbewerbsfähigkeit für das einzelne Unternehmen kurzfristig objektiv wichtiger als der Erhalt der Umwelt beziehungsweise als das Glück der Menschen. Diese für den Einzelnen rationelle Prioritätensetzung führt gesellschaftlich zu verheerenden Folgen wie Umweltverschmutzung und Klimakollaps. Dem UN-Klimareport zufolge werden bald in Afrika bis zu 200 Millionen Menschen an akuter Dürre leiden. Andernorts drohen Überschwemmungen. In beiden Fällen gefährdet der Klimawandel Leben. Im Kapitalismus gilt: höher-schneller-weiter-mehr Profit. Ich nenne das den kapitalistischen Komparativ. Unter dieser Maßgabe kann die Politik Unternehmen durch verbindliche Umweltstandards zu weniger Schadstoffausstoß zwingen. Sie kann die Fahrt in Richtung globale Erwärmung verlangsamen, aber eine Kehrtwende ist nicht möglich, solange der kapitalistische Komparativ gilt. Die Vergangenheit zeigt, Einsparungen durch Effizienzgewinne werden sofort durch die Entwicklung neuer Produkte aufgebraucht. Der „grüne Kapitalismus“ ist insofern eine Illusion.

Besonders verheerende Folgen hat dieser Drang zur Marktausdehnung in den Entwicklungsländern beziehungsweise den Ländern des globalen Südens. Im Zuge der größeren Fluchtbewegungen wurde auch mehr über die Situation in den Herkunftsländern der Geflüchteten gesprochen. Wenn der Westen die Märkte der Entwicklungsländer mit billigen Produkten überschwemmt, nimmt er den Menschen dort die Chance auf eine selbsttragende Wirtschaft. Wir kommen also nicht umhin festzustellen: Die ganze Welt kann nicht wettbewerbsfähiger werden. Es können immer nur Einzelne auf Kosten anderer wettbewerbsfähiger sein. Aus diesem Kon-

kurrenzdruck, aus dieser Manie der Wettbewerbsfähig­keit auszusteigen, ist gar nicht so einfach. Die Politik ist ge­fragt, zunächst mit verbindlichen Standards, die schlimmsten Auswirkungen einzudämmen. Wer mehr als ein Eindämmen und Verwalten dieser Krisen will, der muss jedoch über den Kapitalismus hinaus­ denken. So gesehen ist Karl Marx aktueller denn je. Die aktuellen Krisen wie der drohende Klima­kollaps, der Crash der Finanzmärkte, die durch Elend und Kriege erzwungenen Fluchtbewegungen und die sozialen Verunsicherungen führen uns mit aller Nachdrücklichkeit vor Augen, dass sich Grundlegendes ändern muss.

Foto: 3dman_eu/pixabay.com/CC0

Auch geniale Analytiker können mal zu Fehlschlüssen kommen. Im Nachhinein ist es ein Leichtes, es besser zu wissen. Um es mit den Worten von Wolfgang Fritz Haug zu sagen: Auf den Schultern von Riesen können selbst Zwerge besser sehen. Zitatefestigkeit bei Marx ist deshalb kein Ersatz für den Gebrauch der eigenen Urteilskraft. Seine Polemik beispielsweise gegen die Gebührenfreiheit von Bildung in der Kritik des Gothaer Programms hat mich nie davon abgehalten, gegen Studiengebühren zu protestieren. Vielmehr schult die Beschäftigung mit Karl Marx ungemein im kritischen Denken, auch – und das gehört zur Dialektik dazu – gegenüber den Punkten, in denen er womöglich irrte.

Ein Blick, wie es ihn heute nicht mehr gibt: Das Marx-Engels-Forum ist Geschichte, das Schaffen der beiden Philosophen jedoch noch lange nicht


06/2017 Sachsens Linke!

Seite 9

Das x zu ermitteln ist eine komplizierte Berechnung. Schritt 3: Die danach auf eine Partei bundesweit entfallenden Mandate werden nun wieder auf die Landeslisten der Parteien verteilt. Auch das ist ein komplizierter Mechanismus.

Schritt 2: Wenn in einem Bundesland eine Partei mehr Direktmandate erzielt als ihr nach Zweitstimmen Sitze zustehen, dann hat diese Partei hochgerechnet auf die gesetzlich vorgeschriebenen 598 Abgeordneten mehr Sitze als sie den Zweitstimmen zufolge erhalten dürfte. Deshalb wird geschaut, wie viele Sitze bei wie vielen Parteien das betrifft. Bei der Bundestagswahl 2009 waren das 24 Sitze. Um zu erreichen, dass die 598+24 Sitze so auf die Parteien aufgeteilt werden, dass das Verhältnis der Parteistimmen wieder hergestellt ist, wird der Bundestag vergrößert, bis das Verhältnis wieder stimmt. Der Bundestag würde dann nicht mehr aus 598 Abgeordneten bestehen, sondern aus 598 + 24 + x Abgeordneten. x ist dabei die Zahl, die sicherstellt, dass die Zusammensetzung des Bundestages dem Zweitstimmenergebnis der Parteien entspricht.

DIE LINKE hat immer gesagt: Eine Vergrößerung des Bundestages ist hinzunehmen, wenn es keine verfassungsgemäße Alternative gibt. Da DIE LINKE aber eine solche Alternative vorgelegt hat, haben wir uns an der Neuregelung nicht beteiligt. Es gibt in der Debatte verschiedene Modelle, wie das Problem Überhangmandate und negatives Stimmgewicht darüber hinaus gelöst werden könnte. Alle Vorschläge würden aber mehr oder weniger das System des Zweistimmenwahlrechts verändern. Eines der Argumente, das immer wieder vorgetragen wird, ist, dass es möglich sei, die Wahlkreise zu vergrößern und damit die gesetzlich vorgeschriebene Zahl der Abgeordneten zu senken. Dies ist aus Sicht der LINKEN keine Alternative. Denn schon jetzt sind die Wahlkreise derart groß, dass der Betreuungsaufwand kaum zu bewältigen ist.

Foto: TobiasGolla / pixabay.com /CC0

von den entsprechend der Zweitstimmen auf eine Partei entfallenden Mandaten in einem Bundesland die von dieser Partei erzielten Direktmandate abgezogen werden. Ein Problem gibt es nur dann, wenn eine Partei mehr Direktmandate gewinnt als ihr nach Zweitstimmen an Mandaten zusteht. Das Problem wird durch Schritt 2 und 3 gelöst.

Da die Wähler*innen mit diesem System nicht mehr nachvollziehen können, wie ihre Stimme zu einem Mandat wird und systemimmanent mit einer Vergrößerung des Bundestages zu rechnen ist, hat die LINKE einen Gesetzentwurf vorgelegt. Der sah vor, dass die Verrechnung von Listenmandaten und Direktmandaten auf der Bundesebene stattfindet. Wenn also nach dem Zweitstimmenergebnis die Partei X bundesweit 45 Direktmandate und 47 Listenmandate hätte, gäbe es kein Problem – maximal eines mit dem föderalen Proporz. Die verbleibenden zwei Mandate würden auf die Landeslisten verteilt. Welche Landesliste ziehen würde, ergibt sich ebenfalls aus einer komplizierten Rechenmethode. Hat die Partei X bundesweit aber 45 Direktmandate und 43 Listenmandate, würden Überhangmandate entstehen. Der Gesetzentwurf der LINKEN führt im Regelfall dazu, dass keine Überhangmandate entstehen, denn dafür müsste eine Partei bundesweit mehr Direktmandate erhalten als ihr bundesweit nach den Zweitstimmen an Mandaten zusteht. Das einzige Problem insoweit ist die CSU, die allein in Bayern antritt. Sollte es dennoch zu Überhangmandaten kommen, würden diese auf der Bundesebene durch Ausgleichsmandate ausgeglichen.

Plenarsaal des Deutschen Bundestages

Es gibt Alternativen zum „Mega-Bundestag“ Ein Zwischenruf zum Bundestagswahlrecht von Halina Wawzyniak

Die Gazetten sind voll: Es droht Stimmen auf ihre Landesliste der „Mega-Bundestag“. Eigent- entfallen sind, gibt es kein Prolich sieht das Gesetz 598 Abge- blem. Wenn eine Partei aber mehr Direktmandate erhält als ordnete vor, doch durch Überihr nach Landeslistenplätzen hang- und Ausgleichsmandate an Parlamentssitzen zusteht, sowie ein föderal geprägtes entstehen ÜberhangmandaWahlrecht könnte der Bundeste. Da sich die Zusammensettag bis auf 700 Abgeordnete zung des Bundestages nach anschwellen. Schuld daran, so dem Zweitstimmenergebnis will es die Erzählung, sind die Parteien, die sich Mandate und der Parteien richtet, stören die Überhangmandate. Sie müsRessourcen sichern wollen. sen ausgeglichen werden. Das ist aber nur ein Teil der Der Effekt des negativen Wahrheit, wie Halina WawzyStimmgewichts trat 2005 bei niak berichtet. Sie war für die der Nachwahl im Wahlkreis Fraktion DIE LINKE federfüh160 (Dresden) auf. Im Rahmen rend bei den Verhandlungen einer Wahlprüfungsbeschwerzur Wahlrechtsreform. Und sie de hat das Bundesverfassungsmeint: Es gab eine Lösung. Die gericht 2008 Regelungen im der Linksfraktion. Wahlrecht, die diesen Effekt ermöglichen, für verfassungsIn Deutschland gibt es ein widrig erklärt und dem GesetzZweistimmenwahlrecht. Mit geber aufgegeben, ein verfasder Erststimme werden die Disungsgemäßes Wahlrecht zu rektkandidaten gewählt, mit schaffen. Der Bundestag beder Zweitstimme die Landesschloss zunächst 2011 mit den listen der Parteien. Das nennt sich personalisierte Verhältnis- Stimmen von Union und FDP gegen die Stimmen von SPD, wahl. Durch dieses ZweistimGrünen und LINKEN ein neues menwahlrecht kann der Effekt Wahlrecht (zur Kritik an diesem des negativen Stimmgewichts Gesetz: gleft.de/1IO). 2012 auftreten. Das bedeutet, dass erklärte das Bundesverfasmehr Stimmen für eine Partei sungsgericht auch dieses für zu weniger Sitzen führen und verfassungswidrig. Kern war weniger Stimmen zu mehr Sitdie Aussage, dass Überhangzen. Der Effekt des negativen mandate nur in dem Umfang Stimmgewichts hängt eng mit hinnehmbar seien, wie sie den der Verrechnung gewonnener Grundcharakter der VerhältnisDirektmandate mit Landesliswahl (Zweitstimmenergebnis tenmandaten zusammen. Soder Parteien ist für Zusammenweit eine Partei weniger Disetzung des Bundestages rerektmandate erringt als an

levant) nicht aufhebt. Dies sei nur der Fall, wenn Überhangmandate nicht im Umfang von mehr als einer halben Fraktionsstärke anfallen. Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes machte eine weitere Neuregelung notwendig. Diese hatte darauf zu achten, dass kein negatives Stimmgewicht entsteht und die Zahl der Überhangmandate verringert wird. SPD, FDP, Union und Grüne legten 2012 einen neuen Gesetzentwurf vor. DIE LINKE hatte einen eigenen Entwurf erarbeitet. Dieser hätte, außer bei der Bundestagswahl 2009, nicht zu Überhangmandaten geführt. Im Kern sieht das bestehende und von SPD, FDP, Union und Grünen beschlossene Wahlrecht im Blick auf die Mandatszuteilung drei Schritte vor (vergleiche www.gleft.de/1IP). Schritt 1 wird auch theoretischer Schritt genannt. Es wird ermittelt, wie viele Mandate insgesamt auf ein Bundesland entfallen. Nehmen wir an, auf ein Bundesland entfallen insgesamt 24 Mandate. 12 Mandate gehen an Direktkandidaten/innen. Da es insgesamt 24 Mandate gibt, entfallen weitere 12 Mandate auf die Landeslisten. Insgesamt aber müssen die 24 Mandate entsprechend der Zweitstimmen verteilt werden. Dies geschieht dadurch, dass


Sachsens Linke! 06/2017

Und noch immer entschieden Links! Bundeskongress Nr. 10

Die älteren Semester kratzten sich ungläubig an den Köpfen: „Was? 10 Jahre soll das schon her sein?“ Ja, richtig gehört. Auch die linksjugend [‚solid] feiert ihr zehnjähriges Bestehen. Den Aussagen vieler Gründungszeitzeug_innen zufolge hätten damals nur die wenigsten gedacht, dass es dazu kommen würde. Unüberwindbar schienen die politischen Differenzen, zu unterschiedlich die persönlichen Hintergründe und Erfahrungen. Aber sieh an: Uns gibt‘s noch immer. Bevor sich unser Heimspiel-BuKo (er fand im Leipziger Westbad statt) konstituierte, fand eine Podiumsdiskussion zum Thema „Die Linke wieder geil machen“ statt, bei der die Parteivorsitzende Katja Kipping gemeinsam mit unserem damaligen Noch-Bundessprecher Janis Walter und dem Aktivisten Tadzio Müller Möglichkei-

Termine 15. Juni CSD Leipzig Marktplatz Leipzig 14 bis 20 Uhr Mehr Informationen: www.gleft.de/1Jp 16. Juni Ökoslam – nachhaltiger und ökologisch wertvoller Poetry-Slam Interim Leipzig 19 bis 21 Uhr Mehr Informationen: www.gleft.de/1Jq

ten diskutierte, linke Themen und Anliegen insbesondere für junge Menschen attraktiver zu machen. Doch die richtige Arbeit begann erst Samstagmorgen! Wahlweise gut ausgeruht und gestärkt von Brötchen und Kaffee aus dem Hostel oder direkt von der Party aus dem offenen Abgeordneten- und Projektbüro „Interim“ kommend, das in unmittelbarer Nähe zum Tagungsort liegt, ging es nach der Behandlung satzungsändernder Anträge direkt in die Diskussionsrunden zu den Anträgen, die am Vorabend als besonders interessant markiert wurden. Besonders hoch her ging es beim Antrag „Gegen die Kumpanei mit dem politischen Islam“ der Delegation aus Sachsen-Anhalt. Auch die Frage, ob die Linksjugend gar den gesamten Wahlkampf sein lassen sollte, sofern die

Seite 10

Jugend

Genossin Sahra Wagenknecht Spitzenkandidatin bleibt, wurde rege diskutiert, jedoch abgelehnt. Unter dem Titel „Nicht in unserem Namen – gegen die Spitzenkandidatur Sahra Wagenknechts“ beschlossen wir aber eine scharfe Positionierung gegen ihre vergangenen Äußerungen und Vorgehensweisen, die auch auf dem Bundesparteitag im Juni vorgetragen werden soll. Besonders freuen wir uns darüber, dass unter den 32 beschlossenen Anträgen auch jene drei zu finden sind, die wir als Landesverband Sachsen eingereicht und zuvor auf unseren Landesjugendplena beschlossen hatten: „Kostenfreie Verhütungsmittel für Alle!“, „Für einen Mitgliederentscheid zum Bedingungslosen Grundeinkommen in der Partei DIE LINKE“ sowie „UmFAIRteilen“, in dem wir eine verbindliche Diätenregelung für LINKE Parlamentarier_innen, die sich am durchschnittlichen deutschen Bruttoentgelt orientiert, sowie eine Erneuerungsquote für ihre Fraktionen fordern. Ein weiterer großer Grund zur Freude ist auch, dass im neugewählten Bundessprecher_innenrat mit Paul Gruber nun wieder ein Quasi-Sachse sitzt, auch wenn er seit Herbst in Thüringen studiert und den Beauftragtenrat nun leider verlassen wird. Wir wünschen dir alles, alles Gute, Paul und sind uns sicher, dass du den Laden rocken wirst. Und allerallerspätestens sehen wir uns im nächsten Frühjahr wieder, wenn es dann zum elften Mal heißen wird: Let‘s BuKo!

Yippieyeah – unser Tille ist jetzt Wackelkandidat! Er wünsche sich einen Listenplatz, auf dem es bis zum Schluss spannend bleibt. So hatte unser Jugendkandidat Tilman Loos im Vorfeld der Landesvertreter_innenversammlung vom 29. April den Platz 8 für sich auserkoren. Mehr als genug Anlass, ihm geschmückt mit großen ‚Nr. 8: Loos‘-Buttons und bewaffnet mit 200 saftigen und beklebten Granny-Smith-Äpfeln für die ausgelaugten Delegierten sämtliche Unterstützung im Vorfeld von und während seiner Rede (gleft.de/1I5) zu bieten. Und was das für eine Rede war! Nicht nur wir sind der Überzeugung, dass seine leidenschaftliche Liebeserklärung an die Idee einer Republik Europa der einzige Beitrag an diesem so langen Tag war, der eine wirkliche Aufbruchsstimmung übermittelt hat. In der Stichwahl gegen Sören Pellmann konnte Tille schließlich den Listenplatz 8 erringen und ist auf den Plätzen 1 bis 8 damit der einzige Neuling

in unserer sonst offenbar äußerst strukturkonservativen Landespartei. Wir beglückwünschen Tille von ganzem Herzen und möchten allen Vertreter_innen, die sich unserem Jugendvotum angeschlossen haben, unseren herzlichsten Dank aussprechen. Das gibt uns definitiv Aufwind für unsere Kampagne! Ebenso danken wir allen Genoss_innen, die bei unserem Tortenbasar ordentlich für den guten Zweck genascht haben! So konnten wir über 150 € an eine Geflüchteteninitiative in Dresden spenden. Danke, Danke, Danke!

Gründung des LAK Revolutionäre Linke Sachsen Mehr denn je gibt es heute die Notwendigkeit einer revolutionären Kraft in der linken Bewegung. In Zeiten von Hass und Hetze, rechten Populismus und Rechtsextremismus sowie Reformismus und Opportunismus, ist es unabdingbar geworden, sich revolutionär und sozialistisch zu engagieren! Für eine starke linksjugend [‚solid] Sachsen, braucht es deshalb eine starke Revolutionäre Linke! Mach mit: 17.06.2017, ab

12 Uhr in der Geschäftsstelle der LINKEN in Freiberg. Lange Str. 34, 09599 Freiberg. Um Anmeldung wird gebeten: reik.kneisel@dielinke-mittel sachsen.de oder per Post an die Geschäftsstelle, zu Händen Reik Kneisel. Übrigens: Derzeit existieren zwei aktive Landesarbeits­ kreise in der linksjugend [‚solid] Sachsen: Der LAK Ökologie sowie der LAK Shalomchen!

Leben schützen! Weg mit Paragraph 218! Bald ist es wieder soweit! Die Proteste rund um den Schweigemarsch erreichen auch dieses Jahr wieder AnnabergBuchholz. Selbsternannte Lebensschützer_innen möchten am 12.06.2017 wieder den ,,Marsch für das Leben“ durchführen, wo sie mit ihren Hauptthemenschwerpunkt ,,gegen Abtreibung“ demonstrieren möchten. Organisiert wird das ganze Spektakel von der CDL (Christdemokraten für das Leben). Die CDL propagiert neben ihren antifeministi-

schen Ansichten auch gegen die Schwulenehe und möchte es Homosexuellen gar unmöglich machen, zu heiraten, oder auch Kinder zu adoptieren. Das Bündnis ,,pro choice Sachsen“ ruft wieder zu Gegenprotesten auf, denen wir uns anschließen. Deshalb heißt es auch dieses Jahr wieder: kommt nach Annaberg-Buchholz, damit die selbsternannten Lebensschützer_innen deutlich zu spüren bekommen, dass ihr homophobes und antifeministisches Weltbild in Annaberg-Buch-

holz nichts verloren hat. Aber auch für die Polizei haben wir ein paar Zeilen übrig: Da es bei vergangenen Protesten gegen den Schweigemarsch immer wieder zu willkürlichen Übergriffen gegen Demonstrant_innen kam, raten wir euch dieses Jahr: haltet die Füße still! Es kann nicht sein, dass legaler und notwendiger Protest kriminalisiert wird. Zugleich waren bei der letzten Demonstration gegen den Schweigemarsch auch Menschen von der Bereitschaftspolizei aus Chemnitz dabei,

die durch willkürlichen Einsatz von Tränengas schon bei Demonstrationen in Chemnitz negativ aufgefallen sind. Doch einschüchtern lassen wir uns weder von der Polizei noch von den selbsternannten Lebensschützer_innen. Passt während den Protesten gut auf euch auf und meldet euch bei uns, wenn es zu polizeilichen Übergriffen kommt. Unsere Solidarität gegen ihre Repression! Den Schweigermarsch zum Desaster machen! • Linksjugend [‚solid] Erzgebirge


Seite 11

DIE LINKE im Europäischen Parlament

06/2017 Sachsens Linke!

Roma in Ungarn: Konkrete Hilfe ist nötig

EUROPEAN UNITED LEFT /  NORDIC GREEN LEFT EUROPEAN PARLIAMENTARY GROUP

1990 wurde das Roma-Parlament in Budapest von zivilen Romagruppen gegründet. Es war deren erste nichtstaatliche und selbstverwaltete Dachorganisation. Ziel war es, die Situation der Roma in Ungarn zu verbessern. Dazu wurden öffentliche, künstlerisch-professionelle Programme organisiert und über Rechtsschutz informiert. Von Richard Gauch

Flagge der Roma, beim First World Romani Congress 1971 in London als allgemeines Symbol der internationalen Roma-Ethnie proklamiert. In Budapest wurde vor 25 Jahren ein Bürgerzentrum geschaffen, das u.a. ein Museum beherbergte. Dort gab es auch eine einzigartige Dauerausstellung der zeitgenössischen Kunst der Roma. Die Bibliothek des Roma-Parlaments sammelte alle Ausgaben künstlerischer und fachlicher Werke, um diese dann auch Schulen und Institutionen zur Verfügung zu stellen. Doch warum gibt es das nicht mehr? Im Oktober 2016 haben städtische Beamte Budapests unter Verweis auf „lebensbedrohliche Zustände“ die Räumlichkeiten des Roma-Parlaments aufgebrochen. Das kulturelle Eigentum, eine öffentliche Kunstsammlung, die Archive, Finanzunterlagen, wertvolle Gegenstände aus mehr als 26 Jahren wur-

den an einen unbekannten Ort gebracht. Am nächsten Tag entschied man unter Berufung auf einen Regierungsbeschluss, das nunmehr leerstehende Gebäude auf die Regierung zu übertragen. Diese will hier nun ein „Vorzeigeobjekt“ schaffen. Offensichtlich soll das Roma-Parlament durch ein regierungstreues Angebot ersetzt werden. Wie sonst ist es zu erklären, dass bis zum heutigen Tage dem Roma-Parlament weder das entwendete Eigentum zurückgegeben, noch ein alternatives Gebäude zur Nutzung zur Verfügung gestellt wurde. Es ist festzustellen, dass sich in Ungarn fast überall die Situation für Roma weiter verschlechtert. Dabei werden Roma eher indirekt denn direkt benachteiligt. Viel wird über Geld gesteuert: Wenn man

kein Geld hat, kann man den Bus nicht bezahlen, kann man also nicht zur Schule oder zum Arzt fahren. Es gibt Dörfer, in denen in einem Teil (fast) nur Roma leben und in denen es keine Infrastruktur gibt. Dies liegt dann zumeist daran, dass dies eine bewusste politische Entscheidung vom Bürgermeister ist. Allerdings gibt es hier auch Ausnahmen. Es gibt Bürgermeister, die selbst der Regierungspartei angehören und das trotzdem nicht mitmachen, die im Gegenteil versuchen, den Zusammenhalt vor Ort zu befördern. Doch um etwas in Bewegung zu bringen, braucht man Geld. Um eine teilweise Eigenversorgung mit Lebensmitteln zu ermöglichen, braucht es Anschubinvestitionen – z.B. für Samen, um so selbst Lebens-

mittel anbauen zu können. Wir betreiben seit fünf Jahren ein solches „Samenprojekt“. An einem ersten Projekt waren 25 Familien beteiligt. 10 Euro reichten aus, damit die Familien sich drei Monate selbst verpflegen können. Das Projekt ist so gut, dass es sich rumgesprochen hat. Weitere Roma-Gemeinden haben angefragt, ob sie auch Samen bekommen können. So wurden im Frühjahr weitere 750 Euro über Spenden gesammelt, damit jetzt weitere 75 Familien mitmachen können. Sicher, grundsätzlich ist die Politik gefordert, hier etwas zu verändern. Doch wenn Victor Orban daran kein Interesse hat, kann und muss man konkret und direkt helfen. Mit wenig Geld kann man viel ermöglichen. Viele haben das schon

getan. So bedankt sich die BI Leipzig Korrektiv bei Mitgliedern und MandatsträgerInnen der LINKE. auf allen Ebenen und insbesondere beim Leipziger Stadtverband, dem Sächsischen Landesverband sowie den Fraktionen im Sächsischen Landtag, im Bundestag sowie der Fraktion GUE/NGL im EU-Parlament.

Wer unsere Projekte unterstützen will, kann auf folgendes Konto spenden: Spendenadresse: Menschen.Würdig e.V., IBAN: DE20 8306 5408 0004 9621 09, BIC: GENODEF1SCR, Verwendungszweck: BI Leipzig Korrektiv


Sachsens Linke! 06/2017

DIE LINKE im Bundestag

Seite 12

Lizenz zum Gelddrucken für Rheinmetall? Eine Lizenz zum Gelddrucken – welch verlockender Gedanke mag das sein, besonders wenn das eigene Einkommen nicht üppig ist und an allen Ecken und Enden geknapst werden muss. Nun muss der größte deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall mit einem Jahresumsatz von zuletzt 5,6 Milliarden Euro nicht knapsen. Trotzdem hat er gute Chancen, vom Verteidigungsministerium einen Auftrag zu erhalten, der einer Lizenz zum Gelddrucken entspricht. Einen Unterschied gibt es allerdings: Das Geld kommt nicht aus Druckmaschinen, sondern von den Steuerzahler*innen. Es geht um zwei Großvorhaben, die „Mobile taktische Kommunikation (MoTaKo)“ und den „Mobilen taktischen Informationsverbund (MoTIV)“, mit denen die veralteten Funksysteme der Bundeswehr vollständig erneuert werden sollen. Das Gesamtvolumen dürfte eine Größenordnung im mittleren einstelligen Milliarden Euro-Bereich haben, müssen doch unter anderem tausende Bundeswehr-Fahrzeuge umgerüstet werden. Ein erster kleiner Teilauftrag soll nun vergeben werden. Er hat ‚nur‘ ein Volumen von rund 90 Millionen Euro für die Umrüstung von 50 Truppentransporter ‚Boxer’ und soll an das deutsche Unternehmen Rohde & Schwarz gehen. An dem

Foto: Michael Leutert

Von Michael Leutert, MdB

Protestaktion vor dem Bundestag gegen den Plan von Rheinmetall, in der Türkei eine Panzerfabrik zu errichten. Vertragsentwurf lässt sich einiges kritisieren, doch sticht ein Punkt hervor: Das Verteidigungsministerium hat darauf verzichtet, eine eigene Wellenform, also die Software, zu entwickeln, sondern wird sie vom Anbieter der Geräte mitkaufen. Nun ist es kaum vorstellbar, dass Rohde & Schwarz die eigene Software künftigen Mitbewerbern um Folgeaufträge zur Verfügung stellen wird. Sollte der Vertrag so zustande kommen, begibt sich das Verteidigungsminis-

terium freiwillig in eine Abhängigkeit des Unternehmens, die einem unkündbaren Kettenvertrag gleichkommt. An dieser Stelle kommt Rheinmetall, nicht zuletzt Spezialist für elektronische Entwicklungen im Militärbereich, ins Spiel. Bereits Ende März hatten Rohde & Schwarz und Rheinmetall in einer gemeinsamen Pressemitteilung die Gründung eines Joint Ventures verkündet, das nur einem Zweck dient: den Auftrag für die MoTaKo und der

Soziale Grundrechte müssen ins Grundgesetz Die im UN-Sozialpakt verankerten sozialen Menschenrechte sind zwar Teil der deutschen Rechtsordnung geworden. Sie können jedoch nicht als Grundrechte mit einer Verfassungsbeschwerde eingeklagt werden. Es ist also Zeit für eine Grundgesetzänderung. Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag legte daher einen Gesetzesentwurf (BundestagsDrucksache 18/10860) zur Aufnahme sozialer Grundrechte ins Grundgesetz vor. Leider haben die Fraktionen CDU/

CSU und SPD im Bundestag unseren Antrag abgelehnt, auch Bündnis 90/Die Grünen haben nicht zugestimmt. Das ist beschämend! Hier zeigt sich wieder, wie ernst es genannte Parteien mit sozialen Grundrechten meinen. Um welche Grundrechte handelt es sich? Es geht zum Beispiel: n um das Recht auf soziale Sicherheit und auf ein menschenwürdiges Existenz- und Teilhabe­minimum,

n um das Recht auf frei gewählte oder angenommene Arbeit sowie auf einen angemessenen und einen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit, n um das Recht auf eine menschenwürdige und diskriminierungsfrei zugängliche Wohnung und auf Versorgung mit Wasser und Energie, n um das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung der Gesundheit sowie auf Inanspruchnahme der Gesundheits- und Pflegeleistungen,

MoTIV in seinem gesamten Umfang zu erhalten und abzuwickeln. Rheinmetall, der größere Partner, hält 74,9, Rohde & Schwarz 25,1 Prozent. Offenbar war man sich bereits Monate vor dem geplanten Abschluss des ersten Teilvertrags sicher, was für ein dicker Fisch dadurch an Land gezogen werden würde. So ist der Pressemitteilung kaum versteckte Freude zu entnehmen, wenn vom Milliardenvolumen des Gesamtauftrags die Rede ist, obwohl dessen

n um das Recht auf Bildung, n um das Recht aller Kinder

und Jugendlicher auf Förderung ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten sowie das Recht zur Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit, n und um das Recht auf Asyl. Um die Bedeutung der Grund­rechte zu verdeutlichen: Grundrechte hat jeder Mensch, weil er Mensch ist. Grundrechte muss man sich nicht erst verdienen. Sie müssen aber, so zeigt die politische Situation, erkämpft werden: So lehnen die Bundesregierung und oben genannte Parteien nicht nur die Aufnahme sozialer Grundrechte ins Grundgesetz ab. Die Bundesregierung verweigert auch bis heute die Ratifizierung der modernisierten, revidierten Euro-

weitaus größere Teile noch gar nicht ausgeschrieben sind. Zwar ist der Vertrag noch nicht unterzeichnet, weil der Tagesordnungspunkt Mitte Mai ebenso wie andere kurzfristig von der Großen Koalition im Haushaltsausschusses abgesetzt wurde. Ein grundlegendes Umdenken bedeutet das jedoch nicht. So steht mit Rheinmetall ausgerechnet jener Konzern vor einem lukrativen Geschäft, dessen unverfrorener Plan, durch den Bau einer Panzerfabrik in der zunehmend diktatorisch regierten Türkei die deutschen Rüstungsexportregeln zu umgehen, in den letzten Wochen für Aufsehen gesorgt hat. Die Forderung der LINKEN, Rheinmetall keinen staatlichen Auftrag mehr zu bewilligen, solange das Unternehmen an seinem Plan festhält, beantwortet die Bundesregierung auf ihre Weise: Rheinmetall soll nicht nur durch die Hintertür einen Milliardenauftrag erhalten, es darf mit Rohde & Schwarz auch noch die Preise der einzelnen Teilaufträge diktieren, weil es keine Mitbewerber gibt. Es gibt also mehr als einen Grund, den Vertragsentwurf abzulehnen. Völlig aussichtslos ist das nicht. Schließlich bleiben nicht mehr viele Sitzungen des Haushaltsausschusses vor den Bundestagswahlen. Danach werden die Karten neu gemischt.

päischen Sozialcharta, mit der die Instrumente zum Schutz der sozialen Menschenrechte weiterentwickelt wurden. Sie ist somit in Deutschland nicht rechtskräftig. Wir müssen festhalten: Statt Vorbild für ein soziales Europa zu sein, verweigern Bundesregierung und oben genannte Parteien die rechtswirksame Anerkennung sozialer Grundrechte. Auch das ist ein Grund, für eine starke LINKE im nächsten Bundestag zu kämpfen und sich gemeinsam mit den sozialen Bewegungen für ein wirklich soziales Deutschland zu engagieren. Wer eine Demokratie haben will, muss vorbehaltlos soziale Grundrechte erfüllen. Wer das verhindert, gefährdet die Demokratie. • Katja Kipping


Kommunal-Info 5-2016 6. Juni 2017 Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

KFS

Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Gesundheit Veranstaltung des KFS zur gesundheitlichen Versorgung im ländlichen Raum Seite 3

Feuerwehr Feuerwehren und Kommunen sind starke Partner, wenn es um den Schutz der Bevölkerung, soziales Engagement und gesellschaftlichen Zusammenhalt geht Seite 3

Integrationskonzepte Kommunale Integrationskonzepte Selbstreflexion und Leitbilder der Einwanderungsgesellschaft Seite 4

Beiräte in der Kommunalpolitik Ein Blick in Lexika verrät, dass Beiräte grundsätzlich Gremien mit rein beratender Funktion sind und keine Entscheidungs- oder Kontrollfunktion haben. Es steht ihnen allenfalls zu, Empfehlungen auszusprechen, die aber nicht zwingend eine Bindungswirkung für das Beschlussgremium entfalten müssen. Im kommunalen Bereich bestehen Beiräte auf ganz unterschiedlichen Gebieten wie z.B. Kulturbeiräte bei den Kulturräumen nach Sächsischem Kulturraumgesetz, Jobcenter-Beiräte nach Sozialgesetzbuch II, Naturschutzbeiräte nach Sächsischem Naturschutzgesetz oder der Beirat für geheimzuhaltende Angelegenheiten, der den Bürgermeister oder Landrat in besonders der Geheimhaltung unterliegenden Weisungsaufgaben beraten kann. All diese Beiräte werden nachfolgend nicht Gegenstand der Betrachtung sein. Hier soll es nur um sog. „Sonstige Beiräte“ (Seniorenbeirat, Behindertenbeirat, Jugendbeirat, Ausländerbeirat, Agenda21beirat, Wohnungsbeirat, Sportbeirat, Kleingartenbeirat u.a.m.) gehen, zu denen die Sächsische Gemeindeordnung (SächsGemO) in § 47 in recht knapper Form folgendes bestimmt: „Durch die Hauptsatzung können sonstige Beiräte gebildet werden, denen Mitglieder des Gemeinderats und sachkundige Einwohner angehören. Sie unterstützen den Gemeinderat und die Gemeindeverwaltung bei der Erfüllung ihrer Aufgaben.“1 Mit dieser kurzen und recht allgemeinen Vorgabe über die sonstigen Beiräte hat sich der Gesetzgeber mit weitergehenden und allzu konkreten Bestimmungen zurückgehalten und überlässt damit den Gemeinden „denkbar weite

Regelungsbefugnisse“.2 In den Erläuterungen der Muster-Hauptsatzung des Sächsischen Städte- und Gemeindetags wird aber davor gewarnt, eine Unmenge von Beiräten in der Gemeinde einzurichten: „Erfahrungsgemäß führt die Existenz derartiger Gremien zu einer unkontrollierten Ausweitung der Beratungstätigkeit, da praktisch für jedes sachliche Aufgabengebiet oder für jede denkbare Interessengruppe, Beiräte gebildet werden können. Es droht eine Zersplitterung bzw. Verästelung der Gemeinderatsarbeit, die die eigentliche Tätigkeit der Gemeinderatsmitglieder im Gemeinderat und in den Ausschüssen möglicherweise belastet. Es ist jeder einzelnen Gemeinde aber selbstverständlich überlassen, nach eigenem Ermessen Beiräte auf Grundlage des § 47 SächsGemO zu bilden.“3

Rechtliche Stellung der Beiräte

In der Kommentierung zur SächsGemO werden die „Sonstigen Beiräte“ nach § 47 wie Ausschüsse und Fraktionen als Organteile des Gemeinderats charakterisiert. Begründet wird das damit, dass die Bestimmung über die Beiräte in der SächsGemO unter dem Teil „Verfassung und Verwaltung der Gemeinde“ unter dem Abschnitt „Gemeinderat“ zu finden ist; dass ihre Bildung kann nur durch die Hauptsatzung, d.h. einen dem Gemeinderat vorbehaltenen Normsetzungsakt erfolgen kann; weil mit ihrer Bestimmung als ein den Gemeinderat unterstützendes Gremium ein Beleg dafür geliefert wird, dass die Beiräte und der Gemeinderat eng miteinander verbunden sind.4 Durch die Mitgliedschaft sachkundiger Einwohner in den Beirä-

ten nehmen diese eine Sonderstellung ein. Während in den Ausschüssen die sachkundigen Einwohner nur eine beratende Funktion haben und in der Minderheit sind, genießen sie in den Beiräten eine gleichberechtigte Stellung neben den dort vertretenen Gemeinderäten. Durch ihre „Vollmitgliedschaft“ verfügen die sachkundigen Einwohner innerhalb der Beiräte über eine vollständige Mitwirkungsbefugnis: sie haben dort nicht nur ein Rederecht, sondern ebenfalls ein Antragsrecht und ein Stimmrecht. Die „sonstigen Beiräte“ besitzen einen eigenständigen rechtlichen Status. Der Gesetzgeber hat die einzelnen Organisationsformen (Beschließende Ausschüsse, Beratende Ausschüsse, Beiräte) „jeweils mit einem eigenen, unverwechselbaren rechtlichen Profil versehen und damit einen entsprechenden Typenzwang begründet.“ Deshalb wäre es unzulässig, Beiräte etwa mit den Ausschüssen „miteinander zu kombinieren oder gegenseitig auszutauschen.“5 Im Unterschied zu den Beratenden Ausschüssen können die Sitzungen des Beirats grundsätzlich öffentlich stattfinden, sofern nicht das öffentliche Wohl oder berechtigte Interessen Einzelner nach § 37 SächsGemO entgegenstehen. Der Grundsatz der öffentlichen Sitzung gilt auch für die Vorberatung von Angelegenheiten zur Gemeinderatssitzung. Insbesondere die mit einer Interessenvertretung betrauten Beiräte sollten ihrer Funktion entsprechend nicht hinter verschlossenen Türen tagen. Strittig ist, ob sich Beiräte eine eigene, nur für den jeweiligen Beirat geltende Geschäftsordnung geben können. Das wird einerseits bestritten und die Auffassung vertreten, dass

die Geschäftsordnung des Gemeinderats auch für die Beiräte gilt.6 Dem steht die Auffassung entgegen, dass die Geschäftsordnung des Gemeinderats „lediglich den Gemeinderat und seine Mitglieder“ bindet und auf Beiräte keine Anwendung findet.7 Daraus wäre dann abzuleiten, dass sich Beiräte für ihre eigene Tätigkeit sehr wohl selbst eine Geschäftsordnung geben können.

Die Bildung von Beiräten

Die Einrichtung von Beiräten nach § 47 SächsGemO kann der Gemeinderat nur über eine Hauptsatzungsregelung erreichen. Der Beschluss der Hauptsatzung bzw. eine Änderung der Hauptsatzung mit dem Ziel, einen Beirat zu installieren, bedürfen der Zustimmung einer Mehrheit aller Gemeinderatsmitglieder, wobei die Stimme des Bürgermeisters mitzählt. Da es keinen „allgemeinen“ Beirat geben kann, ist für jeden Beirat in der Hauptsatzung auch die entsprechende Namensbezeichnung des jeweiligen Beirats zu treffen und dessen Aufgabengebiet abzustecken. In jedem Fall ist auch der Namensbestandteil „-beirat“ zu verwenden, um eine Verwechslung mit zeitweiligen Arbeitsgruppen oder anderen informellen Gremien zu vermeiden und damit auch klarzustellen, dass es sich um einen Beirat nach § 47 SächsGemO handelt. Einem kommunalen Beirat haben Mitglieder des Gemeinderats und sachkundige Einwohner anzugehören. Im Vergleich zur Bildung von Ausschüssen macht das Gesetz aber hier keine weiteren konkreteren Vorgaben. So wird den Gemeinden bei der Bildung von Beiräten ein großer Regelungsspielraum überlassen, solange Fortsetzung auf folgender Seite


Kommunal-Info 5/2017 sichergestellt ist, dass im Beirat Gemeinderatsmitglieder und sachkundige Einwohner vertreten sind. Da im Gesetz im Plural von Mitgliedern des Gemeinderats und von sachkundigen Einwohnern die Rede ist, müssen danach mindestens 2 Vertreter aus jeder Gruppe im Beirat sitzen.8 In der Hauptsatzung ist die Gesamtzahl der Mitglieder des Beirats zu bestimmen, dabei die auf die Mitglieder des Gemeinderats und die auf die sachkundigen Einwohner entfallenden Sitze. Außerdem ist zu regeln, wie der Vorsitzende und ggf. dessen Stellvertreter bestimmt werden.

Zusammensetzung der Beiräte

Wenn das Gesetz verlangt, in den Beiräten müssen sowohl Mitglieder des Gemeinderats als auch sachkundige Einwohner vertreten sein, bedeutet das keinesfalls, dass die Beiräte aus beiden Gruppen paritätisch besetzt sein müssen. Zulässig wäre, wenn die Gemeinderatsmitglieder die Mehrheit oder umgekehrt die sachkundigen Einwohner die Mehrheit im Beirat stellten. „Ein zu starkes Übergewicht der Gemeinderatsmitglieder verbietet sich allerdings nach der politischen Funktion der Beiräte. Diese werden gerade mit dem Ziel eingesetzt, das Fachwissen und die Erfahrung sachkundiger Einwohner im Interesse einer hohen Qualität der gemeindlichen Entscheidungen zu mobilisieren.“9 Befänden sich die sachkundigen Einwohner in einer winzigen Minderheit, würde das dem spezifischen Anliegen von Beiräten abträglich sein, die sachkundigen Einwohner wären dann zu bloßen Alibifiguren degradiert. Umgekehrt sollten jedoch auch die Gemeinderatsmitglieder im Beirat nicht in eine völlige Nebenrolle abgedrängt werden. Auch sie können Fachwissen in den Beirat einbringen, insbesondere aber den sachkundigen Einwohnern die Situation der Gemeinde unter allgemein kommunalpolitischen, personalwirtschaftlichen, finanziellen oder sonstigen gewichtigen Aspekten erklären und sie für die praktischen Auswirkungen ihrer Überlegungen zu sensibilisieren, um allzu unrealistischen Forderungen und Wünschen entgegenzuwirken. Letztlich geht es darum, für die Zusammensetzung der Beiräte in Abhängigkeit von dem ihnen zugewiesenen Aufgabenkreis eine optimale Relation zwischen Gemeinderatsmitgliedern und sachkundigen Einwohnern zu finden. In der Hauptsatzung kann bei der Bildung eines Beirats außerdem festgeschrieben werden, welche in der Gemeinde ansässigen Interessen- oder Fachverbände durch jeweils einen sachkundigen Einwohner im Beirat vertreten sind. Die Gesamtzahl der Mitglieder eines Beirats sollte ebenfalls in Abhängigkeit vom jeweiligen Aufgabenkreis und in Anlehnung an die Mitgliedergröße der Ausschüsse bestimmt werden. Insgesamt soll die Größe der Beiräte in einem angemessenen Verhältnis zur Größe des Gesamtgemeinderats stehen.10

Bestellung der Beiratsmitglieder

Die Bestellung der Mitglieder des Beirats, der Gemeinderatsmitglieder

Seite 2 wie der sachkundigen Einwohner, ist allein Sache des Gemeinderats. Zum Verfahren der Bestellung der Beiratsmitglieder werden in § 47 SächsGemO keine weitergehenden Bestimmungen getroffen, den Gemeinden wird hierbei je nach konkreter Situation ein eigener Regelungsspielraum überlassen. Für die Bestellung der Gemeinderatsmitglieder im Beirat könnte wie bei der Besetzung von Ausschüssen nach der Mandatsverteilung im Gemeinderat vorgegangen werden. Werden etwa in der Hauptsatzung 5 Sitze für Gemeinderatsmitglieder bestimmt, wären diese dann auf die Fraktionen nach ihrer jeweiligen Stärke aufzuteilen. Während bei der Besetzung von Ausschüssen oder bei der Entsendung von Vertretern der Gemeinde in Aufsichtsräte und Zweckverbände so zu verfahren ist, geht aus dem Gesetz jedoch

gerecht werden. Zunächst bestünde die Möglichkeit, bei der Bestellung der sachkundigen Einwohner in die Beiräte ähnlich wie bei der Berufung sachkundiger Einwohner in Ausschüsse nach § 44 Abs. 2 SächsGemO zu verfahren.11 Danach würde jeder sachkundige Einwohner einzeln durch eine Mehrheitswahl bestellt. Bevor jedoch eine Wahl stattfindet, kann die Bestellung auch im Verfahren der Einigung erfolgen, entweder für einzelne Vorschläge oder auch im Block. Eine Einigung wird dann erzielt, wenn kein Mitglied des Gemeinderats widerspricht oder sich der Stimme enthält. Liegen nun für die sachkundigen Einwohner mehr Vorschläge oder Bewerbungen für den Beirat vor als die in der Hauptsatzung festgelegte Anzahl der Sitze, dann empfiehlt sich nur die

an keiner Stelle direkt oder indirekt hervor, bei der Besetzung der Beiräte ebenso nach diesem Prinzip zwingend vorzugehen. Denkbar wäre auch im Zuge einer Einigung im Gemeinderat, für jede Fraktion einen Sitz im Beirat zu bestimmen und in der Hauptsatzung so festzulegen. Auf dieser Grundlage würde dann jede Fraktion einen Personalvorschlag unterbreiten. Für die Bestellung der sachkundigen Einwohner als Mitglied in Beiräten muss zunächst die Voraussetzung erfüllt sein, dass die betreffenden Personen tatsächlich Einwohner der Gemeinde sind. Sie müssen in der Gemeinde wohnen, d.h., eine Wohnung in der Gemeinde haben und diese auch nutzen. Es muss nicht die Hauptwohnung sein und die Betreffenden müssen auch nicht die deutsche Staatsbürgerschaft bzw. die Staatsbürgerschaft eines anderen Mitgliedstaats der EU innehaben. Mitglieder des Gemeinderats können nicht als sachkundige Einwohner in Beiräte bestellt werden. Zur Bestellung der sachkundigen Einwohner können je nach Situation unterschiedliche Verfahren zur Anwendung kommen, auch hier überlässt der Gesetzgeber den Gemeinden einen weiten Regelungsspielraum. Um dem Grundanliegen von Beiräten zu entsprechen, muss jedoch Zielstellung sein, solche Einwohner als Mitglieder aufzunehmen, die im Aufgabenkreis des jeweiligen Beirats ein hohes Maß an Sachkunde einbringen können. Eine Zuteilung der Beiratssitze nach dem Proporz der Parteien/Wählervereinigungen im Gemeinderat würde hingegen dem Anliegen von Beiräten nicht

geheime Wahl im Gemeinderat. Nach der erreichten Stimmenzahl werden dann die Sitze im Beirat vergeben. Sollten von vornherein Beiratssitze explizit an ganz bestimmte Interessenoder Fachverbände in der Hauptsatzung festgeschrieben werden, könnte auch hier die Bestellung im Verfahren der Einigung erfolgen, entweder für einzelne Vorschläge oder auch im Block. Sollte keine Einigung erzielt werden, müsste dann die Bestellung für jeden einzelnen Vorschlag durch Mehrheitswahl erfolgen. Ausgeschlossen bleibt aber eine direkte Entsendung oder verbindliche Wahl der sachkundigen Einwohner durch die Interessen- oder Fachverbände selbst. Sofern diese Verbände bestimmte Personen als Beiratsmitglieder benennen oder wählen, ist dies rechtlich nur als Vorschlag für den Gemeinderat zu bewerten.12 Für die Gemeinderatsmitglieder wie für die sachkundigen Einwohner können nach den gleichen Verfahren auch jeweils Stellvertreter bestellt werden. Sofern die Hauptsatzung nichts anderes bestimmt, werden der Beiratsvorsitzende und sein Stellvertreter aus der Mitte des Beirats gewählt. Nach jeder Gemeinderatswahl muss jeder Beirat neu bestellt werden, so er denn nach dem Willen des Gemeinderats weiter bestehen soll. Die Mitglieder aus dem Gemeinderat sind neu zu bestellen, um ggf. die notwendige Anpassung an die veränderte Mandatsverteilung vorzunehmen. Zugleich sind aber ebenso die sachkundigen Einwohner neu zu bestellen, da sie der Legitimation durch den neu gewählten Ge-

meinderat bedürfen. Der Gemeinderat kann kraft seiner Organisationshoheit die Beiratsmitglieder auch während der laufenden Wahlperiode neu bestellen. Zuvor hat er jedoch die Bestellung der bisherigen Mitglieder zu widerrufen.

Funktionen der Beiräte

Bereits aus dem Namen „Beirat“ lässt sich ableiten, dass es sich hier um ein Gremium mit beratender Funktion handelt. Ihre konsultative Funktion üben die Beiräte insbesondere dadurch aus, indem sie ähnlich den beratenden Ausschüssen als Vorberatungsinstanz für den Gemeinderat fungieren. Wie die Ausschüsse bereiten sie die Beratung und Beschlussfassung für den Gemeinderat vor, indem zu den jeweiligen Verhandlungsgegenständen eine Bewertung und Wichtung vorgenommen wird, unterschiedliche Entscheidungsvarianten entwickelt werden, die Vorzüge und Nachteile der jeweiligen Varianten aufgezeigt werden und dem Gemeinderat eine bestimmte Empfehlung unterbreitet wird. Durch die fachliche Kompetenz der sachkundigen Einwohnern wird eine Erweiterung des Erkenntnishorizonts erwartet, wodurch die Qualität der gemeindlichen Entscheidungen insgesamt erhöht werden kann. Vor allem aber kann die Integration ihrer fachlichen Kompetenz in den kommunalen Willensbildungsprozess die allgemeine Akzeptanz der daraus hervorgehenden Ratsbeschlüsse fördern. Über die bloße Vorberatung hinausgehend haben die Beiräte auch die Möglichkeit, eine Initiativfunktion wahrzunehmen. Sie äußern sich also nicht nur zu Gemeinderatsvorlagen, sondern ergreifen selbst die Initiative, um bestimmte Angelegenheiten zur Beratung und Entscheidung in den Gemeinderat einzubringen. Die Beiräte werden so in ihrem Aufgabenkreis als eine Art Ideenwerkstatt wirksam, aus der sie dann eigenständige Vorschläge für den Gemeinderat unterbreiten. Zur Wahrnehmung ihrer Initiativfunktion haben Beiräte das Recht, im Rahmen ihres Aufgabenkreises Anträge an den Gemeinderat zu stellen. Daraus erwächst die Pflicht des Gemeinderats, sich mit diesen Anträgen zu befassen und darüber eine Entscheidung herbeizuführen. In diesem Zusammenhang haben die Beiräte ebenso ein Recht auf Information. Fortsetzung auf Seite 3

Impressum Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel.: 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Red., Satz und Layout: A. Grunke V.i.S.d.P.: P. Pritscha Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushalts finanziert.


Kommunal-Info 5/2017

Seite 3

Feuerwehr und Kommunen - Gemeinsam für Sicherheit vor Ort Dienst in der Feuerwehr sichert berufliche Qualifikation und Sozialkompetenz Feuerwehren und Kommunen sind starke Partner, wenn es um den Schutz der Bevölkerung, soziales Engagement und gesellschaftlichen Zusammenhalt geht. Dies betonten der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), Hartmut Ziebs, und der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), Dr. Gerd Landsberg, bei einem Meinungsaustausch in Berlin. Bei diesem Spitzentreffen der Verbände standen auch die Themen Integration und Nachwuchsgewinnung der Feuerwehren auf der Tagesordnung. Die freiwilligen Feuerwehren und die Berufsfeuerwehren sind ein unverzichtbarer Bestandteil des Brand-, aber auch des Katastrophenschutzes in Deutschland. „Ohne unsere Feuerwehren vor Ort können wir weder den Brandschutz noch die notwendigen Unterstützungen bei Natur- oder sonstigen Katastrophen sicherstellen“, erklärten Ziebs und Landsberg. „Kommunen und Feuerwehren sind starke Partner, wenn es um die Sicherheit der Menschen vor Ort geht. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger“. Deutschland hat ein international hoch angesehenes System des Brandund Katastrophenschutzes. Die 23.000 Freiwilligen Feuerwehren mit einer Million Mitgliedern und die rund 100 Berufsfeuerwehren mit ihren 30.000 Feuerwehrleuten sind ein unverzichtbarer Bestandteil in der Sicherheitsstruktur Deutschlands. Die Freiwilligen Feuerwehren in den Städten und Gemeinden spielen dabei eine herausragende Rolle, da die Berufsfeuerwehren den Brandschutz allein nicht sicherstellen können. Gerade diese Freiwilligen Feuerwehren stehen vor enormen Herausforderungen. In einzelnen Landesteilen finden sich nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels zunehmend weniger Menschen, die sich in den Freiwilligen Feuerwehren engagieren wollen. Auch die Berufsfeuerwehren finden in einzelnen Regionen nicht ausreichend Nachwuchskräfte. DFV und DStGB fordern eine bundesweite Imagekampagne. Fortsetzung von Seite 2

Beiräte...

Gegenüber den Ausschüssen haben die Beiräte aber außerdem die Funktion der Interessenvertretung wahrzunehmen. Sachkunde soll hier aus der Kenntnis der spezifischen Lebensbedingungen bestimmter Personengruppen (z.B. Senioren, Ausländer, Behinderte) erwachsen. Beiräte für diese Personengruppen werden gerade deshalb eingerichtet, um Defizite bei der Wahrnehmung ihrer Belange zu vermeiden. So fungieren die Beiräte eben auch als Gremien zur Interessenvertretung „Betroffener“. Um dies effektiv wahrnehmen zu können, soll der Beiratsvorsitzende außer dem Teilnahmerecht an Gemeinderatssitzungen auch hier das Rede- und Antragsrecht haben.13 Jedoch wird davor gewarnt, allzu

„Es muss uns allen bewusst sein, dass ohne Freiwillige Feuerwehren der Brandschutz nicht sichergestellt werden kann“, betonten Ziebs und Landsberg. Darüber hinaus sind gerade die Freiwilligen Feuerwehren wichtiger Partner der Kinder- und Jugendarbeit in den Städten und Gemeinden. Konkret schlagen die Verbände vor, das Tätigkeitsprofil der Feuerwehren vor Ort noch bekannter zu machen. Es müssen in der Zusammenarbeit mit Kitas und Schulen Kinder und Jugendliche für ein Engagement gewonnen werden. „Kinder in der Feuerwehr“ sind ein erster Schritt für die Nachwuchsgewinnung. Über eine verstärkte Jugendarbeit können Kinder und Jugendliche für eine Arbeit bei den Feuerwehren gewonnen werden. Es sollten auch weiterhin gezielt Frauen für eine Tätigkeit bei den Feuerwehren geworben werden. Im Rahmen des Dienstes in der Feuerwehr können junge Menschen auch wertvolle Qualifikationen für ihre berufliche Zukunft erwerben. Dazu gehören neben sozialen Kompetenzen vor allem auch spezifische Qualifikationen, etwa in den Bereichen Sicherheit, Umwelt oder im mechanischen Bereich. Ein wichtiges Thema bei beiden Verbänden ist zudem die Gewalt gegen

Feuerwehrleute und Rettungskräfte. Diese zu verhindern sei eine entscheidende Voraussetzung dafür, Menschen

ausschweifend Beiräte mit der Zielstellung der Interessenvertretung einzurichten. Der Gemeinderat würde sich dadurch „ein kommunalpolitisches Armutszeugnis ausstellen. Es wäre für jedermann sichtbar, dass er seine und die Tätigkeit seiner Organteile in erster Linie als Lobbyarbeit versteht und keine übergeordnete Verantwortung für die Geschicke der Gemeinde übernehmen möchte. Bei einer solchen Fragmentierung der kommunalen Strukturen nähme die Gemeindeverfassung ständestaatliche Züge ein.“14 Gegenüber Bürgern und Einwohnern können Beiräte auch durch Beratung, Information, Sprechstunden und einfache technische Hilfen fungieren, insbesondere im Zusammenhang mit ihrer Funktion der Interessenvertretung des von ihnen betreuten Personenkreises. Die Beiräte „sind also nicht gehalten, die Fragesteller oder Petenten

umgehend an die Gemeindeverwaltung zu verweisen, sondern dürfen sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten der Anliegen unmittelbar annehmen. Werden die Probleme der Einwohner derart zu ihrer Zufriedenheit gelöst, erfährt die Gemeindeverwaltung in diesem Umfang eine tatsächliche Entlastung.“15 AG —

für ein Engagement zu gewinnen. Gegen Übergriffe auf Feuerwehrleute, die ihr Leben und ihre Gesundheit für das Allgemeinwohl einsetzen, dürfe es keine Toleranz geben. „Dies verbieten allein der Respekt und die Wertschätzung gegenüber den Einsatzkräften“, so Ziebs und Landsberg. Zudem können Kommunen und Feuerwehren gemeinsam einen wichtigen Beitrag zur Integration von Migranten und Geflüchteten leisten. Zahlreiche Landesfeuerwehrverbände engagieren sich vor Ort im Projekt „Zusammenhalt durch Teilhabe“. „Integration funktioniert dann besonders gut, wenn die zu uns gekommenen Menschen durch ihr Engagement zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen können. Die Mitarbeit in den Feuerwehren kann Sinn stiften und den Anschluss an die Gemeinschaft vor Ort erleichtern“, so Ziebs und Landsberg abschließend. (Dt. Städte- und Gemeindebund, Pressemitteilung Nr. 16/2017 vom 24.05.2017)

Kommunalpolitisches Fachforum

Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum am Sonnabend, 24. Juni, 10-13 Uhr in Hohenstein-Ernstthal Gaststätte „Zur Zeche“, Zechenstraße 1 Schwerpunkte: Wie ist der Status quo? Welche Chancen und welche Hemmnisse einer angemessenen Gesundheitsversorgung bestehen im Landkreis Zwickau? Wie ist eine dauerhafte Sicherung möglich? Referentin: Carmen Baumgart Geschäftsführerin der Kassenärztlichen Vereinigung Bezirk Chemnitz) Anmeldungen bitte an: Kommunalpolitisches Forum Sachsen e.V. Großenhainer Straße 99 01127 Dresden Tel. 0351-4827944 oder 4827945 Fax: 0351-7952453 info@kommunalforum-sachsen.de www.kommunalforum-sachsen.de Teilnehmerbeitrag: 3,00 EUR

1 In § 43 der Sächsischen Landkreisordnung gibt es für die Unterstützung des Kreistags und der Kreisverwaltung eine analoge Bestimmung. 2 Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar mit weiterführenden Vorschriften, G § 47, Randnummer (Rn) 10. 3 Sachsenlandkurier 2014, S. 66. 4 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar…, Rn 11f. 5 Ebenda, Rn 26.

6

Vgl. ebenda, Rn 94f. Vgl. Binus/Sponer/Koolman, Sächsische Gemeindeordnung. Kommentar, Kommunal- und Schulverlag 2016, S. 149. 8 Vgl. Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen. Ergänzbarer Kommentar… Rn 43. 9 Ebenda, Rn 49. 10 Vgl. ebenda, Rn. 44. 11 Vgl. ebenda, Rn 59. 12 Vgl. ebenda, Rn 65. 13 Vgl. ebenda, Rn 92. 14 Vgl. ebenda, Rn 35. 15 Vgl. ebenda, Rn 41. 7


Kommunal-Info 5/2016

Seite 4

Kommunale Integrationskonzepte Selbstreflexion und Leitbilder der Einwanderungsgesellschaft Teil I Von Konrad Heinze, Chemnitz Im vorangegangenen Artikel „Integration - Eine kommunale Begriffsgeschichte Teil II“, erschienen in der Kommunal-Info 04/2017, wurde auf die Rolle eines positiven und sinnstiftenden Selbstbildes von Einwanderungsgesellschaft verwiesen. Dieses soll aber gerade nicht dazu dienen, soziale Ungleichheiten und Konflikte mithilfe einer romantisierten Vorstellung von „urtümlicher“ Gemeinschaft zu verklären und zu überdecken. Vielmehr soll es das immer wieder neu aus- und zu verhandelnde Narrativ einer noch im Werden begriffenen, pluralistischen Gesellschaft sein, in welcher Migration eine Normalität von vielen ist. Eine Vergegenwärtigung dessen und damit über eine gesellschaftliche Utopie zu verfügen, ist keinesfalls eitle Selbstbeschäftigung, sondern zeitigt einen praktischen Nutzen. So fällt es doch auf, „dass selbst dann, wenn konkrete Integrationspläne entworfen werden, selten davon die Rede ist, was Integration eigentlich heißt.“1 Demgegenüber kann nun die Vorstellung einer erstrebenswerten, weil allen Menschen soziale, politische und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichenden Gesellschaft, als Basis und Ausgangspunkt von gegenwärtigen Integrationskonzepten dienen. Ein herauszustellendes Beispiel hierfür gibt das „Leitbild Migration und Integration“ der Stadt Münster, welches 2008 erstmalig verabschiedet wurde und seit 2014 in einer überarbeiteten Fassung vorliegt. In diesem werden vom übergeordneten Leitbild ausgehend, nachgestellte Leitziele entwickelt, die ihrerseits in mit konkreten Maßnahmen unterlegte Teilziele untergliedert sind.

Integrationskonzepte in der Forschung

Die sozialwissenschaftliche Begleitung und Auswertung von kommunalen Integrationskonzepten steht derzeit am Anfang. So können vorläufig lediglich Aussagen über Strategien, inhaltliche Schwerpunkte und Organisationsformen getroffen werden, (noch) nicht aber über deren Auswirkungen und Folgen in der und auf die kommunale Praxis.2 Nach dem bisherigen Forschungsstand lässt dennoch sich eine Reihe von Merkmalen beschreiben, welche fortentwickelte Integrationskonzepte ausmachen. Organisatorisch teilen sie 1.) das Verständnis von Integrationspolitik als Querschnittsaufgabe aller Fachpolitiken und -bereiche der Verwaltung, 2.) deren Bündelung und schließlich die inhaltliche Ausarbeitung zu einem Gesamtkonzept obliegt typischerweise den Integrationsbeauftragten und 3.) ist es von der Ausarbeitung bis zur Verabschiedung ein langer Weg unter breiter Beteiligung politischer Parteien und gesellschaftlicher Gruppen.3 Geteilte Prinzipien umfassen die Bestrebung, dass 1.) die besagte Beteiligung nicht allein auf den Ausarbeitungsprozess bis zur Verabschiedung

des Konzepts zu beschränken ist, sondern vielmehr einer dauerhaften Zusammenarbeit als auch der politischen Partizipation von MigrantInnen hoher Wert beigemessen wird. Weiterhin bedeutet dies 2.) zumindest dem Anspruch nach die Abkehr vom Defizitansatz und damit die Anerkennung von MigrantInnen als gleichrangige AkteurInnen und PartnerInnen in Integrationsprozessen, 3.) die Selbstverpflichtung der Kommune zur interkulturellen Öffnung der Verwaltung. Dies zum einen um den Zugang von MigrantInnen zu Verwaltungsleistungen zu verbessern und sie perspektivisch als Beschäftigte zu gewinnen, zum anderen als eine Vorbildfunktion gegenüber in der Kommune angesiedelten Unternehmen. Schließlich sollen 4.) ein begleitendes Monitoring sowie die regelmäßige Evaluation von einzelnen Maßnahmen und Projekten die Überprüfbarkeit der Integrationspolitik ermöglichen.4 Gemeinsamkeiten und Unterschiede kommunaler Integrationspolitiken ge-

heraus ein Integrationskonzept entsteht oder entstehen soll, Folgen für die jeweilige Praxis lokaler Integrationspolitik haben. Insofern gibt es „gewichtige Gründe, den Steuerungsoptimismus der lokalen Integrationskonzepte einer genaueren Prüfung zu unterziehen.“6 So stellt Gestring fest, dass Integrationskonzepte oftmals weniger den Charakter eines tatsächlichen politischen Handlungsprogramms tragen, sondern mehr den einer leidigen Pflichterfüllung oder einer bloßen Imagepflege. Ferner findet sich entgegen der inhaltlichen Beteuerungen noch der Defizitansatz in der lokalen Praxis wieder.7 Zustimmend bemerkte jüngst auch Gesemann, dass es noch immer Schwierigkeiten beim Perspektivwechsel von „einer eher problembezogenen zu einer ressourcenorientierten Integrationspolitik“8 gäbe. Damit im Zusammenhang stehend ist darauf zu verweisen, dass eine, wenn auch gutgemeinte, aber im Effekt allzu einseitige Konzentration auf die Ressourcen und Potentiale von Migran-

hen auf generelle Faktoren zurück, darunter die räumliche Ausdehnung und Gliederung der Kommune (was insbesondere im ländlichen Raum von Bedeutung ist), die Bevölkerungsgröße und -struktur, der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Weiterhin die Wirtschafts- und Unternehmensstruktur, der Aufbau und Organisation der Verwaltung, die Geschichte und Struktur der bisherigen Integrationsarbeit, das Vorhandensein von einschlägigen Vereinen, Initiativen und Einzelpersonen sowie deren Zusammenwirkten untereinander und mit der Verwaltung. Ferner allgemeine Rahmenbedingungen wie der Zustand der sozialen Infrastruktur oder der finanzielle Handlungsspielraum der Kommune. Nicht zuletzt sind auch die Einstellungen und das Handeln der politischen AkteurInnen sowie deren Beziehungen untereinander für einen erklärten lokalpolitischen Willen hin zu einer strategischen Integrationspolitik entscheidend.5

tInnen wiederum für eine umfassende Integrationspolitik abträglich ist. So können doch strukturelle Barrieren, auf welche die Kommunen kaum bis wenig Einfluss haben, aus dem Blick geraten.9 Letztlich sind die Kommunen als Verwaltungseinheiten in die widersprüchlichen Integrationspolitiken von Bund und Ländern eingebunden. Der Konsens, Integration als Querschnittsaufgabe zu begreifen, muss somit notwendigerweise auf die Tatsache prallen, dass eine Reihe entscheidender Politikfelder wie etwa Bildung und Arbeitsmarkt, nicht hinreichend aufeinander abgestimmt sind. Kommunale Anstrengungen, im Rahmen des verfassungsgemäß zugesicherten Rechts auf Selbstverwaltung, die örtlichen Integrationsangelegenheiten in eigener Verantwortung zu regeln, werden im föderalen Mehrebenensystem somit zwangsläufig geschmälert. Neben dem Umstand, dass wesentliche, die Integrationspolitik betreffende Kompetenzen nicht in den Zuständigkeitsbereich der Kommunen fallen, steht das enorme Problem eingeschränkter finanzieller Handlungsspielräume. Insbesondere „kleine Städte und Gemeinden weisen allein aufgrund ihrer Größe entsprechend kleinere Finanz- und Personalbudgets

An- und Widersprüche kommunaler Integrationskonzepte

Es deutet sich bereits an, dass die zuweilen sehr unterschiedlichen Voraussetzungen einer Kommune, aus denen

auf. Kleine Verwaltungen haben einen geringeren Spielraum, um veränderte Aufgabenzuschnitte umzusetzen, es fällt ihnen schwer, beispielsweise personelle Ressourcen für einen Integrationsbeauftragten zu schaffen.“10 Das Problem eingeschränkter bis sehr knapper Ressourcen zur Wahrnehmung freiwilliger Aufgaben stellt auf kommunaler Ebene das zentrale Hindernis bei der Entwicklung einer strategischen Integrationspolitik dar. Im schlechtesten Falle könnte dies dazu führen, dass das sich immer noch in Entwicklung befindliche Politikfeld kommunaler Integrationspolitik aufgrund angespannter Haushalte, entgegen dem eigentlich dringenden Handlungsbedarf, zusammen mit anderen freiwilligen Aufgaben hinten ab fällt. Im Ergebnis wäre dies ein Rückschritt in die Zeit des integrationspolitischen „Durchwurstelns“.11 Der nüchterne Blick zeigt, dass die Fähigkeiten und Mittel lokaler Integration zum einen nicht überschätzt werden sollten. Trotz dessen gibt es auf der kommunalen Ebene eine Reihe von Einflussmöglichkeiten, insbesondere in den Bereichen ergänzender Bildungsangebote, Wohnen, soziale und gesellschaftliche Teilhabe, wobei die Möglichkeiten kommunaler Integrationspolitik zum anderen auch nicht unterschätzt werden dürfen. Das angeführte Beispiel Bildung zeigt auf, dass Kommunen auch dort aktiv werden können wo sie keine unmittelbare Zuständigkeit haben. Hierauf wird der kommende zweite Teil eingehen, insbesondere sollen die Vorteile, Handlungsfelder und Erfolgsbedingungen kommunaler Integrationskonzepte näher betrachtet werden.

Lesetipp Stadt Münster: Leitbild Migration und Integration, 2014. — 1 Articus, Stephan: Herausforderungen kommunaler Integrationspolitik, in: Luft,Stefan/Schimany, Peter (Hrsg.): Integration von Zuwanderern. Erfahrungen, Konzepte, Perspektiven, Bielefeld 2010, S. 160. 2 Vgl. Gestring, Norbert: Widersprüche und Ambivalenzen kommunaler Integrationskonzepte, in: Gans, Paul (Hrsg.): Räumliche Auswirkungen der internationalen Migration, Hannover 2014, S. 311. 3 Vgl. ebenda, S. 316. 4 Vgl. ebenda, S. 317. 5 Aufstellung nach Gesemann, Frank: Kommunale Integrationspolitik, in: Brinkmann, Heinz Ulrich, u.a. (Hrsg.): Einwanderungsgesellschaft Deutschland. Stand und Entwicklung der Integration, Wiesbaden 2016, S. 284 und Schader-Stiftung (Hrsg.): Rahmenbedingungen kommunaler Integrationspolitik, vom 01.12.2011. 6 Roth, Roland: Kommunale Integrationskonzepte auf dem Prüfstand, vom 17.11.2010. 7 Vgl. Gestring 2014, S. 318. 8 Vgl. Gesemann 2016, S. 289. 9 Vgl. Roth 2010. 10 Vgl. Schader-Stiftung 2011. 11 Vgl. Roth 2010.


Mai 2017

Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

ParlamentsReport Solarworld Freiberg erhalten!

Ministerpräsident Tillich und sein Stellvertreter Martin Dulig hatten sich zur Vorstellung der Halbzeitbilanz für die Inszenierung als selbstzufriedenes Paar entschieden. Doch nicht diese peinliche PR-Nummer sollte uns interessieren, sondern die Fakten der zweiten CDU/SPD-Koalition in Sachsen (seit 2014). Denn sie hat die Folgen der Fehler der ersten (2004-2009) – Einleitung des Polizei-Personalabbaus, Tatenlosigkeit gegenüber beginnendem Mangel an Lehrkräften – geerbt, wird sie aber nicht bewältigen. Der Koalition fehlt ein gemeinsamer Plan: Stattdessen spielt der CDU-Ministerpräsident immer öfter Wirtschaftsminister, und der SPDWirtschaftsminister begibt sich häufig aufs Feld des Innenministers. Doch der CDU-Amtsinhaber Ulbig muss trotz aller Affären keine Konsequenzen des kleinen Koalitionspartners fürchten.

Das Unternehmen ist eines der wenigen in Sachsen, die Entwicklung, Produktion und Vertrieb an einem Standort mit weit mehr als tausend Beschäftigten vereinen. Eine Schließung dieses Werkes wäre nicht nur

wäre es hilfreicher gewesen, ein klares Signal des Landtags zu setzen. Nun rächt es sich nämlich bitter, dass es immer noch keine Neufassung des Energieprogramms gibt, das in seiner geltenden Fassung von 2012 vor allem proklamiert, beständig auf Braunkohlestrom zu setzen. Daran hat sich auch in puncto Politik der Staatsregierung nichts geändert: „Da ist es nicht verwunderlich, dass wir in Sachsen beim Ausbau der erneuerbaren Energien hinterherhinken. Wir erreichen noch nicht den Deutschlandschnitt, sondern liegen darunter“, lautet die klare Schlussfolgerung von Dr. Jana Pinka, umwelt- und ressourcenpolitische Sprecherin der Linksfraktion. In Freiberg steht eine Entwicklung vor dem Aus, in der sächsische Ingenieure die Solarindustrie an die Spitze gebracht haben. Da wir nicht wollen, dass nach Schott, Q-Cells und Bosch Solar das letzte große deutsche Solarunternehmen den Bach runter geht, erwarten wir von den politisch Verantwortlichen konkrete Maßnahmen. Entsprechende Vorschläge hat Dr. Jana

den können, muss offensiv geführt werden. Dazu hat auch Nico Brünler, wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Linksfraktion, klare Vorstellungen: „Wir müssen es auch wagen, unkonventionelle Wege zu gehen und dürfen nicht einfach auf die segensreichen Wirkungen marktkonformer Lösungen setzen. Die Politik darf nicht einfach warten, was passiert!“ Er tritt mit einer ausdrücklichen Forderung an Wirtschaftsminister Dulig (SPD) heran: „Wir stehen gegenüber den Betroffenen in der unmittelbaren Pflicht, nicht in einem Monat, sondern heute unverzüglich zu klären, was der Freistaat für die Rettung der Industriearbeitsplätze, die Sicherung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes des Tochterunternehmens Solar Innovation, die finanziellen Folgen für die Stadt Freiberg und deren Beteiligungen, wie Wasser- oder Abwasserzweckverbände, unternehmen kann.“ Ein zentraler Lösungsvorschlag besteht auch darin, die Entwicklung der Solarforschung an ein Institut der TU Bergakademie Freiberg anzugliedern, wie es die Politikerin und Wis-

JogiBaer2/flirckr.com/CC BY 2.0

Liebe Leserinnen und Leser,

Solarworld ist mit seiner Niederlassung in Freiberg der größte industrielle Arbeitgeber in Mittelsachsen. Darüber hinaus ist das Werk der größte Standort des Unternehmens auf der Welt. Dass dieser Gigant der Solarindustrie nun insolvent ist, wird zum Offenbarungseid sächsischer Energieund Wirtschaftspolitik. Nicht nur SPDWirtschaftsminister Dulig zeigte sich von dieser Nachricht „kalt erwischt“. Denn dass dieses Horrorszenario wahr geworden ist, traf die Staatsregierung völlig unvorbereitet. Was passiert nun mit den 1.200 Arbeitsplätzen in Freiberg? Auf diese und viele weitere Fragen hat die Linksfraktion mit schneller parlamentarischer Initiative und konkreten Vorschlägen geantwortet. Doch Staatsregierung und Landtagsmehrheit haben die Dringlichkeit der Sache wohl noch nicht begriffen.

Die „Bürgerdialoge“ sind eine reine Farce, fast nichts von den Impulsen findet sich im Regierungshandeln wieder – siehe Schulgesetz. Die überhöhten Hürden für Volksbegehren bestehen fort. Trotz vereinzelter Lichtblicke stagniert der wirtschaftliche Aufholprozess; die Krise um die BombardierStandorte, zunehmende Unsicherheit im Lausitzer Braunkohlerevier, aber auch der anhaltende Rückstand bei Löhnen und Renten im Vergleich zum Westen sprechen eine klare Sprache. DIE LINKE redet in Sachsen seit 2006 über Lehrermangel, Ministerpräsident Tillich will aber erst jetzt, 2017 (!), mitbekommen haben, dass zu wenige Lehrkräfte ausgebildet werden. Ein Grund mehr, diese Koalition 2019 mit dem Stimmzettel zu beenden.

Rico Gebhardt Fraktionsvorsitzender

für die 1.200 Angestellten ein Alptraum, sondern auch für die Stadt Freiberg. Deshalb wollen wir die Lage schnellstmöglich klären und Maßnahmen für einen vollständigen Erhalt des Solarworld-Standortes erreichen. Die Regierung muss endlich handeln. Dazu hat die Linksfraktion in der letzten Landtagssitzung einen Dringlichkeitsantrag eingereicht, den die Freiberger LINKE-Abgeordnete Dr. Jana Pinka begründete (Drucksache 6/9600). Doch die Dringlichkeit wurde von den Koalitionsfraktionen SPD und CDU, aber auch von der AfD abgelehnt. Anstatt mit fadenscheinigen „Argumenten“ Aktionismus zu unterstellen,

Pinka auf den Tisch gelegt, ganz im Sinne der Sächsischen Rohstoffstrategie: Recycling von Solarmodulen ausbauen, Entwicklungen im Life cycle assessment (Lebenszyklusanalyse) tätigen, Investitionen in die Zellenproduktion fördern. Natürlich reicht nicht aus, immer nur mit dem Finger in Richtung China zu zeigen und im aufstrebenden Asien den Urheber allen Unheils in der deutschen Solarbranche zu suchen. Die Politik muss darüber nachdenken, wie wir die Industriearbeitsplätze retten können. Auch die Debatte, wie Innovation und Technologieentwicklung am Standort Sachsen gewahrt wer-

senschaftlerin Dr. Jana Pinka angeregt hat. Ohne neue Ideen droht das Schicksal „fifty-fifty-Joker“: Entweder es geht irgendwie weiter oder es kommt zu Massenentlassungen. Politik sollte aber kein Pokerspiel nach dem Motto sein: Hoffentlich fällt dem Insolvenzverwalter etwas ein. Das kann man ja als Quintessenz bisheriger Äußerungen des sächsischen Wirtschaftsministers verstehen. Die Linksfraktion will, dass Sachsen Industrieland bleibt und dabei – auch mit dem „Leuchtturm“ Freiberg – in seiner schöpferischen Fähigkeit gestärkt wird, Motor neuer technologischer Entwicklungen zu sein.


PARLAMENTSREPORT

Seite 2

Mai 2017

„Mutti, kaufst du mir ein Eis?“ Nein, es geht nicht um gestiegene Preise für Stracciatella, Himmelblau und Sahne-Kirsch in diesem Sommer. So abwegig ist dieser Gedanke aber nicht, denn allzu oft lautet die Antwort auf die Frage: Nein, dafür haben wir kein Geld. Damit sind wir beim Thema, das die Linksfraktion erneut per Antrag auf die Landtags-Tagesordnung setzte (Drucksache 6/9430): Kinderarmut.

Susanne Schaper, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, sieht dringenden Handlungsbedarf: „Es ist höchste Zeit, dass sich Sachsen diesen Sachverhalten stellt, um jedem Kind und jedem Jugendlichen gute Chancen zur Entfaltung der eigenen Möglichkeiten zu bieten!“ Hauptpunkt des LINKEN Antrages ist die Forderung nach einem Runden Tisch gegen Kinderarmut. An ihm müssten Experten aus der Kinder- und Jugendhilfe, der Sozialforschung, von Kinderrechts- und Kinderschutzorganisationen, Familienverbänden, der Selbstvertretungen der Kinder und Jugendlichen sowie der Kommunen Platz nehmen. Außerdem soll Sachsen

einkommensarme Eltern entlasten, indem die Lernmittelfreiheit tatsächlich umgesetzt wird und die Kommunen vom Zwang befreit werden, Beiträge für die Schülerbeförderung zu erheben. Gemeinschaftsschulen könnten die Bildungschancen aller verbessern. „Arme Kinder wachsen häufig in einer Umgebung mit hoher Armutskonzentration auf. Verbessert man die Ausstattung von Kitas in diesen Brennpunkten, dann wirkt sich das positiv auf die Entwicklung von Kindern aus. Das Gleiche gilt bei der Ausweitung von Schulsozialarbeit und Jugendarbeit“, ergänzte die kinderund jugendpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Janina Pfau. Allerdings wird es nicht ausreichen, Kinderarmut nur auf der Landesebene zu bekämpfen. Die Staatsregierung muss auch auf der Bundesebene aktiv werden, so Schaper: „Nötig sind eine Kindergrundsicherung von 560 Euro und als erster Schritt die Erhöhung des Kindergeldes auf 328 Euro.“ Kinder und Jugendliche sollten eigene Regelsätze für Sozialleistungen bekommen, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Denn Hartz IV hat auch die Armut von Kindern vergrößert, Sanktionsmaßnahmen gegen Betroffene treffen auch deren Kinder. In Sachsen leben rund 87.500 Kinder unter 18 Jahren in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften.

Daniel Wütschert / flickr.com / CC BY 2.0

In Sachsen leben mehr Kinder unterhalb der Armutsgrenze als im Bundesdurchschnitt; vor allem die Großstädte Leipzig, Chemnitz und Dresden stechen negativ hervor. Betroffen sind häufig Familien mit alleinerziehenden

Eltern oder mit drei oder mehr Kindern. Die Bertelsmann-Stiftung geht von 100.000 betroffenen Kindern aus, das ist etwa jedes vierte. Hinter den Zahlen stehen Entbehrung und Demütigung: Es fehlen tägliche warme Mahlzeiten, altersgerechte Bücher und Spielzeug, Freizeitaktivitäten, Geld für Schulausflüge und Kleidung, Freunde können nicht eingeladen werden. Armut hat für Kinder und Jugendliche weitreichende Folgen. Sie werden oft nicht voll akzeptiert, haben schlechtere Bildungsmöglichkeiten und ein höheres Risiko, krank zu werden. Selbst der Fünfte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung belegt das.

Obwohl bekannt ist, dass viele Kinder in Armut aufwachsen, zeigt die Staatsregierung keine sichtbaren Bemühungen, das Problem wenigstens zu analysieren. Es wäre falsch, weiter tatenlos dabei zuzusehen, wie Kinder in Armut aufwachsen. Ihnen entgeht schließlich weit mehr als ein paar Kugeln Eis.

Sport frei auch für Menschen mit Handicap!

Menschen mit Behinderung, die eine bestimmte Sportart ausführen möchten, haben trotzdem weiter mit Problemen zu kämpfen. Lobeshymnen auf erfreuliche Entwicklungen hel-

fen nicht – Behindertensport braucht mehr Geld und breitere Strukturen. Das forderte ein Antrag der Linksfraktion (Drucksache 6/9219). Den Behauptungen aus der CDU-SPD-Koalition zum Trotz stehen Menschen mit Behinderungen allein schon auf dem Weg zu Sportstätten oft vor unüberwindlichen Hürden, weil zum Beispiel kein Transport des Sportrollstuhls mit

Denis De Mesmaeker / flickr.com / CC BY-NC-ND 2.0

In Deutschland leben fast neun Millionen Menschen mit einer amtlich anerkannten Behinderung. Die UN-Behindertenrechtskonvention hat in Artikel 30 das Ziel, ihnen die gleichberechtigte Teilhabe an Erholungs-, Freizeitund Sportaktivitäten zu ermöglichen. Die Bedeutung des Behindertensports ist mithin in den letzten Jahren weltweit enorm gewachsen. Die Special Olympics für Menschen mit geistiger Behinderung, die Paralympischen Spiele für jene mit körperlichen Einschränkungen oder die Blindenfußball-EM 2017 in Berlin sind herausragende Beispiele dafür, dass im Sport eigentlich so gut wie keine Grenzen existieren. Nicht nur auf internationaler Ebene werden mittlerweile große Erfolge erzielt, auch in Sachsen tut sich einiges. So sind allein im Freistaat mittlerweile mehr als 38.000 Menschen in über 330 Vereinen des Behinderten- und Rehabilitationssportverbandes organisiert.

öffentlichen Verkehrsmitteln möglich ist. Die sportpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Verena Meiwald, sieht noch weit größere Defizite: „Ein Großteil des Breitensports erhält nach wie vor keine Zuschüsse für Fahrten zu Wettkämpfen und Trainingslagern sowie Übernachtungskosten.“ Zudem fehlten Übungsleiterinnen und Übungsleiter sowie Trainerinnen und

Trainer, die dafür geschult sind, Menschen mit Handicaps zu betreuen. Auch bei Sportgeräten gibt es Probleme: Hier verhindern bürokratischen Verflechtungen oft, dass die ohnehin spärliche Förderung für Sportrollstühle, Slegdehockeyschlitten oder Tore und Banden im Blindenfußball ausgereicht wird. Von einer „angemessenen“ Behindertensportförderung kann also keine Rede sein! Auch Horst Wehner, Sprecher für Inklusion, kritisierte CDU und SPD: „Die Koalition tut so, als sei alles geregelt, doch der Alltag sieht anders aus!“ Deshalb forderte die LINKE Landtagsfraktion die Staatsregierung auf, künftig regelmäßig über die Situation von Menschen mit Behinderungen im Sport zu berichten. Es ist nötig, ein Förderprogramm für sie zu entwickeln und wichtige Faktoren wie Fahrtkosten oder bauliche Anpassungen an Sportstätten abzudecken. Die Regierungsfraktionen lehnten das allerdings ab, was ihre Gleichgültigkeit gegenüber diesem dringlichen Thema zeigt. Wir werden dennoch weiter dafür streiten, dass Sport für Menschen mit Behinderung gefördert wird!


PARLAMENTSREPORT

Mai 2017

Seite 3

LINKE wollen Zeitenwende für die Hochschulen

Das „Hochschulfreiheitsgesetz“, das die schwarz-rote Landesregierung bisher nicht novellierte, hat also einen Teil der Probleme verursacht, die Sachsens Hochschule plagen. Zugleich hat es andere Probleme nicht gelöst. So hat die Linksfraktion ein alternatives Hochschulgesetz in den Landtag eingebracht (Drucksache 6/9585). Ziel der Neufassung ist es, eine solidarische und fortschrittliche Alternative auf den Weg zu bringen, auch um die Hochschulen konkurrenzfähig zu halten. Eine entscheidende Rolle spielt die Abschaffung des veralteten Lehrstuhlprinzips. Deutschland ist eines von nur noch wenigen Ländern, das Wissenschaft und Forschung in dieses Korsett schnürt. Bisher werden wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzelnen Professorinnen

und Professoren zu- und untergeordnet. Das sorgt für steile Hierarchien. Wir plädieren für eine kollegiale, projektbezogene Zusammenarbeit des wissenschaftlichen Personals in Abteilungen, die Instituten oder Fakultäten zugeordnet sind. Die Linksfraktion will insgesamt „Eine Hochschule für alle“. Vor allem Studierenden in besonderen Lagen soll die Neufassung helfen. Vorrangig geht es um die Möglichkeit eines Teilzeitstudiums, wenn sich einzelne in finanzieller Notlage befinden, Kinder zu betreuen oder Angehörige zu pflegen haben. Auch wollen wir in einer Welt voller Krisenherde und Kriegsschauplätze ein Zeichen setzen – in Form einer Zivilklausel für die Hochschulen. Neubert fragte den Landtag: „Wer kann akzeptieren, dass an den sächsischen Hochschulen womöglich

neue Erkenntnisse für verheerende Massenvernichtungswaffen gewonnen werden? Niemand! Hochschulen müssen sich auf die zivile Forschung konzentrieren.“ An jedem Standort solle ein/e Friedensbeauftragte/r die Zivilklausel durchsetzen und für mehr Transparenz über Drittmittel sorgen, die der Hochschule zufließen. „Sapere Aude“ lautet das adäquate und oft verwendete Zitat eines deutschen Aufklärers – wage es, weise zu sein, „habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Dementsprechend wollen wir die Autonomie der Hochschulen stärken, vor allem gegenüber der Regierung. Deren verlängerten Arm, den „Hochschulrat“, wollen wir abschaffen. Wir positionieren uns für das kritische und kreative Denken sowie für die Mitbestimmung aller Hochschulmit-

gliedsgruppen. Deshalb soll auch die Austrittsmöglichkeit aus der Studierendenschaft entfallen. Wir wollen eine Hochschule, in der Bildung nicht vor allem in den vorgegebenen Strukturen funktionieren muss, sondern in der Bildung ein autonomes, fortschrittliches Forschen, Lehren und Lernen bedeutet. Die Zahl der Studienabbrüche soll sinken, wozu die Möglichkeit eines Orientierungsstudiums beitragen soll. „Wir wollen eine offene und vielfältige Hochschule. Es müssen mehr Menschen zur Aufnahme eines Studiums ermächtigt werden. Studieninteressierte sollen unabhängig von sozialer Herkunft, Kultur, Geschlecht und Nationalität den gleichen Zugang zum Studium erhalten, und zwar ohne Studiengebühren“, so Neuberts Fazit. Die Zeitenwende muss kommen!

Sebastian Bernhard / pixelio.de

Sachsens Hochschulen machen schwere Zeiten durch – und das nicht erst seit 2012, als CDU und FDP ihr „Hochschulfreiheitsgesetz“ durchsetzten. Zu Personalmangel und schlechten Arbeitsbedingungen für Nachwuchswissenschaftler gesellen sich neue Missstände. Der mehrheitlich vom Wissenschaftsministerium besetzte Hochschulrat erhielt mehr Einfluss auf interne Abläufe; der Senat als demokratisch gewähltes Gremium der Mitgliedsgruppen wurde hingegen geschwächt. Außerdem wurde das Verfahren, in dem der Hochschulentwicklungsplan zustande kommt, verändert. „Das machte die Erpressung der aktuellen Koalition möglich, den Stopp des Stellenabbaus einzutauschen gegen eine völlig abenteuerliche Zielmarge bei der Absenkung der Studierendenzahlen insbesondere an den Universitäten“, kritisiert der Hochschul- und Wissenschaftspolitiker der Linksfraktion, Falk Neubert. Auch wurde eine Austrittsmöglichkeit aus der verfassten Studierendenschaft geschaffen, die deren Vertretung schwächt und die Semestertickets gefährdet.

Ein Sarg im Transporter? Das müsste nicht sein In Sachsen gibt es über 220.000 Selbstständige. Knapp die Hälfte arbeitet solo, ohne zusätzliche Beschäftigte. Langsam reift auch in der Politik die Erkenntnis, dass Selbstständigkeit und Armut oft zusammenhängen. Während Angestellte im Regelfall sozial abgesichert sind, müssen viele Selbstständige hart dafür kämpfen – denn sie tragen alle Kosten. Selbst und ständig, wie es heißt. Gerade im Osten haben sich nach 1990 viele Menschen selbstständig und so aus der Not eine Tugend gemacht; längst gerieten sie in neue Not. Vor allem Solo-Selbstständige sind oft nicht in der Lage, ihre Krankenversicherung zu bezahlen. 80.000 Menschen in Sachsen betrifft das inzwischen, darunter viele mit EinMann/Frau-Betrieben. Sozialbeiträge von Selbstständigen richten sich nicht nach dem tatsächlichen Einkommen,

sondern nach der „Mindestbemessungsgrundlage“. Sie veranschlagt ein monatliches Einkommen von 2.231 Euro brutto, bei Existenzgründung und in Härtefällen 1.487 Euro. Wer weniger erwirtschaftet, zahlt überproportional viel. So können viele auch keinen Rentenanspruch erwerben, der vor Altersarmut schützt. Wer seinen Betrieb dann nicht verkaufen kann, gerät in große Not. „Viele Selbstständige nehmen aus Scham oder Stolz nicht einmal die Altersgrundsicherung in Anspruch und arbeiten so lange, bis es gar nicht mehr geht. So darf ein Lebensabend nicht aussehen“, mahnte Luise Neuhaus-Wartenberg, Sprecherin der Linksfraktion für Mittelstand und Handwerk, in einer von der Linksfraktion beantragten Aktuellen Debatte. Spreche man mit Betroffenen, höre man oft Galgenhumor: Ein fast 70-jähriger Handwerksmeister aus Zittau wolle sich etwa

einen Sarg in den Transporter stellen, um fix hineinspringen zu können, wenn es so weit ist. Die Linksfraktion will das nicht hinnehmen. Wir wollen, dass Selbstständige ins Sozialversicherungssystem integriert und damit abgesichert werden. „Lediglich ein Viertel der SoloSelbstständigen ist in ein obligatorisches System der Altersvorsorge einbezogen. Das Problem Altersarmut ist kein zukünftiges, sondern meiner Meinung nach ein bereits vorhandenes“, so Neuhaus-Wartenberg. Die Kultur- und Kreativwirtschaft leide besonders stark unter diesen sozialen Problemen, worauf der LINKEN-Kulturpolitiker Franz Sodann hinwies. Wie können Lösungen aussehen? Im ersten Schritt wäre dafür zu sorgen, dass Sozialbeiträge realistisch, also auf Basis des Einkommens berech-

net werden. Dafür sollte die sächsische Landesregierung in Berlin streiten. Langfristig heißt unser Ziel: Eine Krankenkasse für alle, in die auch alle einzahlen, Besser- und Bestverdiener inklusive! Auch eine Mindestrente von 1.050 Euro halten viele Selbstständige, die mit der Linksfraktion diskutieren, für vernünftig. Auch Mindesthonorare als Ergänzung des Mindestlohns wären eine gute Idee, damit Selbstständige nicht mehr als Billigkonkurrenz zu abhängig Beschäftigten missbraucht werden. „Wir wollen, dass für Gründerphasen, aber auch für Zeiten der Auftragslosigkeit, der Weiterbildung, bei Krankheit und nach Austritt aus dem Berufsleben für Sicherheit gesorgt ist“, so der LINKE Gewerkschaftspolitiker Klaus Tischendorf. Sachsen muss dazu beitragen, dass sich die Bundespolitik bewegt!


Seite 4

PARLAMENTSREPORT

Mai 2017

25 Jahre sächsische Verfassung

Plenarspiegel

Mai 2017

Die 54. und die 55 Sitzung des 6. Sächsischen Landtages fanden am 17. und am 18. Mai 2017 statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten:

Schon der Titel „25 Jahre Sächsische Verfassung – fremdelt das Volk (wieder) mit seiner Verfassung?“ stieß bei mehreren Diskutanten auf Widerspruch. Dennoch bestand in drei Punkten der von Linksfraktionschef Rico Gebhardt moderierten Podiumsdiskussion im Fraktionssaal durchaus Einigkeit: Die sächsische Verfassung ist von guter Qualität. Sie widerspiegelt nicht die absolute CDU-Mehrheit, die zur Zeit ihrer Verabschiedung herrschte, sondern ist vergleichsweise fortschrittlich. Das „Fremdeln“ bezieht sich vor allem auf die Alltagswirklichkeit der Demokratie. Dazu lieferte Dr. Jürgen Rühmann, Vizepräsident des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes, in seinem Impulsreferat eine ganze Reihe konkreter Beispiele. So das Stadt-LandGefälle insbesondere auch infolge des Nichtfunktionierens der wirtschaftli-

SPD-Abgeordneter und wie Schiemann und Klaus Bartl (seinerzeit Linke Liste-PDS, nunmehr Linksfraktion und zusammen mit Schiemann in sechster Wahlperiode ununterbrochen im Landtag) „Verfassungsvater“, der am Gohrischer Entwurf mitgearbeitet hatte, verwies auf Brandenburg: Dort hätte das Volk abgestimmt, bei einer Wahlbeteiligung unter 50 Prozent … Dass auch Bartl trotz seines „Nein“ zur Verfassung von Schiemann im Interview mit der „Freien Presse“ zu den „Verfassungsvätern“ gezählt wurde, da er ja an ihrer Erarbeitung intensiv mitgearbeitet hat, ist eine historische Versöhnung der besonderen Art. Bartl wiederum sagte, er würde sich – auch im Lichte der Erfahrungen mit der Verfassung, auf deren Grundlage die LINKEN im Landtag zu 85 Prozent erfolgreiche Klagen geführt haben – heute im Falle erneuter Abstimmung

regulären Parlamentsarbeit Vertreter aller demokratischen Fraktionen, die in der ersten wie sechsten Legislaturperiode im Landtag vertreten sind, freiwillig einen Abend lang miteinander über gesellschaftliche Grundsatzfragen sprechen. Das hat eine Fortsetzung verdient. Dem schienen die Gäste im Publikum – von Gewerkschaft bis Vertretung der Rechtsanwaltschaft – als Resümee eines interessanten Abends zuzustimmen. „Sachsen – in welcher Verfassung? Rückblick auf 25 Jahre gelebte Sächsische Verfassung“ (Autoren: Dr. Rosemarie Jarosch, Klaus Bartl), Broschüre online unter: www.linksfraktionsachsen.de oder zu bestellen: Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag, Bernhard-von-Lindenau-Platz 1, 01067 Dresden. Mit allen Volksanträgen und Volksbegehren in Sachsen, allen Änderungsanträgen der Fraktion und

Aktuelle Debatte „Soziale Gerechtigkeit im Osten – wie steht es um die soziale Absicherung von Selbstständigen in Sachsen?“ Gesetzentwürfe „Gesetz zur Einführung der Selbstverwaltung der Hochschulen im Freistaat Sachsen“ (Drucksache 6/9585) Anträge „Kinderarmut im Freistaat Sachsen gemeinsam beseitigen!“ (Drucksache 6/9430) „Sport für Menschen mit Behinderungen (Behindertensport)“ (Drucksache 6/9219) Sammeldrucksache 6/9562 mit dem Antrag der Fraktion DIE LINKE „,Datenschutz-Anpassungsund -Umsetzungsgesetz EU‘ ablehnen – Keine Abstriche am Datenschutz im Freistaat Sachsen zulassen“ (Drucksache 6/8470) Alle Drucksachen unter www.edas.landtag.sachsen.de

Termine Arm trotz Arbeit – Was leistet der Mindestlohn? Betriebsund Personalrätekonferenz der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag und der Bundestagsfraktion 16. Juni 2017, 11-16 Uhr, Sächsischer Landtag, Raum A400 Welche Fortschritte hat der Mindestlohn gebracht? Wie ist die Situation in den Betrieben? Welche Probleme gibt es? Was lässt sich Armut verhindern? Veranstaltungsinformationen unter gleft.de/1Br

chen Leuchtturmpolitik und die Übermacht der Verwaltung gegenüber den Ehrenamtlichen in der Kommunalpolitik. Er sieht auch eine „Dominanz der Ministerialverwaltung“; die Landtagsfraktionen brauchten Mittel, um unabhängig von der beruflichen Kompetenz einzelner Abgeordneten auf allen Gebieten mit Sachverstand dagegenhalten und kontrollieren zu können. Keine Einigkeit herrschte erwartungsgemäß bei der Frage, welche Rolle die seit knapp anderthalb Jahrzehnten in Sachsen vollends eingeschlafene direkte Demokratie an diesem Fremdeln hat. Karl-Heinz Gerstenberg, Abgeordneter der ersten Stunde bei den Bündnisgrünen, sah es als „vertane Chance“ und „Geburtsfehler“, dass es über die sächsische Verfassung keine Volksabstimmung gegeben hat. Marko Schiemann (CDU) begründete dies mit der 80-prozentigen Zustimmung im Landtag, dieser große Konsens sei ihm das Wichtigste gewesen. Bernd Kunzmann, damals

der Stimme enthalten. Er hat vor allem ein Problem mit der Verfassungswirklichkeit: Die Volksgesetzgebung, die als gleichberechtigte zweite Säule der Gesetzgebung neben dem Landtag von der Verfassung vorgesehen sei, komme wegen zu hoher Hürden bei den Volksbegehren (450.000 Unterschriften) nicht mehr zum Zuge. Harald Baumann-Hasske von der SPDFraktion, wie Kunzmann Mitkommentator der Sächsischen Verfassung, ist auch für Hürdenabsenkung, erinnerte aber an die mangelnde Bereitschaft der CDU, ohne die ja eine Zwei-DrittelMehrheit nicht erreichbar ist, daran mitzuwirken. Marko Schiemann ließ – wenig überraschend – durchblicken, dass mit ihm – nach der Einführung der Schuldenbremse – eher keine weitere Änderung der Verfassung zu machen sein wird. Rico Gebhardt wertete es in seinem Schlusswort als Hoffnungszeichen der politischen Kultur, dass außerhalb der

ihrer Vorgängerfraktionen zur Landesverfassung und allen Verfahren, die die Fraktion und ihre Mitglieder, teils mit Abgeordneten anderer Fraktionen, vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof geführt haben.

Impressum Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden Telefon: 0351/493-5800 Telefax: 0351/493-5460 E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.de www.linksfraktion-sachsen.de V.i.S.d.P.: Marcel Braumann Redaktion: Ferdinand Stein & Kevin Reißig


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.